Rausgeworfen hätte er sie, wenn er den Gerüchten glauben würde. Und mit welcher Veranlassung sollte sie ihm jetzt noch die Wahrheit sagen? Nicht dass dieser Kommentar nötig gewesen wäre, um sie glauben zu lassen, dass die Konsequenzen mindestens unerfreulich sein würden, wenn sie zugab ihn betrogen zu haben. „Was ist mit meinem Bruder?“ entgegnete sie ihm. „Er ist jetzt Praefectus Praetorio. Und es gibt einige Menschen, die meiner Familie – und mir! – ganz und gar nicht wohl gesonnen sind. Genauso wie du Feinde hast, ob du nun einen Posten innehast oder nicht!“ Seiana schüttelte den Kopf, ignorierte ihre Furcht, ihre Übelkeit, und fuhr fort: „Ich kann ja nichts gegen dieses Gerede unternehmen, weil ich davon noch nie gehört habe – und du mir nicht sagen willst, woher es kommt! Aus demselben Grund kann ich dir auch nicht erklären, warum wer auch immer so etwas in die Welt gesetzt hat!“
Beiträge von Decima Seiana
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Seiana starrte ihren Mann für einen Augenblick beinahe fassungslos an. Nicht wichtig, woher er das wusste? Aber sie sollte jetzt Stellung dazu nehmen, nein, noch schlimmer, sollte sich verteidigen? Zu irgendwelchen Gerüchten, die ihr – obwohl sie Auctrix war – noch nicht einmal selbst zu Ohren gekommen waren? Er tat so, als ob er wüsste, dass sie ihn betrogen hatte, aber er konnte das nicht wissen! Er konnte einfach nicht, es gab niemanden, der davon wusste, außer ihr und Seneca... und Axilla. Das Blut wich aus ihren Wangen, als Seiana dieser Gedanke kam. Die Iunia wusste Bescheid. Sie war die einzige, die Bescheid wusste, außer ihr und Seneca. Sie hatte ihr gedroht. Und: sie hatte schon einmal ihr Leben in Trümmer geschlagen.
Dieser Gedanke half Seiana im Augenblick jedoch nicht im Geringsten weiter. Was ihr Mann hier machte, war eine Mischung aus einem Verhör und einer Gerichtsverhandlung, hatte sie das Gefühl, und sie hatte keine Ahnung, wo das noch hinführen würde. Wie viel er wusste, oder zu wissen glaubte. „Das ist lächerlich“, gab sie zurück, mit leichtem Ärger in der Stimme. Seine Kontakte würden ihm nichts nutzen, sie konnten ihm nichts bestätigen, was nicht passiert war – und hier in Rom war nichts passiert. Da gab es nichts zu berichten oder zu bestätigen. In diesem kurzen Augenblick dankte sie den Göttern dafür, dass es keine Gelegenheit gegeben hatte, Seneca zu treffen, ihn wirklich, ihn allein zu treffen.
Und trotzdem blieb die Übelkeit und das mulmige Gefühl, wuchs beständig an. Ihr Magen schien ein rumorendes, endloses Loch zu sein, und ihre Knie waren weich, auch wenn sie stehen blieb, ohne zu zittern, ohne sich davon etwas anmerken zu lassen. Er hatte sein Urteil ja scheinbar schon gefällt. Und wenn er davon ohnehin schon überzeugt war... würde er jemanden finden, der ihm bestätigte, was auch immer er hören wollte. Wenn nicht Axilla, dann irgendjemand anderes, der ihr oder ihrer Familie feindlich gesonnen war. „Was erwartest du eigentlich von mir? Was soll ich denn sagen, wo du doch scheinbar schon beschlossen hast, irgendwelchen Gerüchten zu glauben, noch bevor du überhaupt mit mihr gesprochen hast?“ -
Seiana näherte sich der Kline, blieb allerdings in deren Nähe stehen, da ihr Mann noch keine Anstalten machte sich zu setzen. Sie wünschte sich jedoch bald, sie hätte sich gesetzt. Untreu. Sie hatte schon ein mulmiges Gefühl in der Magengegend gehabt, als er von Gerüchten angefangen hatte, aber als das Wort untreu fiel, wurde ihr tatsächlich übel. Sie hatte das Gefühl, einen Schlag in die Magengrube bekommen zu haben, während zugleich ihr ganzer Körper eisig zu kribbeln begann. Untreu, echote es in ihrem Kopf, und für einen Augenblick wusste sie nicht, was sie darauf erwidern sollte. Das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein. Er durfte davon nichts erfahren, das war einfach... undenkbar, die Konsequenzen würden unabsehbar sein für sie, und... es war unmöglich. Oder nicht? Es war nicht möglich, dass er von Seneca wusste. Wie hätte er davon auch erfahren sollen? Sie hatte mit Seneca nur auf dem Landgut geschlafen. Seitdem hatten sie sich nur zwei Mal gesehen, und beide Male in keinem Rahmen, der Anlass für Gerüchte gegeben hätte. Es mussten... einfach so Gerüchte sein, einfach irgendwelche Gerüchte, sie hatte Feinde, auch wenn es blöd war, ausgerechnet ihr ausgerechnet so etwas vorzuwerfen, wo sie sich immer tadellos verhielt – aber es konnte nichts anderes sein.
