Beiträge von Fhionn

    Als Fhionn das officium verlies, um sich auf ihre letzte Nacht vorzubereiten, fing ihr Blick beim Vorübergehen Sivs erschütternden Ausdruck ein. Die Hilflosigkeit mußte der Germanin schwer zu schaffen machen. Schließlich war sie es, auf die Fhionn gebaut hatte, doch letztlich war auch sie machtlos. Was konnte eine Sklavin schon ausrichten gegen die bereits feststehende Meinung eines Römers und die Germanin hatte es ja bereits gründlich verdorben mit ihrem Herren. Die vermeindliche Macht die sie vielleicht einst über ihn besessen hatte, war im Sande versiegt, wie ein Rinnsal.
    Auch Oristes, so kam es Fhionn zumindest vor, hatte sich ihr gegenüber verschlossen. Niedergeschlagen und von allen verlassen, schritt sie den Korridor entlang, zur Unterkunft. Dort wo sie ihre letzte Nacht in diesem Leben verbringen würde.
    Leise schloß sie die Tür hinter sich. Diese letzte Nacht wollte sie nicht zum schlafen nutzen. Es galt sich, vorzubetreiten auf die Reise, die sie antreten würde. Sie war sich bewußt, diese Reise würde eine beschwerliche Reise werden. Viel beschwerlicher, wie die, die sie in dieses Haus gebracht hatte. Diese letzte Nacht wollte sie auch dazu nutzen, um mit allem abzuschließen, was sie in dieser Welt noch hielt. Sie wollte ihre Götter bitten, sie in der schrecklichsten Stunde, die ihr bevorstand, nicht zu verlassen. Sie wollte sie um Stärke bitten. Der morgige Tag sollte nicht dazu dienen, jammervoll zu Grunde zu gehen. So wie die Krieger ihres Dorfes, die sich vor und während des Kampfes mit ihrem Schlachtruf gegenseitig Mut schenkten, so wollte sie gehen. Daß sie vor dem Römer auf Knien um Gnade betteln wollte, kam für sie nicht in Frage. So wollte sie es sich wnigstens vornehmen. Doch wozu Menschen im Angesicht des Todes fähig waren, hatte sie schon einige Male miterleben müssen. Sie hoffte für sich selbst, nicht derartig zu straucheln. Der Römer sollte sich nicht auch noch an ihrer Schwäche ergötzen können.
    Im Schein des Mondes, dessen schwacher Lichtstrahl durch die kleine schmale Fensteröffnung in den Raum fiel, saß sie kniend auf dem blanken Steinboden und richtete ihren Blick dem Licht entgegen. Die Tränen, die ihr die Wangen hinunter geronnen waren, waren längst getrocknet. Beim Anblick des Mondlichtes zuckte ein sachtes Lächeln über ihre Lippen. Das Wiedersehen mit ihren Kindern war nicht mehr fern. Dieses Wissen schenkte ihr Trost, wenigstens für den Augenblick.

    Auch Siv ließ nichts unversucht, um Corvinus von der Wahrheit zu überzeugen. Doch ihre Worte, genauso wie die von Fhionn prallten an ihm ab. Seine Meinung stand für ihn fest und daran gab es nicht mehr zu rütteln. Fhionn hatte bereits damit gerechnet, selbst nichts mehr ausrichten zu können. Nun gab es nur noch eins, sich seinem Schicksal zu ergeben.
    Die Abfuhr, die er ihr erteilt hatte, demontierte sie nun zusehends. Die Emotionslosigkeit, mit der es getan hatte, nahm ihr auch die letzte Hoffnung. Für Corvinus war sie bereits tot.
    Gesenkten Hauptes ging sie auf die Tür zu, dort wo Siv noch stand und dort, wo sich nun auch noch Orestes eingefunden hatte. Bevor sie die Tür durchschritt, erhob sie noch einmal ihren Blick. Ihre feuchten Augen streiften Siv und Orestes. Selbst er hatte ihr nicht mehr helfen können, obwohl sie ihm doch Verttrauen entgegen gebracht hatte. Dann lief sie den Korridor entlang, zur Unterkunft.
    Diese letzte Nacht, die sie noch hatte, würde sie nicht zum Schlafen nutzen. Dafür war sie zu kostbar. Sie brauchte Zeit um sich zu sammeln und um sich vorzubereiten, damit sie am Ende mit denen, die bereits vorausgegangen waren, wieder vereint würde.

