Beiträge von Decima Seiana

    Die Gefangennahme von Seiana konnte ich inzwischen auch noch komplett auftreiben. Außerdem hab ich die letzten zwei Seiten vom "Haus des Consuls", also Proximus' Versuch, den Consul zur Aufgabe zu bringen, und später die Erstürmung - letzteres nicht ganz vollständig, da fehlen ein oder zwei Posts.

    Mit den Nerven am Ende wie Seiana gerade war, konnte sie ihre Fassungslosigkeit im ersten Moment nicht verbergen, als sie hörte, dass sie barfuß gehen sollte. Sie befanden sich hier am westlichen Ende des Pomeriums... um zur Castra Praetoria zu gelangen, mussten sie quer durch die Stadt laufen. Was ohnehin schon hart werden würde für sie, war sie es doch inzwischen schon seit Jahren nicht mehr gewohnt, längere Strecken zu Fuß zu gehen. Dazu kam, dass sie vor gerade mal acht Tagen ein Kind auf die Welt gebracht hatte, und sie noch immer die Auswirkungen dieser Strapazen spürte, sowohl allgemein, was ihre Konstitution anging, als auch ganz konkret, was ihren Unterleib betraf. Den Weg zur Castra in ihrem Zustand auch noch barfuß laufen zu müssen... Seiana wollte sich nicht vorstellen, in welchem Zustand sie sein würde, wenn sie ankam.


    Aber sie sagte nichts. So wie der Centurio sich die ganze Zeit benommen hatte, würde er sich nicht umstimmen lassen. Es spielte gar keine Rolle, dass er seine Männer eben noch angebrüllt hatte, sie sei keine Barbarin, sondern Römerin. Vermutlich hatte er sie nur deswegen angebrüllt und verjagt, weil sie seine Worte zuvor, die Soldaten Palmas seien besser, ad absurdum geführt und ihn lächerlich gemacht hatten. Er wollte, dass sie litt, psychisch und physisch. Seiana wusste, wann ein Kampf verloren war, und dieser war es, noch bevor er überhaupt begonnen hatte. Und so verzweifelt war sie noch nicht, dass sie sich auf einen aussichtslosen Kampf eingelassen hätte, oder in diesem Fall eher: aussichtsloses Flehen. Als der Centurio sich also kurz abwandte, um seinen Helm wieder aufzusetzen, bückte Seiana sich und zog die weichen Sandalen aus, die ohnehin nur für innerhalb der Wohnung gedacht waren und ihr auf der Straße kaum lange Schutz geboten hätten, und ging dann zur Tür hinaus und die Treppe hinunter, als der Centurio ihr das bedeutete. Beim Hinausgehen streifte ihr Blick kurz die Palla, die bei der Tür hing... aber sie machte keine Anstalten, danach zu greifen, und sie fragte auch nicht ob sie sie mitnehmen konnte. Er würde nein sagen, davon ging sie fest aus. Also hieß es zusätzlich noch frieren... auf dem Weg zur Castra, und im Carcer vermutlich ebenso.


    Die beiden übrigen Legionäre indes mochten trödeln, so lange sie wollten... etwas von Wert würden sie in dieser Wohnung nicht finden, hatte Seiana doch derartiges nicht mitgenommen.

    Seiana starrte durch die beiden Legionäre hindurch und sagte einfach nichts, aber noch während die Legionäre darauf warteten, dass sie vielleicht doch etwas sagte, kam der Centurio zurück... und das auf eine Art, die Seiana schon wieder ein kleines Stück schrumpfen ließ, oder jedenfalls fühlte es sich so an – selbst wenn seine Aggression diesmal nicht auf sie gerichtet war. Allein die ganze Situation machte ihr immer noch genug Angst... und davon abgesehen stand der Helvetius direkt neben ihr, als er seinen Schlag austeilte und wieder anfing zu brüllen. Den einzigen klaren Gedanken, den Seiana allerdings fassen konnte, war, dass er es scheinbar doch ernst gemeint hatte. Er würde keine Hand an sie legen, und er würde auch seine Männer nicht auf sie loslassen. Und obwohl die im allerersten Augenblick nicht gewillt schienen, einfach so nachzugeben... verschwanden sie dann schließlich doch. Und zum ersten Mal, seit die Soldaten die Wohnung betreten hatten, erlaubte Seiana sich an ganz feines, kaum merkbares Aufatmen. Das sich schon wieder verflüchtigte, als der Centurio nun wieder dazu überging, sie anzubrüllen. „Nein“, antwortete sie leise. Oh, es hätte wohl eine Menge gegeben, angefangen davon, dass sie eigentlich noch ein paar Anweisungen an ihre Sklaven zu verteilen, bis hin dazu, dass sie am liebsten irgendetwas mitgenommen hätte, eine Schriftrolle vielleicht oder zwei, etwas, womit sie Abwechslung im Carcer hätte. Aber sie konnte sich schon vorstellen, wie darauf reagiert werden würde. „Es gibt nichts. Wegen mir... nicht.“

    Nebenan


    Der Schlag, der Aufschrei, ja, selbst die lauter gesprochenen Worte waren in der Nachbarwohnung nicht unbemerkt geblieben... dünn genug waren die Zwischenwände, um derlei Dinge mitzubekommen, selbst wenn man nicht so aufmerksam darauf lauschte, wie die aktuellen Bewohner das gerade taten. Während die Decima sich ziemlich wehrlos den Soldaten ausgesetzt sah, spielte sich in der Wohnung nebenan ein Kampf ab, lautlos, aber umso verbitterter.

