Decima Seiana

  • Seiana ließ sich auf ihr Bett fallen, als sie in das Zimmer kam, während Elena in einen der Sessel am Fenster sank. Der Raum hatte, obwohl voll möbliert, diesen unbestimmbaren Hauch der Leere an sich, wie alle Räume, die längere Zeit unbewohnt gewesen waren, aber Seiana störte das im Moment nicht. Ohnehin würde sie das bald ändern, und für den Augenblick reichte es ihr, einfach nur angekommen zu sein. Sie war nicht allzu lange in Rom gewesen, nachdem sie aus Tarraco abgereist war, aber trotzdem hatte Rom damals Aufbruch für sie bedeutet, etwas Neues, etwas Aufregendes… Nach Rom zu gehen hatte sich einfach gut angefühlt, und etwas von dieser Stimmung machte sich auch jetzt wieder bemerkbar, obwohl dieses Zimmer, dieses Haus, diese Stadt für sie nicht dasselbe bedeutete wie es Tarraco tat. Aber die Erinnerungen an Hispania waren getrübt, und Seiana bezweifelte, dass es ihr sonderlich gut tun würde, dorthin zu reisen.


    Entschlossen schob sie die Gedanken fort, wollte sie doch jetzt nicht schon wieder anfangen zu grübeln, und als hätten die Götter ihren Entschluss gehört und beschlossen, sie zu unterstützen, kamen gleich darauf einige Sklaven herein, die ihr Gepäck brachten. Seiana setzte sich auf und bedeutete ihnen, die Kisten einfach abzustellen und wieder zu verschwinden. Auszupacken, darauf hatte sie jetzt auch keine große Lust, stellte sie fest, und so blieb sie sitzen und starrte nur versonnen in den Raum, während Elena den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen hatte. In diesem Augenblick klopfte es. Und noch bevor Seiana oder Elena reagieren konnten, wurde die Tür auch schon aufgerissen und Serapio stürmte herein. Mit einem Satz, von dem sie noch vor wenigen Momenten nicht geglaubt hätte, dass sie dazu in der Lage wäre, war sie auf den Beinen und sprang ihrem Bruder entgegen, ohne darauf zu achten, dass sie mit dem Fuß irgendwo dagegen knallte. „Faustus!“ Mit diesem Ausruf fiel sie ihm kurzerhand um den Hals und drückte ihn an sich. „Götter bin ich froh dich endlich wieder zu sehen…“ Ausgerechnet jetzt, wo sie hier war, wo es gar keinen Sinn mehr hatte, wurde ihre Kehle eng. Beinahe wütend auf sich selbst löste sie sich etwas von Faustus und sah zu, wie Elena und er sich begrüßten, die vergnügt grinsend die Umarmung erwiderte. „Ja, im Vergleich zu uns siehst du bald aus wie einer von denen aus dem Norden“, konterte sie, dann warf sie einen kurzen Blick zu Seiana. „Ich werd mich mal zurückziehen, wenn das in Ordnung ist. Bin ziemlich müde.“ Seiana lächelte ihr zu und nickte nur. Sie war sich sicher, dass Elena zwar tatsächlich müde war, aber auch deshalb ging, weil sie wusste, dass Seiana mit ihrem Bruder allein sein wollte – und kaum hatte sie das Zimmer verlassen, umarmte sie Faustus ein weiteres Mal, immer noch ohne eine seiner Fragen beantwortet zu haben. „Ich war zu lange weg“, murmelte sie.

  • "Viel zu lange." Ich schloss die Arme um die Schultern meiner Schwester und hielt sie eng an mich gezogen. Wirklich viel zu lange. Mit niemandem sonst teilte ich diese Vertrautheit, die ich jetzt verspürte, dieses warme und geborgene Gefühl... Doch es zuzulassen weckte in mir auch ganz stark die Erinnerung an das was wir beide schon verloren hatten... von unserer engen Familie waren ja nur noch wir beide übrig. Ich wollte das nicht aufwühlen, und ich wollte auch nicht über Appius sprechen, vor allem nicht da ich, seitdem ich von Hannibals Tod erfahren hatte, sowieso mehr als dünnhäutig war. Verstohlen schluckte ich, streichelte Seiana über den Rücken, dann machte ich einen Schritt zurück und löste die Umarmung, beließ nur einen Moment lang noch meine Hand an ihrer Schulter. Elenas Rückzug war mir gar nicht so recht, die Anwesenheit anderer schützte vor zu ernsten Themen.
    "Seid ihr gerade erst angekommen?", fuhr ich in munterem Tonfall fort und überspielte das Unbehagen mit einem breiten Lächeln. "Ich bin unheimlich gespannt was du alles zu erzählen hast! Aber ich wette du hast noch nichts gegessen. Wollen wir in die Cenatiuncula gehen, und mal sehen was Candace uns gekocht hat?"

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  • Während Seiana Faustus umarmte, stellte sie fest, dass sie in seinen Armen beinahe verschwand. Leise seufzte sie auf, während sie sich fragte, wann sie eigentlich von der – auch körperlich – großen Schwester zur kleinen geworden war. Irgendwie hatte sie das völlig verpasst, irgendwie war ihr das auch entgangen, als sie beide sich nach Jahren endlich in Rom wieder getroffen hatten, obwohl sie da schon sehr deutlich den Eindruck gewonnen hatte, wie sehr Faustus sich verändert hatte seit sie ihn das letzte Mal vor Jahren gesehen hatte, wie erwachsen er geworden war… Aber jetzt hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, die Kleine zu sein, für die er da war, nicht umgekehrt. Und sie konnte ein Gefühl der Enttäuschung nicht unterdrücken, als er die Umarmung unterbrach und zurückging, wenn auch den Kontakt nicht gänzlich brach. Aber sie wusste auch nicht so recht, was sie sagen sollte, schon gar nicht nachdem Faustus erneut begann, so locker zu reden und sie anzulächeln. Natürlich wusste sie nicht, was er dachte – aber bei dem Verhalten, dass er an den Tag legte, war es selbst für einen weniger feinfühligen Menschen nicht schwer zu spüren, dass er gerade keine schwermütigen Themen zulassen wollte. Und obwohl Seiana sich im Augenblick danach sehnte – nicht nach schwermütigen Themen, aber danach, sich einfach festhalten zu lassen und dabei… loslassen zu können, verdrängte sie dieses Bedürfnis, wie sie es schon so oft getan hatte. Sie hatte Erfahrung darin, sie hatte die ganze Zeit, während es mit ihrer Mutter langsam dem Ende zugegangen war, nichts anderes getan.


    Nach einem kurzen Moment, in dem sie all das sorgfältig in sich verbarg und versuchte, stattdessen eine Art Maske aufzusetzen, erwiderte sie also sein Lächeln, nickte leicht und bemühte sich ebenfalls um einen lockeren Tonfall. „Ja, sind wir… das heißt, ein bisschen Zeit ist schon vergangen, ich weiß gar nicht wie lang. Ich lag erst mal einfach nur hier und hab gar nichts gemacht“, erwiderte sie mit einem Blick auf die unausgepackten Kisten, die um sie herum standen. Sicherlich gab es Sklaven, die den Hauptteil des Auspackens übernehmen würden, aber das änderte nichts daran, dass Seiana dabei sein wollte, wenn das geschah, und selbst dafür sorgen, wo was hinkam. Dann sah sie wieder hoch. „Ja, also nein. Gegessen hab ich noch nichts.“ Dass sie gerade keinen Hunger hatte, weil ihr immer noch etwas flau im Magen war, verschwieg sie. „Aber warte noch, ich hab dir was mitgebracht…“ Sie wandte sich um und steuerte zielsicher den Beutel an, der auf ihrem Bett lag. „Also, ich hab dir noch mehr mitgebracht…“ sagte sie halb über die Schulter, während sie begann in dem Beutel zu kramen. „Aber das hier… hab ich… Moment… hier reingetan, das wollt ich dir gleich geben… Ah ja!“ Und sie zog ein kleines Päckchen hervor, das sie ihm reichte, rundlich, aber recht flach, in dem ein Serapis-Amulett verborgen war.

