Seiana war so versunken in die Notiz und vor allem die Gedanken daran, was sie bedeutete, und was es bedeutete endgültig Abschied davon zu nehmen, dass sie gar nicht bemerkte, wie jemand aus dem Haus trat. Als sie dann plötzlich eine Stimme hörte, zuckte sie flüchtig zusammen und sah überrascht, fast ein wenig erschrocken hoch – bis sie Avianus erkannte. Sie verzog ihre Mundwinkel zu einem Lächeln, bemüht, ein wenig herzlicher zu sein als üblicherweise, und erhob sich. „Salve“, grüßte sie zurück, und ließ den Namen weg... es wäre ihr seltsam vorgekommen, ihn einfach beim Cognomen zu nennen, weil sie ihn kaum kannte – zumal er ihren vollen Namen genutzt hatte. Aber ebenso wirkte es seltsam, so förmlich zu sein, angesichts der Hochzeit morgen, und angesichts der Tatsache, dass Seneca und sein Vetter sehr gut befreundet waren. Sie entschied sich daher dafür, ihm ihren Cognomen anzubieten – je nachdem wie er darauf reagierte, würde sie ja wissen, woran sie war. „Du kannst gerne Seiana sagen, wenn du willst. Du und“, sie wusste nicht so genau, was die junge Frau war, die Avianus mitgebracht hatte, also wählte sie eine neutrale Bezeichnung: „deine Begleiterin, habt ihr alles was ihr braucht? Benötigt ihr noch irgendetwas?“
Dann musste sie auflachen, kurz, aber ehrlich, als er von flüchten sprach, und ein Schmunzeln blieb auf ihrem Gesicht. „Ah, nein, die Gelegenheit werde ich sicher nicht nutzen. Im Gegenteil, ich bin schon dabei, mich auf das Opfer vorzubereiten.“ Sie hob das Stück Papyrus hoch – und realisierte nur einen Moment später, wie dumm das wirken musste. Ein simples Stück Papyrus für ein Opfer. „Es... es bedeutet mehr als das, wonach es aussieht“, fügte sie ein wenig verlegen an, bevor sie auf die Sitzgruppe neben sich wies. „Möchtest du dich setzen?“
Beiträge von Decima Seiana
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Seiana war frustriert, als Seneca antwortete. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er nicht wirklich begriff, um was es ihr ging. Er redete von der Umstellung, und obwohl er davon sprach nichts schönreden zu wollen, sprach er trotzdem von den Vorteilen, die es haben konnte. Nur: das interessierte sie im Moment weniger. Was sie störte war die Tatsache, dass sie so überrumpelt worden war. Sie war schon immer jemand gewesen, der es zu schätzen wusste, die Kontrolle zu haben. Was sie im Lauf ihres Lebens gemacht hatte, ihre Positionen, ihre Arbeit, hatten das nur verstärkt. Die Erlebnisse der letzten Jahre hingegen... hatten dazu geführt, dass sie Kontrolle brauchte. So sehr, dass sie mittlerweile das Gefühl hatte auseinander zu brechen, sollte sie je wirklich loslassen. Kontrolle war es gewesen, was ihr durch alles hindurch geholfen hatte, die lange Zeit, wo sie allein in Rom die Stellung für ihre Familie gehalten hatte, der Druck auf sie, auf die Acta, ihre Ehe, der Bürgerkrieg, die Zeit danach. Sie hatte sich im Lauf der Jahre ein Konstrukt aus Selbstbeherrschung gebaut, Stück für Stück mehr, das ihr Halt gegeben hatte, und jetzt hatte sie das Gefühl, ohne es nicht mehr leben zu können. Und deswegen hatte sie dieses Gefühl der völligen Überraschung, des in-der-Luft-Hängens beim Duccius, mit Wissen Senecas, mehr getroffen als es sowieso der Fall gewesen wäre.
Sie war sich nur nicht so sicher, ob Seneca überhaupt verstehen konnte, um was es ging, weil er nicht so war wie sie. Weil er nicht diese... diese Kontrollmanie hatte. Aber sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte, damit wenigstens die Chance bestand. Sie presste Momente lang die Zähne aufeinander, bevor sie Luft holte und beschloss, einfach gar nichts mehr dazu zu sagen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, das allerdings reichlich kurz ausfiel. „Ich will mit dir zusammen sein. Egal wo. Wir werden es uns in Germanien schon einrichten, wenn du versetzt wirst.“ Sie fuhr sich über die Stirn, so als ob sie sich eine Haarsträhne wegstreichen wollte, nur dass da keine war, die sich aus ihrer Frisur gelöst hätte. „Und das Angebot des Duccius klingt wirklich interessant.“
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Dieses Gefühl, etwas mehr durchatmen zu können, hielt an, auch als die Feier selbst begann. Seiana war erleichtert, dass es so war, erleichtert, dass ihr offenbar vor allem die Zeremonie selbst im Magen gelegen hatte. Die vielen Menschen waren zwar immer noch nichts, was dazu geführt hätte dass sie sich wirklich wohl fühlte, aber es ging. Erst recht, wo sie Seneca neben sich wusste, der jetzt auch ganz offiziell zu ihr gehörte, und sie zu ihm.
Sie musste schmunzeln, als sie seine Worte hörte. „Ich auch nicht“, erwiderte sie leise, und tatsächlich lag zwar auf ihrem Teller inzwischen etwas, aber sie hatte nichts davon angerührt. Sowieso dauerte es nicht lange, bis Seneca der Meinung war dass sie eine Runde drehen sollten, und Seiana erhob sich gemeinsam mit ihm und folgte ihm, hin zu ihrer Nichte. Ein freundliches Lächeln flog über ihr Gesicht, als auch sie sie begrüßte. „Camelia, schön, dass du kommen konntest.“ Sie warf Seneca einen schnellen Blick zu, und das Lächeln wurde für einen Moment ein wenig breiter. „Ja, eine bessere Wahl hätte ich nicht treffen können, nicht wahr?“ Sie blickte in den Holzschrein, als Camelia diesen Seneca geöffnet überreichte, und sah zwei edle Becher. Aber das war noch nicht alles. Von der Ankündigung ein wenig neugierig geworden musterte sie ihre Nichte erneut – und als diese dann anfing zu rezitieren, bewegte sich ihre Hand unwillkürlich zu Senecas und berührte sie. Als Camelia geendet hatte, fehlten ihr im ersten Moment die Worte, bevor sie dann schließlich doch etwas sagte: „Das... war wunderschön, Camelia...“ -
Seiana lehnte sich ein wenig zurück. Germanien, geisterte es immer noch durch ihren Kopf, und die Frage, warum ihr Seneca das nicht selbst gesagt hatte auch. Der Duccius schien in jedem Fall zufrieden zu sein mit ihrer ersten Reaktion, viel mehr hätte sie ihm aber auch nicht sagen können. Wenn Seneca tatsächlich versetzt wurde, würde sie mitkommen... und wenn sie mitkam, würde sie sich sicherlich überlegen, ob sie das Angebot des Duccius annahm. So sehr sie das zurückgezogene Leben in der letzten Zeit schlicht gebraucht hatte, sie wusste, dass das nicht immer so bleiben würde. Eine Aufgabe zu haben wäre sicher nicht schlecht.
