Beiträge von Decima Seiana

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    Crios fühlte sich nicht wohl bei der Sache. Er fühlte sich gar nicht wohl. Er war sich so… unsicher, ob es richtig war, was er tat. Und Crios war ein Mensch, der sich selten unsicher fühlte, selten Zweifel hatte – sein Leben war einfach und überschaubar, nicht einmal so sehr deswegen, weil er so simpel wäre, sondern weil er es einfach und überschaubar hielt. Wann immer es ging, hieß das, denn dass es nicht immer ging, schon gar nicht als Arzt, war ihm auch klar. Und wenn es dann mal nicht mehr ging, dann… fühlte er sich so ziemlich aufgeschmissen. Aber er hatte sich entschieden. Er würde ihr helfen. Er hoffte nur so sehr, dass er das Richtige tat.


    Er räusperte sich ein weiteres Mal, kaum dass Axilla ihre Frage gestellt hatte. „Das ist… schwer zu sagen. Je nachdem wie heftig der Trank bei dir wirkt…“ Crios presste die Lider zusammen und gab sich dann einen Ruck, während er sie wieder ansah. Es half nichts. „Du solltest den Trank am besten nachmittags einnehmen. Es kann eine Weile dauern, bis er zu wirken anfängt… aber dann wirst du Krämpfe bekommen. Und sie können die ganze Nacht andauern.“ Er wich ihrem Blick erneut aus, taxierte kurz den Boden. Bei den Göttern, er war doch eigentlich Arzt, weil er Menschen gesund machen wollte, nicht krank! Etwas hilflos hob er eine Hand und kratzte sich am Hals, knapp unterhalb seines Ohrs. „Du… wirst auch bluten, recht stark sogar, wenn die Hauptwirkung einsetzt. Nach der Nacht sollte das Schlimmste eigentlich vorbei sein, allerdings kann es dann noch ein paar Tage dauern, bis dein Körper sich vollständig erholt hat, von dem Gift darin, und dem Blutverlust. Das kann dann allerdings auch… eine normale Krankheit verursacht haben. Nur die Zeit der Krämpfe und des Blutens, das… könnte Außenstehende denken lassen, du wärst wirklich schwer krank, und würden wohl einen Iatros rufen dann.“ Er machte eine kurze Pause, in der er sie nun endlich wieder richtig ansah, nicht nur flüchtig, und sie musterte. Er hatte ihr den Trank gegeben, jetzt trug er auch die Verantwortung. „Hör zu, wenn irgendwas ist, wenn irgendwas… schief geht… oder auch nur so scheint… Ruf mich. In Ordnung?“




    „Nein.“ Irrte sie sich, oder war die Stimmung… irgendwie… merkwürdig? „Nein, dass Faustus da ist, stört mich nicht.“ Im Gegenteil war es wohl eher von Vorteil, wenn er dabei war, immerhin war er ihr Bruder. Die beiden schien sie auch nicht bei einem wichtigen Gespräch gestört zu haben, jedenfalls sagte keiner etwas davon – auch wenn Seiana zunehmend das Gefühl bekam, als hätte sie das. Sie lächelte, ein wenig verhalten, betrat den Raum und zog die Tür hinter sich zu, dann deutete sie auf einen der Sessel. „Darf ich?“


    Auch nachdem sie sich gesetzt hatte, schien die seltsame Stimmung nicht zu verfliegen, und Seiana konnte sich eines unguten Gefühls in der Magengegend nicht ganz erwehren. Allerdings verdrängte sie das. „Verzeih mir, dass ich bisher noch keine Gelegenheit gefunden habe, mit dir zu reden, seit ich aus Alexandria wieder gekommen bin. Es war einiges los mit dem Umzug und meinen Betrieben.“ Sie warf Faustus einen raschen Seitenblick zu und räusperte sich kurz. „Ich wollte dich allerdings nicht einfach nur kurz begrüßen, sondern mit dir über meine Verlobung reden. Ich…“ Wieder ein Blick zu Faustus. Wie er darüber dachte, wusste sie nur allzu genau. Und vermutlich war es gut so, dass er dabei war und seine Bedenken gleich äußern konnte. Allerdings gefiel Seiana der Gedanke wenig, sich alles noch mal anhören zu müssen – und diesmal nichts sagen zu können, denn vor ihrem Onkel würde sie sich ganz sicher nicht derart gehen lassen. „…habe dir ja aus Alexandria noch einen Brief geschickt. Vielleicht hatte auch Meridius noch Gelegenheit, mit dir darüber zu sprechen, bevor er sich nach Tarraco zurückgezogen hat, das weiß ich nicht. In jedem Fall wollte ich es dir noch einmal persönlich sagen, und…“ Zum ersten Mal geriet Seiana ins Stocken. Sie wollte nicht um Erlaubnis bitten, sie musste nicht um Erlaubnis bitten, und sie wollte auch nicht so wirken, als ob sie es täte. Andererseits wusste sie, dass gerade in ihrem Fall einiges ungünstig gelaufen war. Livianus’ langes Verschollensein in Parthia, Meridius’ plötzlicher Rückzug nach Tarraco, der mit Livianus’ Rückkehr nach Rom zusammen gefallen war, und ihr eigener langer Aufenthalt in Alexandria, fernab ihrer Familie, ihrer männlicher Verwandten – fernab letztlich jeglicher Absprachemöglichkeiten. „… nun… mit dir darüber reden.“

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    Sie blieb bei ihrer Meinung. Crios konnte sehen, dass ihr seine letzte Bemerkung zwar beileibe nicht gefiel, aber dass es auch nichts änderte an ihrer Entscheidung. Bei den Göttern… Sie schien fest entschlossen zu sein. Und er… Crios rieb sich kurz das Kinn, während Axilla erneut sprach. Er hatte keine Ahnung, wie ihre Chancen auf eine Ehe standen, wenn sie jetzt einem Bastard das Leben schenkte. Er dachte, dass sich sicher irgendetwas machen ließe, nicht jetzt sofort, aber sie war ja noch jung… Aber so sehr hatte er sich nie für das Leben der römischen Oberschicht interessiert. Und ohnehin würde es nichts bringen, egal was er sagte – sonst hätte sie sich schon vorher von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Ein Muskel zuckte in seiner Wange, während er sie einen Augenblick lang einfach nur schweigend ansah. Er konnte nicht wirklich nachvollziehen, was gerade in ihr vorgehen mochte – er versuchte es zwar, sicher, aber er konnte es einfach nicht, waren ihm doch Grenzen gesetzt, die er nicht zu überschreiten vermochte. Er war noch nie in seiner derartigen Situation gewesen, noch nicht einmal in einer vergleichbaren. Und er würde auch nie eine solche Lage kommen, nicht in diese. Axilla umgekehrt allerdings konnte wohl auch kaum nachvollziehen, was in Crios gerade vorging – dass er ebenso vor einer Entscheidung stand, die ihm zu schaffen machte. Vielleicht konnte sah sie etwas davon in seinen Augen, vielleicht auch nicht, beschäftigt wie sie mit ihren eigenen Problemen gerade war. Crios in jedem Fall erwiderte ihren Blick, grüne Augen und blaue, die sich anstarrten – und schließlich nickte er langsam. Im nächsten Moment schloss er die Augen, und als er sie wieder öffnete, hatte er den Kopf ein wenig abgewandt und sah sie nicht mehr an. „Ich helfe dir. Warte einen Moment.“


    Ohne noch etwas zu sagen, und ohne darauf zu achten, ob sie tatsächlich wartete, verschwand Crios nach hinten in den Lagerraum. Und dort stützte er erst mal die Arme auf den großen Tisch und atmete tief durch. Er war sich nicht sicher, ob er hier das Richtige tat. Ganz und gar nicht. Aber er konnte sie nicht einfach gehen lassen, nicht wenn sie dann zu einem Pfuscher ging. Und ihren Standpunkt hatte sie klar gemacht. Crios blieb noch einen Moment so stehen, dann schob er in einer bewussten Anstrengung die Gedanken weg und machte sich an die Arbeit. Es gab einige Mittel, verschiedene, die helfen würden, allerdings hatte Crios für sich schon beschlossen, dass er ihr einen Trank mischen würde. Und er wusste im Grunde, was er verwenden musste, aber um sicher zu gehen, holte er doch die Materia Medica von Dioskurides hervor, die Iaret hier aufbewahrte. Er blätterte rasch durch, sah die entsprechenden Stellen nach, zögerte noch einmal. Dann holte er eine Amphore Nieswurzwein, der die Basis für den Trank darstellen würde. Als nächstes folgten eingelegter Enzian und abgekochte Salbeiblätter. Wieder ein Zögern. Er wollte ihr nichts zusammen mischen, was sie ernsthaft in Gefahr bringen würde. Andererseits sollte es aber auch wirken. Drei Zutaten gab es, zwischen denen er schwankte – die weiße Rebe, von der es allerdings hieß, dass sie verrückt machen konnte; Hasenlab, das Unfruchtbarkeit bewirkte und er darüber hinaus ohnehin erst würde besorgen müssen; und Osterluzei. Was giftig war. Crios biss die Zähne aufeinander und entschied sich schließlich für letzteres.


