Beiträge von Decima Seiana

    Nachdem sie geendet hatte, schwieg Seiana, wartete – im Grunde darauf, dass Piso nun sagen würde, dass er das Ganze für lächerlich hielt. So wie Caius es für lächerlich gehalten hatte, dass sie für die Taberna hatte bezahlen wollen. Wenn sie nicht gewesen wäre, oder sie von Anfang an nicht gewollt hätte, hätte er den Betrieb ja auch nicht einfach so verschenkt! Und was war so… so unverständlich daran, dass sie ihm nichts schuldig sein wollte? Nicht in dieser Größenordnung? Sie wollte das nicht, sie wollte nicht eines Tages da stehen und Caius in ihrem Atrium haben, wie er einen Gefallen von ihr wollte, und sie konnte sich nicht weigern, weil er ihr diese Taberna geschenkt hatte! Natürlich war dies das Spiel Roms, das wusste sie – dieses Geflecht aus schuldigen Gefallen trieb das System doch letztlich an, zumindest teils. Aber ihm wollte sie keinen Gefallen schuldig sein. Sollte es Caius je einfallen, wegen irgendetwas zu ihr zu kommen, dann wollte sie frei sein in ihrer Entscheidung, und sich nicht gezwungen fühlen, weil sie ihm etwas schuldig war.


    Als Piso dann anfing zu reden, überraschte er sie in zweierlei Hinsicht. Zum einen stempelte er ihre Worte, ihre Einstellung nicht als gänzlich lächerlich ab. Zum anderen warf er eine Betrachtungsweise auf, die ihr bisher völlig entgangen war – und die, gerade weil sie durchaus logisch klang, ihr keineswegs gefiel. Die Aussicht auf Erfolg, Caius auf rechtlichem Weg einen Dämpfer zu verpassen, schien immer unwahrscheinlicher zu werden. Und so antwortete sie auch nichts auf seine Worte. Was hätte sie schon sagen sollen? Es brachte nichts, weiter darüber zu diskutieren, wie sie die Sache sah. Sie hatte ihren Standpunkt klar gemacht. Und wenn Piso mit Caius sprach und dadurch vielleicht etwas bewirken konnte, dann hatte sie doch letztlich auch ihr Ziel erreicht – wenn auch nicht so, wie sie ursprünglich geplant hatte, als sie hierher gekommen war. In einer für sie so untypischen Kurzschlusshandlung… Seiana hätte am liebsten ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. Aber was machte es schon, sich vor einem einzigen Mann eine Blöße zu geben – auch wenn dieser Mann der beste Freund desjenigen war, der der Grund für die Kurzschlusshandlung gewesen war –, wenn sie dadurch verhindern konnte, sich vor weit mehr Menschen eine Blöße zu geben? Sie erwiderte sein Lächeln nicht, sondern nickte nur müde, als er auf ihren Dank antwortete. Ihr war genauso klar wie ihm, dass er kein Wohltäter war. Dass er irgendwann zu ihr kommen würde, sofern es etwas gab, was sie für ihn tun konnte. Dass sie letztlich nur den Gefallen, den sie Caius geschuldet hatte, eingetauscht hatte gegen einen, den sie nun Piso schuldete. Sie schloss für einen Augenblick die Lider. Als sie ihn dann wieder ansah, zwang sie sich doch zu einem wenigstens vagen, oberflächlichen Lächeln. „Das war alles, ja. Ich danke dir für die Zeit, die du dir genommen hast. Vale, und einen schönen Tag noch.“ Mit diesen Worten erhob sie sich und verließ den Raum.

    [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~Crios~


    Crios betrachtete die Iunia vor ihm einen Augenblick schweigend. Entweder lag er tatsächlich falsch – was er nicht glaubte, weil sich das einfach aufdrängte, nach dem was sie ihm erzählt hatte – oder aber, und das fand er naheliegender, sie wollte nicht darüber reden. Nicht mit ihm, jedenfalls. Oder sie wollte es nicht zugeben, weder vor ihm noch vor sonst wem. In jedem Fall konnte er ihr nicht weiter helfen. „Nun… ja“, antwortete er schließlich zögernd. „Bei manchen Paaren dauert es lange.“ Bei anderen nicht. „Denk einfach drüber nach. Vielleicht hilft das ja schon. Also, falls dich das wirklich nervös macht, meine ich. Mehr als normal.“ Kinderkriegen war nun mal gefährlich, für jede Frau, da war es kein Wunder wenn sie nervös war. Nur was war noch im Rahmen des normalen, bei dem, was sie erlebt hatte? „Natürlich kannst du das, gerne. Ehm. Ich geh mal kurz hinter und misch dir erst mal was, für die nächste Zeit. Warte einen Augenblick.“


    Mit diesen Worten verschwand Crios durch die nahegelegene Tür in den hinteren Bereich der Taberna, und nach einiger Zeit kehrte er wieder zurück, mit einer verschlossenen kleinen Amphore in der Hand, die er ihr reichte. „Wenn du nicht schlafen kannst, dann nimm davon etwas – nicht pur, misch es mit Wasser, im Verhältnis eins zu zwei.“




    Nachdem sie geendet hatte, schwieg Seiana erst mal. Piso ließ sich nicht einfach nur berieseln, sondern hörte ihr tatsächlich zu, das war ersichtlich, aber was er nun von ihren Worten hielt… Seiana hatte nicht realisiert, wie wichtig es ihr war, dass er – jemand – sie verstand, bis sie hier saß, es ihm erzählte und auf seine Reaktion warten musste. Es hätte sonst wer sein können, aber Piso war nun einmal derjenige, zu dem sie ihre Schritte nach diesem Vorfall zuerst gelenkt hatten. Wenn er ihr nun auch noch sinngemäß an Kopf werfen würde, dass sie sich nicht so aufführen sollte, so wie Caius gestern… Sie wich seinem Blick für einen Moment aus und presste die Lippen aufeinander, als die ersten Worte über seine Lippen kamen. Eine versöhnliche Geste. Sicher. Seiana konnte sich für einen Augenblick nur mit Mühe davon abhalten, verächtlich zu schnauben, aber es gelang ihr. Sie schaffte es bei weitem nicht so gut wie normalerweise, ihr Innerstes in sich zu verschließen und eine glatte, höfliche Fassade zur Schau zu stellen, die nichts verriet, aber so sehr ließ sie sich dann doch nicht gehen, schon gar nicht vor einem Mann, den sie letztlich nicht sonderlich gut kannte und der noch dazu der beste Freund ihres ehemaligen Verlobten war. „Das hat er sicher nicht“, antwortete sie nur leise. Nein. Was auch immer Caius im Sinn gehabt mit dieser Aktion, einen Gefallen hatte er ihr damit definitiv nicht tun wollen, davon war sie überzeugt.


