Beiträge von Decima Seiana

    „Nun dann“, erlaubte Seiana sich jetzt endlich ein Lächeln, das zudem sogar eins ihrer offeneren war. „Herzlich willkommen in der Schola. Nachdem du bereits informiert hast, gehe ich davon aus, dass du auch deinen künftigen Arbeitsplatz bereits kennst. Die Scribae der Schola werden dich einarbeiten in alles, was du noch nicht weißt... hast du jetzt ganz konkret noch Fragen, die ich dir beantworten kann?“

    Duumvir
    Marcus Iulius Dives
    Curia Ostiensis
    Ostia


    Werter Iulius,


    hab Dank für dein Schreiben und deine Bewerbung bei der Schola. In der Tat freuen wir uns darüber, weitere Praeceptoren in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Ich würde gerne die Gelegenheit nutzen mich eingehender mit dir zu unterhalten; ich bin für gewöhnlich am zweiten und am vierten Tag der Woche vormittags in der Schola, dort wirst du mich antreffen.


    Vale bene,


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    HIERMIT ENTLASSE ICH DEN PRAECEPTOR



    Titus Aurelius Ursus



    AUS DER



    SCHOLAE ATHENIENSIS







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    ANTE DIEM X KAL DEC DCCCLXII A.U.C. (22.11.2012/109 n.Chr.)







    HIERMIT ENTLASSE ICH DEN PRAECEPTOR



    Decimus Annaeus Varus



    AUS DER



    SCHOLAE ATHENIENSIS







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    ANTE DIEM X KAL DEC DCCCLXII A.U.C. (22.11.2012/109 n.Chr.)







    HIERMIT ENTLASSE ICH DEN PRAECEPTOR



    Medicus Germanicus Avarus



    AUS DER



    SCHOLAE ATHENIENSIS







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    ANTE DIEM X KAL DEC DCCCLXII A.U.C. (22.11.2012/109 n.Chr.)

    In einer ruhigen Stunde saß Seiana in ihrem Officium in der Schola und blätterte die Post durch... und zwei Briefe erregten ihre Aufmerksamkeit. Da war eine Bewerbung eines Iulius – Iulius Dives, der Name kratzte in ihrem Gedächtnis, obwohl sie ihn im Augenblick nicht ganz einordnen konnte –, die sie gerade gut gebrauchen konnte, denn wie der Mann selbst schrieb: in Zeiten wie diesen war das Personal knapp, und Bewerbungen waren selten. Sie überflog die Zeilen flüchtig und legte die Tafel beiseite, um später zu antworten, las ein paar weitere, bis sie schließlich zu dem nächsten Schreiben kam, das sie innehalten ließ. Die Essenz des Schreibens war eindeutig. Auch wenn die Namen nicht genannt wurden, Seiana wusste, um wen es sich handelte. Sie kannte die Proskriptionsliste. Und es war im Grunde auch kein Problem, der Anweisung Folge zu leisten... die Germanicus und Annaeus waren nur noch pro forma als Praeceptoren gelistet, weil sie lange Jahre sehr aktiv gewesen waren, aber beide hatten schon seit langem nicht mehr an der Schola gelehrt. Nein, was ihr missfiel war nicht das, was sie tun sollte, sondern die Art. Es war eine klare Anweisung. Der Schreiber machte sich nicht einmal die Mühe, das zu verschleiern. Dazu der Hinweis darauf, dass die Schola Staatsbesitz sei. Und dann der Anfang. Wir beglückwünschen dich... Ein nicht ganz so dezenter Hinweis darauf, wie sehr sie persönlich vom jetzigen Kaiser profitiert hatte. Sie hatte sich nicht darum bemüht, und wenn sie ehrlich war, dann musste sie eingestehen, dass sie Faustus' Meinung war: sie hatte das verdient. Aber das änderte nichts daran, dass ihre Ernennung zum Eques von Vescularius gekommen war, und ganz gleich, was sie davor schon geleistet hatte: er erwartete dafür etwas. Die meisten Männer erwarteten immer etwas.
    Einige Momente lang blieb sie einfach nur sitzen und grübelte, bevor sie einen Scriba zu sich rief und ihm zunächst ein Antwortschreiben an den Iulius diktierte, bevor sie ihm zusätzlich noch auftrug, drei Entlassungsurkunden aufzusetzen – drei deshalb, weil es noch einen gab, der bereits seit Jahren nichts mehr in der Schola getan hatte, und trotz seiner früheren langen Tätigkeit in der Schola sowie seiner Ehe mit einer Verwandten hatte Seiana beschlossen, die Gelegenheit dieses Schreibens zu nutzen, um reinen Tisch zu machen... nicht nur, weil der Germanicus ebenfalls schon lange inaktiv war, sondern auch, weil trotz Lucillas Ehe mit ihm die Germanici nicht wirklich zu jenen gezählt werden konnten, mit denen die Decimi die besten Verbindungen hätten.