  • "Oh, vielen Dank!" Gespannt nahm ich das Päckchen aus der Hand meiner Schwester. Ich setzte mich auf eine der Reisekisten und betastete das Mitbringsel. "Was könnte das wohl sein?" fragte ich grübelnd, die Stirn gefurcht, ich legte die Hand ans Kinn und und machte ein richtiges Spektakel aus dem Geschenk-Raten – so wie früher zu den Saturnalien. Seiana wirkte ziemlich erschöpft und irgendwie auch niedergeschlagen, ich hatte das Gefühl sie aufheitern zu müssen.
    "Ein paar Angelhaken! Nein? Oder eine Augenklappe. Aus Krokodilleder. Nein, ich habs! Ein Taschenkamm... Na gut ich geb's auf, ich muss es wohl auspacken."
    Das tat ich mit der gebührenden Andacht, und als ich dann sah was es war, war meine Freude groß.
    "Danke!!! Dass Du daran gedacht hast!"
    Auf der flachen Hand führte ich das Amulett näher zu den Augen und betrachtete es genau. Serapis, thronend mit lockigem Bart und Kalathos, sehr majestätisch. Ich legte das Lederband um meinen Hals, so dass das Amulett mitten auf meiner Brust hing, einen Fingerbreit über meinem Ancillium-Amulett. Es war nicht so, dass ich Serapis besonders verehrte, aber meines Namens wegen interessierte mich für diese Gottheit und ich fragte mich auch, ob es stimmte, dass dass mein Vater ihm besonders zugetan gewesen war. Soweit ich das verstanden habe, hat der Kult ja viele Vorteile, insofern als man es mit einem sehr umfassenden Gott zu tun hat, der so viele Aspekte in sich vereint wie drei oder vier unserer herkömmlichen Götter auf einmal. Das ist natürlich praktisch, und auch das exotische, mystische, das diesen Kult umgibt, fand ich ganz faszinierend.
    Mit den Fingerspitzen berührte ich das Amulett und lächelte Seiana warm an.
    "Ich freu mich sehr. Aber sag doch mal. Wie ist es dir ergangen?"
    Eigentlich wollte ich wissen warum sie zurückgekommen war, aber ich scheute mich gerade das so direkt zu fragen. Komisch... ich glaube, ich war noch ein bisschen verlegen wegen der brieflichen Auseinandersetzung. Und wir hatten uns so ewig lange nicht gesehen.

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  • Seiana konnte nicht anders, sie musste lachen, als Faustus aus der Geschenkübergabe eine solche Szene machte, so wie früher, als sie noch klein gewesen waren. „Angelhaken, genau, was willst du denn damit… oder hast du ein neues Hobby von dem ich noch nichts weiß?“ grinste sie zurück, dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck zu einem Lächeln. „Klar hab ich das“, meinte sie leise, während Faustus das Amulett zuerst betrachtete und sich dann umhing. „Tut mir leid, dass du es erst jetzt kriegst. Danach gefragt hast du ja schon vor längerem, ich hätt’s auch einfach mal schicken können, aber ich wollte es dir persönlich geben.“


    Seiana streckte sich etwas und warf einen Blick auf die Kisten um sich herum. Sie hatte noch mehr dabei, aber auf Auspacken hatte sie jetzt keine Lust, und genauso wenig darauf, in dem Gepäck zu kramen und suchen. Sie zuckte leicht die Achseln und grinste etwas schief. „Auf den Rest wirst du wohl warten müssen, bis hier ein bisschen Ordnung herrscht.“ Bei Faustus’ nächster Frage wurde sie allerdings wieder etwas ernster. Sie meinte gespürt zu haben, dass es Dinge gab, über die er jetzt nicht reden wollte, dass es vor allem eine Stimmung gab, in die er ihr Gespräch nicht abdriften lassen wollte, aber das hieß für sie, dass es gewisse Dinge gab, über die sie dann wohl besser nicht reden sollten. Aber auch wenn die letzten Tage und Wochen in Ägypten getrübt gewesen waren, war es ja nicht so, dass ihre ganze Zeit dort so gewesen war. „Na ja… gut. Alexandria ist eine tolle Stadt. Von der Atmosphäre her ganz anders als Rom, oder Tarraco. Wobei es Tarraco noch ähnlicher ist. Das Leben ist irgendwie… lockerer, weißt du? Vieles wird da nicht so ernst genommen, das hab ich dir ja auch schon geschrieben. Umgekehrt gibt es aber auch einiges, worauf man achten muss, gerade als Römer… Im Museion hätte ich gerne wirklich angefangen, aber da kam dann meine Abreise dazwischen. Ich wollte einfach…“ Heim, lag ihr auf der Zunge, aber das war das falsche Wort. Sie hatte in Rom nicht wirklich mehr Zeit verbracht als in Alexandria. Dennoch war ihr nicht im Mindesten in den Sinn gekommen, nach Tarraco zu fahren. Nein, wenn sie an Zuhause dachte, dann war es merkwürdigerweise Rom, das ihr in den Sinn kam. Oder vielleicht doch nicht merkwürdigerweise – Faustus war hier. Und Rom war der Ort gewesen, von dem sie schon als Kinder geträumt hatten. Rom war der Ort gewesen, zu dem Faustus gegangen war, damals, mit 16… Und war damit auch der Ort gewesen, an den sie hatte gehen wollen, seitdem, ohne dazu in der Lage zu sein. So sehr, wie sie sich jahrelang gewünscht hatte endlich nach Rom zu können, dort zu leben, war es wohl nicht wirklich verwunderlich, dass es sie von Alexandria wieder hierher gezogen hatte und nicht nach Tarraco. „… hierher zurück. Heim“, sagte sie dann doch. „Klingt es komisch, dass ich das Gefühl hab hier zuhause zu sein?“ Wieder folgte ein etwas schiefes Grinsen. Kurz überlegte sie, ob sie Caius erwähnen sollte. Faustus’ Briefe waren ihr noch gut im Gedächtnis – aber es wäre auch seltsam, wenn sie gar nichts über ihren Verlobten sagte. „Caius ist erst mal dort geblieben, aber er hat vor auch nach Rom zu kommen, er will sich hier eine Stelle suchen. Und was gibt’s bei dir neues?“

  • Ich war schon neugierig, was meine große Schwester mir sonst noch mitgebracht hatte, sehr neugierig sogar. "Da spannst du mich aber auf die Folter!", grinste ich genauso schief zurück und bot nicht so ganz ernst gemeint an: "Ich kann dir aber auch ein bisschen beim Ordnung machen helfen! Hab ich beim Militär gelernt, weißt du..."
    Während Seiana von Alexandria erzählte, stand ich wieder auf, ging im Zimmer herum, schob eine Kiste ein Stück zur Seite, drehte sie, damit sie mit zwei anderen in Reih und Glied stand. Ich war rastlos, trotzdem hörte ich genau zu.
    "Mhm... klingt wirklich toll. Na, du weißt ja wie ich dich beneide um diese Abenteuer. Aber ich gönn's Dir. - Hättest du wirklich am Museion anfangen können?! Furiós! Ich bin echt stolz auf meine schlaue Schwester."
    Schade irgendwie, dass sie diese Chance nicht ergriffen hatte. Andererseits wäre sie dann immer noch weit weit weg. Ich ergriff einen Reisemantel, der unordentlich über eine Lehne hing und begann ihn sehr genau zu falten. Der Länge nach. Die Kapuze eingeklappt und glattgestrichen. Dann zweimal der Breite nach zusammengefaltet. Die Kanten waren messerscharf. Ich legte den Mantel fein säuberlich zurück und lehnte mich an die Wand.


