Beiträge von Flavia Celerina

    Bravo! Jetzt kam auch sogleich dieser miesepetrige Bibliothekar angerauscht! Wenn er mich nun erwischen würde, dann wäre ich mir gewiss, würde er keine Sekunde zögern, mich der Bibliothek zu verweisen. Doch es kam ganz anders. Statt meiner beschuldigte er den Jungen, einen gewissen Cnaeus Flavus Lucanus! Ich traute meinen Ohren nicht! Das war Lucanus, mein Bruder?? Ich war völlig perplex. Was konnte ich jetzt tun? Es wäre mir peinlich gewesen, einfach aus meinem Versteck hervor zu treten und ihn mit den Worten zu begrüßen Salve Lucanus, ich bin´s deine Schwester! Nein, nein! Das war einfach nicht schicklich! Meinem Bruder wollte ich erst bei unserer offiziellen Begegnung mitteilen, daß ich seine Schwester war.
    Doch wie man sich vorstellen konnte, reizte es mich schon, ihn vorab etwas näher kennenzulernen. Ich überlegte nicht lange und trat die Flucht nach vorne, mit einem Plan in der imagineren Tasche, an.
    Verlegen trat ich aus meinem Versteck heraus und meldete mich schuldbewuß zu Wort. "Ähm, ich war das! Es tut mir sehr leid!"

    Es war äußerst amüsant, was meinen Augen dort geboten wurde. Der junge Mann, der dort saß, stellte sich wahrlich nicht sonderlich geschickt an. Ihm war offensichtlich das belegte Brot zu Boden gefallen und nun besah er jenes mit einer Art Ratlosigkeit, die mich schmunzeln ließ.
    Er hatte es sich hier gemütlich gemacht und gedachte wohl für länger hier zu bleiben. Man hatte ihn mit allem versorgt, was er brauchte. Er trank aus einem silbernen Becher sein Getränk, welches in eine silberne Karaffe gefüllt und ebenfalls bereitgestellt war. Die verbliebenen Brote befanden sich ebenso auf einem silbernen Teller. Er war wohl dann doch nicht so ein Irgendjemand, wie ich zuerst gedacht hatte. Hierbei mußte es sich um ein Mitglied der Familie handeln! Doch die Frage stellte sich mir, wer war jener Jungspund, den ich da ohne sein Wissen beobachtete und der mich beinahe zum Lachen gebracht hätte? Im Geiste überschlug ich nochmals die Namen, die mein Onkel mir beim nachmittäglichen Treffen genannt hatte. Aquilius? Furianus? Ach nein, Furianus weilte ja in Hispania, hatte der Onkel berichtet!Lucullus? Oder gar Lucanus, mein Bruder? Bedauerlicherweise besaß ich keinerlei Hinweise zum Aussehen oder zum Alter meines Bruders. In meiner Phantasie hatte ich ihn mir immer als stattlichen jungen Mann vorgestellt, der vielleicht ein oder auch zwei Jahre jünger war, als ich. Doch jener hier glich noch eher einem Heranwachsenden, als einem Manne.
    Nun, gleich wer er war, er stellte sich nicht besonders geschickt an. Nicht einmal trinken konnte er richtig, ohne daß das Getränk neben seinem Mund herunter tropfte. Oh, wie abominabel! Nun steckte er sich auch noch das zu Boden gegangen Brot in den Mund und aß es genüßlich! Dieses Subjekt sollte ein Flavier sein? Oder lag es einfach daran, daß er sich unbeobachtet fühlte.
    Doch was mich zum kichern brachte und mich somit beinahe verraten hätte, war, als er sich unversehens etwas auf den Unterarm kritzelte. Zu gerne hätte ich gewußt, um welches Wort es sich dabei handelte. Um noch eine bessere Sicht auf ihn zu haben, beugte ich mich noch etwas nach vorne. Damit ich dabei nicht die Kontrolle über mich selbst verlor, hielt ich mich etwas an dem Regal fest, hinter dem ich ja immer noch stand. Unglücklicherweise hatte ich nicht mit den darin befindlichen Schriftrollen gerechnet, die sich auf unerwartete Weise selbstständig gemacht hatten. Das Geräusch, welches dabei entstanden war, war nicht mehr zu überhören. Wie angewurzelt blieb ich stehen.