Blieb die Frage danach, wann das überhaupt entschieden werden würde, die Seneca nun stellte. Darauf hatte der Consular leider keine befriedigende Antwort, auch wenn die Gründe verständlich waren. Und Seiana war schon zu lange aus dem gesellschaftlichen Leben Roms heraus, um einschätzen zu können, wie die Chancen standen, dass der Duccius als Legatus Augusti in seine Heimatprovinz würde gehen können. „Nun, du hast selbst gesagt, dass du dich genau darauf vorbereitet hast. Und es ist unzweifelhaft, dass wohl kein potentieller Kandidat die Provinz so gut kennt wie du, was dir zwar als Nachteil ausgelegt werden kann... aber eben auch als Vorteil.“ -
Seiana saß draußen, genoss die Abendluft und die Wärme. Hier, im Hortus hinter dem Landhäuschen, an einem schattigen Plätzchen ziemlich in der Nähe der rückwärtigen Tür, war es sehr gut auszuhalten, zumal es etwas frischer wurde, je mehr sich die Sonne dem Horizont näherte. Aber es war so oder so weit angenehmer hier, als es in Rom gewesen war, wie sie in den vergangenen Wochen festgestellt hatte. In der Stadt war es zu dieser Jahreszeit manchmal schwer auszuhalten.
Sie hatte eigentlich noch etwas zu tun. Die Hochzeit selbst, die morgen stattfinden würde – was sie immer noch nicht so recht glauben konnte –, war vorbereitet, darüber machte sie sich keine Gedanken, jedenfalls nicht was die Organisation betraf. Allerdings stand für sie noch das Opfer aus und ihre eigene Vorbereitung, und obwohl Seneca und sie bei der Planung der Feier bewusst die eine oder andere Tradition außer Acht gelassen hatten, war das Opfer der Braut am Vorabend doch eines, auf das Seiana nicht verzichten wollte. Sie wollte, dass diese Ehe gut wurde. Glücklich. Schon allein um seinetwillen, aber auch, weil sie es für sich selbst wollte. Und so wenig sie es nach wie vor glauben konnte, dass sie Seneca tatsächlich heiraten würde, dass sie zusammen sein konnten... so sehr ein Teil von ihr überzeugt war, dass sie ihn eigentlich gar nicht verdiente – es würde doch passieren. Morgen. Sie würde seine Frau werden. Und sie beide hatten nach allem ein bisschen Glück verdient.
Also würde sie das Opfer durchführen, und sie hatte es penibel – und eigenhändig – vorbereitet. Sie wollte, dass nichts schief ging. Sie wollte, dass die Götter Seneca und ihr gewogen waren. Und so hatte sie auch lange darüber nachgedacht, was sie opfern sollte. Sie war schon mal verheiratet gewesen, und davon abgesehen war sie zu alt, um noch irgendwelche Kindersachen zu haben. Sicher hätte sie einfach irgendwelche alten Sachen nehmen können... es ging ja darum, mit dem früheren Leben abzuschließen. Allerdings hatte sie sich für etwas anderes entschieden. Do, ut des – ich gebe, damit du gibst. Sie wollte, dass die Götter ihnen und ihrer Ehe gewogen waren, und sie wünschte sich das so sehr, dass sie sich nicht nur von etwas aus ihrem alten Leben trennen musste, sondern von etwas, was ihr entsprechend viel bedeutete. Und sie hatte nicht lange überlegen müssen dafür. In ihren Händen hielt sie die Notiz, die erste, die Seneca ihr damals hatte zukommen lassen, nachdem sie sich verliebt hatten. Die anderen hatte sie vernichtet, aber diese eine hatte sie aufgehoben, all die Jahre lang. Versonnen starrte sie darauf. Eigentlich wollte sie das Stück Papyrus nach wie vor nicht vernichten. Es war ein Symbol, für das, was Seneca und sie verband, für das was sie durchgemacht hatten, für ihre Liebe und deren Anfang. Aber gleichzeitig war es auch ein Symbol für das Versteckspiel, das sie hatten machen müssen. Für all das, was falsch gewesen war. Gerade deshalb war das hier wohl das Beste, was sie opfern konnte. Es verband die beiden Aspekte, die am wichtigsten waren: es gab nur wenig, was von höherer Bedeutung für sie gewesen wäre... und es war ein Zeichen aus ihrem alten Leben, mit dem sie abschloss. Abschließen konnte, endlich, jedenfalls was die Heimlichkeiten anging. -
Der Consular hatte ihn also darum gebeten – warum hatte er das denn getan, was für ein Interesse hatte der Mann daran, dass sie das von ihm erfuhr und nicht von Seneca? Und ja, natürlich, es war kaum Zeit gewesen davor. Trotzdem hätte er sie doch wenigstens vorwarnen können, so dass sie nicht völlig unvorbereitet vor dem Duccius stand, fand sie, und wenn es in jenen wenigen Minuten vor der Porta gewesen wäre, als sie auf Einlass gewartet hatten.