    Corvinus´ Worte verwiesen Siv zurück in ihre Schranken. Er hatte ihr keine Gelegenheit dazu geben wollen, das auszusprechen, wozu Fhionn immer noch nicht fähig war. Er wollte Beide nur noch aus seinem Blickfeld haben. Wohlweißlich Fhionn damit noch mehr unter Druck zu setzen, wies er sie auf ihre letzte Nacht in der Villa und damit auch auf die letzte Nach ihres Lebens hin. Dadurch verstärkte sich das Zittern nur noch mehr und sie war abermals froh, Siv in ihrer Nähe zu wissen.
    Die Germanin jedoch ließ sich nicht so einfach mundtot machen. Sie nahm all ihren Mut zusammen, schluckte ihren Schmerz hinunter und stellte sich demonstrativ vor Fhionn, so als könne sie sie damit vor dem grausamen Tod bewahren. Fhionn indes gewann dadurch wieder etwas an Sicherheit. Sie konnte sich sammeln und – hoffen. Wieder wollte Siv ansetzen, wollte ihm endlich eine Erklärung abgeben. Aber auch diesmal wusste Corvinus dies zu verhindern. Kurzerhand setzte er sie dann vor die Tür.
    Nun war er mit Fhionn allein. Noch einmal wandte er sich appellieren an die Sklavin, wobei er wahrscheinlich nicht mehr damit rechnete, noch etwas aus ihrem Mund zu hören.
    "Matho schlecht! Er schlecht zu mich, schlecht zu Siv, schlecht zu alle!" Ihre Stimme war zittrig und leise, aber sie hatte den Mut aufgebracht, sich endlich zu äußern.

    Während Corvinus noch näher an Fhionn herangetreten war und damit begann auf sie einzureden und mit jedem Satz lauter und bedrohlicher wurde, fürchtete sie schon, dem finsteren Blick und den messerscharfen Worten nicht standhalten zu können, ja von ihnen regelrecht zerfleischt zu werden, so wie die Klinge des Messers Mathos Brust zerfleischt hatte. Die Furcht und auch der Schrecken waren in Fhionns Antlitz zurückgekehrt und verdrängte nun auch noch das letzte Stückchen ihrer einst so aufrechten Haltung. Sie versuchte einen Schritt nach hinten zu wagen, doch ihre Waden stießen an den Stuhl an, der hinter ihr stand. Eine Rechtfertigung verlangte er. War er denn so blind? Oder hatte es Matho einfach nur so gut verstanden, seine Art zu handeln, vor den Augen seines Herrn zu verbergen?
    Corvinus´ Zorn war unübersehbar. Fhionn begann zu zittern. All den Mut, den sie sich gemacht hatte war dahin geschmolzen. Sie hatte nur noch das Bedürfnis, sich in eine Ecke zu verkriechen, sich so klein zu machen, daß niemand sie mehr sah.
    Als er schließlich auf ihre Strafe zu sprechen kam und sie erfuhr, wann es zu Ende gehen sollte, wurde der Druck in ihr immer stärker, so daß sie glaubte, zerbersten zu müssen. Sie hatte bereits gewußt, was auf sie zu kommen würde, sie kannte diese Art der Hinrichtung. Mehr als einmal hatte sie die halbverwesten, von Krähen angefressenen Leiber, die man ans Kreuz geschlagen hatte, gesehen. Nur zu gut konnte sie sich die Schmerzen ausmalen, die dieser Tortur vorausgingen und die erlitten werden mussten, bis endlich der Tod eintrat.
    Sie versuchte nach Worten zu suchen. Worte, die ihr vielleicht das Schlimmste ersparen konnten. Unter diesem Druck war es aber aussichtslos.
    Doch dann geschah etwas, womit sie nicht mehr gerechnet hatte. Siv trat plötzlich wieder neben sie und legte behutsam ihrem Arm auf ihre Schulter. Eine unbeschreibliche Erleichterung durchfuhr Fhionns Körper. Sie war nicht mehr allein. Siv war wieder da. Ihre Mundwinkel zuckten leicht, so als wollten sie ein Lächeln andeuten, doch sie wurde sich sofort wieder ihrer Lage bewusst. Die Germanin sprach das aus, was sie nicht aussprechen konnte, wo ihr einfach die Worte gefehlt hatten. Doch die Worte der Germanin erhielten prompt einen Dämpfer, als sie von Corvinus unterbrochen wurde.

