Beiträge von Decima Seiana

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    Axilla schien das Ganze ziemlich mitzunehmen, aber immerhin war sie offenbar nicht mehr in der Stimmung, es an ihm auszulassen. Crios war sein Leben ziemlich lieb, und er war auch kein Masochist oder Märtyrer, wie die Christianer sie so liebten. Nein nein, davon wollte er gar nichts wissen. Überrascht öffnete er dann den Mund, als er Axillas Antwort hörte. Gegenfrage, um genau zu sein. Wie lang was dauerte? „Das ist nicht dein Ernst“, entfuhr es ihm, bevor er hatte nachdenken können. Sie wollte tatsächlich auf diese Art eine Abtreibung herbeiführen? Wollte durch Anstrengung ihren Körper dazu bringen, das Kind doch noch abzustoßen? Nun… im frühen Stadium einer Schwangerschaft funktionierte das sogar manchmal. Iaret hatte ihm erzählt, dass es manche Ärzte gab, die das ihren Patientinnen empfahlen, wenn sie frühzeitig zu ihnen kamen – bevor sie etwas anderes ausprobierten. Aber… „Hör zu, Axilla.“ Er sah sie ernst an. „Eine Fehlgeburt, die du bewusst versuchst herbeizuführen, indem du dich überanstrengst, ist genauso gefährlich wie eine Abtreibung durch einen Trank. Ob du verheilt bist oder nicht, etwas derartiges wird, wenn schon nicht die alten Wunden aufreißen, dann doch neue verursachen. Dann könntest du es genauso gut noch einmal mit einem Trank versuchen, das Risiko dabei ist das gleiche.“




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    Axilla schwieg erst mal. Und schwieg. Und Crios schwieg ebenfalls, weil es nicht mehr zu sagen gab. Nicht für ihn. Nicht in diesem Moment. Er konnte sich denken, dass sie gerade überlegte, dass sie verschiedene Möglichkeiten, verschiedene Varianten gedanklich durchspielte. Was ihr offen stand. Was sie wollte. Was sie nicht wollte. Crios unterdrückte ein Seufzen. Er konnte ihr dabei nicht helfen, und es war auch gar nicht seine Aufgabe. Als sie dann wieder sprach, sah er sie erneut an. „Es könnte noch mehr in seinem Wachstum stocken, so dass es noch kleiner sein wird bei der Geburt. Der Schaden – wenn es einen davon getragen hat – könnte sich verstärken. Jede zusätzliche Anstrengung, ob nun körperlich oder emotional, kann es beeinträchtigen in seiner Entwicklung, da es ohnehin schon angeschlagen ist.“ Er rieb sich die kratzige Wange. „Wenn die Belastung zu groß wird, könnte dein Körper es doch noch abstoßen.“




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    Crios runzelte die Stirn. „Es hätte nichts gebracht“, wiederholte er, ebenso stur wie sie. Außer dass sie zusätzlich Angst hätte ausstehen müssen. Nein, es war richtig gewesen, ihr nichts zu sagen. Und Axillas Reaktion jetzt bestätigte ihn nur darin. Allerdings, so schnell wie sie aufgefahren war, beruhigte sie sich auch wieder. Crios ließ seine Hände sinken, setzte sich aber noch nicht wieder hin. Er war sich nicht ganz so sicher, ob Axilla nicht gleich wieder aufflammte, und er hatte keine große Lust, noch ein Buch oder sonst was über den Schädel gezogen zu bekommen. Nur weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. „Nein“, sagte er kategorisch. „Wenn du das Kind immer noch abtreiben willst, wirst du noch einmal einen Trank nehmen müssen. Oder warten, bis es größer ist, und einen Chirurg schneiden lassen.“ Er musterte sie, zuckte ganz leicht die Schultern und setzte sich nun doch wieder. Mit ein wenig mehr Abstand zu ihr. „Manchmal überlebt das Kind, auch so etwas. Selten, aber es kommt vor. Und es wird auch nicht ohne Folgen bleiben, falls du das meinst. Deine Schwangerschaft – wenn du dich entschließt, das Kind auszutragen – wird riskanter sein als eine normale. Du wirst mehr aufpassen müssen. Und das Kind wird bei der Geburt wahrscheinlich kleiner sein als normal. Vielleicht sogar…“ Crios zögerte kurz, sprach es aber dann doch aus: „Vielleicht sogar bleibende Schäden davon getragen haben. Körperlich oder geistig.“