    http://img209.imageshack.us/img209/2221/bran.png

    http://img718.imageshack.us/img718/5630/alvaroh.jpg Bran und Álvaro rangen miteinander, oder besser: Bran versuchte Álvaro daran zu hindern die Wohnung erneut zu verlassen. Während die Amme im Hintergrund die Szene mit geweiteten Augen beobachtete, in ihren Armen ein selbst für ein Säugling winziges Kind, das leise vor sich hin wimmerte, gelang es Bran schließlich, seinen Arm so um Álvaro zu schlingen, dass er ihn im Schwitzkasten hatte.
    „Lass mich endlich gehen“, ächzte Álvaro leise.
    „Vergiss es“, kam nur trocken, aber ebenso leise, die Antwort.
    Statt einer Antwort versuchte Álvaro den Griff zu sprengen, aber es gelang ihm nicht. Bran war älter und erfahrener, und er war jahrelang Gladiator gewesen... und so gut Álvaro auch sein mochte: in einem Kampf wie diesem war Bran dem Iberer überlegen. Was allerdings nicht hieß, dass er seine Bemühungen aufgegeben hätte. „Verräter!“ knurrte er wütend. „Wir sollten da drüben sein, wir beide, es ist unsere Aufgabe sie zu beschützen!“
    Brans Augen verengten sich, und seine Stimme wurde zischend und höhnisch. „Und was willst du tun, wenn du dort bist? Gegen vier Legionäre vor der Tür und mindestens drei weiteren drinnen, und wer weiß wie viele noch? Glaubst du du beschützt sie, indem du dich abmurksen lässt? Du bringst sie eher in noch mehr Schwierigkeiten dadurch.“ Der Britannier verstärkte seinen Druck noch, und die Abwehrbewegungen seines momentanen Gegners wurden etwas schwächer. „Du kannst ihr im Moment nicht helfen!“ Jetzt ließ die Gegenwehr plötzlich ganz nach... aber Bran traute dem Frieden noch nicht so ganz. Nur langsam, vorsichtig ließ er Álvaro los, und er positionierte sich vorsichtshalber zwischen dem anderen Custos und der Tür. „Die nehmen sie fest. Vielleicht spielen sie vorher ein bisschen mit ihr, aber sie werden sie nicht umbringen.“
    Álvaro schoss Bran einen verächtlichen Blick zu, als der spielen sagte... aber er schwieg. Und er versuchte auch nicht noch einmal, aus der Wohnung zu kommen.


    ~~~


    Seiana zuckte erneut zusammen, als er sie nun doch noch einmal berührte, aber es war nur, um Blut wegzuwischen. Nicht dass sie in diesem Moment großartig darüber nachdachte, woher das Blut kam... es war ihr auch völlig egal. Sie wollte das einfach nur hinter sich bringen... und sie hoffte, hoffte so sehr, dass es jetzt vorbei war, dass die Soldaten jetzt genug hatten und sie einfach zur Castra bringen würden.
    Allein: die Hoffnung war vergebens. Der Helvetius ließ zwar endlich ab von ihr, ging sogar mehrere Schritte fort, so dass sie plötzlich wieder Raum hatte, und Luft zu atmen – aber er stoppte nicht. Er ging weiter... bis er in dem kleinen Nebenraum verschwunden war. Und Seiana registrierte nun plötzlich die vier anderen Soldaten, denen sie bisher kaum Beachtung geschenkt hatte. Ihr Blick glitt rasch über die vier hinweg... fokussierte sich aber sehr schnell auf den beiden, die auf sie zukamen. Sie fragte sich, beinahe verzweifelt, welches Spiel der Centurio hier mit ihr trieb. Ihr erst drohen, dann sie beschimpfen, ihr Hoffnung machen, und sie jetzt doch seinen Männern zu überlassen. Sie ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervortraten, aber nicht in einer Geste, aus der man Gegenwehr hätte lesen können... es war im Grunde nur ein Ersatz dafür, dass sie die Arme am liebsten erneut vor ihrem Oberkörper verschränkt hätte, es aber nicht wagte. So blieben ihre Arme an ihrer Seite, und sie senkte nur wieder ihren Blick ein wenig, um die Soldaten nicht mehr direkt ansehen zu müssen... und sagte diesmal nichts. Was hätte sie auch erwidern sollen? Schnell, schnell, einfach nur schnell vorbei, das war alles, was sie wollte, worauf sie hoffte.

    Ihr Kopf war immer noch zur Seite gewandt, als er reagierte, dennoch sah sie seine Bewegungen, verfolgte sie aus dem Augenwinkel – und zuckte trotzdem zusammen, als er plötzlich einen weiteren, schnellen Schritt machte, der ihn nun dicht an sie heranbrachte. Jetzt sah sie doch wieder nach vorn... aber sie fixierte ihren Blick irgendwo auf seiner Brust, halbwegs in ihrer Augenhöhe. Sie wehrte sich nicht, als er sie zurückdrängte an die Wand, und sie leistete auch kaum Widerstand, als er sich um ihre verschränkten Arme kümmerte. Ungebetene Bilder drängten sich ihr auf, Bilder, die zu verdrängen sie im Lauf der Jahre recht geübt geworden war, von der Feier in der Villa Sicinia, von ihrem Zusammentreffen mit dem Sohn der Familie, als sie hatte gehen wollen, davon, wie er sie nicht hatte gehen lassen, und was danach passiert war... aber jetzt half nichts mehr von den Mechanismen, die sie sich zurecht gelegt hatte, nichts mehr von den Schutzwällen, die sie aufgebaut hatte, und die Bilder holten sie ein, so sehr, wie sie es sonst höchstens noch im Traum vermochten – und selbst da in dieser Heftigkeit inzwischen nur noch selten. Sie schauderte, und als sie dann doch nach oben sah, in das Gesicht des Centurios, erblickte sie etwas, was ihr nur noch mehr Angst machte – sie sah blanke Wut in seinen Augen, während er sie musterte, langsam, von oben nach unten und wieder zurück zu ihrem Gesicht. Seiana sah wieder weg, zur Seite, und ihr Atem ging mittlerweile so flach und rasch, dass sie sich wieder anstrengen musste nicht zu hyperventilieren. Je schneller das hier vorbei war, desto besser. Sie musste nur... musste nur versuchen, an etwas anderes zu denken. Auch darin hatte sie mittlerweile Übung, hatte sie doch genau das mehr als einmal getan, wenn ihr Mann mit ihr hatte schlafen wollen. Nicht, dass er sich das je gegen ihren Willen genommen hätte... aber für sie war es dennoch mehr Pflichtübung gewesen als alles andere.