    Gefolgt von Chimerion, der nun in neuem Gewand erstrahlte und wieder wie ein Mensch aussah, betrat Fhionn das Atrium. Suchend sah sich sich nach der Römerin um und fand sie schließlich in einem Sessel sitzend, während sie etwas las.
    Fhionn räusperte sich kurz, um sich bemerkbar zu machen.
    "Herrin, Sklave ist da. Ist sauber,"sagte sie und bedeutete Chimerion, näher zu treten. Sie selbst trat etwas in den Hintergrund. Wenn sie nicht mehr gebraucht wurde, dann würde sie gleich verschwinden.

    Fhionn hörte sich seine Geschichte, die nicht minder traurig war, wie die ihre,an. Doch dieser Mann hatte versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Er war geflohen! Auch wenn er nicht weit gekommen war, so hatte er sein Schicksal in die eigenen Hände genommen, eine Stärke, deren Fhionn verlustig gegangen zu sein schien. Im Augenblick hätte sie nicht die Kraft aufbringen können, solch einen Schritt zu wagen. Wozu auch? Es gab niemanden mehr zu dem sie hätte zurück gehen können.
    "Mein Familie, alle tot," sagte sie nur knapp. Dann wandte sie sich zur Tür. "Ja, wir gehen in Atrium!"

    In Gedanken versunken, bei ihren Kindern und Sivs körperliche Nähe spürend, der sie in diesem Augenblick so notwendig bedurfte, wie die Luft zum Atmen, saß Fhionn einfach nur da. Die Anspannung war von ihr gewichen, jedenfalls für einen kurzen Moment. Dieses Vakuum der vermeintlichen Geborgenheit wurde aber jäh zerstört, als mit einem Krachen plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Beide Frauen hatten erschrocken in jene Richtung geschaut, aus der sich der Eindringling ihnen näherte. Sein Gesicht war so finster, so Unheil verkündend, dass es Fhionn erschaudern ließ. Ohne Worte hatte er Siv geboten, sich von Fhionn zu entfernen. Die wiederum verstand nicht, warum die Germanin sie nun im Stich lies. Ein wimmerndes, bittendes "Siv" kam aus ihrem Mund und ihre Augen blickten fragend der Germanin hinterher. Sie hatte ihr doch versprochen, bei ihr zu bleiben, es mit ihr gemeinsam durchzustehen und ihr in ihren letzten Stunden nahe zu sein, damit der letzte Weg nicht noch furchterregender sein würde. Doch nun musste sie sich eingestehen, dass sie nun völlig allein gelassen war. Selbst jetzt im Tod, hatte Matho noch die Macht besessen, ihr das letzte Stückchen Leben so schwer, wie möglich zu machen. Sein Tod, war im Vergleich zu dem, was ihr nun bevorstehen würde, ein gnadenreicher Akt gewesen. Sein Tod dauerte nur wenige Minuten, oder gar nur Sekunden. Der Tod am Kreuz konnte sich über Stunden hinaus ziehen. In einigen Fällen konnte das Martyrium sogar Tage dauern.
    Noch ruhten Fhionns Augen Hilfe suchend, doch auch schon resignierend auf Siv. Dann drang ein einziges grollendes Wort aus Corvinus´ Mund an ihr Ohr und sie fuhr erschrocken um. Langsam erhob sie sich von dem Stuhl. Dieses Also kam einer verbalen Ohrfeige gleich und war so eindringlich, daß es sie völlig demontierte. Sein bleierner Blick der auf ihr lastete, wollte sie zermalmen. Selbst wenn sie gekonnt hätte, sie hätte in dieser Situation kein einziges Wort herausgebracht. Nur ihr leiser zittriger Atem war zu hören. Ihre furchtgeweiteten Augen starrten ihn nur an.
    Was nur, hätte sie jetzt noch vorbringen können, um ihre Haut zu retten? Sein Urteil stand doch bereits fest. Auf Verständnis für ihre Tat zu hoffen, hatte sie längst aufgegeben. Was also blieb noch? Unwillkürlich musste sie wieder an den letzten Tag ihres normalen Lebens zurückdenken, bevor sich alles, wie in einem bösen Fibertraum, so dramatisch verändert hätte. Sie sah noch einmal die Männer ihres Dorfes, die sich für den letzten Kampf gerüstet hatten. Ein Kampf, der bereits noch bevor er begonnen hatte, aussichtslos war. Doch einen Schlachtruf hatte sie immer wieder aus den Mündern der Männer hören können, den sie sich immer wieder vorsagten, um sich Mut zu machen aufrecht sterben!.
    "Aufrecht sterben!" sagte sie sich nun selbst vor in ihrer Sprache und sie fühlte plötzlich eine scheinbar aus dem Nichts kommende Kraft, die ihr Mut gab und die auch ihr Äußeres veränderte. Ihre ängstlich wirkende Haltung wich mit einem Mal einer aufrechten, ja fast schon stolzen Pose.
    "Ja, ich töten Matho!"entgegnete sie jetzt mit erstarkter Stimme. Nein, stolz war sie auf ihre Tat nicht, jedoch war sie im Bewußtsein, daß für ihr Tun eine Notwendigkeit bestanden hatte.

