Beiträge von Decima Seiana

    „Rom ist zu fast allen Zeiten kriegerisch gewesen, daran besteht kein Zweifel. Ob dies nun als Mordlust zu bezeichnen ist, darüber kann man geteilter Ansicht sein. In besagter Epode beklagt Horaz jedoch hauptsächlich, dass zu viel an römischem Blut vergossen wurde.“ Seiana machte eine kurze Pause und musterte ihren neuen Sklaven, während sie zugleich überlegte, wie sie ihn am besten einsetzen könnte. Er tendierte zu Widerspruch, jedenfalls dann, wenn er anderer Ansicht war, und er schien nicht allzu viel von Römern zu halten, in jedem Fall nicht von dem Volk. Und sie ging davon aus, dass auch die Familie seiner neuen Besitzerin bei ihm auf keine allzu große Liebe stoßen würde, waren die Decimer doch eine Familie, die eine große Militärtradition pflegten. Es mochte allerdings durchaus sein, dass er in der Lage war, den nötigen Respekt vor ihr zu entwickeln, und wenn das der Fall war, wäre er ein unschätzbarer Gewinn.


    „Ich bestreite nicht, dass die römische Dichtkunst über die Jahrhunderte nicht das zu Wege gebracht hätte, was sie hat, wäre nicht der griechische Einfluss gewesen. Und nicht nur die Dichtkunst, auch in zahlreichen anderen Bereichen haben wir profitiert von dem Können und Wissen deines Volkes.“ Wieder dieses vage Lächeln, das nicht so wirklich zu verraten schien, was sie tatsächlich dachte. „Aber zeigt es nicht die wahre Überlegenheit eines Volkes, imstande zu sein, sich das Wissen anderer anzueignen und mit dem eigenen Können zu kombinieren?“ Nicht umsonst nannte Rom ein Weltreich sein eigen. So sehr die Römer ihr Geschick im Militär haben mochten, so wenig könnte dies auf Dauer dieses Reich erhalten, kämen nicht noch andere Fähigkeit hinzu. „Ich würde sagen, derjenige ist dumm, der von vornherein – ob nun aus Hochmut oder Ignoranz – ablehnt, was andere ihn lehren könnten.“

    Gegenüber des Domus der Acta, so platziert, dass es jedem ins Auge fiel, der dort ein und aus ging, prangte über Nacht plötzlich folgender Schriftzug:


    Ihr wollt einen herausragenden Vigintivir?
    Gebt Titus Duccius Vala eure Stimme!

    Der Octavier blieb recht ruhig, während der Duccier nur kurz schwieg, um dann gleich zu antworten – und sie dabei weiterhin auf eine Art anlächelte, die Seiana zunehmend verwirrte. Sie war beherrscht, sie verstand es, sich klar und deutlich auszudrücken – nun, meistens jedenfalls –, sie war gut in allen organisatorischen Dingen, die ihre Betriebe betrafen. Aber sie hatte keine Erfahrung mit Männern, die in irgendeiner Hinsicht Interesse an ihr zeigten. Der erste, der einzige bisher, bei dem sie überhaupt begriffen hatte, dass er etwas von ihr wollte, war Caius gewesen, und bei dem hatte sie herzlich lange gebraucht dafür – was auch daran liegen mochte, dass sie sehr bald zu Beginn ihrer Bekanntschaft mit einem Briefwechsel hatten vorlieb nehmen müssen. In jedem Fall hatte sie nie darauf geachtet, hatte nie etwas darauf gegeben. Früher, wo sie noch mit ihren Brüdern viel Zeit verbracht hatte, wo alles so viel leichter gewesen zu sein schien, war sie… anders gewesen. Hatte ihrem Temperament freien Lauf gelassen. War burschikoser gewesen. Und hatte es genossen. Bis es irgendwann angefangen hatte zu bröckeln, irgendwie.


    So oder so war Seiana verwirrt, was ihr selten passierte. Und sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass der Duccier es schon einmal geschafft hatte, sie ein wenig zu irritieren, als sie bei ihm gewesen war und sich entschuldigt hatte, für diesen blamablen Vorfall auf der aurelischen Hochzeit. „Warum nicht…“, wiederholte sie nach einem Zögern. Sie wusste schlicht nicht so recht, was sie sagen sollte. Sie wusste nicht so recht, was der Duccier mit diesem Gesprächsthema bezwecken wollte, und sie wusste nicht, ob sie ihn nicht einfach fragen sollte. Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, entschied sich dann doch anders und blieb stumm, nur um dann doch den Mund noch einmal zu öffnen. „Wenn man wenigstens wüsste, was man dabei gewinnen könnte…“ Sie sprachen hier doch über etwas rein Theoretisches, redete Seiana sich ein. Noch nicht einmal über einen konkreten Fall, in der Theorie, sondern völlig abstrakt. Sicher war sie sich nicht… aber fragen konnte sie nicht wirklich, würde sie dann doch herzlich dumm da stehen. „… wäre das Risiko wohl etwas kalkulierbarer. Welchen Gewinn stellst du denn in Aussicht dafür, sich der Ungewissheit zu ergeben?“

    Mut also, wenn sie seinen Worten Glauben schenken konnte. Mut gefiel Seiana besser als Trotz, auch wenn Xanthias durchaus Recht damit hatte, dass ihr seine Einstellung nicht gefallen konnte. Aber während Trotz hieß, dass der Sklave wohl schlicht gegen alles sein würde, bedeutete Mut, dass er sich vielleicht würde anpassen können, genug, um ihr tatsächlich von Nutzen zu sein. Und es hieß vor allem eines: dass er ehrlich war. Wenn sie schon sonst nichts über ihn wusste, glaubte sie inzwischen zumindest doch, sich auf eines verlassen zu können: dass er ehrlich war und sein würde. Und wenn sie einem Sklaven eines nicht übel nehmen würde, dann war es Ehrlichkeit. Auch wenn das einen Sklaven möglicherweise unbrauchbar machte für ihre Zwecke, aber immerhin: viel hatte sie für ihn nicht ausgeben müssen. Einen Sklaven wie ihn nannte sie zum ersten Mal ihr eigen, einen, der so frisch in Sklaverei war, so deutlich von sich eingenommen, so klar in seinen Überzeugungen und Meinungen, und dabei so bewusst gegen Rom positioniert. Im Grunde hatte sie weder die Lust noch die Muse, sich allzu sehr mit Sklaven dieser Art auseinander zu setzen. Xanthias war also in gewisser Weise ein Experiment für sie, ein billiges jedoch, bei dem sie im Grunde nicht allzu viel verlieren konnte. Und die Diskussionen mit versprachen interessant zu werden.


