Beiträge von Fhionn

    Es war seltsam, wieder im Atrium zu sein. Alles schien sich mit einen Mal verändert zu haben. Der Raum, den sie tagsüber am liebsten meidete, hatte nun fast schon etwas Einladendes. Er hatte nichts mehr bedrohliches an sich. Fast schon ein Platz, um loslassen zu können.


    Siv war auf eine der Klinen zugegangen und setzte sich. Das Schweigen, das zwischen den beiden Frauen anhielt, hatte etwas Bedrückendes. Das krampfhafte Suchen nach Worten, etwas was man in den Raum hinein sagen konnte, um damit die Stille zu vertreiben, es hing zumindest über Fhionn. Was konnte sie denn noch sagen? Was würde es jetzt noch nützen? Das, was sie an diesem Abend gesagt hatte, war ungehört verhallt. Niemand wollte es hören, außer vielleicht Siv. Doch auf Siv wollte auch niemand mehr hören.
    Vergessen wollte sie jetzt nur noch. Die schrecklichen Bilder ihrer Tat wollte sie wenigsten für eine kurze Zeit aus ihrem Kopf verbannen. Auch an das, was dem noch folgen würde, wollte sie nicht denken. Langsam nahm auch sie neben Siv auf der Kline Platz. Sie spürte die Anspannung der Germanin und konnte ihr auch gut nachfühlen. Ihr ging es im Grunde ja genauso.
    Stille beherrschte den Raum. Nur das leise Atmen der beiden Frauen war zuhören. Fhionn beobachtete das Spiel der Schatten, das durch die Flämmchen der Öllampen erzeugt wurde. Eine Erinnerung schob die Bilder des heutigen Abends beiseite. Eine Erinnerung an zu Hause, damals, als alles noch scheinbar gut war. Damals, an jenem Abend, hatte sie in ihrem Haus gesessen und auch dem Tanz des Flämmchens ihrer Öllampe zugeschaut. Eigentlich hatte sie auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet. Die Kinder schliefen längst schon und auch ihre Augen wurden langsam müde. Stunde um Stunde war so vergangen. Es waren unruhige Zeiten gewesen auch wenn sie nicht viel von den Geschehnissen mitbekommen hatte. Die Männer des Dorfes bereiteten sich auf eine bevorstehende Auseinandersetzung vor. Der Drang der Besatzer, sich immer weiter nach Norden auszubreiten, war nicht spurlos an ihrem Dorf vorbeigegangen. Man fühlte sich solidarisch mit den Brüdern jenseits der Grenze. Die Brigantes waren von jeher ein stolzes und kriegerisches Volk gewesen, auch wenn man ihnen vor Jahrzehnten schon die Flügel gestutzt hatte.


    "Du auch haben Familie, zu Hause, früher?" fragte Fhionn, zu Siv gewandt, ganz unerwartet in die Stille hinein.

    Fhionn hielt kurz inne und sah Bridhe forschend an. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie konnte sich gar nicht freuen, als sie sie auf das Kind angesprochen hatte. War etwas mit dem Kind oder hatte sie etwas Falsches gesagt? Fhionn wußte nicht, was sie noch tun oder sagen sollte. Am besten gar nichts mehr!


    Da kam ihr der Lehrer wie gerufen! Er hatte den Blick unter anderem auch auf sie gerichtet und ihr war bewußt, daß er auch sie damit angesprochen hatte, als er fragte, ob sie Latein lernen wollten oder müssten.
    Bei Fhionn war es eine Mischung aus beidem. Einerseits verabscheute sie die Römer und alles was von ihnen kam. Aber andererseits konnte es von großer Wichtigkeit sein, ihre Sprache zu beherrschen. Sie wußte selbst, wie schlecht ihr Latein war. Wenigstens verstand sie fast alles, nur mit dem Sprechen haperte es.
    Zuerst war es Merit, die er mit Namen ansprach. Eigenartigerweise bemächtigte er sich einer Sprache, die Fhionn nun überhaupt nicht verstand. Was war das denn? Merit indes, schien mit dieser Sprache überhaupt keine Schwierigkeiten zu haben, denn auch sie beherrschte sie. Das entmutigte Fhionn etwas und erst jetzt wurde ihr bewußt, wie wenig sie doch wußte und konnte.

    Ihr konnte es nur recht sein, daß er sie nicht noch einmal auf die Narbe an ihrer Hand ansprach. Alleine das Nachdenken, wie es zu dieser Narbe gekommen war, bereitete ihr immer noch Schmerzen. Langsam ließ sie ihre rechte Hand unter den Tisch sinken, damit ihre Linke wieder frei war. Er hatte ihr den Teller mit dem Käse zugeschoben und sie aufgefordert, zu essen. Der Duft des Essens war äußerst verführerisch. Erst zögerte sie, doch dann nahm sie sich ein Stück von dem Käse. Ja, er war wirklich gut. Dann nahm sie auch noch ein Stück Brot.
    Erschrocken fuhr sie auf, als er plötzlich Au schrie und seinen Becher hastig auf den Tisch abstellte. Er mußte gar nichts erklären. Sie konnte schon ahnen, was passiert war. "Du langsam trinken, heiß!" Auch wenn es für diese Warnung bereits zu spät war, sprach sie sie dennoch aus, so wie sie es auch bei ihren Kindern getan hätte. Er erwiderte nichts darauf, außer ein Lächeln. Was hätte er auch sagen können.
    Langsam lockerste sich ihre Anspannung. Plötzlich war es das normalste auf der Welt hier zu sitzen- mit ihm- und heißen Wein zu trinken, Brot und Käse zu essen und sich ungezwungen zu unterhalten. Nach gegebener Zeit zeigte der Wein seine Wirkung. Ihre Glieder wurden schwerer und eine Müdigkeit überfiel sie. Ihm mußte es genauso gegangen sein. Langsam schliefen beide ein… in der Küche… am Tisch sitzend….zwei geleerte Becher, ein leerer Teller… nur einige wenige Krümel Brot waren übrig geblieben… Stille....



