Beiträge von Decima Seiana

    „Ich bin auch nicht hier geboren. Oder aufgewachsen. Bis vor einigen Jahren war Rom ein fremdes Pflaster für mich.“ Sie sah ihn von der Seite und hob leicht die Schultern. „Auch dann kann man lernen, was hier erwartet wird... und sich einleben.“ Das Lächeln schien ihm so leicht von der Hand zu gehen, bemerkte sie... er tat es schon wieder. Und auch ihre Lippen verzogen sich erneut leicht als Reaktion darauf. „Ich bin überzeugt, wenn du es wirklich willst, wirst du auch das erreichen.“


    Bei dem, was er dann im Anschluss sagte, runzelte Seiana die Stirn. „Gewisser Ruf? Iunius, du entstammst einer der ältesten Gentes des Imperiums. Deine Vorfahren haben bei der Gründung der Republik mitgewirkt. Nicht viele Römer können das von sich behaupten. Gerade wenn viele in erster Linie das dunkle Kapitel deiner Familiengeschichte sehen mögen, ist das umso mehr ein Grund, dass du es nicht tun solltest“, antwortete sie ernst, bevor sich ihr Gesichtsausdruck bei seiner nächsten Antwort entspannte. „Es klingt nicht überheblich, keine Sorge. Ein gewisser Ehrgeiz ist gesund, finde ich. Erst recht, wenn du Ziele hast, die du erreichen willst.“

    Wie schon beim Bericht der Schola war es der tiberische Consular, der die Gelegenheit als erster ergriff, um Fragen zu stellen. Seiana nickte leicht. „Ja, die Acta finanziert sich ausschließlich aus Spenden“, wiederholte sie. „Die Aufwandsentschädigungen werden bei dem Finanzbericht nicht unter Gehälter aufgelistet. Die Höhe hängt, wie bereits erwähnt, auch von der Güte des Artikels ab... allerdings ist der Grundwert ein halber Sesterz pro Wort. Bei einem deutlich erhöhten Aufwand des Subauctors – beispielsweise Reise- und weitere Sachkosten, ausführliche Recherchen et cetera – wird dies durch einen zusätzlichen Bonus ausgeglichen.“

    Seiana hatte zwar einige Unterlagen mitgebracht, aber für momentan gestellten Fragen musste sie nicht nachsehen, um sie beantworten zu können. „Derzeit vier, die fest gelistet sind, was den Hauptbetrieb der Schola – das Durchführen von Grund- und weiterführenden Kursen – betrifft, mich eingeschlossen. Zwei davon bieten regelmäßig Kurse an. Die Aufwandsentschädigung wird nur nach einem tatsächlich gehaltenen Kurs gezahlt; derzeit beträgt sie 150 Sesterzen für den Grund- und 500 Sesterzen einen weiterführenden Kurs. Dazu kommt noch ein Betrag von 10 Sesterzen pro angemeldetem Schüler.“ Eine kleine Pause, ein kurzer Blick durch die Curia, bevor sie wieder den Consular ansah, der die Fragen gestellt hatte. „Die Schola hat vor allem in der Vergangenheit viele Spenden erhalten. Insbesondere Divus Iulianus hat sich mehr als einmal großzügig gegenüber der Schola gezeigt. Die Spenden gingen im Lauf der Zeit zurück, allerdings ist der Verkauf der Güter auch wenigstens teilweise als Spende der Bürger zu verstehen. Was in der Schola entstanden ist, wurde deutlich über dem üblichen Marktpreis angeboten und verkauft.“

    Zitat

    Original von Faustus Decimus Serapio
    ...


    „Ja“, murmelte Seiana. Ja, da hatte Faustus wohl Recht. Irgendeinen Vorwand hätten sie sicherlich gefunden, um der Gens Decima zu schaden, wer da auch immer nun dahinter steckte. Aber ihr Bruder machte mit seinem Kommentar auch ziemlich deutlich, wen er dahinter vermutete – Livianus hatte ja vor allem gegen einen Mann Stellung bezogen. Wenn also nicht der Vescularier direkt dahinter steckte, dann irgendjemand aus seinem Dunstkreis.
    Aber es war auch hinfällig, darüber zu grübeln. Seiana bezweifelte, dass sie wirklich herausfinden würden, wer das gewesen war. Und es war auch nicht so wichtig, denn es war der Praefectus Praetorio gewesen, der das Ganze genutzt hatte, der an ihr ein Exempel hatte statuieren wollen und dafür wohl auch etwas fingiert hätte. Aber der Mann hatte mit sich reden lassen... und Seiana sah mit Erleichterung, wie ihr Bruder reagierte auf ihre Ankündigung. Er war einverstanden, er fand es gut, und das machte es um so viel einfacher. Ganz davon abgesehen, dass er nicht mehr weiter fragte, wie der Besuch der Prätorianer gewesen war. Je weniger sie davon erzählen musste, desto geringer war die Chance, dass er vielleicht doch noch merkte, dass da mehr gewesen war... mehr als sie erzählen wollte.