    Auf seine Worte hin erlaubte sie sich ein vages Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte, während der Rest ihrer Miene ruhig blieb. Anstatt darauf einzugehen, was er gerade so klar dargelegt hatte, ihm zu sagen, dass er seine Meinung wenigstens zum Teil würde revidieren müssen – was sie durchaus fand –, sondern stellte ihm erneut eine Gegenfrage. „Wenn du so überzeugt bist von der geistigen und kulturellen Überlegenheit der Griechen gegenüber den Römern, warum ist es dann ausgerechnet ein römischer Dichter, den du zitierst?“

    Während die Aurelia dem Sklaven eine Weile dabei zusah, wie er weiter die Kisten auspackte und Schriftrollen in Regalen verteilte, nutzte Seiana die Gelegenheit, einen Schluck zu trinken – und gleichzeitig die Patrizierin zu mustern. Ein wenig nachdenklich fragte sie sich, was die Aurelia wohl hierher geführt hatte – und was sie dazu brachte, sich ausgerechnet mit ihr über derartige Themen zu unterhalten. Sie kannten sich nicht. Sie saßen einfach hier beisammen, und Seiana hatte ihr ein Schriftstück verkauft, zugegebenermaßen eines, das die ein oder andere Frage nach sich zog. Und doch… passte es irgendwie. Vielleicht gerade weil sie sich nicht kannten – Seiana fiel jedenfalls auf Anhieb niemand ein, mit dem sie so gesprochen hätte über diese Fragestellung, über Frauen und ihren Platz in der Gesellschaft. Über ein Thema also, das bei ihr mehr als nur einen Nerv traf. Außer Faustus… und nicht einmal diesem gegenüber wäre sie ehrlich gewesen, nicht völlig. Es sei denn, sie trafen sich wieder im Stall oder sonst wo, und er holte seine Pfeife hervor. Aber einfach so? Das war ja noch nicht einmal ein Thema, über das sie einfach so nachdachte, geschweige denn sprach, und schon gar nicht darüber, wie sie selbst sich einordnen würde. Und auch das Gespräch mit der Aurelia blieb trotz aller Tiefe in einer gewissen Hinsicht oberflächlich, was ihre eigene Position betraf.


    Ein negatives Grundgefühl. Die Worte hallten in Seiana nach, als Narcissa wieder zu sprechen begann. Sie wird eher versuchen, sich zu verbiegen. Das war der Moment, an dem sie am liebsten aufgelacht hätte, nicht fröhlich, sondern in einer Mischung aus Bitterkeit und Spott. Aber dafür hatte Seiana sich bei weitem zu gut im Griff. Lediglich ein leichter, zynischer Zug hob ihre Mundwinkel ein wenig an. „Werden sie erwünscht. Das ist eine gute Frage. Eine weitere gute Frage ist: kann man denn tatsächlich Veränderungen herbeiführen, unabhängig von der Grundeinstellung. Oder gleicht man nicht Sisyphus in seiner Mühe, wenn man versucht, was zum Scheitern verurteilt ist. Tut man nicht besser daran, das Beste aus dem zu machen, was die Zeit einem bietet, anstatt nach etwas zu streben, was unerreichbar ist.“ Seianas Stimme klang nach wie vor ruhig, fast gelassen. Nur unterschwellig war eine feine Note des Zynismus’ zu hören, der sich auch um ihre Mundwinkel schwach zeigte. „Würden dich eine Ehe, Kinder und Haushalt denn ausfüllen?“, fragte sie dann unvermittelt.

    [Blockierte Grafik: http://img294.imageshack.us/img294/2627/demetrios.jpg~Demetrios~


    Candace nickte der Neuen zu, als diese fragte, ob sie sich auch etwas von der Suppe nehmen dürfe, und schnitt ihr dazu ein Stück Brot ab, bevor sie fortfuhr in der Küche herumzuwerkeln. Demetrios unterdessen hatte bereits begonnen, von der Suppe zu löffeln, langsam, bedächtig. Elena, die Leibsklavin der Herrin, war in der letzten Zeit immer häufiger außer Haus gewesen – entweder sie hatte also frei bekommen, oder Seiana gab ihr andere Aufträge –, und Demetrios hatte die ein oder andere Aufgabe von ihr übernommen. Wenn es darum ging, etwas für die Decima zu organisieren oder besorgen, beispielsweise, oder wie jetzt, wo er Aristea ins Haus einführte. Wie er sie einschätzen sollte, wusste er noch nicht, Demetrios war ein Mensch, der sich Zeit ließ, der keine allzu schnellen Urteile traf – mit ein Grund, warum Seiana ihn ausgesucht hatte. Allerdings wusste er auch, dass die Herrin ihn fragen würde, später, und dass er dann wenigstens irgendetwas sagen sollte. Insofern kam es auch ihm zupass, dass sie nun Gelegenheit hatten, sich ein wenig zu unterhalten, und er so einen Eindruck von ihr gewinnen konnte.


    Die Frage, die sie dann stellte, kam nicht wirklich unerwartet, auch wenn Demetrios eher gedacht hätte, dass sie sich damit vielleicht noch ein wenig Zeit ließ. „Wie sie ist…“ Der Grieche hielt inne in der Bewegung – eine Hand schwebte nun über der Schüssel, mit einem Stück Brot zwischen den Fingern, das er gerade hatte eintunken wollen. „Beherrscht. Sehr beherrscht. Und kühl. Manche würden sagen, kalt.“ Demetrios ließ offen, ob er das auch selbst dachte. Er kannte Seiana selbst noch nicht allzu gut, und die Wahrheit war, dass er es nicht einschätzen konnte, ob sie nur so kalt tat oder tatsächlich so war. Jetzt tunkte er das Brot doch noch ein, biss dann ein kleines Stück davon ab, kaute und schluckte in Ruhe. „Temperamentsausbrüche, bei denen du irgendwas abkriegst, wirst du nicht befürchten müssen von ihr. Weder gerechtfertigt noch ungerechtfertigt. Allerdings ist es schwer zu sehen, in welcher Stimmung sie gerade ist.“ Demetrios kratzte sich am Kinn. „Da sie aber eigentlich nicht ungerecht ist, lässt sich damit umgehen, finde ich.“