    Bei Pisos nächsten Worten sah Seiana schon wieder fort. Er sah keine Chance, zumindest für sie schien das klar zu werden aus dem, was er sagte. Keine Chance auf dem rechtlichen Weg. In diesem Augenblick, in dem er das sagte, fühlte sie sich unglaublich hilflos. Und sie hasste dieses Gefühl. „Politiker sind etwas anderes als Frauen. Frauen müssen sich nicht mit dem Volk gut stellen, Frauen brauchen nicht die Unterstützung der breiten Masse, schon gar nicht Frauen von meinem Stand! Es sind völlig andere Dinge, auf die sie achten müssen, und es ist ein weit kleinerer Kreis von Menschen, dessen Meinung es positiv zu beeinflussen gilt, um gesellschaftlich nicht unterzugehen. Eine alleinstehende Frau in meinem Alter, die erst vor kurzem…“ Seiana kämpfte mit sich, aber es gab keinen Weg, das freundlicher zu formulieren. „…sitzen gelassen wurde von ihrem Verlobten, weil er ihr eine andere, jüngere vorzieht, wenn eine solche Frau zu solchen Methoden greift, dann… ist das nur erbärmlich! Was für einen Politiker ein gutes Mittel sein mag, um sich beliebt zu machen beim Pöbel, kann für eine Frau gesellschaftlichen Ruin bedeuten. Oder was würdest du von einer Frau denken, über die du solche Geschichten hörst?“ Dass sie es nötig hatte. Das würde er wohl denken. Und eine Frau, von der man dachte, dass sie es nötig hatte, sank wie von selbst in der Achtung anderer. Seiana presste erneut die Lippen aufeinander, lehnte sich zurück und atmete einmal tief durch. Sie zwang sich dazu, sich wieder zu beruhigen. Es brachte nichts. Was wusste ein Mann denn schon von den Problemen, denen eine Frau sich gegenüber sah? Männer erwarteten immer, dass Frauen Verständnis für sie und ihre Probleme hatten, aber umgekehrt gab es nur wenige, die tatsächlich nachvollziehen konnten, welche Probleme Frauen hatten. Die perfekte römische Matrona… war nahezu unmöglich zu verkörpern. Aber darüber dachten Männer selten nach. Und wie Piso so richtig gesagt hatte, wenn auch indirekt: es waren Männer, die zu Gericht saßen. Männer und Politiker. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Verständnis dafür haben würden, warum für eine Frau schlimm war, was für einen Politiker etwas Gutes bedeutete, war verschwindend gering. Und diese Erkenntnis ließ Seiana noch hilfloser zurück. Erst bei Pisos letzten Worten sah sie wieder auf. Er würde mit Caius reden… Wenn er das tat, und wenn er tatsächlich Erfolg haben würde, dann stand sie in seiner Schuld. „Danke, Piso.“

    „Nun ja…“ Seiana machte eine vage Handbewegung und lächelte flüchtig. „Es ist schon einiges zu tun, aber die Arbeit gefällt mir einfach.“ Und es war eines der wenigen Dinge, die sie als Frau überhaupt tun konnte, aber das sagte sie nicht laut. Es gehörte nicht hierher, und davon abgesehen musste das sowieso nicht diskutiert werden. Es war eben so, und Seiana akzeptierte das – mehr noch, sie unterstützte es ja. Es gab Traditionen und Werte, die geehrt werden sollten. Die Sache mit Caius bestärkte sie nur noch einmal in diesem Glauben. Sie war dieses Thema mit Verlobung und Ehe ganz falsch angegangen. Sie hätte nicht, oder nicht in erster Linie, darauf achten dürfen, ob es ein Mann war, den sie mochte. Sicher musste es jemand sein, mit dem sie sich ein gemeinsames Leben vorstellen konnte, aber das musste nicht notwendigerweise ein Mann sein, den sie mochte. Es gab auch andere Gemeinsamkeiten, die verbanden. Wenigstens die, die Familien zu verbinden und dadurch einen Mehrwert für beide zu bekommen. Nein, sie hätte Caius nicht nach Ägypten nachreisen dürfen – sie mochte die Erfahrungen in Alexandria nicht missen, von daher konnte sie nicht davon sprechen, dass es falsch gewesen war, aber sie hatte sich aus falschen Gründen dazu verleiten lassen. Was ihre Verlobung betraf, hätte sie sich traditioneller verhalten müssen, und vor allem: sie hätte auf andere Dinge Wert legen müssen.


    Und genau um dieses Thema drehte sich ihr Gespräch auch weiterhin. Seiana wünschte sich, sie wäre nicht so ausführlich auf Alexandria eingegangen, dann müsste sie sich jetzt nicht irgendetwas ausdenken, was als Grund taugte, wieder hierher gekommen zu sein. Sie konnte und wollte nicht von ihrem ehemaligen Verlobten erzählen, der in Alexandria gearbeitet und sich bereits nach einem anderen Posten in Rom umgesehen hatte. „Es hat mich einfach wieder zurückgezogen. Ein Großteil meiner Familie lebt hier… und so faszinierend Alexandria auch ist, Rom ist noch einmal etwas anderes.“ Nicht ganz die Wahrheit, aber eben auch keine wirkliche Lüge. Sie verschwieg nur Teile – auch wenn es wesentliche Teile waren. Caius. Und dass sie sich gegen Ende ihres Aufenthalts in Ägypten dort ohnehin nicht mehr wohl gefühlt hatte, ohne dass sie hätte sagen können, warum. Dass die Nachricht vom Tod ihrer Brüder sie mitgenommen hatte. Dass sie Faustus, ihren jüngsten, ihren liebsten Bruder endlich wieder hatte sehen wollen, der einzige aus ihrer engsten Familie, der ihr noch geblieben war. All das gehörte nicht hierher, in ein Gespräch mit einer Kundin. Sie sah kurz auf die Schriftrolle, die die Aurelia sich ausgesucht hatte, aber dem Ausdruck auf ihrem Gesicht war nicht zu entnehmen, was sie davon hielt, während sie sich innerlich doch fragte, was die Aurelia zu dieser Auswahl gebracht hatte. Sappho hatte einige Werke verfasst, darunter auch Hymnen an die Götter, aber der Titel der Schrift, die die Aurelia in der Hand hielt, wies auf etwas anderes hin. Ohne es zu wollen, musste Seiana an das Essen bei dem Pompeier denken, und an den Kuss, den die Iunia ihr gegeben hatte. Sie schloss die Augen und verbannte die Erinnerung aus ihrem Kopf, während sie sich nun doch um ein Lächeln bemühte – aus anderen Gründen. „Ich meinte eigentlich, ob ich dir etwas zu trinken anbieten kann. Diese Schriftrolle kostet 12 Sesterzen.“

    Seiana wartete einen Augenblick, ob jemand anderes etwas sagen wollte, aber nachdem das nicht der Fall war, ergriff doch wieder sie das Wort. „Verzeih mir, wenn ich erneut widerspreche. Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun? Was hat ein starker Wille mit Inkonsequenz im Reden und Verhalten zu tun? Es ist leicht zu sagen, dass ein Weiser theoretisch in der Lage sein sollte, auf Reichtum zu verzichten. Wer den Beweis dafür dann nicht erbringt, kann noch so viel sagen und fordern, aber der muss sich dann nicht wundern, wenn seine Glaubwürdigkeit leidet.“ Seneca mochte ein hervorragender Theoretiker gewesen sein, aber was die Praxis betraf, leuchtete Seiana seine Lebens- und Argumentationsweise nicht ganz ein.

