Beiträge von Flavia Celerina

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    Mit einem leichten Druck, öffneten Ylvas Finger langsam die unheilschwangere Truhe, so als müßte sie befürchten, von einer gefährlichen Kreatur angegriffen zu werden.
    Betrachtete man allerdings deren Inhalt mit den Augen eines Unwissenden, so hätte man sich sicher gewundert, warum die Sklavin eine solche Abscheu dagegen empfand. Waren doch nur einige Tontöpfchen, Lederbeutelchen und ein Mörser darin enthalten. Nichts also, was auf den ersten Blick gefählich wirkte.
    Rühr ja nichts davon an, Ylva! Hatte ihre Herrin ihr immer und immer wieder versucht einzubläuen. Ylva versuchte indes, einen weiten Bogen um den Inhalt der Truhe zu machen. Sie hatte damals mit eigenen Augen miterleben müssen, was geschehen konnte, hielt an sich nicht an die Anweisungen ihrer Herrin! Das kleine, naseweise Zimmermädchen, das seine Neugier nicht zügeln konnte, war einen grauenvollen Tod gestorben, der sich tagelang hingezogen hatte.


    Es bereitete Ylva besonders viele Schwierigkeiten, die Töpfchen und Lederbeutel anzufassen. Nicht etwa, weil sie so schwer waren! Nein, mußte sie doch auch befürchten, mit den Inhaltstoffen in Berührung zu kommen. Wenn das geschehen würde, mußte sie auch damit rechnen, jammervoll dahingerafft zu werden. Ihre Herrin hatte sich in der Vergangenheit, mit diesem Wissen, einen bösen Spaß mit ihr erlaubt und ihr damit gedroht, den Inhalt des einen Töpfchens, in dem sich einige getrocknete Blätter Hyoscyamus niger befunden hatten, überzuwerfen. Natürlich hatte die reine Berührung mit den Blättern keine schwerwiegenden Folgen für Leib und Leben! Doch das war der Sklavin bislang verborgen geblieben.
    Schließlich wickelte Ylva ihre Hand in ein Tuch ein und entnahm dann vorsichtig die Töpfchen und Beutelchen, die sie anschließend in einem Schubfach des Schminktisches verschwinden ließ.
    Erleichtert atmete sie auf, als sie es endlich vollbracht hatte.
    Sie würde sicher niemals voll und ganz ergründen können, warum ihre Herrin Gefallen daran gefunden hatte, mit solch gefährlichen Stoffen zu hantierten. Manchmal hatte sie den Eindruck, Celerina war wie besessen davon!

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    Ylvas Hand näherte sich, wenn auch sehr unwillig, der kleinen Truhe um sie endlich zu öffnen. Es hatte keinen Sinn, sie ungeöffnet stehen zu lassen! Sie, Celerina würde toben vor Wut, würde sie nicht voll und ganz ihren Anweisungen folgen! Doch bevor sie endlich zur Tat schreiten konnte, um die Truhe zu öffnen, wurde die Tur des Cubiculums aufgerissen. Einer der flavischen Sklaven stand in der Tür. Sein Blick schweifte durch den Raum, suchend nach der Sklavin.
    Ylva, deren Herz beinahe vor Schreck stehen geblieben wäre, fuhr mit einem spitzen Schrei hoch. Sie fühlte sich auf einmal, wie benommen. Wie ertappt stand sie vor dem Eindringling. "Ja, was is?" fragte sie verunsichert.
    "Deine Herrin wünscht ihre Kleidung!" gab der Sklave knapp zur Antwort.
    Langsam kam Ylva wieder zu sich. Ihr Blick fiel auf das Bett ihrer Herrin. Dort hatte sie die sogenannte 'Wohlfühltunika' schon bereit gelegt.
    Unvermittelt schritt sie ans Bett heran und nahm die Tunika auf, um sie anschließend dem Sklaven zu übergeben. Der schaute etwas konsterniert drein, denn die 'Wohlfühltunika' war alles andere als das würdige Gewand einer Patrizierin! "Kää Angschd! Die wollt se habbe!"
    Der blick des Sklaven ließ vermuten, daß er nun noch irritierter sein mußte, da er sich mit Ylvas Aussprache sichtlich schwer tat. "Äh, wie bitte?" fragte er verunsichert.
    Ylva rollte die Augen voller Unverständnis. Doch sie hatte Mitleid mit ihrem Schicksalsgenossen und bediente sich einer etwas verständlicheren Sprache. "Isch hab ge-sagt, kei-ne Angscht, die woll-te sie ha-ben! Hosch´s jetzt?" Besonders langsam und verständlich sprach sie auf den Sklaven ein, der offensichtlich zu verstehen begann. Trotzdem war ihm nicht wohl, mit dieser Tunika ins Balneum zurückkehren zu müssen. Doch ihm blieb nichts anderes übrig. Also nickte er Ylva noch einmal kurz zu und verließ sogleich wieder das Cubiculum.
    Ylva seufzte! Die kleine Truhe, die immer noch ungeöffnet da stand und sie daran zu erinnern schien, was noch zu tun war, fiel ihr sofort wieder ins Auge. Noch einmal müßte sie sich nun überwinden, sie zu berühren um sie schließlich zu öffnen. Wieder überkam sie ein Schauder. Doch es mußte getan werden! Kein Weg würde daran vorbei führen!