    Heim. Ich zuckte die Schultern.
    "Nein, nicht komisch. Ich schätze es ist normal. Wo doch hier die Familie ist."
    Genauer gesagt: der Rest der Familie. Ein Schatten zog über mein Gesicht und wurde noch dunkler als die Sprache auf den "Zukünftigen" kam. War Seiana nur zurückgekommen weil dieser Schwarm von ihr wieder nach Rom wollte?
    "Ah. Willst du den also immer noch heiraten? Dann sollte der mal machen dass er hier vorbeikommt und um deine Hand anhält."
    Finster blickte ich an meiner Schwester vorbei, fixierte grimmig die Malerei an der Wand, die mir gar nichts getan hatte. Ich war gekränkt, und wie. Ich war der Bruder, und es war eine Frage des Respektes – und des Anstandes, und der römischen Sitten - dass man meine Zustimmung einholte, anstatt mich vor vollendete Tatsachen zu stellen. Es war ja nicht so verwunderlich, dass Seiana keinen Respekt vor mir hatte, sie war ein bisschen älter, ein bisschen, das in unserer Kindheit einen großen Unterschied gemacht hatte, und ich hatte früher eine Menge verbockt, aber nun waren wir beide erwachsen, und ich ein ernstzunehmender Soldat. Da gehörte sich das einfach so.


    "Livianus hat mich adoptiert.", berichtete ich dann eher steif die große Neuigkeit in meinem Leben, die eigentlich mehr Jubel verdient hätte. "Er sagte, er habe in Gefangenschaft viel nachgedacht und wolle unserem Vater diesen Wunsch erfüllen. Es gab eine richtig große Zeremonie in der Basilica Ulpia, mit Verwandten und Klienten und allem. Jetzt bin ich sein Sohn. Flavus hat fast in den Wandteppich gebissen vor Wut." Ich rieb mir meinen Schmiss und sah Seiana schräg an. "Aber wir bleiben natürlich Geschwister. Ich glaube sowieso es war eher eine Verpflichtung gegenüber unserem Vater und..." - wie sollte ich sagen? - "nicht so wirklich sein größter Herzenswunsch. Aber ich bin ihm sehr, sehr dankbar.
    Nah einer Pause fuhr ich fort: "Ansonsten... ich bin immer noch bei den Stadtkohorten." Mit einem zynischen Unterton fügte ich hinzu: "Und tue täglich mein Bestes um das Verbrechen in seine Schranken zu weisen!"

  • „Jaaa…“, machte Seiana gedehnt und grinste erneut. „Gehört sich auch so. Geschenke wollen schließlich gewürdigt werden. Aber lass mal, das mit Ordnung schaffen… ich glaub das muss ich schon selbst machen…“ Mit einem leichten Stirnrunzeln sah sie sich um und gestand sich lautlos ein, dass sie doch ganz gern ein wenig Hilfe hätte. Oder, noch besser, dass das jemand komplett für sie übernahm und sie sich einfach ausklinken konnte, dass sie zurückkam in komplett fertig eingerichtete Gemächer. In denen sie sich dann nicht mehr auskennen und vermutlich erst mal alles umräumen würde. Nein, das war keine Lösung, und Hilfe von den Sklaven konnte und würde sie ja in Anspruch nehmen. Sie war nur jetzt so müde von der Reise, das war vermutlich alles. Seiana setzte sich wieder auf das Bett, mit einem untergeschlagenen Bein, während Faustus begann, die Kisten ein wenig herumzuschieben. „Danke…“ Sie wurde ein wenig rot, als er sagte er sei stolz auf sie. „Wär schon was gewesen, beim Museion. Vor allem der Austausch mit den anderen dort. Aber die Sehnsucht nach Rom war dann doch größer.“ Sie zuckte leicht die Achseln und betrachtete fast schon ein wenig fasziniert, wie penibel und ordentlich Faustus ihren Reisemantel faltete. Sie war ja durchaus ein ordentlicher Mensch, aber so exakt gefaltet war ihre Kleidung wohl noch nie gewesen. Seine auch nicht. Nicht so weit sie sich erinnern konnte, jedenfalls. Wieder wurde ihr klar, wie viel sie in den letzten Jahren verpasst hatte, wie sehr Faustus sich weiter entwickelt hatte…


    Mitten in diese Gedanken hinein platzte Faustus mit seinem Kommentar über Caius. Und Seiana hatte Mühe, ein entnervtes Seufzen zu unterdrücken, was ihr allerdings im Gegensatz zum Augenrollen gelang. „Ja, will ich. Ich verlob mich doch nicht einfach so.“ Sie rieb sich über die Stirn und sah Faustus dann an. „Hör mal, hatten wir das nicht schon? Er war doch bei Onkel Meridius. Und er hat genug Ärger mit mir bekommen, weil er bei ihm war, bevor er mit mir geredet hat. Soll er die ganze Familie abklappern? Zu Onkel Livianus gehen, zu Mattiacus, zu jedem männlichen Verwandten von uns, der gerade da ist?“ Seiana stützte ihre Ellbogen auf die Oberschenkel und vergrub kurz das Gesicht in den Händen. Eine seltsame Mischung aus Trauer und Wut stieg in ihr auf, und sie bemühte sich darum, die Fassung zu bewahren. Die Reise, dachte sie. Das ist die Reise, die Anstrengung, die Müdigkeit… ich bin einfach fertig. Sie sah auf. „Entschuldige, ich wollte dich nicht so anfahren. Es ist nur… ich bin müde, und ich…“ … will mich nicht rechtfertigen müssen. Seiana sprach es nicht aus. Vor Jahren hätte sie es auch nicht ausgesprochen, sie hätte es ins Lächerliche gezogen, wäre Faustus ihr auf diese Art gekommen. Sie hätte gelacht oder ihn höchstens gefragt, wer ihn auf die Schnapsidee gebracht hatte ihr das Gefühl zu geben, eine Rechtfertigung von ihr zu erwarten. Aber es hatte sich mehr verändert zwischen ihnen. Jetzt sprach sie es nicht aus, weil sie irgendwie das Gefühl hatte, dass sie sich rechtfertigen musste. Sollte. Dass es richtig war. Er war nicht ihr Vormund, aber sie war unverheiratet, noch, und er war ihr Bruder. Ihr engster lebender männlicher Verwandter. „Er wird mit dir reden, und wenn ich ihn herzerren muss. Verlass dich drauf. Ich will doch auch, dass alles… richtig ist.“ Sie machte eine kleine Pause, und dann platzte es plötzlich aus ihr heraus: „Sag mal, hast du wirklich geglaubt, ich könnte schwanger sein? Hast du ernsthaft auch nur einen Moment lang gedacht, ich könnte die Familie auf so eine Art und Weise entehren?“ Seiana war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr dieser Gedanke, die Frage, die… nun ja, die wenigstens ansatzweise Anschuldigung an ihr genagt hatte, bis sie Faustus wirklich darauf ansprach.


    Immer noch ein wenig befangen wegen der Sache mit Caius, schaffte sie es nicht ganz die Begeisterung zu zeigen, die Faustus’ nachfolgende Ankündigung eigentlich verdient gehabt hätte. Aber dass sie sich ehrlich für ihn freute, war ihr anzusehen. „Das ist großartig! Ist doch egal, aus welchem Grund er es gemacht hat, er ist unser Onkel… und du hast es verdient, dass er dich unterstützt. Es tut mir leid, dass ich da nicht dabei sein konnte bei der Zeremonie.“ Seiana runzelte leicht die Stirn, als sie den Zynismus bemerkte, der in seinen Worten mitschwang, und legte den Kopf leicht schief. „Macht dir… deine Arbeit denn noch Spaß, bei den Kohorten?“