    „Der-“, begann sie dann etwas zu dem Quintilius zu sagen, aber Faustus unterbrach sie mit einer weiteren Frage, und Seiana strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Er hat ja gesagt.“ Minerva sei Dank. Hätte er das nicht, säße sie jetzt vielleicht nicht hier, sondern Faustus müsste sie im Carcer besuchen. Was er allerdings nie erfahren durfte. Sie versuchte sich an einem Lächeln. „Er hält es auch für eine gute Idee, dass unsere Familien eine Verbindung eingehen.“ Sie griff nach ihrem Becher und trank etwas von dem Wein. „Mit dem Quintilius wird es keine Probleme geben. Er hatte mir geschrieben, dass er wohl noch länger Rom fern bleiben wird. Zu lange, um weiterhin eine Ehe anzupeilen, die wer weiß wann geschlossen wird. Ich hatte ihm noch in Rom klar gemacht, dass ich vorhabe hier zu bleiben... und dass ich nicht ewig warten werde, vielleicht hat er daran gedacht, als er seine Anfrage zurückgenommen hat. Das war noch bevor die Prätorianer gekommen sind, nur... ich hatte keine Gelegenheit mehr dir das zu schreiben.“ Sie rieb sich wieder über die Stirn, diesmal obwohl es keine Haare zurück zu streichen gab. Sie fühlte sich besser, besser als vorhin, wo sie alles zu überwältigen gedroht hatte, was sie sonst unterdrückte. Aber das hieß nicht, dass sie sich wirklich gut fühlte... vor allem war sie müde, auf eine Art, die wenig mit Schlafmangel zu tun hatte – obwohl auch der zunehmend an ihr nagte. „Ich gehe davon aus, dass der Praefect dich in den nächsten Tagen wird sprechen wollen, wegen der Verlobung.“



    Seiana blieb regungslos am Fenster stehen, als der Mann ihr Gemach verließ, starrte vor sich hin und verlor sich in Gedanken. Dieses Gespräch war... nun... kein Erfolg gewesen. Und für einen winzigen Augenblick fragte sie sich dann doch, ob das wohl ein Zeichen war, ein Zeichen, dass sie es lassen sollte... dass der Gedanke, der Wunsch nach Rache vielleicht doch kein so guter war. Das Sterben eines anderen Menschen... dies zu verantworten, mehr noch, dies in Auftrag zu geben, überhaupt erst ins Rollen zu bringen, wo es im normalen Lauf der Dinge noch weit entfernt gewesen wäre... Sie entstammte einer Familie voller Soldaten, die militärische Tradition wurde groß geschrieben bei ihr. Ihr Vater war im Kampf gefallen. Sie mochte selbst keinen Krieg, keinen Kampf miterlebt haben, aber sie wusste dennoch, was es hieß, so gut man dies in der Theorie wissen konnte. Sie war Realistin, niemand, der sich so etwas schön redete. Sie machte sich keine Illusionen über glorreiche Kämpfe – der Ruhm kam danach, aber Kampf selbst war schmutzig, davon war sie überzeugt, auch wenn sie noch nie einen erlebt hatte.


    Mehr noch als dies jedoch wusste sie, was Tod, was Sterben hieß – und das nicht nur in der Theorie. Sie hatte es bei ihrer Mutter gesehen, hatte es erlebt, hatte sie auf ihrem letzten Weg begleitet. Sie war bei ihr gewesen, als sie immer kränker und kränker geworden war. Sie hatte sie gepflegt, ihr vorgelesen, sie beschäftigt und ihr Gesellschaft geleistet. Sie hatte es ertragen, wenn ihre Mutter unleidlich geworden war aufgrund der zunehmenden Schmerzen. Sie hatte es ertragen, wenn sie unfair geworden war. Sie hatte sich parallel dazu um den Haushalt gekümmert, in dem es neben den Sklaven nur ihre Mutter, sie und einen ihrer Brüder gegeben hatte – der sich allerdings so gekonnt aus jeder Verantwortung herausgezogen hatte, dass er genauso gut auch physisch abwesend hätte sein können, so wie die anderen zwei. Sie dachte nicht gern an diese Zeit, aber in diesem Moment tat sie es, mehr noch, sie war gefangen im Strom ihrer Erinnerungen. Und dieser trug sie immer weiter. Trug sie weiter, bis zu den Momenten, die sie so massiv ausgeklammert hatte aus ihrem Bewusstsein, dass sie ihr Denken nicht mehr berühren konnten, dass sie nur wie eiternde Wunden tief am Grund ihrer Seele schwärten. Sie wusste, was Sterben hieß. Sie hatte es erlebt. Sie war da gewesen, nicht nur über den langen Verlauf der Krankheit ihrer Mutter hinweg, sondern auch in den letzten Wochen, die ihr geblieben waren. Sie hatte über sie gewacht, Stunde um Stunde um Stunde. Sie hatte ihre Hand gehalten, hatte an ihrem Bett gesessen. Hatte gesehen, wie der Körper immer schwächer geworden war, gehört, wie es ihr immer schwerer gefallen war zu atmen. Hatte gespürt, wie es ihr immer schwerer gefallen war zu leben. Sie war an die Grenzen ihrer Kraft gekommen und hatte sie überschritten in diesen Wochen, hatte sich kaum von der Seite ihrer Mutter gelöst, hatte sich an ihr Bett gefesselt gefühlt und war doch immer wieder an den Moment gekommen, an dem sie es nicht mehr ausgehalten hatte. An dem sie hinaus musste, an die frische Luft, an dem sie in den Himmel geschrien und die Götter verflucht hatte, weil sie den Schmerz anders nicht mehr hatte kanalisieren können. Sie hatte Bäume umarmt, weil sie Menschen nicht an sich hatte heranlassen können, keinen außer ihrer Mutter – und von ihr konnte sie keine Kraft bekommen, weil dies der eine Mensch war, für den sie ihre gesamte Kraft aufbrauchte. Und sie war wieder zurückgegangen, getrieben von Gewissen, Pflichtbewusstsein, Liebe und dem Gedanken: was, wenn es jetzt so weit ist. Hatte sich zugleich gewünscht, dass es endlich so weit wäre, dass ihre Mutter endlich starb, damit sie Frieden fand, aber auch, damit sie, Seiana, endlich wieder zur Ruhe finden konnte, endlich diesem Druck entrinnen konnte – und genau das wiederum hatte ihr ein nur noch schlechteres Gewissen verschafft, noch größeres Pflichtbewusstsein, noch größere Schuldgefühle. Weil sie gewusst hatte, dass sie sich den Tod ihrer Mutter aus den falschen Gründen wünschte, aus egoistischen Gründen. Und sie hatte sich wieder an das Bett ihrer Mutter gesetzt. Stunde um Stunde um Stunde. Um es auszuhalten. Das rasselnde Geräusch ihres Atems. Das gelegentliche Zucken des Körpers, der immer seltener wach wurde. Das Unverständnis in den trüben Augen, wenn der Körper doch wach wurde, die Unklarheit, das fehlende Erkennen, da ihre Mutter noch weit seltener den Zustand des wirklich Bewussten erreichte. Und die ganz profanen Dinge... Das Unvermögen, sich um sich selbst zu kümmern. Nicht mehr in der Lage zu sein, zu essen, zu trinken, sich zu waschen... die Körperfunktionen unter Kontrolle zu halten. Ihre Mutter, die immer so penibel gewesen war, so auf Reinlichkeit bedacht, so stolz gewesen war auf ihr selbst im Alter noch gutes Aussehen, und die so selbständig gewesen war, die sich um alles gekümmert hatte nach dem Tod ihres Mannes – die dankbar gewesen war um jede Hilfe, die sie von den Verwandten bekommen hatte, die sich aber dennoch alleine um vier Kinder gekümmert hatte, die es ihr alles andere als leicht gemacht hatten. Es war... so... schwer gewesen, diesen Menschen so hilflos zu sehen und dabei selbst so hilflos zu sein. So unfähig. So machtlos.