    Er wusste nicht, wie lange er im Lagerraum gewesen war, bevor er wieder hervorkam zu Axilla, mit einer geschlossenen Amphore in der Hand. Er betete zu den Göttern, allen die er kannte, und allen die ihm unbekannt waren, dass er das richtige Verhältnis gemischt hatte – dass es ihr nicht schaden würde. Angenehm würde es keinesfalls für sie werden, nicht wenn Luzei im Spiel war, aber es durfte nicht zu viel sein. Das durfte es einfach nicht. Crios zögerte noch einen winzigen Moment, dann hielt er ihr die Amphore hin. „Du solltest Zeit einplanen.“ Irgendwie hatte er das Gefühl, einen Kloß im Hals zu haben. Crios räusperte sich. „Es wird nicht kurz, und nicht angenehm. Wenn… wenn es jemanden gibt, dem du vertrauen kannst, dann… Du solltest nicht allein sein, meine ich. Es wäre gut, wenn jemand da ist, der… der dir zur Seite steht. Und dir helfen kann. Falls was ist.“




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    Dass Axilla kaum wollen würde, dass der Vater des Kindes von der ganzen Sache erfuhr, war Crios im Grunde klar gewesen. Wenn sie ihn tatsächlich hätte einweihen wollen, wenn sie ihm ein Mitspracherecht in dieser Entscheidung hätte zugestehen wollen, dann hätte sie das von Anfang an in Erwägung gezogen. Ihr Liebhaber heiratete also demnächst. Eine andere, das war deutlich. Crios unterdrückte ein Seufzen. Es wäre ja so schön gewesen, so schön einfach vor allem, für ihn jedenfalls, in diesem Moment, wenn die Sache mit dem Hinweis auf den Kindsvater funktioniert hätte. Aber das Leben war selten schön einfach, das hatte er eigentlich von Iaret schon längst gelernt. Das hinderte Crios in aller Regel nicht daran, das Leben trotzdem, nun ja, einfach zu nehmen, was bei ihm hieß: locker. Er machte sich nicht allzu viele Gedanken, nicht über seine Zukunft oder Planungen für diese oder etwas in der Art. Und meistens klappte das auch, weil Crios selbst ein recht unkomplizierter Mensch war. Aber manchmal holte ihn dann eben doch die Realität ein, und wenn es nur die Realität anderer Menschen war, die nicht so unkompliziert waren wie er – oder deren Leben nicht so unkompliziert war.


    Als Axilla dann anfing zu lachen, wurde Crios’ Unwohlsein zu Besorgnis. So lachte niemand, der noch recht bei Sinnen war. In diesem winzigen Augenblick wusste er nicht, ob es besser war, ihr nicht einfach eine Kräutermischung anzufertigen und sie gehen zu lassen, weil er keine Ahnung hatte, was sie als nächstes anstellen würde. Womöglich wurde er noch in irgendetwas hineingezogen. Andererseits, wurde er das nicht auch, wenn er ihr bei ihrem Vorhaben half – noch dazu ohne dass ihre Familie davon wusste? Wie war die römische Gesetzeslage in dieser Hinsicht? Crios hatte keine Ahnung, weil sich ihm diese Frage noch nie gestellt hatte, aber letztlich war das für ihn auch nicht ausschlaggebend für seine Entscheidung. Dann schon eher, was Iaret mit ihm anstellen würde, wenn er davon erfuhr. Crios presste die Lippen aufeinander, während Axilla ihm ein Bild von dem zeichnete, was ihre Familie ausmachte. Er holte Luft, um etwas zu sagen, aber hatte es schon zuvor nichts gegeben, was er hätte erwidern können, gab es hier noch weniger als nichts. Was hatten die Römer nur mit ihrer Ehre? Gut, es war falsch das nur den Römern zuzuschieben, Crios wusste dass andere Völker – seines eingeschlossen – genauso waren. Aber er selbst konnte damit nicht sonderlich viel anfangen. Nicht wenn jemand sich selbst oder einem anderen das Leben nahm, nur wegen eines abstrakten Konzepts. Er öffnete wieder den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn dann wieder. Und ein weiteres Mal. In diesem Moment musste er wohl aussehen wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Ich kann nichts damit anfangen, wenn jemand aus so was tut. Noch dazu aus solchen Gründen“, meinte er, zum ersten Mal schroff, und zum ersten Mal wertend. Dann wandte er sich mit einem Ruck von ihr ab und starrte in Richtung des kleinen Altars, bevor er sich ebenso abrupt wieder ihr zuwandte. „Ich meinte damit nicht, dass du sterben könntest. Ich meine, das kann auch passieren, sicher, aber… Dass du überlebst, ist nicht so unwahrscheinlich, aber du könntest Schäden davon tragen.“ War das der Fall, dann war, wenn er sich nicht irrte, derjenige verantwortlich, der den Trank gegeben hatte. Also er. Wenn er ihr denn half. Aber er sah keinen Weg mehr aus dieser Sache heraus. Er kannte niemanden, niemanden dem er vertraute, hieß das, der der Iunia helfen würde und konnte in dieser Sache. Iaret… er wusste nicht, ob der ihr helfen würde. Und wenn er ihn einweihte und der Alte sich dagegen entschied, mussten sie sie doch wegschicken. Für wen war er mehr verantwortlich, sie und ihr Leben oder das ihres Kindes, das noch nicht einmal geboren war, das keinen eigenen Rechtsstatus hatte, und einen Eid – also letztlich nicht mehr als Worte – den er geleistet hatte? Und: wenn sie so oder so fest entschlossen war, dann gab es für das Kind ohnehin keine Chance mehr. War es da nicht besser, er half ihr, anstatt dass sie am Ende doch an einen Stümper geriet, bei dem die Gefahren für sie um ein Vielfaches höher liegen würden? „Manche Frauen können danach keine Kinder mehr kriegen.“




    Seiana bemerkte Caius’ skeptischen Blick, aber sie ignorierte ihn. Das war nichts, was sie jetzt besprechen wollte. Faustus würde sie nicht im Stich lassen, davon war sie überzeugt, irgendwie, irgendwie, würden sie das regeln können. Regeln müssen. Weil Seiana nicht wusste, was sie sonst tun sollte.


    Caius selbst schien auch nicht weiter darüber reden zu wollen, in jedem Fall ging auch er auf den Themenwechsel ein – und reagierte, wie sie erwartet hatte. Nachdem Seiana sich mehr oder weniger schon mit dem Gedanken abgefunden hatte, dass sie zumindest vorerst hier wohnen würden, fiel es ihr nicht allzu schwer, nun zu lächeln und zu nicken. „Ja, praktischer für dich wäre es ganz sicher.“ Den Einfluss der weiblichen Hand ließ sie auch unkommentiert. Sie konnte überhaupt nicht beurteilen, ob das in diesem Wohntrakt fehlte oder nicht, und die Gefahr auf ein weiteres Fettnäpfchen war ihr hier einfach zu groß, als dass sie etwas dazu hätte sagen wollen. Stattdessen lächelte sie Quarto an. „Nun, ich denke, großartig zu entscheiden gibt es da dann nichts mehr. Danke in jedem Fall für dein Willkommen.“

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    Crios bemerkte durchaus, irgendwie, dass die Iunia unter einem gewaltigen Druck zu stand. Sie schien die Nervosität, beinahe Angst beinahe in Wellen auszustrahlen, konzentrische Kreise, deren Mittelpunkt sie war. Es war auch nicht schwer zu begreifen, warum das so war – oder es sich vorzustellen, wie es ihr wohl gehen mochte. Nicht wenn er Recht hatte mit seiner Vermutung, dass sie alleinstehend war, und die Tatsache dass sie auf seine Frage dahingehend gar nicht geantwortet hatte, war eigentlich auch schon wieder ein Beweis für sich. Auf seine Worte allerdings reagierte Axilla nun sehr heftig, und Crios fühlte sich hilflos. Hatte er das Falsche gesagt? Sicher hatte er das. Iaret hätte vermutlich die richtigen Worte gefunden, hätte das ausgesprochen, was die Iunia wohl dazu gebracht hätte, wenigstens zu zögern, sich auf ein weiteres Gespräch einzulassen, irgendetwas. Aber er war da nicht so gut darin. „Da gibt es-“ eine Menge zu überlegen, hatte er sagen wollen, aber Axilla sprach schon weiter, scheinbar ohne seinen Einwurf gehört zu haben. Und nun starrte Crios sie einfach nur an, während aus Axilla ein ganzer Schwall an Worten hervorbrach, der zunehmend wütender wurde. Er hatte ja Verständnis für sie und ihre Lage, von Anfang an gehabt, aber das jetzt… Ganz so… kompliziert hatte er sich die Lage dann doch nicht vorgestellt, musste er zugeben, wenigstens vor sich selbst.