    Seianas Brauen zogen sich zusammen. Ungehalten musterte sie den Mann, der gar nicht daran zu denken schien zu tun, was sie sagte. Dem auch der Name ihres Bruders nichts sagte. Und sie war beim besten Willen derzeit nicht in der Stimmung, sich mit Geplänkel aufzuhalten. Oder übermäßig freundlich zu sein. Nicht nach dem, was passiert war in der letzten Zeit. „Faustus Decimus Serapio“, wiederholte sie kühl, und so betont, als hätte der Soldat womöglich Schwierigkeiten gehabt, sie zu verstehen. „Der neue Tribun der XXII Deitoriana. Ich bin seine Schwester, und ich bin hier, um ihn zu verabschieden. Hättest du nun die Güte, ihm Bescheid zu geben?“

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    Crios war durchaus auf einiges gefasst gewesen – aber nicht auf das. Nicht darauf, dass die Iunia so wütend wurde, nicht darauf, dass sie sogar nach irgendetwas griff und es ihm um die Ohren schlug. Bei aller Geduld, was seine Patienten betraf, bei aller Liebe zu seiner Arbeit, das ging ihm dann doch zu weit. Nicht zuletzt, weil er gerade was diesen Fall betraf schon einiges hatte einstecken müssen. Bevor sie ihn noch einmal treffen konnte, womöglich mit etwas, das dann wirklich weh tun würde, sprang er auf, und diesmal verlor er seine Ruhe. Er ertrug ja einiges, aber das ging zu weit. „Das darf doch nicht wahr sein! Was ist das nur mit dir, dass mich deswegen alle schlagen?“ fauchte er entnervt, bevor er sich wieder zusammenriss. Die Hände an seinen Hüften sah er sie an, immer noch ein wenig misstrauisch. „Und was hätte ich dir sagen sollen? Dass die Möglichkeit besteht, dass du stirbst? Die bestand doch ohnehin, seit dem Moment, in dem du dich entschieden hast, diesen Trank zu nehmen. Auch noch in den Tagen danach, selbst wenn das Kind abgegangen wäre. Hätte ich dir noch extra Angst einjagen sollen, wegen etwas, was sich ohnehin nicht hätte ändern lassen? Und dir im Gegenzug die Ruhe nehmen, die du gebraucht hast, um zu verheilen?“ Er schüttelte den Kopf. „Du kannst sagen, was du willst, aber die Entscheidung das für mich zu behalten war meine Entscheidung – und es war die richtige.“ Immerhin war er hier der Arzt, wo kamen sie denn hin, wenn auf einmal alle meinten ihm vorschreiben zu können, wie er seine Arbeit zu tun hatte. Iaret hätte sich das niemals gefallen lassen, niemals. Vermutlich war er zu gutmütig.




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    „Beides…“ Crios legte die Fingerspitzen aneinander und legte beide Zeigefinger an seine Lippen, während seine Daumen unter seinem Kinn in schnellem Rhythmus aneinander stießen. Albträume also. Noch dazu derart schlimme, dass sie die Iuna nicht nur in ihrem Schlaf störten, sondern sie mit Angst vor dem Schlaf erfüllten. Derart schlimm, dass sie sie sogar bis in den Tag hinein verfolgten. Er registrierte, dass es der Iunia peinlich zu sein, darüber zu reden, aber Crios ignorierte das gekonnt. Ernst, aber dennoch freundlich sah er sie an. „Das Einschlafen an sich ist also kein Problem, dafür brauchst du den Trank nicht“, stellte er fest und überlegte kurz. „Ich kann dir sicher einen Trank mischen, der dir helfen wird. Du dürftest einen stärkeren brauchen, denke ich.“ Er machte sich ein paar Notizen, schrieb einige Kräuter auf, die er verwenden würde, und kritzelte bereits an einem möglichen Mischverhältnis herum. Dann sah er wieder auf. „Hör zu. Nach dem, was du gerade erzählt hast, gehe ich davon aus, dass deine Probleme wieder kommen werden, wenn du aufhörst ihn zu nehmen. Spätestens, wenn du wieder eine Stresssituation kommst. Es wäre besser, wenn du dir jemanden suchst, mit dem du darüber reden kannst.“ Was nicht notwendigerweise er sein musste, aber dennoch schloss er gleich die nächste Frage an. Wenigstens den Anfang konnte er ja machen. „Darf ich fragen, um was es sich bei deinen Albträumen handelt?“