    Seiana zögerte einen winzigen Moment, als Piso ihr Wein anbot – ein verhängnisvoller Teil in ihr drängte sie dazu, anzunehmen, ja zu sagen, aber dann schüttelte sie nur stumm den Kopf. Es reichte schon, dass sie derzeit abends zu viel trank. Sie musste nicht in der Öffentlichkeit damit anfangen, auch wenn es nur eine höfliche Geste war und sie nur daran nippte. Bei Pisos Nachfrage dann wurde ihr allerdings klar, dass ihre knappe Beschreibung zuvor nicht ausreichend gewesen war, um ihn begreifen zu lassen, was passiert war. Von welchem Ausmaß das Geschehen war. Allerdings musste sie etwas mehr ausholen, um alles zu erklären, und das hätte sie eigentlich gern vermieden. „Es… das Problem ist meine Taberna medica. Er hat sie mir geschenkt, kurz nachdem auch er aus Ägypten zurückgekehrt ist. Es war ein Verlobungsgeschenk.“ Müde lehnte Seiana sich etwas zurück und wünschte sich, doch den Wein angenommen zu haben. „Verlobungsgeschenke gibt man zurück, in welcher Form auch immer. Das ist nur rechtens. Er hat die Taberna nicht gebraucht, und da ich sie gerne behalten wollte, habe ich ihm angeboten, ihm den Wert zu erstatten, den sie gehabt hätte als er sie mir geschenkt hat.“ Sie musterte Piso, versuchte zu erkennen, wie er reagierte bei den kommenden Worten. Ob er Caius’ Standpunkt teilte, oder ob er ihren verstehen konnte. Dass Piso dabei Gedanken ganz anderer Art durch den Kopf gingen, bemerkte sie dabei überhaupt nicht. „Er wollte nicht. Er meinte, die Taberna war ein Geschenk. Aber Verlobungsgeschenke behält man nicht, das ist nicht in Ordnung. Ganz davon abgesehen, dass ich nichts von ihm geschenkt haben möchte. Ich will ihm nichts schuldig sein, schon gar nicht in der Größenordnung.“ Jetzt sah Seiana wieder weg, sah auf ihre Hände hinunter. „Heute war Katander bei mir und hat das Geld geholt. Und nur kurze Zeit später standen ein paar Kerle vor der Tür meiner Familie und haben Brot verschenkt. Während sie herumgebrüllt haben, es sei ein Geschenk von mir.“ Sie verstummte kurz, fuhr dann aber schnell fort, wiederholte, was sie zuvor schon gesagt hatte. „Er macht mich damit zum Gespött. Er stellt mich hin als eine Frau, die es… einfach nötig hat, sich mit einer derart… billigen Inszenierung in den Mittelpunkt zu rücken. Kannst du dir vorstellen, was die Leute über mich tratschen werden? Und er hat den Händler angewiesen, dort zu bleiben, vor dem Haus meiner Familie. Ich musste ihm Geld geben, eine Menge Geld, damit er in die Subura verschwindet und dort das Brot verteilt. Ohne meinen Namen dabei zu brüllen.“

    Seiana sah zur Tür und erhob sich, als ihr Onkel das Zimmer betrat – und mit einiger Verwunderung sah sie, dass ihn jemand begleitete. Die Kleidung der Frau deutete darauf hin, dass sie eine Sklavin war, aber bevor sie etwas sagen konnte, ergriff Livianus schon das Wort. „Salve, Onkel“ erwiderte Seiana mit einem schwachen Lächeln seinen Gruß und musterte erneut die Frau, die er nun tatsächlich als Sklavin vorstellte. Und gleich darauf hinzufügte, dass er sie ihr schenken wollte. „Ich…“ Für einen winzigen Augenblick war sie sprachlos. Und dann wollte sie zuerst widersprechen. Sie hatte Elena, sie brauchte keine weitere Sklavin, keine zumindest, die ausschließlich ihr gehörte und nicht der gesamten Familie zur Verfügung stand. Aber dann dachte sie daran, wie schwer es ihr in letzter Zeit fiel, mit Elena zusammen zu sein. Elena kannte sie von klein auf, ihr konnte sie nichts vormachen. Elena war nach wie vor glücklich mit Katander. Elena war nach wie vor im Palast, lief sogar gelegentlich ihm über den Weg… nun, letzteres wusste sie nicht, und sehr wahrscheinlich stimmte es auch nicht, aber dennoch war sie dort, und über Katander erfuhr sie zumindest etwas. Und auch wenn sie nichts sagte und ihr Herrin nicht fragte, Seiana konnte gar nicht anders, als daran zu denken, wenn Elena in ihrer Nähe war. Und deshalb schickte Seiana ihre Leibsklavin immer häufiger fort. Nein, vielleicht war es tatsächlich nicht schlecht, eine weitere Sklavin zu haben. „Ich danke dir, Onkel.“ Sie lächelte und berührte ihn kurz an der Schulter, bevor sie sich der Sklavin zuwandte. Sie könnte auch Livianus fragen, aber ihr war nicht entgangen, dass er nicht einmal den Namen der Frau genannt hatte, und sie hatte auch nicht überhört, dass der Maiordomus sie gekauft hatte. Wenn überhaupt müsste sie sich also an ihn wenden, um weitere Informationen zu bekommen, aber das konnte vorerst warten. „Erzähl mir ein bisschen von dir. Wie heißt du? Was hast du bisher gemacht?“

    Seiana vermochte nicht genau zu sagen, wie Piso nun reagierte auf ihre Worte – aber sie brachten ihn in jedem Fall zum Nachdenken, so schien es. Und… überraschten sie ihn? Sie wusste es nicht. Im Grunde war das auch gleichgültig, irgendwie. Es machte Caius’ Entschluss für sie mehr und mehr zu einer Kurzschlussreaktion, über die er überhaupt nicht nachgedacht hatte, wenn noch nicht einmal Piso etwas davon wusste… aber es spielte keine Rolle, was sie betraf. Wichtiger war das, was Caius getan hatte, und was er noch vorhatte zu tun. Sie würde dem einen Riegel vorschieben, sie musste dem einen Riegel vorschieben. Sie würde sich nicht ihr Leben zerstören lassen, schon gar nicht, wo es doch nichts gab, was sie sich hatte zuschulden kommen lassen. Sie hatte nur alles richtig machen wollen, bei den Göttern! Warum war sie nun auf einmal in dieser Lage?


    Pisos Worte dann machten Seiana zunächst etwas sprachlos. Das ist gar nicht gut. Kann ich dir behilflich sein. Immer noch aufgewühlt von dem, was gerade passiert war, starrte sie ihn einen Augenblick lang nur an, bevor sie antwortete. „Du… Da muss doch etwas geben, was man dagegen unternehmen kann. Im Codex Iuridicialis gibt es doch Gesetze, die üble Nachrede unter Strafe stellen. Ich meine, ich musste diesem Händler noch einmal fast genauso viel an Sesterzen geben, damit er damit aufhört, weil C… Archias ihm die strikte Instruktion gegeben hat, vor dem Haus meiner Familie zu bleiben und dort herumzubrüllen!“ Es musste einfach etwas geben. Seiana war sich nicht so sicher, ob sie so weit gehen würde, Caius anzuzeigen, aber es musste wenigstens etwas geben, womit sie ihm drohen konnte, sonst hatte das Ganze doch keinen Sinn. „Du bist sein Freund. Sein bester Freund. Bring ihn dazu aufzuhören.“ Seiana kämpfte dagegen an, aber sie konnte nicht verhindern, dass sich so etwas wie Verzweiflung in ihre Stimme schlich. Sie fühlte sich so schlecht wie sie aussah. Die letzten Tage waren furchtbar gewesen, und nun kam noch die Angst dazu, Caius könnte sich tatsächlich in den Kopf gesetzt haben, ihren Ruf zu zerstören – und auf erschreckende Weise machte das sogar Sinn für Seiana. Ihr Ruf, ihre Ehre, waren schließlich das gewesen, was sie daran gehindert hatte Caius das zu geben, was er wollte. Unabhängig davon, dass er sich genau das nun woanders geholt hatte, war es doch nur logisch, dass er sich nun rächte, indem er versuchte ihr das zu nehmen, was ihr wichtig war. Und was Caius ihr an den Kopf geworfen hatte am vorigen Tag, untermauerte diese Überzeugung nur noch. Sie musste etwas unternehmen, damit er aufhörte, bevor er auch nur ansatzweise Erfolg haben konnte. Seiana biss die Zähne aufeinander, so fest, dass ihre Kiefermuskeln sich anspannten, bevor sie wieder etwas Druck wegnahm, um sprechen zu können. „Bitte. Red mit ihm. Ich will ihn nicht anzeigen, würde ich das wollen, wäre ich nicht bei dir, sondern bei meinem Onkel Mattiacus, der Jurist ist und mich vertreten kann – aber bei den Göttern, ich werde es tun, wenn es sein muss.“

    Auch Seiana wurde sehr bald still und stellte keine Fragen mehr. Der Kurs war sehr interessant, aber es war recht viel in sehr kurzer Zeit, und so beschränkte sie sich darauf, zuzuhören und sich gelegentlich Notizen zu machen. Die Arbeitsatmosphäre selbst schien eine ziemlich konzentrierte zu sein, in jedem Fall gab es auch sonst keinen, der einen Kommentar zum Vortrag gemacht hätte, und auch sonst gab es niemanden, der ein Gespräch angefangen hätte.