  • Da rollte sie nur ihre Augen, meine Schwester. Wütend kniff ich meine Augen zusammen. Als ob ich ein beliebiger männlicher Verwandter wäre!!! Es war klar, sie nahm mich nicht erst. Das kann ich gar nicht haben!
    "Ich bin verdammt noch mal dein Bruder!", fuhr ich auf und schlug mit der Faust auf eine Kiste dass es krachte. "Du kannst dich nicht einfach verloben ohne dass ich den Kerl jemals gesehen habe! Das ist mehr als unangebracht! Du trittst die Tradition mit Füßen! Es ist eine Frage des RESPEKTS!!!"
    Im nächsten Moment schon tat es mir leid und ich biss mir auf die Lippe um nicht noch mehr zu sagen. Ruhig Blut.... Meine Hand tat weh. Ich rieb sie und murmelte finster: "Ja, tut mir auch leid."
    Aber wütend war ich immer noch, und nur mit größter Selbstbeherrschung gelang es mir, Seiana ausreden zu lassen. Im Nachhinein schämte ich mich schon für meine Unterstellung, die zum Glück falsch gewesen war... sie musste meine Schwester hart getroffen haben.
    "Seiana.... ich... du weißt, dass ich eine sehr, sehr hohe Meinung von dir habe", entgegnete ich hitzig, "aber du hast dich nun mal echt seltsam verhalten! Einem Mann, den du kaum kennst, nach Ägypten nachzureisen! Mit ihm im selben Haus zu wohnen! Du setzt damit alles auf eine Karte, deinen Ruf und deine Zukunft und ich kann nur zusehen und hoffen dass du nicht abstürzt! Wie soll ich mir das alles erklären, wenn nicht damit dass dich die Liebe gepackt hat! Verdammt, ich weiß wie die Liebe einen... verschlingen kann, einem völlig den Verstand raubt! Wir haben eben hispanisches Blut!"
    Eigentlich fand ich, dass meine Befürchtung sehr naheliegend gewesen war, aber das sagte ich wohl besser nicht laut.


    "Es tut mir leid dass ich dir so was unterstellt habe. Wirklich leid. Und du kannst mir glauben, ich mach hier nicht den Moralprediger weil ich dich nerven will, ich will nur nicht, dass du dich leichtfertig in die Hände von irgendeinem Kerl begibst, der dich nicht zu schätzen weiß! Liebe ist ein flüchtiger Wahn, kein Fundament für eine Ehe, und deshalb ist es verdammt noch mal auch so wichtig – vor allem wichtig für dich!! - dass die Familie ein Wort mitredet und den Kandidaten nüchtern und realistisch beurteilt!
    Aber dein Aelier hält es ja nicht mal für nötig sich hier vorzustellen und ordentlich um deine Hand anzuhalten. Und versuch nicht mir weiszumachen, Meridius hätte irgend so einem Postbeamten einfach mal so erlaubt dich zu heiraten! Vielleicht dir den Hof zu machen, aber das ist ein bedeutender Unterschied!! Dein Schwarm beleidigt unsere Familie durch diese Unverschämtheit, und du Seiana, du fällst uns auch noch in den Rücken dadurch dass du ihn dabei unterstützt indem du dich trotzdem mit ihm verlobst. Und dann dieser Brief! Dieser unsägliche Brief, den der Kerl mir aus Alexandria geschrieben hat! Bona Dea! Dea Dia! Du bist doch so klug Seiana! Wie kannst du einen heiraten wollen, der so trottelige Briefe schreibt?!!"


    Das Thema Kohorten wischte ich mit einer unwirschen Handbewegung erst mal beiseite. Ich wollte ja gerne davon erzählen, eigentlich sehnte ich mich von Herzen nach einer Zuhörerin wie Seiana, aber nicht in der aufgepeitschten Atmosphäre, die momentan dieses Zimmer erfüllte.

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  • Seiana zuckte zusammen, als die Faust ihres Bruders auf eine Kiste krachte, und für einen winzigen Moment starrte sie ihn fassungslos an. Dass ihn das Thema so beschäftigte, dass er so wütend war deswegen, dass er nun für einen Augenblick die Beherrschung verlor, traf sie unerwartet. Und sie zuckte ein weiteres Mal zusammen, als er das Wort Respekt herausbrüllte. War es das? Hatte sie zu wenig Respekt, trat sie wirklich… die Tradition mit Füßen? Und damit die Ehre der Familie? Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie wusste es einfach nicht. Und so stand sie da und ließ die Flut an Worten über sich ergehen, die Faustus in den nächsten Momenten von sich gab, starrte ihn weiterhin nur an. Jedes Wort wühlte sie mehr auf, und mit jedem Wort musste sie sich mehr zusammenreißen, um nicht dazwischen zu fahren, ihn nicht zu unterbrechen, auch wenn sie nach wie vor nicht so Recht wusste, was sie sagen sollte auf diese Anschuldigungen, nur dass sie sich verteidigen wollte – und genau das war der Punkt. Wäre es nicht gerade ein Zeichen mangelnden Respekts, wenn sie jetzt anfing sich mit ihm zu streiten? Aber sie konnte nicht anders. „Das war doch völlig anders, ich bin ihm nachgereist, um ihn kennen zu lernen, um herauszufinden, wie er ist, weil ich mich nicht auf die paar Treffen in Rom und eine Handvoll Briefe verlassen wollte! Da ist nichts passiert weiter!“ Sie biss sich auf die Lippe, aber bei seinen nächsten Worten hielt sie es schon wieder nicht mehr aus. „Oh, du weißt also, wie Liebe einen verschlingen kann? Herzlichen Glückwunsch, dann weißt du mehr als ich“, brach es aus ihr heraus, bevor sie sich abwandte. Die Arme um den Oberkörper geschlungen, legte sie den kurzen Weg zu einem der Fenster zurück und starrte nun hinaus, während Faustus hinter ihr weiter sprach.


    Lange hielt sie es nicht aus in der Position, fuhr wieder herum, löste die gespannte Haltung und begann zu gestikulieren. „Und was hätte ich tun sollen? Ich meine, natürlich, klar, ich weiß, dass die Familie ein Mitspracherecht hat! Es ist nun mal nur leider so, dass ich das nicht gewohnt bin!“ Am liebsten hätte sie nun ihre Faust auf etwas krachen lassen, oder etwas kaputt gemacht, an die Wand geworfen, irgendetwas… „Wo seid ihr denn gewesen, die letzten Jahre? Es ging doch gar nicht anders, als dass ich mich um alles gekümmert hab, dass ich’s mir angewöhnt hab Entscheidungen zu treffen, ohne Rücksprache zu halten, als es Mutter immer schlechter ging, du und Appius, ihr wart verschwunden, und Caius war, wenn er daheim war, keine große Hilfe, die Götter sind meine Zeugen!“ Irgendwo, tief in ihr drin, meldete sich ihr schlechtes Gewissen wie ein Leuchtfeuer, noch weit entfernt, aber Seiana wusste, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis ihr ihre Worte wirklich leid taten. Es war nicht fair, davon anzufangen, es war nicht fair, ihre Mutter ins Spiel zu bringen, es war nicht fair, auf alte Fehler zu sprechen zu kommen… Und sie wollte auch niemandem Vorwürfe machen. Es war nun einmal so gewesen, und spätestens als Faustus aus dem Krieg zurückgekehrt war und sie sich ausgesprochen hatten, war es wirklich kein Problem mehr für sie gewesen. Aber letztlich hatten diese Erfahrungen dazu geführt, dass sie nun so war, wie sie war. Dass sie nach Ägypten reiste für längere Zeit, ohne ihrer Familie die Gelegenheit zu geben, ein Veto einzulegen. Dass sie sich mit einem Mann verlobte, den ihr Bruder noch nicht einmal kannte… ohne dass sie in dem Moment sich großartig Gedanken über diesen Fakt gemacht hätte. Und sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen und ändern, was sie gelernt hatte, was sie getan hatte, wie sie geworden war… Sie konnte nur versuchen, sich wieder andere Verhaltensweisen anzueignen, Verhaltensweisen, die einer römischen Frau angemessen waren, oder zumindest einer, die Wert auf Tradition und Ehre legte, jetzt, wo ihr so bewusst geworden war, was sie falsch machte. Aber sie war sich nicht so sicher, ob sie das wollte, auch wenn das zu Problemen führen würde. Mit ihrer Familie, ihrem Bruder, und später vielleicht auch mit ihrem Mann. „Ich kenn’s einfach nicht anders, als mich selbst um mich zu kümmern!“ Nicht seit sie wirklich erwachsen geworden war, und es war ein harter Prozess gewesen, das zu werden. Im Nachhinein erschien es ihr, als ob sie von einem Tag auf den anderen plötzlich… ja, erwachsen hatte sein müssen. Seiana sah wieder aus dem Fenster, schlang wieder ihre Arme um den Oberkörper, und ein drittes Mal zuckte sie zusammen, als Faustus’ letzte Worte erklangen. Trottelig. „Er ist vielleicht nicht immer der… Taktvollste. Oder der… rhetorisch Versierteste. Ich weiß, dass er manchmal ein Tollpatsch sein kann, und dass er manchmal mehr nachdenken sollte, bevor er den Mund aufmacht.“ Sie biss sich kurz auf die Lippen. Nicht gerade die beste Einleitung, um ihren Verlobten zu verteidigen, oder Faustus von ihrer Entscheidung überzeugen zu können, irgendwann mal vielleicht. „Er interessiert sich nicht so sehr für die Familie, oder die Traditionen, zu wenig, das weiß ich, und da ecken wir auch an, aber gleichzeitig heißt das doch, dass er sich für mich interessiert, nicht für den Namen meiner Familie. Und er bringt mich zum Lachen. Das hat er von Anfang an. Und die Götter wissen, dass das vor ihm schon lang keiner mehr geschafft hat.“