    Seiana schenkte Albinus Wasser ein und reichte ihm den Becher, bevor sie sich zurück lehnte und ihm zuhörte. Ihre Miene blieb unbewegt, bis er am Schluss auf seinen Vater zu sprechen kam – hier zeigte sich auch auf ihren Zügen ein flüchtiges Schmunzeln. „Nun... ich denke durchaus, dass du für den Posten des curator libris geeignet wärst“, begann sie dann. Sie sah wenig Sinn darin, es für Albinus spannend zu machen. Sie wusste, dass Albinus häufiger hier war und seinen Studien nachging, sie wusste auch, dass er seinen letzten Kurs mit Auszeichnung bestanden hatte. Und er war ein Verwandter. „Du weißt, welche Aufgaben dann auf dich zukommen würden? Die Bibliothek müsste regelmäßig besetzt sein, du wärst für den Bestand verantwortlich, und du würdest zudem Ansprechpartner für Lehrende und Lernende gleichermaßen sein. Und es gibt sicher einiges aufzuarbeiten, da der letzte curator libris schon vor einiger Zeit gegangen ist.“ Nicht der einzige seit den Unruhen nach dem Mord an Valerianus.

    Seiana hatte sich ebenfalls auf dem Campus Martius eingefunden, dort, wo es für die Ehrengäste üblich war, für sie als Schwester des Praefectus Praetorio. Sie verfolgte den Aufmarsch mit gemischten Gefühlen, sah ihrem Bruder dabei zu, wie er seine Rede hielt, wie er seine Soldaten anstachelte, ließ ihren Blick über die Milites gleiten, wie das Licht sich auf blankpoliertem Metall brach, wie das Opfer erfolgreich vollzogen wurde. Für einige Momente suchte sie nach Seneca, suchte ihn zu finden in der Menge an Soldaten, aber sie konnte ihn nicht erkennen, konnte nicht sehen, unter welchem der Centurionenhelme er sich verbarg. Und sie wusste nicht, welche Centurie er anführte. Ein intensives Gefühl von Trauer überflutete sie plötzlich, nahm ihr für Momente die Luft zu atmen, als ihr klar wurde, dass sie ihn nie danach gefragt hatte. Dass sie ihn so wenig je gefragt hatte. Dass sie, obwohl sie doch eigentlich das Gefühl hatte, ihn zu kennen, sein Wesen, sein Sein, doch so wenig über ihn wusste. Seine Vorlieben, seine Abneigungen, seine Gewohnheiten. Sein Leben. So vieles, was sie nicht wusste, und was sie vielleicht nie wissen würde.
    Seiana schluckte mühsam und verdrängte diese Gedanken. Verdrängte auch die aufkommende Sehnsucht nach Seneca, den Wunsch, wenigstens noch eine weitere Nacht mit ihm verbringen zu können. Sie konzentrierte sich stattdessen wieder auf ihren Bruder – auch wenn das nicht wirklich besser war, wie sie feststellen musste, weil sie auch ihn verlieren konnte in dem, was kam. Aber es war nicht das erste Mal, dass sie Angst ausstand um Faustus, es war nicht das erste Mal, dass er wegging, in den Krieg zog oder auf eine gefährliche Mission ging, und sie zurückblieb und nicht mehr tun konnte als hoffen und beten. So traurig das sein mochte, aber bei ihm war sie es gewohnt, dass es dazu kam. Es war nicht leichter... aber in gewisser Hinsicht waren der Schmerz und die Angst erträglicher.