    Aber Seiana war zurückgekommen, jedes Mal, wenn es sie fortgejagt hatte. Um es auszuhalten, diesen Menschen vergehen, verwittern zu sehen, wie einen alten Baum, dessen Wurzeln nicht mehr genug Kraft aus dem Boden ziehen konnten, diesen Menschen, mit dem sie so viel verband, so viel Widersprüchliches – so viel Liebe, aber zugleich auch so viel Pflicht und Schuld und Verantwortung. Was das Aushalten nur umso schwerer machte, weil es ihr unmöglich war, selbst Frieden zu finden. Nicht einmal dann, als ihre Mutter ihn endlich fand.



    Seiana wusste, wusste nur allzu gut, was es hieß, einem Menschen beim Sterben zuzusehen. Sie wusste, was Sterben hieß. Langsames, qualvolles Sterben. Und genau das wollte sie für ihn. Egal ob dieser Wunsch nun verständlich war oder nicht, gerechtfertigt oder nicht, gut war oder nicht. Sie wollte, dass er starb, und sie wollte, dass er dabei litt.




    Natürlich kommst du durch.
    Durch diesen tobenden Sandsturm.
    Diesen metaphysischen, symbolischen Sandsturm.
    Doch auch wenn er metaphysisch und symbolisch ist,
    wird er dir wie mit tausend Rasierklingen das Fleisch aufschlitzen.
    Das Blut vieler Menschen wird fließen, auch dein eigenes.
    Warmes, rotes Blut.
    Du wirst dieses Blut mit beiden Händen auffangen.
    Es ist dein Blut und das der vielen.
    Und wenn der Sandsturm vorüber ist,
    wirst du kaum begreifen können,
    wie du ihn durchquert und überlebt hast.
    Du wirst auch nicht sicher sein,
    ob er wirklich vorüber ist.
    Nur eins ist sicher.
    Derjenige, der aus dem Sandsturm kommt,
    ist nicht mehr derjenige, der durch ihn hindurch gegangen ist.
    Darin liegt der Sinn eines Sandsturms.


    Aus: "Kafka am Strand" von Haruki Murakami


    Ich würd mich freuen, wenn Mattiacus sich mal wieder blicken lässt :) Ich wünsch dir alles Gute!

    „Ja“, antwortete Seiana mit einem vagen Lächeln. Sie machte eine Handbewegung zu einem Korbstuhl ihr gegenüber. „Komm her, setz dich. Nimm dir etwas zu trinken.“ Auf dem Tisch, an dem sie saß, standen Wein und Wasser und sowie Becher bereit, so dass Delon sich selbst würde einschenken können, was er wollte.