„Bitte was?“, hörte Seiana sich sagen. Wie sollte sie reagieren? Wie reagierte man, wenn man solche Vorwürfe bekam und unschuldig war – wie hätte sie reagiert, wenn er sie damit vor der Sache mit Seneca konfrontiert hätte? Zumindest ihr Tonfall schien angemessen schockiert zu sein – denn da war sie sich sehr sicher, dass sie so oder so erst mal schockiert gewesen wäre, einen solchen Vorwurf zu hören. „Wer behauptet so etwas?“
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Ihre Verwunderung wurde noch ein wenig größer, als er anfing zu sprechen – und gleichzeitig begann irgendwo eine Alarmglocke zu schrillen. Er fragte sie, wie es ihr ging? Er hatte sie doch sicher nicht hierher rufen lassen, nur um sie das zu fragen. So was fragte man, wenn man sich gerade ohnehin sah, aber deswegen rief man jemanden doch nicht extra her. Sie musterte ihn für einen Moment eindringlich, aber sie konnte nichts erkennen in seiner Miene, nichts das auf das schließen lassen könnte, was er tatsächlich wollte.
„Mir geht es gut“, antwortete sie langsam, mit ebenso glatter Miene wie seiner – obwohl die ehrliche Antwort gewesen wäre, dass sie sich im Augenblick tatsächlich ein wenig... nun ja, nicht unwohl fühlte, aber doch etwas beunruhigt. Auf irgendetwas wollte er hinaus – die Frage war nur, auf was. Wollte er umziehen, irgendwohin in eine Provinz oder auf sein Gut in der Nähe von Mantua – und wollte ihr nun mitteilen, dass sie ihre Posten, ihre Leben hier in Rom aufzugeben hatte? „Es ist alles in Ordnung.“ Sie hätte auch mehr erzählen können, über ihre Arbeit, irgendwas war schließlich immer los – aber nichts Besonderes, und sie wusste aus Erfahrung, dass ihn das gar nicht wirklich interessierte. Hatte es zumindest bisher nie. Also erzählte sie nichts darüber, und sie verkniff sich auch die Gegenfrage, warum er das fragte... sie würde schon noch erfahren, worauf er hinaus wollte. -
Seiana saß noch an ihrem Schreibtisch und arbeitete, als ein Sklave herein kam und ihr mitteilte, dass ihr Mann sie zu sehen wünsche. Im Atrium. Ihre erste Reaktion darauf war Verwunderung – dass er sie nicht einfach in ihrem Cubiculum aufsuchte, sondern im Atrium mit ihr sprechen wollte, war ihr rätselhaft, und darüber hinaus war es schon spät... er wusste zwar wohl, dass sie erst spät schlafen ging, trotzdem fragte sie sich, was so dringend war, dass er heute noch mit ihr darüber reden wollte – und das, ohne sie einfach hier aufzusuchen.
Ein wenig verwundert also, aber zügig kam sie ins Atrium, und während sie sich ihm näherte, versuchte sie in seiner Miene zu lesen, was los sein könnte. „Du wolltest mit mir reden?“
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Raghnall hob die Arme und ließ sich anstandslos durchsuchen, auch wenn genau das zutage kam, was er den Soldaten auch hätte sagen können: dass er völlig unbewaffnet war und auch sonst nichts dabei hatte, was irgendwie verdächtig erschienen wäre. Genau genommen hatte er gar nichts dabei, außer dem Ring seiner Herrin.
