Beiträge von Decima Seiana

    Der Flavier schien überrascht zu sein, sie zu sehen, aber Seiana überging das, sondern betrat sein Officium und setzte sich ihm gegenüber, als er sie mit einem Wink dazu aufforderte. Sie konnte nicht so recht lesen in seinem Gesicht, aber irgendetwas ging in ihm vor, das zumindest war ersichtlich. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er von der Iunia wusste. Immerhin war er Caius’ bester Freund… und er war dabei gewesen, bei dem Essen bei dem Pompeier. Aber es spielte im Grunde keine große Rolle, ob er davon wusste. Ob er wusste, was gelaufen war. Hätte Caius es sich nicht offenbar in den Sinn gesetzt, ihren Ruf zu ruinieren, es wäre ihr ohnehin am liebsten gewesen, wenn keiner, auch Piso nicht, davon erfuhr, wie lange das schon so gegangen war. Wie sehr Caius sie im Grunde vorgeführt hatte. Aber jetzt hatte sie keine andere Wahl, als den Flavier selbst darüber aufzuklären, wenn er es nicht schon wusste.


    Bei seinen Worten verzogen sich ihre Lippen zu einer zynischen, bitteren Mutation eines Lächelns. „Nun, ich… weiß nicht, wie gut du informiert bist.“ Sie atmete ein. „Die Verlobung ist gelöst. Das vorneweg, denn das spielt eine Rolle. Und Cai… Archias scheint es sich jetzt in den Kopf gesetzt zu haben, meinen Ruf zu ruinieren.“ Sie schilderte Piso mit knappen Worten, was geschehen war. „Vor dem Haus meiner Familie ist der Kerl rumstolziert und hat meinen Namen gebrüllt. Ist dir klar, was das bedeutet? Archias macht mich damit zum Gespött der Leute, und er stellt mich als eine Frau hin, die es nötig hat, mit derart billigen Mitteln ihren Ruf zu polieren. Und das werde ich nicht zulassen.“

    Zitat

    Original von Marcus Decimus Livianus und Marcus Decimus Mattiacus
    ...


    Gemeinsam mit ihrem Onkel betrat Seiana das Haus der Iunier. Sie wusste nicht so recht, was sie von dieser Veranstaltung halten sollte. Eine Doppelhochzeit war mehr als nur ungewöhnlich, fand sie. Es widersprach den Traditionen… und sie war schon mehr als gespannt auf den Brautzug, ob jener sich dann zweiteilen würde, oder ob die eine Braut tatsächlich im Haus eines anderen, einer Familie, die nicht ihre neue sein würde, die traditionellen Zeichen überreicht bekommen würde. Und sie fühlte sich nicht so recht wohl hier, weil es die Iunier waren. Die Chancen standen gut, dass jemand hier war, dem sie nicht begegnen wollte. Sie kannte Caius, und sie wusste, dass er nicht viel von solchen Veranstaltungen hielt, aber es war Axillas Familie, und auch ihr allein wollte sie schon nicht begegnen. Andererseits hatte sie kaum nein sagen können, als ihr Onkel sie gefragt hatte. Und es bot Ablenkung, und Ablenkung hatte sie wahrlich nötig. Und es war eine Veranstaltung, wo sie Leute kennen lernen konnte. Und Fakt war doch: sie hatte es dringender nötig denn je, Kontakte zu knüpfen. Vor allem die richtigen.


    Sie lächelte ihren Onkel an, als sie sein Kompliment hörte. „Danke dir.“ Tatsächlich sah sie heute, zur Abwechslung, gut aus – und das kam nicht von ungefähr. Sie hatte die letzten Tage strikt darauf geachtet, nichts zu tun, was ihr Aussehen negativ beeinflussen könnte, sie hatte keinen Wein angerührt und hatte wenigstens versucht, früh zu schlafen, und so war es heute nicht nur ihr Kleid, das bezaubernd aussah, nein, sie wirkte allgemein frischer und ausgeruhter als in den Tagen zuvor – was aber auch nur jenen auffallen konnte, die sie gesehen hatten, was herzlich wenige waren. Und dennoch war sie blass, das war etwas, woran sie nichts hatte ändern können, genauso wenig wie an der Tatsache, dass der schlechte Schlaf der letzten Zeit sich nach wie vor in dunklen Schatten unter ihren Augen zeigte, die durch ein paar Nächte mit mehr Schlaf nicht verschwanden, schon gar nicht, wenn es sich mehr oder weniger um erzwungene Ruhe handelte. Sie wollte gerade noch etwas hinzufügen, da sah sie überrascht auf, als Mattiacus sich zu ihnen gesellte. Sie grüßte ihn freundlich, hielt sich aber ansonsten zurück, was das Gespräch der beiden Männer betraf, sondern beobachtete die Leute – insgeheim auf der Suche nach zwei bestimmten Gesichtern, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie reagieren sollte wenn sie sie tatsächlich sah – und verfolgte die Zeremonie, als das Opfer begann.