    Sie wartete, bis er sich gesetzt hatte, bevor sie weiter sprach. „Sicherlich hast du bereits einiges vom Haus gesehen und von den anderen Sklaven erfahren. Dennoch ein paar Hinweise von mir... Wenn du etwas brauchst, wende dich an den Maiordomus, oder an Raghnall. Du bist nun ein Sklave der Gens Decima, was heißt, dass du ein gewisses Bild repräsentierst, wenn Gäste dich hier sehen oder wenn du das Haus verlässt, mehr noch, wenn du mich begleitest. Die gute Kleidung, die du dafür brauchst, wirst du bekommen – von dir erwarte ich, dass du auf dein Äußeres achtest. Und selbstverständlich ein entsprechendes Verhalten. Als Leibwächter wird das hauptsächlich sein, dass du dich im Hintergrund hältst... Aber wenn der Händler die Wahrheit erzählt hast, hast du noch einige andere Talente, die zu schade sind um sie verkommen zu lassen.“ Sie machte eine kleine Pause und musterte Delon. „WIe ist deine Einschätzung? Hältst du dich für einen Leibwächter geeignet? Oder würdest du einen anderen Aufgabenbereich vorziehen?“

    Eine Weile breitete sich Schweigen aus, als Seiana die Antwort hörte. Eigentlich gab es nichts mehr zu überlegen danach – einzig die Tatsache, dass sie den Duccius kannte, wenn auch nur flüchtig, ließ sie noch einmal innehalten und überlegen. Überlegen, wie gut sie ihn tatsächlich kannte. Ob der Grad ihrer Bekanntschaft ausreichte, in einer solchen Sache blind zu vertrauen. Und sie kam zu dem Schluss, dass es nicht so war. Sie konnte an einer Hand abzählen, wie oft sie den Duccius getroffen und sich dabei tatsächlich mit ihm ein wenig unterhalten hatte. Dass sie vor Jahren einmal im Bett gelandet waren, änderte auch nichts daran, dass sie ihn kaum kannte, dass da nichts war, was ein solches Vertrauen gerechtfertigt hätte.


    „Nun...“ Ihre Stimme drückte Gleichgültigkeit aus, auch wenn sie innerlich nicht ganz so empfand. Wenn ihr dieses Gespräch eines zweifelsfrei klar gemacht hatte, dann dass sie tatsächlich wollte, dass der Sicinius bezahlte. Aber es gab mehr als einen Auftragsmörder in Rom, und mehr als einen guten. In ihrer Position sollte sich durchaus ein anderer finden lassen, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es tatsächlich üblich war, als Kunde – noch dazu als neuer Kunde – gänzlich in Vorleistung zu treten. Es würde nur länger dauern, sie würde noch warten müssen... Aber sie hatte lange genug gewartet, dass das nun auch nichts mehr ausmachte. „Dann kommen wir nicht zusammen“, wiederholte sie schlicht. „Vale, Cispius.“

    Die Begegnung, die Unterhaltung mit dem Iunius hing ihr immer noch im Kopf, trieb durch die Peripherie ihrer Gedanken – nicht wie ein Raubtier auf der Lauer, das jederzeit drohte zuzuschlagen, sondern mehr wie ein Paria, der zurück in die Gemeinschaft wollte, ohne es zu erreichen. Sie ließ nichts zu, was diesen Gedanken Raum geboten hätte sich zu entfalten. Der Iunius war auf sie zugekommen, hatte sie um einen Gefallen gebeten, hatte sie im Anschluss noch begleitet und sich mit ihr unterhalten, nachdem er sein Anliegen vorgebracht hatte. Daran war nichts Unübliches… nicht einmal daran, dass er seine Hilfe beim Training ihres neuen Leibwächters angeboten hatte. Und was unüblich gewesen war, für sie jedenfalls – wie leicht die Unterhaltung mit ihm geworden war –, verdrängte sie einfach.


    Ganz wegschieben konnte sie die Begegnung jedoch nicht, auch wenn ein Teil von ihr – der, der Distanz als Sicherheitsmaßnahme nutzte und zu schätzen wusste – das wollte. Sie hatte sich ja nicht nur mit dem Iunius unterhalten, sie hatte einen Sklaven gekauft, und obwohl sie sich sicher war, dass ihre Sklaven hier sich ausreichend um ihn gekümmert hatten, wollte sie dennoch gleich den ersten Tag nutzen, um mit ihm zu reden. Also ließ sie Delon in die Bibliothek rufen, wo sie gerade war und arbeitete.

    [Blockierte Grafik: http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png]