    Fhionn starrte die kahle, verputzte Wand des Balneums an. Sie hörte das reibende Geräusch von Kleidung, die über den Körper gestreift wurde. Dann vernahm sie die Worte Chimerions und konnte sich, ohne dabei rot werden zu müssen, umdrehen. Sie besah sich den Sklaven, der sich nun von einer wesentlich ansehnlicheren Seite zeigte und nickte zufrieden. Zwar saß dir Tunika nicht perfekt, doch so sah er um ein vielfaches besser aus, als zuvor.
    Seine Antwort hatte etwas schokierendes für Fhionn. Verschenkt, keine Verwendung mehr. Eigentlich war dies etwas völlig alltägliches in einem Sklavenleben. Wenn man nicht mehr gebraucht wurde, dann wurde man eben verkauft, ausgeliehen oder verschenkt, wie ein Gegenstand. Fhionn war noch nicht lange Sklavin um dies als Normalität anzusehen. Einer ihrer schlimmsten Augenblicke war wohl jener, als man sie und einige andere Sklavinnen in das Haus der Aurelier gezerrt hatte und sie dann, wie Vieh verschacherte.
    Die Frage, die seiner Anwort folgte, erstaunte sie. Er war der Erste, der danach gefragt hatte.
    "Soldaten kommen, machen Dorf kaputt, nehmen mit, dann Schiff und lange laufen, sehr lange laufen bis Rom. Dann ich hier in Haus kommen und kaufen von Römer."

    Inzwischen hatte sich Fhionn auf die Suche nach frischen Kleidungsstücken für den fremden Sklaven gemacht. Da sie seine Größe nicht so genau einschätzen konnte, griff sie gleich zu drei Tuniken in verschiedenen Größen. Zum Schluß besorgte sie noch ein Paar einfache Sandalen aus Leder und wartete vor der Tür zum Balneum, bis Chimerion sie rief.
    Das Rufen kam schon früher als erwartet. Kaum hatte sie es vernommen, trat sie auch schon ein.
    "Du schon fertig?" fragte sie erstaunt und legte ihm die Kleidung zurecht. "Hier Kleidung. Du anziehen, was passen."
    Um den Sklaven nicht in Verlegenheit zu bringen, drehte sie sich um, damit sie nicht sehen konnte, wie er der Wanne entstieg.
    "Warum du hier?

    Wieso sagte sie das? Was tat ihr leid? Siv hatte doch gar nichts getan. Selbst wenn sie sie vorhin zurückgehalten hätte, dann hätte Fhionn eine neue Gelegenheit gefunden, es zu beenden. "Warum leid tun? Du nicht leid tun!" Wieder sagte sie zu sich selbst, daß Matho es verdient hatte. Für jedes Unrecht, für all die Qualen und das endlose drangsalieren- er hatte es mehr als verdient! Würden aber auch die Römer Verständnis für ihre Tat aufbringen können? In ihren Augen war Matho treu und ergeben, ein Sklave der stets das tat, was man ihm auftrug und über den man sich nie beklagen mußte. Sie kannten Mathos wahres Gesicht nicht. Und wer würde ihr glauben schenken, wenn sie nun mit der abstrusen Behauptung käme, Matho wäre ein Tyrann gewesen? Niemand!
    Wie war es mit Siv? Sie hatte zwar die Germanin darum gebeten, mit niemanden über Mathos verbale Attacken und Handgreiflichkeiten zu sprechen. Aber womöglich hatte sie mit Corvinus über ihr gestörtes Verhältnis zu Matho gesprochen?
    Die Germanin wischte immer noch eifrig an Fhionns Händen und Armen herum, um die Spuren des Blutes gänzlich beseitigen zu können. "Siv, du sprechen über Matho mit Corvinus?" Die Frage mußte für die Germanin, wie aus heiterem Himmel gekommen sein. Sie hatte doch immer eine gute Beziehung zu dem Herrn. Siv würde er sicher mehr glauben als ihr.
    Fhionn wußte nur zu genau, daß ihr armseliges Leben nur noch an einem seidenen Faden hing. Deswegen klammerte sie sich an alles, was etwas Halt zu geben schien.