    [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Crios hielt Axilla inzwischen halb im Arm, und so bekam er auch ihr leises Flüstern mit. Zuerst verstand er nicht, was sie sagte, dann begriff er nicht so recht, warum sie ständig Nein sagte. Auch, als sie einen Namen sagte, fiel der Sesterz bei ihm nicht. Wollte sie ihren Freund, ihren Vater, ihren Bruder, sonst jemanden? Er hatte keine Ahnung, wie der Sklave hieß – sicher wusste er es eigentlich, aber Crios hatte kein sonderlich gutes Namensgedächtnis, und im Augenblick hatte er ganz andere Sorgen, als darüber zu grübeln, wie der Tote heißen mochte. Und er kam auch nicht auf die Idee, dass die Iunia ihn meinen könnte. Er sah wieder auf zu dem Mann, der sie zuvor gehalten hatte, als dieser sagte er kenne sie nicht. In Ordnung, dann musste er auf ihn schon mal keine Rücksicht nehmen, wenn er Axilla versuchte zu behandeln. Er hatte den Hieb in den Magen nicht vergessen, den der Kerl ihm verpasst hatte, mit dem die Iunia Umgang hatte, auf noch so eine Erfahrung konnte er gut verzichten.


    Und dann war da plötzlich noch ein Mann, der helfen wollte. Nachdem bisher fast alle nur herum gestanden waren und nichts getan hatten, schien das ein Geschenk der Götter zu sein. Zumal Crios sich nicht wirklich imstande sah, Axilla den ganzen Weg zu tragen – und sie sah nicht so aus, als könnte sie alleine laufen. „Ja, kannst du sie ein Stück tragen? Wir können uns ja abwechseln“, schloss er sich an, dann wandte er sich noch mal an den ersten. „Eh, danke, dass du dich um das hier kümmerst. Der da“, er machte eine Kopfbewegung zu Leander hin, „ist der Sklave von ihr“, diesmal neigte sich sein Kopf zu Axilla. „Der muss in die Casa Iunia gebracht werden, kannst du dich darum auch noch kümmern?“ Dass der Familie nahe stehende Sklaven ähnlich wie Familienmitglieder selbst behandelt wurden bei diesen Dingen, so viel wusste Crios, und dass ihr Sklave ihr nahe gestanden hatte, war deutlich geworden bei seinen Besuchen bei ihr.




    Nachdem ein Herein ertönt war, öffnete Seiana die Tür und betrat das Officium. Die Wut war auf dem Weg hierher zu einem guten Stück abgeflaut, und zurück blieb ein Chaos aus den verschiedensten Gefühlen, die jedoch alle vornehmlich negativ waren – immer noch Wut, dazu verletzter Stolz, verletzte Gefühle, Enttäuschung, und inzwischen auch ein wenig Angst. Angst, wie das weiter gehen mochte. Denn wenn es so weiter ging wie gestern und heute, würde ihr nichts anderes übrig bleiben als sich wenigstens eine Zeitlang aus Rom zurückzuziehen. Lange genug, bis das Gerede abgeflaut war. „Salve, Flavius Piso.“ Sie bemühte sich um ein Lächeln, auch wenn ihr das nicht so wirklich gelang – noch viel weniger da ihr bewusst war, wie sie aussah. Sie hatte die letzten Tage herzlich wenig geschlafen und wenn dann nur schlecht, sie hatte zu viel Wein getrunken und war kaum aus dem Haus gekommen, und sie hatte – jedenfalls gefühlt – Tiefschlag nach Tiefschlag versetzt bekommen. Und genau so sah sie auch aus, trotz aller Bemühungen, das zu vertuschen und zu überschminken. „Entschuldige, dass ich ohne Vorankündigung oder Termin einfach so hereinplatze. Hast du einen Augenblick Zeit für mich?“