    SKLAVE - GENS DECIMA

    Xanthias machte einen deutlich besseren Eindruck als noch zuvor auf dem Sklavenmarkt. Seiana musterte ihn, während er durch den Raum ging und sich dann ihr gegenüber niederließ, konnte aber immer noch nicht recht entscheiden, ob der Kauf nun gut oder schlecht gewesen war. Günstig in jedem Fall, aber sollte Xanthias sich tatsächlich als sehr aufsässig erweisen, wäre er noch nicht einmal geschenkt wirklich gut gewesen. Seine ersten Worte, seine Beschreibung woher er stammte, trugen ebenso wenig bei zu einer Entscheidungsfindung, aber davon ging Seiana auch nicht aus. Wirklich zeigen würden das erst die nächsten Wochen – aber er erzählte durchaus bereitwillig und wirkte dabei ehrlich. Es gab durchaus unterschiedliche Ansichten unter Römern, wie man mit Sklaven am besten umging. Und Seiana war es zum einen lieber zu wissen, woran sie war, und Xanthias’ jetziges Verhalten gab doch wenigstens etwas Rückschluss auf seinen Charakter – zum anderen gehörten auch Sklaven im weiteren Sinn zur Familie. Seiana interessierte es durchaus, welche Geschichten die ihren hatten, zumindest die, die tatsächlich in ihrem nächsten Umfeld waren.


    Sie wartete zunächst ab, ließ ihn erzählen, und als eine kleine Pause entstand, nutzte er die Gelegenheit und fragte, ob er sie etwas fragen dürfte. Ein kurzes Nicken von ihr, und der Grieche begann erneut zu sprechen. Seiana kreuzte leicht die Finger auf Höhe ihres Kinns, die Ellbogen rechts und links auf den Armstützen aufgelehnt, und fuhr sich mit der Daumenkuppe leicht, in einer nachdenklichen Weise, über die Unterlippe. „Wer sagt, dass ich einen demütigen Sklaven will?“, stellte sie dann zunächst eine Gegenfrage, bevor sie fortfuhr, ohne ihm die Gelegenheit zur Reaktion zu geben – und ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Gehorsam ist etwas, das ein Sklave definitiv zeigen sollte. Demut dagegen… Nun, den Sklaven, die die Haushalte jeder höheren Familie hier in Rom am Laufen halten, steht sicherlich auch Demut gut zu Gesicht. Aber auf dem Sklavenmarkt hast du gezeigt, dass es Verschwendung wäre, dich einfach irgendwo im Haushalt arbeiten zu lassen.“ Seiana machte eine kleine Kunstpause. „War es Trotz oder Mut, der dich dazu gebracht hat ausgerechnet diese Epode zum Besten zu geben?“

    Ein Sklave hatte Seiana das flache Päckchen gebracht, das für sie abgegeben worden war. Zunächst ein wenig verwundert, verriet ihr ein Blick auf den Absender, von wem das Päckchen stammte – und sofort war ihr ein wenig mulmig zumute. Was auch immer darin war, es würde auch die Reaktion ihres Bruders auf die gelöste Verlobung enthalten. Nun, diese war zwar inzwischen eine ganze Weile her, aber dennoch behagte der Gedanke daran Seiana nach wie vor nicht. Und ebenso wenig daran, was ihr Bruder wohl zu sagen hatte. Sie glaubte nicht, dass er sie tadeln würde oder ähnliches, so wie er von Caius dachte, würde er sich eher freuen… dennoch kam sie nicht um die Tatsache herum, dass sie versagt hatte, und dass sie immer noch unverheiratet war. Und darum würde auch Faustus nicht herum kommen. Am liebsten hätte sie zunächst nachgesehen, was in dem Päckchen war. Aber sie schalt sich einen Feigling und nahm zuerst die Schriftrolle zur Hand, die beigelegt war, brach das Siegel und begann zu lesen. Und spürte schon beim ersten Absatz, wie sich Erleichterung in ihr breit machte. Faustus gab nicht ihr die Schuld an dieser ganzen Misere. Und er schrieb kein Wort davon, dass er es gewusst hätte und dass sie von Anfang an auf ihn hätte hören sollen. Sie spürte, wie ihre Augen ein wenig feucht wurden, aber sie blinzelte die einzelnen Tränen fort, die sich bilden wollten, und las weiter, las den Brief zu Ende und las ihn gleich noch einmal – ohne den ersten Absatz –, bevor sie dann erst den Stoff auspackte und gebührend bewunderte, um sich schließlich hinzusetzen und eine Antwort zu schreiben.


    Nachdem sie fertig war, rief sie Demetrios zu sich und übergab ihm den fertigen Brief, mit dem Auftrag, ihn wegzubringen – und trug ihm zugleich auf, den neuen Sklaven zu ihr zu schicken, bevor er das Haus verließ. Inzwischen dürfte Xanthias Zeit genug gehabt haben, sich zu waschen und umzuziehen, und sie wollte mit ihm reden. Es dauerte nicht lange, bis es an ihrer Tür klopfte und der Grieche ihren Raum betrat, und Seiana winkte ihn zu sich und bedeutete ihm, Platz zu nehmen auf dem Korbstuhl ihr gegenüber. „Xanthias. Erzähl mir ein bisschen etwas von dir“, forderte sie ihn auf, und wartete dann erst mal ab. Dass er durchaus wortgewandt war, hatte er ja bereits bewiesen.

    Faustus Decimus Serapio
    Tribunus Angusticlavus
    Legio XXII Deiotariana
    Nikopolis
    Aegyptus


    Lieber Faustus,


    vielen Dank für deinen Brief und Dein Geschenk! Die Farbe ist wirklich traumhaft, ebenso wie der Stoff selbst. Und dann… auch wenn die Entlobung nun schon eine Weile her ist: Danke dafür, dass Du so verständnislos bist. Was Deine Vorschläge geht: ich würde mich freuen, wenn Du Dich bei den beiden Männern, die Du vorgeschlagen hast, einmal umhören würdest. Ich weiß, dass ich nicht länger unverheiratet bleiben kann, und dass ich selbst offenbar nicht in der Lage dazu bin, einen Mann zu finden, dürfte hinreichend bewiesen sein. Wenn Du also Gelegenheit hast, einen der beiden zu fragen, dann mach das! Beide Männer klingen interessant, sowohl nach dem was Du mir geschrieben hast, als auch nach dem, was in Rom über sie gesagt wird. Der Terentier scheint durchaus in der Lage zu sein, hart durchzugreifen, was aber einen guten Statthalter auszeichnet, denke ich. Und über den Octavier wirst du ganz sicher weit mehr wissen als ich. Darüber hinaus vertraue ich Deinem Urteilsvermögen voll und ganz – mehr als meinem eigenen nun, offen gestanden. Hast du Livianus und Lucilla schon gefragt? Oder soll ich sie darüber informieren?