    „Du… nun…“ Das mit dem Vater war ein Argument. Ein verdammt gutes Argument. Er konnte das nachvollziehen – er selbst kannte seine Eltern kaum, weil sie ihn schon früh fortgegeben hatten, mit Iaret. Eine einfache Familie mit mehr Mäulern, als sie stopfen konnten, da waren seine Eltern froh gewesen, als der Iatros angeboten hatte, einen ihrer Söhne mitzunehmen und auszubilden, solange er sich nicht ausgerechnet den ältesten aussuchte. Nein, was seine eigenen Eltern betraf, hegte Crios keine Gefühle wie Axilla gegenüber ihrem Vater. Aber falls Iaret etwas zustoßen sollte… würde er auch alles versuchen, um ihm Ehre zu erweisen. Was also sollte er dagegen sagen? Dass sie es sich unter diesen Umständen vielleicht vorher hätte überlegen sollen, was sie tat? Das konnte er nicht sagen, und das stand ihm auch gar nicht zu, das wusste er – weder als Peregrinus noch als Arzt. Und er wollte ihr zwar helfen, jetzt beinahe noch mehr als zuvor, aber andererseits war er gebunden. Und wenn er ihr jetzt, sofort, sagte zu wem sie gehen konnte, dann wäre es doch genauso als wenn er ihr die Kräutermischung hätte. Er konnte das nicht einfach so. Plötzlich wünschte er sich Iaret herbei. „Hör zu, du… Du hast doch sicher mehr Möglichkeiten als diese eine. Ich meine, über die es sich nachzudenken lohnt, wenigstens.“ Crios stieß sich vom Tisch ab, und nun war er es, der ein paar Schritte ging. „Was ist mit dem Vater? Sollte der nicht davon wissen?“ Immerhin lag die Entscheidung doch letztlich beim Vater. Aber im Grunde hoffte Crios damit nur Zeit zu schinden. „Und, weißt du, das ist nicht ungefährlich. Egal welchen Weg du wählst, es kann sein, dass es schadet. Ich meine, nicht nur dem Kind, sondern dir. Ernsthaft schadet.“




    „Keine Sorge“, schmunzelte Seiana, zu Piso gewandt. „Ich habe nicht vor, irgendetwas zu zertrümmern. Ganz davon abgesehen ist die Sparte Klatsch und Tratsch ohnehin eher weniger mein Thema.“ Das Thema Hochzeit – das auch nicht so ganz das ihre war, und das nicht nur, weil es wohl am ehesten in eben genannte Spalte gehörte – verschwand zu ihrer Erleichterung eher in der Versenkung, was wohl mit daran lag, dass die Sklaven nun das Essen auftischten – das in der Tat nicht nur reichhaltig, sondern auch sehr köstlich aussah, wie an den Kommentaren ringsum zu merken war. „Es sieht wirklich hervorragend aus“, wandte sie sich an ihren Gastgeber und lächelte ihm zu, dann akzeptierte sie einen Teller von einem der Sklaven und erwiderte Caius’ Grinsen. „Meinst du?“ fragte sie ihn, während sie sich eine gefüllte Olive von ihrem Teller nahm. „Dann erzähl mal. Wie ist das Leben so mit einem Aelier?“ Un die Olive verschwand in ihrem Mund.

    Seiana nickte verhalten, während sie zu spüren meinte, wie der Rauch über ihre Lunge in ihre Blutbahnen und von dort in ihren Kopf vordrang. Und dort begann, seine Nebelschwaden auszubreiten. Sie konnte sich vorstellen, dass es den älteren Soldaten nicht unbedingt leicht fiel, von einem jüngeren – noch dazu einem deutlich jüngeren – befehligt zu werden, aber sie war überzeugt davon, dass Faustus diesen Posten verdient hatte. Und dann hatten sie ihn auch zu respektieren, fand sie. Er war ihr Bruder, und irgendwie brach in ihr dann doch immer der Beschützerinstinkt hervor, den sie früher immer gehabt hatte, als er einfach noch deutlich kleiner gewesen war als sie und auch nicht so… schlagfertig… Seiana grinste bei der Erinnerung daran, aber sie sagte nichts dazu. Die Zeiten waren vorbei, endgültig, das hatte wohl spätestens Faustus’ so deutlich dargelegte – und in ihren Augen recht neu gewonnene – Einstellung gezeigt, dass er meinte ein Mitspracherecht zu haben, was ihre Zukunft anging. „Solange sie dir die Chance geben zu zeigen, dass du nicht zu Unrecht auf dem Posten bist… Nein, dann würd ich an deiner Stelle auf den Bart verzichten“, kommentierte sie lieber die eigentliche Frage, um die sich das Gespräch gerade drehte.


    Seiana hätte Faustus vermutlich den Kopf gewaschen, hätte er seine Gedanken laut geäußert. Sie hielt nicht viel von der Einstellung: dass muss ich alleine ausmachen.“ Ironisch daran war, dass sie selbst genau dazu tendierte, aber das lag auch daran, dass sie ihre eigenen Sorgen eher… nun ja, nicht so wichtig fand. Aber bei ihrem Bruder beispielsweise fand sie diese Denkweise ausgemachten Schwachsinn. Genau dafür war eine Familie doch da – und wie sollte er Tag für Tag mit dem fertig werden, wovon er gerade erzählte, wenn er nie jemanden hatte, mit dem er es teilen konnte. Während die Nebelschwaden in ihrem Kopf weiter um sich greifen zu schienen, sah sie ihn betroffen an. Sinnlos. So wie Faustus gerade sprach, schien es ihr, dass er an dieser Arbeit kaputt gehen würde – oder dass sie ihn verändern würde, zum Schlechteren. Dass es ihn auf ungesunde Weise abhärten würde. Sie mochte gar nicht daran denken, wie er werden würde. „Nein. Muss noch von früher sein, so was verlernt man offenbar nicht.“ Auch ihr Grinsen war eher flach. „Ich weiß gar nicht, ob ich das können will, ob ich die Übung haben will, Disziplin hin oder her. … Versprich mir, dass du aufpasst. Dass du aufhörst, bevor dich das kaputt macht. Oder verändert“, sprach sie ihre Befürchtungen aus, während sie sich ein wenig vorlehnte und ihn ansah. Es war ohnehin schon zu viel los, lief zu viel schief, gab zu viel Ärger – Ärger, an dem sie mitschuldig war. Aber so lange sie beide so blieben, wie sie waren, würden sie das schon irgendwie regeln können. Aber wenn Faustus sich vergiften ließ von seiner Arbeit… Seiana schob den Gedanken weg, weil sie einfach nicht weiterdenken wollte.