    Es war Flavius Pisos Büro, zu dem Seianas Weg sie führte, und das nicht ohne Grund. Sie wusste, dass Piso mit Caius befreundet war. Wäre das nicht der Fall gewesen, sie hätte es sich wohl noch einmal überlegt, wäre vermutlich zuerst zu ihrem Onkel Mattiacus gegangen, der Anwalt war. Aber Mattiacus hatte als Tribun derzeit viel zu tun, und so wütend Seiana auch war, sie wusste nicht, wie weit sie das hier treiben wollte. Und Piso konnte sie vielleicht besser beraten als Mattiacus, zumindest hoffte sie das – falls nicht, konnte sie ihren Onkel immer noch aufsuchen. Sie würde ihn ohnehin brauchen, wenn sie tatsächlich Anzeige erstattete. Aber es musste einfach ein Ende haben. Bevor Caius noch eine Aktion wie diese einfiel, musste sie irgendwie dafür sorgen, dass er aufhörte. Und wer wäre besser dafür geeignet, ihm ins Gewissen zu reden, als sein ältester Freund – der noch dazu Tresvir Capitalis war? Selbst, wenn der ihr sagen würde, dass eine Anzeige in einem solchen Fall keinen Sinn machen würde, keine Aussicht auf Erfolg haben würde… Er konnte Caius immerhin ins Gewissen reden. Immerhin das. Seiana klopfte an.

    Seiana erfüllte Widerwille, fast schon so etwas wie Ekel, als der Kerl ihr die Hand hinhielt, aber sie nahm sie trotzdem, um den Handel zu besiegeln. Starr wie eine Statue blieb sie dann stehen, bis der Sklave wieder auftauchte mit den Münzen, blieb stehen, als der Kerl die Echtheit überprüfte, und blieb stehen, als er und seine Leute sich aufmachten und verschwanden, und mit ihm die Menschen, die das Brot wollten. Selbst, als der Menschenauflauf sich verteilt hatte und zumindest all jene gegangen waren, die von dieser Szene etwas mitbekommen hatten, stand sie noch einen Augenblick da und starrte vor sich hin. Der Gedanke regte sich in ihr, die Taberna zu verkaufen. Der Laden lief gut, und ihre beiden Angestellten waren – ganz egal, was Caius von ihnen halten mochte – gute Leute. Gute Ärzte. Aber das war es einfach nicht wert. Das, was hier lief, war kein Geschäft der Welt wert. Chaos tobte in ihr, pures Chaos, und sie kam damit nicht klar. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie konnte das hier nicht auf sich sitzen lassen. Es hatten genug Leute mitgekriegt, und es würde die Runde machen. Tratsch wie dieser verbreitete sich so unglaublich schnell… Und wer wusste schon, was Caius noch geplant hatte, nur um es ihr heimzuzahlen, dass sie seine großzügige Geste abgewiesen hatte, dass sie sein Geschenk nicht gewollt hatte. Dabei hatte sie ihm nur nichts schuldig sein wollen. Hatte gewollt, dass alles rechtens war – und Verlobungsgeschenke wurden nun einmal zurück gegeben, wenn die Hochzeit nicht zustande kam. Und jetzt? Jetzt hatte sie annähernd das Doppelte von dem ausgegeben, was die Taberna, so wie sie sie bekommen hatte, eigentlich wert gewesen wäre, nur um ihren Ruf zu schützen, blieb auf den Kosten sitzen und hatte zwar noch eine Taberna medica, die gut lief, die aber lange brauchen würde, bis sie diese Kosten wieder eingebracht hatte. Erst recht, wenn sich der momentane Tratsch in den Besucherzahlen und damit auch in den Einnahmen zeigte, sowohl in der Taberna wie auch in ihren übrigen Geschäften. Seiana konnte das Gerede beinahe hören. Decima? Nein, geh da besser nicht hin. Mit der Besitzerin kann irgendwas nicht stimmen… Ihr Verlobter hat sie verlassen, das muss doch einen Grund haben… Sonst will sie ja auch keiner, wie alt ist sie inzwischen?… Hast du gehört was vor der Casa Decima passiert ist? Die muss es doch echt nötig haben… Seiana biss mit Mühe den Wutschrei zurück, der ihr in der Kehle steckte, und kämpfte ebenso die Tränen der Wut und der maßlosen Enttäuschung nieder, die aufsteigen wollten. Dann bedeutete sie zwei der Sklaven, sie zu begleiten, und machte sich auf den Weg.

    Seiana ahnte nichts von Narcissas Träumen, selbst ein Buchgeschäft zu eröffnen – sonst hätte sie ihr sagen können, dass es völlig gleichgültig war, was ihre Verwandten darüber dachten, weil es Patriziern schlicht verboten war, außer landwirtschaftlichen noch andere Betriebe zu führen. Allerdings hörte sie das schwere Seufzen, das die Aurelia von sich gab, und etwas verwundert sah sie sie kurz an – ohne allerdings weiter darauf einzugehen. Was auch immer der Aurelia auf dem Herzen lag gerade, es ging sie ja nichts an, und sollte tatsächlich etwas anderes der Fall sein, würde sie schon selbst mit der Sprache herausrücken.