Sie blieb stehen, als Seneca sich setzte, und ging ein paar Schritte. „Du musst mir das nicht schmackhaft machen, Seneca! Wenn du versetzt wirst, komme ich mit, egal was dein Patron oder sonst jemand mir anbietet.“ Sie lehnte sich schließlich an den Tisch. Sie meinte, was sie sagte. Nach all den Jahren, dem Versteckspiel, den langen Phasen der Distanz zwischen ihnen, konnten sie endlich zusammen sein, da würde sie doch nicht gleich die nächste räumliche Trennung in Kauf nehmen. Natürlich würde sie mitkommen. Trotzdem war sie immer noch unwillig, weil der Grund für ihre Missstimmung ein anderer war. „Ich hätte das aber gerne vorher gewusst, um nicht ganz so unvorbereitet da zu stehen vor deinem Patron. Ich war völlig überrascht, allein das ist schon eine schlechte Voraussetzung für so ein Gespräch. Und ich weiß herzlich wenig über diese Provinz, so kann ich doch nicht über etwas reden, was damit zusammenhängt.“ Ihre Stimme war etwas erregter geworden, nicht so, dass man sie draußen gehört hätte, aber doch merklich – bei den nächsten Worten wurde sie allerdings wieder ruhig. „Und ich hätte es gerne von dir erfahren, dass wir womöglich nach Germanien ziehen.“ -
Seiana atmete leise, aber tief ein, während sie überlegte. Sie wollte nicht zurück ins Haus, und auch nicht in jenen Teil des Gartens zurück, der gut einsehbar war von dort. Das war ja das Charmante an dieser Ecke: dass sie abgeschieden war. „Ich danke dir“, antwortete sie also schließlich und setzte sich zu der Aelia. Reden, hatte diese gesagt. Seiana rieb sich flüchtig die Stirn. So wie ihre Worte formuliert waren, klang es so, als wüsste Vespa, dass etwas los war. War ihr das so leicht anzusehen, fragte Seiana sich einen Moment lang, aber sie spürte ja selbst, dass sie durch den Wind war. Es gab nur wenige Menschen, wenige Situationen, die diesen Effekt so stark auf sie hatten, dass sie es nicht verbergen konnte – aber Faustus gehörte dazu.
Trotzdem konnte sie nicht so einfach von den Schwierigkeiten anfangen. Sie brachte es nicht über sich. Sie stellte ihre Gefühle normalerweise nicht zur Schau, und es fiel ihr selbst mit engen Vertrauen schwer sie zu teilen... und obwohl sie die Aelia nun schon recht lange kannte, noch aus ihrer Zeit mit Aelius Archias, waren sie doch nicht unbedingt enge Vertraute. Aber wenn sie schon hier war, wollte sie auch nicht einfach nur schweigend da sitzen, und es gab ja ein Thema, über das sie Vespa sowieso selbst hätte informieren wollen. „Nun, eine Sache gibt es, weswegen ich ohnehin mit dir reden wollte. Ich werde bald heiraten... deinem Mann und meinem Bruder habe ich es schon erzählt, den Rest der Familie werde ich noch informieren.“ -
Seiana hatte flüchtig überlegt, wie es wohl wirken würde wenn sie mitkam – andererseits: sie waren verlobt. Und nachdem sie es nicht nur ihre Familien inzwischen wussten, sondern auch Senecas Patron, war das auch offiziell genug, dass sie sich in der Hinsicht wohl keine Gedanken mehr zu machen brauchte. Außerdem wollte sie mit ihm reden – seit sie nach Rom gekommen war, hatten sie nicht wirklich Gelegenheit dazu gehabt. Und nach der Ankündigung, die der Duccius gehabt hatte, gab es noch mehr Gesprächsbedarf als sowieso schon.
Sie folgte ihm durch die Tür in seine neue Bleibe, während sie ihre Sklaven hieß draußen zu warten, und obwohl sie froh war, dass sie weder die Casa seiner noch die ihrer Familie aufsuchen mussten, sprach allein das doch schon Bände, wie es bei ihm gelaufen sein musste. Aber das war zu erwarten gewesen, und mehr noch: das konnte bis später warten. Wichtiger war dann doch die Zukunft, die der Duccius und Seneca schon geplant... abgesprochen... angedacht hatten, oder wie auch immer, und das ohne dass sie vorher wenigstens informiert worden wäre. Sie machte zwar mit ihrer Familie genau dasselbe, was ihre Hochzeit anging – aber sie hasste es, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. „Was sollte das gerade?“ fragte sie ihn kontrolliert, als sie drinnen waren und die Tür geschlossen. „Dein Patron hat dir ein Kommando in Germania Superior angeboten, und ich erfahre das von ihm?“
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Seiana zog die Augenbrauen hoch. Einen Urbaner abstechen? Dann waren sie offenbar weiter davon entfernt, ihre Lektion gelernt zu haben, als sie geglaubt hätte. Immerhin waren es nicht sonderlich viele, sondern nur eine Gemeinschaft... aber auch das konnte sich ausbreiten, wenn es nicht eingedämmt wurde. „Ich glaube nicht, dass sie sich je einfügen werden, nicht nach allem was ich über diese Leute weiß.“ Und sie hatte durchaus einiges erfahren im Lauf ihrer Zeit als Auctrix. „Hartes Durchgreifen ist wohl das einzige, was da hilft. So lange sie wissen, wo ihr Platz ist, was sie sich erlauben können und vor allem was nicht, wird verstärktes Misstrauen, das sie hegen mögen, weniger das Problem sein.“
Sie sah zu Seneca bei seinem Kommentar. Flüchtig schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie bald mehr als genug Zeit haben würden, um sich solche Geschichten zu erzählen, und unwillkürlich musste sie lächeln dabei. „Wenn die Soldaten sich so leicht für mehrere Wochen zufrieden stellen lassen... umso besser“, erwiderte sie mit einem Schmunzeln, „da war es in der Acta schon schwieriger.“ Ihre Miene wurde dann ein wenig ernster, als es um ihren künftigen Wohnort ging, und Avianus nun auch die Probleme ansprach, die sie hatten. Für einen Moment starrte sie auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, bevor sie wieder aufsah. „Abstand zu bekommen ist sicher nicht das Schlechteste. Aber es ist nicht der Hauptgrund. Ich...“ Wieder sah sie zu Seneca, mit einem liebevollen Lächeln, das nur einen leisen Ansatz von Wehmut zeigte, weil sie zugleich auch an ihren Bruder denken musste. „Wir haben so lange gebraucht, um überhaupt an diesen Punkt zu kommen. Ich werde ganz sicher nicht hier bleiben, während er sonstwo seinen Dienst leistet.“
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Hochzeitstag. Als Seiana an diesem Morgen die Augen aufschlug, konnte sie es immer noch nicht ganz glauben. Und das Gefühl hielt sich, den ganzen bisherigen Tag hindurch, so sehr, dass sie zu vermuten begann sie könnte es vermutlich selbst in einem Jahr noch nicht glauben. Nach all der Zeit, nach allem, was passiert war, nach so vielen Zweifeln und dem festen Glauben, dass sie ihn nie würde haben können, nie wirklich. Und jetzt war es doch so weit. Trotz allem, was ihnen im Weg gestanden hatte... und teils immer noch im Weg stand, dessen war sie sich nur allzu sehr bewusst. Bis heute war sie sich nicht sicher, ob ihr Bruder zu der Feier kommen würde oder nicht, und einem Teil von ihr tat das weh, noch weit mehr, als sie sich eingestehen wollte.