    Sie lehnte den Kopf zurück an die Wand, blinzelte dann aber gleich wieder zu Faustus hinüber, als aus seinem Mund ein schnelles Nein kam auf ihre Frage hin. Wie sie gedacht hatte, hatte er mit Sklaven nicht wirklich zu tun, nur wenn einer fortlief – und das war Erklärung genug für sie. Sie hielt das Thema schon für erledigt, ordnete es für sich zu den anderen Dingen, die Faustus während seiner Arbeit erlebte und die ihm zu schaffen machten, als er weitersprach. Jetzt musterte sie ihn wieder aufmerksam, und ihre Stirn runzelte sich leicht. Faustus schien so… Sie konnte es nicht wirklich benennen, aber die Tatsache, wie häufig er stockte, wie er neu ansetzte, wie er davon sprach diesen Sklaven zu kennen, als Mensch, und dann doch wieder nicht… irgendwie war das seltsam. So sprach man nicht von einem Sklaven, nicht von einem anderen Menschen, den man nur flüchtig gekannt hatte, egal wie betroffen einen dessen Schicksal machte. Und wie Faustus reagierte, wie seine Finger mit der Pfeife spielten und sein Gesichtsausdruck sich veränderte, durch minimale Anzeichen, die Seiana einzeln gar nicht wirklich wahrnahm, schienen ebenfalls zu verraten, dass das hier ein Thema war, das ihm wirklich nahe ging. Allerdings konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum. Etwas unschlüssig, wie sie nun reagieren sollte, nahm sie die Pfeife von ihm entgegen, dann erhob sie sich kurz auf die Knie und krabbelte zu Faustus hinüber, um sich neben ihn zu setzen, hinein in die Wolke, in die er sich gehüllt hatte, bevor sie auch wieder an der Pfeife sog und ihren Teil beitrug zu den Schwaden. „Das klingt schrecklich“, murmelte sie. „Ich kann mir nicht vorstellen, was irgendjemand getan haben könnte, dass er so etwas verdient. Ich meine, ohne Prozess.“ Er war etwas Besonderes gewesen, hatte Faustus gesagt. Seiana schwieg einen Moment, setzte dann zu der Frage an, die ihr auf der Zunge lag, und formulierte sie im letzten Moment neu: „Wie war er?“

    Als Seiana das Triclinium betrat, stellte sie erleichtert fest, dass das Essen noch nicht serviert worden war, sondern die Anwesenden noch bei den Getränken waren. „Salvete“, grüßte sie lächelnd in die Runde, ungeachtet der Tatsache, dass ihr vier der fünf Gesichter unbekannt waren. Allerdings war es nicht sonderlich schwer, die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Schön, dich zu sehen.“ Der Kommentar war an Faustus gerichtet, bevor sie sich an die Fremde wandte, die ihre Tunika trug, und reichte ihr die Hand reichte. „Du musst Valeria sein.“ Sklaven waren im Lauf des Tages bei ihr gewesen und hatten sie im Auftrag ihres Onkels darum gebeten, einige Kleidungsstücke bereit zu legen für eine Verwandte, Valeria. Der Name sagte ihr irgendetwas, und das nicht aus dem Familienstammbaum – sie meinte, ihn irgendwo so schon einmal gehört zu haben, aber sie kam nicht darauf wo, und diese Überlegungen wurden auch beiseite gewischt von dem, was die Sklaven noch über Valeria sagten: dass sie alle verschollen geglaubt hatten. Obwohl allein schon diese Beschreibung Rückschluss geben mochte darauf, dass sie keine leichten Zeiten hinter sich hatte, war Seiana doch ein wenig bestürzt zu sehen, wie dünn, fast schon dürr, ihre Verwandte war. Die Größe an sich stimmte tatsächlich einigermaßen, allerdings saß die Tunika doch eher locker an ihrem Körper. Seiana verbarg allerdings ihre Bestürzung hinter einem Lächeln und grüßte auch die andere Frau, die – der Ähnlichkeit nach zu schließen – die Mutter der beiden Kinder war, die ebenfalls im Raum waren. „Duccia Venusia, richtig?“ Auch ihr reichte sie die Hand, bevor sie sich an beide gewandt vorstellte: „Ich bin Seiana – Faustus’ Schwester.“ Mit einer Kopfbewegung deutete sie zu ihrem Bruder, neben dem sie sich auch niederließ, nachdem sie sich – da Galas gerade nicht in Sicht schien – einen Becher stark verdünnten Wein geholt hatte.

    Einen Moment zögerte Seiana noch, dann sank sie ebenfalls auf den Boden und setzte sich, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und zog die Knie an den Körper, während sie sie zugleich mit den Armen umschlang. Bei den Göttern, sie hatte erst vor kurzem… wie viel Wein?… hinuntergekippt, bevor Elena gekommen war und sie aufgehalten hatte. Sie war bei weitem nicht so anständig, wie sie gerne tat. Wie sie sich gerne sah. Wenn es darauf ankam, tat sie ja doch, was sie wollte – was sie wollte, wohlgemerkt, was noch nicht einmal notwendigerweise immer das war, was sie für richtig hielt im Sinne von dem, was einer Römerin zustand –, also warum sich ständig etwas vormachen. „Dein Barbier versteht was von seinem Handwerk.“ Ihr Lächeln wurde offener. Der Streit, den sie mit ihrem Bruder gehabt hatte, kaum dass sie angekommen war, geriet immer mehr in den Hintergrund, wurde merkwürdig… surrealer. „Hm“, machte sie, legte den Kopf leicht schräg und musterte ihn. Dann musste sie plötzlich grinsen. „Also, ehrlich gesagt kann ich mir dich mit Bart nur schwer vorstellen. Ich versteh schon, was du meinst… dass du dann älter wirken würdest… aber…“ Sie zuckte die Achseln, während ihr Blick dem Funkenflug folgte. „Du kannst es ja vielleicht mal ausprobieren. Ein Bart ist ja zum Glück schnell wieder ab.“ Dann hob sie die Brauen. „Wie, heißt das die respektieren dich nicht? Nach allem was du geleistet hast?“


    Seiana ließ ihre Knie los und streckte eins ihrer Beine aus, dann nahm sie von Faustus die Pfeife entgegen und zog daran, vorsichtig zunächst. Vor Jahren hatte sie mal was geraucht gehabt, in Tarraco, bevor Faustus endgültig verschwunden war. Das war auch das letzte Mal gewesen, dass sie sich daran erinnern konnte, tatsächlich zu viel getrunken zu haben, heimlich selbstverständlich, wenn sie eine Amphore Wein hatten stibitzen können. Sie war gar nichts gewohnt, und das wusste sie auch. Merkwürdigerweise war ihr das völlig egal in diesem Moment – genauso wie die Möglichkeit, dass irgendjemand hereinkommen könnte. Nachdem sie jetzt schon so lange hier drin war, würde sich Elena kaum noch draußen rumtreiben. Aber… egal. Sie nahm einen tieferen Zug, versuchte diesmal zu inhalieren, was ihr auch anstandslos gelang, nur einen Hustenreiz musste sie im ersten Augenblick unterdrücken. Ein dritter Zug, dann ließ sie die Pfeife sinken und starrte stattdessen Faustus an, als Worte wie ein Wasserfall aus diesem hervorbrachen. Der Rauch drang langsam aus ihren Nasenlöchern und kringelte sich davon. Eine ganze Weile schwieg sie. Dann reichte sie Faustus die Pfeife wieder zurück. „Das… klingt furchtbar“, murmelte sie. Es klang vor allem so… hoffnungslos. Was er sagte. Wie er es sagte. Seiana war kein schlechter Mensch, aber wie die meisten besser situierten Römer ignorierte sie meistens, was sich in den ärmeren Vierteln der Stadt abspielte. Weil es nicht anders ging, weil es zu deprimierend war, die ganze Zeit darüber nachzudenken, und weil sie nichts tun konnte. „So ein Riesenreich… und im Zentrum sieht es so aus.“ Ihre Mundwinkel verzogen sich in einem bitteren Zug. „Mach dir wegen mir keine Gedanken, ich hab nicht mal einen Grund, dorthin zu gehen. Pass lieber auf dich auf.“ Und damit meinte Seiana nicht einmal so sehr seine körperliche Unversehrtheit. Dass Faustus nicht leicht verarbeitete, was er Tag für Tag erlebte, war deutlich geworden. „Du musst dir das jeden Tag antun. Ich würd das gar nicht aushalten, glaub ich.“ Aber sie war auch eine Frau, vielleicht lag es daran. Dann runzelte sie leicht die Stirn, als er von Sklaven anfing. Auch wenn sie ebenso wenig wie er in Ordnung fand, was manche mit ihren Sklaven taten, hatte Faustus recht: es war nicht unbedingt verboten. Was hieß, dass er mit so etwas eigentlich gar nichts zu tun hatte. „Was ist mit den Sklaven? Hast du damit etwa auch zu tun?“

