Fast schon gegen ihren Willen musste Seiana schmunzeln, als sie seine Metapher hörte. „Rosen scheinen eigenartigerweise die Wirkung zu haben, von anderen für etwas Besseres gehalten zu werden als sie sind.“ Sie bedeutete dem Sklaven, ihr einen Becher stark verdünnten Wein zu geben. Sie trank selten mehr und nie wirklich viel, wenn sie mit anderen zusammen war, was sowohl Grund war als auch als Ergebnis zeitigte, dass sie nicht viel vertrug. Und die Phase, in der sie zu Hause, allein, mehr getrunken hatte, hatte sie inzwischen hinter sich gelassen. So sehr sie immer noch diese Kälte in sich spürte, wenn es um gewisse Themen ging, sie hatte sich wieder im Griff. Das war das Wichtigste, für sie. Sich im Griff zu haben. Sie mochte es nicht, wenn sie die Kontrolle über sich verlor, so rasant. Weder Wut noch Schmerz noch Alkohol waren der Selbstbeherrschung zuträglich. Und verletzter Stolz... war ein zweischneidiges Schwert. Er konnte helfen, er konnte schaden. Ihr hatte er letztlich geholfen. Hatte ihr Kontrolle zurückgegeben über sich, weil er ihr wieder Klarheit gebracht hatte über das, was sie wollte, und das war es, was sie brauchte.
Seiana ließ sich etwas von den Speisen reichen, und anerkennend zog sie kurz die Brauen hoch. Es war leichter als gewöhnlich, wenn man zum Essen eingeladen war, und das gefiel ihr. Sie sah zu dem Duccius hinüber, der gerade antwortete, sie dabei ansah, auf sie achtete, interessiert war. Seine Art ließ eine Saite in ihr vibrieren, die sie selten spürte. Sie bekam das Gefühl, seine Aufmerksamkeit gehörte ganz ihr, ohne dass er dabei aufdringlich wirkte – und ein Teil von ihr begann es zu genießen, unabhängig davon, dass sie es nicht so ganz glauben konnte. Sie genoss dieses Gefühl, dass dieser Abend tatsächlich für sie ausgerichtet war, angefangen von dem Essen über die Komplimente bis hin zu ihrem Gespräch. Die Bündelung und Verarbeitung von Informationen aus dem ganzen Reich. Das klang... gut. Besser als sie es bisher gesehen hatte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Es ist ja nicht so, als wäre ich dafür ganz alleine verantwortlich. Ich bin letztlich nur die, die dafür gerade stehen muss, dass alles seine Richtigkeit hat.“
Und dann machte der Duccier erneut den Mund auf. Und Seianas Lächeln verklang. Es gefror nicht von einem Moment auf den anderen – es wurde nur schwächer, Stück für Stück. Die Miene, die übrig blieb, war eine Mischung aus leichter Fassungslosigkeit und etwas anderem, etwas, das vagem Schmerz nicht unähnlich war. Fassungslosigkeit, weil er aussprach, worüber andere mal mehr, mal weniger dezent hinweg gingen. Vager... Schmerz, weil er etwas anrührte, was ein empfindlicher Punkt war – nicht nur anrührte, nein, er legte den Finger in die Wunde. Fehlte nur noch, dass er tatsächlich fragte: warum. Seiana senkte ihren Blick, während sie zugleich die Lippen leicht öffnete, wie um zu einer Antwort anzusetzen – aber sie sagte nichts, sondern schwieg, hörte ihm weiter zu, während sie nun Stück für Stück daran arbeitete, ihre Miene – und ihr Inneres – zu verschließen. Er sprach aus, was tatsächlich auf ihr lastete, nur aus einer völlig anderen Sichtweise als der ihren. Der Duccius ließ es so klingen, als sei es völlig unverständlich, dass sie noch unverheiratet war, und als sie weitab davon, Schuld an diesem Umstand zu tragen. Und da war dieser eine entscheidende Unterschied: sie sah sich nicht so, wie er sie beschrieb. Sie sah sich bei weitem nicht so. Sie war deutlich entfernt von dem Typus Römerin, der – wie hatte er es gerade formuliert? – dem Reich strahlende Helden schenken konnte. Wenn er nicht wissen wollte, wie groß der Druck von Zuhause war, dann wollte er wohl erst recht nicht wissen, wie groß der Druck war, den sie sich selbst machte. Sie schwieg auch noch, als er geendet hatte, und erst nach einem weiteren Moment sah sie wieder auf und begegnete seinem Blick. „Und wieder schmeichelst du mir.“ Diesmal schwang in ihrer Stimme wie in ihrem Lächeln ein Hauch von Bitterkeit mit, bevor sie sich zusammenriss und sorgfältig zu verbergen suchte, was er da angerissen hatte. Den Druck hinter sich lassen, hatte er gesagt. Für einen Moment, für einen Abend. Es klang gut. Mehr noch, weil sie sich nicht aus der Fassung bringen lassen wollte. Seiana fuhr sich mit der Zungenspitze kurz über die Lippen. „Was schlägst du vor, um den Druck hinter sich zu lassen? Dein Weg kann doch auch nicht immer ein leichter gewesen sein, und das wird so bleiben, beschreitest du weiter den Cursus Honorum. Was tust du, willst du dem Druck entfliehen, den Rom ausüben kann?“