    Endlich hatte ich es geschafft! Der Bibliothekar räumte mehr oder weniger freiwillig das Feld und ich konnte mich wieder in aller Ruhe meinem Text zuwenden. Diese seelige Ruhe! Oh wie war das schön, ungestört lesen zu können! Aber das Idyll hielt nicht lange an.
    Schon bald darauf drangen einige Gesprächsfetzen an mein Ohr. Der Bibliothekar unterhielt sich mit dem Leser, dessen jugendliche Stimme ich bereits vernommen hatte.
    Eigentlich brauchte es mich ja nicht zu interessieren, wer der andere Leser war und noch weniger sollte es mich etwas angehen, was zwischen den beiden gesprochen wurde! Doch die Wortfetzen, die an mein Ohr drangen, ließen mich aufhorchen. Tante? Wessen Tante?
    Es kam, wie es kommen mußte! Meine Neugier war geweckt und sie würde nicht eher Ruhe geben, bis sie gestillt war. An ein ungestörtes ruhiges Lesen war längst nicht mehr zu denken!
    Sachte erhob ich mich und schlich mich an den Regalen vorbei, um schließlich um die Ecke zu spitzeln. Dort erkannte ich einen jungen Mann, der gerade dabei war, dutzende Schriftrollen zu wälzen. War das auch ein Verwandter? Wenn ich seine Tante sein sollte, wer war dann sein Vater oder seine Mutter? Die wildesten Spekulationen gingen mir durch den Kopf. Gab es etwa noch mehr Geschwister? Aber vielleicht war es ja auch jemand, der mit mir nicht das Geringste zu tun hatte! Nun, von seiner Kleideung zu schließen, konnte er alles mögliche sein. Ich beschloß, ihn noch etwas zu beobachten, allerdings auf eine Weise, damit ich möglicht nicht entdeckt wurde.

    Soso eine Präsenzbibliothek! Was er nicht sagte! Der Gute begann, mich etwas zu irritieren!
    "Oh, keine Sorge! Selbstverständlich werde ich alles hier belassen!" wollte ich den Bibliothekar, der sich mir als Mago vorgestellt hatte, beschwichtigen. Schließlich wollte ich noch einige Zeit hier lesend verbringen. Dafür war doch dieser Ort hier prädestiniert, so dachte ich jedenfalls. Offensichtlich war da mein Gegenüber völlig anderer Meinung.
    "Ach, danke! Doch ich denke, ich bin fürs erste fündig geworden!" Ich deutete auf Ovids Metamorphosen, die in einer, aus mehreren Schriftrollen umfassenden Ausgabe bereits vorlag. Das würde mir für heute genügen. Also bedurfte ich auch keiner weiteren Hilfe, was dem Bibliothekar doch eigentlich entgegenkommen sollte, so dachte ich wenigstens. Doch mir wurde schon bald klar, dieser Mann würde jede einzelne Schriftrolle in diesem Raum mit seinem Leben verteidigen wollen.
    Noch ehe ich etwas dazu sagen konnte, vernahm ich eine jugendliche Stimme. Augenscheinlich war ich nicht die einzige Leserin in dieser Bibliothek. Ich versuchte in die Richtung zu spähen, aus der die Stimme kam, doch konnte ich nichts erkennen.


    Noch einmal versuchte ich es mit einem freundlichen Lächeln, um den Bibliothekar zu bändigen.
    "Du kannst ruhig gehen. Ich komme alleine zu recht!" wiederholte ich mich und ersehnte die wiedereinkehrende Ruhe, auf daß ich mich endlich wieder Ovid widmen könnte.

    Lesen war für mich schon immer eine der favorisiertesten Freizeitbeschäftigungen. Aus diesem Grund bevorzugte ich es, dabei auch eine möglichst angenehme Kleidung zu tragen. So hatte ich nach meinem Bad meine Lieblingstunika angelegt, die zugegebenermaßen schon bessere Tage gesehen hatte. Selbstredend war sie nicht verschlissen oder gar löchrig, doch machte sie schon einen etwas ausgewaschenen Eindruck. Auch meine Frisur, die ansonsten, dank Ylva stets perfekt saß, wirkte etwas leger.