    An etwas anderes denken, also, was allerdings leichter gesagt war als getan. Sie spürte die Hand des Centurios auf ihrem Gesicht, an ihrem Hals, und sie rechnete fest damit, dass er sich als nächstes darum kümmern würde, irgendwie den Stoff von ihrem Körper zu bekommen... als er urplötzlich seine Hand zurückzog. Unwillkürlich sah Seiana doch wieder zu ihm – und nur den Bruchteil eines Moments später entfuhr ihr ein jämmerlicher Aufschrei, und sie zuckte heftig zusammen und riss schützend die Hände vor ihr Gesicht, als eine Faust auf sie zufuhr und dicht neben ihrem Kopf in die Wand krachte. Jetzt begannen sich Tränen in ihren Augen zu sammeln, als der Schreck wie ein Katalysator für Angst und Panik wirkte und für Momente auch noch die letzten Reste ihrer Selbstbeherrschung wegfegte, und sie musste ein Schluchzen unterdrücken, als der Centurio nun auf sie einschimpfte. Letzteres gelang ihr... wenn der Centurio allerdings nicht so laut gewesen wäre, hätte er wohl hin und wieder ein leises Wimmern hören können, und mittlerweile zitterte Seiana wie Espenlaub.
    Die Worte drangen nur schwerfällig zu ihr durch, und als sie es taten, wusste sie nicht so recht, was sie tun sollte. Sie konnte es nicht so recht glauben, und doch begann sich ganz sacht Erleichterung in ihr breit zu machen, als sie zu begreifen begann, dass er wohl doch nicht über sie herfallen wollte... aber die Angst war zu groß, als dass sie so einfach verschwunden wäre, und da war ja immer noch der Fakt, dass sie in den Carcer gebracht werden würde. Davon abgesehen allerdings wusste sie auch nicht, was sie sagen sollte. Dass die Prätorianer und die übrigen Männer römische Bürger waren die vor ihr? Dass sie überzeugt war, dass diese genauso sehr und genauso wenig zu solchen Taten fähig waren? Dass es nichts damit zu tun hatte, welchem Kaiser sie dienten, oder wen die Götter favorisierten? Oder dass nicht sie, sondern er derjenige gewesen war, der mit dem Andeuten angefangen hatte? Und wie er, so wie er sich gerade verhalten hatte, auch nur im Ansatz darauf kommen konnte, ihr einen kranken Kopf vorzuwerfen... Nichts davon würde sie sagen. Aber ganz sicher nicht. Sie hatte Angst vor diesem Mann, und sie wollte einfach nur, dass das hier vorbei war. „Werde ich nicht“, wisperte sie also nur das einzige, was ihr einfiel, was er forderte von ihr: dass sie so etwas nicht mehr andeuten würde, immer noch eng an die Wand gepresst, obwohl er mittlerweile wieder etwas zurückgewichen war von ihr, und immer noch war da dieses Wimmern im Klang ihrer Stimme... auch wenn sie die Tränen wieder unter Kontrolle hatte, und sie sich verzweifelt bemühte, auch wieder Kontrolle über den Rest ihres Selbst zu gewinnen, fiel ihr doch genau das so unglaublich schwer, so lange die Angst noch so sehr in den untersten Ebenen ihres Seins wühlte, dass die Vernunft nichts ausrichten konnte.

    Seiana blieb stehen, als der Centurio auf sie zukam – aber es kostete sie so ziemlich alles an Willensanstrengung, was sie hatte. Der Ausdruck in seinem Gesicht, in seinen Augen, gefiel ihr nicht, und als er dann auch noch zu grinsen begann, spürte sie, wie ihre Selbstbeherrschung zu wanken begann... und sie kämpfte darum, kämpfte, sie doch zu behalten, ruhig zu bleiben, standhaft, ihre Angst nicht zu zeigen, oder jedenfalls nicht in dem Ausmaß, in dem sie sie spürte. Und es gelang ihr auch... die Frage war nur: wie lange.
    Als er dann allerdings zu reden anfing, wankte ihre Selbstbeherrschung nicht nur, sie bröckelte. Anzeichen dafür waren nun deutlicher zu erkennen: sie presste die Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren, die Muskeln um die Kiefer spannten sichtbar an, und sie verschränkte die Arme in einer schützenden Geste vor dem Körper. Es schauderte sie schon bei den ersten Worten, die der Centurio aussprach, und je weiter er kam, je mehr er sagte, desto verspannter wurde ihre gesamte Haltung. Ihr gegenüber standen Römer. Im Carcer würden Römer sein. Und trotzdem waren es Feinde. Sie versuchte nach wie vor, beinahe verzweifelt inzwischen, sich einzureden dass ihr als Römerin trotzdem ein gewisser Respekt, eine gewisse anständige Behandlung zustand, aber wie schon zuvor sprach die Angst in ihr lauthals von etwas anderem... und es fiel ihr immer schwerer, sie zu übertünchen. Und der Centurio tat sein Bestes, um die Angst noch anzufeuern. Sie hatten also schon jemanden aus der Casa festgenommen...