    Ich kann mir gut vorstellen, dass Lucilla das mit dem Bürgerrecht deutlich kritischer sehen wird. Und ich muss ganz offen gestehen, dass ich finde, dass sie da nicht ganz Unrecht hat. Sicher besitzt unsere Familie noch nicht allzu lange das Bürgerrecht, aber sieh Dir an, was sie erreicht hat in dieser Zeit! Solltest Du Celeste tatsächlich heiraten wollen – willst Du das denn, ich meine, willst Du so weit gehen? –, glaube ich, dass sie dann zumindest erst mal keinen leichten Stand haben wird und sich erst mal beweisen muss. Aber Du kannst Dir meiner Unterstützung sicher sein!


    An der Schola unterrichte ich momentan nur allgemeine Kurse, für mehr fehlt mir gerade die Zeit. Noch kümmere ich mich fast allein um meine Betriebe, allerdings werde ich mir da bald Unterstützung suchen. Sofern ich tatsächlich Auctrix werde, werde ich mich mehr Zeit brauchen, denke ich. Übrigens: sie wollten mich deswegen im Senat dazu hören. Kannst Du Dir das vorstellen? Ich habe vor dem Senat Roms gesprochen! Und das als erste Frau seit wie vielen Jahren? Du kannst Dir nicht vorstellen, wie aufgeregt ich gewesen bin deswegen! Die Entscheidung steht noch aus, aber ich glaube, ich habe meine Sache ganz gut gemacht. Die Stimme meines Patrons wird mir sicher sein, immerhin hat er mich ja vorgeschlagen, und auch einige andere – darunter Tiberius Durus – haben sich noch während der Befragung positiv für mich geäußert. Auch der Praefectus Urbi war einer von denen, die Interesse gezeigt und Fragen gestellt haben, aber bei ihm kann ich schwer einschätzen, wie seine Wahl ausfallen wird.


    Warum Livianus nicht gewählt wurde – ich weiß es nicht. Vielleicht war seine Rede vor dem Senat zu provokant. Er hat auch einige andere Anträge eingebracht vor der Wahl, die womöglich dem ein oder anderen Senator nicht gefallen haben. Ich weiß leider auch nicht, wer den Acta-Artikel verfasst hat und auf diese Weise gegen uns zu hetzen versucht. Allerdings gibt es wenig, was ich tun kann um das zu beeinflussen. Ich meine, ich möchte verhindern dass die Leute auch noch anfangen darüber zu tratschen, ich würde meine Position als Lectrix missbrauchen, um unliebsame Artikel über die Decima verschwinden zu lassen. Es ist eine Gratwanderung, damit umzugehen, und ich denke es ist das Beste, wenn wir uns einfach darauf konzentrieren zu zeigen, dass es nicht der Wahrheit entspricht. Was das Brot angeht… nun, diese Geschichte hängt mit dem Aelier zusammen. Er hat mir doch die Taberna Medica geschenkt, weißt Du noch? Das war ein Verlobungsgeschenk, eindeutig. Und nachdem die Verlobung gelöst war, habe ich darauf bestanden, ihm entweder die Taberna zurückzugeben oder ihm den Kaufpreis zu zahlen. Er hat dann schließlich seinen Sklaven vorbei geschickt, um das Geld zu holen, und zwei Stunden später stand jemand vor der Casa Decima und hat das Brot verteilt. Und das auf eine Art… ich wäre am liebsten im Boden versunken vor Scham. Ich musste dem Mann fast noch einmal denselben Preis zahlen, damit er das Brot wenigstens dort verteilt, wo es wirklich gebraucht wird. Ich war danach sogar beim Tresvir Capitalis, um mich zu erkundigen, ob ich das nicht irgendwie verhindern kann, weil ich mir sicher war, dass Archias meinen Ruf ruinieren wollte, aber gerichtlich, meinte er, wäre wohl kaum etwas zu machen. Allerdings war das ausgerechnet ein Freund von Archias, und er hat versprochen, mit ihm zu reden – und es scheint funktioniert zu haben, jedenfalls habe ich seitdem meine Ruhe. Dennoch wünschte ich, Meridius würde nach Rom zurückkehren, aber nach dem letzten Schicksalsschlag wird das immer unwahrscheinlicher, fürchte ich.


    Sei übrigens vorsichtig in Alexandria. Als ich dort war, waren die Verhältnisse ja noch recht ruhig, aber ich habe gehört, dass sich seit meiner Abreise dort einiges zum Negativen gewendet hat, und das, was Du mir schreibst, unterstreicht das noch. Und sei noch vorsichtiger, wenn es dann für Dich in die Wüste geht! Ich will Dich nicht verlieren, schon gar nicht gegen irgendwelche Barbaren oder kopflose Wesen oder was auch immer dort sein Unwesen treibt. Ich hoffe, Fortuna bleibt Dir weiterhin treu!


    Deine
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    Sim-Off:

    Familienwertkarte :)

    Sie könnte vermutlich herausfinden, wer den Artikel geschrieben hatte, hatte sie als Lectrix doch Zugang zu diesen Unterlagen. Allerdings hatte sie, und das durchaus bewusst, darauf verzichtet. Sie fand es ebenso wenig amüsant, so über ihre Familie lesen zu müssen, aber etwas daran ändern konnte sie nun nicht mehr, und sie hätte es wohl auch dann nicht getan, hätte sie den Artikel vorab gelesen. Und nichts davon war etwas, was sie dem Octavier verraten würde. So schüttelte sie nur sacht den Kopf, um seine Frage zu verneinen. Sie wusste tatsächlich nicht, wer den Artikel geschrieben hatte, konnte es höchstens mutmaßen.