    Just hatte ich eine Ausgabe von Ovids Metamorphoseon libri entdeckt und wollte mich schon auf einem Stuhl niederlassen, als mich ein Räuspern aufzucken ließ. Mir war fast, als hätte man mich bei einem Vergehen erwischt, doch war ich mir keiner Schuld bewußt!
    Lächelnd sah ich in das Antlitz jenes Mannes, der mich soeben angesprochen hatte. Ein mürrischer älterer Mann, der wohl nicht im Mindesten damit einverstanden war, mich hier vorzufinden, stand vor mir. Doch ich wollte und mußte nicht unbedingt seine Hilfe in Anspruch nehmen. "Oh, nein. Besten Dank für deine Hilfe, doch diese wird nicht notwendig sein. Ich glaube, ich werde auch gut alleine zu recht kommen. Eigentlich möcht ich nur etwas herumstöbern und werde auch alles wieder zurück an seinen Platz legen!"

    Der Gedanke, meiner anwesenden Familie bei einem gemeinsamen Abendessen gegenüberzutreten, erheiterte immer mehr mein Gemüt. Eine gemeinsame Cena bot stets die passende Gelegenheit, sich näher kennenzulernen und das eine oder andere anregende Gespräch zu führen. Schließlich war das Abendessen doch der gewohnte Anlaß, da die Familie zusammenkam. So müßte sich dann auch keiner meiner Verwandten speziell für mich von seinem Tagwerk frei machen.
    "Es wäre mir eine Freude, meine Verwandten bei einer Cena näher kennenzulernen. Hege ich doch schon lange das Bedürfnis, noch mehr über meine Familie zu erfahren."
    In Gedanken überschlug ich bereits, welche Möglichkeiten meine Abendgarderobe zu bieten hatte. Die Truhen mit meiner Kleidung, meinem Schmuck und all den anderen Accessoires, befanden sich immer noch in dem Zimmer einer Herberge, welches ich für den Fall der Fälle angemietet hatte. Vielleicht könnte man einen Sklaven danach schicken, um mein Gepäck in die Villa zu bringen.
    Bis es dann soweit wäre, zur Cena zu erscheinen, könnte ich noch etwas die Seele baumeln lassen und mich entspannen.
    "Ich bin mir gewiss, binnen kurzem mit allem im Hause vertraut zu werden und mich auch bald heimisch zu fühlen. Im Allgemeinen fällt es mir nicht schwer, mich zu assimilieren. Außerdem verfüge ich auch über eine gesunde Portion Ehrgeiz, was meine Zukunft betrifft."
    Die nächsten Monate meiner neugewonnenen Freiheit wollte ich zwar auch genießen, doch hatte ich mir auch vorgenommen, diese Zeit sinnvoll zu nutzen.

    Nachdem ich mein Zimmer bezogen hatte und ein erholsames Bad genossen hatte, trieb es mich in die heimische Bibliothek. Die Schriftrolle, die ich für meine Reise in Massalia erstanden hatte, bevor ich das Schiff nach Ostia bestieg, war längst ausgelesen. Jetzt brauchte ich dringend Nachschub! Ich hatte schon seit jeher eine Schwäche für gute Literatur. Dabei mußten es nicht nur die klassischen Dichter sein, denen ich frönte. Nein, auch so manches zeitgenössische Stück erregte gelegentlich meine Aufmerksamkeit. Drum war es für mich ein Vergnügen, in einer für mich bislang fremden Biblothek auf Entdeckungsreise zu gehen.
    Ylva wollte ich mit solcherlei Dingen nicht beauftragen. Ihr war leider der Sinn für schöne Literatur bislang verborgen geblieben und so, wie ich sie kannte, würde sie sich mit derlei Zeitvertreib auch nicht mehr anfreunden wollen. Sie in eine Bibliothek zu schicken, hätte ähnlich viel Sinn gehabt, wie der Versuch, einer Ziege das Singen beizubringen. Beides hätte fatale Folgen gehabt.
    Langsam öffnete ich die Tür und ein überwältigender Anblick bot sich mir. Ein ganzer Raum, gefüllt mit Schriftrollen noch und nöcher. Dieser Anblick erfreute mein Herz und sogleich wollte ich hineintauchen in das Reich des Wissens und der Kurzweiligkeit.
    Schon während meiner Ehe war die Bibliothek meines Gatten eine Zufluchtsstätte gegen die Langeweile für mich gewesen. Hier konnte sich meine Phantasie erquicken und hier lebte ich wirklich.
    Ich näherte mich den Schriftrollen und interessiert stöberte ich herum. Ich war für alles offen und ich wollte mich überraschen lassen, was die Bibliothek mir zu bieten hätte.