    ….das erste Krähen eines Hahnes drang an ihr Ohr. Eigentlich wollte sich Fhionn noch einmal umdrehen, um doch noch ein wenig länger Schlafen zu können. Doch sie wußte, daß es unmöglich war. Vorsichtig schlug Fhionn die Augen auf und blinzelte. Nanu, sie war gar nicht in der Küche! Überrascht sah sie sich um. Nein, das war nicht die Küche! Sie lag auf der, mit Stroh gefüllten, Matratze ihres Lagers in der Sklavenunterkunft. War das nur ein Traum gewesen? Es war doch so real gewesen! Sie hatte so intensiv die Nähe des Römers spüren können. Aber es mußte ein Traum gewesen sein! Nie im Leben würde Fhionn sich einem Römer so nähern, wie sie es in ihrem Traum getan hatte. Das war völlig absurd! Fhionn schüttelte nur den Kopf über sich selbst und wunderte sich über ihre Phantasie, die derart mit ihr durchgegangen war. Dann stand sie auf. Ein neuer Tag hatte begonnen.


    ~~ finis~~

    Irritiert blickte sie zu ihm hinunter. Sie stand noch neben dem Tisch, wollte sie eigentlich schon abwenden, um ihn aus sicherer Entfernung beim Essen zu beobachten. "Was.. mit mir?" Sie verstand nicht recht, was er meinte. Doch er konkretisierte seine Fragen noch und sie begriff. Ja sie hatte Hunger und etwas Warmes würde ihr auch nicht schaden. Die nasse Kleidung hatte sie zwar abgelegt, doch war sie völlig ausgekühlt. Nur war sie sich so unsicher, ob sie sich direkt neben ihn setzten sollte. Ihr ganzes Leben war sie misstrauisch gewesen, wenn sie es mit Römern zu tun hatte. So war es früher schon gewesen und dann hatte sich ja ihr Misstrauen auch bestätigt. Nun war sie hier und bislang hatte es keinen Grund für sie gegeben, warum sie ihr Misstrauen hätte aufgeben sollen. Außerdem hatte sie nicht vergessen, wie sie in dieses Haus gekommen war. Er war damals auch anwesend gewesen und hatte sie und die anderen Sklavinnen in Augenschein genommen. Sie hatte ihn damals nicht richtig einschätzen können und war ihm nie unter vier Augen begegnet. Dann waren sie nach Germanien geritten. Aber auch dort konnte sie ihn nur aus der Ferne beobachten. Da sie im Allgemeinen eine Abneigung besonders gegen römisches Militär hatte, war sie auch nicht sehr erpicht gewesen, ihn näher kennenlernen zu müssen.


    "Ich, äh…" Sie wollte noch etwas sagen, ließ es aber dann und setzte sich einfach. Ihr war es nicht ganz geheuer. Verlegen sah sie auf die Tischplatte und bemerkte, daß sie sich noch keinen Becher mit Wein geholt hatte. "Ich holen Becher," sagte sie rechtfertigend und erhob sich. Sie trat erneut zur Kochstelle und füllte einen zweiten Becher mit Wein. Dann kehrte sie wieder zum Tisch zurück und setzte sich. Vorsichtig nahm sie einen kleinen Schluck des Heißgetränkes. Sie spürte, wie die warme Flüssigkeit ihren Weg über die Speiseröhre hinab nahm. Bald breitete sich die Wärme des Weines in ihr aus und sie hörte auf, zu frieren. Nun war es schon um einiges besser. Mit beiden Händen umschloß die den warmen Becher und zehrte von der Wärme. So hätte sie noch lange verharren können, wäre ihr mit Einem nicht bewußt geworden, daß in dieser Haltung, ihre Narbe am Handgelenk gut sichtbar war. Hastig stellte sie den Becher ab und verdeckte ihr Mal mit der anderen Hand.

    Der kurze Anflug von Heiterkeit war längst wieder der Ernsthaftigkeit der Sache gewichen. Dankbar sah sie auf, als er ihr zur Hand ging und ihr den Topf abnahm. Er stellte ihn auf die Kochstelle und goß den Wein hinein. Ihr kam das alles so surreal vor und mit einem Mal fragte sie sich, was mache ich eigentlich hier?
    Der Römer hatte sich inzwischen an den Tisch gesetzt und sah sie mit seinem durchdringenden Blick an. Ihr war das sichtlich unangenehm und so wandte sie sich von ihm ab. Nach einer Beschäftigung suchend, griff sie nach einem hölzernen Kochlöffel, um den Wein damit umzurühren. Auf diese Weise konnte die bereits dampfende Flüssigkeit auch gleichmäßig erhitzt werden. Doch sie rührte länger, als es eigentlich notwendig gewesen wäre. So, glaubte sie jedenfalls, konnte sie den Blicken des Römers entgehen. Draußen im Garten hatte ihr seine Nähe nichts ausgemacht. Im Gegenteil, sie war froh, um seinen Schutz gewesen. Doch nun war sie wieder in ihrer alten Rolle angekommen und die Unsicherheit, die sie jedesmal empfand, wenn sie einem der Familienmitglieder begegnete, war wieder allgegenwärtig.
    Seine Frage befreite sie schließlich von Dauerrühren. Sie hielt inne und schaute zu ihm hinüber. Sie wußte, wo Brot und Käse zu finden waren und normalerweise hatte Niki auch immer einen Vorrat, denn nicht selten kam es vor, daß es am späteren Abend eine der Herrschaften doch noch nach einem kleinen Imbiß verlangte.
    "Ja, ich holen!" Wieder verschwand sie kurz. Diesmal war es die Speisekammer, in die sie ging, um kurze Zeit später mit einem halben Laib Brot und einem Stück Schafskäse wieder herauszukommen. Sie schnitt einige Scheiben von dem Brot ab und legte es zusammen mit dem Käse auf einen Teller, den sie dann vor Ursus auf den Tisch stellte. Statt sich zu ihm zu setzten oder wenigsten bei ihm am Tisch stehen zu bleiben, kehrte sie flux wieder zur Kochstelle zurück, um den Wein zu überprüfen, der seine richtige Temperatur erreicht hatte. Der Duft des heißen Getränkes durchströmte die ganze Küche. Sie griff nach einem Becher und füllte ihn vorsichtig, mittels eines Schöpflöffels, mit Wein, den sie daraufhin ebenfalls vor ihm auf den Tisch abstellte.