Es dauerte nicht allzu lang, bis der Soldat wieder aufkreuzte, und das mit dem Iunius im Schlepptau. Raghnall hätte das Wiedersehen ja zu gerne irgendwie... anders... gestaltet, aber er wusste, dass er sich hier ohnehin schon in engen Grenzen bewegte – er, und der Optio auch. So was wie spöttisches Salutieren oder so fiel also aus. Sogar ein begrüßendes Grinsen verkniff der Gallier sich, für den Fall, dass die Urbaner am Tor ihnen noch zusahen, auch wenn sie mittlerweile außer Hörweite waren. „Salve, Optio... deine Anwesenheit wird in der Casa Decima erwartet.“ Klang nicht unbedingt höflich, aber immerhin sollte es – insbesondere für fremde Ohren – ja weiterhin so klingen, als ginge das hier vom Praefectus Praetorio aus. Und Raghnall hoffte, dass der Schwarzrock intelligent genug war, einfach darauf einzugehen, auch wenn der sich wohl denken konnte, wer wirklich dahinter steckte... auch wenn Raghnall nicht allzu viel auf die Intelligenz von Schwarzröcken gab. Oder anderen Militärs.
SKLAVE - DECIMA SEIANA -
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Raghnall lächelte höflich. Dass das Zeichen der Decimi nicht einmal hier in der Castra Praetoria allen bekannt war, darüber wunderte er sich nicht... er wunderte sich generell über ziemlich wenig. Hätte er allerdings gewusst, dass ein Terentius vor ihm stand - ein Verwandter des Ehemanns seiner Herrin - hätte er sich dann vielleicht doch gewundert, dass der das Zeichen nicht kannte. „Im Auftrag des Praefectus Praetorio“, kam es ihm nur freundlich über die Lippen.
SKLAVE - DECIMA SEIANA -
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Der Auftrag seiner Herrin führte Raghnall direkt zur Castra Praetoria. Wo er schnurstracks auf die Wachen zuhielt. „Salvete“, grüßte er und zeigte ihnen den Siegelring der Decimer, den er von seiner Herrin erhalten hatte hierfür. Exakt von der gleichen Machart, dem gleichen Aussehen wie der, den der Bruder der Decima, seines Zeichens Praefectus Praetorio, hatte. Genau darauf baute seine Herrin... die Wachen sollten glauben, er käme im Auftrag des Gardepräfekten. Und was er wollte, war nichts, wofür der Präfekt selbst noch mal gekommen wäre, um diese Uhrzeit... war ja nur eine simple Botschaft. „Ich habe eine Nachricht für Optio Iunius Seneca. Kann ihn jemand herholen?“
SKLAVE - DECIMA SEIANA -
Seiana war unsicher. Unsicher und, was selten vorkam, unschlüssig. Nachdem sie das Haus des Pompeius unverrichteter Dinge hatte verlassen müssen, hatte sie das drängende Gefühl, etwas tun zu müssen. Irgendetwas. Diese lächerliche Ausrede, die der Procurator ihr aufgetischt hatte, konnte nur eines bedeuten: die Iunia wollte nicht mit ihr reden. Und das bedeutete nichts Gutes, davon war Seiana überzeugt. Sie musste also etwas tun. Es war keine Option, hinzunehmen, dass die Lectrix sie mied, und einfach abzuwarten was passierte – einfach zu hoffen, dass alles ruhig blieb. Das Risiko konnte sie nicht eingehen. Wenn nur ein Wort nach außen drang... Seiana wagte gar nicht daran zu denken. Es war im Grunde schon zu viel, dass überhaupt jemand Bescheid wusste, erst recht ausgerechnet diese Frau. Dass Seneca es offenbar nicht geschafft hatte seine Verwandte zu besänftigen, oder besser noch: ihr ein ordentliches Benehmen einzubläuen, das war einfach nicht tragbar.
Seneca. Das war es. Sie musste mit Seneca reden, musste ihn informieren. Und dann musste er sich darum kümmern. Das war er ihr schuldig, nachdem er ihren Namen verraten hatte. Er war es ihr schuldig dafür zu sorgen, dass dieses Risiko eliminiert wurde, umso mehr da sie so viel mehr zu verlieren hatte als er. Nur wie sollte sie ihn nun treffen... sie konnte ihn kaum zu sich rufen, genauso wenig wie sie in der Castra auftauchen konnte. Und ein Treffen zu organisieren, das unauffällig sein würde, würde Zeit kosten. Viel zu viel Zeit. Sie konnte nicht Tage oder gar Wochen warten, bis Seneca sich um die Sache kümmerte... sie hatte im Grunde jetzt schon zu viel Zeit verstreichen lassen, wenn man bedachte, wie die Iunia sich ihr gegenüber verhalten hatte. Aber sie hatte Seneca genug Zeit geben wollen, um erst selbst mit seiner Cousine zu reden... Seiana verfluchte lautlos die Zwickmühle, in der sie saß. Sie würde ihn kaum schnell treffen können, ohne dass es mehreren Leuten auffallen würde. Es sei denn...