    Ach, Schwamm drüber, dachte ich mir. Endlich hatte ich diese vermaledeite Ehe hinter mich gebracht und ich war wieder frei! Das war einzig wichtig! Bei meinem nächsten Ehemann würde ich es mir nicht verbieten lassen, ein Wörtchen mitzureden, wenn es um die Auswahl eines solchen ginge!
    Beim nächsten Mann wird alles anders!
    "Nun, frühestens sobald die Trauerzeit zu Ende ist! Doch ich möchte mir etwas Zeit lassen und nicht wieder überstürzt in eine Ehe gedrängt werden!"
    Nein, jetzt galt es erst einmal, die neue Freiheit zu genießen und Rom zu erobern! Mit etwas Glück und dem guten Namen meiner Familie ließe sich dann auch ein passendes Gegenstück zu mir finden, zu dem ich dann tatsächlich eine glückliche und liebevolle Beziehung aufbauen könnte. Der Gedanke daran, einen Bruder zu haben, der mich dabei unterstützte, gefiel mir immer mehr.
    "Ja, ich hoffe, wir werden viel Spaß miteinander haben!"
    Erwartungsvoll lächelte ich Lucanus zu.
    "Ich denke, ich sollte nun in mein Cubiculum zurückkehren, und mich für den heutigen Abend vorbereiten. Was hältst du eigentlich davon, wenn du mir in den nächsten Tagen die Stadt zeigst?"
    Ylva hatte sicherlich schon all meine Sachen verstaut. Ich müßte mir dann noch überlegen, welche Garderobe, welchen Schmuck und welche Kosmetik ich für den heutigen Abend wählen sollte. Dies alles bedurfte einiges an Zeit.

    "Seitdem ich mich auf die Reise nach Rom gemacht habe, sehne ich diesen Moment herbei, endlich meinen Bruder kennenzulernen. Und glaube mir, ich bin heute mit gemischten Gefühlen hierher gekommen. Ständig habe ich mir die Frage gestellt, wie man mich hier aufnehmen würde. Aber ich wurde bislang auf angenehme Weise überrascht! Man ist mir gegenüber sehr zuvorkommend. Onkel Gracchus möchte heute Abend eine cena für mich ausrichten, damit ich alle anwesenden Familienmitglieder kennenlerne. Doch ich freue mich sehr, bereits jetzt deine Bekanntschaft zu machen, Lucanus."
    Wenn ich es mir recht überlegte, konnte eine solche Überraschung bei manchen doch sehr auf den Magen schlagen. Als Hauptgericht eine Schwester zu erhalten war schließlich nicht alltäglich. Auch wenn er es jetzt auf die leichte Schulter nahm, es würde doch Zeit brauchen, bis wir uns soweit angenähert hatten, wie es für Bruder und Schwester üblich war.