    Der Grund wurde gefährlicher, das spürte Raghnall. Der Schwarzrock glaubte ihm nicht so recht, jedenfalls nicht auf Anhieb – jetzt kam es darauf an, authentisch zu wirken. Er deutete ein Achselzucken an, und ein Lächeln flog über sein Gesicht, das schon wieder die Ansätze seines üblichen, schelmischen Grinsens zeigte. „Es ging mir nur darum, dass sie mich sehen. Falls die Decima nachfragt, ob ich auch gleich gekommen bin. Sie tut das manchmal, sie weiß, wie ich… bin. Aber bei der Acta interessiert das keinen, weil ich öfter mal was hol für sie.“ Raghnall zögerte einen Moment, tat so, als überlege er, gab sich dann aber einen Ruck und beugte sich leicht vor, als wolle er dem Schwarzrock ein Geheimnis verraten. Was er in gewisser Hinsicht auch tat, denn das, was er ihm nun erzählen würde, entsprach durchaus der Wahrheit – nur halt nicht in diesem konkreten Fall. Aber wenn er damit durchkam, war die Decima ihm was schuldig, dass er eine seiner Strategien hier einfach so verriet. „Weißt du, wenn man sich als Sklave ein bisschen Freizeit rausschlagen will, muss man geschickt vorgehen. Wenn die Decima mich losschickt mit einem Auftrag, erwartet sie mich irgendwann zurück. Logisch. Wenn ich zu lang brauch, stellt sie Fragen, oder sie schickt jemand anderen los, der schauen soll wo ich bleib. Aber ein bisschen Zeit hat man da – man kann ja immer mal aufgehalten werden. Nur, diesen Zeitraum muss ich dann halt auch nutzen. Hätte ich da gleich was gesagt, hätten die Acta-Leute mich nur mit Fragen aufgehalten, und danach wär das Risiko dann zu groß gewesen, um noch Freizeit für mich rauszuschlagen – wenn die Decima da dann jemanden geschickt hätte, hätte sie ja mitgekriegt, dass ich in der Acta war und schon wieder weg bin. So aber…“ Raghnall lehnte sich wieder zurück und grinste nun fast schon lausbubenhaft. „Sie haben mich gesehen, ich hatte meine Freizeit, und ich bin zu dem Zeitpunkt zurückgekommen, wo mir das Risiko dann eben zu groß wurde. Hätte sie da dann jemanden geschickt, hätte der mich dann in der Acta angetroffen. Da fragt gewöhnlich keiner mehr nach. Menschen sind da… recht einfach, die meisten. Wenn sie was sehen, was sie erwartet haben, dann gehen sie davon aus, dass da auch alles so ist wie erwartet. Und was euch angeht…“ Das Grinsen schwand, und sein Gesichtsausdruck nahm eine Mischung aus Betroffenheit und fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen an. „Ich dachte halt, wenn dann würdet ihr sofort kommen. Und da ihr noch nicht da wart… Und ich dachte auch nicht, dass das so wichtig ist. Ich mein, sie kennt mich, sie hätte nicht mich geschickt, sondern einen anderen, wenn ihr da mehr dran gelegen hätte.“ Noch etwas, was die Decima entlasten würde. Der Prätorianer konnte nicht wissen, wie das Verhältnis zwischen ihr und ihm aussah – wie sehr sie ihm vertraute, oder wie loyal er war. Der Mann kannte ihn nur als irgendeinen Haus- und Botensklaven, der eindeutig vorlauter war als gut war.





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Ohne nachzudenken erwiderte Seiana sein Lächeln. „Dann sollte es doch möglich sein, dass er uns mal besucht, wenn er nun in Misenum stationiert ist.“ Die Classis… nicht unbedingt ideal für einen Römer, es sei denn es war mit einer Beförderung verbunden, und davon hatte Faustus nichts gesagt. Aber vielleicht zählte ja die Tatsache, dass er Adjutant geworden war, schon als eine Art Beförderung, so gut kannte sie sich nicht aus. Und je mehr Faustus sagte, desto… ja, neugieriger wurde sie auf Massa. Hatte sie bisher noch nicht wirklich das Bedürfnis gehabt, ihn persönlich kennen zu lernen, war das spätestens jetzt der Fall, nachdem sie ihren Bruder von ihm reden hörte.


    Als sie ihm dann von den Prätorianern erzählte, als sie fertig war, herrschte zunächst Stille. Und obwohl es nur ein Augenblick war, dehnte er sich für Seiana beinahe unerträglich in die Länge. Und dann – brach das Unwetter los. Faustus begann zu schimpfen, sprang auf, gestikulierte, fluchte. Und Seiana wusste nicht, ob sie lachen oder heulen sollte vor Erleichterung. Sie hatte nicht wirklich mit Vorwürfen gerechnet, das nicht, aber das hier… seine Reaktion war so normal, so, so… so wie früher, dass ihr allein das schon half. Aber es änderte nichts an der Ernsthaftigkeit des Themas – und auch nichts daran, dass sie noch nicht fertig war. Und dass sie noch keine Ahnung hatte, wie sie weiter machen sollte, ohne zu viel zu verraten. Sie strich sich über die Stirn. „Wenn ich nicht Auctrix wäre…“ Sie brach ab. Es brachte nichts, über hättewärewenn zu reden. Sie war Auctrix – und mehr noch: sie würde Auctrix bleiben. Sie beobachtete Faustus, und beinahe verzogen sich ihre Lippen zu einem bitteren Lächeln. Die anständigste… Genau. Weil sie so furchtbar anständig war. Jetzt rieb sie sich über die Stirn, mit Druck. Immerhin das stimmte, dass sie staatstreu war. „Ich weiß nicht, wer oder was dahinter steckt, das haben sie mir nicht gesagt. Nur… die Acta bietet sich als Ziel an. Ich denke es gibt genug, die einen Grund haben könnten. Und die Prätorianer…“ Für einen winzigen Moment glaubte Seiana, an den Worten ersticken zu müssen, die die Garde und ihren Praefecten verteidigten, aber sie sprach sie dennoch aus: „…müssen solchen Hinweisen wohl nachgehen. Sie haben einiges von mir mitgenommen, aber gefunden haben sie nichts.“ Sie verdrängte jeden Gedanken an das Gespräch mit dem Terentius. Daran, wie er ihr gesagt hatte, dass es nicht um Schuld ging, dass er ein Exempel statuieren wollte, dass gerade sie sich eignen würde… und auch daran, dass es durchaus kritischere Acta-Unterlagen gab, die er immer noch in der Castra hatte. Seiana presste die Lippen aufeinander und machte einfach weiter, stürzte sich in die nächsten Worte. „Hör zu, Faustus, da… da ist noch mehr. Ich habe dem Praefectus Praetorio ein Bündnis vorgeschlagen. Besiegelt durch eine Ehe. Zwischen ihm und mir.“ Sie musterte ihren Bruder, aufmerksam, wollte sich keine noch so kleine Reaktion entgehen lassen. „Ich hab tagelang nicht gewusst, was Sache ist, und ich…“ Sie hatte Angst gehabt, aber das sprach sie nicht aus – obwohl man es in ihren Augen sehen konnte. „…ich will vermeiden, dass so etwas wieder passiert. Vor allem dass du oder die Familie so in Mitleidenschaft gezogen werden, nur weil ich Auctrix bin und mir Feinde mach. Diese Verbindung kann uns schützen, ganz davon abgesehen, was sie uns noch an Vorteilen bringt. … Und du hattest ihn auch schon vorgeschlagen. Du hattest geschrieben, dass du viel von ihm hältst.“ Seiana hatte zwar eine andere Seite an dem Terentius kennen gelernt, eine, die Faustus offenbar nicht kannte… und auch nicht kennen lernen würde, wenn es nach ihr ging. Ihr Bruder durfte keine Schwierigkeiten machen, was die Hochzeit anging, sonst war das Bündnis hinfällig und die Sicherheit auch, die der Praefect ihr gegeben hatte – und sie wollte auch nicht, dass Faustus sich Sorgen um sie machte. Aber umgekehrt galt das ja genauso. Faustus hatte den Terentius auf eine Art erlebt, die ihr unbekannt war, eine Art, dass er positiv von ihm beeindruckt gewesen war… und irgendwas musste das doch bedeuten. „Was denkst du?“