    Als Seiana dann erzählte, wie sie dem Verwandten von Narcissa stand, schien diese deutlich überrascht zu sein – allerdings nicht, wie sie bald feststellte, weil Corvinus ihr Patron war, sondern weil sie bei der Acta arbeitete. „Ja, tue ich“, antwortete sie mit einem Lächeln. „Nun, es… macht Spaß. Mir jedenfalls. In letzter Zeit komme ich nur noch selten dazu, wirklich Artikel zu schreiben, was schade ist, weil das der Grund war warum ich angefangen habe…“ Sie hob leicht eine Schulter an. „Aber ich arbeite inzwischen zusätzlich als Lectrix, was einige Zeit in Anspruch nimmt, und ich habe im Augenblick auch noch einige andere Dinge um die Ohren. Ich hoffe das ändert sich bald wieder. Was ist mit dir, interessiert dich das Schreiben? Möchtest du auch bei der Acta anfangen?“

    Seiana hätte beinahe nach Luft geschnappt, zuerst als der Kerl anzüglich wurde, dann erneut, als sie die Summe hörte, die er nannte, aber beide Male unterdrückte sie diesen Impuls. Ihre Gedanken rasten. So viel hatte Katander dem Kerl nie und nimmer gezahlt, zusätzlich zu dem Brot, nur um ihn dazu zu bringen, diese Nummer hier abzuziehen. Niemals. Aber sie hatte keine andere Wahl, nicht wenn sie wollte, dass er von hier verschwand, und in die Subura abzog und dort das Brot schweigend verteilte. „In Ordnung“, antwortete sie zähneknirschend, und mit einem Wink wies sie einen der Sklaven, die ihr gefolgt waren, an, die entsprechende Summe zu holen. Sie hatte es sich leisten können, Caius diesen Preis für die Taberna zu zahlen, sie konnte sich auch das hier leisten, obwohl es völlig lächerlich und überzogen war. Absolut überzogen. Aber sie hatte keine Wahl. „Dafür wirst du mit dem Brot in die Subura gehen, und es still verteilen. Und die Götter mögen dir gnädig sein, wenn mir etwas anderes zu Ohren kommt!“ Seiana kochte nun innerlich vor Wut, weil sie sich auf so einen Handel mit diesem Halsabschneider einlassen musste. Aber das hier würde ein Nachspiel haben, so viel war sicher, jedenfalls so weit es in Seianas Macht stand. Für den Halsabschneider, und für ihren ehemaligen Verlobten.

    Seiana ignorierte, was der Kerl ihr sagte. Sie wollte einfach nur, dass er verschwand, und dass er aufhörte, ihren Namen zu brüllen. Und sie erstarrte, als er etwas von einer Abmachung faselte. Allerdings nur für einen Moment. „Ich zahl dir das doppelte, wenn es sein muss!“ In ihre Stimme schlich sich, so aufgebracht sie war, fast schon gegen ihren Willen ein winziges Flehen. Sie würde sich das nicht gefallen lassen, und es war ihr egal, was sie das kostete. Sie würde nicht zulassen, dass Caius Aelius Archias ihren Ruf Stück für Stück zerstörte. „Sag mir einfach, was du dafür willst!“

    Wenn Elena gewusst hätte, was Katander in Archias’ Auftrag machen sollte, hätte sie ihn daran gehindert. Aber sie wusste nichts davon, und so antwortete sie nur auf seine Fragen – von vornherein recht verhalten, weil die Situation einfach schwierig war, und erst recht, als sie bemerkte, dass Katander umgekehrt über Archias herzlich wenig erzählte. Und so erfuhr Katander im Grunde nur das, was er ohnehin schon gemerkt hatte: dass es Seiana nicht gut ging, und dass Elena sich Sorgen machte. Überhaupt, sie wollte gar nicht so ausführlich über Seiana reden. Es gab einfach nichts, was sie tun konnte, und sie wollte lieber die Zeit genießen, die sie mit Katander hatte. Jetzt, wo aus der Hochzeit nichts wurde, war ihre gemeinsame Zeit noch spärlicher als ohnehin schon, weil sie sich einfach nicht so häufig sahen – die letzten Wochen, als es zwischen Archias und Seiana immer mehr gekriselt hatte, hatte da schon einen Vorgeschmack darauf gegeben.