    Was ihr letztlich nur übrig blieb, war vor allem eines: darauf zu achten, dass ihr nicht anzumerken war, wie es in ihrem Inneren aussah. Und das war etwas, was sie zwar perfektioniert hatte, sie in dieser Situation aber dennoch etwas Anstrengung kostete – was in gewisser Hinsicht ganz gut war. Sich darauf zu konzentrieren lenkte sie ab, und so verfolgte sie weiter die Zeremonie, mit steifer Haltung und einer Miene, die größtenteils unbewegt blieb.

    Ein Scriba im Vorzimmer empfing Albinus, und da er angekündigt war, dirigierte er ihn gleich weiter in das Büro der Rectrix, wo der Decimus von Seiana freundlich empfangen wurde. „Salve, Albinus. Es tut gut, dich wieder zu sehen“, begrüßte sie ihn, mit ihrem üblichen Lächeln, das für Verwandte reserviert war – vage zwar wie stets, aber nicht ganz so kühl wie üblich. „Setz dich doch. Möchtest du etwas trinken?“
    Götter, Albinus war erwachsen geworden in den vergangenen Jahren, stellte sie fest, während er näher kam. Seit sie geheiratet hatte, ausgezogen war aus der Casa Decima, hatte sie ihre Verwandten deutlich seltener gesehen, und wenn sie sie sah, dann merkte sie gerade an den Kindern – oder besser gesagt: denen, die früher mal Kinder waren –, wie die Zeit verging. „Du möchtest also für die Schola arbeiten?“

    Sicher. Er war sich sicher. Seiana versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie auf eine andere Antwort gehofft hatte. Wenn eintrat was Faustus schilderte, hatte er ja Recht damit, dass die Umgebung Roms kein sicherer Platz war, nur... Sie presste die Lippen aufeinander und versuchte, ihre eigenen Gedanken abzuschneiden. Sie hasste es, nicht im Voraus planen zu können, aber es brachte nichts, sich jetzt damit zu beschäftigen, wo es noch so viele Variablen gab. Eines nach dem anderen, eine andere Herangehensweise blieb ihr kaum. Und jetzt konnte sie sich um nicht viel mehr kümmern als das, was gerade akut war. „In Ordnung“, murmelte sie, trommelte aber trotz ihrer Entschlossenheit, sich von der Planungsunsicherheit nicht zu sehr beeinflussen zu lassen, kurz nervös mit ihren Fingern auf dem Tisch. Als ihr das bewusst wurde, zog sie ihre Hand zurück und zwang sich ein Lächeln ab. „Ja, wahrscheinlich hast du Recht“, antwortete sie auf Faustus' Vermutung, was ihren Mann anging, bemühte sich um ein wenig Leichtigkeit, was ihr allerdings misslang. Hatte sie vor Faustus' Besuch noch geglaubt, dass sie nicht mehr darum herum kommen würde, ihm endlich zu erzählen, was los war – oder wenigstens teilweise –, war sie jetzt entschlossener denn je, nichts zu sagen. Er konnte ihr nicht helfen. Er konnte nichts tun. Es würde ihn nur beunruhigen, und das war etwas, was sie nicht zulassen durfte. Was auch immer sie ihm erzählen könnte – und sie war sich ja noch nicht einmal sicher, was sie ihm alles erzählen sollte, ob die ganze Wahrheit oder nur Teile davon –, würde nur dazu dienen, ihn abzulenken. Er zog bald in den Krieg, in einen Bürgerkrieg, gegen römische Legionen, und das letzte, was er gebrauchen konnte, war sich Sorgen zu machen um sie. Was nichts anderes hieß als: er sollte idealerweise nicht einmal merken, dass ihre Ehe nicht allzu rund lief. „Er hat diese Art, mich vor vollendete Tatsachen zu stellen, weißt du... alte Angewohnheit aus seiner Militärzeit, nehme ich an.“ Diesmal wirkte ihr Lächeln nicht mehr ganz so gezwungen, und ihr Tonfall klang sogar halbwegs scherzhaft. Der Rest an Angespanntheit konnte auch an der Situation liegen, dem Bürgerkrieg, dem Ausrücken.