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    Seine simple Zusicherung, dass er nichts sagen würde, schien ihr zu reichen – in jedem Fall fragte sie nicht nach, weder ob er auch tatsächlich nichts sagen würde, noch warum er es nicht tun würde. Oder warum sie ihm glauben sollte. Es reichte ihr schlicht, und Crios dachte nicht weiter darüber nach, warum das so war. Vielleicht wirkte er einfach so glaubwürdig. Vertrauenerweckend. Ein Arzt musste ohnehin so wirken, und er… war vielleicht ein Naturtalent. Ein klitzekleines bisschen von sich eingenommen war Crios in der Tat. Allerdings stand er immer noch vor einem Rätsel, was in Axillas Kopf wohl gerade vor sich gehen mochte. Sie sagte einfach nichts! Wie um alles in der Welt sollte er ihr denn dann bitte helfen? Dass sie zumindest ein wenig positiver gestimmt zu sein schien, brachte ihn da auch nicht weiter. Gerade wollte er erneut etwas sagen, als sie doch noch das Wort ergriff. Und diesmal zogen sich Crios’ Brauen ein wenig zusammen. Er begriff, was sie meinte. Es gehörte nicht viel dazu, um zu verstehen, wovon sie sprach – selbst wenn sie nicht gestottert hätte. Wenn sie wirklich schwanger war, gab es für sie nicht viele Möglichkeiten, und für den einen, natürlichen Weg würde sie kein Mittel brauchen. Crios schloss kurz die Augen, senkte den Kopf und öffnete sie dann wieder, um für einen Moment auf den Boden zu starren. „Es gibt Wege, ja“, antwortete er, immer noch ruhig, aber diesmal war sein Tonfall… anders. Immer noch wertfrei, aber… zurückhaltender. Ein wenig Bedauern mochte auch hörbar sein. Und etwas Widerstreitendes… der Funken eines Konflikts, den sie mit ihrer einfachen Frage von einem Moment auf den anderen in ihm entzündet hatte. „Ich kenne Wege“, verdeutlichte er dann noch einmal, um auf ihre Frage konkret zu antworten. Er half ihr nicht, wenn er vage blieb. „Allerdings…“ Crios seufzte. Genauso wenig wie er anderen etwas erzählen durfte über das, was sie ihm anvertraut hatte, konnte er ihr bei dem helfen, was sie nun offenbar anstrebte. Der Eid war deutlich. Und davon ganz abgesehen wollte er nicht bei so etwas behilflich sein. Andererseits wollte er aber Menschen helfen, und sie brauchte Hilfe. Die Verzweiflung war deutlich zu sehen in ihren Augen, ebenso wie die plötzliche Hoffnung. „Ich kann das nicht. Ich darf das nicht. Und, offen gestanden, ich will es auch nicht.“ Er presste die Lippen aufeinander. Sie war zu ihm gekommen, oder besser, hierher in die Taberna, weil sie Hilfe brauchte, und das hieß, dass er in gewisser Weise verantwortlich für sie war. Arzt sein hieß, Verantwortung zu tragen für die, die zu einem kamen. „Du solltest dir das noch mal überlegen. In Ruhe, meine ich. Länger als nur ein paar Augenblicke. Wenn du… das tatsächlich willst, immer noch, meine ich…“ Crios zögerte noch einmal kurz, dann gab er sich einen Ruck. Es war immer noch besser, als wenn sie auf eigene Faust irgendetwas ausprobierte. „Kann ich womöglich jemanden finden, der dir hilft. Jemand, der kein Pfuscher ist.“




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    Crios konnte nur ahnen, was in ihrem Kopf vorgehen mochte. Dass sie ein Kind erwartete, schien ihm die wahrscheinlichste Alternative zu sein, dennoch konnte ihre Übelkeit immer noch andere Ursachen haben – aber einmal ausgesprochen, hatte Axilla offenbar nur noch wenig Zweifel daran, dass es diese Möglichkeit war. In jedem Fall schien irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung zu sein, aber da gab es viele Gründe dafür. Keiner alleinstehenden Frau konnte es gefallen, schwanger zu sein, schon gar nicht wenn es eine junge Römerin aus einem guten Haus war.


    Axilla schien lieber weiter herumzulaufen, und Crios lehnte sich an den Tisch, die Hände seitlich rechts und links von ihm auf der Tischfläche abgestützt. Natürlich schossen ihm auch Fragen durch den Kopf, was wohl dahinterstecken mochte. Hatte sie einen Liebhaber? Einen geheimen, von dem niemand etwas erfahren durfte, weil er nicht standesgemäß war oder so? Oder mehrere? Vielleicht war sie auch die Geliebte irgendeines reichen, einflussreichen Mannes, von dem sie wusste, dass er sie fallen lassen würde, bevor sie ihm ein Kind andrehen konnte. Oder hatte sie einfach nur ein kurzes Vergnügen gesucht? Irgendwie schien alles etwas abwegig zu sein, nicht unbedingt so sehr, weil sie eine Iunia war, sondern einfach dafür, wie jung sie aussah, und wie… nun ja, unschuldig sie wirkte. Aber so oder so: es ging ihn nichts an. Wenn sie jemanden zum Reden brauchte, würde er ihr wohl zuhören, auch wenn er nicht die geringste Garantie geben konnte, dass irgendetwas von dem, was er dann sagte, ihr helfen könnte – aber er würde zuhören, weil es einfach dazugehörte, wenn man sich um seine Patienten kümmerte. Nur, fragen würde er sie nicht. Auch das gehörte dazu. Im Allgemeinen war Crios eher vorlaut, aber bei Patienten hielt er sich zurück – auch eine der Lehren, die Iaret ihm von Anfang an eingebläut hatte. Man durfte keine Scheu haben, in die Privatsphäre des anderen einzudringen und unangenehme Fragen zu stellen, wenn es wichtig sein könnte für die Behandlung, aber wenn es das nicht war, dann ging es einen nichts an.


    Crios nahm ihr den Becher ab, als Axilla sich ihm nun wieder näherte, und stellte ihn hinter sich auf den Tisch, bevor er wieder die gleiche Position einnahm. „Nein“, antwortete er ruhig. „Egal was du hast, das darf ich ohnehin nicht.“ Er mochte kein Medicus sein, kein Iatros, nicht wenn man Auszeichnungen der offiziellen Schulen betrachtete – wenn es nach ihm ginge, hätte er hier schon längst einen Cursus gemacht, aber Iaret hatte ihn bisher noch nicht gelassen. Ganz Grieche alter Schule, hielt er nicht allzu viel vom Unterricht in Rom und befand, dass die Auszeichnung ohnehin nichts wert war. Aber nachdem Crios nicht mal eben so schnell nach Griechenland oder Ägypten reisen und sich dort Auszeichnungen holen konnte, hieß das für ihn, dass er hier gar nichts auch nur halbwegs offizielles hatte, und er befand sich in einem stetigen Überredungsprozess, der hoffentlich irgendwann darin endete, dass Iaret seine Ablehnung aufgab. Aber ob mit oder ohne den entsprechenden Titel, er hatte bei Iaret bereits eine lange Lehre durchlaufen – und Iaret war, wie erwähnt, Grieche der alten Schule. Crios hatte ihn nie vor irgendeinem Gremium abgelegt, aber das änderte nichts daran, dass er den Hippokratischen Eid so ernst nahm, als hätte er ihn nicht nur vor Iaret wiederholt – immer und immer wieder. Er konnte ihn auswendig herunter beten inzwischen, weil sich der Alte mit nichts anderem zufrieden gegeben hatte.




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    Na herrlich, da hatte er nicht einfach nur in Brennnesseln gelangt, sondern in ein ausgewachsenes Wespennest gestochert, wie es schien. So vehement, wie die Iunia auch nur die bloße Möglichkeit einer Schwangerschaft ablehnte, ließ es Crios erst recht glauben, dass das durchaus eine Option war – und vermutlich sogar die wahrscheinlichste. Denn schließlich: wenn sie sich in der Hinsicht tatsächlich sicher wäre, was regte sie sich dann so auf? Sie könnte einfach nein sagen, und sie würden weiter machen, oder auch nicht, je nachdem wie lange sie noch die Fragerei mitmachen wollte. Die Litanei, die aus Axilla hervorbrach, war für Crios also so gut wie ein schlichtes ja. Und noch etwas schien sich zur Gewissheit zu verdichten, was für ihn bisher höchstens eine Vermutung war: eine Schwangerschaft würde sie in Schwierigkeiten bringen. Wenn sie sogar ein Geschwür so klingen ließ, als würde sie fast darauf hoffen… Ruhig blieb er sitzen und sah ihr dabei zu, wie sie hin und her lief und ein ums andere Mal wiederholte, dass es nicht sein konnte, registrierte, wie ihre Stimme von befehlend zu ängstlich wechselte. Es war wohl das Beste, wenn sie sich erst mal abreagieren konnte, danach konnten sie immer noch weiter sehen. Sofern sie das wollte, hieß das, und nicht mit einer der nächsten Drehungen Richtung Tür flog und auf Nimmerwiedersehen verschwand.