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    Immer noch wich Crios ihrem Blick nicht aus, auch als sie anfing, nach Möglichkeiten zu suchen, meinte, sie hätten nicht richtig nachgesehen. Crios erwiderte zunächst nichts, sondern ließ sie einfach reden. Es brachte in diesem Moment einfach nichts, mit Axilla zu diskutieren – generell mit einem Patienten. Jeder brauchte seine Zeit, um zu realisieren, was gesagt worden war. Um es zu akzeptieren. Und um damit fertig zu werden. Er als Arzt konnte da nur bedingt helfen.


    Anstatt des Verstehens, des Begreifens, dem ersten Anschein des Akzeptierens, auf das Crios wartete, glomm plötzlich Panik in Axillas Augen auf. Jetzt sah er überrascht drein. „Sterben? Du…“ Crios begriff jedoch recht schnell, was sie wohl meinen musste. Er war nicht umsonst in der ersten Zeit jeden Tag hier gewesen, trotz der Drohung des Vaters, trotz dessen, dass er keine Ahnung hatte, wie groß die Wahrscheinlichkeit war auf diesen Kerl hier zu treffen und sich noch eine Abreibung einzukassieren. Er hatte nicht umsonst die Untersuchungen übergründlich durchgeführt, hatte angespannt und fast ein wenig nervös auf das kleinste Zeichen geachtet. Er schüttelte sacht den Kopf. „Nein. Du musst nicht sterben.“ Es sei denn, du versuchst es noch einmal, und diesmal geht mehr schief, dachte er, aber das sagte er nicht laut. „Wäre das Kind gestorben und immer noch in deinem Körper, würdest du jetzt wohl schon nicht mehr leben. Was das betrifft, können wir uns also sicher sein.“




    Seiana erwiderte das Lächeln der Tiberia und nahm doch mit einiger Erleichterung auf, dass sowohl sie als auch ihr Gatte ihr nichts nachzutragen zu schienen. Den Kommentar über ein mögliches Kommen Caius’ zog sie vor, unkommentiert zu lassen, und da keiner der beiden sie tatsächlich fragte, konnte sie durchaus hoffen, damit auch durchzukommen. Indes, der weitere Verlauf des Gesprächs ließ Seiana beinahe wünschen, sie hätten sich doch mehr darauf konzentriert, dass Caius jetzt nicht da war. Sie hatte sich zwar denken können, dass die beiden auch fragen würden, worum es überhaupt gegangen war, aber so unwahrscheinlich es war, sie hatte dennoch gehofft.


    „Nun, ich…“ Zum ersten Mal wich Seiana dem Blick der beiden aus. Sie konnte und wollte nicht über das reden, was passiert war. Sie befürchtete ohnehin, dass es genug Gerede geben würde, zu viel Gerede für ihren Geschmack. Sie wollte nicht, dass die Leute über sie sprachen. Nicht so, nicht in diesem Zusammenhang. Aber das würde sie kaum verhindern können. Sie konnte nur versuchen, ihren Teil dazu beizutragen, dass das Ganze nicht noch mehr aufgebauscht wurde. Allerdings würde es von nun an ein Balanceakt werden, das war ihr klar. Caius war laut genug geworden, dass einiges von seiner kleinen Ansprache gehört worden war, von mehr als nur einem der Anwesenden. Und sie konnte nicht einfach behaupten, sie wüsste von nichts, das wäre mehr als nur unglaubwürdig, es wäre eine offensichtliche Lüge. Genauso wenig konnte sie – fand sie zumindest – nun sagen, dass sie nicht darüber reden wollte. Es wäre unhöflich, und darüber hinaus würde es noch viel mehr darauf hinweisen, dass tatsächlich etwas im Busch war. Seiana verzog ihre Lippen zu einem höflichen Lächeln. „Es handelte sich wohl um ein Missverständnis, die Begleitung des Ducciers betreffend. Aelius Archias und Iunia Axilla sind bekannt miteinander, befreundet. Er hat sie“, und an dieser Stelle tischte Seiana die bisher dreisteste Lüge auf, „unter seine Fittiche genommen und einen recht starken Beschützerinstinkt entwickelt.“ Wie ein Vater. Oder ein Onkel. Oder ein großer Bruder. In Anbetracht der Tatsache, dass Caius 33 und Axilla erst 17 und eine Waise war, klang es gar nicht so unglaubwürdig.