    "Nun, ich wuchs in einfachen Verhältnissen in Tarraco auf. Wie ich erst kürzlich herausfand, war unser Vater mit meinem Pflegevater befreundet. Wahrscheinlich hat r mich aus diesem Grund dort abgegeben. Wir waren drei Kinder. Ich bin mit einem älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen. Und ich kann dir versichern, es war nicht immer leicht. Doch ich habe gelernt, mich durchzusetzen!"
    Auch ich begann nun aus meinem Leben zu erzählen. Meine Kindheit als glücklich zu bezeichnen, wäre übertrieben gewesen. Wenigstens hatte ich alles, was ich brauchte. Doch hatte ich damals schon gespürt, daß man mich anders behandelte, als meine vermeintlichen Brüder. Damals glaubte ich, der Grund dafür wäre, weil ich ein Mädchen war.
    "Als ich fünfzehn Jahre alt war, wurde ich verheiratet. Mein Ehemann war ein reicher Kaufmann, der allerdings fast dreimal so alt war, wie ich. Nach der Hochzeit folgte ich ihm nach Gallien. In Lutetia lebte ich im Luxus, doch der Preis dafür war ein Mann, der mich nicht liebte, der mich betrog und der mich all die Jahre fast wie eine Gefangene hielt. Nachdem ich mit achtzehn eine Fehlgeburt erlitt , blieben uns Kinder verwehrt. Mit Als er vor zwei Monaten starb, kam dies für mich einer Befreiung gleich."
    Ich nahm kein Blatt vor den Mund, als ich über meine Ehe berichtete. Diese acht Jahre waren für mich eine reine Tortur! Und ja, ich war froh, daß er tot war!

    Seine Verwunderung und seine erste Sprachlosigkeit überraschten mich nicht. Mir war es vor einigen Monaten ähnlich ergangen. Wenn man sich eingestehen mußte, daß das bisherige Leben, welches man geführt hatte, eine einzige Lüge war, war diese Reaktion mehr als angebracht!
    Doch bald faßte sich Lucanus wieder und seine Sprache kehrte zurück.
    Beinahe war ich erstaunt, wie leicht er die Neuigkeit aufnahm. Machte er doch gleich Späße darüber.
    "Mir ist bekannt, wie nervig es sein kann, mit einem jüngeren Bruder aufzuwachsen. In der Familie, in der ich aufwuchs, gab es einen solchen" gab ich trocken zur Antwort. Ich versuchte, mich zu einem Lächeln hinreißen zu lassen, doch das mißlang vollkommen.
    "Lucanus, ich kann verstehen, wenn du mir nicht glauben willst. Auch für mich war die Wahrheit eine schwere Kost, als ich sie aus dem Mund meiner sterbenden Ziehmutter vernahm. Doch sie entspricht der Wahrheit. Seitdem ich vor einigen Monaten über meine wahre Herkunft unterrichtet wurde, ist kein einziger Tag vergangen, an dem ich mich nicht nach dem Warum gefragt habe. Erst war ich gekränkt und empört darüber, daß man mich einfach weggegeben hatte, wie Abfall, doch der Zorn ist mittlerweile einer ohnmächtigen Traurigkeit gewichen. Was mir jetzt noch helfen könnte, wäre zu ergründen, ob es damals einen triftigen Grund für diese Tat gab."Die Ohnmacht und diese Hilflosigkeit , die ich empfunden hatte, hielten mich immer noch fest im Griff. Die Frage, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, hätte ich die Möglichkeit gehabt, bei meiner richtigen Familie aufzuwachsen, beschäftigte mich tagein tagaus.
    Der Tod meines Gemahls vor zwei Monaten hatte all dies noch verstärkt. Doch war dies für mich der ausschlaggebende Punkt, nun selbst Nachforschungen anzustellen. Nun war niemand mehr da, der mir das hätte verbieten können.
    Schließlich war ich überrascht, als Lucanus nach dem Stammbaum griff und meinen Namen neben sich eintrug. Auch er benötigte einfach Zeit um der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Die wollte ich ihm gerne zugestehen und quittierte es mit einem zarten Lächeln.
    "Onkel Gracchus ist darüber bereits informiert und ich kann dir versichern, er ist nicht aus den Sandalen gekippt!"