    Als es dann um Seneca ging, sah Seiana wieder auf. „Was ich nicht verstehe: Warum hat Seneca diesen Reichtum überhaupt angehäuft? Ich meine, du sagst er ist daran gescheitert, dass sich die stoische Lehre nicht mit einer politischen Arbeit vereinbaren ließe, aber musste er sich nicht deshalb zurückziehen, weil die Menschen ihn nicht mehr für glaubwürdig hielten?“ Seneca war vor wenig mehr als 40 Jahren gestorben, und natürlich sprachen die Menschen immer noch über einen Mann wie ihn. Aber so sehr Seiana seine Haltung, seine Lebensart nach der Stoa faszinierte, das war ein Punkt, den sie nicht nachvollziehen konnte. „Er hat doch selbst gesagt, ein Weiser müsse fähig sein, auf Reichtum zu verzichten. Warum ist er in diesem Fall nicht mit gutem Beispiel vorangegangen?“

    Die Briefe waren geschrieben und abgeschickt, endlich, und die Hochzeit, auf die sie mit ihrem Onkel gehen würde, stand kurz bevor. Und abgesehen von diesen Themen, bei denen sie sich damit beschäftigen musste, was in ihrem Privatleben los war, bemühte Seiana sich, alles zu verdrängen, was mit Caius zu tun hatte oder sie an ihn erinnern könnte. Und sie hatte genug zu tun, dass ihr das einigermaßen leicht fiel – nicht zuletzt durch ihre erst kürzlich erfolgte Ernennung zur Praeceptrix der Schola. Mit diesen Unterlagen für zukünftige Kurse beschäftigte sie sich gerade, als es klopfte und sie die Stimme ihres Onkels. Hörte. „Ja, komm herein“, antwortete sie.

    Seiana lächelte schwach, während sie sich zugleich schon wieder fragte, ob das tatsächlich richtig war, ausgerechnet auf eine Hochzeit bei den Iunien zu gehen. Aber sie hatte bereits zugestimmt, und schaden konnte es ganz sicher nicht, sah man einmal von ihrem Gefühlsleben ab. „Ich freue mich schon darauf.“ Ihr Lächeln verstärkte sich für einen Augenblick etwas und überdeckte jegliche Zweifel, die sie haben mochte. „Nun… wen du sonst nichts mehr zu besprechen hast, würde ich mich zurückziehen. Ich möchte dich nicht länger stören als nötig.“

    Zitat

    Original von Marcus Decimus Mattiacus
    "Entschuldige bitte, dass ich zuerst auf Livianus losgestürmt bin." sagte Mattiacus zu Seiana und nahm ihre Hände. "Sei du mir ebenso herzlich gegrüßt. Du siehst wie immer bezaubernd aus."


    „Oh, mach dir deswegen keine Gedanken, Onkel Mattiacus“, lächelte Seiana ihn an. „Danke für das Kompliment. Lucilla wird sich freuen, das Kleid hat sie mir erst kürzlich aus Gallien geschickt.“ Dass es eigentlich als Hochzeitsgeschenk gedacht gewesen war, das zog Seiana vor an dieser Stelle zu verschweigen. Sie hätte es auch vorgezogen, gar nicht daran zu denken, dass sie jetzt eigentlich schon hätte verheiratet sein sollen. Schon seit über einer Woche. Eigentlich. Aber diese Gedanken bekam sie nur schwer aus dem Kopf, ob sie nun ein Kleid trug, das eigentlich ein Hochzeitsgeschenk hätte sein sollen, oder nicht, war da zweitrangig – im Moment heiratete irgendwie fast jeder in Rom, so kam es ihr jedenfalls vor. Wo man hinging, es gab kein Entkommen vor den Verlobten und den frisch Vermählten. Was ihr ihr eigenes Versagen nur umso bewusster machte.


    Viel unterhalten konnten sie sich nicht mehr, da das Opfer nun begann, und Seiana richtete ihre Aufmerksamkeit darauf. Bis plötzlich etwas Unruhe in die Menschen kam, als Nachzügler eintrafen – und ein Aufruf zu hören war, was etwas dreist war angesichts der Tatsache, dass gerade die Opfer vollzogen wurden. Ohne nachzudenken suchte ihr Blick nach der Ursache dafür. Und dann erstarrte sie, als sie erkannte, wer dafür verantwortlich war. Caius. Und die Iunia. Sie wurde ein wenig blasser, bemühte sich dann aber, sich wieder auf das Opfer zu konzentrieren. Zu ihrem Leidwesen stand sie jedoch nahe genug bei demjenigen, der das Ziel des Ausrufs gewesen war, und so konnte sie nicht umhin zu hören, was gesprochen wurde. Und als Caius Axilla als seine Frau vorstellte, wich das Blut endgültig aus ihren Wangen, so sehr, dass ihr Gesicht beinahe weiß wurde.

    Seiana lächelte und nickte bestätigend mit dem Kopf, dann sah sie auf, als der Senator sich erhob. Sie stand ebenfalls kurz auf und neigte erneut leicht ihren Kopf. „Ich danke dir, Senator, dass du dir Zeit für meinen Besuch genommen hast. Ich wünsche dir noch einen angenehmen Tag, vale, Aurelius.“ Anschließend ließ sie sich wieder sinken und musterte die Tiberia. „Nun, ich besitze eine Töpferei, einen Buchhandel und inzwischen auch eine Taberna medica. Für den Buchhandel muss ich allerdings noch geeignete Räumlichkeiten in Rom finden, bevor ich ihn ummelden kann.“ Sie zögerte einen Augenblick, aber es half nichts. Sie hatte noch andere Termine heute, unter anderem hatte sie vor, für eben jenen Buchhandel Räume zu besichtigen, die sie mieten könnte. Sie hatte hier nur kurz vorbeisehen wollen, um sich zu entschuldigen, und sie hatte nicht damit gerechnet, dass das Gespräch so positiv verlaufen würde – dass sie sogar ins Gespräch kommen würde mit der Tiberia. „Verzeih mir bitte, ich muss nun leider fort. Aber ich freue mich schon darauf, unser Gespräch in der Casa meiner Familie fortzusetzen.“


    Sim-Off:

    Brauchst keine Entschuldigung, wir erwähnen das einfach nicht :D

    Faustus Decimus Serapio
    Tribunus Angusticlavus
    Legio XXII Deiotariana
    Nikopolis
    Aegyptus


    Lieber Faustus,


    es tut mir leid, dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich gebe zu, dass ich das hier absichtlich aufgeschoben habe bisher. Die Verlobung ist gelöst. Er hat mich darum gebeten, und ich habe zugestimmt, weil ich keinen Sinn darin gesehen habe, auf einer Verbindung zu bestehen, die er nicht mehr möchte. Zumal er eine andere hat, die er mir vorzieht.
    Ich weiß, dass du jetzt sagen wirst: ich hab’s dir doch gesagt. Und ich weiß, dass du recht hast damit. Trotzdem bitte ich dich, es nicht zu sagen, mir das nicht zu schreiben. Ich weiß es. Ich hätte auf dich hören sollen, und du kannst mir glauben, dass ich mir genug Vorwürfe mache. Es tut mir leid, Faustus. Jeder Streit, den wir hatten deswegen, tut mir leid. Ich hätte auf dich hören sollen.