Die Zeremonie selbst erlebte sie wie... wie im Nebel. Zum einen war da ihr Unglauben. Dann die Probleme, die nicht einfach verschwunden waren... Und zu guter Letzt: all die Leute. Die Organisation der Feier hatte sie zwar nahezu komplett an Bedienstete abgeben und daher nicht übermäßig viel Arbeit damit gehabt – Seneca und sie hatten die grobe Planung besprochen, die Eckpunkte, alles andere hatte sie andere machen lassen. Es war ihr nicht so wichtig, was nun wo wie genau war, so lange alles den Ansprüchen genügen würde, die die Gäste voraussichtlich stellen würden. Und es waren auch nicht im eigentlichen Sinn viele Gäste... sie hatten ja nur die engsten Verwandten und Freunde eingeladen. Aber wie bereits in Rom, zur Verlobungsfeier ihres Bruders, stellte sie fest, dass ihr Unwohlsein, wenn sie sich unter vielen Menschen aufhalten musste, in der Zeit, in der sie so zurückgezogen gelebt hatte, eher schlimmer als besser geworden war. Und dass sie im Mittelpunkt stand, trug auch nicht dazu bei dass sie sich wohler fühlte.
Und doch... das hier... das war einfach richtig. Trotz alledem – tief darunter fühlte es sich richtig an. Das war von Anfang an so gewesen, seit sie sich wirklich kennen gelernt hatten. Das war der Grund, warum sie in all den Jahren nie hatte von ihm lassen können, egal wie ungünstig die Zeiten auch gewesen sein mochten. Sie bemühte sich auf die Gäste einfach gar nicht zu achten, das Wissen zu ignorieren, dass sie da waren, versuchte alles auszublenden außer Seneca. Diese Zeremonie. Diese eine Zeremonie, dieser eine Tag, und dann würde das beginnen, was sie eigentlich wollte, weswegen sie eigentlich ja gesagt hatte. Und als Aelia Vespa, die ihre Brautführerin war – nachdem sie ohnehin nicht alle Traditionen beachteten, war auch diese nicht so wichtig, dass die Pronuba eigentlich in erster Ehe verheiratet sein sollte –, ihre Hand in Senecas legte, als sie beide ihr Einverständnis gaben, schlossen sich ihre Finger um seine, und zum ersten Mal an diesem Tag, zum ersten Mal seit mehreren Tagen eigentlich, hatte sie das Gefühl, aufatmen zu können. Sie hatte nicht geahnt, wie sehr ein Teil von ihr trotzdem noch befürchtet hatte, es könnte irgendetwas dazwischen kommen, bis es zu spät war dafür.Der anschließenden Feier sah Seiana dann schon gelassener entgegen. Nicht dass sich etwas an den Umständen geändert hätte, aber die Zeremonie und damit der wesentliche Teil war vorbei. Sie lächelte vage, als Seneca eine kurze Rede hielt, und trank dann ebenso wie er einen Schluck – sie hatte ganz sicher nicht vor, jetzt selbst noch ein paar Worte zu sagen, schon gar nicht wo er das so hervorragend gemacht hatte. Stattdessen bekamen die Bediensteten nur ein unauffälliges Zeichen, dass sie jetzt servieren konnten, und schon bald füllten sich die Tische.
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Zwei Gespräche, jedes auf seine Art anstrengend, schon allein dadurch, dass sie zuvor so nervös gewesen war. Seiana fühlte sich merkwürdig ausgelaugt, als sie Faustus' Zimmer verließ... und sie wusste auch nicht recht wohin oder was tun. Letzten Endes gelangte sie schließlich in den Garten, und da sie das Gefühl hatte, die frische Luft tat ihr gut, blieb sie, ging langsam zu einer Sitzgruppe, die sich weiter hinten befand. Dort allerdings saß bereits jemand – und Seiana blieb stehen, einen Moment unschlüssig. Sie wollte nicht zurück ins Haus. Allerdings wollte sie auch nicht unbedingt Gesellschaft.
Sie zögerte einen Augenblick zu lange. Aelia Vespa saß dort, konnte sie nun erkennen, und diese sah hoch, gerade in dem Moment, in dem Seiana sich umdrehen und unbemerkt wieder gehen wollte. Was jetzt natürlich nicht mehr ging, jedenfalls nicht ohne wenigstens kurz etwas zu sagen. „Verzeih bitte, ich wollte dich nicht stören. Ich wollte nur... etwas aus dem Haus heraus.“ Sie war immer noch ein bisschen durch den Wind, sie merkte es, auch daran, dass ihr die Wahrheit über die Lippen kam, statt einfachem, höflichem, nichtssagendem Geplänkel. -
Zitat
Original von Borkan
Seiana lächelte, als Borkan sie begrüßte. „Oh, ich hoffe dann du wirst nicht enttäuscht sein von mir.“ Außergewöhnlich. Das konnte man so oder so verstehen, auch wenn sie wusste, dass es in diesem Fall als Kompliment gemeint war. „Er wirkt glücklich“, dank dir, dachte sie, aber das sprach sie nicht laut aus, nicht hier, „das bedeutet mir viel.“ Sie ließ ihren Blick über die Gäste schweifen – Faustus war irgendwo abhanden gekommen – und bewegte sich unauffällig so, dass sie ein bisschen mehr an den Rand kam, wo mehr Platz war. „Ja, das meinte Faustus auch schon“, erwiderte Seiana dann, als Borkan auf die Quintilia zu sprechen kam. Sie zögerte einen Moment, dann fragte sie leise: „Weiß sie Bescheid?“
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Wäre es nicht sowieso schon klar gewesen, spätestens Senecas Blick hätte es bestätigt: er hatte Bescheid gewusst. Und aus irgendeinem Grund nichts gesagt zu ihr. Aber was es damit auf sich hatte, konnte sie ihn später fragen, nicht hier, vor dem Duccius. Und sie sagte auch nichts weiter zum Abstand – den sie wohl wirklich würden brauchen können, aber das stand auf einem anderen Blatt.