  • Mehr und mehr beschlich mich das Gefühl, dass ich mir, so aus der Ferne, ein falsches Bild gemacht hatte... zumindest in einer Hinsicht. Zwar schnaubte ich wütend bei Seianas schnippischem Kommentar über das Thema Liebe – ich hatte das erstgemeint, aber klar, sie machte sich bloß drüber lustig! - doch es war beruhigend zu hören, dass sie immerhin nicht rasend in diesen Kerl verliebt war! (Da war wohl meine romantische Ader mit mir durchgegangen... meine Schwester war halt doch die Vernünftigere, ich dagegen hatte früher immer davon geträumt, mit Hannibal nach Ägypten durchzubrennen und von Liebe und Luft zu leben.)
    Dass Seiana nicht aus Liebesblindheit so handelte, wie ich sie sonst nicht kannte, das war gut. Aber warum dann? Ich verstand das einfach nicht – bis sie sich endlich von diesem Fenster abwandte und Klartext redete. Zuerst war es der Grimm in ihren Worten, der mich innehalten ließ... so eine mordsmäßige, verhaltene Wut. Das war ich von meiner Schwester wirklich nicht gewöhnt. Dann der ungeheure Vorwurf... Ich holte Luft, setzte zum Reden an, wollte mich mit aller Macht verteidigen, aber das Schlimme daran war ja: sie hatte recht. Ich biss mir auf die Lippen und wich ihrem Blick aus. In meinem Magen war ein Knoten, der sich immer fester zusammenzog. Ich konnte ja nicht leugnen, dass ich Seiana damals alleine gelassen hatte, und auch nicht, dass ich in dieser Zeit der Familienehre ungleich mehr Schaden zugefügt hatte als sie jetzt. Da konnte ich machen was ich wollte, die Fehler von damals tauchten immer wieder auf, wie Leichen, die man unsachgemäß versenkt hat. Wenn sie verwesen, blähen die Bäuche sich auf, und die Kadaver treiben wieder hoch an die Oberfläche, und grinsen mich an, mit fauligen Lippen: "Salve Faustus, da sind wir wieder! Na, hast du uns vermisst?"

    Ich schluckte. Einmal. Zweimal. Diese Dinge von Seiana unter die Nase gerieben zu bekommen war ziemlich heftig, und in meiner sowieso zur Zeit nicht gerade ausgeglichenen Gemütsverfassung traf es mich richtig hart. Irgendwie erklärte das natürlich ihre Eigenmächtigkeit... aber trotzdem musste ich doch... als ihr Bruder... sollte ich doch... Ich fühlte mich verdammt hilflos, zudem moralisch unterlegen, und das machte mich um so wütender! Aus jeder Geste Seianas sprach jetzt die Anklage, in jedem ihrer Wort hörte ich einen Vorwurf.
    "Einen Komödianten kannst du dir auch auf dem Markt kaufen!" schnappte ich mit wegwerfender Geste. Sogar Seianas Rücken, den sie mir verächtlich zukehrte, die Art wie sie die Arme um sich geschlungen hielt, abweisend wie eine Festung, alles war ein einziger Vorwurf.
    "Ach! Weißt du!? Mach doch WAS DU WILLST!!!"
    Damit rauschte ich aus dem Zimmer und knallte die Türe dass die Wände wackelten. Zornig auf mich selbst ebensosehr wie auf meine Schwester, stürmte ich den Gang entlang (und erschreckte dabei eines der Hausmädchen das gerade die Lampen anzündete). Ich wollte nur noch weg.

  • Seiana bemerkte nicht einmal wirklich, wie Faustus Luft holte, um etwas zu sagen, nur um dann doch zu stocken, zu schweigen. Sie war zu sehr in Fahrt, um darauf zu achten, obwohl sie normalerweise recht feinfühlig war und solche Zeichen durchaus an anderen Menschen merkte. Aber irgendetwas hatte sich in ihrem Inneren Bahn gebrochen, etwas, von dem sie selbst gar nicht gewusst hatte, dass es da war. Oh ja, sie wusste, was sie falsch gemacht hatte, sie wusste, welche ihrer Handlungen der Ehre der Familie und ihrer eigenen geschadet hatten oder zumindest deutlich hätten schaden können. Aber was dazu geführt hatte, hatte sie nicht gewollt. Vor Jahren hätte sie einiges gegeben, um gewisse Dinge rückgängig zu machen, um einfach eine junge Decima zu sein, die von ihrer Familie behütet wurde und gezwungen gewesen war, mehr und mehr von der Verantwortung zu übernehmen, die zum einen Älteren und zum anderen Männern vorbehalten war. Nicht, dass sie heute damit haderte, aber damals war es verdammt hart für sie gewesen, und auch jetzt… sie war stolz auf das, was sie erreicht hatte, aber manchmal… das Leben wäre einfacher, wenn sie die Hauptlast der Entscheidung einfach abgeben könnte, so wie so viele andere Frauen ihren Alters. So viel einfacher. Und Faustus machte ihr gerade das zum Vorwurf, dass sie es nicht so einfach gehabt hatte?


    Als sie wieder in der Lage war, mehr wahrzunehmen als die Worte, die aus ihrem Mund sprudeln wollten, sah sie nur, wie sein Gesicht scheinbar versteinert war, während in seinen Augen Wut zu glimmen schien. Wut über sie, nahm sie an, berechtigt zum Teil, weil sie der Familienehre Schaden zugefügt hatte und weil sie das nicht rückgängig machen konnte, und es auch nicht wollte, und weil sie sich noch nicht mal wirklich dafür entschuldigt hatte, sondern nur Dinge aufbrachte zu ihrer Verteidigung, die in der Vergangenheit lagen und auch dort bleiben sollten… Seiana biss sich ebenfalls auf die Lippen, und nun fuhr sie wieder herum. Selten zeigte sich ihr iberisches Temperament, zu gut hatte sie während ihrer Erziehung gelernt, sich zu kontrollieren, zu sehr war es ihr von ihrer Mutter eingeprägt worden, und sie hatte ihre Mutter geliebt und bewundert, hatte alles versucht, um es ihr recht zu machen, zu sehr vielleicht. Fakt war, dass Seiana sich sehr gut zu beherrschen wusste. Aber wenn ihr Temperament mit ihr durchging, dann richtig, und es waren Momente wie dieser, die klar machten, wie es zu jenem verhängnisvollen Streit kommen konnte, der letztlich dazu geführt hatte, dass sie und Faustus über Jahre hinweg keinen Kontakt mehr gehabt hatten, dass weder er ihr geschrieben hatte, der wusste, wo sie war, noch sie ihm, die bald genug ebenfalls erfahren hatte, wo er sich aufhielt, über die Männer, die ihre Mutter auf ihn angesetzt hatte. „Einen Komödianten kaufen? Vielleicht mach ich das sogar, der kann mir dann nicht nur meinen Verlobten, sondern auch meinen Bruder ersetzen!“ fauchte sie wütend zurück, und als Faustus sich daraufhin umdrehte und nach einem gebrüllten Kommentar aus ihrem Zimmer fuhr wie ein Wirbelwind, war sie ihm mit einem Satz hinterher und riss die Tür auf. „JA, lauf nur davon, das kannst du ja SO GUT!!!“ Und mit einem Knall landete die Tür wieder im Schloss.