    Fhionn versuchte, sich ein Lächeln abzugewinnen, auch wenn es ihr sehr schwer fiel. Sie war immer noch so aufgewühlt, so daß sie sich nicht auf ihr Gebet und das Opfer, das sie ihrer Göttin darbieten wollte, konzentrieren konnte. Sie sah eine Träne in Sivs Gesicht. Gerührt davon, da sie glaubte, die Träne hätte ihr gegolten, wischte sie sie ihr sanft mit einem ihrer Finger weg "Du nicht weinen, Siv. Ja, gehen in Atrium." Sie wollte nicht in die Küche gehen. Nach Essen war ihr nicht und sie brauchte mehr Freiraum und frische Luft, als dies die Enge der Küche zuließ. Corvinus´ Worte hallten noch in ihrem Kopf. Dies wird deine letzte Nacht in diesem Haus sein, doch glaube nur nicht, dass du unbeobachtet sein wirst. Wenn dies Siv sein sollte, die sie nicht unbeobachtet lassen sollte, dann war es ihr recht. Sie hatte sich stets in ihrer Umgebung wohlgefühlt und versucht ihr zu helfen, als Matho sie gequält hatte.
    Fhionn packte ihr Päckchen sorgfältig zusammen und steckte es wieder unter ihre Tunika. Dann erhob sie sich aus ihrer knienden Haltung. Leise schlichen sie aus der Sklavenunterkunft. Die schlafenden Sklavinnen hatten von all dem nichts mitbekommen. Erst morgen in der Frühe würden sie es erfahren. Dann würden sie mutmaßen, warum sie es getan hatte und was jetzt mit ihr geschehen würde und wenn sie dann schließlich tot war, würden sie womöglich noch einen Blick auf ihre Leiche werfen müssen, als Abschreckung.


    Das Atrium war menschenleer. Das Licht der Öllampen war noch nicht gelöscht worden. Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen, dies zu tun, bevor sie zu Bett ging. Doch dann war plötzlich dieser Dang in ihr aufgekommen. Ganz spontan hatte sie den Entschluß gefaßt, dem maiordomus nach dem Leben zu trachten. Nach dem heutigen Tag war das Maß endlich voll! Sie konnte nicht mehr anders. Zuzusehen, wie Matho durch die Herrschaft in ungeahnte Höhen gehoben wurde, weil er doch so pflichtbewußt seinen Dienst in Germanien getan hatte, das widerte sie einfach nur an.

    Sie traf ihn dort an, wo sie ihn verlassen hatte, allerdings wesentlich trockener. Mittlerweile hatte sie sich eine kleine Öllampe besorgt in deren Schein er für sie wesentlich vertrauter wirkte.
    Schweigend folgte sie ihm in die Küche. Alles war dort noch so vertraut für sie, auch wenn sie seit einiger Zeit nicht mehr hier gewesen war. Noch immer wußte sie, wo es zur Speisekammer ging, wo Niki das Brot aufbewahrte, damit es nicht austrocknete und wo der Wein zu finden war.
    Ich möchte unbedingt etwas warmes trinken. Das klang zwar nicht unbedingt wie ein Befehl, doch sogleich machte sie sich an die Arbeit und holte einen Krug Wein. Sicher wollte er einen warmen Wein trinken, was gab es denn auch sonst, was Römer so tranken. Als sie wieder zurückkam, sah sie mit Erstaunen das Feuer an der Kochstelle. Er hatte die Glut tatsächlich erneut entfachen können. "Du können Feuer mache?" fragte sie ungläubig, mußte aber ein Grinsen unterdrücken. Dann erinnerte sie sich wieder an den Weinkrug, den sie in der Hand trug. "Du trinken warme Wein?" fragte sie und sah auf den Krug in ihrer Hand. Dann stellte sie den Krug vorerst ab und suchte nach einem Topf, indem sie das Getränk erhitzen konnte. Schließlich fand sie etwas passendes. Der Topf war sehr schwer und mit einer Hand konnte man ihn kaum tragen. Nachdem sie es mehrmals vergeblich versucht hatte, den Topf zur Feuerstelle zu tragen, zögerte sie erst etwas. "Du können helfen? Bitte?"

    Nein, ein Gott war er nicht. Nachdenklich nickte sie und erwiderte schließlich sanft sein Lächeln. Sie wollte es erst selbst nicht glauben. Sie hatte gelächelt!
    Endlich betraten sie das Haus. Die Wärme wirkte gleich viel einladender. Jetzt nur noch heraus aus den nassen Kleidern und dann etwas Warmes!
    Die kleinen Pfützen, die sich hinter ihnen gebildet hatten, erinnerte sie kurz an die Blutspur, die sie hinterlassen hatte, nachdem sie Matho getötet hatte. Nein, diesmal war es Wasser, kein Blut!
    Sie konnte es sich nicht erklären. Der Römer wirkte schon etwas eigenartig auf sie. Er war so nett und zuvorkommend und er stellte immer wieder solche eigenartigen Fragen. Natürlch hatte sie auch noch eine zweite Tunika. Sie war zwar nicht besonders hübsch, aber doch zweckmäßig. Sie mußte sich nur in die Sklavenunterkunft schleichen, um sich dort ein trockenes Kleidungsstück zu holen. "Ja, ich hole. Gleich wieder kommen." Dann entschwand sie eilig.