    Etwas überrascht war Crios dann aber doch, als Axilla plötzlich auf ihn zuwirbelte und ihn am Kragen packte, so heftig, dass er halb vom Stuhl gezogen wurde, halb selbst aufsprang, um der Gefahr vorzubeugen, dass seine Tunika zerriss. Nein, er war mehr als nur etwas überrascht – aber er war einfach gern jemand, der gelassen wirkte und eben nicht leicht zu überraschen war, daher stellte er das einfach mal so hin, selbst wenn es nur in Gedanken war. „Moment mal“, durchbrach er nun sein Schweigen und wollte seine Hände auf ihre legen, aber sie ließ ihn schon wieder los und ging weiter. Die Panik, die sie jetzt auszustrahlen schien, rührte etwas an in ihm – und ließ ihn sich hilflos fühlen, was er gar nicht leiden konnte. Er konnte bei allen möglichen Beschwerden helfen, er sah sich auch durchaus dazu in der Lage, sie zu trösten, wenn sie schwerwiegender erkrankt waren, immerhin gehörte das irgendwie auch dazu, aber wenn die Leute dadurch private Probleme bekamen, dann hörte es bei Crios irgendwann auf. Während Axilla weiter herumlief, ging er hinüber zu einer einfachen Feuerstelle, die hinten im Eck verborgen war, und hantierte dort kurz herum, dann kam er wieder, in der Hand einen Becher mit einem Kräutersud, den er ihr anbot. „Hier. Das wirkt beruhigend.“ Einen Augenblick musterte er sie erneut, dann machte er eine Kopfbewegung zu den Stühlen hin, halb fragend, halb auffordernd. „Es ist ja nur eine Vermutung.“ Auch wenn er sie für wahrscheinlich hielt, bei dem was sie bisher erzählt – und wie sie jetzt reagiert hatte. „Deswegen würde ich gerne noch ein paar Sachen klären. … Du bist nicht verheiratet, hm?“ fügte er dann unvermittelt noch an.




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    Ouh ja. Da hatte er wohl voll in die Brennnesseln gegriffen. Wie erwartet. Zuerst wirkte die Iunia völlig überrascht, ganz so, als käme die Möglichkeit einer Schwangerschaft für sie gar nicht in Frage – und sie wirkte ehrlich überrascht, also hatte sie sich vermutlich tatsächlich keine Gedanken darüber gemacht, nicht bewusst jedenfalls. Dann kam die Empörung, die sich in ihren Augen und auf ihrem Gesicht und sogar in ihrer Haltung breit machte. Aber trotzdem sprang sie nicht auf und verließ gleich das Haus. Stattdessen begann sie im Gegenteil sogar, sich zu rechtfertigen… dafür, dass sie offenbar überfällig war. Sie sagte nicht, wie lange, aber ihre Worte ließen doch darauf schließen, dass sie schon auf die Blutung wartete. Und sie konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen, was Crios auch als Zeichen wertete, dass sie sich nicht ganz sicher war. Nicht völlig. Nicht genug, um ihn zu beleidigen und zu beschimpfen und mit ihrem Vater und ihren Brüdern und sonstigen männlichen Verwandten zu drohen, dafür, dass er ihre Ehre offenbar anzweifelte. Wieder kratzte er sich an seiner Wange. Das konnte in der Tat schwierig werden, für sie, wenn sie nicht verheiratet oder wenigstens verlobt war. Wenn sich denn tatsächlich herausstellte, dass sie schwanger war. Crios seufzte lautlos und wünschte sich, er könnte ihr helfen.


    „Hör zu.“ Crios lehnte sich nun ein wenig nach vorn und stützte die Unterarme auf dem Tisch auf. „Ich will dir nichts unterstellen. Ich möchte nur einfach wissen, was los ist, damit ich dir helfen kann – deswegen bist du ja gekommen. Und eine Übelkeit, die sechs Wochen andauert, ohne dass sie schlimmer geworden ist oder von Magenschmerzen begleitet wird? Die häufig morgens kommt oder von starken Gerüchen ausgelöst wird? Anfälle von Heißhunger, auf bestimmte Sachen?“ Er machte einen leicht entschuldigenden Gesichtsausdruck und hob parallel um eine Winzigkeit die Achseln, was ihm mehr oder weniger die Aura eines Ich kann doch auch nichts dafür verlieh, und als er weitersprach, klang seine Stimme ruhig und wertfrei. „Ohne dir oder deiner Ehre zu nahe treten zu wollen, Iunia Axilla: wäre es denn im Bereich des Möglichen, dass du schwanger bist?“




    „Nicht mit unserem Familienwappen drauf“, versicherte sie ihm. „Aber in paar Aurata-Wimpel würden sich trotzdem gut machen.“ Ihr zaghaftes Lächeln wurde sogar noch ein wenig deutlicher, als Faustus zusagte, dass sie würde mitfahren können, dann widmete sie sich erst mal der Stute. Und hatte plötzlich ein wenig Mühe, Luft zu holen. Sie hatte es gesagt… aber Faustus hatte es entweder nicht gehört, oder aber ignoriert. Und Seiana wusste nicht so recht, ob sie noch mal sagen sollte, dass es ihr leid tat. Wenn er es ignoriert hatte – was sie nicht so ganz glauben wollte, aber wenn –, dann machte sie sich doch vollkommen lächerlich, wenn sie es noch mal sagte. Es reichte ihr schon, dass sie das zuerst gesagt hatte, aber es noch mal zu sagen und dann zu riskieren, dass er es erneut ignorierte oder gar etwas sagte wie: das reicht mir nicht, das wollte sie ganz sicher nicht. Zumal sie sich nicht aufrichtigen Herzens für alles entschuldigen konnte. Es tat ihr leid, was sie ihm hinterher gebrüllt hatte, es tat ihr leid, dass sie von irgendwelchen alten Sachen angefangen hatte, und es tat ihr vor allem leid, dass sie gestritten hatten. Es tat ihr sogar leid, wie die ganze Sache mit ihrer Verlobung gelaufen war. Aber es tat ihr nicht leid, dass sie sich verlobt hatte. Oder dass sie ihren eigenen Weg ging. Schon gar nicht, weil sie doch immer versucht hatte darauf zu achten, der Familie keine Schande zu bereiten. Dass Faustus – von einem Tag auf den anderen, wie ihr zumindest erschien – plötzlich den Mann in sich entdeckte, der auf seine Schwester und ihre Ehre und die Ehre der Familie aufpassen wollte und musste, hatte sie ja nicht ahnen können, und es war auch ein bisschen unfair von ihm, jetzt damit anzufangen, wo sie erwachsen waren, und nicht schon vor Jahren, wo sie viel leichter so etwas hingenommen hätte, weil sie noch nichts anderes gewohnt war von ihren Eltern. Nein. Sie hatte gesagt, dass es ihr leid tat, und sie würde das nicht noch einmal wiederholen. Nicht jetzt sofort, jedenfalls.


    Stattdessen sah sie Faustus, der inzwischen herüber gekommen war, dabei zu, wie er der Stute einen Apfel gab, hörte, wie das kräftige Gebiss die Frucht zermalmten, und spürte, wie ein paar Spritzer ihre Haut trafen. Sie hob ihre Hand und kraulte die Stute hinter den Ohren. „Oh… das… klingt übel“, meinte sie, und in ihrer Stimme schwang Betroffenheit mit. Sie hatte sich nie so wirklich Gedanken gemacht, was Faustus tat bei den Urbanern. „Das… mit so was hast du wohl öfter zu tun, hm? Ich mag mir das gar nicht vorstellen, ehrlich gesagt. Mit Mördern zu tun haben zu müssen…“ Sie erwiderte Faustus’ Blick und sah dann, ein wenig überrascht, zu dem Beutel, den er hervorzog. „Äh“, machte sie, schon im Begriff abzulehnen, eingedenk dessen, was Ehre und Anstand und… Dann machte sie den Mund wieder zu. Was wollte sie mit Ehre und Anstand? Noch dazu hier? Sie wollte endlich mal wieder loslassen können, nicht mehr nachdenken müssen, nicht mehr… ständig… Selbstbeherrschung ausüben. Sie begann, schief zu grinsen. „Ähm. Warum nicht? Klar“, antwortete sie dann, als Faustus den Beutel etwas weiter weghielt, damit die Stute nicht daran heran kam. Seiana musterte ihn, zum ersten Mal etwas ausgiebiger, während ihr Bruder begann, sich mit der Pfeife zu beschäftigen. „Du siehst gut aus“, meinte sie plötzlich. „Deine Haare. Dass du sie wieder ein bisschen länger trägst, das steht dir.“