    Faustus war allerdings noch nicht fertig. Seiana nippte an ihrem Wein, und ihr Gesicht verdüsterte sich ein wenig. Es war ohnehin nicht leicht mit der Acta dieser Tage. Viele der Subauctores waren geflohen, manche schon während der Unruhen kurz nach der Ermordung Valerianus', andere in der Zeit danach. Und sie hatte sich bisher geweigert, die Acta offen Stellung beziehen zu lassen. Sie konnte nicht offen kritisieren, aber zumindest bisher hatte sie es immerhin vermeiden können, sich zu positionieren. Sie hatte sich einfach heraus gehalten... was jetzt scheinbar nicht mehr wirklich möglich war. „Hast du einen Bericht über die Ermittlungen da, den wir veröffentlichen können? Dann kann ich das in den nächsten Tagen schon erledigen.“ Seiana unterdrückte ein Seufzen. „Was Ägypten angeht und das Getreide... weißt du mehr darüber? Was da überhaupt genau los ist? Ägypten hat sich auch nicht auf Palmas Seite geschlagen, so weit ich weiß... Und welche Maßnahmen laufen? Oder ist es egal, wirklich was läuft, weil der Bericht darüber ohnehin schon feststeht?“ fragte sie, den beißenden Sarkasmus im Unterton ihrer Stimme nicht ganz unterdrücken könnend.


    Lucius Decimus Albinus
    Casa Decima Mercator
    Roma



    Salve Albinus,


    dein Interesse an der Schola und den Schriften in der Bibliothek hat mich schon immer gefreut. Umso mehr verständlicher finde ich deinen Wunsch, hier nun auch Arbeit zu finden. Komm am NON NOV DCCCLXII A.U.C.* zu mir in mein Büro in der Schola, dort können wir über alles weitere reden.


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    Sim-Off:

    *5.11.; gerne auch später, wie es dir passt :)

    „Warte kurz“, murmelte sie, erhob sich und holte eine Wachstafel und einen Stylus, bevor sie sich weiter zu ihrem Bruder setzte. Während er dann erzählte, machte sie sich flüchtig ein paar Notizen. Sie hatte immer alles lieber selbst im Griff, anstatt sich auf andere zu verlassen, mit ihren eigenen Betrieben und den Ländereien, die sie jetzt schon verwaltete, hielt sie es auch nicht anders. Natürlich konnte sie nicht alles allein machen, natürlich brauchte sie Hilfe, Sklaven, Verwalter, die alles entsprechend vorbereiteten – aber die letzte Kontrolle lag bei ihr. Um das allerdings auch weiterhin so handzuhaben, würde sie etwas ändern müssen... es würde sonst schlichtweg einfach zu viel werden.
    „Die Verschiffung von Hispania hierher läuft noch problemlos?“ fragte sie zwischendrin nach, machte sich noch eine Notiz und hörte weiter zu, dankbar dafür, dass er einiges erzählte und erklärte, was ablenkte von dem Grund, warum sie das taten. Erst, als Faustus davon sprach, dass sie nicht aufs Land gehen sollte, legte sie die Tafel beiseite, sah ihn kurz an – und dann wieder weg. Nicht aufs Land. Zu jeder anderen Gelegenheit wäre sie erfreut gewesen, das zu hören. Sie erinnerte sich noch zu gut an das letzte Mal, als sie mehr oder weniger gezwungenermaßen längere Zeit auf dem Landgut verbracht hatte. Die Eintönigkeit, die Abgeschnittenheit, all das war nichts für sie... nur Senecas Besuch war ein Lichtblick gewesen, und obwohl sie wusste, dass es einer war, den sie besser nicht erlebt hätte, brachte sie es doch nicht über sich, sich zu wünschen es wäre nicht passiert.
    Nein, das Landleben war nichts für sie, und sie wusste ja, dass Seneca sie diesmal nicht würde besuchen kommen – ganz im Gegenteil, sie würde um ihn genauso Angst haben wie um Faustus.