    Um die anderen Sklavinnen nicht aufzuwecken, verhielt sie sich äußerst still. Im Bad der Sklaven zog sie sich schließlich um, allerdings nicht, bevor sie sich mit einem Handtuch trocken gerubbelt hatte. Ihr Haar war wirr. Mit einer Bürste versuchte sie es zu bändigen. In einem kleinen Spiegel besah sie ihr Antlitz. Ihre Augen sahen müde und vergrämt aus. Dann versuchte sie zu lächeln. Ja, das war sie, die da lächelte. Sanft strich sie sich über ihre Wange. Sie mußte an sich glauben und wieder lernen, sich selbst zu mögen. Erst hatte sie noch überlegt, ob es nicht besser wäre, nicht wieder zu ihm zurück zu gehen. Doch je länger sie sich im Spiegel betrachtete, wurde es ihr ein Bedürfnis, wieder zurückzukehren. Sie zögerte nicht lange und ging wieder dorthin, wo sie ihn verlassen hatte.

    Er wußte es also auch nicht so genau, doch ein Versuch war es wert. Natürlich würde es viel Zeit brauchen. Vielleicht würde sie auch die Hilfe Anderer in Anspruch nehmen müssen. Was aber bedeutete, sie müßte sich wieder unter Menschen begeben, etwas was ihr derzeit nicht gerade leicht fiel. Aber hatte sie sich nicht auch vor ihm gefürchtet und nun stand sie da und sprach mit ihm. Es war kinderleicht gewesen und es tat gut. Sie fühlte sich viel lebendiger, so als wäre sie aus einem schier nicht enden wollenden Schlaf erwacht. Außerdem glaubte sie, so den Fragen die sie die ganze Zeit gequält hatten, eine Antwort entlocken zu können.
    "Eine Aufgabe? Ich? Was ich tun können?" Sie konnte sich nicht vorstellen, was das für eine Aufgabe sein sollte. Aber vielleicht hatte er ja recht. Man wußte nie, was die Götter mit den Menschen vor hatten.


    Als er sie sanft in Richtung der Villa schob, sträubte sie sich nicht. Auch wenn sie das Haus nicht mochte, weil sie sich darin eingesperrt fühlte, war es doch im Augenblick der beste Platz, um sich aufzuwärmen, bevor sie sich beide noch den Tod holten. Beide waren völlig durchnässt und sie bedurften mehr, als nur ein warmes Getränk oder etwas zu essen. Sie hatte Appetit bekommen und sie spürte ein Hungergefühl. Oft hatte sie versucht, den Hunger zu unterdrücken. Jetzt machte sich ihr Magen mit einem fordernden Geräusch bemerkbar. "Ja, essen und trinken gut. Und Kleidung. Du ganz naß. Ich ganz naß." Sie deutete auf ihre beiden tropfenden Tuniken, die nicht mehr nässer werden konnten, als sie es bereits waren.

    Es hatte erheblich abgekühlt. Von der Schwüle war nichts mehr zurückgeblieben. Der Regen hatte eine reinigende Wirkung gehabt. Er hatte dafür gesorgt, daß so mancher Staub einfach hinfort gespült wurde. Der morgige Tag konnte mit neuer erquickender Frische beginnen. Das Gewitter indes, zog weiter. Der Abstand zwischen Blitz und Donner wurde stetig größer und bald würde auch der Regen ein Nachsehen haben.
    Engumschlungen standen die beiden völlig durchnässten Körper da. Sie hatte dadurch so etwas wie Schutz und Wärme erfahren. Etwas was ihr lange Zeit versagt geblieben war. Er versuchte ihr neuen Mut zu geben, damit sie ihre große Furcht besiegen konnte und vielleicht sogar zurückkehren konnte in ihr altes Leben. Aber war eine Rückkehr so erstrebenswert? Was erwartete sie hier?
    Er sprach von Schwäche und Stärke. Sie solle an sich glauben, so könne sie Matho besiegen. War das die Lösung, nach der sie die ganze Zeit gesucht hatte? Es wäre zu schön gewesen, wenn sie endlich gefunden hätte, wonach sie gesucht hatte. Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimte allmählich in ihr auf und sie sah ihm abermals an, als wolle sie sich versichern, ob sie auch richtig gehört hatte. "Dann Matho weg? Weg aus Kopf?" Noch einmal bäumte der Wind sich auf und schickte eine heftige Bö zu ihnen, die sie beide frösteln ließ. Er nieste und aus einem Reflex heraus, sagte sie plötzlich in ihrer Sprache: "Gesundheit!" ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß auch sie sich verkühlen konnte.
    Erneut stellte er ihr eine Frage, die sie mehr als überraschte. Wo hätte sie hingehen sollen? Die Mauern der Villa waren gezwungenermaßen ihr neues Zuhause. Trotz allem war sie immer noch Sklavin und die Kraft, um eine Flucht zu wagen, hätte sie niemals aufbringen können. Das mußte er doch wissen! Oder hatte seine Frage gar eine andere Bedeutung? Wollte er einfach nur wissen, wie und warum sie überlebt hatte? Sie konnte ja nicht ahnen, daß er glaubte, er hätte einen Geist vor sich.
    Sie hatte sich auch oft gefragt, was die Götter damit bezweckt hatten, sie einfach überleben zu lassen, warum sie nicht damals an der Seite ihrer Kinder den Tod gefunden hatte. Und auch diesmal hatte sie das Unmögliche überlebt. Aber warum nur war das Überleben immer mit so viel Schmerz verbunden? War das der Preis dafür?
    "Ich nicht wissen, warum Götter nicht nehmen mir, damals in Britannia und hier. Du glaube, ich Matho besiegen? Was dann? Dann ich frei?" Nein, das glaubte sie nicht! Das war unwahrscheinlich. Als sie noch darüber nachsinnierte, kam noch eine weitere unerwartete Frage. "Ja, kalt. Ich frieren!" Die nassen Kleider auf ihrer Haut trugen nicht gerade dazu bei, die Wärme seiner Umarmung zu speichern. Kaum hatte sie das gesagt, mußte auch sie niesen.