    "Ich danke dir für deine trostspendenden Worte! Es ist wahrlich nicht einfach! Nach all den Jahren, einen geliebten Menschen zu verlieren", schluchzte ich, den Tränen nahe und gab die trauernde Witwe.
    Meine aufmerksame Sklavin reichte mir sogleich ein Taschentuch, auf daß ich die imaginären Tränen abwischen konnte. Auf Ylva war eben immer Verlaß! Auch wegen ihr schuldete ich dem Verblichenen Dank, hatte er sie mir doch vor Jahren zum Geschenk gemacht. Eine seiner wenigen guten Taten! Mit ihr hatte ich die öden Jahre in Lutetia verbracht und auf Besserung gehofft, die letztendlich durch seinen plötzlichen Tod ja auch eingetroffen war.
    Doch sogleich richtete ich wieder mein Augenmerk auf meinen Onkel. Sein überaus zuvorkommendes Angebot, in diesen Mauern heimisch zu werden, rührte mich diesmal beinahe wirklich zu Tränen. So freundlich aufgenommen zu werden, war mehr, als ich mir jemals erhofft hatte.
    "Ich bin mir überaus bewußt, wie bedeutend diese Offerte ist. Deshalb werde ich sie auch mit Freuden annehmen. Es ist meine größte Begehr, endlich meine wahre Familie kennenzulernen."
    Einen Moment beobachtete ich den hin und her schaukelnden Ring, der nun auf dem Tischchen lag. Erst bei der Erwähnung des Namens meines Bruders schaute ich wieder auf. Lucanus war also sein Name! Einen zweiten Onkel im Hause gab es auch noch! Interessant, wie ich fand! Eine richtig große, nette Familie mit Einfluß und einem Namen, der mir jede Türe öffnen würde, ginge es darum einen neuen Gatten zu finden. Deshalb würde es auch mein Wunsch sein, jedes einzelne Mitglied meiner neuen Familie kennenlernen. Doch stand für mich das Zusammentreffen mit meinem Bruder an vorderster Stelle.
    "Lucanus! Gerne möchte ich ihn sehen und in die Arme schließen können, doch verzeih mir bitte, zunächst würde ich es doch vorziehen, mich etwas auszuruhen. Der Tag war lang und die Reise beschwerlich! Aber vielleicht würde sich später ein Aufeinandertreffen arrangieren?"
    Seitdem ich in Massalia an Bord des Schiffes gegangen war, hatte ich wenig Ruhe gefunden. Ein Leben, Tag ein Tag aus auf einen Schiff, war nichts für mich. Wobei die Überfahrt an sich auch ihre Reize hatte. Doch den Rest des Tages wollte ich damit verbringen, mich auszuruhen,mich vielleicht bei einem Bad zu regenerieren und neue Kraft zu schöpfen.
    Die Frage nach meiner bisherigen Familie erstaunt mich in keinster Weise und so sah ich darin auch nichts fatales, darauf zu antworten.
    "Nun, es waren brave Leute, bei denen ich aufwuchs. Wir lebten in einer Casa in Tarraco. Das Haus war bei weitem nicht vergleichbar mit dieser herrlichen Villa hier! Doch sie ließen mir eine gute Bildung zuteil werden und versorgten mich mit allem, was ich benötigte. Bis zum Tode meiner vermeintlichen Mutter, ließen sie mich im Glauben, ihr eigen Fleisch und Blut zu sein. Ich bin ihnen deswegen nicht böse, doch muß ich mich diesen neuen Tatsachen erst anpassen."
    Meinen Pflegeeltern konnte ich nun wirklich keinen Vorwurf machen. Sie hatten getan, was sie konnten! Warum allerding meine leiblichen Eltern so verfahren waren, dafür hatte ich noch keine Erklärung gefunden. Vielleicht würde eine Aussprache mit meinem Bruder dabei hilfreich sein, dieses Geheimnis genauer zu ergründen.