Seiana zögerte einen Moment. Es war nicht richtig... und ganz ohne jedes Risiko war es auch nicht. Aber es war nun mal dringend. Genau genommen war es fast ein Notfall. Kurzentschlossen wandte sie sich ihren Sklaven zu, und nur einen Moment später lief Raghnall schon davon, während Seiana und ihre Leibwächter die Richtung änderten, und statt zur Casa Terentia nun zur Casa Decima unterwegs waren.Als sie die Casa Decima erreichten, hielt Seiana sich nicht lange mit dem Ianitor auf, vergewisserte sich nur kurz bei ihm, dass ihr Bruder da war, und ließ ihn wissen, dass sie offiziell nicht im Haus war – nicht dass sie glaubte, dass jemand nachfragen würde, aber sie wollte nicht, dass er möglicherweise anderen Familienmitgliedern oder Sklaven erzählte, dass sie heute hier war. Kurze Zeit später stand sie vor der Tür zum Officium ihres Bruders, klopfte kurz und trat dann ein, ohne auf eine Antwort zu warten. „Entschuldige bitte, dass ich dich so kurzfristig störe, Faustus. Hast du einen Augenblick Zeit für mich?“
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„Das ist korrekt, Dominus“, erwiderte der Ianitor mit einem leichten Neigen seines Kopfes. Er kannte ihn zwar nicht, aber der Mann wirkte immerhin nicht wie ein Bettler oder ein Strauchdieb... insofern konnte er das Risiko wohl eingehen, ihn herein zu bitten und im Atrium warten zu lassen, während der Hausherr sich selbst mit dem Neuankömmling befasste. „Wenn du bitte eintreten würdest. Ich lasse den Herrn über deine Ankunft informieren.“
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Buchstabenwirrwarr. Seiana sah auf die Schriftrolle hinunter und versuchte sich zu konzentrieren, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen. Die Buchstaben verschwammen ineinander und waren nur noch schwer lesbar, was nur zum Teil daran lag, dass es inzwischen dunkel geworden war und sie hier, im Garten, nur eine schwache Lichtquelle zur Verfügung hatte. Sie saß schon den ganzen Abend hier draußen, weil es ihr zu stickig, zu eng, zu drückend geworden war im Haus. Sie hatte Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, dort drin. Ihre Gedanken schienen immer wieder abzuschweifen. Zu Seneca. Zu den wenigen Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, und wie... ausgeglichen sie sich gefühlt hatte. Glücklich. Sie sehnte sich nach ihm, und was das Schlimmste war: dieses Sehnen begleitete sie Tag für Tag. Sie konnte es unterdrücken, konnte es verdrängen, aber es war trotzdem immer da, und die Atmosphäre, die sie Tag für Tag in ihrem Heim erlebte, machte es nur schwerer für sie, Seneca aus ihren Gedanken, ihrem Herzen zu verbannen.