    Und dann sagte der Helvetius etwas über ihren Bruder. Das war der Moment, in dem Seianas Maske endgültig fiel. Sie sog scharf die Luft ein und starrte den Centurio an, und neben der Angst tobte auf einmal Fassungslosigkeit und ungläubige Erleichterung in ihr. Faustus. Er lebte. Er war nicht getötet worden bei der Schlacht, sondern er lebte. Gefangen zwar, aber: er lebte.
    Während das Gefühlschaos über diese Nachricht allerdings noch mit voller Wucht in ihr tobte, kam schon der nächste Satz, und diesmal bedrohte der Centurio sie. Mehr oder weniger unverhohlen. Und Seiana... glaubte ihm. Sie hatte keinen Grund, es nicht zu tun. Es herrschte Krieg, ihre Familie stand auf Verliererseite, und das so sehr, dass es schwierig genug werden würde danach wieder Fuß zu fassen in der römischen Gesellschaft, in der Politik... es würde sich kaum jemand dafür interessieren, was mit ihr passiert war, so lange sie nur lebend ihr Ziel erreichte. Und sie wusste nichts, was sie ihm bieten könnte. Sie konnte einem Mann so schon keine schönen Augen machen, konnte nicht verführerisch sein, sie wusste nicht wie das ging, und sie hatte keine Ahnung, was sie nun tun müsste, um ihn dazu zu bringen sie zu verschonen. Alles was es gäbe war Geld... aber in der Casa war er gerade gewesen, und über alles andere konnte sie nicht verfügen im Moment, und je nachdem, wie es weiter ging, vielleicht gar nicht mehr – selbst wenn sie wieder freigelassen wurde, konnte es doch immerhin sein, dass ihr Besitz beschlagnahmt wurde. Und auch wenn nicht, hieße das Wochen zu warten, was die Männer hier sicher nicht vorhatten.
    Die Fassungslosigkeit über das Wissen, das ihr Bruder noch lebte, erstarb, noch bevor sie sich in Freude verwandeln konnte. Aus ihrem Gesicht wich auch noch der letzte Tropfen Blut, und Seiana hielt dem Blick des Centurios nur noch einen Moment lang stand, bevor sie ihren Kopf zur Seite drehte. Ihr Brustraum schien sich zu verengen, so sehr, dass ihr das Atmen plötzlich schwer fiel, ihre Arme verkrampften sich noch mehr um ihren Oberkörper, und als sie endlich sprach, war ihre Stimme tonlos. „Dann solltet ihr wohl anfangen. Nicht dass sie in der Castra zu lange auf mich warten müssen.“

    Casca schien sich wirklich anzustrengen, aufzupassen und einen guten Eindruck zu machen nach seinem Fehltritt. Seiana wusste das durchaus zu schätzen, und so ließ sie ihre Gesichtszüge sich nun ein wenig entspannen. Und sie beschloss, den Kommentar zu unterdrücken, der ihr auf der Zunge lag: dass er besser nicht zu früh danken sollte, weil er vielleicht feststellte, dass das Führen von Betrieben nicht seins war... aber nun, das würde er ohnehin früh genug merken, und so lange er keinen halbwegs einflussreichen Posten innehatte, würde er wohl oder übel tun müssen, was seine Familie wollte. Ihr Bruder in seiner Position konnte es sich leisten, sich um keinen der Familienbetriebe zu kümmern, sondern das anderen zu überlassen... die jungen Decimi konnten sich das nicht.
    Sie lächelte allerdings nur und nahm seinen Dank mit einem leichten Nicken an. „Versuch nicht, es allen recht zu machen.“ Ihr Lächeln vertiefte sich ein wenig. Nachdem sie ihm die Betriebe übergab, reichte die ihre... aber das wiederum sagte sie nicht laut. „Du wirst es nicht schaffen. Aber solange die Geschäfte gut laufen, wird es für die Familie reichen. Was du allerdings von nun an genau tust, ist deine Entscheidung. Bei wichtigen Fragen kannst du dich an mich wenden, im Übrigen bist du nun erst einmal auf dich allein gestellt“, antwortete sie dann auf seine letzten Worte, ohne ihm diesmal dabei zu sagen, was sie von seinen Vorschlägen hielt. Das war nun seine Sache, vorerst.
    Etwas anderes allerdings wollte sie ihm noch mitgeben: „Eines noch: wenn du merkst, dass du zu viel Wein getrunken hast und jemand mit dir reden möchte... lass einen Sklaven ausrichten, du seist unpässlich und bittest darum, das Gespräch später zu führen. Das erspart dir auf Dauer einige Fehltritte.“

    Seiana ließ die Abschrift wieder sinken, ohne sie allerdings loszulassen. „Du hast Recht“, murmelte sie. Dass der Staat scheiterte, und damit Rom, das Reich, war nicht denkbar. Seianas Vorstellungskraft hätte versagt, wenn es darum gegangen wäre, sich vorzustellen was dann passieren mochte. Atons Beispiel mit den Äpfeln war da schon passend gewählt. Manchmal war Veränderung einfach nötig... auch wenn das hieß, Verluste in Kauf zu nehmen. So anschaulich der Vergleich allerdings auch war, so sehr hakte er doch, wenn man genauer hinsah. „Die faulenden Stücke müssen aussortiert werden... und manchmal ist auch ein Bürgerkrieg unvermeidbar. Das einzige Problem beim Staat ist: am Ende bestimmt der Sieger, was verdorbenen ist und aussortiert werden muss. Was, wenn jemand die faulen Früchte im Korb lässt?“


    Sie ließ die Schrift nun endgültig los, wandte sich um und verschränkte leicht die Arme. Ein Apfel sein... zu denen zu gehören, die sich nicht großartig Gedanken machen mussten. Die aussortiert wurden oder nicht, ohne das beeinflussen zu können, und deren Leben durch diese Fremdbestimmtheit letztlich so herrlich einfach war... oder zumindest schien. Seiana hatte sich schon öfter gefragt, ob ihr Leben nicht einfacher, schöner wäre, wenn sie nicht versucht hätte, ihren eigenen Weg zu gehen... wenn sie einfach zugelassen hätte, dass andere über sie bestimmten. Sie war stets zu dem Schluss gekommen, dass sie dann zwar ohne die Verantwortung, die sie jetzt innehatte, ohne die Last, die diese manchmal bedeutete, aber trotzdem unzufrieden, gar unglücklich gewesen wäre, weil ihr ein Leben als Ehefrau und Mutter einfach nicht genug gewesen wäre. Aber wenn sie selbst nun einfacher gestrickt wäre... sich mit anderen Dingen zufrieden geben könnte, einfacheren Dingen...
    Seiana machte eine leichte Kopfbewegung, als ob sie die Gedanken dadurch verscheuchen könnte. „Ich glaube, ich verstehe was du meinst. Das Leben wäre einfacher so...“ Sie räusperte sich leise und sah den Senator, der sich gerade auch nur mit dem einfachen Leben eines peregrinen Gelehrten und Bibliothekars zufrieden geben musste, fast schon traurig an. „Aber nicht alle sind für ein einfaches Leben bestimmt. Wer privilegiert ist, hat auch Verpflichtungen. Verantwortung.“