    "Oh, welch freudige Nachrichten!"rief ich lächelnd aus. "Das wird fürwahr ein würdiges Gesprächsthema sein!"
    Ich vernahm das überaus freundliche Angebot, welches er mir unterbreitete und war mir in diesem Augenblick endgultig gewiss, den Anschluß in die Familie geschafft zu haben. Bliebe letzlich die Frage, wie die anderen Familienmitglieder mir gegenüber stehen würden. Doch das sollte mich im Moment nicht belasten. Dies zu ergründen, wäre Sinn und Zweck des heutigen Abends.
    "Lieber Onkel, ich möchte dir noch einmal für deine Großzügigkeit danken. Wenn du erlaubst, würde ich mich nun gerne etwas zurückziehen. Die lange Reise hat mich doch mehr mitgenommen, als ich gedacht hatte. Aber gerne werde ich deinem Angebot nach kommen, und mir ein erholsames Bad gönnen. Desweiteren würde ich gerne einige Sklaven, nach meinem Gepäck schicken lassen, auf daß mir nichts mangelt."
    Erleichtert, nun wirklich an meinem ersten Ziel angekommen zu sein, gab ich meiner Sklavin Ylva ein Zeichen, damit sie sich um den Verbleib meines Gepäcks kümmern würde.
    Ich sehnte mich bereits nach meinen eigenen Räumen und einem erholsamen Bad in ansprechender Atmosphäre, auf daß ich dem anberaumten Familientreffen am Abend ausgeruht und entspannt entgegensehen konnte.

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    Ylva begann sofort damit, die Reisetruhen ihrer Herrin auszupacken. Sorgfältig verräumte sie sie Gewänder, die Schuhe, den Schmuck und zu guter letzt auch die Kosmetika in die dafür vorgesehenen Truhen, Schubladen und Regale. Die Lieblingstunika, ein einfacheres und schon etwas abgetragenes Gewand, legte sie auf das Bett. Sobald Celerina danach verlangen würde, brächte sie ihr die gewünschte Tunika.
    Ylva, ein eher praktisch veranlagter Mensch, konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihre Herrin an dem 'Fetzen' fand.
    "Isch wääs der ned, warum se dään Fedse ned schunn längschd fordg´schmisse hot!"* Sie sprach mit sich selbst. Doch im Grunde konnte ihr das völlig gleich sein! Ihre Meinung dazu würde ungehört verhallen.


    Dann war nur noch die kleine Truhe übrig. Es bereitete ihr große Überwindungskraft, alleine nur daran zu denken, was sich darin befand. Ihre Herrin hatte im Laufe der Jahre eine eigentümliche Neigung entwickelt, die ihr eine gewisse Art von Abwechslung bereitete, während sie sich in Lutetia wie eine Gefangene fühlte. Doch diese Gefangenschaft war nun vorbei. Aber ihre Neigung war geblieben. Celerina hatte Spaß daran gefunden und sie wollte sich von dieser Zerstreuung nicht mehr trennen!


    Sim-Off:

    Übersetzung:* Ich weiß nicht, warum sie diesen Fetzen nicht längst schon weggeworfen hat!

    Bei der Erwähnung seiner Schwester, horche ich auf. Sie hatte Rom den Rücken gekehrt? Sicher wäre es zu impertinent und taktlos gewesen, noch einmal zu hinterfragen, was es mit ihr auf sich hatte. Über die Verluste, die die Familie in den letzten Wochen und Monaten hinnehmen mußte, war ich nicht informiert. So war mir auch nicht bekannt, was der Virgo vestalis maxima vor einigen Wochen zugestoßen war.


