Seiana saß da, den nun leeren Weinbecher noch locker in der Hand. Sie wusste es besser als ihn aufzufüllen. So wie sie sich gerade fühlte, hätte sie ihn nur wieder geleert, und das war nicht zielführend. Sie fragte sich, ob sie zu seiner Aufbahrung gehen sollte... und war unschlüssig. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob es sich tatsächlich gehören würde. Sicher, sie waren verlobt gewesen, lange Zeit. Andererseits jedoch war es nicht so, dass sie sich im Guten getrennt hätten, auch wenn sie ihm keinen Ärger gemacht hatte und er nur wenige Tage danach mit seiner Idee angekommen war, sie könnten doch Freunde sein. Freunde. Nach allem, was er ihr an den Kopf geworfen hatte. Nachdem er sie dazu gebracht hatte, Jahre ihres Lebens zu vergeuden, nur um sie dann sitzen zu lassen – unverheiratet und in einem Alter, in dem sie schon längst einen Ehemann hätte haben sollen. Ein bitterer Zug zeichnete sich um ihren Mundwinkel ab. Nein, sie würde nicht gehen. Sie verspürte kein Bedürfnis danach, ihn noch einmal zu sehen. Und so wie sie sich getrennt hatten, so wie er sie verlassen hatte, konnte es ihr keiner verübeln, dass sie in diesem Fall mögliche gesellschaftliche Konventionen außer Acht ließ – wenn es denn tatsächlich jemanden gab, der fand, sie sollte sich dort blicken lassen.
Seiana fühlte sich merkwürdigerweise ein wenig besser, nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte. Leichter, irgendwie. Den Becher stellte sie nun endgültig ab, bevor ihr Blick noch einmal seinen Brief streifte. Katander. Er hatte ihr Katander geschenkt. Seiana musste daran denken, wie sie vorgehabt hatte Elena zur Hochzeit die Freiheit zu schenken, und wie sie Caius hatte bitten wollen, Katander das gleiche zu schenken, so dass die beiden sich ein gemeinsames Leben aufbauen konnten. Nachdem die Verlobung gelöst gewesen war, war daraus nichts geworden, und Seiana war heilfroh gewesen, dass sie Elena nichts von ihren Plänen erzählt hatte. Allerdings gaben ihr die Götter zumindest was das betraf offenbar eine zweite Chance. Sie würde ihr jetzt die Freiheit schenken, und Katander gleich mit. Sie konnte ihnen helfen, sich etwas in Rom aufzubauen – Seiana hoffte jedenfalls, dass sie in Rom bleiben würden. Sie gestand es sich nicht ein, dass es noch einen Grund hatte, dass sie Elena frei ließ. Dass Elena... zu viel wusste. Von ihr. Über sie. Elena kannte sie einfach zu gut, und wo ihr das bisher zumeist gefallen hatte, wo sie sich glücklich geschätzt hatte, eine solche Freundin, eine Vertraute in ihrer Nähe zu wissen, gefiel Seiana diese Tatsache in letzter Zeit immer weniger. Sie hatte sich verändert, veränderte sich immer noch, das wusste sie selbst, und sie hörte sich nicht gerne Vorträge darüber von Elena an. Sie wusste, dass die Spanierin Recht hatte. Aber es gab nichts, was sie dagegen tun konnte, mehr noch, sie wollte nichts dagegen tun. Das Leben war einfacher so, fand sie. Wenn sie sich verschloss. Wenn sie zuließ, dass das Eis die Oberhand behielt. Und dass Elena mit Katander so glücklich schien, trug nichts dazu bei, dass es Seiana leichter fiel, sie um sich zu haben. Und dennoch – sie wünschte sich, die beiden würden in Rom bleiben. Dass sie Elena nicht mehr jeden Tag und ständig um sich haben wollte, hieß schließlich nicht, dass sie ihre Freundin auf Monate oder Jahre hinaus gar nicht mehr sehen wollte.
Noch eine Entscheidung gefällt. Und eine weitere stand an. Seiana zog den Papyrus zu sich, der etwas weiter entfernt von ihr auf dem Tisch lag, und überflog kurz, was sie auf diesem aufgezeichnet hatte. Die Acta erforderte einiges ihrer Aufmerksamkeit. Da war ein Artikel, den ein freier Mitarbeiter geliefert hatte, den sie so nicht veröffentlichen konnte. Sie würde ihn überarbeiten müssen, so viel stand fest, allerdings war sie sich noch nicht ganz sicher wie, oder wo – und wie – sie ansetzen könnte. Und dann war es auch erforderlich, personelle Änderungen vorzunehmen. Sie überlegte einen Augenblick, dann beschloss sie, Nägel mit Köpfen zu machen. Die Umstrukturierung war immerhin bereits besprochen worden*, und so fertigte sie ein Pergament an, in dem sie die Acta-Mitarbeiter wissen ließ, dass Aurelius Corvinus von nun an Auctor PPA sein würde, während sie Germanica Aelia zur Lectrix ernannte.
Sim-Off:*Sim-off besprochen