    Auch der Octavier begrüßte den Duccius, als dieser sich nun zu ihnen gesellte – und prompt neben ihr Platz nahm, ohne auch nur zu fragen. Seiana wandte ihm ihren Kopf leicht zu, als er über ihre Schulter auf die Acta linste, und ihre Augenbrauen hoben sich, als er dann anfing zu sprechen. Immerhin, er fing nicht auch noch an, von diesem unseligen Artikel über ihre Familie zu sprechen, über den Seiana nicht bereit war, zu sprechen – schon gar nicht mit Fremden. Die Thematik der Zusammenstöße an Roms Ecken schien ihr allerdings auch nicht sonderlich als Gesprächsthema geeignet. Und als der Duccius schließlich zum Schluss kam, sich dabei wieder nach vorn neigte und ihr in die Augen sah, fragte sie sich unwillkürlich, worüber er tatsächlich sprach. „Vier Leserbriefe“, erwiderte sie. Sein Lächeln brachte sie etwas aus dem Konzept. „Was für deine Theorie spricht, dass sich zu viele auf das Gewesene konzentrieren. Allerdings, das Festhalten an Vergangenem entspringt häufig der Unsicherheit darüber, was die Zukunft bringen mag. Ich denke nicht, dass sich die Menschen mehr interessieren für das, was war. Es fällt vielen nur schwer, sich offensiv mit dem zu beschäftigen, was wird. Oder sein kann“, fügte sie nach einer winzigen Pause noch hinzu.

    Die Aurelia schien zu verstehen, weshalb Seiana es vorzog, auch im Sommer in Rom zu bleiben – in jedem Fall konnte die Decima keine Regung in ihrem Gesicht ausmachen, die darauf hindeutete, dass sie es ungewöhnlich fand. Seiana selbst war im Grunde froh darüber, so viel um die Ohren zu haben. Es bedeutete Ablenkung, die sie schlicht nötig hatte im Augenblick, denn immer, wenn sie Zeit hatte sich ein wenig auszuruhen, suchten sie Gedanken und Erinnerungen heim – nicht nur an Caius und die geplatzte Hochzeit. Es war fast, als wären die Ereignisse um ihren ehemaligen Verlobten ein Auslöser gewesen, um andere Dinge ans Licht zu holen, die Seiana für gewöhnlich verdrängte. In jedem Fall fiel es ihr derzeit schwer, weit schwerer als gewöhnlich, in sich zu verschließen, was sie belasten könnte.


    Das Thema, auf das sie dann zu sprechen kamen – ausgelöst durch die kurze Unterhaltung über Sappho, obwohl jene nun keine Rolle mehr spielte in dem Gespräch –, versetzte Seiana in eine fast wehmütige Stimmung. Sie zog es vor, nicht allzu häufig darüber nachzudenken, ob sie passte in die Zeit, in die sie geboren war. Denn wenn sie es tat, kam sie nicht umhin sich einzugestehen, dass es nicht so war. So wie sie sich sah, wie sie war, konnte sie nicht wirklich in diese Zeit passen. Sie bemühte sich, den Ansprüchen gerecht zu werden, ihren eigenen, denen ihrer Familie, denen der Gesellschaft, aber allein schon die Tatsache, dass sie nach wie vor unverheiratet war, lief dem zuwider. Dass sie eigene Betriebe besaß, im Grunde auch. Und Seiana fiel es durchaus nicht immer leicht, das mit sich in Einklang zu bringen – sie wollte eigentlich dem Bild entsprechen, wie eine Römerin zu sein hatte. Aber sie wusste nur zu genau, dass es sie nicht ausfüllen würde, hätte sie tatsächlich nicht mehr als einen Mann, Kinder und einen Haushalt zu versorgen, und so widmete sie sich ihren Betrieben und weiteren Tätigkeiten, auch wenn das vielleicht nicht das war, was eine ideale Matrona tun sollte.


    Die nächste Frage der Aurelia brachte Seiana nun dazu, sie nachdenklich zu mustern. Von diesem Standpunkt aus hatte sie das noch nie betrachtet, gestand sie sich ein. Und es war… es war eine angenehmere Sichtweise. Sie suchte die Schuld nicht bei den Frauen, sie suchte sie bei der Zeit. Und das war etwas, was Seiana fremd war, sah sie doch stets sich selbst als diejenige, die nicht so ganz hineinpassen wollte in die Form, die für sie bestimmt war, die nicht stimmte, nicht genug war. „Das ist eine gute Frage…“, murmelte sie nachdenklich. „Wenn wir Sappho betrachten, so hatte sie es sicher nicht einfach zu ihren Lebzeiten, aber es gelang ihr wohl dennoch, ihr Leben zu leben, so wie sie es für richtig hielt. Sie hat nicht aufgehört zu schreiben. Sie hatte Schülerinnen.“ Aber auch sie war gewissen Zwängen unterlegen gewesen. Es hieß, auch sie sei verheiratet gewesen, und es hieß, dass sie wenigstens eine gewisse Zeit im Exil hatte verbringen müssen. „Du magst recht haben damit. Aber: ob man nun davon ausgeht, eine Frau passt nicht in die Zeit, in der sie lebt – oder ob man der Meinung ist, es sei die Zeit, die noch nicht reif ist. Ist das Ergebnis nicht das gleiche? Ändert sich nicht einfach nur der Blickwinkel, aus dem man es betrachtet?“ Und doch konnte dieser andere Blickwinkel so viel ausmachen, nicht was das Ergebnis betraf, aber für die einzelne…

    Seiana unterdrückte den scharfen Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, als sie sah, was der Händler dem griechischen Sklaven über den Kopf stülpte. Aber sie entschied sich dann doch dafür, zu schweigen. Sie hatte mit Tranquillus und seinen Helfern keine Erfahrung, aber für gewöhnlich machte es wenig Sinn, mit Sklavenhändlern über so etwas zu diskutieren. Der Sklave war verkauft, das Geschäft gemacht, und sie hatte ja selbst gesagt, dass Xanthias gleich mitnehmen würde. Der hatte sich unterdessen ihr zugewandt und sprach sie nun an. Seiana musterte ihn einen Moment lang schweigend, und ihre Augenbraue wanderte ein wenig nach oben, als sie hörte, wie er Aristea ansprach, und was er noch zu sagen hatte. Auf den Mund gefallen war er ganz sicher nicht, das wurde deutlich, und er verstand mit Worten geschickt umzugehen. Ganz eindeutig konnte das von Vorteil sein, aber dass er es nicht für nötig zu halten schien, sich ein wenig zurückzuhalten, versetzte seinem Benehmen – so höflich es auch war – eine Note, die einem Sklaven eher unangemessen war. Vor allem einem neuen.