    "Wie ich deinen Worten entnehme, leben derzeit keine anderen weiblichen Familienmitglieder in der Villa? Nun, dann wird es wird mir eine besondere Freude sein, deine Gemahlin kennenzulernen und ihr auch in Zukunft Gesellschaft zu leisten, so sie dies möchte."
    Sicher verfügte sie auch über hervorragende Kontakte zu den höchsten Kreisen dieser Stadt. Eine solch einflußreiche Freundin konnte in jedem Fall von Nutzen sein.

    Ich konnte nicht glauben, was ich soeben hören mußte! Ein Unfall! Eine Fehlgeburt! Das war ich! Mein Vater, mein eigener Vater hatte mich also 'entsorgt'!
    Ein plötzlicher Schwindel überkam mich. Ich strauchelte und ließ mich erschöpft auf einen Stuhl gleiten. Wie benebelt saß ich vor Lucanus und blickte ins nichts.
    "Das Kind war nicht tot! Es lebte! Das Mädchen lebte!" kam es völlig monoton aus meinem Mund. Sekunden des Schweigens die wie Stunden wirkten, vergingen. Unfassbar! Doch ich vermied es, mich völlig gehen zu lassen.
    Wieder gefaßt, blickte ich zu Lucanus auf. Was ich sah, war ein junger, überschwänglicher und gebildeter Mann, der noch sein ganzes Leben vor sich und eine glückliche Kindheit hinter sich hatte. Wie würde er für sich die Wahrheit bewältigen? Könnte er sie akzeptieren? Ich kämpfte mit mir einen inneren Kampf. Sollte ich ihn vorerst in seinem Glauben lassen, keine Geschwister zu haben oder hätte er nicht doch besser die Wahrheit verdient? Das Verdrängen der Wahrheit, käme einer Lüge gleich!
    "Lucanus", begann ich schließlich, ernst dreinblickend, "Du hast eine Schwester! Das Kind, diese Fehlgeburt,...das war ich!"
    Wie grausam konnte doch die Wahrheit sein! Meine Frage war beantwortet worden. Es war nicht die Mutter, die mich nicht haben wollte. Nein, es war der Vater, der mich meiner Familie entzogen hatte! Ob ihn Gewissensbisse plagten? Warum hatte er sonst den Siegelring beigefügt, als er das kleine Etwas einer anderen Frau übergeben hatte?

    Nach dem ersten Zusammentreffen mit meinem Großonkel, war ich bereit, mein neues cubiculum in Augenschein zu nehmen. Im Augenblick machten sich noch einige dienbare Geister daran, das cubiculum so herzurichten, daß es auch bewohnbar war. Einige andere Sklaven waren in der Zwischenzeit damit beauftragt worden, mein Gepäck aus der Herberge hierher in die Vila zu bringen.


    Sichtlich zufrieden betrat ich abermals mein cubiculum. Alles war war an seinem Platz, so wie ich es wollte. Auch meine Reisetruhen hatten inzwischen ihren Weg hierher gefunden.
    "Ylva, du kannst damit beginnen, meine Sachen auszupacken!" Meine Sklavin stand immer noch mit offenen Mund da und betrachtete sich ausgiebig das Möbiliar und die reiche Innenausstattung des Raumes.
    "Nää, is des en Luxus! So was hatten mer ned in Ludätsia!"
    Da mußte ich ihr voll und ganz zustimmen! "Ja, da könntest du recht haben!" antwortete ich ihr süffisant.
    "Soll isch alles auspacke, aach des in de klää Truh?" fragte Ylva plötzlich mit unsicherer Stimme.
    "Natürlich auch das, was sich in der kleinen Truhe befindet!" antwortete ich ihr bestimmt.
    "Aber muß ich wärklich, Herrin?" Flehend sah sie mich an, als ob es un ihr Leben gehen würde.
    "Aber ja, Ylva! Alles!" antwortete ich ihr entschiden und verrollte dabei die Augen.
    Ylva wollte sogleich noch einen Versuch starten, mir zu widersprechen, doch ein einziger Blick meinerseits genügte, um sie zum Schweigen zu bringen.
    "Ylva, ich werde jetzt ein Bad nehmen! Wenn ich zurück bin erwarte ich, daß hier alles zu meiner Zufriedenheit ist. Ach ja, bringe mir dann bitte noch meine Lieblingstunika!"
    Lächelnd drehte ich mich zur Tür und verließ das Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten.