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    Weil Crios ihrem Blick nicht auswich, sondern standhielt, sah er, wie sich zuerst scheinbar Erstaunen, dann Unglauben und schließlich so etwas wie Ärger auf ihrem Gesicht widerzuspiegeln schien. Sie glaubte ihm nicht, und Crios tippte darauf, dass sie ihm nicht glauben wollte. Natürlich nicht. Er hatte ihre Schmerzen nicht gefühlt, aber er hatte gesehen, was sie durchgemacht hatte. Dass alles umsonst gewesen sein wollte, war sicher keine angenehme Vorstellung, mit der man sich leicht anfreundete. Er hielt ihrem Blick immer noch stand, so ruhig wie zuvor, und in seinen Augen begann nun fast so etwas wie Mitleid zu zeigen. „So, wie ich es sage. Es hat nicht funktioniert“, wiederholte er, und weil er vermutete, dass ihr das nicht ausreichen würde, sprach er gleich weiter: „Das Kind ist nicht abgegangen. Es müsste inzwischen groß genug sein, dass wir es hätten sehen müssen, in jener Nacht.“




    Auch Seiana wurde ein Getränk angeboten, und sie akzeptierte den Becher, verzichtete aber darauf, mehr zu trinken als einen winzigen Schluck, als sie merkte, dass es Wein – wie verdünnt auch immer – war. Sie brauchte einen klaren Kopf, zumal sie heute noch einen Entschuldigungsbesuch vor sich hatte.


    Nachdem Seiana ihre ersten Worte ausgesprochen hatte, versuchte sie, in den Gesichtern der beiden Patrizier zu lesen, die ihr gegenüber saßen – was ihr allerdings schwer fiel. Es gelang ihr nicht wirklich abzuschätzen, was sie denken mochten. Aber sie musste nicht lange warten, bis sie eine Reaktion bekam, und mit dem, was sie sagten, spielte das, was sie womöglich dachten, erst mal keine Rolle mehr. Beide fragten sie nach Caius. Seiana bemühte sich um ein unbewegtes Gesicht, und es gelang ihr auch, hatte sie doch mit dieser Frage gerechnet. Natürlich fragten sie nach, wo Caius blieb, derjenige, der so heftig reagiert hatte. Natürlich wunderten sie sich, warum Seiana allein hier war. „Er ist leider nicht abkömmlich im Augenblick“, log sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Wahrheit war, dass sie ihn gar nicht gefragt hatte. Die Wahrheit war, dass sie bezweifelte, dass er mitgekommen wäre. Die Wahrheit war, dass sie nicht sicher war, ob sie überhaupt gewollt hätte, dass er mitkam… „Die Arbeit in der Kanzlei nimmt ihn derzeit sehr in Anspruch.“ Sie brachte es nur nicht über sich zu lügen, was ein mögliches Kommen von ihm betraf, und sie hoffte, die beiden würden nicht danach fragen. Sie nickte Ursus leicht zu. „Verzeiht mir bitte auch unser voreiliges Verschwinden, noch dazu ohne Abschied zu nehmen. Ich war aufgebracht zu jenem Zeitpunkt, dennoch war es völlig unangebracht, eure Hochzeitsfeierlichkeiten einfach so zu verlassen. Ich hoffe, ihr könnt mir dies nachsehen.“

    Seiana wartete geduldig. Sie war hier, um sich zu entschuldigen, und sie war ohne Termin gekommen, auch wenn sie versucht hatte, eine Zeit abzupassen, die hoffentlich günstig sein würde. Und sie hatte genug Spielraum für sich eingeplant, um warten zu können.