Allerdings: sie hatte immer noch daran zu knabbern, dass es hier um Germanien ging. Und gar nicht mal sehr um das Angebot, dass der Duccius ihr machte, sondern unabhängig davon. Egal ob sie annahm oder nicht – wenn Seneca diesen Posten bekam, und er ihn annahm... das hieß, dass es nach Germanien ging. In den Norden, in eine Grenzprovinz. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, und sie wünschte sich wirklich, wirklich, wirklich, sie hätte Zeit gehabt sich darauf vorzubereiten, Zeit, sich Gedanken zu machen, Zeit... einfach Zeit. Um sich an den Gedanken zu gewöhnen, damit sie nicht so dermaßen überrumpelt war.
Sie konnte das nicht so schnell – nicht so schnell überwinden, und schon gar nicht so schnell entscheiden. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, was der Consular erzählte. Es wäre eine Herausforderung, so viel war bereits nach wenigen Worten klar. Das war es letztlich auch, was sie sagte, weil ihr wenig anderes einfiel im Moment: „Das klingt nach einer interessanten Herausforderung, Consular.“ Sie setzte ein vorsichtiges Lächeln auf. „Ich werde darüber nachdenken... Wenn mein Verlobter tatsächlich versetzt wird, könnte ich mir eine solche Aufgabe aber vorstellen.“ -
Avianus freute sich offenbar über das Angebot, und Seiana nickte zu Senecas Worten. Sein Verwandter konnte wegen ihr gerne auch etwas länger bleiben, auch wenn sie wusste, dass es vom Dienst her wohl schlecht einzurichten war. Aber wenigstens zur Hochzeit, und vielleicht einen Abend, eine Nacht bis zum nächsten Tag... Seneca hatte zwar gesagt, dass Avianus sein bester Freund war, aber die beiden so zusammen zu erleben, zu sehen wie vertraut sie miteinander umgingen, zeigte ihr mehr als Worte, dass es tatsächlich so war. Dass er zur Hochzeit kommen würde, freute sie, allein weil es Seneca viel bedeuten würde.
„Christianer?“ hakte sie ein, als Avianus ein bisschen aus seinem Alltag erzählte. „Ich dachte die hätten ihre Lektion irgendwann mal gelernt. Machen sie viel Ärger?“
Langweiliger Familienvater. Seiana musste lächeln, als sie das hörte, und erst recht bei Senecas Reaktion. „Warten wir's ab, wie langweilig du wirst. Wenn du Glück hast, halten dich deine Soldaten genug auf Trab... wenn die dich auch irgendwann für langweilig halten, bekommst du Probleme.“ Das Thema Familie versuchte sie zu umschiffen. Sie wollte Seneca. Sie war sich nicht so sicher, ob sie eine Familie wollte. Natürlich wusste sie, dass das eine mit dem anderen einher ging, nur... sie erinnerte sich noch an die erste Schwangerschaft, daran wie unwohl sie sich damit gefühlt hatte, dass etwas... Fremdes in ihr heranwuchs und einfach so die Kontrolle über sie, über ihren Körper übernahm. Sie erinnerte sich an die Geburt. Und sie erinnerte sich an die Zeit danach, an das Loch, in das sie gefallen war, an ihre Unfähigkeit, ihr eigenes Kind auch nur anzusehen, geschweige denn anzufassen, an die Unsicherheit, die sie empfunden hatte, und die sich im Grunde noch bis heute zeigte im Verhältnis zu ihrer Tochter. Sie wusste, dass Seneca Kinder haben wollen würde – wie er schon sagte: der Wunsch nach einer Familie war ja eigentlich normal. Und sie würde dem ganz sicher nicht entgegen stehen. Ihr war es nur lieber nicht allzu sehr über dieses Thema nachdenken zu müssen, so lange es noch nicht akut war, jedenfalls.