    Allein: sie war schwanger. Und wenn ihr Mann davon erfuhr – und das würde er bald, sie hatte gar keine andere Wahl –, und immer noch davon überzeugt war, dass sie ihn hintergangen hatte... dann würde er das Kind nicht anerkennen. Nie. So gut kannte sie ihn dann doch, dass sie sicher war, dass er es nicht annehmen würde. Das war ja ihr Problem, war es von Anfang an gewesen, seit er sie zum ersten Mal mit seinem Verdacht konfrontiert hatte – dass er das Kind nie annehmen würde, solange er auch nur einen Rest Zweifel hatte. Und sie wusste, dass sie diese Zweifel nicht hatte ausräumen können. Sie war nicht die Art von Frau, die sich besonders verführerisch geben und so einem Mann derart den Kopf verdrehen konnte, dass dieser alles glaubte. Ihre Ehe mit Terentius war nicht ohne Grund so, wie sie war – sie hatten beide ihren Anteil an der Distanz, die zwischen ihnen herrschte. Wenn ihr tadelloser Ruf und ihr zumindest nach außen hin ebenso tadelloses Verhalten nicht genügten, um jeden Zweifel seinerseits zu zerstreuen, dann sah sie wenig Möglichkeit, was sie tun konnte... zumal seine Zweifel geschürt wurden.
    Wenn es allerdings so kam, wie sie befürchtete... – und je mehr Zeit verging, desto mehr sah sie sich gezwungen, sich dem zu stellen, was sie ohnehin schon von Anfang an gewusst hatte –, dann konnte sie nicht in Rom bleiben. Nicht, wenn man ihr die Schwangerschaft erst mal ansah. Sie konnte einfach nicht riskieren, dass jemand herausfand, dass sie ein Kind zur Welt brachte, das von ihrem Mann nicht angenommen wurde. Sicher konnte sie erzählen, dass es eine Totgeburt gewesen wäre – aber in Rom war die Gefahr einfach zu groß, dass doch etwas anderes die Runde machte. Das Beste war schlicht und ergreifend, wenn kaum jemand wusste, dass sie schwanger war, wenn sie verschwand, bevor man es ihr wirklich ansah, selbst wenn das hieß aufs Land zu gehen, in die Einsamkeit, die sie dort so schwer bekämpfen konnte. Und Grund genug hätte sie eigentlich zum Gehen, ohne dass es auffallen würde, nicht in der jetzigen Situation... wenn Faustus nicht gerade davon abgeraten hätte.
    Seiana atmete nach einem längeren Moment des Schweigens tief ein und sah dann doch wieder hoch. „Bist du dir sicher, dass die Albaner Berge keine Alternative sind? Oder... was ist mit dem Gut von Tante Drusilla?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. Eines der Ianiculum-Häuser. Sie müsste sich eines ansehen, um zu entscheiden, ob das tatsächlich eine Option war, dass sie dort blieb, bis sie entbunden hatte. Wenn nur wenige Vertraute wussten, wo sie war... aber ein Landgut wäre einfach besser für diesen Zweck. Sie sah wieder weg, auf ihre Finger hinunter, und wünschte sich für einen Augenblick nichts sehnlicher, als dass das Leben einfach wäre. „Er... Terentius, er hat... keine Vorbereitungen getroffen. Ich weiß zumindest von nichts.“

    „Das klingt doch...“ gut, hatte sie zuerst sagen wollen, aber irgendwie erschien Seiana das... unpassend. Wie konnte man das als gut bezeichnen, wenn Römer gegen Römer kämpfte? „Es klingt gut“, sagte sie dann aber doch, weil ihr kein passenderes Wort einfallen wollte, ein wenig resigniert. „Gut für uns.“ Auch wenn sie Salinator nicht wirklich für einen guten Kaiser hielt – sie waren zu sehr an ihn gebunden mittlerweile. Wenn der Mann verlor... Seiana wollte gar nicht daran denken, wie sehr sie dann wohl in Ungnade fallen würden. Deswegen verdrängte sie auch die Gedanken daran, dass der Annaeus vielleicht unerfahren sein mochte, aber er dafür umso mehr seinen Stab aus Leuten mit reichlich Erfahrung besetzt haben würde... wenn er nicht komplett dumm war.