    Das Warten wurde zur reinsten Tortur. Bei jedem Geräusch, was sich nach Schritten oder nach dem Öffnen einer Tür anhörte, schlug ihr Herz schneller. Wäre doch alles schon vorbei, dachte sie.
    "Morgen schon werde ich bei meinen Kindern sein!" Sie war wieder in die Sprache ihres Volkes zurückgekehrt und hatte mit einem Mal diesen friedlich gestimmten Gesichtsausdruck, der zu einem sanften Lächeln wurde.

    Erinn- Hibernia. Fhionn mußte sich erst einmal entsinnen. Erinn- diesen Namen hatte sie schon einmal gehört. Allerdings konnte sie nicht viel damit anfangen. Trotz daß die Frau nicht aus ihrer Heimat entstammte, war sie nicht enttäuscht. Sie fand sie ganz sympatisch. "Erinn nicht kennen, Name ich hören."


    Fhionn ließ ihre Blicke schweifen und besah sich noch einmal alle Anwesenden. Zu gerne hätte sie gewußt, wann es endlich losging und was sie hier erwartete. Wahrscheinlich würde sie nach dem ersten Unterrichtstag noch keine allzu großen Fortschritte an ihrer Sprachentwicklung sehen können. Sie wollte gar nicht wissen. wie lange es dauern würde, bis sie fehlerfrei diese Sprache sprechen konnte. Außerdem interessierte es sie, wie es der Lehrer schaffen würde, so viele Schüler mit verschiedenen Bedürfnissen, gerecht zu werden. Doch es hatte den Anschein, als würde es noch etwas dauern, bis der Unterricht beginnen würde. Zeit, um noch einen kleinen Plausch zu halten. Wenn der Lehrer beginnen wollte, würde er sich bestimmt bemerkbar machen.
    "Das, erste Kind?"fragte sie schwangere Sklavin und deutete dabei auf ihren runden Bauch.

    Nach einer Weile kehrte Fhionn ins balneum zurück. Sie schleppte einen schweren Holzeimer mit sich, der voll mit heißem Wasser gefüllt war.
    Das Wasser kippte sie in die Wanne. Dabei vermied sie es, einen Blick auf den bereits entkleideten Sklaven zu werfen.
    Mit einem Eimer Wasser war es lange noch nicht getan. Es mußten noch einige weitere folgen, damit die Wanne einigermaßen voll wurde. So wiedeholte sich diese Prozedur noch mehrmals, bis die Wanne bereit war. Zum Schluß holte sie noch etwas Seife hervor, womit sich der Sklave waschen konnte.
    "So, ich fertig. Du kann waschen!" Ohne dabei auf den Sklaven zu schauen, ging sie zur Tür. Bevor sie den Raum verließ, blickte sie doch noch einmal kurz zurück, senkte aber gleich wieder ihren Blick. "Wenn noch was brauchen, du rufen. Ja?. Ich Fhionn!"