    Ihre Kinder waren es, die sie am meisten vermisste. In ihrer letzten Nacht hatte sie sich vorbereitet. Sie hatte Brigantia ihr Wertvollstes gegeben, damit sie sie beschützte. Doch dann kam die Ernüchterung, als sie aus der Bewußtlosigkeit erwacht war. Nichts war so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Stattdessen fand sie sich, eingehüllt in einer alten, fleckigen Tunika wieder. Ihren Arm hatte man mit einer linnenen Binde verbunden. Der Schmerz war unbändig. Es hatte Tage gedauert, bis eine Besserung eintrat. Sie hatte es vermieden, sich die Wunde anzuschauen. Erst als man ihr den Verband abnahm, sah sie die Narbe. Sie hatte sich betrogen gefühlt. Irgendetwas hatte verhindert, daß sie den letzten Schritt machen konnte, um hinüber zu gehen und dann mit ihren Kindern wieder vereint zu sein.


    Für einen Augenblick war sie in ihren Gedanken verloren, dann hörte sie wieder seine Stimme, die von wehren und kämpfen sprach. Fragend sah sie ihn an. Sie konnte nicht mehr kämpfen und sich wehren. Dazu war sie viel zu schwach. "Nicht kämpfen. Nicht Kraft dafür. Ich schwach." Sie hatte ihren Blick gesenkt, denn ihre Schwäche machte sie betroffen. Wenn Matho sie hätte sehen können, hätte er sicher wieder seinen Spott an ihr ausgelassen. Er hätte sich sicher großartig über sie amüsiert. Manchmal glaubte sie, sie könne diese Schwäche absteifen, indem sie dieses Leben abstreifte. Doch das war leichter gedacht, als getan. Dieses Leben hing zäh an ihr, gleich was sie auch tat.


    Eine unerwartete Bemerkung ließ sie dann wieder aufsehen. Du bist so dünn, hatte er gesagt. Sie war abgemagert, denn manchmal vermied sie es tagelang, Nahrung aufzunehmen. Nur das nötigste aß sie. Meist holte sie sich etwas zu essen, wenn alle anderen bereits gegessen hatten, damit niemand sie sah. Die Anwesenheit anderer konnte sie nicht ertragen. Verwunderlich war es nur, daß sie hier ganz anders fühlte. Seine Anwesenheit gab ihr Sicherheit. "Nicht viel essen, nicht viel brauchen."

    Das klang plausibel in ihren Ohren. Auch wenn sie immer noch nicht nachvollziehen konnte, wie Matho es geschafft hatte, sein Verhalten so lange vor den Augen Corvinus´ zu verbergen.
    Allmählich ließ ihre Anspannung nach. Sie spürte seine Wärme auf ihrer nassen Haut. Es war lange her seit sie zum letzten Mal einen anderen Menschen so nah an sie heran gelassen hatte. Die Art wie er mit ihr sprach, verwunderte sie auch. Niemand hatte nach den Geschehnissen davon gesprochen, welch großes Unrecht ihr widerfahren war. Dann sprach er von Zorn, ihrem Zorn und er wollte wissen, gegen wen ihr Zorn gerichtet war. "Zorn? Ich nicht Zorn," antwortete sie überrascht. Wenn sie jemals zornig war, dann gegen Matho. Sie hegte keinen Zorn gegen Corvinus oder ihn. Es machte sie nur traurig, wenn sie daran dachte, wie Corvinus sie zur Rede gestellt hatte, aber nichts hören wollte, als sie ihre Tat begründen wollte.
    "Leid nicht vorbei werden. Leid immer da, jede Tag. Ich kann nicht vergessen, was alles passiert ist. Matho immer in Kopf. Nicht los lassen." Auch wenn der maiordomus tot war, verfolgte er sie noch immer . An manchen Tagen gelang es ihr nicht, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Geschwige denn in der Nacht. Oft irrte sie nachts umher. So quälte er sie auch noch über den Tod hinaus. "Niemand habe Mut, sagen Matho böse. Viel Angst!"


    Der Ohrenbetäubende Donnerschlag ließ sie beide zusammenfahren. Eine unsagbare Furcht hatte sie ergriffen und sie begann zu zittern. Jetzt klammerte sie sich mit der gesunden Hand an ihn. Seine Nähe vertrieb ihre Furcht.
    Dann stellte er ihr die gleiche Frage, die sie sich auch immer und immer wieder gestellt hatte. Warum bin ich noch hier? "Nicht weiß, warum. Ich aufwachen und sein hier, nicht in Inys Afallach. Nicht bei Kinder."

    Caelyn- der Name klang vertraut. Die blonde Sklavin war immer nett zu ihr gewesen, obwohl sie manchmal Schwierigkeiten hatte, sie richtig zu verstehen. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie Matho nicht mochte und auch der maiordomus mochte sie nicht besonders. Doch sie ließ sich niemals von ihm unterkriegen. Das hattesie an ihr immer bewundert. Sie erinnerte sich an ihren Besuch in der Villa in Mogontiacum. Es war der Tag, an dem Siv nach ihrer Flucht wieder zurück gebracht worden war. Am gleichen Tag noch, hatte Matho die Germanin für den Rest ihres Aufenthaltes in den Keller gesperrt und ließ sie hungern. Merit-Amun, die Ägypterin und sie hatten Siv des Öfteren mit Nahrung versorgt.