    Erneut warf sie ihm einen Blick zu, schnell und… überrascht. Er hatte sie beim Cognomen nennen wollen – selbst wenn der Anfang ihres Namens nicht eindeutig gewesen wäre, seine Verbesserung war es. „Ja…“ antwortete sie zögernd, unschlüssig, was sie davon halten sollte. Sie wahrte gegenüber Fremden – und auch gegenüber Bekannten – in der Regel immer kühle Distanz. Sie mochte Distanz. Sie fühlte sich sicher mit Distanz. Und bei diesem… diesem… nun ja, ein Versprecher war es nicht wirklich, aber Seiana fiel auch kein besseres Wort dafür ein. Bei diesem Versprecher des Iuniers also wurde ihr klar, dass sie im Lauf dieses Gesprächs ihre übliche kühle Distanz irgendwann… vernachlässigt hatte. Und das verunsicherte sie, mehr noch, da es ihr erst jetzt bewusst auffiel. Sie räusperte sich. „Ich denke, er hat genug Potential, dass sich der Kauf lohnt.“ Noch ein Blick zu ihm, als er eine Vergütung ablehnte. Er klang aufrichtig bei dem, was er sagte, so aufrichtig, dass sie gar nicht auf die Idee kam, ihm eine Bezahlung aufzudrängen. Und ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, fast schon gegen ihren Willen, flog erneut ein schwaches Lächeln über ihre Lippen. „Wenn du wirklich meinst. Ich danke dir“, antwortete sie, ohne noch mal auf das einzugehen, was ihn überhaupt erst zu ihr gebracht hatte.


    Einen Augenblick sah sie ihn noch an, dann wandte sie sich dem Händler zu, der zu verhandeln begann. Es dauerte nicht lang, bis sie sich auf einen – in ihren Augen durchaus angemessenen, wie der Händler es sah, wusste sie nicht – Preis geeinigt hatten, und sie hatte den Verdacht, dass die Anwesenheit des Iunius‘, und dass der Händler durch ihr Gespräch wusste, dass er Prätorianer war, einen Einfluss darauf gehabt hatte. Als sie mit den Verhandlungen fertig waren, meinte sie zum Händler: „Lass ihn zur Casa Decima bringen, einer meiner Sklaven wird dafür sorgen, dass du deine Bezahlung bekommst. Delon, ich werde mich später mit dir unterhalten. Lass dir in der Casa erst einmal alles zeigen, was du für den Anfang wissen musst.“ Sie nickte ihm zu und gab Raghnall ein Zeichen, den Händler und ihren neuen Sklaven zu begleiten, bevor sie sich wieder an den Iunius wandte. „Es ist wohl nur angebracht, dass du dich besser mit Waffen auskennst – und als Miles wirst du kaum versiert sein müssen, was die Gesellschaft angeht. Aber letztlich verhält es sich damit wie mit dem Umgang mit Waffen, denke ich. Ein gewisses Talent ist nötig, aber letztlich macht nur Übung den Meister.“ Und geübt hatte sie, lange Jahre, zunächst zwangsläufig, weil es sich gehörte für ein Mädchen, und weil ihre Mutter noch mehr erwartete, noch mehr verlangte… und dann, je älter sie wurde, mehr und mehr weil sie selbst so hohe Erwartungen an sich stellte. Sie verdrängte den Gedanken. „Möchtest du denn höher hinaus?“

    Für einen winzigen Augenblick senkten sich ihre Lider, als sie seine Zusage hörte. Der Sicinius würde bezahlen. Und dieses Wissen… löste ein merkwürdiges Gefühl in ihr aus. Sie fühlte sich nicht glücklich damit, noch nicht einmal wirklich zufrieden, aber sie spürte… Genugtuung. Und das bittersüße Gefühl, das Rache einem geben konnte.