    Ich hoffe, deine Überfahrt war einigermaßen ruhig. Wie geht es dir denn in Ägypten? Wie läuft dein Leben dort als Tribun? Und wie findest du das Land, wie findest du Alexandria? Wenn ich mir vorstelle, dass ich bis vor einiger Zeit dort war, wo du jetzt bist, ist das schon ein komisches Gefühl irgendwie… Ich hoffe, es gefällt dir dort genauso wie mir! Konntest du schon dem Museion einen Besuch abstatten? Übrigens, ich werde hier nun an der Schola anfangen zu lehren. Noch ist es nicht ganz offiziell, aber ich habe die Nachricht heute erhalten, und die Bekanntgabe ist nur eine Frage der Zeit.
    Und dein Vater, Livianus, kandidiert übrigens als Consul – ich weiß nicht ob du davon bereits gehört hast. Ich bin gespannt darauf, ob er Erfolg haben wird.


    Fühl dich gedrückt von mir, und liebe Grüße,


    [Blockierte Grafik: http://img77.imageshack.us/img77/1586/seianaunterschrift2aj2.png]



    Decima Lucilla
    Casa Roscia
    Narbo Martius
    Gallia Narbonensis


    Liebe Tante Lucilla,


    ich danke dir sehr für deinen Brief und dein Geschenk, und vor allem dafür, dass du mir bei der Suche nach einer Pronuba behilflich sein wolltest. Tante Venusia konnte ich hier in Rom bereits kennen lernen, aber so gerne ich sie gefragt hätte, es gibt nun doch keinen Anlass mehr hierfür. Die Verlobung zwischen dem Aelier und mir ist aufgelöst. Verzeih mir bitte, dass ich dich zuerst gefragt habe und nun alles rückgängig gemacht wird, aber es ist recht kurzfristig vor dem geplanten Hochzeitstermin geschehen, dass Aelius Archias und ich uns darauf geeinigt haben, die Feierlichkeiten abzusagen und keinen Ehebund einzugehen. Nun, ich werde wieder nach einem geeigneten Ehemann Ausschau halten – und wer weiß, vielleicht ist es dir ja dann möglich, der Hochzeit beizuwohnen!


    Ich kann mir offen gestanden nicht vorstellen, wie es sein mag, ein aufgewecktes, neugieriges Kind zu haben. Vielleicht ist das etwas, was ich bald lernen werde, da ich in der Schola anfange zu lehren – ich habe von deinem Mann erst heute die Zusage erhalten –, aber dort werde ich mit Erwachsenen zu tun haben, und ich könnte mir vorstellen, dass Kinder noch einmal ein anderes Kaliber sind. In jedem Fall klingt dein Caius danach, als ob er eines Tages Großes erreichen könnte! Aber ich denke du hast Recht damit, ihn vorerst noch fernzuhalten von Rom und den Tücken, die hier lauern.


    Im Übrigen ist in Rom derzeit einiges los. Onkel Livianus kandidiert als Consul, ich weiß nicht, ob du schon davon gehört hast – ich bin sehr gespannt, ob er Erfolg haben wird. Ein weiterer Kandidat ist Lucius Flavius Furianus, ich denke, er hat recht gute Aussichten darauf, gewählt zu werden; allerdings hat er sich mit einem anderen Kandidaten abgesprochen… Nun, wir werden sehen, wie die Entscheidung ausfällt.
    Mein Patron und Ädil Aurelius Corvinus veranstaltet Spiele anlässlich der Megalesia, es ist schade, dass du diese nicht miterlebst – ich weiß noch, wie dein Mann damals in seiner Amtszeit Spiele veranstaltet hat, das waren meine ersten in Rom. Die Wagenrennen werde ich mir in jedem Fall ansehen, nur bei den Gladiatorenspielen bin ich mir etwas unschlüssig. Allerdings gehört sich als gute Klientin, dass ich dort ebenfalls erscheine, also denke ich, ich werde dir wohl von beidem berichten können.


    Senator Aurelius Ursus hat erst kürzlich geheiratet, eine Tiberia – Septima, ich weiß nicht, ob der Name dir etwas sagt. Auf der Feier am Tag nach der eigentlichen Zeremonie gab es einen kleinen Skandal, wie ich leider gestehen muss. Leider, weil mein ehemaliger Verlobter involviert war – bevor du aus anderer Quelle ohnehin davon erfährst, ist es besser, denke ich, wenn ich es dir erzähle. Er hat einem anderen Gast eine Nachspeise über die Kleidung geschüttet – wie es danach aufgenommen wurde von den übrigen Gästen, kann ich dir leider nicht erzählen, da wir beide im Anschluss daran gegangen sind. Darüber hinaus werden zwei Mitglieder der Germanica heiraten; Senator Germanicus Sedulus ehelicht eine Iunia, und Germanica Calvena wird einen Quintilier heiraten. Ich weiß nicht, wie die Verbindungen der Paare untereinander sind, aber sie werden die Zeremonien gemeinsam durchführen. Offen gestanden weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll, die Riten stelle ich mir hierbei etwas schwierig vor. Aber ich werde mit Livianus zu den Feierlichkeiten gehen, dann werde ich ja selbst erleben, wie die Feier vonstatten geht. Ich denke, du wirst sicher nichts dagegen haben, wenn ich das Kleid, das du mir geschickt hast, zu diesem Anlass trage – auch wenn aus meiner Hochzeit nun doch nichts geworden ist, wofür es eigentlich als Geschenk gedacht war.


    Ich hoffe, dein Leben in Gallia bleibt so spannend, wie du es erzählst – wie aufregend Handelsstädte sein können, habe ich in Alexandria erlebt, und das ist noch einmal ein ganz eigenes Gefühl.


    Liebe Grüße,


    [Blockierte Grafik: http://img77.imageshack.us/img77/1586/seianaunterschrift2aj2.png]


    Sim-Off:

    Familienwertkarte :)

    Es brachte nichts. Es brachte einfach nichts. Sie konnte es nicht weiter aufschieben. Sie hatte sich mit Arbeit zugeschüttet in den letzten Tagen, kümmerte sich intensiver um ihre Betriebe als je zuvor und stellte Planungen auf für die Eröffnung – oder Übernahme – eines vierten, betrieb Studien an der Schola und besuchte offizielle Veranstaltungen, und erst heute hatte sie eine Nachricht erhalten, die eigentlich allen Anlass zur Freude gab: sie war an der Schola als Praeceptor genommen worden und würde in Zukunft dort selbst lehren können, etwas, was sie schon in Alexandria im Museion gewollt hatte, woraus dann leider nichts geworden war. Sie glaubte, dass es das Richtige für sie war. Aber es änderte nichts daran, dass sie all diese Dinge nutzte, um etwas aufzuschieben, was ihr mehr als unangenehm war. Sie musste Lucilla antworten, daran führte kein Weg vorbei. Und sie musste Faustus endlich schreiben. Faustus… Seiana biss sich auf die Lippen und zog sich eine Wachstafel heran, um endlich die Briefe zu schreiben, die sie viel zu lang aufgeschoben hatte.