  • Seiana saß in ihrem Zimmer. Es war später Nachmittag geworden inzwischen. Sie hatte im Tablinum gestanden, regungslos, bis ein Sklave hinein geplatzt war und allein durch sein Auftauchen sie aus ihrer Starre gerissen hatte. Augenblicke lang hatte sie ihn angestarrt, hatte nichts geantwortet auf seine Fragen, und war dann an ihm vorbei gegangen und in ihrem Zimmer verschwunden. Und dort hatte die Eisschicht schließlich einen Riss bekommen, verursacht durch die Bitterkeit und gestützt durch die Tatsache, dass sie allein war, ohne Zeugen. Ein Aufschrei hallte durch das Zimmer, in dem Schmerz, unterdrückte Tränen und die allumfassende Bitterkeit vibrierten, eine Vase wurde gefegt von ihrem Platz und zerschellte nur einen Moment später auf dem Boden, zersprang in tausend Scherben. Anschließend presste Seiana ihre Hände vor ihr Gesicht und rang um Selbstbeherrschung. Rang darum, die Kontrolle zu bewahren. Nervös begann sie, durch ihr Zimmer zu tigern, achtete auf keinen Sklaven, der hereinsah und fragte, was los war, achtete nicht einmal auf Elena, als diese kam, fuhr sie nur an, dass sie die Scherben wegmachen sollte. Und Elena, die ihre Herrin kannte wie sonst keiner, nicht einmal Faustus, Elena, die mehr Freundin als Sklavin war, schwieg und tat einfach nur, was ihr gesagt worden war. Zum ersten Mal, seit Seiana sich erinnern konnte, fragte sie nicht nach, was los war. Das allein zeigte Seiana, welchen Eindruck sie gerade machen musste. Aber so sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, diesen Riss gänzlich zu kitten, nicht so schnell. Er war da. Und aus ihm trat aus, was darunter lag. Das hieß, augenblicklich sprudelte es eher.


    Irgendwann war sie doch wieder zur Ruhe gekommen, hatte aufgegeben, hin und her zu laufen. Aber immer noch hatte sie kein Wort mit Elena geredet, hatte ihr nichts gesagt. Nun saß sie einfach vor ihrem Schreibtisch und starrte vor sich hin, während das, was aus dem Riss weiterhin sickerte, an der Oberfläche gefror in der Kälte. Und schließlich, endlich, zog sie eine Feder und einen Papyrus zu sich heran. Es gab Dinge zu erledigen. Dinge zu klären. Je eher, desto besser.

  • Im Zimmer nebenan hatte Marcus in seinem Bett gelegen und versucht zu lesen. In letzter Zeit las er gerne, was ihm vor allem dabei half die Zeit totzuschlagen. Die meiste Zeit wusste er sehr wenig mit sich anzufangen, vermisste seine Amtszeit als Vigintivir und sogar die Zeit bei der Cohortes Urbanae. Es war langweilig Tag für Tag hier in der Casa herumzusitzen und die Zeit verstreichen zu lassen, doch was blieb ihn schon anderes über, nun wo der Praefectus Urbi seine Ernennung zum Tribun der Vigiles zurückgezogen hatte. Mit der Beschattung dieses Aeliers hatte er bereits andere betraut und so konnte er nur noch abwarten, bis er Meldung von Asellus erhielt.


    Als er den Aufstand in Seianas Zimmer hörte, dachte er im ersten Moment gar nicht daran aufzustehen und nachzusehen. Er hatte noch gut die Wutausbrüche seiner Schwester in Erinnerung und schon damals hatte er gelernt wütenden Frauen besser aus dem Weg zu gehen. Er blieb also wo er war, versuchte den Lärm einfach zu ignorieren und sich noch mehr auf seine Lektüre zu konzentrieren. Einmal zuckte er kurz zusammen, als etwas mit lauten Krachen zu Boden viel, doch las er auch gleich wieder unbeirrt weiter. Erst als ihm nach einiger Zeit die plötzliche Totenstille auffiel, unterbrach er den Lesefluss und hörte erneut. Doch da war nichts zu hören. Absolut nichts. War Seiana etwa gegangen? Was auch immer der Grund für ihren Wutanfall war, es hatte ernst geklungen. Vielleicht war es nun Zeit nachzusehen. Sicherheitshalber. Nicht das sie sich noch etwas angetan hatte und man Marcus vorwarf, dass er Tatenlos im Nebenzimmer gelegen hatte. Er legte die Schriftrollen also beiseite, schwang sich aus dem bequemen Bett und schlüpfte in seine offenen Haussandalen. Anziehen war nicht nötig, da er sich mit seiner Haustunika aufs Bett gelegt hatte. Sie war zwar nun etwas zerknittert, doch das würde sich bestimmt bald wieder austragen. Neugierig öffnete er die Türe seines Zimmers und späte hinaus auf den Gang. Kein Mensch war zu sehen. Nicht einmal einer der Haussklaven. Anscheinend hatte sich alle verdrückt um nicht von Seiana erschlagen zu werden.


    Marcus trat also auf den Gang, schloss die Türe hinter sich und ging dann die wenigen Schritte bis zur Nächsten. Wieder blieb er kurz stehen und hielt aufmerksam Inne. Nein, da war absolut nichts zu hören. Einen Moment lang überlegte er noch, ob er nicht lieber wieder zurück in sein Zimmer gehen sollte, doch war die Neugier letztendlich viel zu groß und so legte er seine Hand an den Türöffner zum Zimmer seiner Cousine. Vorsichtig schob er den Riegel beiseite und steckte seinen Kopf durch den schmalen Spalt, den er die Türe geöffnet hatte. Und da saß sie, seine Cousine Seiana. Ganz ruhig an ihrem Tisch und schrieb irgendetwas. Eine Sklavin war auch im Raum, doch die nahm Marcus nur flüchtig zur Kenntnis und sah dann wieder zu Seiana, die einen friedlichen Eindruck machte. Der junge Decimus beschloss also es zu riskieren und sie anzusprechen, natürlich wie immer mit seiner mittlerweile bekannten jugendlichen Beschwingtheit.


    "Na Cousinchen? Hast du dich wieder beruhigt? Welche Laus ist dir denn gerade über die Leber gelaufen?"

  • Seiana konzentrierte sich auf ihre Schreibarbeit. Sie hatte dreimal angesetzt inzwischen, und sie hatte jedes Mal neu angefangen. Die Tatsache, dass sie den Papyrus nicht einfach beiseite legte, sondern zerknüllte, sagte genug aus über ihre innere Verfassung derzeit, fast mehr noch als die Tatsache, dass sie überhaupt neu anfangen müsste. Nach dem zweiten Mal hatte sie sich eine Wachstafel herangezogen. So… befriedigend das Zerknüllen des Materials für diesen einen winzigen Moment auch war, Papyrus war zu teuer, um ihn derart zu verschwenden. Sie ignorierte Elena, wie sie die Scherben beiseite räumte, schrieb weiter, kratzte die Worte aus und schrieb erneut. Sie fand einfach keine Worte, die richtig klangen. Es ging schon mit der Anrede los. Aber schließlich, irgendwann, hatte sie einen Entwurf fertig, mit dem sie wenigstens leben konnte. Keine Emotionen waren in dem Brief zu merken, und genau das war es, was sie wollte. Caius sollte nicht merken, was in ihr vorging. Noch lieber wäre es ihr gewesen, wenn sie ein wenig höfliche Lockerheit hätte hineinbringen können in die Worte, einen oberflächlichen Konversationston, aber das schaffte sie nicht. So sehr sie es versucht hatte, sie schaffte es nicht. Für einen Augenblick seufzte sie lautlos und strich sich müde über die Augen. Und dabei hatte sie erst einen Brief geschrieben. Weitere standen ihr bevor. Lucilla musste sie schreiben, in jedem Fall. Und Faustus… Seine Abreise nach Ägypten stand kurz bevor, er war bereits in Ostia. Sie würde ihm nichts sagen, beschloss sie. Sie würde warten, bis er abgereist war, und ihm dann auch einen Brief schreiben. Einen, den sie ebenso emotionslos halten – oder es zumindest versuchen – würde wie alle anderen.