Das einzige, was sie zumindest von der Sehnsucht wirklich ablenken konnte, waren die Probleme, die sie sich damit aufgehalst hatte. Die Risiken, die sie eingegangen war. Die Risiken, die Seneca noch vervielfacht hatte, dadurch dass er sich seiner Cousine anvertraut hatte – dass er ihr verraten hatte, wer die Frau war, mit der er ein Verhältnis begonnen hatte. Obwohl Seneca ihr versprochen hatte sich darum zu kümmern, mit seiner Verwandten noch einmal zu reden, fühlte Seiana sich nicht im Mindesten wohl damit, dass jemand Bescheid wusste – noch dazu dieser spezielle Jemand. Und obwohl sie ihm keine Vorhaltungen mehr gemacht hatte, haderte sie immer noch damit, dass er ihren Namen erwähnt hatte. Sich jemandem anvertrauen war eine Sache. Ihren Namen heraus zu posaunen und sie beide damit in Gefahr zu bringen eine völlig andere, und Seiana begriff bis heute nicht so recht, warum um alles in der Welt Seneca das getan hatte. Er hätte sich seiner Cousine anvertrauen können ohne zu sagen, um welche Frau es sich handelte. Er hätte ihren Namen nicht nennen dürfen... selbst wenn Axilla und sie keine gemeinsame Geschichte hätten, selbst wenn sie nicht zusammen arbeiten würden, war Seiana einfach zu bekannt, um sie nicht herauszuhalten aus einem derartigen Gespräch. Wer garantierte denn, dass die Iunia nicht – selbstverständlich ebenso im Vertrauen – mit jemand anderem sprach? Wer garantierte, dass sie nicht tratschte? Oder sich einfach nur verplapperte? Seneca vertraute seiner Cousine, und Seiana bemühte sich, ihm zu glauben. Dass er Recht hatte. Aber sie war und blieb misstrauisch. Sie wäre es wohl auch dann gewesen, wenn ihr Verhältnis zur Iunia nicht so zerrüttet gewesen wäre. Dafür war das Risiko einfach zu groß, das sie eingegangen war.Ihr Blick wanderte zum Haus hinüber, während sie nach der Palla griff, die sie mit hinaus gebracht hatte, und sie um die Schultern schlang, weil es so spät abends – im Grunde schon mitten in der Nacht – selbst hier in Rom kühl wurde. Irgendwo dort drin war ihr Mann, schlief vermutlich schon. Im Gegensatz zu ihr, die häufig so wie heute recht spät noch wach war und keinen Schlaf fand, hatte er keine Probleme damit, schnell in Morpheus‘ Welt einzutauchen und dort zu bleiben, bis der nächste Tag anbrach... oder stimmte das überhaupt? Seiana stellte fest, dass sie das eigentlich gar nicht wusste, dass sie es nicht sagen konnte. Wenn sie denn mal nicht nur ein paar Stunden, sondern eine ganze Nacht zusammen verbrachten, schien er zumindest stets schnell einzuschlafen... und er sagte auch nie etwas. Aber sie sprach auch nicht mit ihm über ihre Probleme, das war also kaum ein Grund davon auszugehen, es wäre so, wie es schien.
Sie kannte ihren Mann im Grunde kaum. Was wusste sie denn schon von ihm? Sie kannte seinen Karriereweg, seinen militärischen Werdegang, wusste alles darüber, was es zu wissen gab, alles jedenfalls, was sie – oder besser ihre Mitarbeiter – hatten herausfinden können, und noch das ein oder andere Detail, dass Terentius selbst irgendwann mal hatte fallen lassen. Sie wusste, dass er schon einmal verheiratet gewesen war – allerdings nicht viel mehr, denn bei diesem Thema war er noch weniger gesprächig als sonst. Und sie wusste, dass er Aale züchtete.Sie kannte ihn kaum. Das war nun keine sonderlich weltbewegende Erkenntnis, sie war Seiana noch nicht einmal wirklich neu. Aber selten wurde ihr diese Tatsache mit so brennender Klarheit bewusst wie in diesem Augenblick. Dass Menschen sich nicht oder kaum kannten, wenn sie heirateten, war alltäglich. Dass sie sich nach der Zeit, die sie mit Terentius mittlerweile verheiratet war, immer noch nicht kannten, war es nicht. Freilich war ihr durchaus klar, woran das lag – er war nicht wirklich gesprächig und schien auch generell eher wenig Wert auf ihre Meinung oder ihren Rat zu legen, jedenfalls fragte er sie so gut wie nie danach, selbst wenn er ihr einmal etwas erzählte... Und sie selbst war kühl, distanziert, verschlossen. Auch wenn sie zumindest anfangs noch versucht hatte, sich ein bisschen zu öffnen, war sie selbst dann noch weit davon entfernt gewesen, wirklich offen zu sein oder gar warmherzig. Und spätestens als der Alltag bei ihnen eingezogen war, hatte sie aufgehört, sich zu bemühen. Es hatte ohnehin wenig Sinn gehabt, er war zu beschäftigt gewesen, genauso wie sie, und wenn sie sich gesehen hatten, hatte Seiana nicht das Gefühl gehabt, Terentius hege sonderliches Interesse an dem, was sie beschäftigte. Oder an ihr. Also hatte sie sich unabhängig von ihrem Mann einfach irgendwie eingerichtet in diesem neuen Leben, das sich von ihrem vorigen gar nicht so sehr unterschied – sie war größtenteils allein, unbehelligt von anderen Menschen, weil nur sie und ihr Mann dort lebten, es gab die Haushaltsorganisation, ihre Arbeit, die Verwaltung ihrer Ländereien und Betriebe... Nur dass sie in der Casa Terentia wohnte und nicht mehr in der Casa Decima, und dass sie einen Mann hatte, der auch hin und wieder sein Recht als Ehemann einforderte. Und an diesem Leben hatte sich auch nicht viel geändert, als Terentius vom Posten des Praefectus Praetorio zurück getreten war. Sie wusste nicht genau, was er den ganzen Tag tat, aber sie bekam ihn fast genauso selten zu Gesicht wie zuvor, was nur teilweise daran lag, dass sie nach wie vor so viel arbeitete.