    Nur zu gerne hätte ich gewußt, was in ihm vorging. Natürlich wußte ich, wie unglaublich sich diese eminente Geschichte anhören mußte.
    Doch seine Reaktion darauf überraschte mich eher angenehm. Er sei mein Großonkel, meinte er nur. Diese Feststellung deutete ich als erstes Zeichen des Angenommen seins. Erleichtert glitt ein vages Lächeln über meine Lippen.
    "Da mein geliebter Ehemann, Gaius Horatius Agrippa vor zwei Monaten von mir gegangen ist, wäre es mein Anliegen, einige Zeit in Rom zu verbleiben, um zum einen über meinen Verlust hinweg zu kommen und zum anderen, nach einem geeigneten Ehemann Ausschau zu halten."
    Ein gesundes Stück Theatralik lag in meiner Rede. Geliebt hatte ich meinen Ehemann niemals wirklich und den Verlust, den ich vorgab, erlitten zu haben, wenn man seinen Tod als solches überhaupt bezeichnen konnte, hatte ich längst weggesteckt. Nun ja, einen gewissen Grad an Dankbarkeit empfand ich für seine Person. Einen letzten Dienst hatte er mir erwiesen, indem er mir ein einigermaßen annehmbares Erbe hinterlassen hatte. Dies würde mich und mein Laster einige Zeit über Wasser halten. Doch eigentlich war ich froh, ihn endlich los geworden zu sein! Nie wieder würde ich einen Mann heiraten, der fast dreimal so alt war, wie ich selbst!
    Dankbar, meinem Onkel gegenüber, der den Jungen aufgefordert hatte, mir ein Zimmer herrichten zu lassen, lauschte ich weiter seinen Worten. Doch bei der Erwähnung meines Bruders erschrak ich. Ich wußte bereits um die Existenz eines Bruders. Auch hatte ich Gerüchten folgend erfahren, daß jener sich auch in Rom aufhielt.
    "Meinen Bruder?" Ein zittern lag in meiner Stimme. "Ich bedaure, von der Existenz meines Bruders habe ich auch erst kürzlich erfahren!" Natürlich wollte ich ihn kennenlernen! Ich wollte herausfinden, welch ein Mensch aus ihm geworden war. Ein Mensch, der das Glück hatte, bei seinen eigenen Eltern aufzuwachsen. Der womöglich auch noch von ihnen geliebt wurde.

    Das erfrischende Getränk hatte mir gut getan. Während ich auf diesem überaus bequemen Sessel saß, war ich wieder zur Ruhe gekommen und konnte erst einmal durchatmen. Erst als ich die nahenden Schritte hörte, erhob ich mich schlagartig, glättete meine Tunika und sah noch einmal zu meiner Sklavin hinüber, die mir zuversichtlich zulächelte. Natürlich hatte ich mich im Vorfeld über die wichtigsten Mitglieder meiner Familie informieren lassen. Hatte ich eines in meinem Leben gelernt, so war es, nie unvorbereitet zu einem signifikanten Zusammenkommen, wie diesem zu erscheinen. Trotz allem war ich über das Erscheinen des Flavius, meinem Onkel, äußerst erstaunt, hatte ich mir ihn doch wesentlich älter vorgestellt.
    Sein zuvorkommendes Auftreten, mir gegenüber, ließ mich wieder hoffen. "Salve, Manius Flavius Gracchus! Ich bin sehr erfreut und ich dankbar, so freundlich empfangen zu werden."
    Seiner Aufforderung folgend, nahm ich wieder Platz. "Nun, mein Anliegen klingt in deinen Ohren vielleicht etwas ungewöhnlich. Für mich selbst ist diese Situation auch völlig neu. Doch vor einigen Monaten wurde ich über meine wahre Identität informiert. Diejenige, die ich all die Jahre geglaubt hatte zu sein, bin ich nicht. " Vermutlich mußte das alles sehr verwirrend auf den Flavier wirken. Deshalb versuchte ich, meine Geschichte mit wenigen Worten zu erklären. "Meine vermeintliche Mutter beichtete mir auf ihrem Sterbebett, wer ich wirklich bin. Sie sagte mir, ich sei die Tochter des Gaius Flavius Maximus und der Foslia Milonia aus Flaviobriga. Bevor sie starb, gab sie mir noch diesen Ring hier."
    Ich gab meiner Sklavin einen Wink, worauf diese den Siegelring, mit dem Zeichen der Flavier, aus einem Etui hervorkramte. Sie trat vor und reichte ihn dem Flavier. "Meine leibliche Mutter fügte den Ring bei, als sie mich bei meiner Pflegefamilie abgab." Noch immer belastete mich diese Geschichte so, wie an jenem Tag, an dem ich sie erfahren hatte.