    Sie ließ ihre Hand wieder sinken, zog nun erneut einen Papyrus zu sich und machte sich daran, den Entwurf abzuschreiben, als die Tür aufging. Sie bemerkte es nicht, ganz im Gegensatz zu Elena, die aufsah – bevor die Sklavin allerdings auf den Besucher aufmerksam machen konnte, übernahm der es selbst. Seiana sah hoch, überrascht, darüber dass überhaupt jemand hier war, und darüber dass derjenige nicht einmal geklopft hatte. Sie warf Elena einen kurzen Blick unter gerunzelter Stirn zu, fast als wäre es deren Schuld, aber sie sagte nichts zu ihr, sondern bedeutete ihr nur mit einem Kopfnicken, zu gehen. „Flavus. Setz dich doch.“ Ihr Lächeln war so gefroren, wie sie sich innerlich fühlte, als sie auf die Sitzgruppe am Fenster wies. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich zu sammeln, sich darauf vorzubereiten, mit jemandem zu reden dem sie nichts zeigen wollte. Und gerade im Augenblick, nach diesem Brief, hätte sie Zeit bitter nötig gehabt, Zeit um eine Maske aufzusetzen, die auch das bittere Eis verbarg. Sie musterte ihren Cousin kurz. Sie hatte ihn ein paar Mal getroffen, seit sie wieder hier war, aber wirklich viel Gelegenheit, miteinander zu reden, hatte sich nicht ergeben, weshalb sie ihn kaum kannte. Sie wusste nur, dass er der Sohn Livianus’ war, von dem er lange nichts gewusst hatte. „Verzeih mir, wenn mein Ausbruch dich gestört hat“, wich sie seiner Frage aus. „Manchmal fehlt einfach die nötige Selbstbeherrschung.“

  • Sehr gut. Die erste Reaktion seiner Cousine viel schon einmal relativ ruhig aus. Ein Grund warum Marcus nur seinen Kopf in das Zimmer gesteckt und seinen Körper hinter der Türe belassen hatte war, dass er damit rechnete im schlimmsten Fall irgendetwas entgegen geworfen zu bekommen – also zu seinem eigenen Schutz. Doch als Seiana ihrer Sklaven ein Zeichen gab sich zurück zu ziehen, öffnete der junge Mann die Türe ganz und ließ die Sklavin aus dem Zimmer huschen. Vermutlich war diese Froh darüber der übellaunigen Herrin zu entkommen, auch wenn sie das schlimmste schon hinter sich hatte. Marcus sah der jungen Sklavin, die ihm zwar bereits im Haus aufgefallen, aber bei der er sich bisher zurück gehalten hatte hinterher und schloss dann die Türe hinter ihr. Seine volle Aufmerksamkeit galt nun einzig und alleine seiner Cousine, die, wie auf den ersten Blick zu erkennen war, ein nicht unbedingt überzeugendes Lächeln aufgesetzt hatte. Er folgte der Einladung sich zu setzen und ging auf die Sitzgruppe am Fenster zu, ohne dabei seine Cousine aus den Augen zu verlieren.


    "Ja, das war nicht zu überhören."


    sagte Marcus mit einem aufmunternden Lächeln im Gesicht. Schließlich dachte er es ging bei Seianas Wutausbruch um die üblichen unwichtigen Probleme junger Frauen. Meinungsverschiedenheiten mit einer Freundin, ein von Sklaven verwaschenes Kleid oder vielleicht ein verlorenen gegangenes Lieblingsschmuckstück kamen da zum Beispiel in Frage. Der junge Decimer ließ sich auf einem der Stühle nieder und wartete darauf, dass auch seine Cousine zu ihm kam.


    "Du hast Glück das wir so gut wie alleine in der Casa sind. Sonst wäre ich vermutlich nicht der einzige Ohrenzeuge deines kleinen Tobsuchtsanfalls gewesen und würde nun nicht alleine hier in deinem Zimmer stehen.


    Ich wusste gar nicht, dass es außer mir auch andere Decimer gibt, die derart die Beherrschung verlieren können. Die Anderen, allen voran mein Vater, wirken immer so unnahbar und gefühlskalt – zumindest was Probleme betrifft."


    Er hatte bisher tatsächlich nie jemand so die Beherrschung verlieren sehen, auch wenn man Seiana eingestehen musste, das sie vermutlich davon ausgegangen war alleine zu sein. Aber dennoch tat es gut, auch solche Gefühlsregungen bei seinen Familienangehörigen zu sehen. Zumindest was Seiana betraf. Ihr Bruder und der Alte waren ihm egal. Sie kannte er bisher nicht sonderlich gut und daher versuchte er möglichst unvoreingenommen auf sie zuzugehen.

  • Seiana folgte Flavus’ Weg mit ihren Blicken, bevor sie Papyrus und Wachstafel bedeckte, so dass der Entwurf und die angefangene Übertragung auf Papyrus nicht mehr zu lesen waren. Anschließend kam sie ebenfalls zu ihm und gestikulierte kurz zu den Kannen Wein und Wasser, die neben einigen Bechern auf dem Tisch standen. „Möchtest du etwas?“ Sie setzte sich, während sie sprach, und schenkte ihm dann das Gewünschte ein, bevor sie sich selbst einen Becher Wasser eingoss. Sie sehnte sich nach dem Wein, nach der – wenn auch vorübergehenden – Linderung, die der Alkohol zu versprechen schien, aber damit würde sie warten, bis sie allein war. Und es spät genug war, dass sie nicht mehr gestört werden würde. Sie presste kurz die Lippen aufeinander, als sie die Worte ihres Cousins dann hörte. Worte, die nur allzu deutlich machten, wie wenig sie sich zuvor unter Kontrolle gehabt hatte. Nicht zu überhören. Glück dass wir allein sind. Tobsuchtsanfall. Sie konnte nur hoffen, dass Flavus das für sich behielt. Dass die Sklaven tratschen würden, war schon schlimm genug, wenn Flavus jedoch etwas herumerzählen würde… Seiana musterte ihn und verzog ihre Lippen erneut ein wenig, diesmal jedoch auf eine Art, die selbst mit gutem Willen nicht als Lächeln zu bezeichnen war, auch wenn ihre Mundwinkel ein winziges Stück nach oben wanderten.