    Während Katander und Elena also bereits auf dem Palatin waren, ereignete sich vor der Casa Decima ein mittleres Spektakel. Das natürlich innerhalb der Mauern nicht unbemerkt blieb. Seiana wurde von einem Sklaven herbei geholt, und als sie begriff – begriff – was da vonstatten ging, wurde ihr eiskalt. Sie fühlte sich… vorgeführt. Verhöhnt. Verspottet. Natürlich war klar, wer dahinter steckte. Und die Geste an sich war auch nicht schlecht, wenn er das Geld nicht haben wollte. Aber musste er denn ausgerechnet das tun? Was würden die Leute denn von ihr denken, dass sie es nötig hatte, auf diese Art ihren Ruf aufzupolieren? Dass sie allen zeigen wollte, wie großzügig sie war? Halb Rom würde sich den Mund über sie zerreißen! Solche Aktionen brachten nur Aufschneider und die, die es wirklich bitter nötig hatten, etwas an ihrem Ansehen zu tun! In diesem Augenblick schien es Seiana sonnenklar zu sein, was Caius vorhatte: er wusste, wie wichtig ihr ihr Ansehen und das ihrer Familie war. Er wusste es. Und genau deshalb hatte er das hier in Auftrag gegeben. Nur deshalb. Nachdem er die Verlobung aufgelöst und sie damit schon dem Gespött und Tratsch gewisser Leute preisgegeben hatte, wollte er auch noch systematisch den Rest ihres Ansehens zerstören. Wenn das hier weiter durch die Straßen Roms drang, wenn es erst mal die Runde machte, würde sie völlig unglaubwürdig sein, und noch mehr das Gespött schlechthin.


    Seiana fackelte nicht lange. Es brauchte nur wenige Schritte, bis sie bei dem Kerl war, der so munter ihren Namen brüllte. „Wie viel willst du haben, damit du mit dem Brot in die Subura gehst und es da verteilst, wo die Menschen es wirklich brauchen? Und bitte ohne meinen Namen dazu zu brüllen!“

    Selbst für Seiana war das Schweigen unangenehm, das sich ausbreitete, und dabei war es ihre Schuld. Aber was hätte sie auch großartig sagen sollen? Sie wusste es nicht, und so schwieg sie, bis Elena zurückkam. Sie sah, wie Katander flüchtig über Elenas Finger strich, und der Anblick versetzte ihr einen leisen Stich, aber sie ließ sich nichts anmerken, sondern überspielte es gekonnt. Sie erwiderte nur Katanders Nicken und sah zu, wie er das Dokument einsteckte, dann zögerte sie bei seiner Frage. Zögerte einen langen Moment. Nur um schließlich den Kopf zu schütteln. „Ich wüsste nicht was“, flüsterte sie, ohne Katander anzusehen.


    Erst, als sie Katanders Frage an Elena hörte, sah sie wieder zu den beiden, und sie bemerkte Elenas Blick, der zwischen ihrer Herrin und ihrem Freund hin und her flog. Sie wollte mit Katander mitgehen. Sie sehnte sich danach, herauszukommen, sehnte sich nach etwas Abwechslung, nach etwas weniger… Eiszeit, und vor allem sehnte sie sich nach Katander. Aber sonderlich wohl bei dem Gedanken, Seiana allein zu lassen, fühlte sie sich auch nicht. Die allerdings machte den Überlegungen ihrer Sklavin kurzen Prozess. „Geh“, forderte sie sie auf, und obwohl ihre Stimme leise war, gab es keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinte. Und diesmal nicht nur, weil sie allein sein wollte, sondern auch für Elena. Es reichte schon, wenn es ihr schlecht ging, sie musste nicht auch noch ihre Sklavin, ihre Freundin, darunter leiden lassen. Elena nickte nur und streckte ihre Hand nach Katanders aus. „Danke. Bis später dann…“

    Seiana bereute ihren kurzen Ausbruch schon wieder, als Katander ebenfalls aufsprang und sich entschuldigte. Diesmal presste sie ihre Finger kurz auf ihre Augen, ließ aber gleich wieder los und sah erneut zu Katander, während sie nun mit dem Rücken am Fenster lehnte. Plötzlich fühlte sie sich müde. So müde. Und so alt. „Eben“, antwortete sie, und sie klang beinahe noch erschöpfter als sie sich fühlte. „Er hätte sie verkauft, und er hätte Geld dafür bekommen. So einfach ist das. Ich weiß, dass ihm das nicht wichtig ist, aber mir ist es wichtig.“ Und sie konnte es sich leisten. Sie war nicht darauf angewiesen, dass er großzügig war.


    Danach wusste Seiana erst mal nicht, was sie sagen sollte, und so war Katander nicht der einzige, der erleichtert war, als Elena mit einem Säckchen voller Münzen zurückkam, das sie Katander übergab. „Möchtest du das hier mitnehmen? Ich habe eine Abschrift machen lassen.“ Mit einer Kopfbewegung deutete Seiana auf den Papyrus mit den Berechnungen. „Ansonsten… war das wohl alles.“ Sie hatte Kopfweh. Und sie wollte allein sein. Ganz allein. „Elena, nimm den Rest des Tags frei.“ Ganz allein. Elena war zwar inzwischen still, aber Seiana wusste, was ihr auf den Lippen brannte. Sie konnte es in ihren Blicken sehen, die sie selbst dann spürte, wenn sie nicht hinsah. Und manchmal, wie jetzt, wurde ihr auch das zu viel.