Avianus hatte dankenswerterweise noch ein Thema angeschnitten, auf das Seiana gerne einging. „Was mich angeht...“ Sie warf Seneca einen fragenden Blick zu – hatte er schon von dem Angebot seines Patrons erzählt? Nachdem sie das nicht wusste, beschloss sie erst mal auf Hinweise darauf zu verzichten, zumal die Fürsprache des Duccius noch nicht mit Sicherheit hieß, dass Seneca den Posten auch bekam. „Die Ruhe in den letzten Jahren hat mir gut getan, aber ich denke nicht, dass es dauerhaft so bleiben wird. Trotzdem: erst mal die Hochzeit, und der Umzug nach Mantua. Dann werde ich weiter sehen, was sich ergibt. Meine Betriebe könnten es vielleicht mal wieder vertragen, dass ich mich mehr mit ihnen beschäftige...“ -
Es gefiel ihm nicht, was sie ihm sagte. Seiana konnte es sehen, konnte es spüren, beinahe sofort. Faustus' Miene schien zu erstarren, und von einem Moment auf den anderen strahlte er eine Kälte aus, die sie so von ihm nicht kannte. Reglos sah sie ihm dabei zu, wie er aufstand, wie er sich zurückzog, wie er zu dem Schrein in seinem Zimmer ging und etwas entzündete. Und dann, als er endlich zu antworten begann, holte Seiana tief Luft. Sie hatte es befürchtet, hatte es geahnt, dass er so reagieren würde. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte war: dass er von der Sache mit dem Aelier anfing. Und dass er beleidigend wurde. Verlierst jedes Maß. Stürmst. Wie gereiztes Panzernashorn, echote es in ihrem Kopf. Er warf ihr vor, ihn von sich zu stoßen. Ausgerechnet ihn. Sie hatte immer zu ihm gehalten. Hatte immer hinter ihm gestanden. Sie hatte sogar in der Acta veröffentlicht, was er veröffentlicht haben wollte, obwohl sie es am liebsten nicht getan hätte, obwohl ihr jeder Instinkt geraten hatte, das nicht zu tun, sich zurückzuhalten, abzuwarten. Sie hatte es getan, für ihn. Und als der Krieg vorbei gewesen war, hatte sie alles versucht, was in ihrer Macht stand, um ihn zu retten – und hatte dann, als er endlich wieder hier in der Casa gewesen war, fiebernd und halb bewusstlos, Tage um Tage an seinem Bett verbracht. Nur um anschließend, als er wieder aufgewacht war, von ihm weggestoßen, seines Zimmers verwiesen zu werden, weil sie es gewagt hatte ihm zu sagen, wie die Realität aussah – und dass sie sich an die Realität angepasst hatte, so wie sie es schon immer getan hatte. Aber er tat das nicht. So lang sie sich erinnern konnte, hatte er ein Problem damit gehabt, etwas anderes zu tun als seinen eigenen Kopf durchzusetzen. Es war wie damals, als sie noch Jugendliche waren, und als er unbedingt fort gewollt hatte, so sehr, dass er schließlich nach einem Riesenstreit mit ihrer Mutter und ihr davon gelaufen war... So weit er es auch gebracht haben mochte in seinem Leben, aber das hatte sich nicht geändert.
Als sie sprach, klang ihre Stimme tonlos. „Du warst doch gar nicht dabei. Du weißt nicht, was passiert ist. Du weißt nicht, wie lange er selbst gefangen war, oder ob er beim Sturm auf Rom dabei war.“ Und genau das war Seneca eben nicht gewesen. Er hatte ihr erzählt, was geschehen war, von seiner Gefangenschaft, und hatte ihr auch davon erzählt, wie und wann er übergelaufen war. Fliegende Fahnen? Rom geschändet? Faustus hatte ja keine Ahnung. Seneca mochte übergelaufen sein, aber erst, als Rom schon gefallen war. Als es vorbei war. Und danach waren die allermeisten irgendwann, irgendwie übergelaufen. Es gab zahlreiche Soldaten, die danach in den normalen Dienst wieder eingegliedert worden waren, schon allein weil die Truppen es sich nicht hatten leisten können, sich selbst noch mehr auszubluten als sie es sowieso schon waren nach dem Bürgerkrieg. Viele von ihnen waren bis heute am Leben und taten ihren Dienst.
„Flavius Gracchus? Ausgerechnet du wagst es ausgerechnet ihn zu erwähnen?“ erwiderte sie. Sie presste kurz die Lippen aufeinander, schüttelte dann den Kopf und schluckte herunter, was ihr noch auf den Lippen lag. Es brachte nichts ihn jetzt darauf anzusprechen, warum er, mit all seinem Gerede von Ehre und Treue und Loyalität ausgerechnet positiv von dem Flavier sprach, der bis zum Hals in der Verschwörung damals involviert gewesen war. „Fakt ist, dass der Duccius uns genauso geholfen hat. Fakt ist, dass er sogar einen der unseren als Tiro genommen hat. Fakt ist, dass ich mich nur an einziges Mal erinnern kann, bei dem er uns, genauer gesagt Livianus, angegangen ist – dafür hat er sich entschuldigt. Mehr noch, Onkel Livianus hat die Entschuldigung angenommen. Beide haben gemeinsam ein Opfer dargebracht, um die Aussöhnung zu feiern.“ Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, woher ihr Bruder diese Anschuldigungen gegen den Duccius nahm. Sicher, ihr war bewusst, dass der Mann mit Vorsicht zu genießen war, aber welcher Politiker war das nicht? Sie würde keinem von ihnen vorbehaltlos trauen, würde immer mit einer gewissen Vorsicht heran gehen. „Ich sehe keinen Grund zu versuchen, Seneca zu überreden sich einen anderen Patron zu suchen. Ganz davon abgesehen, dass ich ihm das nicht vorschreiben kann.“ -
„Mein Vater war auch Soldat. Er hat früher immer Geschichten vom Dienst erzählt, wenn er zu Hause war.“ Seiana lächelte bei der Erinnerung daran, aber als sie daran denken musste, dass Jahre später Faustus ihr Geschichten erzählt hatte, verblasste ihr Lächeln ein wenig. Aber sie verdrängte den Gedanken daran. Sie wollte nicht melancholisch werden oder ins Grübeln geraten, was passieren würde, wenn sie zu lange über ihren Bruder nachdachte. Die Atmosphäre war sowieso noch etwas steif, und Avianus hätte nicht ahnen können, warum ihre Stimmung kippte. Auch Seneca nicht... sie würde ihm noch erzählen müssen, wie Faustus reagiert hatte. „Ich werde dich beim Wort nehmen“, sagte sie noch, sich auf das Hier und Jetzt konzentrierend statt an ihren Bruder zu denken.