    Nur zu gern ließ sie sich auf den Themenwechsel ein, den ihr Bruder dann einschlug. Weg von dem Gerede über den Krieg... es brachte ohnehin nichts, außer dass sie beide melancholisch wurden. Allerdings führte das nächste Thema nicht wirklich weg davon. Er regelte seine Angelegenheiten, und obwohl seine Erklärung dafür logisch klang, konnte Seiana sich doch des Gedankens nicht erwehren, dass Faustus das tat, um auch für den Fall vorzusorgen, falls er diesmal nicht mehr zurückkam. Das Pergament, das er ihr zeigte, bestätigte das nur – er machte sie nicht nur für die Verwaltung verantwortlich, er übertrug ihr den Besitz.
    „Sicher“, lächelte sie flüchtig, während sie versuchte, sich einzumauern, nicht daran zu denken, was passieren konnte. Versuchte sich darauf zu konzentrieren, dass sie sich freuen sollte, dass er ihr das anvertraute – und nicht einem ihrer Verwandten, die mittlerweile auch in Rom wieder relativ zahlreich vertreten waren. „Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde dafür sorgen, dass alles geregelt weiterläuft. Danke für dein Vertrauen.“ Wieder ein Lächeln, dann überflog sie die Liste mit den Ländereien. „Wo hast du die Unterlagen verwahrt? Und gibt es irgendetwas Besonderes zu beachten bei einem der Güter?“

    Sie setzte sich und griff auch nach dem Essen, wenn auch mehr aus Höflichkeit. Sie kontrollierte sich sowieso schon recht stark, auch was sie aß, aber je weiter die Schwangerschaft fortschritt, desto strikter achtete sie auf das, was sie zu sich nahm... in der Hoffnung, damit den Moment hinauszögern zu können, an dem man ihr ihren Zustand schließlich doch ansehen konnte. Sie knabberte also erst mal nur an einer Olive... und widmete sich dann doch lieber ihrem verdünnten Wein, als Faustus von ihr als Hausherrin anfing. „Eh, ja...“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und verdrängte die Gedanken daran, dass sie Komplimente dieser Art nun wirklich nicht verdient hatte, nicht wo sie ganz und gar nicht das war, was man als vorbildliche Matrona hätte bezeichnen können. „Es ist nicht schwer in einem kleinen Haushalt wie diesem.“ Ein großes Haus zwar, aber nur ihr Mann, die Sklaven und sie, keine weitläufige Familie, die ebenfalls noch hier lebte und deren Zusammenleben irgendwie organisiert werden musste.


    Ihr Bruder schien allerdings etwas anderes auf dem Herzen zu haben als einfach nur mit ihr zu plaudern, so wie er hin und her sah und schließlich die Stirn runzelte... und tatsächlich rückte er auch ziemlich bald heraus mit dem, weswegen er hier war, noch bevor Seiana nachfragen konnte. Und es war mehr als nur eine Neuigkeit dabei, darunter eine Information, die sie ganz kurz aufhorchen ließ. „Die Prima ist was?“ fragte sie dazwischen, obwohl: eigentlich war es ja nicht sonderlich überraschend. Ein Verwandter des Legaten der Prima war bereits von Anfang an auf der Proskriptionsliste gelandet, und er war mit einer Tiberia verheiratet. Nein, es war nicht überraschend, dass er übergelaufen war, aber bisher hatte es gerade aus Mantua so gut wie keine Nachrichten gegeben. Dass es jetzt endlich klar war, wo der Aurelius sich positioniert hatte, war ihr daher neu.
    Aber es war bei weitem nicht das, was hier das Wichtigste war. Ganz im Gegenteil. Er würde fortgehen. Er und seine Prätorianer. Sie ließ ihren Kelch sinken, als diese Worte in ihr Bewusstsein einsickerten, stellte ihn auf dem Tisch ab und atmete tief ein. Es war ja nicht so, dass sie es nicht geahnt hätte. Die Truppen rückten nach Italia vor, die Gerüchte davon waren in aller Munde, auch wenn es für sie schwer war Bestätigungen zu bekommen, denen zu trauen war. Davon abgesehen hatte Seneca auch schon erwähnt, dass die Prätorianer sich in Marschbereitschaft versetzten, dass sie ausrücken würden. Und trotzdem traf es sie, wie bisher noch jedes Mal, wenn sie erfuhr dass Faustus gehen würde. Und diesmal umso mehr, weil es nun noch jemanden gab, der ihr am Herzen lag. Seiana sah auf ihre Hände hinunter, sah dann wieder hoch und versuchte zu lächeln, aber es verunglückte ziemlich und wurde nur eine traurige Karikatur eines Lächelns. „Ich hab mir schon gedacht, dass die Prätorianer kaum in Rom bleiben werden, während in Italia der Bürgerkrieg ausbricht“, murmelte sie. „Komm... einfach nur wieder, ja? In einem Stück.“ Und wenn es nicht zu viel Umstände macht: bring Seneca mit. Sie presste die Lippen aufeinander. „Weißt du denn schon mehr? Wie stark sind die Rebellen, wie lange wird es dauern, sie zu stellen? ... Und wie sind unsere Chancen?“

