Es brachte nichts. Es brachte einfach nichts. Sie konnte es nicht weiter aufschieben. Sie hatte sich mit Arbeit zugeschüttet in den letzten Tagen, kümmerte sich intensiver um ihre Betriebe als je zuvor und stellte Planungen auf für die Eröffnung – oder Übernahme – eines vierten, betrieb Studien an der Schola und besuchte offizielle Veranstaltungen, und erst heute hatte sie eine Nachricht erhalten, die eigentlich allen Anlass zur Freude gab: sie war an der Schola als Praeceptor genommen worden und würde in Zukunft dort selbst lehren können, etwas, was sie schon in Alexandria im Museion gewollt hatte, woraus dann leider nichts geworden war. Sie glaubte, dass es das Richtige für sie war. Aber es änderte nichts daran, dass sie all diese Dinge nutzte, um etwas aufzuschieben, was ihr mehr als unangenehm war. Sie musste Lucilla antworten, daran führte kein Weg vorbei. Und sie musste Faustus endlich schreiben. Faustus… Seiana biss sich auf die Lippen und zog sich eine Wachstafel heran, um endlich die Briefe zu schreiben, die sie viel zu lang aufgeschoben hatte.
Lieber Faustus,
es tut mir leid, dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich gebe zu, dass ich das hier absichtlich aufgeschoben habe bisher. Ich
Seiana zögerte einen Augenblick, unschlüssig, wie sie weiter schreiben sollte. [strike]Ich[/strike] Die Verlobung ist gelöst. Wieder setzte sie ab und grübelte. Die Worte sahen so schlicht aus, so simpel. Zu simpel. Ein Teil von ihr war erleichtert, dass sie ihm das schriftlich mitteilen konnte, aber ein anderer Teil wünschte sich, sie könnte es ihm persönlich sagen. Mit einem Seufzen setzte sie wieder an. Er hat mich darum gebeten, weil
Seiana schluckte und starrte auf den angefangenen Satz, dann gab sie sich einen Ruck. [strike]weil[/strike] und ich habe zugestimmt, weil ich keinen Sinn darin gesehen habe, auf einer Verbindung zu bestehen, die er nicht mehr möchte. Zumal er eine andere hat, die er mir vorzieht.
Du wirst jetzt wahrscheinlich
Ein erneutes Zögern. Dann kratzte der Stylus erneut über die Wachstafel, als sie die letzten Worte durchstrich. [strike]Du wirst jetzt wahrscheinlich[/strike] Ich weiß, dass du jetzt sagen wirst: ich hab’s dir doch gesagt. Und ich weiß, dass du recht hast damit. Trotzdem bitte ich dich, es nicht zu sagen, mir das nicht zu schreiben. Ich weiß es. Ich hätte auf dich hören sollen, und du kannst mir glauben, dass ich mir genug Vorwürfe mache. Es tut mir leid, Faustus. Jeder Streit, den wir hatten deswegen, tut mir leid. Ich hätte auf dich hören sollen.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Es schien so banal zu sein, jetzt von alltäglichem anzufangen, aber sie konnte diesen Brief so nicht losschicken. Er war immerhin nach Ägypten gegangen, er hatte seine ersten Tage und Wochen als Tribun hinter sich, er… sie schüttelte die Gedanken ab und schrieb weiter. Ich hoffe, deine Überfahrt war einigermaßen ruhig. Wie geht es dir denn in Ägypten? Wie läuft dein Leben dort als Tribun? Und wie findest du das Land, wie findest du Alexandria? Wenn ich mir vorstelle, dass ich bis vor einiger Zeit dort war, wo du jetzt bist, ist das schon ein komisches Gefühl irgendwie… Ich hoffe, es gefällt dir dort genauso wie mir! Konntest du schon dem Museion einen Besuch abstatten? Übrigens, ich werde hier nun an der Schola anfangen zu lehren. Noch ist es nicht ganz offiziell, aber ich habe die Nachricht heute erhalten, und die Bekanntgabe ist nur eine Frage der Zeit.
Und dein Vater, Livianus, kandidiert übrigens als Consul – ich weiß nicht ob du davon bereits gehört hast. Ich bin gespannt darauf, ob er Erfolg haben wird.
Wieder setzte sie ab und überlegte kurz, aber sie beschloss, dass das reichen musste. Sie nahm einen Bogen Papyrus und übertrug den Entwurf sorgfältig darauf, fügte noch einige Abschlussworte hinzu und versiegelte den Brief anschließend, um sich dann an den nächsten zu machen. Und Lucillas Brief hatte es wahrhaftig in sich. Zögernd nahm Seiana ihn nun zur Hand und las ihn Stück für Stück ein weiteres Mal durch, um eine Antwort aufzusetzen.
Decima Seiana
Casa Decima
Rom, Italia
Meine liebe Seiana!
Wie schön, von dir zu hören, oder besser zu lesen! Faustus hat natürlich auch mir immer erzählt, wie es dir geht, ja an ihm ist ein rechtes Tratschweib verloren gegangen, aber wenn es in der Familie bleibt, will ich mal nicht so sein. Von deiner Verlobung hat er allerdings gar nichts erwähnt, um so mehr freue ich mich jetzt für dich! Das Leben als Mädchen in Rom ist ja nicht schlecht, aber ich sage es dir, eine Matrone zu sein, das ist etwas ganz anderes! In dieser einen Nacht ändert sich alles, mit einem Mal steht dir die ganze Welt offen, die ganze Welt wartet nur noch darauf, von dir ergriffen zu werden! Du wirst in die geheimen Riten der Magna Mater und Bona Dea eingeweiht, auf der Straße wird man dir mit Respekt begegnen und bei Gesellschaften wird man dir zuhören, weil du nicht mehr nur das junge Ding ohne Ahnung bist, sondern weißt, wo der Hase läuft (und zwar in allen Angelegenheiten)! Ach, Seiana, wirklich, das ist großartig! Diesen Caius Aelius kenne ich zwar nicht, aber ich bin sicher, er ist ein passender Mann für eine Decima. Ist er mit Senator Aelius Quarto verwandt? Dann könnte natürlich nichts mehr schief gehen, aber auch ansonsten wirst du deinen Ehemann schon an die rechte Position im Staat treiben, da bin ich ganz sicher.