Im Grunde ließ sich all das doch mit einem einzigen Satz zusammenfassen, einem Satz, der alles sagte: Eine ganze Zeit lang inzwischen schon verheiratet... und das Persönlichste, was sie über ihren Mann wusste, war das: er züchtete Aale.
Keine sonderlich erfreuliche Bilanz ihrer Ehe.
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Der Ianitor öffnete die Tür und musterte den Besucher. „Salve“, grüßte er. „Wie kann ich dir helfen?“
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Zu Bett gegangen. Um diese Uhrzeit. Die Iunia hatte sich erst vor kurzem aus der Acta verabschiedet, es war erst früher Abend, die Sonne würde noch einige Stunden lang nicht untergehen – ganz sicher noch keine Zeit, zu der eine erwachsene Frau zu Bett ging. Und es hatte hier ganz offensichtlich noch niemand zu Abend gegessen. Sie stand hier im Triclinium, das hervorragend hergerichtet war, nicht nur für eine Cena der Familie des Hauses, sondern eindeutig für Besuch. Und seit wann konnte eine Frau nicht mit einer anderen zu Abend essen, nur weil ihr Mann plötzlich weg gerufen wurde und sie alleine waren? Das war absolut lächerlich.
Seiana begann sich ernsthaft in Betracht zu ziehen, beleidigt zu sein. Hielt der Procurator sie etwa für so dumm, dass sie ihm diese bescheuerte Ausrede abnahm? Nein. Sicher tat er nicht, beantwortete sie lautlos ihre eigene Frage. Er wollte sie nur einfach los werden, und sie idealerweise brüskieren auf eine Art, die gerade so noch keine offene Beleidigung darstellte... auf die sie also kaum reagieren konnte, wenn nicht sie diejenige sein wollte, die einen Streit begann. Und dann wagte er es auch noch, noch bevor sie überhaupt antwortete, sich schon in Richtung Tür zu bewegen. Sie begann zu verstehen, warum Faustus so ablehnend gegenüber dem Pompeius eingestellt war... andererseits war sie sich sehr sicher, dass das hier nicht auf seinem Mist gewachsen war. Sie hatte mit dem Procurator nichts zu tun, weder positiv noch negativ. Es gab keinen Grund, warum er sie nun plötzlich hinaus komplimentierte, noch dazu wo er sie gerade erst eingeladen hatte, und das mit Freuden, wenn sie sich richtig an die Worte des Ianitors erinnerte. Kein Grund. Keine Verbindung. Außer der Iunia. Der wiederum traute Seiana alles zu, gerade nach ihrem letzten Treffen, auch wenn sie wirklich die Hoffnung gehabt hatte, Seneca hätte etwas erreichen können, eine Hoffnung, die sich gerade zu zerschlagen schien... was die Iunia als Mitwisserin gerade wieder höchst gefährlich machte. Seiana hätte nur nicht unbedingt erwartet, dass der Pompeius derart nach der Pfeife seiner Frau tanzte.
„Zu Bett gegangen. Um diese Tageszeit“, erwiderte sie allerdings nur, mit einem Lächeln, freundlich und eisig zugleich, während ihrem Tonfall eine feine Ironie zu entnehmen war. Sollte der Procurator ruhig merken, dass sie ihm kein Wort glaubte. „Das Schlafbedürfnis der Lectrix scheint sehr ausgeprägt zu sein. Vielleicht überanstrengt sie ja die Tätigkeit in der Acta, ich sollte das beizeiten einmal prüfen.“ Sie ging zur Tür, wo einer ihrer Sklaven bereits wartete – mit einem Päckchen in der Hand, das eindeutig nicht von ihr war. „Das wird nicht nötig sein.“ Mit einer Kopfbewegung wies sie den Sklaven an, das Päckchen weiter zu reichen an einen der Haussklaven, bevor sie sich noch einmal an den Pompeius wandte. „Ich wünsche dir noch einen angenehmen Abend, Procurator.“ Mit diesen Worten verließ sie das Triclinium noch vor ihm, und nur kurze Zeit später auch die Casa.