    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Seiana verstummte, als der Centurio ihr das Wort abschnitt, aber sie sah zunächst weiterhin Raghnall an... der ebenfalls weiterhin sie ansah, nicht den Centurio, aber auch nichts sagte auf ihre Worte, sondern nur ein knappes Nicken andeutete. Und so kurz, so abgehakt ihre Anweisung zwangsläufig gewesen waren, sie meinte, in seinem Blick zu sehen, dass er mit ihren Worten etwas anfangen konnte, genug jedenfalls, um zu wissen was sie wollte. Sie hoffte es zumindest... und das musste reichen. Allein schon der Tonfall des Centurios machte deutlich, dass er kaum dulden würde, dass sie ihn einfach weiter ignorierte und mit ihrem Sklaven sprach, gar nicht zu reden von seinen Worten. Gehen sollten die beiden Sklaven... und auf einmal war wieder dieser Knoten aus Angst in ihrem Magen. Wenn die beiden gingen, war sie allein, allein mit den Soldaten, und obwohl Seiana sich zu sagen versuchte, dass es Römer waren, römische Bürger und Soldaten, die einer Römerin ganz sicher nichts antun würden, schon gar nicht einer von ihrer Herkunft und ihrer Stellung... die Angst wollte sich dadurch nicht so wirklich in den Griff bekommen lassen. Sie saß auf einer Ebene, auf die die Vernunft kaum Zugriff hatte, und so gelang es Seiana nur, das zu tun, was sie üblicherweise machte: sie lagerte eine dicke Schicht darüber, in der Hoffnung, die Auswirkung einfach nicht mehr zu spüren.


    Sie wollte also eigentlich nicht, dass die Sklaven gingen. Vor allem Raghnall nicht, der nun schon so lange ihr Vertrauter war, dass sie sich gar nicht mehr wirklich erinnern konnte, wie es davor gewesen war. Und der Gallier schien das auch zu spüren, oder vielleicht wollte er auch nur einfach generell nicht gehen, ohne dass sie die Worte des Centurios bestätigte... in jedem Fall blieb er stehen, reagierte nicht auf die Anweisung zu gehen – bis Seiana mit ihrem Kopf Richtung Tür wies, in einer Bewegung, die immer noch leicht, aber diesmal dennoch deutlich sichtbar war. Es vergingen nur wenige Momente, nicht genug, hoffte sie jedenfalls, als dass der Centurio hätte ungeduldig werden können – aber trotzdem genug, um deutlich werden zu lassen, dass Raghnall auf ihre Anweisung wartete. Erst als diese gekommen war, bewegte er sich tatsächlich, winkte die Sklavin zu sich heran und verließ mit dieser ohne ein Wort, und ohne die Soldaten wirklich anzusehen, die Wohnung. Und ließ sie allein. Seiana hatte plötzlich das Gefühl, nach Luft schnappen zu müssen, immer mehr, immer schneller, immer häufiger... aber sie unterdrückte diesen Drang mit schierer Willenskraft. Als sie sich dem Centurio wieder zuwandte, war ihre Atmung flach, aber verhältnismäßig ruhig... aber ihr Gesicht war bleich, ihre Miene versteinert, und die Augen wirkten etwas zu groß darin. „Nun, Centurio.“ Seiana bemühte sich nicht einmal um ein Lächeln. Es wäre wohl verschwendet, und davon abgesehen bezweifelte sie stark, dass ihr in der momentanen Situation überhaupt eines gelungen wäre. Stattdessen hob sie nur kurz leicht in einer Geste, die fragend sein sollte und doch fast eher hilflos wirkte, die Hände und ließ sie wieder sinken. „Was jetzt?“

    Centurio, Helvetius, Legio Secunda, Palma. Festgenommen. „Festgenommen““, echote sie, und ihre Stimme klang seltsam hohl in ihren Ohren. Die Worte rauschten an Seiana vorbei und ließen sie merkwürdig unberührt... aber das war vielleicht nur der Schock. Oder vielleicht griff nun doch wieder die Teilnahmslosigkeit nach ihr, die sie in den letzten Tagen im Griff gehabt hatte. Erst als in der Tür hinter dem Centurio plötzlich noch ein weiterer Mann auftauchte, begleitet vom Schreien eines Babys, das von irgendwoher kam, und sie realisierte, dass es diesmal ein bekanntes Gesicht war, schnellten ihre Gedanken erneut zurück in die Realität. Álvaro. Natürlich. Sie hatten den Lärm gehört, in der Wohnung nebenan, und er wollte nach dem Rechten sehen. Nur dass es nichts brachte. Es waren noch mehr Soldaten dazu gekommen, und selbst wenn Álvaro und Bran es schaffen sollten, gemeinsam mit Raghnall vielleicht, sie da irgendwie rauszuholen... was dann? Die Straßen waren nicht sicher. Die Casa Decima war momentan nicht sicher. Und wenn Cornelius wirklich gewonnen hatte, würde sie nicht darum herum kommen, sich irgendwann zu stellen... wenn sie nicht gerade ins freiwillige Exil gehen wollte, und das hatte sie eigentlich nicht vor.


    http://img718.imageshack.us/img718/5630/alvaroh.jpg „Was...““ kam aus Álvaros Mund... und dann machte er ihn auch schon wieder zu, als er der Menge an Soldaten gewahr wurde. Für einen winzigen Moment verhakte sich nun Seianas Blick mit dem ihres Leibwächters, und in dieser winzigen Zeitspanne verneinte sie die unausgesprochene Frage in Álvaros Blick mit einem nur minimal angedeuteten Kopfschütteln, so sacht, dass es kaum auffiel. Keine Gegenwehr. Keine Heldentaten. Álvaro hob seine Hände. „'Tschuldigung... wollt nicht stören...““ murmelte er und machte mehrere Schritte zurück, bis er aus dem Blickfeld verschwunden war, ganz wie ein Nachbar, der gekommen war wegen des Lärms, sich zu beschweren oder was auch immer... und natürlich verschwand, kaum dass er die Soldaten sah.