    Als sie dann schließlich hörte, wie jemand das Atrium betrat, wandte sie sich um und konnte das Brautpaar – nein, das Ehepaar – sehen, wie die beiden auf sie zukamen. Seite an Seite, gemeinsam, und Seiana konnte nicht verhindern, dass ihr dieser Anblick einen kurzen Stich versetzte. Allerdings überspielte sie diesen Moment mit einem Lächeln zur Begrüßung. „Salvete, Tiberia Septima. Aurelius Ursus.“ Sie neigte ihren Kopf leicht. „In der Tat, das wollte ich.“ Seiana setzte sich, als Ursus sie nach der Begrüßung dazu aufforderte. „Genauer gesagt wollte ich mich entschuldigen für das, was auf den Feierlichkeiten am Tag nach eurer Hochzeit geschehen ist.“

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    Crios ignorierte die Proteste, die die Iunia von sich gab – genauso wie er bemerkte, dass sie die Bauchmuskeln gelegentlich anspannte, natürlich, immerhin tastete er sie ja ab. Aber es hielt sich in Grenzen, stellte er erleichtert fest. „Nun…“ Er beendete die Untersuchung, blieb aber auf der Bettkante sitzen, während sie sich wieder aufrichtete. „… ein paar Wochen mindestens. Und auch danach solltest du erst mal auf den Galopp verzichten.“ Der Satz war, wie Crios erst im Nachhinein realisierte, im Grunde schon eine Überleitung zu dem, was er ihr noch zu sagen hatte. Dabei hatte er gar nicht so schnell darauf zu sprechen kommen wollen, und die Warnung war auch ernst gemeint, selbst wenn die Abtreibung funktioniert hätte, hätte sie aufs Galoppieren noch länger verzichten sollen… Allerdings, Crios war auch niemand, der einfach so kniff. Und diese Überleitung war so gut wie wohl keine, die er bewusst versucht hätte zu formulieren. Einen Moment suchte er nach Worten. Nach Worten, die ihr das Ganze schonend beibringen würden. Vergeblich. „Es hat nicht funktioniert“, sagte er ihr dann einfach, während er sie ansah.




    Seiana folgte der wortlosen Geste, mit der er sie einlud Platz zu nehmen, womit sie noch mehr zu ihm aufsehen musste als ohnehin schon, da er sich zunächst nur an einen Baum lehnte. Sie wusste ebenso wenig, was sie davon halten sollte, wie von seinen Worten, aber stehen zu bleiben wäre in diesem Fall unhöflich gewesen. Zu einfach, hallte es erneut in ihrem Kopf, als er ihre Entschuldigung schlicht akzeptierte. Noch dazu mit den Worten, ihr eine Freude zu machen. Und die nachfolgende Ausführung dann ließ wieder Überraschung, beinahe Irritation in ihr aufkeimen. Was auch immer er gesagt haben mochte, ein Römer ließ sich nicht derart reizen. Schon gar nicht bei einer solchen Veranstaltung. Ganz davon abgesehen, dass es Caius gewesen war, der den Duccier, noch dazu recht unhöflich, um ein Wort gebeten hatte, also war die Aggression mit Sicherheit nicht von diesem ausgegangen. Er hatte höchstens darauf reagiert, und seine Darstellung jetzt klang um einiges anders als das, was sie gesehen hatte bei den Aureliern. „Nicht viel“, erwiderte sie auf die indirekte Frage, was ihr Verlobter ihr erzählt hatte. Ihr Verlobter… Seiana starrte einen Augenblick lang einfach vor sich hin, als das Wort wider Willen etwas in ihr anrührte, was sie bewusst und mit nicht gerade wenig Mühe in sich verschlossen hatte, bevor sie zur Casa Prudentia gekommen war. Was zwischen Caius und ihr war, gehörte nicht hierher, gehörte überhaupt nicht in die Öffentlichkeit. „Aber es war nicht allzu schwer, seinen Beitrag zu eurem… Gespräch… zu hören.“