    Es fiel ihr schwer, sich von den Geschenken zu trennen. Nicht, weil sie tatsächlich an den Gegenständen selbst hing, sondern weil sie etwas bedeuteten. Sie symbolisierten die Beziehung, die Verbindung, die Caius und sie gehabt hatten, und sie wegzugeben symbolisierte ebenso etwas. Und genau deshalb tat Seiana das. Weil es vorbei war, endgültig und unwiderruflich, und es brachte nicht das Geringste, in der Vergangenheit zu leben. Sie wollte einen klaren Schnitt, so klar und schnell und radikal wie möglich, weil sie glaubte, nur so damit tatsächlich abschließen zu können. Was brachte es denn, wenn sie in den nächsten Wochen immer mal wieder eines dieser Geschenke in die Hand nahm und an das zurückdachte, was sie verloren hatte? Während sie zugleich auch noch daran denken musste, wer es jetzt hatte, wer an ihrer Stelle war? Die Verlobung war ja nicht einfach nur in die Brüche gegangen, nein, Caius hatte sie nahtlos ersetzt mit einer anderen. Seiana nickte auf Katanders kurzen Kommentar hin. Es war ganz eindeutig besser, die Sachen wegzugeben. Sie konnte nicht die Gedanken, die Erinnerungen weggeben, aber sie konnte dafür sorgen, dass es so wenig wie möglich gab, was solche Gedanken und Erinnerungen auslöste.


    Als Katander zustimmte, spürte Seiana ein wenig Erleichterung. Das war sehr gut. Dass er zustimmte hieß, dass sie das tatsächlich recht schnell und unkompliziert machen konnten, ganz im Gegensatz zu gestern. Sie ignorierte den leicht überraschten Blick, kommentierte die Summe genauso wenig wie er. Der Preis war durchaus großzügig bemessen, aber Seiana wollte sich einfach nichts vorhalten lassen. Wollte nicht im Mindesten in den Verdacht geraten, sie ziehe aus dieser gescheiterten Verbindung irgendeinen, und sei es auch nur noch so kleinen Vorteil. Und sie wollte auch nicht, dass irgendwer denken könnte, sie stünde in seiner Schuld. Sie hatte die Taberna ausgebaut, und sie lief gut, unter ihrer Führung, genauso wie ihre anderen Betriebe. Sie wollte nicht, dass irgendjemand dachte, sie habe das Caius zu verdanken, weil er ihr geholfen habe. Und: sie wollte ihm auch nichts schuldig sein. Wollte nicht in die Taberna gehen und sich jedes Mal daran erinnern müssen, dass es ein Geschenk von ihm gewesen war, ein Geschenk, das er ihr nur gemacht hatte, weil sie verlobt gewesen waren, weil man solche Geschenke sonst eigentlich nicht machte. Und sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass ihr selbst da, als er ihr das von der Taberna erzählt hatte, etwas unwohl gewesen war bei dem Gedanken, dass er nichts dafür wollte. So war sie nun mal.


    Und dann sagte Katander noch etwas. Seianas Augenbrauen zogen sich ein Stück zusammen, und sie stand auf – nicht so heftig, dass der Stuhl auch diesmal gekippt wäre, aber doch heftig genug, dass man ihren Unwillen merken konnte. „Ja, das hat er deutlich genug zum Ausdruck gebracht. Aber mir ist es nicht egal. Ich will ihm nichts schuldig sein, und ich will, dass das hier vernünftig vonstatten geht. Dazu gehört ein angemessener Preis, der auf angemessenen Überlegungen und Vergleichen basiert!“ Sie wandte sich von Katander ab und ging ein paar Schritte hinüber zum Fenster. „Elena, würdest du bitte das Geld holen?“ Woraufhin die Sklavin nach einem kurzen Blick zu Katander aus dem Zimmer ging.

    Elena ging es die ganze Zeit schon so, wie es Katander jetzt ging. Aber Seiana wollte sich nicht helfen lassen von ihr, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als einfach nur da zu sein, und darauf zu warten, dass ihre Herrin wieder… normal wurde.