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Es dauerte. Und dauerte. Und dauerte noch länger. Seiana hatte Geduld, hatte sich über lange Jahre hinweg eine sehr ausdauernde Geduld angewöhnt – aber das hieß nicht, dass sie gerne wartete, schon gar nicht grundlos. Und dass sie hier warten gelassen wurde, obwohl sie eingeladen worden war – und das noch sehr spontan –, grenzte an Unverschämtheit.
Als dann endlich der Hausherr auftauchte, machte er einen durchaus abgehetzten Eindruck... aber was er sagte, klang in Seianas Ohren verdächtig nach einer Ausrede. Kurz vor ihrem Eintreffen also war der Bote gekommen? Warum hatte der Pompeius sie dann überhaupt eingeladen, wenn er zu dem Zeitpunkt schon die Botschaft des Kaisers gehabt haben musste? Und dass er sie nicht wieder zu erkennen schien, obwohl sie schon einmal – wenn auch vor Jahren – in diesem Haus zum Essen gewesen war, trug nicht unbedingt dazu bei, dass sie geneigter war ihm zu glauben. Allerdings ließ sie sich davon nichts anmerken. Sie lächelte nur ihr übliches, höflich-kühles Lächeln, das sie jedem in solchen Situationen schenkte. „Wie bedauerlich, Procurator. Deine Einladung war sehr spontan, dennoch habe ich mich darauf gefreut, den Abend mit dir und deiner Frau verbringen zu können“, erwiderte sie ruhig. „Natürlich hat ein Ruf des Kaisers Vorrang. Allerdings bin ich ursprünglich ohnehin gekommen, um mit deiner Frau sprechen. Kann sie mich kurz empfangen?“
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Gefälligst selbst im Zaum halten. Nein, das war nun wirklich nicht sonderlich diplomatisch gewesen... aber Seiana war über den Punkt hinaus, an dem sie noch sonderlich diplomatisch sein wollte. Genauer gesagt, seitdem die Iunia sie beleidigt und sie dann geschlagen hatte. Seneca war das einzige, was sie davon abhielt, die Diplomatie gegenüber der Iunia ein für alle Mal über Bord zu werfen. „Ja, ich weiß was du meinst“, murmelte Seiana. Vom Pompeius wusste sie auch nur, dass er ein Bekannter von Archias gewesen war.
Und dann war es ausgerechnet Faustus, der Gründe dafür lieferte, es doch nicht zu tun. Andere Gründe, objektivere Gründe als einfach Seneca. Sie schnitt eine Grimasse. „Ich war der Iunia gegenüber jahrelang diplomatisch, und die Götter wissen dass ich jeden Grund hatte, mich anders zu verhalten. Mehr noch, ich habe sie in der Acta gefördert. Ohne mich wäre sie dort nicht mal angestellt, geschweige denn Lectrix. Und was hat es gebracht? Ganz offensichtlich nichts!“ Seiana hob eine Hand und presste Daumen und Zeigefinger auf ihre Nasenwurzel. Noch war nicht gesagt, dass die Iunia sich einen weiteren derartigen Auftritt erlaubte, und wenn sie sich zurückhielt, konnte Seiana das auch. „Keine Sorge“, fügte sie mit einem leisen Seufzen an. „Ich habe vor, noch mal mit ihr zu sprechen, aber ich werde vorerst nichts tun, was nach außen Uneinigkeit zeigt. Und ich hoffe, dass das auch so bleibt.“ Dass Seneca mit seiner Cousine gesprochen hatte, und dass er es geschafft hatte, sie zur Vernunft zu bringen, auf die eine oder andere Weise.