    Nichtsdestotrotz war sein Benehmen höflich, und Seiana war niemand, der einen Sklaven allein für so etwas anfuhr. Sie würde abwarten, was die nächsten Tage brachte. „Decima Seiana“, antwortete sie mit einem angedeuteten Lächeln, während sie es Aristea überließ, sich selbst vorzustellen – hatte Xanthias sie doch direkt angesprochen. Demetrios nickte dem Neuen kurz zu und stellte sich ebenfalls vor, was lediglich eine knappe Nennung seines Namens beinhaltete. Seiana registrierte durchaus, dass der Grieche seinem Landsmann gegenüber misstrauisch schien, aber warum und wie seine Einschätzung war, würde sie ihn später fragen. Stattdessen bedeutete sie ihm mit einem Wink, die Fesseln Xanthias’ zu lösen. Wäre weniger los, hätte sie sich das zweimal überlegt, aber so, mitten am Tag und in diesen Menschenmengen, würde der Sklave nicht weit kommen, sollte er so töricht sein hier davonlaufen zu wollen. Dann wanderte erneut eine ihrer Augenbrauen hoch. „Die Möglichkeit eines Bades für dich liegt durchaus in meinem Interesse. Sei versichert, dass du sie bekommen wirst“, antwortete sie mit feinem Spott in der Stimme, während sie sich in Bewegung setzte. „Wir werden gleich zur Casa Decima gehen. Dort bekommst du zunächst sowohl die Gelegenheit zu baden als auch vernünftige Kleidung. Danach sehen wir weiter.“

    „Ja“, antwortete Seiana schlicht. „Das ist mein Ziel. Subauctor zu sein bedeutet eine gewisse Verpflichtung, im Gegensatz zu freien Mitarbeitern.“ Dann ergriff ein weiterer der Senatoren das Wort – der Praefectus Urbi, wie sie erkannte. „Subauctor zu sein, ist sicherlich mehr als ein Nebenjob, jedenfalls dann, wenn eine gewisse Regelmäßigkeit hinter der Tätigkeit stecken soll. Was mich betrifft, ich selbst habe einige Betriebe, für deren Organisation und Verwaltung ich jedoch jemanden einstellen würde, der mir diese Arbeit abnimmt, sofern ihr mich zur Auctrix macht. Darüber hinaus bin ich für die Schola tätig und übernehme dort gelegentlich Kurse, die jedoch nicht so häufig stattfinden, dass sie meine Zeit stark einschränken würden.“

    „Ich denke schon, ja“, erwiderte Seiana, sich bewusst darüber, dass es ungewöhnlich war. „Vielleicht nutze ich die Gelegenheit, mich ein wenig ins Umland zurückzuziehen, aber ich habe hier schlicht zu viel zu tun, als dass ich wirklich den Sommer über Rom fern bleiben könnte.“ Es zog sie auch nicht wirklich fort aus Rom. Natürlich war es nicht sonderlich angenehm hier im Sommer, aber sie hätte ohnehin nicht gewusst, wohin. Die Landgüter ihrer Familie, die angemessen wären, befanden sich in Spanien, und das war ganz sicher zu weit weg, selbst wenn es sie für mehrere Wochen fortgezogen hätte aus Rom. Und sie wollte auch gar nicht zurück nach Spanien, weder für kurze noch längere Zeit.


    Als sie weiter über Sappho sprachen und die Aurelia ihre Worte bestätigte, zeigte sich ein leichtes Lächeln auf Seianas Gesicht. „Das stimmt wohl“, meinte sie. Noch mehr hatten Sappho als Vorbild, hatten ihre Werke gelobt. Und so streng Seiana mit sich selbst war, was ihren Anspruch an sich anging als Römerin von Stand, so sehr konnte sie differenzieren, was Werke wie die Sapphos anging. Es betraf ja nicht sie. Es ging ja nicht darum, dass sie sich gehen lassen sollte. Es ging darum, dass sie Werke las, die von großer Ausdruckskraft waren, die mit Worten Bilder schufen, die Jahrhunderte zu überdauern imstande waren… Und die in Seiana gelegentlich die Sehnsucht weckten, selbst so schreiben zu können. So sein zu können. Wie Faustus, um dessen gefühlsstarke Art sie ihn auch manchmal beneidete. Faustus lebte sein Leben mit einer Leidenschaft, die ihr zwar nicht fremd war – als Kind war sie selbst anders gewesen, und auch heute noch zeigte sich, wenn auch äußerst selten, ihr Temperament –, die sie aber seit so langer Zeit schon so sehr unterdrückte, dass sie kaum noch vorhanden zu sein schien. Sie hatte sich selbst so gut trainiert, dass sie kaum in der Lage gewesen wäre, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, selbst wenn sie es wollte. Zu stark waren die Mechanismen der Selbstbeherrschung, die sie sich im Lauf der Jahre angeeignet hatte… und nur, wenn die Emotionen in ihr deutlich überhand nahmen, so überbrodelten, dass auch sie sie nicht mehr bezwingen konnte, drangen sie nach außen.


    Als Narcissa dann die Gedanken aussprach, die ihr selbst gerade im Kopf herumgegangen waren, sah Seiana, für einen Moment überrascht, auf. Für einen Moment fehlten ihr die Worte, während sie die Aurelia aufmerksam musterte, bevor sie dann, etwas zögernd, zur Antwort ansetzte. „Nun… Nicht für jede Frau, das sicher nicht. Es gibt… manche Römerinnen, die wie geschaffen sind für das Leben, welches uns bestimmt ist.“ Ein trauriges Lächeln verzog ihre Mundwinkel ein wenig. Es gab solche Frauen. Und sie gäbe einiges dafür, zu ihnen zu gehören. Aber sie war… nicht genug. Nie genug. Auch Seiana – einem Teil von ihr – war bewusst, dass ihr Gespräch allzu plötzlich eine andere Ebene erreicht hatte, eine Ebene, die zumindest sie für gewöhnlich nicht erreichte, die sie zumeist schlicht nicht zuließ. Die Worte der Aurelia, die Atmosphäre in diesem Raum und vor allem ihre eigenen Gedanken, die sie gerade eben noch auf dieselben Wege geführt hatten, die Narcissa nun ansprach, brachten Seiana dazu, ein wenig offener zu sein als normal. „Es gibt aber auch die Frauen, auf die es zutrifft, für die eine andere Zeit eine angemessenere sein mag…“

    Xanthias hieß der Sklave also. Und entstammte einer wohlhabenden Familie – was ihn möglicherweise schwierig sein ließ, das war ihr durchaus klar. Andererseits könnte er, sollte er sich mit seinem Schicksal als Sklave wirklich abfinden, sehr nützlich sein mit seinem Wissen, jedenfalls wenn das, was er behauptet und bisher bereits gezeigt hatte, einen glaubhaften Rückschluss zuließ auf seine Fähigkeiten. Es konnte immer noch sein, dass er nur dies auswendig rezitieren konnte, aber diesen Fall hielt Seiana einfach für unwahrscheinlich. Und wenn er tatsächlich so viel konnte, wie es den Anschein hatte, war der bisherige Preis lächerlich, das wusste auch sie, die es bisher selten nötig gehabt hatte, einen Sklaven zu ersteigern – weder für sich noch für ihre Familie.