    Seianas Gedanken indes rasten nun wieder, während Álvaro sich noch langsam zurückzog. Auch wenn Gegenwehr nicht in Frage kam, irgendetwas musste es doch geben, irgendetwas... und plötzlich fiel es ihr ein. Ihr Kopf schnellte zu Raghnall neben ihr. „Aton. Er ist Senator. Du, Álvaro, zu ihm, so bald wie möglich““, sagte sie leise und gehetzt, in dem Versuch, ihm wenigstens ansatzweise ihre Idee mitzuteilen, bevor der Centurio sie wegbrachte.

    Seiana konnte ein Zusammenzucken nicht ganz unterdrücken, als der vorderste – ein Centurio, wenn sie nicht alles täuschte – plötzlich in lautem Tonfall ihren Namen aussprach. Sie spürte, wie Raghnall sich leicht neben ihr regte, sein Gewicht von einem Bein aufs andere verlegte, ohne aber tatsächlich einen Schritt zu machen, und sie sah zu ihm, wechselte einen kurzen Blick mit ihm. Sie beide wussten, dass es nichts Gutes hieß, dass Soldaten hier auftauchten, dass sie zu ihr wollten, dass sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatten, sie hier zu finden... was nichts anderes hieß, als dass in der Casa Decima die Götter wussten was los war. Raghnall und sie sahen sich an, und in diesem kurzen Moment, der ihr selbst trotzdem lang vorkam, schossen die verschiedensten Möglichkeiten durch ihren Kopf – was die Soldaten wollen könnten, und wie sie reagieren sollte. Aber das brachte sie nicht weiter, und so wandte sie ihren Blick wieder dem Centurio zu – und nickte schließlich, langsam, schwer. „Ja. Was willst du von mir?“

    Die Tür war nicht sonderlich stabil, und die Wohnung war nicht sonderlich groß... im Grunde gab es nicht mehr als zwei Räume – der hintere diente als Schlafstatt, der vordere, größere, war der eigentliche Hauptraum.
    In genau diesem befand sich auch Seiana gemeinsam mit Raghnall, als die Tritte gegen die Tür ertönten. Beide sahen ruckartig dorthin, in dem Durchgang zu dem kleineren Raum tauchte das Gesicht der Sklavin auf, so bleich wie Seianas. Bevor einer von ihnen reagieren konnte, wurde die Tür auch schon aufgebrochen... und noch während Seiana unwillkürlich einen Schritt zurückwich und dann wieder wie versteinert stehen blieb, kamen Legionäre herein. Ihr Kopf schwirrte... aber eine Sache war dann doch klar: sie waren zu zielgerichtet, und es waren zu viele, als dass das hier ein Zufall sein könnte. Trotzdem wollte ihr in diesem Moment nicht so recht klar werden, was die Männer dann ausgerechnet hier wollten, bei ihr. Der Schock, die Soldaten so hereinbrechen zu sehen, ließ im Moment kaum einen klaren Gedanken zu, und so starrte Seiana die Männer zunächst einmal einfach nur an, während sie nach Worten suchte, was sie sagen könnte.

    Raghnall gehorchte – sehr zu Seianas Erleichterung. Sie fühlte sich einfach nicht imstande, sich dem ganzen jetzt zu stellen... und sie war froh, dass Raghnall mit dem Kind verschwand. Was allerdings nicht schwand, war der Druck, den das Intermezzo ausgelöst hatte. Sie war völlig überrumpelt worden von ihrem Sklaven... und es wühlte sie auch noch auf, als der Gallier mit dem Kind gegangen war. Ihre Hoffnung, dass sie wieder ruhiger wurde, dass sie wieder versinken konnte in der Leere, wollte sich nicht erfüllen, stattdessen wurde sie immer nervöser, bis sie es nicht einmal mehr aushielt, weiter sitzen zu bleiben. Sie erhob sich und ging durch die Wohnung, blieb mal hier stehen, mal dort, und versuchte ihre rasenden Gedanken wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ihr Inneres glich einem Damm, der bislang gehalten hatte, aber nun, einmal mit einem Riss versehen, von dieser ersten Bruchstelle ausgehend immer weitere zu bekommen schien und schon bald zu brechen drohte. Sie versuchte die Risse zu kitten... aber sie hatte das Gefühl, nicht schnell genug dagegen ankommen zu können. Zumal es so viel mehr war als nur das Kind und die Probleme, die sich darum herum ergaben. Faustus, Seneca, ihre Situation hier in dieser Wohnung mit Rom im Belagerungszustand, die Unsicherheit über alles, was selbst in nächster Zukunft passieren mochte – das alles hatte sie in diesen vergangenen Tagen vollkommen ungerührt gelassen in dem erschöpften Dämmerzustand, in dem sie gewesen war. Jetzt drängte all das irgendwie zurück ans Licht, und es war so viel, dass es allein deshalb schon zu viel war für sie im Augenblick – gar nicht zu reden davon, dass jeder einzelne dieser Punkte für sich allein schon schweres Geschütz darstellte.