    Seiana hob ihren Blick wieder und musterte ihn. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er tatsächlich meinte, was er da sagte. Dass er ernsthaft glaubte, er müsse sich ebenfalls entschuldigen. „Duccius, du siehst mich verwirrt.“ Sie lachte leise, nicht, weil sie es lustig fand, sondern um zu überspielen, dass sie tatsächlich ein wenig verwirrt war. „Ich weiß nicht, was du gesagt haben magst, aber so wie sich mir die Dinge präsentiert haben, bist es du, der keinen Grund hat sich zu entschuldigen. Dass du es dennoch tun willst, spricht für dich.“ Sie folgte mit ihren Augen seinen Bewegungen, als er sich abstieß von dem Baum und nun ebenfalls setzte, neben sie auf die Bank. Als er sich dann zu ihr neigte, musste sie ein wenig an sich halten, um sich nicht im selben Maß zurückzulehnen, sondern einfach zu verharren. So blickte sie ihn einfach nur an, während er erneut das Wort ergriff und sie in eine Bredouille brachte. Sie konnte seine Entschuldigung nicht nicht annehmen. Nicht nachdem er ihre angenommen hatte, und nicht nach dem, was er gerade gesagt hatte. Sie neigte leicht den Kopf, ein vages Lächeln auf den Lippen. Eines stand fest: mit Worten konnte er eindeutig umgehen. Besser als sie, so schien es ihr jedenfalls – oder vielleicht lag es nur an der Situation, in der sie sich befand, in der er, ob er es nun wusste oder nicht, wollte oder nicht, im Vorteil war ihr gegenüber. „Nun, ich kann dir das kaum verwehren, nachdem du mir meinen Wunsch nicht abgeschlagen hast. Aber ich fürchte, ich bin dir etwas schuldig. Es gäbe nicht viele, die nach einer solchen Szene in der Halböffentlichkeit so reagieren würden.“

    Seiana stand regungslos da und starrte in den Garten, während die Zeit verging. Es dauerte etwas, aber sie hatte auch nicht damit gerechnet, dass der Duccier sofort erschien. Es hätte genauso gut sein können, dass sie am Eingang zu hören bekommen hätte, dass er nicht da war oder keine Zeit hatte, so dass sie unverrichteter Dinge wieder hätte gehen müssen. Aber einen Termin auszumachen für eine Entschuldigung wäre ihr lächerlich vorgekommen.


    Sie bemerkte nicht, wie der Duccius den Garten betrat, bemerkte nicht, dass er sie einige Zeit lang musterte. Gedankenverloren stand sie da und sah die Pflanzen vor sich an, ohne sie wirklich zu sehen. In ihrem Kopf herrschte keine Leere, aber einen ihrer Gedanken wirklich fassen konnte sie auch nicht. Das konnte sie scheinbar seit Tagen nicht. Erst als hinter ihr ein leises Räuspern erklang, bemerkte sie, dass sie nicht mehr allein war, und veranlasste sie dazu sich umzudrehen. Der Duccier kam ihr entgegen, als sei er gerade eben erst gekommen, und Seiana erwiderte sein Lächeln höflich. „Salve, Duccius.“ Sie musterte ihn flüchtig während des Eingangsgeplänkels, wollte dazu ansetzen sich zunächst für die Störung zu entschuldigen, aber er sprach weiter. Und mit den Worten, die folgten, nahm er ihr tatsächlich den Wind aus Segeln. Sie hatte sich Worte zurecht gelegt, hatte verschiedene Szenarien in Gedanken durchgespielt, aber dass er so offensiv vorgehen und ihr ihre Entschuldigung vorweg nehmen würde, war nicht dabei gewesen. Überraschung zeigte sich kurz auf ihrem Gesicht, und für einen Moment fühlte sie sich hilflos, weil sie darauf nicht vorbereitet gewesen war.


