Seiana musste lachen, als sie sah wie sehr ihr Bruder grinste. Ein Teil von ihr wünschte sich, selbst das Verhältnis zu ihrem Kind zu haben, das Faustus hatte... diese überschäumende Begeisterung zu spüren. Aber es machte sie glücklich, dass er sich so freute, und dass er die Kleine so gern hatte.
Die lockere, gelöste Stimmung verflüchtigte sich nahezu sofort, als Seiana ansprach, weswegen sie eigentlich hier war. Es tat ihr leid... sie hätte sich lieber erst mal weiter so mit ihm unterhalten, einfach Zeit mit ihm verbracht, seine Gesellschaft genossen. Aber sie hätte sich kaum darauf konzentrieren können... und sie wollte es hinter sich bringen. Gerade weil sie wusste, dass es schwierig werden würde, und Faustus enttäuschte sie dahingehend nicht. Sie holte tief Luft, als ihr Bruder sie bestürzt ansah und dann anfing zu reden. Befürchtet. Er hatte es befürchtet. Das Wort allein sagte schon alles. Seiana lehnte sich zurück und zwang sich, ruhig zu bleiben. Sich erst mal alles anzuhören, was Faustus zu sagen hatte, ihn nicht zu unterbrechen. Sie wollte hier keinen Streit vom Zaun brechen – sie stritten selten, aber wenn sie es taten, dann krachte es meistens richtig. Und das wollte sie wenn möglich vermeiden.
Ihr Bruder machte es ihr allerdings nicht gerade leicht, still zu bleiben und abzuwarten, bis er fertig war. Wie schon beim letzten Mal, als sie über Seneca geredet hatten, nahm er kein Blatt vor den Mund, und er sagte Dinge, die sie nicht in Ordnung fand. Mehr noch, er beleidigte ihn regelrecht. Er schimpfte vielleicht nicht, aber das änderte nichts daran, dass seine Worte einer Beleidigung gleich kamen.
Seiana musste mehr als einmal schlucken, und mehr als einmal sich auf die Zähne beißen, um sich daran zu hindern ihm nicht doch noch ins Wort zu fallen... aber es gelang ihr, still zu bleiben, bis zum Schluss, als Faustus auf den Duccius zu sprechen kam und sie schließlich bat, es nicht zu tun. Weil es die Familie zerreißen würde, angeblich. Spätestens bei diesen Worten verschloss sich ihre Miene. Bei allem, was sie für ihre Familie getan hatte, war es mehr als nur fair, dass sie nun etwas zurück bekam, fand sie. Mal ganz davon abgesehen, dass sie so ziemlich alles anders sah als ihr Bruder. „Da liegst du falsch, Faustus.“ Sie bemühte sich um Ruhe, bemühte sich darum, kontrolliert zu sprechen. Sich nicht aufzuregen, was sie am liebsten getan hätte. Sie sprach aber auch nicht an, dass er ihr eigentlich versprochen hatte, nicht mehr davon anzufangen, wenn er nur einmal Klartext reden durfte, und sie hat ihm da schon gesagt gehabt, dass sie nichts davon hören wollte. Stattdessen ging sie diesmal darauf ein. „Ich kann mich auf ihn verlassen. Das konnte ich immer. Und auch seine Männer konnten und können das. Du sagst, du hättest mal große Stücke auf ihn gehalten – warum hat sich das geändert? Weil du beleidigt bist, dass er später nicht zu dir kam? Wie viele Centuriones sind seitdem auf dich zugekommen, wie viele andere Menschen, und das bevor du wirklich rehabilitiert warst?“ Jetzt war der Moment gekommen, in dem es Seiana nicht mehr auf ihrem Stuhl hielt. Sie sprang nicht auf, so viel Beherrschung hatte sie, aber sie stand auf, und sie begann auf und ab zu laufen. „Was hättest du von ihm und dem Rest der Garde haben wollen, damals bei Vicetia? Wofür hätten sie sich deiner Meinung nach entscheiden sollen, als sie vor der Wahl standen sich abschlachten zu lassen oder aufzugeben? Glaubst du denn ernsthaft, er hätte sich diese Entscheidung so leicht gemacht? Noch dazu in einem Bürgerkrieg, wo es nicht gegen irgendwelche Barbaren ging, sondern gegen andere Römer? Hättest du wirklich deine Männer, alle deine Männer, blindlings in den sicheren Tod von Bruderhand geführt?“ Es gelang ihr immer weniger, so ruhig zu bleiben wie sie eigentlich wollte... dafür ging ihr das Thema zu nahe. Sie liebte Faustus, jahrelang war er ihr Fels in der Brandung gewesen, der einzige Mensch, dem sie vorbehaltlos vertraute. Genau deshalb tat es ihr so weh, dass er scheinbar nicht bereit war Seneca zu akzeptieren.
„Und was den Duccius angeht: ich weiß beim besten Willen nicht, was du hast. Ich wusste es schon damals nicht. Er hat uns geholfen, Faustus. Ich habe mit ihm eine Abmachung getroffen, und er hat seinen Teil eingehalten. Im Gegensatz zu uns, möchte ich anmerken, aber das ist etwas, für das ich die Verantwortung übernehmen muss, weil er sich auf mein Wort verlassen hat. Aber ist dir eigentlich klar, was für ein verdammt großes Glück du hast heute überhaupt hier zu sitzen? Dass du nicht zum Tod verurteilt worden bist? Noch nicht mal zum Exil? Oder dass ich so unbeschadet aus der Sache heraus gekommen bin, trotz der Dinge, die ich in der Acta veröffentlicht hatte? Das haben wir dem Duccius zu verdanken, der sich für uns eingesetzt hat zu einem Zeitpunkt, als sich keiner mit unserer Familie auch nur blicken lassen wollte in der Öffentlichkeit. Die Decimi hätten sich wieder aufgerappelt – aber wir, du und ich, wir nicht. Was genau daran ist denn nun so großes Leid? Und bevor du von Onkel Magnus' Kindern anfängst: ich habe zugestimmt, weil ich mir sicher war und bin, dass sowohl du als auch Livianus der Meinung seid, dass Kinder zu ihrer Mutter gehören. Livianus hat seine eigenen Kinder bei ihrer Mutter in Britannien gelassen. Ihr beide hättet ohne zu zögern ja gesagt, hätte Venusia einen von euch direkt gefragt. Und wage es jetzt ja nicht mir etwas anderes zu erzählen. Genau darum ging es doch bei Silana auch.“