    Aufmerksam lauschte ich der Beschreibung seiner und meiner Mutter. Ich konnte sie mir fast bildlich vorstellen, obwohl ich sie nie gesehen hatte. Sie mußte wirklich eine herzensgute Frau gewesen sein, die ihren Sohn liebte. Umso mehr schmerzte es mich immer mehr, warum mir diese Liebe nicht zu Teil geworden war! Was hatte ich verbrochen? Ich war doch noch ein Kleinkind, als sie mich in fremde Hände gab!
    Tränen sammelten sich in meinen Augen, doch ich vermied es, sie zu vergießen. Stattdessen folgte ich ihm konzentriert weiter. Es sprach von einem idyllischen Familienleben, Mutter und Sohn, indem eine Tochter kein Platz hatte!
    Doch einige Bemerkungen erregten meine Aufmerksamkeit! Er sprach von einem Unfall, vor seiner Geburt!
    "Du sagst, sie hatte einen Unfall? Was ist denn passiert?"
    Was mich auch stutzig machte, war seine Bemerkung' Manchmal hatte ich das Gefühl, ich sollte lieber viele sein, nicht nur einer, aber als ich ihr das sagte, wollte sie nichts davor hören' Nun hielt mich nichts mehr! Eigentlich hatte ich vor, nicht noch tiefer zu bohren. Ihn auf eine Spur zu bringen. Ihn auf den Gedanken zu bringen, eine Schwester zu haben, nämlich mich!
    "Was meinte sie damit, sie wollte nicht, daß du nicht nur einer bist? Und was meintest du damit, du seist ihr einziges Kind mehr oder minder? Hat sie nie ein Kind erwähnt, welches sie vielleicht vor deiner Geburt zur Welt gebracht hatte?"
    Mir war nicht bewußt, wie sehr mein ruhiger Ton einem immer mehr energischer werdenden gewichen war. Indirekt hatte ich mich soeben offenbart, doch das wurde mir erst später klar!


    Das cubiculum der Flavia Celerina ist ein reich ausgestatteter Raum, in dem sich ebenhölzerne Möbel mit Elfenbeinintarsien befinden.


    Neben einem großen Bett befindet sich eine Truhe, in der die edlen Gewänder der Flavia einen Platz finden. Des Weiteren findet hier noch ein Frisier- und Schminktisch samt gepolstertem Stuhl Platz, auf dessen Tischplatte sich kleine terracottafarbene Tiegel und gläserne Flacons mit Kosmetika und verschiedenen Parfums, nebst einem bronzenen Handspiegel und diverser Haarnadeln, sowie eine Bürste, befinden.
    Die Wände sind mit prächtigen Wandmalereien mit mythologischen Szenen verziert. Ein Mosaik, welches Eros und Psyche darstellt, ziert den Fußboden.
    Neben dem Bett steht noch ein kleines Tischchen, auf dem stets frisches Obst bereit steht.

    Bei seiner Frage wandte ich mich wieder zu Lucanus hin. Ich wollte ihm die Wahrheit nicht verschweigen, doch wollte ich ihn auch nicht damit aus heiterem Himmel überraschen, daß ich seine Schwester war. So wählte ich den Mittelweg!
    "Ja, wie soll ich sagen? Leider war es mir verwehrt, bei meinen leiblichen Eltern aufzuwachsen. Ich weiß so gut wie nichts über sie. Ich weiß nur, daß ich ein Mitglied dieser Familie bin."
    Das Lächeln war nicht wieder in mein Antlitz zurückgekehrt. Ich hoffte, er würde nun von weiteren Fragen zu meiner Person absehen. Mir selbst war der Augenblick, da ich erfahren hatte, wer ich wirklich war, noch sehr gut in Erinnerung. Es glich beinahe einem Schlag, der mich traf. Ich wollte nicht diejenige sein, die ihm diesen Schlag versetzte!
    "Aber erzähle doch du mir von deiner Familie! Was für ein Mensch war deine Mutter? Hat sie dich geliebt?"
    Es war mein Bestreben, noch mehr über sie herauszufinden. Ich wollte mir ein komplettes Bild von ihr machen, um zu verstehen, warum sie damals so gehandelt hatte. Es mußte doch einen Grund geben, warum sie mich hergegeben hatte, warum sie mich abgelehnt hatte! In diesem Punkt war ich wie ein kleines Kind, welches sein Welt um sich herum verstehen lernen wollte.