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    Irgendwie schaltete sie jetzt komplett auf stur. Hatte sie ihn eben noch so verträumt angesehen, dass er fast auf die Idee hätte kommen können, sie wäre aus einem ganz anderen Grund hier und würde die Übelkeit nur vortäuschen, wurde sie gleich darauf beinahe abwehrend. Axilla fühlte sich ganz eindeutig nicht wohl in ihrer Haut, das war ihr anzusehen, und das nicht nur, weil sie die Beine mittlerweile so eng an den Körper gezogen hatte, das vermutlich kein noch so dünnes Blatt Papyrus mehr dazwischen gepasst hätte. Crios unterdrückte den Impuls, überrascht die Brauen hochzuziehen. Sie war hergekommen, er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie auf einmal so verschreckt, oder abgeschreckt, haben konnte. Seine Finger spielten ein wenig mit dem Stylus herum, aber er schrieb nichts. Keine Magenschmerzen, das war schon mal gut. Verschlafen war sie. Auf die beiden anderen Fragen hatte sie nicht geantwortet. „Irgendwas könnte ich dir sicher geben. Die Frage ist nur, ob es hilft, wenn wir die Ursache für deine Übelkeit nicht kennen.“ Ein wenig unschlüssig zog er die Unterlippe rechtsseitig zwischen die Zähne und ließ sie langsam wieder los. So wie die Iunia gerade aussah, wie sie wirkte, konnte sie jeden Moment aufspringen und davonlaufen. Und damit wäre keinem von ihnen geholfen, ihr nicht, ihm nicht, dem Laden nicht – falls sie herumerzählte, dass es ein Saftladen war – und der Besitzerin nicht. Aber wenn er Pech hatte, konnte er sich von der ohnehin was anhören, je nachdem was Axilla ihr erzählte nach seinem Besuch hier. Kam darauf an, ob sie die Taberna so unglücklich verließ, wie sie gerade wirkte.


    „In Ordnung.“ Crios beschloss, aufs Ganze zu gehen. Es war, wie er gerade schon gedacht hatte: wenn er Pech hatte, gab es ohnehin Ärger. Aber nach allem, was sie erzählt hatte, gab es wenigstens eine Frage, die er einfach noch stellen musste. Er wusste, dass er sich damit auf gefährliches Terrain begab. Sie war Römerin, und wohl nicht verheiratet, jedenfalls ging sie ganz augenscheinlich nicht von dieser einen bestimmten Möglichkeit aus… sonst hätte sie inzwischen wenigstens eine Andeutung in dieser Richtung gemacht. Und das konnte in der Regel nur Ärger bedeuten. Crios machte sich schon mal darauf gefasst, dass sie gleich in die Luft ging und anfing, ihn zu beschimpfen, was er sich überhaupt einbildete, dass sie eine ehrbare Römerin sei undsoweiterundsofort. Zum Glück ließ er sich von so etwas in der Regel nicht abschrecken. Auch das hatte er von Iaret gelernt, und in dieser Hinsicht hatte der ihm sogar noch einiges voraus. Er legte die Wachstafel und den Stylus beiseite und sah sie aufmerksam an, den Kopf eine Winzigkeit schräg geneigt. „Lassen wir das oberflächliche Herumgestochere, das magst du offenbar eh nicht. Wann hattest du das letzte Mal deine Blutung?“




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    Sonderlich leicht machte sie es ihm nicht, stellte Crios fest. Entweder sie litt tatsächlich nur an Übelkeit, oder sie verdrängte, was sonst noch war, oder sie wollte es nicht erzählen. Sollte es ersteres sein, dann würde das ein Problem darstellen, weil er dann Schwierigkeiten haben würde herauszufinden, woran ihre Übelkeit lag, und sogar Iaret würde an gewisse Grenzen stoßen dann, vermutete er. Allerdings mochte Crios nicht so ganz daran glauben, dass dies der Fall war, nicht so lang wie die Übelkeit schon anhielt, ohne dabei schlimmer zu werden. Wenn die Körpersäfte aus dem Gleichgewicht gerieten, dann gab es im Grunde zwei Möglichkeiten – entweder die Natur war fähig, sich selbst zu helfen, vielleicht ein wenig unterstützt von der menschlichen Heilkunde; oder aber sie war eben nicht dazu in der Lage und brauchte größere Unterstützung dazu. War das der Fall, und bekam der Mensch keine Hilfe, dann geriet das Gleichgewicht der Säfte immer stärker ins Wanken, was nichts anderes hieß als dass die Symptome schlimmer wurden, je mehr Zeit verging. War letzteres der Fall, von seinen drei möglichen Annahmen, hatte er auch ein Problem… wenn sie nämlich nicht reden wollte, konnte er sie kaum dazu bringen, außer ihr irgendwann ins Gewissen reden, dass er ihr sonst nicht würde helfen können – und nicht einmal das konnte er tun, wenn sie wie jetzt weiterhin darauf beharrte, dass da nichts war. Er konnte ihr ja schlecht an den Kopf werfen, dass sie log, immerhin war sie als Ratsuchende, als Patientin gar, darüber hinaus war sie noch eine Freundin der Besitzerin, auch wenn Crios das für nicht ganz so wichtig hielt. Am besten wäre noch die mittlere Variante. Wenn sie einfach nur gewisse Dinge nicht wahrhaben wollte, halfen vielleicht schon ein paar gezielte Nachfragen, um der Ursache für ihre anhaltende Übelkeit auf die Spur zu kommen.


    Crios schrieb noch etwas auf und ging dann die flüchtigen Notizen durch, die er auf einer Wachstafel festgehalten hatte. Kommt aus Alexandria. Das konnte er wohl getrost ignorieren. Seereise. Das sowieso. Sechs Wochen. Das war wichtig, darüber stolperte er immer wieder. Nach dem Aufstehen. Starke Gerüche. Mehr salziges. Was hatte sie vorhin noch gesagt? Auf manche Sachen verspürte sie regelrecht Heißhunger? „Nun, hast du Magenschmerzen, zum Beispiel? Oder ist dir einfach nur übel?“ Er hatte zuvor durchaus bemerkt, dass Axilla sich ein wenig unwohl zu fühlen schien, aber er kam einfach nicht umhin, weitere Fragen zu stellen. „Fühlst du dich in letzter Zeit häufig müde? Musst du häufiger Wasser lassen als sonst, oder hast du Durchfall?“




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    Crios schmunzelte, als die Iunia sich dazu entschied, zu bleiben – auch wenn der Grund, zumindest der, den sie nannte, nicht unbedingt schmeichelhaft für ihn war. Allerdings war mangelndes Selbstbewusstsein noch nie sein Problem gewesen. Ihren Antworten lauschte er aufmerksam, machte sich nebenbei sogar ein paar Notizen. Alexandria also… Von dem was er gehört hatte, war es eher so, dass Römer in Ägypten Probleme mit ihrem Magen bekamen, in den ersten Wochen zunächst – unter anderem aus dem Grund, den sie gerade nannte: weil das Essen dort mehr Gewürze enthielt. Aber das jemand ein Problem bekam, der längere Zeit dort gewesen war und nun hierher kam? „Mh“, machte er. „Dass dir auf Seereisen schlecht wird, ist also vorher auch schon passiert“, wiederholte er dann, mehr zu sich als zu ihr gewandt. Aber eigentlich konnte er das mit der Seereise ohnehin vergessen, wie er schon vermutet hatte. Sechs Wochen war schlicht zu lange, eine solche Zeitspanne hielt keine Seekrankheit an. Und das Essen an sich konnte es auch nicht sein, ihren Worten nach zu schließen. Erneut kratzte er sich über seine Bartstoppeln. „Mmmh. Sechs Wochen also schon… Also hält es sich doch irgendwie in Grenzen, ja? Weil du dir erst jetzt Hilfe suchst.“ Wieder lehnte er sich ein wenig zurück. Sechs Wochen Übelkeit, die allerdings in dieser Zeit nicht so schlimm geworden war, dass sie bereits früher einen Iatros aufgesucht hätte. „Ich denk mal, deine Säfte werden aus dem Gleichgewicht sein. Aber das kann verschiedene Ursachen haben. Wann ist dir übel, gibt es da irgendwelche Regelmäßigkeiten? Vielleicht nach dem Genuss eines bestimmten Nahrungsmittels?“ Es gab Menschen, die vertrugen beispielsweise keine Milch – manchen ging das Zeit ihres Lebens so, andere entwickelten das erst irgendwann. Vielleicht war es bei Axilla etwas in dieser Richtung, Crios wollte da nichts ausschließen. „Oder hast du noch andere Beschwerden, tut dir etwas weh? Gibt es sonst etwas, was ungewöhnlich ist, anders als sonst, ist dir da irgendwas aufgefallen?“