    Der Moment des Innehaltens verging so schnell wie er gekommen war, und sie öffnete die Augen wieder und musterte ihn. Um ihre Lippen zuckte es abschätzend, und ihr Gesichtsausdruck wurde kühler. „Die Hälfte als Vorauszahlung“, erwiderte sie. Wenn sie seine Dienste schon öfter beansprucht hätte und um seine Zuverlässigkeit sicher wüsste, wäre das etwas anderes, aber er konnte nicht erwarten, dass sie ihm einfach so einen derartigen Vertrauensvorschuss gab. So gut kannte sie den Duccius bei weitem nicht, dass seine Empfehlung allein ausreichend wäre für sie – Tatsache war, sie kannte ihn so gut wie gar nicht. „Die andere Hälfte nachdem das erledigt ist.“

    Seiana hörte seine Worte, und wieder runzelte sie ein wenig unwillig die Stirn, als sie sich beinahe vorkam wie ein Kind, dem er etwas erklärte. Dass der Fall, den er schilderte, teurer war, war verständlich, auch ohne seine Erläuterung. Aber ihr war egal, ob jemand etwas mitbekam. Sie wollte, dass der Sicinius dafür bezahlte, was er getan hatte – dass er sie genommen hatte gegen ihren Willen, und dass er es irgendwie geschafft hatte damit, sie bis heute irgendwie zu beeinflussen. Einfach nur eine durchgeschnittene Kehle, das wäre… zu einfach gewesen, zu schnell. Er sollte keinen leichten Tod bekommen, er sollte leiden – aber sie meinte damit explizit ihn. Nicht sein Umfeld.


    Sie überlegte bereits, was sie davon wie sagen sollte, als der Mann weiter sprach… und den Preis relativierte. Und als er so auf den Duccius anspielte, erinnerte er sie zugleich auch daran, was überhaupt dazu geführt hatte, dass er hier war… Der Duccius hatte selbst Interesse an dieser Sache. Nicht an dem Sicinius, den sie im Blick hatte – aber seinem Vater. Ihm konnte gar nur daran gelegen sein, wenn das Ganze nicht ganz so stillschweigend über die Bühne gebracht wurde, wenn es… wie hatte der Mann vor ihr noch gesagt? … wenn das Leiden sich vermehrte wie Fäulnis in einem Obstkorb. Ihr war egal, was mit dem Vater oder dem Rest der Familie geschah, ob sie darunter leiden würden – wirklich leiden, und damit meinte sie nicht die Trauer über den Verlust eines Sohnes. Dem Duccius war das nicht egal, das hatte er deutlich gemacht, als sie auf dem decimischen Landgut gesprochen hatten.


    Seiana erwähnte davon nichts. Es ging ihn nichts an, und es war auch nicht wichtig für das, was er tun sollte. Sie nickte nur langsam. „Lass ihn leiden. Wie sehr das Umfeld betroffen ist, ist mir gleichgültig, aber er soll leiden.“


    Seiana lächelte flüchtig, als Faustus antwortete, und wieder war sie dankbar – diesmal dafür, dass er eine lockere Art an den Tag legte. „Na dann…“ lenkte sie ein. Es wäre ja gelogen zu behaupten, dass sie sich nicht darüber freute, dass er so schnell gekommen war.
    Dann allerdings schwand ihr Lächeln wieder. Seine Verletzung war scheinbar immer noch nicht ganz auskuriert, und das gefiel ihr nicht. „Wenn du hier etwas brauchst, sag einfach Bescheid. Von Iaret bekommst du alles, was du brauchst, und… vielleicht kann er dir ja helfen…“ Wobei sie da nicht so große Hoffnungen hatte, wenn das immer noch so war. Die Ärzte der Legion waren ja nun auch keine Anfänger oder Scharlatane. „Massa… ich muss ihm unbedingt noch mal schreiben und ihm danken, dass er dir so eine große Hilfe war. Was ist mit ihm, bleibt er in Aegyptus?“


    Als Faustus dann doch wieder auf das zu sprechen kam, was sie so gerne einfach weggedrängt und vergessen hatte, hatte sie das Bedürfnis, die Beine hochzuziehen, so wie früher, und sich an ihn anzulehnen. Sie unterdrückte es ebenso wie den zweiten Impuls: aufstehen und herumlaufen. Stattdessen blieb sie mehr oder weniger so sitzen, wie sie war, wich nur seinem Blick aus und starrte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, ruhig, viel ruhiger als sie sich fühlte. Sie wusste noch nicht einmal, wo sie anfangen sollte. „Die Prätorianer waren hier.“ Ohne darüber nachzudenken, fiel sie mit der Tür ins Haus. „Zweimal. Sie… Das erste Mal wollten sie nur ein paar Fragen stellen, es ging um Onkel Livianus… jedenfalls haben sie das behauptet. Ich hab ihnen nichts gesagt, nur dass er sich zurückgezogen hat, um das Leben zu genießen nach allem, was er für Rom geleistet hat.“ Sie zögerte kurz, und jetzt begannen ihre Finger, sich kurz zu verknoten, bevor sie sich darauf besann und sich zwang, sie ruhig zu halten. Dass ihre Stimme leiser wurde, dagegen konnte sie nichts tun. „Das zweite Mal haben sie das Haus durchsucht. Von oben bis unten, aber vor allem meine Räume und die, in denen ich mich viel aufhalte. Sogar der Praefectus Praetorio war dabei und hat mich befragt, während seine Leute hier waren, so hoch wurde das aufgehängt.“ Jetzt, endlich, sah sie auf, und obwohl ihr Gesicht einigermaßen ruhig war, stand in ihren Augen ein leicht gequälter Ausdruck. „Sie waren wegen mir hier, Faustus. Weil ich die Auctrix bin, und weil es irgendwelche Hinweise gab, gegen mich, gegen die Acta. Das… es tut mir so leid.“ Das letzte war fast geflüstert.