    Mit gemischten Gefühlen hatte Seiana die Nachricht aufgenommen, dass Faustus sie besuchen würde. Sie freute sich, natürlich freute sie sich, sie sahen sich viel zu selten – aber trotzdem... war sie in den letzten Wochen nicht traurig gewesen, dass sie ihn nicht gesehen hatte. Es gab zu viel, was sie ihm eigentlich sagen müsste, und sie hatte keine Ahnung wie. Dass sie schwanger war – und obwohl man ihrer Figur immer noch nichts ansah, nicht jedenfalls wenn sie Kleidung trug, die noch dazu entsprechend geschnitten war, würde es doch nicht mehr lange dauern, bis sie es nicht mehr würde verbergen können. Dass es keineswegs gut in ihrer Ehe lief – von Anfang an nicht wirklich, und seitdem hatte es sich wenn überhaupt noch verschlechtert, erst recht seitdem er sie verdächtigte ihn zu betrügen. Dass genau deshalb ihre Schwangerschaft keineswegs eine gute Nachricht war. Oder... dass es stimmte, mit dem Betrug, auch wenn sie nicht vorhatte, das jemals vor ihrem Mann zuzugeben.
    Sie wusste, dass sie irgendwann mit Faustus würde reden müssen. Aber sie wusste nicht wie, und sie wusste auch nicht, wie viel sie ihm sagen sollte. Und so hatte sie es bislang immer aufgeschoben, und es war ja so herrlich einfach, das zu tun: sie beide hatten viel zu tun und sahen sich selten. Es einfach, viel, viel zu einfach, immer wieder eine neue Ausrede dafür zu finden, nicht mit Faustus zu reden.
    Aber jetzt würde er kommen... und Seiana gingen die Ausreden aus. Obwohl sie sich nicht im Mindesten bereit fühlte.


    Zeit genug hatte sie allerdings, sich vorzubereiten – und sie freute sich ja wirklich, ihn wieder zu sehen. Sie fühlte sich momentan noch einsamer als sonst schon, mit all den Problemen, die gerade auf ihr lasteten, und sie sehnte sich nach Gesellschaft von jemandem, bei dem sie einfach sie sein konnte... auch wenn sie nicht unbedingt alles erzählte, was sie umtrieb. Und Faustus war einer von zwei Menschen, bei dem das so war, war darüber hinaus lange Jahre der einzige gewesen.
    Sie freute sich also ehrlich, als er ihr Cubiculum betrat, kam ihm entgegen und umarmte ihn. Fest, und ein deutliches bisschen länger als üblich. „Götter ist es schön dich endlich mal wieder zu treffen. Lass dich ansehen.“ Seiana trat einen kleinen Schritt zurück und musterte ihn von oben bis unten gespielt kritisch, bevor sie leicht lachte. „Du siehst auch gut aus, sehr gut. Ich hab ein bisschen was vorbereiten lassen, hast du Hunger?“ Sie wies auf die Sitzgruppe in der Nähe des Fensters, wo bereits ein leichtes Abendessen bereit stand, kalte Häppchen verschiedenster Art.