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    Crios musste lachen, als er ihre Überraschung sah – und ihre stotternden Erklärungsversuchte hörte. „Danke für das Kompliment.“ Er grinste breit und zwinkerte ihr zu, zum Zeichen, dass er das Ganze nicht so ernst nahm, aber Iunia Axilla schien doch ziemlich peinlich berührt zu sein. „In Ordnung“, meinte er, setzte eine gespielt ernste Miene auf und räusperte sich. „Salve, Iunia Axilla. Ich bin Crios – kein Medicus, jedenfalls habe ich keinen Cursus hier an der Schola gemacht, aber ich bin jahrelang bei einem Iatros in die Lehre gegangen.“ Jetzt hob wieder ein Grinsen seine Mundwinkel. „Und keine Sorge, ich arbeite hier mit seinem vollen Wissen und Einverständnis allein. Auch wenn er meint, zu einem richtigen Iatros würde mir immer noch eine Menge fehlen. Jahrzehntelange Erfahrung zum Beispiel – und Demut, das vor allem. Wie das eben so ist mit alten Lehrmeistern…“ Er grinste, bis ihm aufging, dass die Iunia diese Bemerkung womöglich nicht sonderlich vertrauenserweckend fand, was seine Kenntnisse anging. Crios wurde wieder ein wenig ernster. „Wenn du möchtest, kannst du selbstverständlich auch gerne warten, bis er wieder kommt, oder, noch besser, einen Termin ausmachen. Und wenn du tatsächlich schwerwiegendere Beschwerden haben solltest, dann werden wir das sowieso.“


    Augenscheinlich schien ihr aber nicht daran gelegen, zu warten oder wieder zu kommen, oder seine Worte hatten sie nicht in Zweifel über sein Können gestürzt. In jedem Fall erzählte sie ihm, woran sie litt, und Crios lehnte sich ein wenig zurück und musterte sie. „Seekrankheit? Mit den üblichen Symptomen?“ Für gewöhnlich dauerte eine Seekrankheit eigentlich nie länger als eben die Seereise dauerte – höchstens noch einige Stunden länger, bis der Körper sich wieder an den nichtschwankenden Boden gewöhnt hatte. Was auch eigentlich bekannt war. Daher drängte sich ihm die Frage auf, warum die Iunia hier war mit ihrem Anliegen – ihre Wortwahl ließ jedenfalls darauf schließen, dass sie schon länger unter Übelkeit litt. „Wie lange ist die Seereise denn schon her?“ fragte er nach, obwohl er eigentlich schon zu dem Schluss gekommen war, dass etwas anderes dahinter stecken musste. „Von wo bist du gekommen? Und wie lange warst du dort, nur ein paar Wochen oder länger? Was ist mit deiner Ernährung, isst du hier andere Dinge, die dein Magen vielleicht nicht gewöhnt ist?“ Crios unterbrach sich kurz und lächelte entschuldigend. „Tut mir leid für die vielen Fragen. Aber das Beste ist, erst mal ein paar grundsätzliche Dinge abzuklären.“




    Seiana entging keineswegs, wie Caius reagierte auf ihre Worte. Allerdings war sie darum bemüht, einen Kompromiss zu finden, mit dem alle leben konnten – und einfach gar nicht zu reagieren auf Geschenke, die sie bekommen hatten, war schlicht und einfach unhöflich. Sie lächelte Caenis an, als diese sich mit einer Feier einverstanden zeigte, erwiderte gleich darauf Calvasters Grinsen und ignorierte Caius. Als seine Mutter dann allerdings weiter sprach, wurde Seiana klar, dass sie etwas tun musste. Nicht nur wegen des flehentlichen Blicks, den Caius ihr zuwarf, sondern auch ihretwegen. Sie hatte eigentlich keine Lust auf eine Feier – sie würde sich damit arrangieren, wenn es die beste Lösung war, was jedoch nichts daran änderte, dass ihr keine am liebsten wäre. Aber eine Feier in zwei Tagen mit vierzig bis sechzig Leuten – nein. Nein, nein, und nochmals nein. Als sie ihren Vorschlag gemacht hatte, hätte sie nie mit derart vielen Personen gerechnet, und sie wagte auch zu bezweifeln, dass so viele ein Geschenk geschickt hatten. Und sie wusste, wenn sie jetzt nicht eingriff, dann würde es genau so laufen, wie Caenis es vor ihren Augen entwarf. Ebenso wie ihr klar war, dass – wenn sie jetzt nichts sagte – es wohl jedes Mal so laufen würde, wann immer sie auf Caius’ Mutter traf. Und da sie vorhatte, mit Caius ihr Leben zu verbringen, würde das das ein oder andere Mal vorkommen, selbst wenn er sie selten sah. Spätestens wenn Enkelkinder da waren, würde es vermutlich ohnehin wieder häufiger werden, was sie auch verstehen konnte. Nur: sie hatte absolut keine Lust darauf, mit ihren Schwiegereltern, genauer ihrer Schwiegermutter, ein Verhältnis zu pflegen, bei dem sie sich zusammenreißen musste und im Grunde froh war, wenn sie wieder verschwand. Sie wollte es eigentlich nicht schon bei ihrem Antrittsbesuch auf eine Meinungsverschiedenheit ankommen lassen, aber wenn sie jetzt nicht sagte, was sie wollte – und darauf bestand –, dann würde es irgendwann später in Machtkämpfe ausarten, befürchtete sie. So viel hatte sie von Caenis bereits gemerkt in der kurzen Zeit. Und da Caius’ Mutter im Übrigen eine liebenswürdige Frau zu sein schien, wollte Seiana das nicht.


    „Caenis…“ Sie suchte nach den richtigen Worten, was gar nicht so einfach war. Caius selbst war keine große Hilfe, aber in diesem Fall hätte er wohl ohnehin nicht viel tun oder sagen können. „Wir haben unsere Verlobung gefeiert“, wiederholte sie zunächst betont und warf Caius einen Blick zu, den er hoffentlich begriff. Wenn Caenis tatsächlich zu glauben begann, sie hätten so gut wie gar nicht gefeiert, dann wurde es nur umso schwieriger sie von der Idee einer derart großen Feier abzubringen. „Erstens denke ich, dass übermorgen zu knapp ist. Caius und ich bleiben doch ein wenig länger, und wir waren einige Zeit unterwegs. Ich hatte frühestens an nächste Woche gedacht.“ Ihr Tonfall war freundlich, aber bestimmt. Es war immerhin ihre Feier, ihre und Caius’, nicht die von Caenis. „Und vierzig Leute – die ich noch nicht einmal kenne und die auch euch und vor allem Caius wohl nur entfernt, wenn überhaupt, bekannt sind – sind einfach zu viele.“ Vielleicht war sie ein wenig zu direkt, aber es brachte hier einfach nichts, um den heißen Brei herumzureden, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollte, dass Caenis ihren Willen am Ende doch bekam. Drei Brüder zu haben hatte eben doch seine Vorteile – ebenso wie ihre Erfahrungen im Geschäftsleben sich nützlich zeigten. Wenn sie wollte – und die Umstände nicht von ihr verlangten, sich wie, nun ja, eben wie eine gute Römerin zu verhalten –, konnte sie eine harte Verhandlungspartnerin sein. Was sich auch daran zeigte, dass sie das scheinbar naheliegendste Argument gar nicht erwähnte: dass es doch zu viel Mühe sei, so viel zu organisieren. Caenis hätte das mit einer Handbewegung beiseite gewischt, daher sparte Seiana sich die Mühe von vornherein. „Zwanzig, und die Begleitungen sind dabei mit eingerechnet. Wir suchen diejenigen aus, die euch am nächsten stehen. Alle anderen bekommen ein Dankschreiben. Nach der Hochzeit.“ Und Seiana setzte ein Lächeln auf, das fast glauben lassen könnte, sie hätte ihrer zukünftigen Schwiegermutter das Angebot ihres Lebens gemacht.