    Es dauerte, bis Raghnall wieder auftauchte... aber als er es dann tat, merkte Seiana sofort, dass etwas nicht stimmte. Schon allein wie er die Tür aufriss, zeugte davon... ebenso wie sein hastiger Schritt und seine ernste Miene, der nun selbst der Schalk in den Augenwinkeln abhanden gekommen war. „Sie sind im Pomerium.“
    Seiana starrte den Gallier eine Zeitlang einfach nur an... bevor sie sich abwandte und eine Hand an die Stirn presste. Die Soldaten des Cornelius' hatten Rom also eingenommen... und obwohl das im Grunde zu erwarten gewesen war, schockte es sie dennoch. Sie war in den vergangenen Tagen viel zu sehr in Teilnahmslosigkeit versunken gewesen, als dass sie sich wirklich damit beschäftigt hätte, was der Sieg der Rebellen in Vicetia und die Belagerung Roms bedeutete. Jetzt allerdings, wo sie einmal heraus gerissen worden war aus ihrer Lethargie, traf sie all das mit geballter Wucht. Ihre Gedanken rasten, jagten von einem Thema zum nächsten, von Faustus und Seneca über die Casa Decima, den Sicherheitsmaßnahmen, die sie getroffen hatte und dem Besitz, die sie in Sicherheit hatte bringen lassen bis hin zu Rom, was hier nun los war, was passieren würde, wie lange es dauern würde... und ob diese Insula wirklich sicher war vor dem Pöbel. Dieser letzte Gedanke drängte sich immer mehr in den Vordergrund, je mehr von draußen zu hören war, je lauter die Rufe wurden, je häufiger sie kamen. Verschreckt sah Seiana schließlich auf, als die teils verängstigten, teils wütenden Rufe plötzlich zu Schreien anschwollen, als klar wurde, dass die Leute, die durch die Gassen rannten, sich zu einem regelrechten Mob zusammen geschlossen hatten... aber niemand schien sich um diese Insulae hier zu kümmern. Zu einfach waren die Häuser, zu deutlich war, dass hier nichts zu holen war, das war genau der Grund, warum sie sich hier einquartiert hatte. Trotzdem wollte die Angst Seiana nicht verlassen, sondern nistete sich in einem kleinen, eisigen, hartnäckigen Knoten tief in ihrem Magen ein.

    Der Lucretius zuckte mit keiner Wimper, weder als der Centurio normal mit ihm sprach, noch als er anfing zu brüllen... er rührte sich auch nicht. Aber bevor er reagieren konnte, nachdem der Helvetius geendet hatte, ging plötzlich alles drunter und drüber. Decimus Varenus hinter ihm begann dem Centurio zu antworten, aber noch während er sprach, geschahen mehrere Dinge auf einmal – von den Soldaten, die das Haus zusätzlich hatten durchsuchen sollen, kehrten einige zurück und waren plötzlich in ihrem Rücken, eine Tatsache, die Lucretius und seine Männer erst bemerkten, als plötzlich mit einem Riesengetöse eine Statue umfiel und in mehrere Stücke zerbrach. Für einen Moment herrschte Stille, in der noch zu hören war, wie manche Brocken weiter kullerten, und alle Blicke richteten sich nach hinten, dorthin, wo der Krach entstanden war... dann begann einer der Wiedergekehrten plötzlich zu brüllen. Von den Veteranen begriff erst keiner so recht, was er überhaupt wollte... aber als der Kerl sein Scutum in Position brachte und seinen Knüppel plötzlich bewegte, gab es nicht nur einen, sondern gleich drei Veteranen, die sich tatsächlich bewegten. Und nicht nur sie – plötzlich war da auch ein Junge, der zwischen ihren Beinen herumlief, eine Frau, die sich nach vorn stürzte, wie wild kreischte und irgendetwas warf... kurz gesagt: in diesem Bereich des Atriums, mit dem Sklavenjungen und dem Legionär als Zentrum, herrschte plötzlich ein Chaos, in dem auch Lucretius in diesem Moment nicht mehr auseinander halten konnte, wer da wer war und was tat – nur dass es nicht gut war, was da vorging, war klar.


    Die Männer um ihn herum hoben ihre Knüppel, und von einem Moment zum anderen wechselten sie von Anspannung zu Kampfbereitschaft, aber dennoch waren es erst mal nur ein paar der Veteranen, die in Aktion tragen – die, die sich mitten in diesem Chaos befanden. Einer warf sich nach vorne und schirmte den Jungen ab, der immer noch am Boden lag, dem Legionär mit seinem Knüppel ausgeliefert, und bekam den Schlag mit voller Wucht auf den Rücken ab. Ein weiterer versuchte sich die Frau abzufangen – es reichte, die Leute hier verteidigen zu müssen, da mussten nicht gerade die Weiber auch noch mitmischen und sich selbst in Gefahr bringen. Und der dritte stürzte sich auf den Legionär, dessen Prügel gerade den Veteran traf, der den Jungen abschirmte.

    Jetzt kam der Lucretier tatsächlich an seine Grenzen. Was sollte das hier? Erst begann der Centurio ein Gespräch mit ihm, nur um ihn dann, wenn er antwortete, herum zu schubsen? Er war nicht derjenige gewesen, der einen auf freundliche Konversation hatte machen wollen... Aber vermutlich war auch das nur ein Vorwand gewesen, um jetzt den großen Macker raushängen zu lassen. Er hatte Jahrzehnte gedient, er kannte alles, was Soldaten so aufbrachten an verschiedenem Verhalten. Er schwieg also und zog sich zurück... auch wenn es ihm schwer fiel, weil er dem Kerl nun am liebsten eine übergebraten hätte.