    Sivs beschwichtigende Art war es, die Fhionn wieder ruhiger werden ließ. Sie war innerlich noch immer aufgewühlt, doch wenigstens hatte sie aufgehört zu zittern. Die Furcht vor dem, was noch kommen mochte, war aber geblieben. Nur fühlte sie sich in Sivs Anwesenheit doch wohler, als völlig alleine in diesem imponierenden Raum, der sie zu erdrücken schien, auszuharren, bis Corvinus eingetroffen war. "Danke Siv!"
    Die Germanin hatte sie in einen der beiden Korbstühle gedrückt, die vor dem Schreibtisch standen. Sie selbst hatte einen Wasserkrug herbei geholt und ein Stück ihrer Tunika abgerissen. Dann war sie vor ihr in die Hocke gegangen und reinigte damit nun Fhionns Hände, Arme und ihr Gesicht von den eingetrockneten Blutspuren. Bald schon hatte das Stück Stoff eine rot-braune Färbung angenommen. Nicht alle Spuren konnte sie so beseitigen. An manchen Stellen war das Blut zu hartnäckig, als das es ohne das Zutun einer Bürste verschwunden wäre.
    Stumm beobachtete Fhionn Sivs Bemühungen. Währenddessen stellte sie sich die brennende Frage, ob Siv ihre Tat wohl miterlebt hatte. Was dachte sie jetzt von ihr? Hielt sie sie für ein blutrünstiges Monster? Wohl kaum! Sonst hätte sie sich nicht so rührend um sie gekümmert. Oder tat sie es vielleicht nur, weil Corvinus es von ihr verlangt hatte?
    "Siv? Du sehen, wie Matho tot?" Endlich hatte sie sich überwunden und die Germanin danach gefragt. Was hätte es ihr aber genützt, wenn sie es gesehen hätte? Das änderte nichts an der Tatsache, daß sie es getan hatte und dafür wohl die höchste und schlimmste Strafe zu erwarten hatte, die auf Mord verhängt wurde. Niemanden würde es dabei interessieren, wieso es so weit kommen konnte, was in Germanien und dann auch später auf der Heimreise geschehen war. Alle würden sie den toten Maiordomus betrauern, doch die Frage, wie er war und was Fhionn dazu getrieben hatte, würde ungestellt bleiben. Fhionn hatte wenig Hoffnung, einigermaßen glimpflich aus der Sache heraus zu kommen. Dafür war ihre Sprachkenntnis einfach zu schlecht, um sich selbst verteidigen zu können. Es gab keine Zeugen, die sie hätte entlasten können. Selbst wenn Siv es gesehen hätte, konnte sie auch nur berichten, auf welche brutale Weise die Keltin zur Mörderin geworden war. Außerdem würde man einer Sklavin sowieso nicht glauben. Das Kreuz war ihr also sicher. Alleine um den anderen Sklaven zu zeigen, wer der Herr war, wäre diese Art der Bestrafung unumgänglich gewesen.
    "Siv, Matho sehen, wie ich geben Essen zu dir." Diese Äußerung kam ganz spontan. Es war eine von vielen Erinnerungen, die sie hatte. Jede dieser Erinnerungen, war ein kleines Mosaiksteinchen, das allmählich zu einem Bild wurde, wenn man alle Steinchen richtig aneinander legte.

    Fhionn hatte Chimerion direkt zum Bad im Sklaventrakt geführt. Nicht nur sein jämmerliches Aussehen, auch der Geruch von Schweiß, der von ihm ausging, machten ein Bad erforderlich. Auch seine Kleidung, die mehr schon Fetzen waren, mußte ausgetauscht werden.
    Auf dem Weg dorthin hatte Fhionn nicht viel gesprochen. Da ihr Latein mehr schlecht als recht war, vermied sie es viel mit den anderen Sklaven zu sprechen. Nur wenn es unumgänglich war, bediente sie sich der Sprache um sich auszudrücken. Genau jetzt war wieder einer jener Momente eingetreten, in dem es unumgänglich wurde, mit einem anderen zu kommunizieren.
    "Ich machen heiß Wasser hinein!" Sie deutete auf die noch leere hölzerne Wanne, deren lateinische Bezeichnung sie nicht kannte.
    Bevor sie zum Wasser holen das Bad wieder verließ, legte sie dem Sklaven noch ein grobes Leinentuch bereit, das als Handtuch dienen sollte. "Du schon Kleider aus!" Mit einer Handbewegung wollte sie ihm klar machen, er könne sich derweil schon entkleiden, bis sie mit dem heißen Wasser zurück war. Ob er das allerdings auch so verstanden hatte, wußte sie nicht.

    Fhionns Blick fiel wieder auf den Mann, der wirkich nicht den frischesten Eindruck machte. Aber ein entspannendes Bad, wenn auch nur im Bad der Sklaven, würde in kürzester Zeit aus ihm wieder einen ansehnlichen Menschen machen.
    Sie beantwortete Duccia Claras Anweisungen nur mit einem einfachen Ja und wandte sich nun an den fremden Sklaven. "Komm!"
    Kurz nachdem sie sich in Bewegung gesetzt hatte, drehte sie sich noch einmal zu ihm um, damit sie auch sicher sein konnte, daß er ihr folgte.
    Ihr Weg führte sie ohne Umschweife direkt zum balneum servorum.