    Seiana unterdessen schob die Geschenke, die Caius ihr im Lauf der Zeit gemacht hatte, zu Katander hinüber. „Das ist eine gute Idee. Verkaufs.“ Dann musste sie sich nicht darum kümmern. Und sie hatte das Zeug gleich weg, und komplett, und nicht noch eine Weile hier rumliegen. Und sie musste es nicht an irgendwelchen Sklavinnen im Haus oder gar an Elena ständig sehen. Das war sehr gut. Bei Katanders nächsten Worten nickte sie zunächst nur stumm. Er hatte nichts gesagt, und irgendwie überraschte sie das nicht wirklich. Sie kannte ihn ja. Sie kannte ihn. Sie hatte geglaubt, ihn zu kennen… Seiana presste kurz die Lippen aufeinander und zog aus dem Stapel an Papyri, die am Rand des Tisches lagen, ein Pergament hervor. „Ich habe mal eine Übersicht erstellt, auf welchem Stand die Taberna war, als ich sie übernommen habe, die Lage, wie die Geschäfte liefen, wie groß sie war, solche Dinge. Ich habe inzwischen bereits selbst Geld investiert und sie erweitert, daher habe ich nicht den aktuellen Stand genommen.“ Sie reichte Katander das Blatt, auf dem verschiedene Zahlen vermerkt waren, Berechnungen angestellt waren, Vergleichswerte herangezogen worden waren, und am Ende schließlich ein Betrag stand. „Ist das in Ordnung?“

    Das Kribbeln in ihrem Brustkorb nahm noch zu, und begann Seiana das Atmen schwer zu machen. Aber sie beherrschte sich, zwang sich, dennoch ruhig und gleichmäßig ein- und auszuatmen. Sie bemerkte, wie Katander kurz zu Elena sah, aber sie folgte seinem Blick nicht, und so entging ihr das etwas hilflose Achselzucken ihrer Sklavin, das diese als Antwort gab. Stattdessen schloss sie die Augen und rieb sich kurz über die Stirn. Katanders Worte hingen immer noch in ihrem Kopf, hingen einfach so da, im Nichts, und drehten sich leicht um sich selbst. Leid. Es tat ihm leid. Glaubte sie das? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht tat es ihm wirklich leid. Aber das änderte wohl nichts daran, dass er das gesagt hatte, was er meinte. Warum sonst hätte er es denn sagen sollen? Die Worte, die Katander ausgesprochen hatte und nun in ihrem Kopf hingen, setzten sich in Bewegung und klirrten aneinander, und Seiana unterdrückte ein Zusammenzucken, als ihre Kopfschmerzen kurzzeitig stärker wurden.


    „Nein“, antwortete sie leise. „Ich will davon nichts. Ich werd es verschenken oder verkaufen, irgendwer wird das schon wollen.“ Sie zögerte kurz, dann fügte sie an: „Wenn du glaubst, dein Herr würde es zurücknehmen, kannst du es gerne ganz mitnehmen. Aber ich denke nicht, dass er das will.“ Wieder rieb sie sich über die Stirn, dann lehnte sie sich zurück und trank einen Schluck Wasser. „In Ordnung. Du bist wegen der Taberna hier. Hat… er dir gesagt, wie viel er haben möchte?“ Seiana hatte nicht vor, da jetzt noch herumzufeilschen und das Ganze in die Länge zu ziehen. Sie wollte es nur einfach endlich hinter sich haben.

    Elena freute sich, als sie Katanders Stimme erkannt hatte – Seiana hatte ihr zwar versichert, dass die Auflösung der Verlobung keinen Einfluss auf sie und Katander haben würde, jedenfalls nicht von ihrer Seite aus, aber es war trotzdem alles ein bisschen schwierig die letzten Tage. Schon allein, weil sie sich kaum traute, ihre Herrin in diesem Zustand allein zu lassen. Und so war sie die meiste Zeit bei ihr, wie auch jetzt, ein stummer Schatten im Hintergrund, entgegen ihrer eigentlichen Art, weil Seiana deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie weder ihren Trost noch ihre Ratschläge oder ihre Hilfe wollte. Sie ließ es nicht an ihr aus, aber wenn Elena zu aufdringlich wurde, schickte sie sie fort, und Elena wollte sie nicht allein lassen. Also riss sie sich zusammen und sah nur stumm zu, wie Seiana litt, um wenigstens da sein zu können. Sie erwiderte Katanders Lächeln, ein wenig traurig, aber sie sagte nichts.


    Seiana unterdessen folgte Katander mit ihren Blicken, wie er zu ihr kam und sich setzte. Hörte regungslos zu, was er zu sagen hatte. Und starrte dann auf Katanders Finger, die mit einem Armband zu spielen begonnen hatten. Sie horchte in sich hinein, aber sie… fand nichts. Sie hatte das Gefühl, neben sich zu stehen, irgendwie nicht mehr verbunden zu sein mit sich selbst, mit ihrem Inneren. Sie hörte die Worte, aber sie konnte im Augenblick nicht viel damit anfangen, konnte noch nicht einmal entscheiden, ob sie Katander glaubte oder nicht. In ihrem Brustkorb kribbelte es unangenehm. „Möchtest du etwas davon?“ fragte sie völlig zusammenhanglos und wies mit einer Kopfbewegung auf das Häufchen. „Ich meine… es ist Frauenschmuck, aber vielleicht…“ Ihr ging auf, dass das eine blöde Idee war. Was Elena davon wollte, bekam sie ohnehin, und sie glaubte kaum, dass Katander Schmuck annehmen würde, den sein Herr seiner ehemaligen Verlobten gegeben hatte, um ihn seiner Geliebten zu schenken, die die Sklavin ebenjener Verlobten war. Mitten im Satz änderte sie also die Richtung. „…kannst du ja etwas davon verkaufen. Und dir dann was leisten.“