    Ich folgte dem Jungen, der mich auf direktem Wege ins atrium geleitete. Schließlich nahm ich auf einem Sessel platz und genoß den erfrischenden Wein, den mir der Junge eingeschänkt hatte. "Danke" , sagte ich lächelnd und sah zu meiner Sklavin hinüber, die sich staunend umsah. Solch eine Pracht hatte selbst die Villa meines verstorbenen Ehegattens nicht gekannt!


    Nachdem der Junge entschwunden war, um seinen Herren über meine Ankunft zu unterrichten, ließ auch ich meinen Blick durch das atrium schweifen. Der Gedanke kam mir in den Sinn, was ich wohl tun sollte, würde mich meine Familie nicht mit offenen Armen empfangen. Schließlich hatte ich erst vor einigen Monaten erfahren, welchen Wurzeln ich tatsächlich entsprungen war. Ungeduldig spielte ich mit meinen Fingern, während ich mich im Geiste noch einmal meiner Wortwahl besann. Der erste Eindruck, den ich hier hinterlassen würde, würde über mein zukünftiges Leben entscheiden. Doch in meinem bisherigen Leben hatte ich gelernt, wie man das bekam, wonach man strebte. Dieses Wissen würde mir auch sicher in diesem Fall förderlich sein.

    Ylva schaute ganz verdutzt drein, als ihr bewußt wurde, welch eine Wirkung mein Name auf den Ianitor hatte.
    "Ich danke dir vielmals!" entgegnete ich ihm freundlich und schritt an Ylva vorbei, die immer noch ungläubig schaute. "Komm, Ylva!" ief ich meiner Sklavin zu und folgte dem Jungen ins atrium.

    [Blockierte Grafik: http://img244.imageshack.us/img244/4470/de564537de5b0efcf710c3bae2.gif]


    "Nää, is der abber unfreundlisch!",
    murmelte Ylva vor sich hin, bevor sie Sinn und Zweck unseres Besuches meldete.
    "Moi Herrin,die ähm", sie räusperte sich und besann sich drauf, daß sie nun hier nicht mehr irgendwo auf dem Lande war, sondern eben in Rom. Vielleicht erinnerte sie sich aber auch schlagartig, worum ich sie gebeten hatte, kurz nachdem wir in Ostia das Schiff verlassen hatten.
    "Also isch mään, meine Herrin die ehrenwerte Flavia Celerina möschte bitte den Hausherrn schpreschen, bitte!"
    Völlig unbeteiligt stand ich hinter Ylva und konnte mir kaum ein Grinsen verkneifen.

    Die Fahrt von Ostia nach Rom war sehr kurzweilig verlaufen. Frohenmutes hatte ich die ewige Stadt erreicht und ließ mich von den imposanten Bauwerken und Plätzen beeindrucken.
    Vorsichtshalber hatte Ylva uns in einer Herberge eingemietet. Ich hatte zwar beschlossen, noch am gleichen Abend zu meinen Verwandten aufzubrechen. Das Gepäck hatte ich allerdings vorsichtshalber noch in der Herberge belassen, denn schließlich wußte ich ja überhaupt nicht, ob ich willkommen war.


    An der Porta der Villa Flavia Felix angekommen, wies ich Ylva an, anzuklopfen. Ohne zu zögen tat sie, wie ihr geheißen wurden.