    Er hatte Corvinus berichtet, wie der maiordomus sich aufführte? Sie stutze, als sie das hörte. "Du geschrieben Corvinus? Und er mich… trotzdem...?" Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Aber er sagte auch, es wäre zu spät gewesen. Vielleicht war der Brief erst später angekommen.
    Der Regen nahm stetig zu. Innerhalb weniger Minuten, war es kühler geworden. Der Wind blies immer heftiger und das Gewitter war nun ganz nah. Es wurde im Garten so richtig ungemütlich, doch ihr machte das wenig aus. Nur vor dem Donnergrollen fürchtete sie sich. Unvermittelt legte der Römer seinen Arm um ihre Schultern. Anfangs war ihr das sehr zuwider. Ihr Oberkörper versteifte sich und ihr Atem zitterte. Erst wollte sie sich dagegen wehren, doch dann empfand sie es doch als angenehm und ließ ihn gewähren. Das Wasser tropfte aus ihren Haaren über ihr Gesicht. Ihre nasse Tunika klebte an ihr und zeichnete so ihren ausgezehrten Körper ab.
    Der Römer wollte noch mehr wissen. Jetzt frage er nach dem, an das sie sich nie wieder erinnern wollte. Corvinus hatte sie zum Tode verurteilt. Morgen, wenn die Sonne am höchsten steht, wirst du ans Kreuz geschlagen. Und ich werde dabei zusehen, wie die Krähen über dir kreisen und darauf warten, dass du dein jämmerliches Leben aushauchst. Sie erinnerte sich noch genau an jedes einzelne Wort. Die Worte hatten sich in ihr Hirn gebrannt. Sie waren in der letzten Nacht ihres jämmerlichen Lebens allgegenwärtig gewesen und sie pochten in ihrem Kopf am darauffolgenden Tag als sie kamen, um sie zu holen.
    "Corvinus sagen,... ich... an Kreuz sterben," antwortete sie schließlich gehemmt. Nein, sie wollte sich nicht daran erinnern! Das Erlebte noch einmal durchleben zu müssen, davor hatte sie Angst.

    Das hatte sie sich auch ständig gefragt, nachdem sie aus der Bewußlosigkeit wieder erwacht war. Zuerst hatte auch sie geglaubt, sie sei tot. Die Schmerzen aber erinnerten sie daran, daß noch ein Hauch von Leben in ihr war. Tagelang hatte sie dagelegen und sich selbst eingeredet, sie sei nicht würdig genug gewesen, um in die Anderswelt aufgenommen zu werden. Ohne Zweifel, sie hatte Schuld auf sich geladen. Deswegen war sie nun dazu verdammt, ihr jämmerliches Leben hier zu fristen. Nein, Fhionn war tot, was übrig geblieben war, war nichts.
    "Ich nichts!", sagte sie im gleichen ruhigen Ton. Als sich plötzlich seine Hand ihrem Handgelenk näherte, zog sie ihren Arm ängstlich zurück. Sie traute ihm nicht im geringsten. Sie traute niemandem mehr. Im Gegenteil, sie fürchtete sich jetzt noch mehr, da nun alles, was sie verdrängen wollte, wieder von neuem ans Tageslicht gefördert worden war. Sie hatte Angst, darüber nachzudenken, geschweige denn darüber zu sprechen.
    Er fragte sie, was geschehen war, warum sie nichts gesagt hatte. Sie hatte etwas gesagt, nach ihrer Tat. Doch da glaubte ihr niemand mehr. Darin lag ja die Perversion. Hätte sie vorher gesprochen, wäre ihr Mathos Rache sicher gewesen. Aber wahrscheinlich hätte man ihr oder jedem anderen auch nicht geglaubt, denn sie waren ja nur Sklaven.
    "Ich töten Matho mit Messer" Mit ihrer Linken machte sie eine Stoßbewegung, um zu verdeutlichen, wie sie es getan hatte. "Matho immer waren böse, nichts geben zu essen, zu trinken, musse draußen schlafen an Wagen gebunden mit Seil und hier niemand sagen Matho böse, nein sagen Matho gute Mann." Endlich hatte sie ausgesprochen, was sie selbst nach der Tat nicht sagen konnte und sie spürte, wie gut ihr es tat.
    Doch dann kam ein heftiger Windstoß und ein lautes Donnern war zu hören, gefolgt von einem grellen Blitz. Willkürlich begannen erst einige, dann aber immer mehr Regentrofen auf die Erde zu prasseln. Sie zuckte erschrocken zusammen, da sie fürchtete, Mathos Geist könne sie verfolgen, jetzt da sie ihn verraten hatte.

    Das Grollen des Gewitters rückte näher. Bedrohlich zuckten Blitze am Himmel. Auch der Wind hatte zugenommen. Das Quaken der Frösche war schlagartig verstummt. Nur die Schleiereule saß noch in ihrem Baum und sah dem Treiben unter sich zu. Gelgentlich quittierte sie dies mit ihrem fauchenden Ruf.


    Mit ihren letzten Kräften versuchte sie sich ihren Verfolger vom Hals zu halten. Doch was war das? Unerwartet ließ er von ihr ab. Ja, er machte sogar zwei Schritte zurück. Sollte sie ihn etwa so eingeschüchtert haben? Oder war dies nur reine Taktik?
    Völlig außer Atem, versuchte sie sich zu beruhigen. Jetzt, da sie zum ersten Mal in das Gesicht ihres Verfolgers sehen konnte, erkannte sie ihn. Es war der Römer, mit dem sie nach Germanien geritten war. Das schien so unendlich lange her gewesen zu sein. Ja, das mußte er sein! Und auch er hatte sie erkannt. Er nannte sie bei ihrem Namen Fhionn. Es war lange her, seit man sie das letzte Mal so gerufen hatte. Doch dieses Mal war es so seltsam anders. Er zögerte mit seinen Worten und sie spürte so etwas wie Furcht in seiner Stimme. Aber sie traute dem ganzen nicht. Furchtsam versuchte sie sich in eine Position zu bringen, in der es für sie ein Leichtes war, wieder aufzustehen oder gar fort zu rennen. Sie musterte ihn, denn sie wußte immer noch nicht so recht, was sie von all dem halten sollte.
    "Fhionn tot! Fhionn gestorben," sagte sie langsam. "Du sehen?" Sie hob ihren recht Arm nach oben, der seltsam am Handgelenk verformt zu sein schien. Seit ihr Handgelenk zertrümmert worden war, konnte sie ihre rechte Hand nur noch bedingt benutzen. Noch immer bereitete es ihr Schmerzen, wenn sie aus Unachtsamkeit die Narben berührte.