Leider werde ich es zu eurer Hochzeit nicht nach Rom schaffen. Aber ich habe die beste Pronuba für euch, die du dir vorstellen kannst: deine Tante Venusia! Ich kenne wirklich keine kompetentere Frau für diese Aufgabe und ich bin ganz sicher, sie wird das liebend gerne übernehmen.
Seiana konnte nicht anders als schlucken, als sie diese Zeilen nun erneut überflog. Eine Matrona zu sein, das ist etwas ganz anderes. Müde stützte sie ihren Kopf in einer Hand ab und rieb sich über die Augen. Eine Matrona. Es wurde Zeit, dass sie eine Matrona wurde, dass sie heiratete, wenigstens das, wenn sie sich schon nicht vorstellen konnte, tatsächlich Mutter zu werden. Aber das würde dann von selbst kommen, wahrscheinlich, hoffentlich, sobald sie erst mal verheiratet war. Auf der Straße wird man dir mit Respekt begegnen und bei Gesellschaften wird man dir zuhören. Nicht, dass sie das Gefühl hatte momentan respektlos behandelt zu werden… aber je älter sie wurde und dabei unverheiratet blieb, desto mehr würde der Respekt abnehmen, darüber war sie sich bewusst. Genauso wie ihre Chancen. Während die merkwürdigen Blicke zunehmen würden… Sie wollte Lucilla nicht schreiben, dass sie versagt hatte, ihr vielleicht noch weniger als Faustus, weil sie das Gefühl hatte, dass Lucilla wesentlich schneller und besser begreifen würde, was die Auflösung der Verlobung tatsächlich bedeutete. Faustus war ein Mann, und Männer machten sich gemeinhin wenig Gedanken darüber, was es beispielsweise für eine Frau hieß, in ihrem Alter noch unverheiratet zu sein. Man sah es ja an Caius, wie wegwerfend er dieses Thema behandelt hatte, auch ihr gegenüber, wie wenig er verstanden hatte, warum es sie traf, dass er sich eine Jüngere ausgesucht hatte. Abgesehen von allem anderen, was er, was sie beide, getrieben hatten… Seiana zwang sich, diese Gedanken wegzuschieben, und las weiter, um sich dann endgültig an den Brief zu setzen.
Caius ist tatsächlich in Ägypten. Er kommt ganz nach seinem Vater und ist ein richtig schlauer Junge, dem jeden Tag neue Fragen einfallen. Das war mir einfach zu viel und in Hispania oder auch hier in Gallia ist an gute Lehrer leider nicht so leicht heran zu kommen. Ich hoffe, dass es in Alexandria genügend Paedagogen gibt, dass ihm die Fragen ausgehen bevor er sie alle verschlissen hat. Natürlich hätte ich ihn auch nach Rom schicken können, aber ich befürchte, dass er dort zu schnell unter die Räder der Macht gerät. Medicus und seine Politik sind leider nicht unumstritten, insbesondere bei den Patriziern, die ja schon seit Jahrhunderten nichts anderes tun als mit ihren Hintern die Steine im Senat zu wärmen und immer gegen alles und jeden sind, der etwas neues wagt. Caius wäre nicht der erste Sohn, der im Tiber versenkt wird, um den Vater zum Einlenken zu bewegen. Natürlich soll er irgendwann seinem Vater in die Politik nachfolgen, aber jetzt ist es noch viel zu früh und ich habe Angst, dass Medicus ihn in Rom viel zu schnell in diese Dinge mit hinein ziehen würde. Medicus soll das natürlich nicht wissen, er würde mich sicherlich für eine überängstliche Glucke halten, also bitte erwähne ihm gegenüber nichts davon und am besten auch nicht gegenüber sonst irgendwem. Männer können das sowieso nicht verstehen.
In Gallia ist es belebter, als man meinen mag. Naja, zumindest in Narbo, hier ist ja sozusagen der Dreh- und Angelpunkt der gallischen Provinz. Alle Händler kommen hier durch, um ihre Waren von hier aus in die ganze Welt zu verschiffen. So bekommt man einen exklusiven Einblick vorab auf die Mode aus Lutetia - ist das nicht aufregend? Hach, mich kribbelt es überall, wenn ich daran denke, dass das, was ich gerade trage, in ein paar Monaten in Rom erst in Mode kommt! Aus diesem Grund habe ich dir auch ein ganz besonderes Hochzeitsgeschenk beigelegt. Ich hoffe nur, es passt dir. Ich habe es extra ein bisschen länger gewählt, dass du es notfalls noch kürzen lassen kannst. Mit diesem Kleid wirst du in diesem Frühjahr in Rom den Ton bestimmen, das ist garantiert!
Mehr gibt es dann aber auch nicht zu berichten. Im Umland war ich bisher noch nicht und es zieht mich auch nicht besonders dahin. Die Abendgesellschaften sind dagegen kaum anders als in Rom. Natürlich nicht ganz so exklusiv, aber ebenso neckisch, wenn du weißt, was ich meine.
Bitte richte allen Decima Zuhause meine Grüße aus und natürlich auch Venusia und deinem lieben Ehemann!
Deine Tante
Lucilla