    Hätte Seiana geahnt, was der Sklave dachte, sie hätte es sich vielleicht überlegt – so aber blieb sie bei ihrem Gebot, und tatsächlich schien der Flavius Piso das Interesse an dem Griechen verloren zu haben, und auch sonst zeigte niemand wirklich Interesse. Etwas widerwillig, so schien es Seiana, aber schließlich ohne Zweifel gab der Händler ihr den Zuschlag, als kein weiteres Gebot einging. Sie gab Aristea und Demetrios, die sie begleitet hatten, einen Wink ihr zu folgen und trat nach vorne. „Ich nehme ihn gleich mit“, antwortete sie ruhig, während sie den Kauf wie gefordert bestätigte. Demetrios sollte genug sein, um ihren neuen Sklaven an einer möglichen Flucht zu hindern, und sie war ohnehin auf dem Heimweg gewesen. „Komm her“, bedeutete sie Xanthias dann. Kurz musterte sie seinen freien Oberkörper, mit unbewegtem Gesichtsausdruck, dann machte sie eine Kopfbewegung in seine Richtung und wandte sich erneut an den Händler: „Gib ihm etwas zum Anziehen.“ Ihre Stimme war weitestgehend neutral, nur ein aufmerksamer Zuhörer mochte die feine Note von Unwilligkeit erkennen, die in ihrem Tonfall mitschwang.


    Sim-Off:

    Überwiesen

    Seiana war immer noch aufgeregt, irgendwo tief in sich drin, aber sie stellte fest, dass es – zumindest im Moment – nicht gar so schlimm war, wie sie erwartet, beinahe befürchtet hatte. Die Acta war etwas, womit sie sich auskannte. Auch wenn die Frage nicht ganz einfach war, sie hatte nicht wirklich Mühe, sie zu beantworten, und das verschaffte ihr ein gewisses Maß an Selbstsicherheit. Das konnte bei der nächsten Frage ganz anders aussehen, und spätestens, wenn die endgültige Entscheidung anstand, würde es anders aussehen, das war ihr durchaus bewusst, aber sie konzentrierte sich auf das, was jetzt war, und schob die Gedanken weg an das, was danach kommen würde. „Es ist richtig, dass die Beteiligung an der Acta in der vergangenen Zeit immer geringer geworden ist – sowohl was die Mitarbeit freier Schreiber angeht als auch die der Subauctoren. Eine gut gefüllte Acta, die im Turnus von zwei oder auch vier Wochen erscheint, wie es früher der Fall war, wäre sicherlich zu viel erwartet. Ich denke allerdings, ein Turnus von zwei Wochen für ein oder zwei Artikel sollte zu schaffen sein.“ Sie streifte Aurelius Corvinus mit einem Blick, bevor sie noch hinzufügte: „Aufgrund meiner weit geringeren anderweitigen Verpflichtungen kann ich mehr Zeit investieren als der bisherige Auctor, sowohl um eigene Artikel zu schreiben als auch um neue Schreiber für die Acta zu gewinnen.“

    [Blockierte Grafik: http://img294.imageshack.us/img294/2627/demetrios.jpg~Demetrios~


    „So“, meinte Demetrios, als er die Neue in die Küche eintreten ließ und die Tür hinter sich schloss. Gerade hatten sie eine Führung durch die Casa Decima hinter sich, im Verlauf derer Demetrios der Neuen die wichtigsten Räumlichkeiten gezeigt hatte, angefangen von den eigenen Räumen der Herrschaften – die größtenteils unbewohnt waren derzeit – über die von ihnen gemeinsam genutzten Räume bis hin zu jenen, die den Sklaven vorbehalten waren. „Candace, Köchin – Aristea, eine Neue“, stellte er knapp vor. „Sie wird wohl hauptsächlich Seiana dienen, aber gerade am Anfang soll sie sich erst mal einarbeiten.“ Die Köchin lächelte Aristea zu und grüßte sie freundlich, bevor sie fragte: „Hast du Hunger?“ Demetrios unterdessen schnitt sich eine Scheibe von einem Laib Brot ab, schöpfte sich etwas von der Suppe, die über dem Feuer hing und für die Sklaven gedacht war, und setzte sich dann an den Tisch. Mit einem Wink bedeutete er Aristea, sich ebenfalls zu ihm zu setzen. „Das Haus hast du jetzt im Großen und Ganzen gesehen. Irgendwelche Fragen bis hierher?“





    SKLAVE - GENS DECIMA

    Auch Seiana war beim Sklavenmarkt vorbeigekommen – ihr Weg hatte sie eher durch einen Zufall hierher geführt, weil sie in der Stadt unterwegs gewesen war, und sie hatte eigentlich auch nicht halt machen wollen, bis etwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Ein Sklave begann, Horaz zu rezitieren, und sowohl die Art wie er es vortrug als auch seine Auswahl – sofern es denn seine Auswahl gewesen war – machten sie… irgendwie neugierig. Langsam kam sie näher und besah sich den Sklaven, während dieser mit seinem Vortrag dem Ende zukam. Weitere Nachfragen wurden gestellt, ohne dass Seiana bemerkte, dass der Frager zu ihrem Patron gehörte, da dieser in einer Sänfte saß, und kurze Zeit danach das erste Gebot zu hören war. Von Flavius Piso, bei dem sie vor nicht allzu langer Zeit gewesen war, wie sie sich düster erinnerte. Nein, an die Szene mit ihm dachte sie nicht gern zurück, nicht, weil ihr der Flavier in schlechter Erinnerung geblieben wäre, sondern weil die Situation so unangenehm gewesen war. Und weil sie mehr von ihrer Fassung verloren hatte vor ihm, als sie es normalerweise tat – mehr, als sie sich zugestand, selbst vor Familienangehörigen. Und Piso war im Grunde nicht mehr als ein vager Bekannter für sie.