    Als der Centurio dann endlich anfing zu erzählen, was er hier wollte – auch das wieder sehr ausschweifend und mit Details, die der Lucretius völlig überflüssig fand –, versteifte er sich um ein weiteres Mal. Er fragte nach konkreten Personen, und als einer der Gesuchten hervortrat, wurde auch klar, was er wollte... Gefangennahme. In Ketten legen. Der Befehl, den er bekommen hatte, war eindeutig: wenn die Rebellen kamen, dann sollte nichts riskiert werden, nur um Hab und Gut zu schützen... aber für die Sicherheit der Bewohner des Hauses hatten sie zu sorgen. Und so, wie die Kerle sich hier aufgeführt hatten, tat er das nur zu gerne. Sie waren nicht gerade wenige, zumindest mit denen, die hier ins Haus gekommen waren, hatten sie gar nicht mal schlechte Chancen es aufnehmen zu können – so viel Anstand hatten sie bewiesen, dass sie nur mit Knüppeln gekommen waren, und die hatten sie selbst auch. Bevor Decimus Varenus oder einer der Legionäre reagieren konnten auf den Befehl zur Festnahme, trat er vor, und ihm folgten seine Männer und bildeten einen menschliche Mauer zwischen den Bewohnern – allen voran Decimus Varenus – und den Legionären, die Hände an den Knüppeln. „Wie war das, Centurio? Keiner kommt zu Schaden? Wir können über Hausarrest reden, aber in den Carcer gebracht wird hier keiner.“

    Schön und ruhig? Der Lucretier zog eine Augenbraue hoch. Entweder hatte man am nördlichen Ende des Imperiums keine Ahnung von dem, was im Reich vorging – und falls das so war, würde er wirklich bedauern dass die gewonnen hatten –, oder, was er für wahrscheinlicher hielt: der Mann wollte ihn beleidigen. „Sicher... der Aufstand der Barbaren in Hispania war ziemlich ruhig... deswegen gab's auch einen Triumphzug für Decimus Meridius und die IX in Rom.“ Er zuckte betont gelassen die Schultern, aber seine Miene war hart, und er hatte ein wenig Mühe, seine Stimme auch so gelassen klingen zu lassen – oder den Sarkasmus herauszuhalten beim folgenden Satz. „Eure Schlacht bei Vicetia war sicher kein Vergleich dazu.“ Mit verschränkten Armen stand er da und wartete darauf, dass nach und nach die Bewohner des Hauses kamen. Seine beiden Männer tauchten schon nach recht kurzer Zeit wieder auf, der erste wisperte ihm kurz etwas zu, der andere deutete nur mit einem Nicken an, dass sein Auftrag erledigt war. Der Lucretier nickte selbst nur knapp zu beiden und sagte nichts – und auch, als der Centurio wieder das Wort ergriff, schwieg er. Was der bevorzugte und was nicht, war ihm reichlich egal, sein einziges Ziel war, das hier so schnell und möglichst friedlich über die Bühne zu bringen wie möglich... aber er begann mehr und mehr daran zu zweifeln, dass das möglich war. Warum sonst begann der Kerl von morden und brandschatzen zu sprechen, wo seine einzige – und zumindest verständliche, immerhin war er hier für die Sicherheit verantwortlich – Frage gewesen war, was um alles in der Welt er hier wollte? Nein... die hatten nichts gutes im Sinn, begann er zu glauben. Und passend dazu schien die Anspannung im Atrium zu steigen, langsam, aber stetig – umso mehr, je mehr Leute sich hier einfanden. Es gefiel ihm nicht. Seine Miene wurde noch härter... aber diesmal sagte er nichts mehr. Dass der Centurio nichts sagen wollte und sich auch nicht dazu bringen lassen würde, war mittlerweile offensichtlich geworden.

    Der Reihe nach lief der Veteran die Räume der Casa ab, auf der Suche nach Decimern, und begann dabei bei Decimus Varenus' Gemach. Ein kräftiges Klopfen erklang, dann wurde die Tür auch schon aufgerissen, ohne eine Antwort abzuwarten. „Eine Abordnung der Rebellen befindet sich im Atrium und will alle dort sehen“, warf der Mann kurz angebunden in den Raum und verschwand dann auch schon wieder, um weiter zu gehen.

    Der nächste Mann, der losgeschickt worden war, suchte einfach nur stumpf im Haus nach irgendwelchem menschlichen Leben. Den ersten paar Sklaven schaffte er noch an, ebenfalls alle und jeden ins Atrium zu schicken, die sie auftreiben konnten – den Rest, der ihm dann über den Weg lief, schickte er umgehend dorthin. Und so landete er schließlich auch an der Tür des Mannes, der als Hausgast des Praefectus Praetorio hier logierte, sich um die Bibliothek kümmerte und ansonsten sehr zurückgezogen war. Und auch hier war das Vorgehen dasselbe, so dass man fast meinen könnte, die Veteranen hätten sich irgendwann mal dazu abgesprochen: ein Klopfen, ein Tür-Aufreißen, ein Satz-Hineinwerfen: „Die Rebellen sind da. Du sollst ins ins Atrium kommen.“ Und dann: ein ebenso schnelles Wieder-Verschwinden.

    Der Mann hielt sich wohlweislich zurück und kommentierte nicht weiter, was er denn hätte sagen wollen... oder was er dachte. Das Wort eines Soldaten zählte erst mal nicht sonderlich... aber es war kaum opportun, das laut zu sagen. Stattdessen beantwortete er einfach nur die Frage: „Legio IX, später Cohortes Urbanae.“ Er war Decimus Livianus damals gefolgt, und seit jener Zeit auch Klient des Decimers – genauso wie die anderen Männer, die er bei sich hatte, entweder Klienten seines Patrons waren oder eines jener anderen Decimer wie dieser oder Meridius, die eine lange Karriere im Militär absolviert hatten.
    Mit einem erneuten Wink bedeutete er dann einem weiteren seiner Männer, zu verschwinden und auch die anderen Hausbewohner rufen zu lassen... was ihm noch weniger gefiel. Das konnte nichts Gutes heißen, was hier los war. „Centurio, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich würde es bevorzugen zu erfahren, was du hier eigentlich willst, das sogar die Anwesenheit von Sklaven nötig macht.“