    "Deine Offerte nehme ich dankend an. Als ich damals mit fünfzehn Jahren vermählt wurde, hätte ich gerne noch mehr studiert. Doch mein Gatte befand dies als unpassend. Umso mehr möchte ich nun die Zeit nutzen und etwas für meine Bildung zu tun."
    Agrippa, mein Ehemann, hätte mich wohl am liebsten in der heimischen Villa eingesperrt. Die Bibliothek der Villa war so mein einziger Zugang zum Wissen.
    "Ich bin mir gewiss, meine Familie wird mich bei der Auswahl des Zukünftigen unterstützen, wo sie nur kann." Ein zufriedenes Lächeln huschte über meine Lippen.
    „Ich hoffe doch, ich werde deine Gemahlin auch heute Abend kennenlernen?“
    Vielleicht könnte sie für mich zu einer Art Vertrauten werden. Eine Freundin konnte die wichtigste Person für eine Frau sein.
    Während meiner Zeit in Lutetia wurde dies leider ständig von meinem Ehemann unterbunden. Es waren einsame Jahre in Gallien. Nur meine Sklavin Ylva war mir zu einer Freundin geworden.

    Belustigt hörte ich ihm weiter zu und verfolgte leicht kopfschüttelnd jede seiner Bewegungen. Er kletterte doch tatsächlich das Regal hoch! Wenn das Mago gesehen hätte! Sicher hätte der Bibliothekar gleich zugebissen!
    Lucanus holte einige Schriftrollen hervor und breitet sie, eine nach der anderen, vor uns aus. Es handelte sich dabei um die Stammbäume der Flavier.
    In gewisser Weise schaute ich sehr interessiert auf die Rollen, könnte ich vielleicht auf dies Weise auch einen Teil meines Wissensdurstes damit stillen. Doch als er die Rolle des hispanischen Familienzweiges öffnete und über seine Eltern zu sprechen begann, die ja insgeheim auch die meinen waren, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.
    "Ähm, ja! Äußerst interessant! Ja, das ist sie unsere Familie, ja!" stammelte ich verlegen, um weigstens etwas zu sagen.
    Natürlich war mein Name nicht in den Stammbaum eingefügt worden.
    "So, dein Vater starb also kurz nach deiner Geburt! Dann konntest du ihn gar nicht richtig kennenlernen! Und deine Mutter starb vor einem halben Jahr. Hast oder hattest du noch Geschwister?" fragte ich, um seine Aufmerksamkeit von dem Stammbaum abzulenken.
    Wenn mein Vater so früh gestorben war, warum hatte mich dann meine Mutter nicht zu sich geholt? Ich konnte mir diese Frage nur so erklären, indem ich annehmen mußte, daß ich von ihr nicht geliebt worden war, warum auch immer!
    Verbittert sah ich auf und wandte mich von Lucanus ab. Immer mehr und mehr wurde mir bewußt, wie hoch der Preis war, den ich zahlen mußte, wollte ich hinter das Geheimnis meiner Herkunft kommen.