    „Ich muss gestehen, das ist eine Eigenschaft deines Vaters, die ich an ihm bewundere. Es ist leichter, mit Problemen umzugehen, wenn man sich unter Kontrolle hat. Und es macht weniger angreifbar.“ Sie wusste nicht so recht, warum sie den letzten Satz gesagt hatte. Vielleicht, weil sie sich im Augenblick selbst so… angreifbar fühlte. So verwundbar. Sie wollte davon nichts zeigen, und sie spürte, wie das Eis in ihrem Inneren ihr dabei half. Unnahbar und gefühlskalt, sagte Flavus. Es klang negativ. Aber für Seiana war es das nicht im Geringsten. Es war ihr egal, wie sie auf andere wirkte, solange es ihr nur half nicht zu zeigen, was tatsächlich in ihr vorging. Der Riss in der Eisschicht, die ihre Seelenlandschaft bedeckte, war bei weitem noch nicht geschlossen. Sie dankte den Göttern dafür, dass vorhin, als Caius noch da gewesen war, das Eis mehr oder weniger dicht gewesen war. Nichts hinaus gelassen hatte. Nicht auszudenken, wenn sie zugelassen hätte, dass er sie weiter im Arm gehalten hätte. Dass er sie getröstet hätte. Dass sie gar angefangen hätte zu weinen, vor ihm. Nach dem, was er ihr nur Augenblicke zuvor gesagt hatte! „Ich denke, zumindest der iberische Teil unserer Familie kann von sich behaupten, mit einem guten Anteil Temperament ausgestattet worden zu sein. Auch wenn manche von uns lernen, es zu zügeln, besser als andere.“

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    Katander klopfte, wie es sich gehörte. Insgeheim ging er aber schon mal in Deckung. Er wusste ja nicht, wie Seiana nach der Sache gestern so drauf war...
    »domina Seiana?« rief er parallel zum Klopfen.
    »Ich bin's, Katander!« Vielleicht war sie ja auch gar nicht da. Dann konnte Caius das nächste Mal alleine hierherstiefeln. Aber Marcus hatte gesagt, dass sie da war. Insofern bestand da wohl wenig Hoffnung.




    LEIBSKLAVE - CAIUS AELIUS ARCHIAS

  • Seiana war da. Genauer gesagt hatte sie schon auf Katander gewartet – auch wenn sie ganz sicher nicht in der Verfassung war, Besuch zu empfangen. Nach Caius’ Besuch gestern war sie irgendwann zusammengebrochen. Nicht äußerlich, das nicht, aber innerlich. Irgendwie war sie in ihr Zimmer gelangt, und sie hatte sich auf ihrem Bett zusammengekrümmt, geschüttelt von Schluchzern, die zunächst trocken waren, weil sie Tränen nicht zulassen wollte, und die dann schließlich doch kamen. Nicht weil Caius sie verlassen hatte, sondern weil sie nicht genug war. Weil ihr Leben in die Brüche ging, schon wieder. Weil nie etwas von dem zu funktionieren schon, was sie sich vornahm, nichts von dem jedenfalls, was ihre Mutter stolz und der Familie Ehre gemacht hätte und ihrer gesellschaftlichen Stellung angemessen gewesen wäre. Und als sie sich wieder genug unter Kontrolle hatte, dass sie den Fluss der Tränen eindämmen konnte – was verhältnismäßig rasch geschah –, hatte sie sich diesmal nicht nur dem Wein gewidmet, sondern hatte Elena losgeschickt, um Kräuter zu besorgen, die ihr gegen die Kopfschmerzen helfen würden.


    Nein, der gestrige Tag war kein guter gewesen, genauso wenig wie die Tage davor, und das sah man Seiana an. Sie hatte sich zwar mit Mühe in der Früh ins Balneum schleppen lassen von Elena, hatte sich herrichten lassen, aber man sah es ihr dennoch an. Sie fühlte sich roh an innerlich, roh und wund, sie hatte viel zu wenig geschlafen und schon wieder Kopfschmerzen, weil sie zu viel getrunken hatte, und sie war nicht in der Verfassung für einen Besuch. Aber es war ja nur Katander, der ihr in Ägypten ebenfalls recht vertraut geworden war, und: sie wollte es hinter sich bringen. Nach dem gestrigen Gespräch – Streit – wollte sie noch viel weniger in Caius’ Schuld stehen, und sei es nur, dass sie ein Geschenk von ihm hatte. Irgendwann im Verlauf des gestrigen Abends hatte sie auch die kleineren Geschenke, die sie von ihm erhalten hatte, zusammengesucht und auf den Boden geschmissen, schön in die Mitte ihres Cubiculums, von wo Elena sie aufgesammelt und auf den Tisch gelegt hatte. Dieses Häufchen starrte Seiana gerade an, als es klopfte und Katanders Stimme ertönte. Seiana räusperte sich. „Herein.“ Sie wandte ihren Blick zur Tür, sah, wie sie sich öffnete, und wie Caius’ Sklave vorsichtig, wie es ihr schien, hereinkam. Mit einer angedeuteten Geste wies sie auf den Stuhl, der bei dem Tisch stand, wo auch sie saß. „Salve, Katander. Setz dich doch.“

  • [Blockierte Grafik: http://img145.imageshack.us/img145/3871/katander.png]


    Katander kam rein und fand eine ziemlich fertig aussehende Seiana vor. Er sah sie zerknirscht an. Irgendwie fühlte er sich verantwortlich für den Mist, den sein Herr baute. Auch wenn ihm das jetzt leid tat. Elena war auch da. Ihr lächelte der Sklave flüchtig zu und sah dann wieder zu Seiana. Katander räusperte sich.


    »Ähm. Danke.« Er setzte sich. Zwischen ihm und ihr türmte sich ein Häufchen mit Dingen auf. Die meisten davon erkannte Katander wieder, weil er sie entweder selbst gekauft hatte oder dabei gewesen war. Er sah erst den Geschenkeberg mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann Seiana.
    »Also, ich weiß, dass dir das nichts bringt und dir das vielleicht auch egal ist. Aber es tut ihm leid, was er gesagt hat, auch wenn er das nicht zugeben würde. Er hat's nur mir gesagt, und ich finde, du solltest das wissen«, sagte er und griff dann nach einem Muschelarmband. Er war sich nicht ganz sicher, was er nun eigentlich machen sollte. Kurz warf er Elena einen Blick zu, dann wandte er sich wieder an Seiana und wartete.



    LEIBSKLAVE - CAIUS AELIUS ARCHIAS

  • Elena freute sich, als sie Katanders Stimme erkannt hatte – Seiana hatte ihr zwar versichert, dass die Auflösung der Verlobung keinen Einfluss auf sie und Katander haben würde, jedenfalls nicht von ihrer Seite aus, aber es war trotzdem alles ein bisschen schwierig die letzten Tage. Schon allein, weil sie sich kaum traute, ihre Herrin in diesem Zustand allein zu lassen. Und so war sie die meiste Zeit bei ihr, wie auch jetzt, ein stummer Schatten im Hintergrund, entgegen ihrer eigentlichen Art, weil Seiana deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie weder ihren Trost noch ihre Ratschläge oder ihre Hilfe wollte. Sie ließ es nicht an ihr aus, aber wenn Elena zu aufdringlich wurde, schickte sie sie fort, und Elena wollte sie nicht allein lassen. Also riss sie sich zusammen und sah nur stumm zu, wie Seiana litt, um wenigstens da sein zu können. Sie erwiderte Katanders Lächeln, ein wenig traurig, aber sie sagte nichts.


    Seiana unterdessen folgte Katander mit ihren Blicken, wie er zu ihr kam und sich setzte. Hörte regungslos zu, was er zu sagen hatte. Und starrte dann auf Katanders Finger, die mit einem Armband zu spielen begonnen hatten. Sie horchte in sich hinein, aber sie… fand nichts. Sie hatte das Gefühl, neben sich zu stehen, irgendwie nicht mehr verbunden zu sein mit sich selbst, mit ihrem Inneren. Sie hörte die Worte, aber sie konnte im Augenblick nicht viel damit anfangen, konnte noch nicht einmal entscheiden, ob sie Katander glaubte oder nicht. In ihrem Brustkorb kribbelte es unangenehm. „Möchtest du etwas davon?“ fragte sie völlig zusammenhanglos und wies mit einer Kopfbewegung auf das Häufchen. „Ich meine… es ist Frauenschmuck, aber vielleicht…“ Ihr ging auf, dass das eine blöde Idee war. Was Elena davon wollte, bekam sie ohnehin, und sie glaubte kaum, dass Katander Schmuck annehmen würde, den sein Herr seiner ehemaligen Verlobten gegeben hatte, um ihn seiner Geliebten zu schenken, die die Sklavin ebenjener Verlobten war. Mitten im Satz änderte sie also die Richtung. „…kannst du ja etwas davon verkaufen. Und dir dann was leisten.“

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