    „Ich…“ Erneut erwiderte sie sein Lächeln, das ehrlich zu sein schien. „Nur Wasser, danke“, sagte sie dann zu der Sklavin, die immer noch da stand, und dem Duccius gleichermaßen, und wartete, bis sie das Gewünschte erhalten hatte und die Sklavin sich zurückzog, bevor sie weiter sprach. „Du hast recht akkurat zusammengefasst, weswegen ich hier bin. Dem kann ich eigentlich nichts hinzufügen.“ Seiana warf einen kurzen Blick in den Garten, bevor sie wieder den Duccius ansah. Zum ersten Mal stellte sie fest, wie groß er eigentlich war, als sie diesmal zu ihm aufsah, und zugleich überlegte sie, wie sie jetzt fortfahren sollte. Sie wusste nicht, ob sie froh sein sollte oder nicht, dass er so reagierte. Einerseits war die Angelegenheit in jedem Fall angenehmer so, als wenn er beleidigt gewesen wäre und das an ihr ausgelassen hätte – und er wirkte, als ob er meinte, was er sagte. Als ob er tatsächlich keinen Groll hegte, trotz der Beleidigung, die ihm widerfahren war. Andererseits gab er ihr so kaum die Gelegenheit, die Teilschuld, die sie haben mochte, abzutragen. Teilschuld nicht, weil sie tatsächlich irgendetwas getan hatte, sondern Teilschuld, weil Caius mit ihr dort gewesen war. Ihr Begleiter. Ihre Verantwortung. Zumal sie wusste, wie er sein konnte, wie wenig gesellschaftsfähig er manchmal war. Sie hatte ihn trotzdem gefragt, ob er mitkommen wollte. Dass der Duccier ihr nun sagte, es gäbe keinen Grund sich zu entschuldigen, machte es für sie einfach. Zu einfach, vielleicht. Es zählt nicht, wenn es einfach ist. Wie oft hatte sie das in den letzten Tagen, Wochen nun gedacht? Zu oft, kam es ihr vor. „Es ehrt dich, dass du so darüber denkst. Ich möchte dich dennoch um Entschuldigung bitten, und sei es nur der Form halber. Was geschehen ist, war keineswegs in Ordnung, und du hast ein Recht auf eine Entschuldigung.“ Und er konnte von Caius keine erwarten, da war sie sich sicher.

    „Ich danke dir“, entgegnete Seiana dem Ianitor, wie sie es bereits am Morgen beim aurelischen Ianitor getan hatte. Etwas überrascht war sie, dass sie in den Garten geführt wurde und nicht etwa ins Atrium oder Tablinum, aber der Tag war angenehm genug, um sich draußen aufzuhalten. Mit einer leichten Kopfbewegung bedeutete sie Elena, sich mit dem anderen Sklaven zurückzuziehen, dann wandte sie sich um. Die Arme verschränkt, und ohne eine der Sitzgelegenheiten zu nutzen, betrachtete sie mit undurchdringlicher Miene den Garten und wartete. Darauf, sich ein weiteres Mal zu entschuldigen. Nicht, dass sie das gern tat, aber sie ging davon aus, dass Caius sicherlich nicht zu diesem Entschluss kommen würde. Sie hatte nicht gehört, was der Duccier zu ihm gesagt hatte, aber das musste sie auch gar nicht. Sie kannte Caius gut genug um zu wissen, dass er nicht kommen und sich entschuldigen würde. Schon gar nicht aus dem simplen Grund, weil es sich gehörte. Also blieb ihr gar nichts anderes übrig, als es selbst zu tun, und wenn es nur deswegen war, um sich so von dem Geschehen zu distanzieren.

    Seiana folgte dem Nubier ins Haus, hinein ins Atrium, und bedeutete dort Elena und ihrem Sklaven, irgendwo am Rand zu warten, wo sie nicht stören würden. „Ich danke dir“, sagte sie zu dem Ianitor, als dieser ihr einen Platz anbot, und erwiderte sein Lächeln, wenn auch etwas förmlicher als es das seine gewesen war. Trotzdem setzte sie sich vorerst nicht. Sie war nicht hier wegen eines Plauschs oder ähnlichem. Sie hätte es unangebracht gefunden, hier sitzend vorgefunden zu werden, davon abgesehen glaubte sie, innerlich zu unruhig zu sein, um jetzt zu sitzen. Nicht, so lange sie warten musste. Also blieb sie stehen und betrachtete einen der Wandteppiche, die das Atrium zierten.

    ~ Was wir sind, werdet ihr sein. Was ihr seid, waren wir einst. ~


    Der Buchladen der Decima ist etwas abseits der Märkte zu finden. Der Geschäftsraum ist nicht klein, aber auch weit davon entfernt, großzügig geschnitten zu sein. Die Räumlichkeiten sind erst neu angemietet worden, und so stehen zwar bereits Regale da, die den Raum in kleine Nischen unterteilen und auch schon einige Papyri, Schriftrollen und Bücher enthielten, jedoch zeugten Lücken in den Fächern, fehlende Dekoration und nicht zuletzt Kisten an der hinteren Wand, dass das Geschäft gerade erst eingerichtet wird.