    Kurz bevor sie die Tür erreicht hatte, hielt sie inne und sah sich um. Das Rufen ihres Namens war an ihr Ohr gedrungen. Erst hatte sie es gar nicht registriert, da es so verschwommen gelungen hatte und sie nicht damit gerechnet hatte, daß es real gewesen war. Doch als sie dann die Hand an ihrem Arm spürte, konnte sie gewiss sein, daß es real gewesen war. Sie erkannte Siv, die sie dort ergriffen hatte, und lächelte ihr erneut freundlich zu. Fhionns Erleichterung konnte die Germanin nicht teilen. Sie wirkte bestürzt, so als wolle sie erstarren. Warum, Siv? Die Frage lag auf ihrer Zunge, jedoch stellte sie sie ihr nicht. Lag es an ihr? Unwillkürlich sah Fhionn an sich selbst herab. Ihre Tunika, die die Spuren eines arbeitsreichen Tages trug, war blutverschmiert. Besonders der Bereich des Saumes, war regelrecht mit dem Blut vollgesogen, das in der Zwischenzeit allerdings schon getrocknet war und den leichtfallenden Stoff steif wirken ließ. Sie besah sich auch ihre beiden Hände, an der sich eine klebende Substanz befinden mußte. Als sie schließlich realisierte, daß es sich hierbei auch um Blut handelte, stockte ihr der Atem. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Das Blut reichte bis hinauf zu ihren Ellenbögen. Diese Erkenntnis löste in ihr eine Kaskade der Angst aus. "Was?... Was passiert?" Ihre Stimme und auch ihr Blick in Sivs Gesicht waren mit Furcht erfüllt. Was hatte sie nur getan? Von ihrer Furcht geplagt sah sie sich um und erblickte schließlich Mathos Leiche. War ich das? Ich war das! Ihre Vermutung wurde immer mehr bestätigt. Nicht nur durch das Blut, das an ihr haftete auch durch Sivs anhaltenden entsetzen Blick. Hatte sie es mitbeobachtet, was geschehen war? Sie musste es gesehen haben.
    Sivs Frage verwirrte sie noch mehr. Nein, rein gar nichts war in Ordnung! Komm mit- wohin? Sie traute sich nicht, diese Frage zu stellen, denn sie wußte jetzt, daß diese, ihre Tat nicht ungesühnt bleiben konnte.
    Sivs Griff hatte sich noch verstärkt, allerdings nicht so, daß er schmerzte. Sie zog sie ins Innere des Hauses hinein durch die Gänge. Fhionn wußte nicht, ob sie sich sträuben sollte oder ob sie einfach nur folgen sollte. Mit dieser Tat hatte sie ihr Leben verwirkt. Die Römer ahndeten Mord mit dem Tod am Kreuz. Das war ihr gewiß. Sie selbst hatte eine Kreuzigung schon einmal miterleben müssen und sie wußte darum, wie langwierig und qualvoll dieser Tod war.
    Am ganzen Körper zitternd erreichten sie schließlich die Tür zu Corvinus´ Officium. Sie wußte, was das zu bedeuten hatte. Spätestens schon morgen würde es aus mit ihr sein. Bei diesem Gedanken zog sich alles in ihr zusammen. Sivs Frage nach dem Warum ließ sie erst wieder entspannen. Angsterfüllt blickte sie in Sivs Augen. Ihre Lippen versuchten die richtigen Worte zu formen, doch dies gelang ihr nicht sofort. "Ja, so viel schlimm! Er hat mich dazu getrieben! Jeden Tag setzte er mich mehr mit seinen Worten unter Druck, bis ich fast am zerbersten war." Ungeachtet dessen, daß Siv sie nicht verstehen konnte, war sie in ihre Muttersprache gewechselt.


    Die Tür zum officium öffnete sich. Der wuchtige Schreibtisch aus schwerem Holz, der so bedrohlich auf Fhionn wirken mußte, fiel ihr sofort ins Auge. Es bedurfte Sivs sanften Druck, der sie in den Raum hinein zog und der sie bis kurz vor den Schreibtisch führte. Dort blieben sie stehen und warteten. Mit ihrer freien Hand ergriff sie Sivs Handgelenk. "Bitte, du bleiben bei mir! Nicht gehen weg! Ja?"

