Seiana nickte verhalten, während sie zu spüren meinte, wie der Rauch über ihre Lunge in ihre Blutbahnen und von dort in ihren Kopf vordrang. Und dort begann, seine Nebelschwaden auszubreiten. Sie konnte sich vorstellen, dass es den älteren Soldaten nicht unbedingt leicht fiel, von einem jüngeren – noch dazu einem deutlich jüngeren – befehligt zu werden, aber sie war überzeugt davon, dass Faustus diesen Posten verdient hatte. Und dann hatten sie ihn auch zu respektieren, fand sie. Er war ihr Bruder, und irgendwie brach in ihr dann doch immer der Beschützerinstinkt hervor, den sie früher immer gehabt hatte, als er einfach noch deutlich kleiner gewesen war als sie und auch nicht so… schlagfertig… Seiana grinste bei der Erinnerung daran, aber sie sagte nichts dazu. Die Zeiten waren vorbei, endgültig, das hatte wohl spätestens Faustus’ so deutlich dargelegte – und in ihren Augen recht neu gewonnene – Einstellung gezeigt, dass er meinte ein Mitspracherecht zu haben, was ihre Zukunft anging. „Solange sie dir die Chance geben zu zeigen, dass du nicht zu Unrecht auf dem Posten bist… Nein, dann würd ich an deiner Stelle auf den Bart verzichten“, kommentierte sie lieber die eigentliche Frage, um die sich das Gespräch gerade drehte.
Seiana hätte Faustus vermutlich den Kopf gewaschen, hätte er seine Gedanken laut geäußert. Sie hielt nicht viel von der Einstellung: dass muss ich alleine ausmachen.“ Ironisch daran war, dass sie selbst genau dazu tendierte, aber das lag auch daran, dass sie ihre eigenen Sorgen eher… nun ja, nicht so wichtig fand. Aber bei ihrem Bruder beispielsweise fand sie diese Denkweise ausgemachten Schwachsinn. Genau dafür war eine Familie doch da – und wie sollte er Tag für Tag mit dem fertig werden, wovon er gerade erzählte, wenn er nie jemanden hatte, mit dem er es teilen konnte. Während die Nebelschwaden in ihrem Kopf weiter um sich greifen zu schienen, sah sie ihn betroffen an. Sinnlos. So wie Faustus gerade sprach, schien es ihr, dass er an dieser Arbeit kaputt gehen würde – oder dass sie ihn verändern würde, zum Schlechteren. Dass es ihn auf ungesunde Weise abhärten würde. Sie mochte gar nicht daran denken, wie er werden würde. „Nein. Muss noch von früher sein, so was verlernt man offenbar nicht.“ Auch ihr Grinsen war eher flach. „Ich weiß gar nicht, ob ich das können will, ob ich die Übung haben will, Disziplin hin oder her. … Versprich mir, dass du aufpasst. Dass du aufhörst, bevor dich das kaputt macht. Oder verändert“, sprach sie ihre Befürchtungen aus, während sie sich ein wenig vorlehnte und ihn ansah. Es war ohnehin schon zu viel los, lief zu viel schief, gab zu viel Ärger – Ärger, an dem sie mitschuldig war. Aber so lange sie beide so blieben, wie sie waren, würden sie das schon irgendwie regeln können. Aber wenn Faustus sich vergiften ließ von seiner Arbeit… Seiana schob den Gedanken weg, weil sie einfach nicht weiterdenken wollte.
Sie lehnte den Kopf zurück an die Wand, blinzelte dann aber gleich wieder zu Faustus hinüber, als aus seinem Mund ein schnelles Nein kam auf ihre Frage hin. Wie sie gedacht hatte, hatte er mit Sklaven nicht wirklich zu tun, nur wenn einer fortlief – und das war Erklärung genug für sie. Sie hielt das Thema schon für erledigt, ordnete es für sich zu den anderen Dingen, die Faustus während seiner Arbeit erlebte und die ihm zu schaffen machten, als er weitersprach. Jetzt musterte sie ihn wieder aufmerksam, und ihre Stirn runzelte sich leicht. Faustus schien so… Sie konnte es nicht wirklich benennen, aber die Tatsache, wie häufig er stockte, wie er neu ansetzte, wie er davon sprach diesen Sklaven zu kennen, als Mensch, und dann doch wieder nicht… irgendwie war das seltsam. So sprach man nicht von einem Sklaven, nicht von einem anderen Menschen, den man nur flüchtig gekannt hatte, egal wie betroffen einen dessen Schicksal machte. Und wie Faustus reagierte, wie seine Finger mit der Pfeife spielten und sein Gesichtsausdruck sich veränderte, durch minimale Anzeichen, die Seiana einzeln gar nicht wirklich wahrnahm, schienen ebenfalls zu verraten, dass das hier ein Thema war, das ihm wirklich nahe ging. Allerdings konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum. Etwas unschlüssig, wie sie nun reagieren sollte, nahm sie die Pfeife von ihm entgegen, dann erhob sie sich kurz auf die Knie und krabbelte zu Faustus hinüber, um sich neben ihn zu setzen, hinein in die Wolke, in die er sich gehüllt hatte, bevor sie auch wieder an der Pfeife sog und ihren Teil beitrug zu den Schwaden. „Das klingt schrecklich“, murmelte sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, was irgendjemand getan haben könnte, dass er so etwas verdient. Ich meine, ohne Prozess.“ Er war etwas Besonderes gewesen, hatte Faustus gesagt. Seiana schwieg einen Moment, setzte dann zu der Frage an, die ihr auf der Zunge lag, und formulierte sie im letzten Moment neu: „Wie war er?“