    Seiana lenkte ihren Blick wieder nach vorne, zu dem Podest, und gab dem Sklaven, der sie begleitete, einen Wink vorerst abzuwarten. Was von dem Sklaven auf dem Podest bisher zu hören gewesen war, machte ihn durchaus interessant. Seiana gehörte eigentlich nicht zu denen, die viele eigene Sklaven hatte. Sie hatte Elena, auch wenn sie dieser in letzter Zeit immer häufiger frei gab, und Aristea unterstützte sie nun. Im Übrigen genügten ihr vollauf die Haussklaven der Casa Decima. Allerdings: Livianus war nun in Germanien, und er hatte einen großen Teil des Hausstands mitgenommen. Insofern wäre ein Kauf durchaus gerechtfertigt – und bei dem, was er konnte, würde sich auch weitere Verwendung finden lassen für ihn. Sie hatte nach wie vor noch niemanden, der sich – dauerhaft – um ihren Buchladen kümmern könnte, sie würde weitere Unterstützung brauchen, wenn sie im Senat Zuspruch fand und Auctrix wurde… Und da er offenbar Instrumente spielte, könnte er in dieser Hinsicht Aristea ergänzen, die selbst gesagt hatte, dass sie nicht sonderlich musikalisch war. Sie gab dem Sklaven einen weiteren Wink und wisperte ihm ein paar Worte zu, bevor dieser vortrat. „450 Sesterzen. Und meine Herrin möchte wissen, wie dein Name lautet.“

    Seiana war aufgeregt. Natürlich war sie aufgeregt. Im Grunde hatte sie gehofft, nicht vor den Senat treten zu müssen, aber im Grunde hatte sie gewusst, dass es dazu kommen würde. Warum sollten die Senatoren jemandem die Acta anvertrauen, ohne diesen Menschen auch nur gesehen zu haben? Entsprechend vorbereitet war sie auch, nicht nur, weil sie damit gerechnet hatte, sondern weil sie sich immer vorbereitete. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, vor den Senat treten zu müssen, weit geringer gewesen wäre, hätte sie sich vorbereitet. Allein der Gedanke, so etwas völlig spontan tun zu müssen, kam für sie einer Horrorvorstellung gleich. Sie war ein strukturierter Mensch, und sie brauchte einen gewissen Rahmen – und genau dieser Wesenszug war es, der ihr jetzt zugute kam, weil sie nun nicht mit nur einem Abend Vorbereitung hier auftauchte. Und dennoch gab es Unsicherheitsfaktoren, zu viele, für ihren Geschmack. Sie hatte niemanden fragen können, wie sie sich genau zu verhalten hatte, sie hätte nicht einmal gewusst wen – Livianus und Meridius waren fort, und diese Unsicherheit gegenüber ihrem Patron zuzugeben, war für sie nicht wirklich in Frage gekommen. Darüber hinaus wusste sie nur zu gut, wie unüblich es nun schon seit langem war, dass im Senat eine Frau vorsprach.


    Als der flavische Consul nun ihren Namen nannte und sie aufforderte vorzutreten, atmete Seiana noch einmal durch und ging hinein. Wie so häufig in letzter Zeit war sie dankbar um die Kälte, die sich in ihrem Inneren ausgebreitet zu haben schien. Es war so viel einfacher, Nervosität im Griff zu haben, wenn das Eis kaum Raum dafür ließ. Ihre Schritte und Haltung waren ruhig, ernst, ihr Gesichtsausdruck unbewegt, und während sie nach vorn ging, fixierte sie ihren Blick auch dort, wo ihr Ziel war, bis sie es schließlich erreichte und sie sich den Senatoren zuwandte. Viel zu viele Gesichter, kam es ihr vor, nicht alle davon wirklich aufmerksam, das nicht, aber einfach… viele. Sie wartete auf ein Zeichen von einem der Consuln, dass sie sprechen durfte, und als dieses kam, begann sie. „Patres Conscripti.“ Seiana bemühte sich um ein Lächeln, das ihr, ganz im Gegensatz zur Ruhe, zur Unbewegtheit, allerdings nicht so recht gelingen wollte. „Ich danke euch dafür, heute hier sein, hier sprechen zu dürfen. Noch mehr danke ich euch für den Grund meines Hierseins – dass ihr in Betracht zieht, mir die Acta Diurna anzuvertrauen.“ Sie machte eine winzige Pause, weil sie nicht zu hastig wirken wollte, was als Nervosität ausgelegt werden konnte. „Ich bin nun seit mittlerweile mehreren Jahren Mitarbeiterin der Acta – zunächst war ich als freie Mitarbeiterin tätig, dann als Subauctrix und zuletzt als Lectrix.* Gerade in der letzten Position konnte ich einige Erfahrungen darin sammeln, was es heißt, die Acta nicht nur schreiberisch, sondern auch organisatorisch zu unterstützen. Ich bin mir bewusst über die Verantwortung und die Herausforderung, die es darstellt, Auctor zu sein – und ich möchte euch darum bitten, mir euer Vertrauen zu schenken und diese Aufgabe zu übertragen.“ Seiana hatte länger hin und her überlegt, was und wie viel sie sagen sollte. Ob sie eingehender darstellen sollte, wie lange sie bei der Acta war und was sie getan hatte. Ob sie darauf hinweisen sollte, dass sie aufgrund ihrer Betriebe noch weit mehr Erfahrung besaß, was Organisation und Führungsverantwortung betraf. Oder ob sie ihre Tätigkeit bei der Schola erwähnen sollte, was auf der einen Seite noch weitere Erfahrung bedeutete, auf der anderen aber auch wieder als Nachteil gewertet werden konnte, weil dadurch ihre Zeit knapper wurde… andererseits auch wieder nicht so knapp, wie es die eines Senators und Pontifex wie Aurelius Corvinus war. Sie wusste nicht, was die richtige Variante wäre, aber sie hatte sich dafür entschieden, ihre ersten Worte eher kurz zu halten. Wenn die Senatoren Fragen hatten, würden sie sie stellen, dann konnte sie immer noch ausführlicher auf das ein oder andere eingehen – und wenn sie keine hatten, würde sie sie nur langweilen, wenn sie zu weit ausholte.



    Sim-Off:

    *simoff seit Dezember 2007; ich bin mir grad nicht sicher, ob das zählt oder, wie beim Auctor, die CH-Perioden