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    Crios lächelte flüchtig in Erwiderung des ihren und ihrer Worte. Blendend ging es ihr also. „Das höre ich gern“, antwortete er. „Nur das mit dem Pferd solltest du vorerst noch lassen.“ Sein Lächeln wurde leicht entschuldigend, weil sie sich so zu freuen schien über diese Aussicht. Entsprechend war auch seine Antwort auf ihre nächste Frage. „Nicht ganz. Die Phase jetzt ist am gefährlichsten, weil du dich wieder besser fühlst. Aber es ist noch nicht alles verheilt, daher musst du aufpassen – bei größeren Anstrengungen kann es passieren, dass die Wunden wieder aufreißen.“ Er bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sich auf das Bett zu setzen und hinzulegen, wo er dann vorsichtig ihren Unterleib abtastete. „Tut das irgendwo weh?“ Sie kannte die Prozedur schon, ebenso wie die obligatorische Frage.




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    Crios musterte die Iunia. Unsicher wirkte sie, nervös, aber das war kein Hinweis darauf, ob sie nun schüchtern war oder nicht. Viele, die hier hereinkamen, reagierten so, und obwohl Crios immer wieder dachte, dass es keinen Grund dafür gab, weil er da war, um zu helfen, wusste er doch, dass sich das kaum ändern würde. Die meisten hatten einfach Schwierigkeiten damit, andere, Fremde noch dazu, um Hilfe zu bitten, gerade wenn es sich um Probleme handelte, über die sie nicht gern redeten, oder die sie selbst nicht beeinflussen konnten. Also ignorierte er ihr Stottern und lächelte nur weiterhin freundlich. Er hatte Erfahrung damit, wie er mit solchen Menschen umgehen musste, das kam zwangsläufig, wenn man länger als Arzt oder auch nur Gehilfe eines Arztes arbeitete. „Komm doch mit.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er in den hinteren Teil des Raums und führte die Iunia zu einem der Tische. „Du kannst sicher noch etwas von dem Trank haben. Allerdings habe ich den recht schnell zusammengemischt. Das war auch in Ordnung in der Situation, weil es einmalig war. Aber bevor du jetzt wieder einen bekommst, würde ich gern kurz mit dir reden, wenn es dir recht ist. Damit ich weiß, worum es geht, und ihn extra für dich ansetzen kann.“ Er musterte sie einen Augenblick lang. „Brauchst du den Trank zum Schlafen oder weil du tagsüber zu unruhig bist?“ Letzteres war eine nette Umschreibung für verschiedene Variationen an Nervenflattern bis hin zu Panikattacken, die manche Menschen manchmal hatten.




    Am selben Tag, als Seiana zu dem Duccier ging, wurde sie auch bei den Aureliern vorstellig, nur früher am Tag. Sie hatte sich bemüht, die Zeit nach der Salutatio abzupassen, wo sie nicht mehr so lange würde warten müssen, ihr Patron, sein Neffe und dessen Frau aber hoffentlich noch etwas Zeit für sie hatten. Sie wusste, dass sie eigentlich früher hätte kommen müssen – nicht am selben Tag, immerhin waren die Hochzeitsfeierlichkeiten ja noch in Gang gewesen, aber am darauffolgenden. Aber sie hatte sich nicht in der Lage dazu gesehen. So wichtig ihr es auch war, sich zu entschuldigen für das, was passiert war, so wenig wollte sie die Beherrschung verlieren vor anderen, und nach allem, was passiert war, war sie sich ihrer Selbstkontrolle nicht sicher gewesen bisher. Genug, um in die Öffentlichkeit zu gehen, aber nicht genug, um mit anderen Menschen über dieses eine Thema zu reden.


    Als sie vor der Villa Aurelia stand, schickte sie Elena zum Klopfen vor, als der Ianitor öffnete, kündigte sie ihre Herrin Decima Seiana an, die anfragte, ob Aurelius Corvinus, Aurelius Ursus und Tiberia Septima zu sprechen seien. Ihr selbst wäre es am liebsten, wenn sie wenigstens das Brautpaar und ihren Patron getrennt voneinander sprechen könnte, aber danach fragte sie nicht.