    Fhionn zuckte nur unwissend die Schultern, bis sie sich wiederholte. "Tilla nicht da! Tilla weg mit Pris-ka." Daß es sich hierbei lediglich um eine Vermutung handelte, sagte Fhionn nicht, da dafür ihr Wortschatz einfach nicht ausreichend war.
    Sie musterte die Römerin, die weiter auf sie einsprach. Ja, ich kann dich verstehen, aber ausdrücken kann ich mich nicht so gut, weil mir dafür einfach die Worte fehlen, dachte sie.
    "Ich Fhionn und ich verstehen du."

    Fhionn war überrascht, jemanden getroffen zu haben, der ihre Sprache verstanden hatte. Diese Frau mußte sie tatsächlich verstanden haben! "Ja, Britannia!" Sie nickte und lächelte dabei. Woher sie kommen mochte? Wäre sie auch aus Britannia gekommen, hätte sie ihr doch nicht in Latein geantwortet. "Ich Fhionn," fügte sie noch hinzu und deutete auf sich selbst. "Und du? Woher kommst du? Auch aus Britannien? Von welchem Stamm? Ich stamme aus dem Norden. Wir lebten nahe bei Eburacum. Brigantes- ich gehöre zu den Brigantes. Verstehst du?" Sie war mit einem Mal völlig aufgekratzt und überhäufte die junge Frau mit allerhand Fragen in ihrer Muttersprache. Sie konnte ihr Glück noch gar nicht fassen, möglicherweise endlich jemanden aus der Heimat getroffen zu haben. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
    Derweil gesellte sich noch ein weiterer 'Schüler' in den Unterrichtsraum, der Fhionns Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie beobachtete den dunklehäutigen Mann genau. So oft hatte sie noch nicht solche Menschen getroffen. Leone, der Ianitor der Aurelier war bislang der einzige, den sie kannte.
    Inzwischen hatte sich die junge Frau, mit der sie sich unterhalten hatte, dem Sklaven der zwischen ihnen saß, gewidmet. Sie verstand nicht viel, wovon die beiden sprachen. Da sie nicht lauschen wollte wandte sie ihren Blick von den beiden ab und wartete, was nun noch alles geschehen würde.

    Eine seltsame Ruhe war in Fhionn eingekehrt, so als sei nun alles wieder im Einklang. Das Ungleichgewicht, der Störfaktor, war beseitigt worden. Jetzt hatte sie wieder Luft zum atmen und sie genoß diese Leichtigkeit mit jedem Atemzug. Was um sie herum geschah, war zu weit weg, als daß sie es bewußt wahrgenommen hätte. So auch das Erscheinen von Corvinus und Siv.
    Leere Worthüllen, deren Bedeutung sie nicht verstand, drangen an ihr Ohr. Ihr Name wurde genannt. Ein kurzer Blick in die Richtung, aus der die Stimmen kamen, dann wandte sie sich wieder ab. Weswegen war sie eigentlich noch da? Sie hatte doch alles getan, was man von ihr verlangt hatte! Warum also nicht einfach gehen?
    Mit einem Mal spürte sie eine Müdigkeit in sich aufsteigen, die sie in solch einer Intensität lange nicht mehr erlebt hatte. Einmal wieder eine ganze Nacht durchschlafen und erholt am nächsten Tag erwachen. Das war es, was ihr lange nicht mehr widerfahren war. Zu wissen, daß der neue Tag mit einer fast schon vergessenen Beschwingtheit beginnen konnte und zu wissen, daß es keinen Grund zur Furcht mehr gab.
    Ohne auf die Anwesenden, die sich im Hof vor Mathos Leiche versammtelt hatten, zu achten, begann sie gemächlich in Richtung des Hauses zu schlendern.
    Als sie die beiden Römer und Siv passierte, drehte sie sich kurz zu der Germanin um. Sie hatte ihr zittern bemerkt und ihren angsterfüllten Blick. Warum noch Angst haben? Der Tyrann ist tot!
    Ein warmes Lächeln umschmeichelte ihre Lippen und sie zwinkerte ihr kurz aufmunternd zu, so als wolle sie ihr sagen, hab keine Angst, er wird uns nichts mehr tun! So ging sie an ihr vorbei und näherte sich schon dem Eingang zum Inneren der Villa.