Als Seneca davon sprach, der Centurio könne seine Arbeit auch mitnehmen, zog Seiana flüchtig eine Augenbraue hoch. Sie wusste nicht genau, wie viel Verwaltungsarbeit ein Centurio hatte, aber sie fand es fraglich, ob es so viel Sinn machte das mitzunehmen. Allerdings schloss sie sich Senecas Worten dazu mit einem Nicken an, bevor sie murmelnd – und eher an sich gewandt als an ihn – seinen letzten Satz kommentierte: „Morgen wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee...“, murmelte sie. Im Gegensatz zu ihm klangen ihre Worte nicht wirklich nach einem Scherz. Stattdessen lag ein Seufzen in ihrer Stimme, bevor sie sich ein weiteres Mal dazu zwang, trübselige Gedanken zu vertreiben. „Oder auch nicht. Ein bisschen Vorbereitung kann nie schaden“, fügte sie mit einem leicht gezwungenen Lächeln hinzu und meinte zu Avianus: „Du kannst gerne auch spontan entscheiden, ob du länger bleiben möchtest, sofern dir das möglich ist, was deinen Dienst angeht. Im Zweifel gibt es auch noch auf dem Nachbarlandgut Platz für Übernachtungsgäste. Es ist zwar kleiner und eignet sich für die Feier weniger...“ Auch weil dort Silana war, und Seiana wollte vermeiden, dass jemand auf sie traf. Außer Faustus wusste niemand von der Kleinen, glaubte sie jedenfalls, und sie wollte das vorerst so belassen. Und bei ihren Verwandten würden Fragen aufkommen, wer das Mädchen wohl war. Avianus aber dort übernachten zu lassen, würde wohl kein Problem sein. „... aber ein paar wenige Gäste können auch dort übernachten. Und es ist etwas gemütlicher dort.“
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Das Stirnrunzeln blieb. Seneca legte einen Optimismus an den Tag, den sie nicht teilen konnte, und der Duccius wirkte zunächst ungläubig – und begann nach einem Moment zu lachen. Chuzpe... so konnte man es auch nennen. Seiana fuhr sich kurz über den Mund und nickte. „Ja. Das wird es wohl“, erwiderte sie verschlossen. Der Duccius hatte ja keine Ahnung, wie schwer die Zeiten werden würden, und vermutlich ahnte er noch weniger, dass er ein Teil des Problems war. Oder vielleicht ahnte er das doch... sie wusste nicht, ob er in letzter Zeit auf ihren Bruder getroffen war, und sie hatte auch nicht vor ihn das zu fragen, aber ganz so unwahrscheinlich war das auch nicht.
Sie vertieften das Thema allerdings nicht weiter, was Seiana nur Recht war. Viel mehr als das hätte sie ohnehin nicht sagen wollen dazu. Was der Duccius dann allerdings auftischte, war... unerwartet. Mehr als das. Seianas Brauen wanderten nach oben, und sie konnte nicht verhindern, dass man ihr ihre Überraschung ansehen konnte, im ersten Moment vermutlich sogar ziemlich deutlich. Germania. Ein mögliches Kommando für Seneca dort, was der offenbar schon wusste, ohne es ihr bisher gesagt zu haben – sie warf ihm einen flüchtigen Blick mit noch weiter hochgezogener, einzelner Augenbraue zu, als ihr klar wurde, dass die Worte des Duccius letztlich nichts anderes bedeuteten als das. Mit den überraschenden Neuigkeiten ging es allerdings noch weiter, und Seiana sah wieder den Consular an. Und schwieg für ein paar weitere Momente, auch als er schon geendet hatte, während sie sich bemühte ihre Überraschung zu überwinden. „Es schmeichelt mir, dass du dabei an mich denkst. Aber was genau kann ich mir darunter vorstellen?“ hörte sie sich schließlich sagen. Irgendwie musste sie reagieren, und in dieser Situation konnte sie nicht erst mal Seneca fragen, was es damit überhaupt auf sich hatte. „Ich habe mich mit der Situation in Germania Superior bisher kaum befasst und habe nicht wirklich ein Bild davon, wie diese Bereiche dort bisher gefördert wurden.“ Germanien. Sie verkniff sich einen weiteren Blick in Senecas Richtung. Unabhängig davon, was der Duccius ihr da gerade anbot – wenn Seneca dort tatsächlich ein Kommando bekam, wenn er es annahm, wenn... Germanien.
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Zu der Sache mit ihrem Bruder sagte er nichts weiter, aber es gab auch nicht mehr wirklich viel, was er oder sie hätten sagen können. Sie mussten erst mal mit ihren Familien reden... danach würden sie weiter sehen können.
Und auch auf ihre Worte, dass er mit ihr reden könne, über Probleme, über was auch immer, ging er zunächst nicht ein, so dass Seiana annahm, dass er nicht darüber reden wollte. Was völlig in Ordnung war, auch sie hatte Dinge, die sie nicht unbedingt teilen wollte, auch mit ihm nicht. Dann allerdings fing er doch an zu reden, und er nahm ihr Angebot nicht einfach nur an, sondern sprach jetzt darüber. Umriss, wenn auch sicherlich nur sehr grob, was ihn umtrieb.
„Seneca“, wisperte sie betroffen. „Es tut mir so leid...“ Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Bei solchen Schilderungen, jedenfalls wenn sie von jemandem kamen, der ihr nahe stand, fühlte sie sich immer hilflos... Vermutlich gab es keine Worte, die ihm hätten helfen können, aber sie war es nicht gewohnt, so gar keine zu finden, und sie mochte das Gefühl nicht. Trotzdem schwieg sie lieber, als einfach irgendetwas zu sagen, irgendwelche Floskeln, die auch nicht helfen würden. Stattdessen griff sie nach seiner Hand und drückte leicht zu, versuchte, wenn ihr schon nicht die rechten Worte einfallen wollten, ihm wenigstens zu zeigen dass sie da war. Ihm zu vermitteln, dass er auf sie zählen konnte. „Nein. Dir muss nicht leid tun, wenn du über so etwas reden willst. Nie“, versicherte sie ihm, hob seine Hand kurz an und küsste seine Finger leicht.Als sie dann weiter über die Zukunft sprachen, schien Seneca wieder aufgemuntert, und sie freute sich darüber. „Ja, auf dem Land ist es schön. Andererseits hast du ja selbst gesagt, dass Mantua nichts ist im Vergleich zu Rom, insofern... muss es auch nicht ganz so weit abseits liegen.“ Sie schmunzelte leicht, was ihr aber wieder verging, als es um das Kind ging... war dann aber sowohl überrascht wie erleichtert, dass Seneca ihrem Vorschlag einfach zustimmte. Sie hatte damit gerechnet, dass es wenigstens eine Diskussion geben würde, aber... nun ja. Vielleicht, nein, vermutlich sogar hatte er sich ebenso seine Gedanken gemacht. „In Hispania lässt sich sicher eine passende Einheit finden“, erwiderte sie. „Die Frage ist, ob du dorthin versetzt werden würdest. Aber ich denke sowieso, dass es egal ist, wo sie aufwächst, so lange sie alles bekommt, was sie braucht.“
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Seiana musste lächeln, als sie Avianus' Reaktion hörte und die beiden sich ein wenig aufzogen. Es half tatsächlich dabei, dass sie sich wenigstens etwas wohler fühlte, weil es die steife Situation auflockerte. Sich zu setzen war der nächste Schritt, auch wenn sie ein bisschen überrascht war, als Seneca sich etwas abseits setzte. Sie hatte eigentlich beide angesprochen, und sie hatte auch gedacht, dass sie sich zu dritt trafen... und sie fühlte sich sowieso nicht übermäßig wohl in dieser Situation. Und jetzt setzte er, der doch eigentlich das Bindeglied war, sich nicht dazu? Für einen kurzen Moment sah sie ihn fragend an, sagte aber nichts, sondern wandte gleich Avianus ihre Aufmerksamkeit zu, als der nun sprach. „Das glaube ich dir irgendwie nicht so ganz. Allein schon als Centurio der Stadtkohorten hast du sicher eine Menge zu erzählen“, erwiderte sie.