    Lieber Faustus,
    es tut mir leid, dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich gebe zu, dass ich das hier absichtlich aufgeschoben habe bisher. Ich

    Seiana zögerte einen Augenblick, unschlüssig, wie sie weiter schreiben sollte. [strike]Ich[/strike] Die Verlobung ist gelöst. Wieder setzte sie ab und grübelte. Die Worte sahen so schlicht aus, so simpel. Zu simpel. Ein Teil von ihr war erleichtert, dass sie ihm das schriftlich mitteilen konnte, aber ein anderer Teil wünschte sich, sie könnte es ihm persönlich sagen. Mit einem Seufzen setzte sie wieder an. Er hat mich darum gebeten, weil
    Seiana schluckte und starrte auf den angefangenen Satz, dann gab sie sich einen Ruck. [strike]weil[/strike] und ich habe zugestimmt, weil ich keinen Sinn darin gesehen habe, auf einer Verbindung zu bestehen, die er nicht mehr möchte. Zumal er eine andere hat, die er mir vorzieht.
    Du wirst jetzt wahrscheinlich

    Ein erneutes Zögern. Dann kratzte der Stylus erneut über die Wachstafel, als sie die letzten Worte durchstrich. [strike]Du wirst jetzt wahrscheinlich[/strike] Ich weiß, dass du jetzt sagen wirst: ich hab’s dir doch gesagt. Und ich weiß, dass du recht hast damit. Trotzdem bitte ich dich, es nicht zu sagen, mir das nicht zu schreiben. Ich weiß es. Ich hätte auf dich hören sollen, und du kannst mir glauben, dass ich mir genug Vorwürfe mache. Es tut mir leid, Faustus. Jeder Streit, den wir hatten deswegen, tut mir leid. Ich hätte auf dich hören sollen.
    Sie biss sich auf die Unterlippe. Es schien so banal zu sein, jetzt von alltäglichem anzufangen, aber sie konnte diesen Brief so nicht losschicken. Er war immerhin nach Ägypten gegangen, er hatte seine ersten Tage und Wochen als Tribun hinter sich, er… sie schüttelte die Gedanken ab und schrieb weiter. Ich hoffe, deine Überfahrt war einigermaßen ruhig. Wie geht es dir denn in Ägypten? Wie läuft dein Leben dort als Tribun? Und wie findest du das Land, wie findest du Alexandria? Wenn ich mir vorstelle, dass ich bis vor einiger Zeit dort war, wo du jetzt bist, ist das schon ein komisches Gefühl irgendwie… Ich hoffe, es gefällt dir dort genauso wie mir! Konntest du schon dem Museion einen Besuch abstatten? Übrigens, ich werde hier nun an der Schola anfangen zu lehren. Noch ist es nicht ganz offiziell, aber ich habe die Nachricht heute erhalten, und die Bekanntgabe ist nur eine Frage der Zeit.
    Und dein Vater, Livianus, kandidiert übrigens als Consul – ich weiß nicht ob du davon bereits gehört hast. Ich bin gespannt darauf, ob er Erfolg haben wird.

    Wieder setzte sie ab und überlegte kurz, aber sie beschloss, dass das reichen musste. Sie nahm einen Bogen Papyrus und übertrug den Entwurf sorgfältig darauf, fügte noch einige Abschlussworte hinzu und versiegelte den Brief anschließend, um sich dann an den nächsten zu machen. Und Lucillas Brief hatte es wahrhaftig in sich. Zögernd nahm Seiana ihn nun zur Hand und las ihn Stück für Stück ein weiteres Mal durch, um eine Antwort aufzusetzen.



    Decima Seiana
    Casa Decima
    Rom, Italia


    Meine liebe Seiana!


    Wie schön, von dir zu hören, oder besser zu lesen! Faustus hat natürlich auch mir immer erzählt, wie es dir geht, ja an ihm ist ein rechtes Tratschweib verloren gegangen, aber wenn es in der Familie bleibt, will ich mal nicht so sein. Von deiner Verlobung hat er allerdings gar nichts erwähnt, um so mehr freue ich mich jetzt für dich! Das Leben als Mädchen in Rom ist ja nicht schlecht, aber ich sage es dir, eine Matrone zu sein, das ist etwas ganz anderes! In dieser einen Nacht ändert sich alles, mit einem Mal steht dir die ganze Welt offen, die ganze Welt wartet nur noch darauf, von dir ergriffen zu werden! Du wirst in die geheimen Riten der Magna Mater und Bona Dea eingeweiht, auf der Straße wird man dir mit Respekt begegnen und bei Gesellschaften wird man dir zuhören, weil du nicht mehr nur das junge Ding ohne Ahnung bist, sondern weißt, wo der Hase läuft (und zwar in allen Angelegenheiten)! Ach, Seiana, wirklich, das ist großartig! Diesen Caius Aelius kenne ich zwar nicht, aber ich bin sicher, er ist ein passender Mann für eine Decima. Ist er mit Senator Aelius Quarto verwandt? Dann könnte natürlich nichts mehr schief gehen, aber auch ansonsten wirst du deinen Ehemann schon an die rechte Position im Staat treiben, da bin ich ganz sicher.


    Leider werde ich es zu eurer Hochzeit nicht nach Rom schaffen. Aber ich habe die beste Pronuba für euch, die du dir vorstellen kannst: deine Tante Venusia! Ich kenne wirklich keine kompetentere Frau für diese Aufgabe und ich bin ganz sicher, sie wird das liebend gerne übernehmen.


    Seiana konnte nicht anders als schlucken, als sie diese Zeilen nun erneut überflog. Eine Matrona zu sein, das ist etwas ganz anderes. Müde stützte sie ihren Kopf in einer Hand ab und rieb sich über die Augen. Eine Matrona. Es wurde Zeit, dass sie eine Matrona wurde, dass sie heiratete, wenigstens das, wenn sie sich schon nicht vorstellen konnte, tatsächlich Mutter zu werden. Aber das würde dann von selbst kommen, wahrscheinlich, hoffentlich, sobald sie erst mal verheiratet war. Auf der Straße wird man dir mit Respekt begegnen und bei Gesellschaften wird man dir zuhören. Nicht, dass sie das Gefühl hatte momentan respektlos behandelt zu werden… aber je älter sie wurde und dabei unverheiratet blieb, desto mehr würde der Respekt abnehmen, darüber war sie sich bewusst. Genauso wie ihre Chancen. Während die merkwürdigen Blicke zunehmen würden… Sie wollte Lucilla nicht schreiben, dass sie versagt hatte, ihr vielleicht noch weniger als Faustus, weil sie das Gefühl hatte, dass Lucilla wesentlich schneller und besser begreifen würde, was die Auflösung der Verlobung tatsächlich bedeutete. Faustus war ein Mann, und Männer machten sich gemeinhin wenig Gedanken darüber, was es beispielsweise für eine Frau hieß, in ihrem Alter noch unverheiratet zu sein. Man sah es ja an Caius, wie wegwerfend er dieses Thema behandelt hatte, auch ihr gegenüber, wie wenig er verstanden hatte, warum es sie traf, dass er sich eine Jüngere ausgesucht hatte. Abgesehen von allem anderen, was er, was sie beide, getrieben hatten… Seiana zwang sich, diese Gedanken wegzuschieben, und las weiter, um sich dann endgültig an den Brief zu setzen.


    Caius ist tatsächlich in Ägypten. Er kommt ganz nach seinem Vater und ist ein richtig schlauer Junge, dem jeden Tag neue Fragen einfallen. Das war mir einfach zu viel und in Hispania oder auch hier in Gallia ist an gute Lehrer leider nicht so leicht heran zu kommen. Ich hoffe, dass es in Alexandria genügend Paedagogen gibt, dass ihm die Fragen ausgehen bevor er sie alle verschlissen hat. Natürlich hätte ich ihn auch nach Rom schicken können, aber ich befürchte, dass er dort zu schnell unter die Räder der Macht gerät. Medicus und seine Politik sind leider nicht unumstritten, insbesondere bei den Patriziern, die ja schon seit Jahrhunderten nichts anderes tun als mit ihren Hintern die Steine im Senat zu wärmen und immer gegen alles und jeden sind, der etwas neues wagt. Caius wäre nicht der erste Sohn, der im Tiber versenkt wird, um den Vater zum Einlenken zu bewegen. Natürlich soll er irgendwann seinem Vater in die Politik nachfolgen, aber jetzt ist es noch viel zu früh und ich habe Angst, dass Medicus ihn in Rom viel zu schnell in diese Dinge mit hinein ziehen würde. Medicus soll das natürlich nicht wissen, er würde mich sicherlich für eine überängstliche Glucke halten, also bitte erwähne ihm gegenüber nichts davon und am besten auch nicht gegenüber sonst irgendwem. Männer können das sowieso nicht verstehen.