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Seiana folgte ihrem Bruder in den Garten hinein, schloss zu ihren Verwandten und den Gästen auf, hielt sich dann allerdings etwas zurück. Faustus' Vorschlag war gar nicht mal so schlecht – und besser noch, es wäre gar kein Vorwand. Ihr ging es tatsächlich nicht gut im Augenblick, auch wenn es besser war als gerade eben noch. Nur: es war normalerweise nicht ihre Art. In der Regel biss sie die Zähne zusammen und hielt einfach durch, welcher Anlass auch immer es gerade erforderte. Aber es war verlockend, so verlockend, wenigstens einmal nachzugeben, einmal sich nicht darum zu scheren, was andere denken könnten oder was erwartet wurde von ihr, sondern einfach zu tun, was sie wollte – was in diesem Fall hieß: zu gehen. Das Essen war ja noch nicht fertig, das hier war nur eine kurze Zwischenpause... aber sie hatte ja noch Zeit, sich zu entscheiden, Zeit, bis Faustus mit der Pinnia gesprochen hatte.
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So, die Eltern stehen fest:
Vater: Spurius Decimus Barrus
Mutter: Mescinia Mena -
„Ja, doch... auf jeden Fall.“ Ein Kribbeln lief durch ihren Körper, als nach und nach das Begreifen einsetzte. Ritter. Ganz egal, was das sonst noch bedeuten mochte, aber... Ritter. Sie. Das war... unglaublich. Für einen Augenblick huschte ein Lächeln über ihre Züge, und sie grinste ihren Bruder fast schon an. Er hatte Recht. Sie hatte das verdient, ganz egal wer ihr das verlieh.
Er fragte nicht nach, weswegen sie aneinander geraten waren, und Seiana erlaubte sich einen Anflug von Erleichterung. „Nein...“, antwortete sie dann mit einem Seufzen, und ihre Miene verfinsterte sich. „Noch nicht, heißt das“, fügte sie an. „Kommt auf ihr Verhalten an in der nächsten Zeit.“ Sie dachte an Seneca, und fragte sich, wie sie ihm das erklären sollte, wenn sie Axilla tatsächlich rauswarf. Aber je nachdem, wie die Iunia sich ihr gegenüber verhalten würde in Zukunft, würde Seiana nichts anderes übrig bleiben. Sie behielt nicht eine Frau als Mitarbeiterin in der Acta, noch dazu auf einer gehobenen Position, die sich ihr gegenüber dermaßen daneben benahm und danach nichts an ihrem Verhalten zu ändern gedachte. Nicht einmal Seneca konnte das von ihr verlangen. Allerdings hegte Seiana die Hoffnung, dass Seneca mit seiner Cousine geredet hatte, wie versprochen... und die Sache damit geklärt war. Sie wollte trotzdem selbst noch einmal mit der Iunia sprechen, aber wenn Seneca Erfolg gehabt hatte, dann war das im Grunde nur eine Angelegenheit pro forma.
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„Natürlich hab ich Recht“, klammerte Seiana sich an den Trotz. „Livianus' leibliche Kinder sind doch das beste Beispiel dafür, was es anrichtet, wenn Kinder nicht bei ihrer Familie aufwachsen.“ Einem Impuls folgend, überwand sie die kurze Distanz zu Faustus und umarmte ihn kurz, weil er da war, weil er zu ihr hielt, und weil er so wirkte als ob auch er gerade ein bisschen Nähe brauchen könnte. „Ich dachte auch, er wäre... anders“, sagte sie, bevor sie sich wieder von ihrem Bruder löste, als der davon sprach, zu gehen. Seiana presste die Lippen aufeinander, und sie wünschte sich, es gäbe irgendeinen Grund der erklärte, warum sie auch gehen musste, aber ihr wollte keiner einfallen. Sie rieb sich über die Stirn. „Ich weiß nicht, ich-“, setzte sie zu einer Antwort an und unterbrach sich gleich darauf. „Wollte sie? Stimmt...“ Da war was gewesen, Seiana war auch dabei gestanden. „Mh.“ Wenn Faustus einen Notfall in der Castra vorschützte, dann konnte er auch die Frau versetzen... aber Seiana brachte es nicht über sich, das vorzuschlagen. Sie wollte nicht, dass Faustus ging, der einzige Mensch, dessen Anwesenheit ihr den Abend nach diesem Zwischenfall erträglich machen konnte. „Du solltest dir vielleicht kurz anhören, was sie will. Wahrscheinlich ist es ohnehin nur ein Gefallen, den sie von dir möchte. Praefectus Praetorio.“ Seiana rang sich ein Lächeln ab.
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Ist in Ordnung. Eltern werden nachgereicht.