    Seiana lächelte, aber es fiel nur noch schwach aus bei seinem letzten Scherz. Zu nah war der Abschied da schon... und obwohl sie ihn selbst eingeleitet hatte, ließ sie Seneca nur widerwillig los, damit er aufstehen konnte. Allerdings brachte alles Hinauszögern nichts, und schließlich stand sie gemeinsam mit ihm auf und zog sich ebenfalls an, streifte ihre Tunika über, befestigte die Spangen und schlang den schmalen Gürtel um sich, bevor sie nach ihrer Palla griff. Bevor sie diese jedoch anlegen konnte, fing Seneca an zu sprechen, und Seiana setzte sich noch einmal mit ihm, lehnte sich an ihn, mit geschlossenen Augen. Sie wusste ja, wie sinnlos es war damit hadern zu wollen, dass sie so wenig Zeit hatten, und sie mied normalerweise alles, was sinnlos war und damit Zeit- oder Energieverschwendung. Und trotzdem... haderte sie damit. Wünschte sich, dass es anders wäre, so vergebens das auch war. Gleichzeitig genoss sie ein letztes Mal seine Nähe, seine Berührungen, umarmte ihn. „Das werde ich nicht“, antwortete sie leise, ihre Lippen irgendwo an seinem Hals, und presste dann die Lippen aufeinander, als er vom Bürgerkrieg sprach. „Bleib am Leben, hörst du? Bleib am Leben und komm wieder zurück.“ Es war Blödsinn, ihm das zu sagen, als ob er das selbst völlig in der Hand hätte, und sie gab eigentlich keinen Blödsinn von sich, nicht bewusst jedenfalls... und trotzdem sagte sie das jetzt. Seneca brachte sie dazu, so einige Dinge zu tun, die sie sonst nicht tat, stellte sie fest. Sie küsste ihn, stand dann auf, schlang die Palla aber immer noch nicht um sich, sondern umarmte Seneca erneut und gab ihm einen weiteren Kuss, als er sich ebenfalls erhoben hatte. „Ich liebe dich, Seneca.“ Nur schwer trennte sie sich von ihm, um sich nun endlich in ihre Palla zu hüllen.

    „Morpheus?“ Seiana zog leicht die Augenbrauen hoch. Helena gefiel ihr da besser, aber das sagte sie nicht laut, weil der Vergleich fast ein wenig zu treffend war – nicht wegen des Aussehens, sondern wegen ihrer Lage. Stattdessen schmunzelte sie nur leicht. „Wäre ich Morpheus, würde ich dir ganz andere Bilder vorgaukeln als mich kurz nach dem Aufwachen...“ Sie legte sich auf die Seite und betrachtete ihn dabei, wie er sich aufrichtete, sich umsah, sich dann wieder ihr zuwandte. Und sie küsste. Himmel, sie liebte es wenn er das tat. „Dann sieh nicht hin“, murmelte sie, folgte ihm, als er sich wieder zurück auf den Rücken sinken ließ, und küsste ihn erneut, bevor sie ihren Kopf auf seine Brust legte. Das Zimmer hatte tatsächlich nicht allzu viel, aber was machte das schon? Sie hätte sich so viel mehr leisten können... aber wenig gab das, was sie hier hatten: Privatsphäre. Keine neugierigen Augen. Nur sie zwei, und niemanden, der es interessierte.
    Der Morgen allerdings schritt unerbittlich voran, und so sehr Seiana sich auch wünschte, einfach hier bei ihm liegen bleiben zu können: sie konnten beide nicht. Sie berührte seine Haut noch ein Mal mit ihren Lippen, bevor sie sich aufrichtete und ihn ansah, diesmal traurig. Götter, sie wollte nicht. „Wir sollten langsam aufbrechen. Ich muss noch nach Ostia...“ Um ihre Ausrede auch wirklich glaubwürdig zu machen. Ihr Mann war schon misstrauisch, wenn sie über Nacht weg blieb, dann musste sie eine gute Begründung haben... und eine, die auch einer Überprüfung standhielt. Sie hatte gesagt, sie würde ihre Betriebe und Ländereien überprüfen, in Rom, im Umland, und in Ostia – letzteres war ihr Grund, warum sie über Nacht wegblieb, um noch am Abend dorthin reisen zu können und am Morgen mit der Prüfung zu beginnen. Also musste sie genau das tun... auch wenn sie erst jetzt in der Früh wirklich aufbrach, kam sie doch nicht darum herum, nach Ostia zu reisen und dort nach dem Rechten zu sehen. Und das rasch genug, dass sie noch heute wieder würde zurück kommen können nach Rom. „Und du wirst sicher auch nicht mehr lange wegbleiben können.“