    Als sie sah, wie nah ihr Verfolger schon an sie herangekommen war, versuchte sie verzweifelt sich erneut aufzuraffen, um doch noch flüchten zu können. Doch ihre Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Schon bald hatte der Fremde sie erreicht und beugte sich bedrohlich über sie. Mit seinen Händen versuchte er sie zu packen. Sie indessen, versuchte sich mit aller Kraft gegen ihn zu wehren. Keuchend und kreischend schlug sie um sich, so als hinge ihr Leben davon ab.
    Er hatte sie etwas gefragt und sie hatte nur allzu gut verstanden. Es war die Sprache derer, die sie verletzt verletzt hatten, die Sprache der Feinde. Eine gewisse Vertrautheit konnte sie der Stimme schon entnehmen. Aber sie konnte sie nicht wirklich einordnen. Zu lange war es her und viel zu viel war geschehen. Und wenn schon, ihm könnte sie auch nicht mehr vertrauen.
    "Laß mich los! Was willst du von mir? Geh weg!" brüllte sie ihm in iher Sprache entgegen.
    Je mehr sie sich wehrte und schrie, spürte sie, wie das Leben in sie zurückkehrte. Ihr Herzschlag raste und sie spürte, wie das Blut durch ihre Adern schoß. Eine seltsame Erfahrung mußte dies für sie sein, da sie schon geglaubt hatte, nie wieder wirklich leben zu können.
    Erbittert leistete sie Widerstand, auch wenn er aussichtslos war, genauso wie ihr neuaufgeflammtes Leben.

    Noch ahnte sie nichts davon, nicht die einzige zu sein, die den Garten einem überhitzen Schlafraum vorzog. Sie tat sich schwer damit, an einem Ort zu verweilen. So war sie ständig in Bewegung auf der Suche nach etwas, was sie auch in dieser Nacht nicht finden würde.
    Ihre Augen und Ohren waren bereits darauf geschult, sich in der Nacht zu Recht zu finden. Jedes Knacken der Bäume, jeder Windhauch und auch die Geräusche der Geschöpfe der Nacht konnte sie hören. Genauso blieb ihren Augen in der Dunkelheit nichts verborgen.
    Das Rascheln von Blättern und das Geräusch von brechenden Zweigen riß sie aus ihrem zwanghaften Tun. Ängstlich schaute sie auf. Sollte ihr jemand gefolgt sein? Welches Interesse sollte derjenige haben, wenn er sie hier fand? Sie war weit entfernt, von dem Menschen, der sie einmal war und was sie einmal war. Doch nun war die Angst wieder da. Dieses Gefühl, des nicht entrinnen Könnens. Wirr schaute sie sich nach einem Platz um, an dem sie sich verstecken konnte, einem Ort, an dem sie sicher war.
    Vorerst versteckte sie sich hinter dem Stamm eines altehrwürdigen Olivenbaumes. Von dort aus versuchte sie zu erspähen, wer ihr auf der Spur war. Alles was sie von ihrem Standort erkennen konnte, war die Gestalt eines Mannes, den sie aber nicht kannte. Da sie sich nahezu vollkommen von den Lebenden zurückgezogen hatte und nun nur noch in ihren Erinnerungen mit ihren Toten lebte, wußte sie auch nichts von der Heimkehr des Aureliers aus Germanien.
    Sie bemerkte, wie sich dieser Mann ihrem Olivenbaum immer mehr näherte. Gleich würde er hier sein und sich ihrer bemächtigen können. Ihr Herz begann voller Furcht wild zu schlagen. Es gab nur noch eine Möglichkeit- einfach davon zu rennen und zu hoffen, daß er sie nicht bemerken würde. An Schnelligkeit hatte sie in all der Zeit, seit sie hier war, nichts eingebüßt. So riß sie sich von dem Stamm des Olivenbaumes, der ihr nicht mehr lange Sicherheit bieten konnte, los und rannte, so schnell sie konnte, allerdings ohne ein genaues Ziel im Sinn zu haben. Als sie sich nach dem Fremden umsehen wollte, stolperte sie plötzlich und viel zu Boden. Den Schmerzensschrei versuchte sie zu unterdrücken, so gut es ging. Lediglich ein leises Wimmern war von ihr zu hören. Sie versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Doch sie tat sich sehr schwer dabei.

    Die Nacht war schon längst hereingebrochen. Doch die Schwüle des Tages hielt noch unvermindert an. Ein leichter Wind der allmählich an Intensität gewann, strich durch die Bäume. In der Ferne konnte man das Grollen eines Gewitters erahnen, das sich zu nähern schien. Der Schein des Mondes wurde hin und wieder durch vorüberziehende Wolkenfetzen verdeckt. Alle Türen der Villa, die zum Garten hinaus führten waren geöffnet, damit so wenigstens in der Nacht die Hitze des Tages entweichen konnte. Der Wind spielte mit den über den, Türen angebrachten Vorhängen und ließ den Stoff unbändig flattern. In einem der Bäume saß eine Schleiereule, die bereit zur Jagd war. Gelegentlich hörte man ihren gespenstig anmutenden Ruf. Auch in dieser Nacht gaben, die am Teich angesiedelten Frösche, ihr Konzert.