    Sie spürte, dass sein Blick immer noch auf ihr ruhte, als sie den ihren abwandte. „Ein ehemaliger Urbaner...“ Sie überlegte kurz. „Gute Idee.“ Das könnte in der Tat funktionieren. Faustus würde sicherlich auch jemanden empfehlen können von seinen alten Kameraden, und je nachdem... nun, er hatte vor sich ebenfalls einen Leibwächter zuzulegen, so weit sie wusste. Die beiden konnten dann durchaus zusammen trainieren. Zu dritt, wenn sie sich tatsächlich noch einen zweiten kaufte. Dann allerdings sagte der Iunius etwas, was Seiana wieder zu ihm sehen ließ. Er bot sich an, den Sklaven zu trainieren? Eine... Lösung der schwierigen Situation, wie er es so freundlich umschrieb, war ja bereits in Sicht, nur noch nicht offiziell bekannt – und Seiana war sich recht sicher, dass die eigentlichen Hintergründe auch nicht bekannt werden würden. Alles was die Prätorianer erfahren würden, war vermutlich, dass die Hinweise – zumindest die gegen ihre Person – nicht stichhaltig genug waren. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass sie den Terentius heiraten würde, konnte es nicht schaden, den ein oder anderen seiner Männer näher kennen zu lernen... selbst Kontakte in die Garde zu haben. Auch wenn der Iunius klar gemacht hatte, dass ihm seine Ehre viel zu wichtig war, als dass er das verraten würde, aber... allein jemanden besser zu kennen dort konnte schon von Vorteil sein. Dazu kam, dass sie den Umgang mit ihm angenehm fand... auch wenn sie sich das nicht wirklich eingestand. „Nun, wenn du möchtest... und deine Zeit es erlaubt, immerhin wird dich dein Dienst nicht wenig beanspruchen – dann würde ich dein Angebot gerne annehmen. Du würdest auch selbstverständlich dafür entlohnt werden.“

    Dieses Mal zeigte sich flüchtig so etwas wie unwillige Überraschung auf ihrem Gesicht, in dem Aufblitzen in ihren Augen, dem leichten Zusammenziehen der Augenbrauen. Nicht bei dem Grundpreis, den er nannte – aber sie war zum ersten Mal in so einer Situation, und sie vermutete, dass es keine gute Idee war, mit einem Auftragsmörder zu feilschen. Abgesehen davon hatte sie keine Ahnung, ob das angemessen war oder nicht, insofern hatte sie gar keine Grundlage dafür. Was ihr allerdings nicht ganz eingängig war, war der Fakt, dass... nun ja... simples Leidenlassen, bevor der Sicinius starb, den doppelten Preis rechtfertigte. „Und was genau macht es so viel teurer, wenn das nicht schmerzfrei abläuft?“

    Seiana musste sich beherrschen, um nicht die Lippen aufeinander zu pressen oder sonst ein deutlicher sichtbares Zeichen zu geben, wie wenig ihr gefiel, was sie hörte. Direkten Zugriff auf die Acta. Alles in ihr sträubte sich dagegen, dem Terentius etwas derartiges zu gewähren – aber sie war sich bei weitem nicht sicher, was passieren würde, wenn er das forderte. Sie konnte nur hoffen, dass es ihm reichte, mit ihr verheiratet zu sein... und so die Gewissheit zu haben, dass sie sich zurückhielt, dass sie keine Entscheidungen traf, die, nun ja... nicht in seinem Sinn waren.


    Aber Selbstbeherrschung war etwas, was sie – bis auf wenige Ausnahmen abgesehen – nahezu perfektioniert hatte, und so blieb sie weiterhin ruhig... wirkte nur vielleicht ein wenig kühler als zuvor. Und glücklicherweise lenkte der Terentius ziemlich erfolgreich von ihr ab. Mit einem Thema, das auch sie selbst sehr interessant fand... und von dem sie sonst sicher nichts mitbekommen hätte. Sie gab vor, nach unten zu sehen, in die Arena, die Gladiatoren zu mustern, dem Kampf zuzusehen, der nun begann... hörte aber dennoch aufmerksam zu.

    Damit sich die Angreifer nicht totlachen. Seiana musste tatsächlich schmunzeln, als sie das hörte, und als sie dem Blick Iunius' abermals begegnete, musste sie immer noch lächeln. „Das klingt nach einem verlockenden Anblick. Aber ich glaube, dafür wäre Raghnall dann doch besser geeignet...“ Seltsam, dass sie nun recht locker mit ihm scherzen konnte, obwohl er zu den Männern gehörte, die ihr Haus durchsucht hatten... und der nun von ihr auch noch einen Gefallen wollte. Aber Seiana hatte das Gefühl, dass es ihm ernst war, sehr ernst damit, seine Familie schützen zu wollen, und das war etwas, was sie sehr gut nachempfinden konnte. Mehr noch, was sie... in gewisser Hinsicht verband, ging es ihr doch ganz genauso.


    Während Seiana darauf wartete, dass der Sklave sich wieder anzog und der Händler ihre Frage beantwortete, löste sie ihren Blick von dem Iunius und ließ ihn kurz schweifen, bevor sie ihn auf Delon heftete. „Je nachdem was er für ihn haben will... Kannst du jemanden empfehlen für ein Training?“