    In Gallia ist es belebter, als man meinen mag. Naja, zumindest in Narbo, hier ist ja sozusagen der Dreh- und Angelpunkt der gallischen Provinz. Alle Händler kommen hier durch, um ihre Waren von hier aus in die ganze Welt zu verschiffen. So bekommt man einen exklusiven Einblick vorab auf die Mode aus Lutetia - ist das nicht aufregend? Hach, mich kribbelt es überall, wenn ich daran denke, dass das, was ich gerade trage, in ein paar Monaten in Rom erst in Mode kommt! Aus diesem Grund habe ich dir auch ein ganz besonderes Hochzeitsgeschenk beigelegt. Ich hoffe nur, es passt dir. Ich habe es extra ein bisschen länger gewählt, dass du es notfalls noch kürzen lassen kannst. Mit diesem Kleid wirst du in diesem Frühjahr in Rom den Ton bestimmen, das ist garantiert!


    Mehr gibt es dann aber auch nicht zu berichten. Im Umland war ich bisher noch nicht und es zieht mich auch nicht besonders dahin. Die Abendgesellschaften sind dagegen kaum anders als in Rom. Natürlich nicht ganz so exklusiv, aber ebenso neckisch, wenn du weißt, was ich meine.


    Bitte richte allen Decima Zuhause meine Grüße aus und natürlich auch Venusia und deinem lieben Ehemann!



    Deine Tante
    Lucilla

    Je faszinierter die Aurelia schien, desto jünger wirkte sie irgendwie auf Seiana – und desto mehr berührte sie sie. Sie schien irgendwie… fasziniert zu sein von ihr, von dem, was sie tat, und das war etwas, was Seiana neu war. Wenn man nach dem urteilte, was Tradition einer Frau zubilligte, entsprach sie nicht wirklich dem Idealbild. So sehr Seiana sich auch bemühte in anderen Bereichen, was ihre Tätigkeiten anging, legte sie zu viel Wert auf Selbständigkeit und zu wenig auf Häuslichkeit, und das wusste sie. Aber das war etwas, was sie auch nicht mehr aufgeben wollte. Sie konnte nur versuchen, es wettzumachen… und allzu schlimm war es auch nicht, fand sie, wenn eine Frau bewies, dass sie fähig war eigenständig zu sein.


    Seiana lächelte, als Narcissa zugab, dass sie bereits jetzt viel schrieb. „Du musst dich ja nicht unbedingt mit politischen Themen beschäftigen. Vorausgesetzt, deine Familie sieht das tatsächlich nicht gern. Es gibt eine Menge andere Bereiche, die in der Acta veröffentlicht werden. Und darüber hinaus werden die Autoren nicht genannt, wenn sie das nicht wollen, insofern kann auch öffentlich kein negatives Licht auf dich oder deine Familie direkt fallen.“ Sie musterte die Aurelia einen Augenblick, bevor sie erneut lächelte. „Außerdem geht jeder Artikel über meinen Tisch und den des Auctors. Sollte etwas darin stehen, was kritisch werden könnte für den Autor oder die Acta, können wir den Artikel immer noch zurückziehen und zunächst besprechen, bevor er veröffentlicht wird.“ Sie ahnte nicht, was im Kopf der Aurelia vorging bezüglich ihres Verwandten. Sie hatte Corvinus nie von dieser Seite kennen gelernt, aber andererseits hätte er sie kaum als Klientin angenommen, wenn er der Meinung wäre, Frauen ganz allgemein sollten sich auf bestimmte Bereiche des öffentlichen Lebens konzentrieren. „Nun, den Buchhandel habe ich in Alexandria eröffnet. Da ich jetzt wieder nach Rom gezogen bin, musste ich hier erst etwas Neues finden. Derzeit bin ich noch am Überlegen, ob ich die Räumlichkeiten in Alexandria zusätzlich behalte oder nicht. Es ist etwas schwierig, auf diese Entfernung alles im Blick zu behalten.“ Und sie war sich nicht so sicher, ob ihr Personal in Alexandria so zuverlässig war wie der Verwalter ihrer Töpferei hier in Rom, der sich während ihrer Zeit in Ägypten um alles gekümmert hatte. „Kann ich dir irgendetwas anbieten?“

    Seiana bemühte sich um ein Lächeln, als Livianus ihr erneut sagte, sie solle sich keine Sorgen machen – und dann wurde ihre Miene überrascht, als sie seine Ankündigung hörte. „Du kandidierst als Consul? Ich wünsche dir viel Erfolg. Falls du Unterstützung brauchen solltest im Vorfeld, dann gib Bescheid.“ Es war selbstverständlich, innerhalb der Familie zusammenzuhalten, aber davon ganz abgesehen sah Seiana in der Tat das gleiche wie ihr Onkel: es würde ablenken. Ob er nun gewann oder verlor – wobei Seiana natürlich auf ersteres hoffte –, es würde ablenken, sowohl in der Kandidatur als auch im Anschluss daran. Was war denn schon eine gelöste Verlobung gegen die Kandidatur eines Kriegshelden? Seiana machte sich in dieser Hinsicht keinerlei Illusionen darüber, wie unwichtig sie letztlich war – oder auch Caius, der herzlich wenig Ehrgeiz an den Tag gelegt hatte. Und genau das war letztlich ihr Vorteil. Wie Livianus gesagt hatte, würde der Tratsch schnell aufhören, sobald es etwas gab.


    Was dann kam, traf Seiana eher unvorbereitet. Von der Hochzeitsfeier hatte sie bereits gehört, dass Livianus sie allerdings mitnehmen wollte, löste zwiespältige Gefühle in ihr aus. Sie freute sich darüber, dass er sie als Begleiterin ausgesucht hatte. Andererseits drehte es sich um eine Iunia, und auch wenn sie wusste, dass die decimischen Beziehungen zu dieser Gens eigentlich gute waren – so weit sie wusste, war ein Iunier sogar Klient von Livianus –, änderte das doch nichts an der Tatsache, dass sie auf ein ganz spezielles Mitglied gar nicht gut zu sprechen war. Aber auch diese Feier bedeutete Ablenkung. Und sie konnte dort andere kennen lernen. Gesellschaftliche Bindungen knüpfen, Kontakte herstellen. Sie hatte nicht unbedingt wenig vorzuweisen in diesem Bereich, aber eben auch nicht viel. Und falls… falls sie da waren, er und sie… könnte sie auch zeigen, wie sehr sie darüber stand. Wie lächerlich das Ganze für sie gewesen war. Ihre Augen bekamen kurz einen merkwürdigen Glanz, und Eisfäden durchzogen ihr Inneres, während sie die Einladung überflog, die Livianus ihr inzwischen gereicht hatte. Eine Doppelhochzeit, las sie mit einem flüchtigen Stirnrunzeln. Untraditionell, das war es eindeutig, und vor allem was die Germanica betraf, fragte Seiana sich, wie die Riten wohl aussehen würden. Aber das würde sie ja erleben, denn ihre Entscheidung hatte sie getroffen – auf Livianus’ Anfrage hin hätte sie ohnehin kaum nein sagen können, aber nach dieser kurzen Phase des Überlegens war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie dorthin wollte. Und sie hoffte beinahe, Caius und Axilla würden ebenfalls da sein. Mit einem Lächeln, das nur durch das kühle Glitzern in ihren Augenwinkeln als entlarvt werden mochte als nicht ganz so ehrlich, wie es schien, sah sie wieder auf. „Ich begleite dich gerne auf diese Feierlichkeiten.“

    Sim-Off:

    Kein Thema


    Seiana hatte sich rechtzeitig zu dem Kurs eingefunden, und wie üblich in diesen Tagen war ihrem Gesicht kaum eine Regung anzusehen. Sie war immer noch blasser als gewöhnlich, und wer genau hinsah, vermochte Schatten unter ihren Augen zu erkennen, aber im Übrigen hatte sie es in der letzten Zeit geschafft, sich wenigstens nach außen hin wieder eine halbwegs anständige Fassade aufzubauen. Es ging nicht an, dass ihr anzumerken war, wenn es ihr schlecht ging, fand sie. Und man konnte sich an vieles gewöhnen.