    Nur wenige der Bewohner fanden in dieser Nacht einen erholsamen Schlaf. Die Einen hinderte schlichtweg die unerträgliche Wärme, die ein rasches Einschlafen unmöglich machte, obwohl ihnen der vergangene Tag sehr viel abgerungen hatte. Andere wiederum konnten nicht schlafen, da sie versuchten, zu verarbeiten, was der Tag oder das Leben so mit sich gebracht hatte.
    Der Garten war in dieser Nacht sicher nicht der schlechteste Platz, um etwas Entspannung zu finden, wenn der Schlaf eh noch fern war. Solange das nahende Gewitter die Stadt noch nicht erreicht hatte, war man hier sicher.


    Die Gestalt einer Frau, deren Körper in eine grobgewebte wollweiße Tunika gehüllt war, wanderte rastlos zwischen den Bäumen umher. Aus Angst, noch einmal verletzt werden zu können, hatte sie sich freiwillig zurückgezogen. Sie vermied jeglichen Kontakt zur Außenwelt, so gut es eben ging. Ja, sie war zu einer Art Gespenst geworden, das nur von sensiblen Menschen wahrgenommen wurde, das man aber im Allgemeinen nicht sah. Gespensterhaft musste nun auch ihre Erscheinung wirken.
    Nun sollte man meinen, daß sie diese Einsamkeit liebte und sich hier, wenn auch sonst nirgends, wohl fühlte. Doch dem war nicht so. Sie war auf der Suche nach etwas, was sie aber auch nach stetigem Suchen nicht gefunden hatte. Getrieben von ihrem Gewissen und einer fixen Idee, doch noch ihren Frieden finden zu können, war sie fast jede Nacht hier draußen. Das Geschehene lastete bleischwer auf ihren Schultern und ließ sie zu keiner Zeit zur Ruhe kommen. War dies der Preis, den sie nun letztlich für ihr Handeln zahlen mußte? Wie süßer dagegen mußte doch der Tod sein!


    Sim-Off:

    Reserviert! ;)

    Um nicht völlig ihrer Angst zu erliegen, versuchte Fhionn jegliche Gedanken an den morgigen Tag zu verdrängen. Die Angst vor der grausigen Art, wie sie vom Leben in den Tod befördert werden sollte, war übermächtig und sie drohte, sie vollkommen zu verzehren. Leise, ganz leise wisperte sie einige Worte in ihrer Sprache in den Raum. Ihre Augen waren immer noch auf die kleine Fensteröffnung gerichtet. Das weiße Licht des Modes hüllte ihr Gesicht ein. Oh, Strahlende, du große Göttin meines Volkes, hilf mir! Verlaß mich nicht! Sie hatte nichts, was sie ihrer Göttin hätte darbringen können, außer dem kleinen Stoffpäckchen, das sie seit dem Tag ihres größen Unglückes direkt auf ihrem Körper bei sich trug. Ihre Hand fuhr unter ihre Tunika und förderte jenes kleine Päckchen aus einfachen groben Stoff hervor. Es war lange her, seitdem sie es zum letzten Mal geöffnet hatte.
    Ihre zittrigen Finger versuchten den groben Faden zu lösen, der das Päckchen zusammen hielt. Dann, endlich hatte sie es geschafft. Ehrerbietig öfnnete sie es. Ein kleines Büschel roter Haare kam zum Vorschein. Beim diesem Anblick wurden ihre Augen feucht. Sachte roch sie an dem Inhalt des Päckchens, so als könne es den Geruch aus einer längst vergangenen Zeit konservieren. Sanft küssten ihre Lippen das Büschel Haare.
    Dann hob sie das Päckchen dem Licht des Mondes entgegen. Ihr aller wertvollstes, was sie in dieser Welt noch besaß, war sie bereit, zu geben - einige Locken ihrer toten Kinder. Dann legte sie sie vor sich ab.

    Sie hatte Sivs Ankunft nicht bemerkt. Erst als die Germanin plötzlich neben ihr saß und ihr über das offene Haar strich, wandte sie sich zu ihr um. "Danke, du hier!"

    Fhionn fühlte sich so schwach und hilflos. Es schmerzte sie zusehends, wie der tyrannische maiordomus mit jedem einzelnen von ihnen umging. Seine Geringschätzung, Siv gegenüber, wurde immer stärker. Er sah in ihr keinen Menschen mehr. Sie war für ihn nichts weiter mehr, als ein lästiges Insekt, das er jetzt noch nicht zertreten durfte. Er musste es wohlbehütet nach Rom schaffen und genau darin lag wohl auch sein ganzer Hass begründet, den er gegen Siv empfand. Fhionn stand in seiner Beliebtheitsskala ebenfalls nicht sehr hoch. Was auch immer sie getan hatte, um ihn dermaßen zu reizen, sie konnte es sich selbst nicht erklären. Längst hatte sie den Stein in ihrer Hand wieder sinken lassen. Der Mut, der kurz aufgeblitzt war, hatte sich längst wieder verflüchtigt.
    "Nicht gehen gut mit Stein," versuchte sie sich noch mit zittriger Stimme zu verteidigen. Angesichts Mathos Reaktion, Siv gegenüber, konnte sie sich aber schon ausrechnen, welchen Spott ihre Worte bei Matho verursachen mußten. So widmete sie sich wohl oder übel wieder dem bereits krummen Hering und versuchte ihn erneut in die Erde zu treiben. Diesmal war aber das Unglück perfekt. Der Schlag des Steines hatte ihn nun ganz aus der Form gebracht und schlimmer noch, die Öse des Herings war nun auch noch abgebochen. Somit war er nun unbrauchbar geworden. Fhionn geriet bei dessen Anblick ins Schwitzen. Es war kalter Angstschweis, der sie nun auch noch erzittern ließ. Was sollte sie jetzt nur machen? Ersatz gab es keinen mehr. Den Tränen nahe blickte sie zu Matho auf, dem es Freude bereiten mußte, sie so zu sehen.