    Seiana war da. Genauer gesagt hatte sie schon auf Katander gewartet – auch wenn sie ganz sicher nicht in der Verfassung war, Besuch zu empfangen. Nach Caius’ Besuch gestern war sie irgendwann zusammengebrochen. Nicht äußerlich, das nicht, aber innerlich. Irgendwie war sie in ihr Zimmer gelangt, und sie hatte sich auf ihrem Bett zusammengekrümmt, geschüttelt von Schluchzern, die zunächst trocken waren, weil sie Tränen nicht zulassen wollte, und die dann schließlich doch kamen. Nicht weil Caius sie verlassen hatte, sondern weil sie nicht genug war. Weil ihr Leben in die Brüche ging, schon wieder. Weil nie etwas von dem zu funktionieren schon, was sie sich vornahm, nichts von dem jedenfalls, was ihre Mutter stolz und der Familie Ehre gemacht hätte und ihrer gesellschaftlichen Stellung angemessen gewesen wäre. Und als sie sich wieder genug unter Kontrolle hatte, dass sie den Fluss der Tränen eindämmen konnte – was verhältnismäßig rasch geschah –, hatte sie sich diesmal nicht nur dem Wein gewidmet, sondern hatte Elena losgeschickt, um Kräuter zu besorgen, die ihr gegen die Kopfschmerzen helfen würden.


    Nein, der gestrige Tag war kein guter gewesen, genauso wenig wie die Tage davor, und das sah man Seiana an. Sie hatte sich zwar mit Mühe in der Früh ins Balneum schleppen lassen von Elena, hatte sich herrichten lassen, aber man sah es ihr dennoch an. Sie fühlte sich roh an innerlich, roh und wund, sie hatte viel zu wenig geschlafen und schon wieder Kopfschmerzen, weil sie zu viel getrunken hatte, und sie war nicht in der Verfassung für einen Besuch. Aber es war ja nur Katander, der ihr in Ägypten ebenfalls recht vertraut geworden war, und: sie wollte es hinter sich bringen. Nach dem gestrigen Gespräch – Streit – wollte sie noch viel weniger in Caius’ Schuld stehen, und sei es nur, dass sie ein Geschenk von ihm hatte. Irgendwann im Verlauf des gestrigen Abends hatte sie auch die kleineren Geschenke, die sie von ihm erhalten hatte, zusammengesucht und auf den Boden geschmissen, schön in die Mitte ihres Cubiculums, von wo Elena sie aufgesammelt und auf den Tisch gelegt hatte. Dieses Häufchen starrte Seiana gerade an, als es klopfte und Katanders Stimme ertönte. Seiana räusperte sich. „Herein.“ Sie wandte ihren Blick zur Tür, sah, wie sie sich öffnete, und wie Caius’ Sklave vorsichtig, wie es ihr schien, hereinkam. Mit einer angedeuteten Geste wies sie auf den Stuhl, der bei dem Tisch stand, wo auch sie saß. „Salve, Katander. Setz dich doch.“

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    „Ja. Hm“, machte Marcus. Er konnte sich vage daran erinnern, dass Elena, diese hübsche iberische Sklavin von Decima Seiana, ihm etwas in der Richtung gesagt hatte. Dass Katander kommen würde, wegen irgendeiner Sache. Welche Sache war nicht so wichtig, Elena hatte zwar oberflächlich etwas gesagt, aber das musste er gar nicht wissen. Nur, dass diese Sache in Ordnung war. „Ja. Die Herrin ist in ihrem Gemach, du kannst sie dort aufsuchen. Du weißt doch sicher, wie du hinkommst?“

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    Marcus öffnete die Tür und musterte den Sklaven mit faltigem, aber unbewegtem Gesicht. Den kannte er, der war oft genug schon hier gewesen, dass er sich an sein Gesicht erinnern konnte, auch wenn er häufig den Seiteneingang benutzte. Aber er war häufig genug hier, und dann lang genug, dass man sich auch in der Casa gelegentlich über den Weg lief. Vor allem in der Küche. Und ab und zu kam er auch zur Haupttür. „Ja? Was möchtest du?“