    Um die Mittagszeit lief das Schiff, aus Massalia kommend, im Hafen von Ostia ein. Ich konnte es kaum erwarten, endlich an Land zu gehen. Nicht das ich etwa die Überfahrt, die für die Jahreszeit relativ ruhig verlaufen war, nicht genossen hatte, nein mich bedrängte die Neugier, endlich zu erfahren, wer ich wirklich war. Die unglaubliche Geschichte, die mir meine Mutter, kurz bevor sie starb, offenbart hatte, hatte mich zuerst vollends aus der Bahn geworfen. Doch dem mußte so sein, denn als Beweis gab sie mir einen Siegelring, den einst meine leibliche Mutter für mich zurückgelassen hatte.
    Ich war nicht die, für die ich mich all die Jahre gehalten hatte! Zuerst konnte ich mich schwerlich mit diesem Gedanken abfinden, doch nachdem vor zwei Monaten nun auch mein Gatte von mir gegangen war, blieb mir nur noch eins, zu handeln! Kurzerhand beschloß ich, meine Sachen zu packen und meine wahre Familie zu finden. Mir war zwar nicht ganz wohl bei der Sache, doch zu wem sollte ich? Ich hatte niemanden mehr! Ungewiß blickte ich in die Zukunft. Einzig meine treue germanische Sklavin Ylva schenkte mir von Zeit zu Zeit neuen Mut.


    [Blockierte Grafik: http://img244.imageshack.us/im…537de5b0efcf710c3bae2.gif| Ylva
    "Ylva, kümmere dich bitte um unser Gepäck!" rief ich meiner Sklavin zu, als ich das Schiff verließ.
    Das war also Ostia! Niemals zuvor hatte es mich nach Italia verschlagen. Ich konnte es kaum erwarten, endlich den Hafen hinter mir zulassen und nach Rom aufzubrechen. Die ewige Stadt- wie sehr hatte ich es mir gewünscht, sie endlich einmal kennenzulernen. Nun würde ich kommen, um sie für mich zu erobern.
    "Ylva, hast du auch an alles gedacht?" vergewisserte ich mich noch einmal.
    "Jo Herrin, es is alles do! Du brauscht kää Angscht zu han!" tönte es aus ihrem Mund, in ihrem ureigensten Dialekt, der mich jedes mal wieder erschauern ließ.
    "Ylva, wir sind jetzt bald in Rom! Da würde ich dich doch bitten, dich einer etwas gesitteteren Sprache zu bedienen. Hast du mich verstanden?" entgegnete ich ihr energisch. Doch richtig böse konnte ich ihr nicht sein. In all den Jahren, in denen sie nun schon bei mir war, hatte sie sich als gute und unschätzbare Freundin erwiesen.
    "Jo, is gut Herrin! Noch sinn mer jo noch ned do!" Ylva verdrehte die Augen und dachte wohl, ich würde es nicht bemerken.
    "Ylva!" tadelte ich sie, allerdings konnte ich ein grinsen nicht unterdrücken.
    "Ja, Herrin! Isch werd mir Mü-he ge-ben!" antwortete sie schließlich übertrieben.
    "So ist´s gut!" nickte ich zufrieden. Dann sah ich mich um. Wir mußten eine Möglichkeit finden, um nach Rom zu gelangen.
    "Ylva, kümmere dich bitte um unsere Weiterreise nach Rom!" Ich reichte Ylva einen Beutel mit Münzen und bedeutete ihr, sich bei den Fuhrleuten umzuhören, um eine günstige Fahrt nach Rom auszuhandeln. Sogleich machte sie sich daran und sprach mit den Fuhrleuten. Es dauerte nicht lange, bis sie schließlich alles Nötige organisiert hatte.
    Kurze Zeit später befanden wir und uns in einem Wagen, auf dem Weg nach Rom.

    Ich hätte da mal eine Frage, deren Klärung für meinen demnächst anstehenden Start ins römische Alltagsleben, sehr wichtig wäre.


    Gab es eine spezielle Trauerkleidung für Witwen, die sie in ihrer zehnmonatigen Trauerzeit trugen (wie z.B. in der heutigen Zeit ein trauernder Mensch schwarz trägt)?
    Leider konnte ich in meinen Unterlagen darüber nichts finden. Aber vielleicht könnt ihr mir ja weiterhelfen!
    Im Voraus sage ich schon mal danke! ;)