Und nickte dann, erneut unschlüssig, als er noch mal sagte er sei überrascht gewesen. Und dass er geglaubt hätte über alles Bescheid zu wissen. Für einen Moment huschte ein Schatten über ihr Gesicht... vielleicht war es falsch, das zu denken, aber auch unter diesem Aspekt wäre es besser gewesen, ihm einfach nichts zu sagen. Nur das, was sie anderen auch erzählten. Der Centurio lächelte zwar bei seinen Worten, aber dennoch... es war nicht schwer sich vorzustellen, dass er unter diesen Umständen nicht nur überrascht, sondern wohl auch etwas enttäuscht gewesen war. Wieder sah sie ihn an. „Es ließ sich nicht vermeiden“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu den beiden Männern. Und versuchte dann, diesen Gedanken abzuschütteln. Das Kind war in den Brunnen gefallen. Genauso wie einige andere... aber es brachte jetzt nichts, an irgendetwas davon zu denken. Sie waren hier draußen, im Freien, im Grünen, sie hatten Abstand zu anderen Menschen und waren für sich, und wenn sie den Kopf zurücklegen und die Augen schließen würde, würde sie sich wohl fast vorstellen können, wieder auf dem Landgut zu sein, fern von jedem Druck, von den Erwartungen und den Widerständen. Und Avianus war freundlich. Vielleicht nicht unvoreingenommen, aber freundlich, wofür sie schon dankbar war. „Verdient hätte er viel mehr“, lächelte sie, und ergänzte dann, als es um die Hochzeit ging: „Eine große Feier hätte ich aber sowieso nicht unbedingt gewollt. Ich bin kein Freund von großen Festen, muss ich sagen. Die Albaner Berge bieten sich an, weil sie nahe genug an Rom sind, dass man von dort bequem kommen kann, aber das Landgut meines Onkels würde auch Platz für Gäste bieten, die über Nacht bleiben möchten. In Mantua wäre beides sicherlich schwieriger geworden.“ Sie räusperte sich, nach wie vor ein wenig unschlüssig, und fügte dann an: „Die Gegend ist sehr schön. Wenn du ein paar Tage dienstfrei bekommst, kannst du gerne etwas länger bleiben.“ -
Unwillkürlich musste Seiana schmunzeln, halb amüsiert, halb geschmeichelt, als sie hörte was der Centurio nach der Begrüßung sagte. „Ach. Hat er das?“ Sie warf Seneca einen Blick von der Seite zu und musste fast schon grinsen, als er abwiegelte – wurde dann aber wieder etwas ernster, als die nächsten Worte fielen. Sonderlich begeistert war also auch dieser Verwandte Senecas nicht gewesen, als er von ihr erfahren hatte. Irgendwo war ihr ja auch klar warum, trotzdem war sie sich unsicher, wie sie darauf jetzt reagieren sollte. Mit einem Scherz. Mit einer Versicherung, wie ernst sie es meinte. Oder gar nicht. Sie wollte es richtig machen, so sehr, dass sie nicht wusste was sie sagen sollte – was ihr eher selten passierte. Das hieß, wenn es darum ging wirklich offen zu sein, passierte es ihr durchaus öfter, aber üblicherweise musste sie sich ja auf keine allzu persönliche Ebene einlassen mit jemandem, dem sie zum ersten Mal begegnete. Üblicherweise konnte sie sich bei so etwas auf höfliches Geplänkel zurückziehen, was ihr nicht unbedingt Spaß machte, was sie aber beherrschte.
„Vielen Dank“, erwiderte sie zunächst auf die Quasi-Gratulation zur Verlobung, und war dann kurz doch davor, einfach nur irgendetwas Nichtssagendes von sich zu geben, höflich, aber vage und kühl. Weil es ihr von schlechten Alternativen immer noch als die beste erschien. Aber bevor sie weiter reden konnte, warf Seneca noch etwas ein, und das ließ sie dann doch wieder innehalten. Sein bester und treuster Freund. Sie wusste das, deswegen trafen sie sich heute hier, aber dass Seneca das noch mal so deutlich formulierte, rief ihr ins Gedächtnis, um was es hier ging. Es war ihm wichtig. So wichtig wie ihr vermutlich, dass ihr Bruder und Seneca sich, wenn schon nicht verstehen, dann doch wenigstens akzeptieren würden. Sie war es ihm schuldig, mehr zu versuchen als einfach nur ihre öffentliche Maske aufzusetzen, auch wenn sie sich dabei in ungewohntes Terrain begab. „Ja, ich... kann mir vorstellen, dass das erst mal überraschend war.“ Überraschend. Das traf es wohl nicht ganz, konnte sie sich vorstellen, aber es war einigermaßen neutral. Sie bemühte sich um ein Lächeln, ein offeneres diesmal. „Wenn dich irgendetwas interessiert, kannst du ja jetzt mich fragen. Ich verspreche von mir bekommst du bessere Antworten als...“ Sie sah Seneca erneut kurz an, diesmal etwas verlegen, und fuhr fort, „... verliebte Blicke. Sollen wir uns setzen?“ wies sie dann noch auf die steinernen Sitzplätze in der Laube, wo sie zuvor schon gesessen hatte. Vielleicht wurde es dann auch schon etwas lockerer, wenn sie nicht mehr herum standen.