    Als die Teilnehmer verlesen wurden, hatte sie zwar leicht genickt, war aber still geblieben – immerhin war sie die einzige Frau, da war die Verwechslungsgefahr als nicht vorhanden einzustufen. Außer dem Duccier, dem sie ebenfalls kurz grüßend zunickte, konnte sie kein bekanntes Gesicht sehen, aber im Grunde war ihr das auch lieber so, hatte sie derzeit doch nicht das allzu große Bedürfnis, Konversation zu betreiben. Höfliche Konversation mit nicht oder nur flüchtigen Bekannten war eine Sache, aber wenn es darüber hinaus ging, wurde es häufig einfach anstrengend, die Balance zu halten zwischen Höflichkeit wahren und Grenzen setzen.


    Auf den Kurs selbst allerdings freute sie sich tatsächlich. Es hatte einen Grund, warum sie sich eingetragen hatte, mehr als nur den, dass es vielleicht nützlich war oder ihr, wie beispielsweise ihre Wirtschaftsstudien, bei der Verwaltung ihrer Betriebe helfen konnte. Ihr alter Lehrer in Hispania hatte ihr bereits die ein oder andere Grundlage beigebracht, und die Stoa war etwas, was sich durchaus mit ihrer Haltung, ihrer Meinung, in weiten Bereichen überschnitt. Insofern war es nicht nur allgemeines Interesse und das Wissen, dass die Lehren der Stoiker wichtig waren, sondern auch ein persönliches Interesse, dass sie dazu getrieben hatte, sich für diesen Kurs anzumelden. Und in der Tat hatte sie bereits eine Frage, als der Octavier, der den Kurs leitete, eine Pause machte in seinen Ausführungen. „Was meinst du damit, dass es ein Grundgedanke der Stoiker sei, sich selbst umzubringen? Es mag einige gegeben haben, die dies getan haben, wie beispielsweise Seneca, aber Selbsttötung an sich ist doch kein Bestandteil der stoischen Lehre oder Voraussetzung für einen Anhänger der Stoa. So weit ich weiß, ordnet Epiktetos den Tod sogar zu jenen Bereichen zu, die eben nicht der eigenen Kontrolle unterliegen und daher als gleichgültig zu beurteilen sind.“

    Sim-Off:

    Kein Thema


    Seiana freute sich, von ihrem Patron zu hören, dass er ihre Vorgehensweise verstand – und nicht etwa dachte, sie übertreibe oder kümmere sich um Dinge, die sie eigentlich anderen überlassen sollte, erst recht als Frau. „Nun, ich denke, ein Ädilat erfordert immer viel Arbeit. Das ohne Helfer zu schaffen, ist kaum möglich, nicht wenn man gute Arbeit leisten will. Und dass du diesen Anspruch hast, zeigt ja die Tatsache, dass du nach deiner Krankheit ein weiteres Mal kandidiert hast für diesen Posten.“


    Unterdessen zog sie die Unterlagen des betreffenden Betriebs hervor, um sie Corvinus zu reichen. „Der Buchhandel“, bestätigte sie. „Noch habe ich keine, aber ich habe bereits verschiedene Räumlichkeiten besichtigt, und ich denke, ich werde in diesen Tagen eine Zusage bekommen. Hoffentlich von meinem Favoriten.“ Wieder verzogen sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln. So viel Stress dieser Umzug auch bedeutete, er hieß vor allem eines: Ablenkung. Ablenkung, die sie dringend nötig hatte. Dann sah sie überrascht auf. „Nun… sie liegt in der Nähe der Traianischen Märkte. Nicht direkt dort, wo der Andrang am größten ist, aber in unmittelbarer Nachbarschaft.“ Sie musterte den Aurelier. Die Taberna Medica war ein höchst sensibles Thema derzeit, aber davon ließ sie sich nichts anmerken. „Ja, mein Onkel ist Tribun derzeit. Nun… ich möchte ihm keine Konkurrenz machen. Aber ich denke auch, dass seine Zeit knapper bemessen ist, und wenn du dich ohnehin anderweitig orientieren möchtest…“ Wenn er das ohnehin wollte, war es doch immer noch besser, es blieb wenigstens im weiteren Sinn in der Familie. Seiana überlegte. „Wenn du möchtest, kann ich dir gerne einmal den Iatros meiner Taberna und seinen Gehilfen zu einem Gespräch vorbei schicken. So kannst du dir ein Bild von dem Können der beiden machen, und ob es für dich in Frage käme, ihnen deine Gesundheit und die deiner Familie anzuvertrauen.“ Jetzt lächelte sie Corvinus wieder an. „Falls dich dieses erste Gespräch zufrieden stellt, werden wir uns sicher einig.“

    Zitat

    Original von Marcus Decimus Livianus
    ...
    Als Seiana schließlich eine Frage stellte, beugte sich der Senator in ihre Richtung, um sie bei all dem Lärm auch zu verstehen.


    "Noch nicht sehr lange. Wenn ich es mir richtig gemerkt habe, so ist er bisher erst zwei Rennen für die Goldenen gefahren. Aber er ist noch jung. 24 Jahre oder so. Man muss ihn noch etwas Zeit geben. Doch wenn er hier gegen die Blauen gewinnt, hat er schon viel erreicht.“


    Fast schon gegen ihren Willen verzogen sich Seianas Lippen zu einem Lächeln, als sie ihren Onkel mitjubeln hörte, eines der wenigen ehrlichen, das man dieser Tage an ihr sehen konnte, wenn es auch nur schwach war. Sie begann – ein wenig – zu begreifen, was Menschen an Wagenrennen mochten, was sie so daran begeisterte. Man musste nur einen Grund haben, für die ein oder andere Factio zu sein… nicht einfach nur aus familiären Gründen, aus Tradition, sondern aus einem echten Grund… wie beispielsweise der, dass der Ex-Verlobte für eine andere war. Und dass der Gedanke, wenigstens in diesem Bereich die Aussicht auf einen Sieg zu haben, unglaublich gut tat. Sogar der Gedanke, etwas zu haben, was Kontra bot – selbst wenn es nicht auf einen Sieg hinaus lief – tat gut. Weil es die Wut schürte, kalte Wut in ihrem Fall, und es ließ das Eis knistern und half, Distanz zu wahren.


    „So unerfahren ist er? Aber das Rennen anlässlich der Megalesia ist doch ein großes? Hat die Aurata keine erfahreneren Fahrer? Oder ist er so gut?“ In all dem Lärm war es zwischendurch etwas schwer, sich zu verstehen, und so neigte auch sie sich ein wenig zu ihrem Onkel, während sie miteinander sprachen. Gleichzeitig versuchte sie, dem Rennen weiter zu verfolgen, und tatsächlich, der Fahrer der Goldenen schob sich im Verlauf der nächsten Runde tatsächlich noch ein weiteres Stück vor – nur um dann wieder zurückzufallen. Und zurück. Bis er wieder hinter den Blauen war. Ein winziges Stück nur, aber dahinter. Seiana presste die Zähne aufeinander, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ entfuhr es ihr unwillig.