    Ein Wortschwall entwich Lucanus´ Mund und ich folgte amüsiert seinen Ausführungen. Mein Bruder gehörte offensichtlich zu den Menschen, die auf humorvolle Art ihre Umgebung wahrnahmen, oder war es lediglich seine jugendliche Leichtfüßigkeit?
    "Soso, du und Onkel Aquilius werdet heiraten! Dann werden wir ja demnächst einiges zu feiern haben!" erwiderte ich schmunzelnd.
    Über unseren Verwandtschaftsgrad wollte ich ihn noch im Dunkeln lassen. Hatte doch Gracchus ein familiäres Abendessen für die Enthüllung meiner Identität geplant. So spielte ich die Unwissende.
    "Nun, über unseren genauen Verwandtschaftsgrad müßte ich mich erst noch informieren. Wenn du denkst, ich sei eine deiner Tanten, dann wird es wohl so sein." Ein geheimnisvolles Lächeln stand in meinem Gesicht.

    Begeistert schoben sich meine Mundwinkel nach oben. Der Vorschlag meines Onkels erschien mir im höchsten Maße adäquat. Ich malte mir bereits aus, wie die abendliche Gesellschaft unverhofft über die Existenz eines neuen Familienmitglieds aufgeklärt würde.
    "Das wäre eine überaus grandiose Idee! Ich bin schon immer ein Freund von Überraschungen gewesen und fände es äußerst amüsant, die Familie zu überraschen!"
    Innerlich freute ich mich bereits wie ein Kind, welches ein langersehntes Geschenk empfang.
    Erst als der Onkel meine Zukunftspläne ansprach, glätteten sich meine Züge wieder. Dies war ein ernsthaftes und wichtiges Thema, bei dem man nicht scherzen sollte!
    "Nun, zum einen wollte ich meine Bildung noch etwas festigen und mich in der Schola Atheniensis einschreiben, zum anderen möchte ich Zugang zur gehobenen Gesellschaft Roms finden, um dort einen geeigneten Gatten zu finden."

    Noch belächelte ich seine amüsanten Bemerkungen, Magos bezüglich. Auch das Kompliment, welches er mir zuteil werden ließ, erheiterte mich. Doch als er daran ging, um nach meiner Familie zu fragen, blieb mir im wahrsten Sinne des Wortes das Lachen im Halse stecken.
    Völlig überrumpelt musterte ich ihn. Das, was ich eigentlich vermeiden wollte, würde nun seinen Lauf nehmen. Ich saß sozusagen in der Falle! Da ich Lügen verabscheute, blieb mir nichts anderes übrig, als bei der Wahrheit zu bleiben. Er mußte es ja nicht aus meinem Munde erfahren, daß ich seine Schwester war!
    "Nun, ich befürchte, dem ist so! Flavia Celerina lautet mein voller Name und ja, ich habe vor, für einige Zeit hier in der Villa zu bleiben." Mittlerweile war mein grinsen völlig aus meinem Antlitz entschwunden. Sattdessen machte ich einen eher verlegenen Eindruck.

    Natürlich prasselten die tadelnden Worte des Bbliothekars auf mich ein, doch der Verweis aus der Bibliothek blieb glücklicherweise aus. Stattdessen ergriff Lucanus das Wort und trat sogar für mich ein. Er hatte wohl schon etwas mehr Erfahrung mit dem Alten gesammelt, denn kurz darauf verließ der Bibliothekar kommentarlos den Ort des Geschehnisses.
    "Danke für deine Hilfe! Der Gute ist ja noch schlimmer als Kerberos, der Höllenhund!" entfuhr es mir leise.
    Ich kräuselte leicht meine Lippen und mußte dabei grinsen.
    Höflich, wie man es erwartet hätte, stellte sich Lucanus mir vor, immer noch unwissend, wer ich denn eigentlich war und genauso ahnungslos um das Wissen, überhaupt eine Schwester zu haben. So sollte es auch vorerst bleiben, dachte ich zumindest.
    "Oh, angenehm, mein Name ist Celerina." antwortete ich ihm, um nicht unhöflich zu wirken.
    "Was meinst du damit, ob ich länger bleibe, hier in der Bibliothek oder hier in der Villa?" Eigentlich hatte ich nicht vor, auf ewig in der Bibliothek zu verbleiben. Mit der Villa war das schon etwas anderes! Sie würde mir die nächsten Monate eine Heimstatt bieten, so hoffte ich doch.