Beiträge von Numerius Duccius Marsus

    http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus
    Lucius Petronius Crispus hielt ein seeeehr langes Schlussplädoyer. Iudex Prior Apustius zog immer wieder die Augenbrauen hoch. Teils in Anerkennung für die ausschweifende und dennoch inhaltlich eng an der Anklage gehaltene Rede. Andererseits gerade weil das Plädoyer so unglaublich lang war und er sich selbst immer wieder zu Konzentration gemahnen musste.


    Am Ende wurde der Petronier dann aber doch noch fertig. Apustius ließ einen Augenblick der Pause verstreichen, während dessen Lucius sich setzen konnte. Dann wandte er sich an den Verteidiger. "Manius Gorgonius Augurinus, möchtest du auf das Plädoyer der Anklage etwas erwidern?"

    Witjon sah überrascht von seinem Kram auf. "Hm?", machte er fragend, als er Albins Gestalt ersichtig wurde. "Hm", nickte er dann verstehend. "Hmhm", gab er Albin dann die Anweisung, den Scriba einzulassen, was er mit seinen fettigen Händen in beinahe eindeutig zu begreifenden Gesten zu unterstreichen suchte. Schnell wischte er seine Finger an der Hose, die er in der Casa in Kombination mit einem Hemd üblicherweise anstelle der römischen Tunika trug, ab und setzte sich aufrecht hin. Mit dem Ärmel fuhr er sich nochmal kurz über den Mund, um dort Krümel und Fett aus dem Sichtfeld des Besuchers zu beseitigen, dann war er besuchsfähig.

    "Immerhin", sagte Witjon und nickte beipflichtend. Immerhin schneite es nicht immer noch und wieder. Wobei das vermutlich nicht lange so bliebe. "Aber als unangenehm würde ich die Kälte auch nicht zwingend bezeichnen. Sie hat viele Vorteile. Erstens wird man auf der Straße nicht alle paar Schritte von irgendeiner Quasselstrippe angesprochen, sondern kann seiner Tätigkeit zügig nachgehen. Zweitens kann man seine Lebensmittel hervorragend lagern. Und zwar ohne, dass sie innerhalb von Tagen in muffigen Kammern verschimmeln. Und wenn man dann noch dicke Klamotten am Leib hat..." Witjon warf seiner Gesprächspartnerin einen leicht ironischen Blick zu. Natürlich wusste sie das alles, davon ging er aus. Aber er meinte sich erinnern zu können, dass Octavena nicht in Mogontiacum oder überhaupt in einer nördlichen Provinz des Reiches aufgewachsen war. Bei Doars dreckigen Fußsohlen, wann hatte er das denn nochmal gesagt bekommen? Sicherlich war das im Gespräch mit ihrem Onkel Marcus Petronius Crispus gewesen. Aber wann und wo? Im Domus Petronia? Möglich. Vor den Ludi Florales? Definitiv. Und wann, wo und warum genau? Witjon wusste es einfach nicht mehr, aber das war ja auch egal. Viel ungünstiger war, dass er keine Erinnerung mehr daran hatte, wo genau Octavena jetzt überhaupt her kam! Aus Sicilia? Hispania? Mauretania gar? Ha! Der alte Petronier erzählte doch immer seine Familie stamme aus Hispania. Vermutlich kam sie also dorther. Wo genau war ja dann auch egal, aber so hatte Witjon zumindest eine ungefähre Ahnung.


    "Und wo soll der Spaziergang heute noch hinführen?", fragte er letztendlich aber völlig ohne Bezug auf die Wetterlage, bloß um vom Thema Wetter wegzukommen, das schon im zweiten Jahrhundert nach Christus gewiss den Menschen vorkommen musste wie seit fünf Millionen Jahren ausgelutscht. Über das Wetter diskutierten immerhin bekanntlich nur Omis und Barbiere, wenn es nichts anderes zu bequatern gab. Oder aber Männer und Frauen, wenn sie am Versuch verzweifelten, gemeinsame Gesprächsthemen zu finden.

    Erst sah Witjon sein Gegenüber einfach nur verständnislos an. Was redete der denn da? Die Provinz...gab es doch? Aber ein Bier trinken gegangen, ja das wäre er jetzt wirklich gern. "Ich verstehe nicht...", murmelte er irritiert, aber Massula sprach schon weiter und setzte zu einer Erklärung an.


    Und dann begriff Witjon langsam. "Nö", äffte er Massula nach, als dieser die Hände hoch hob. Im Folgenden erlebte er den allseits bekannten Aha-Effekt. "Das ist ja ein Kracher", stellte er erst einmal fest und glotzte den Domitier ziemlich überwältigt an.


    Darüber musste Witjon jetzt erstmal einen Augenblick nachdenken. Besonders, als Massula so lapidar sagte, dass dafür sowieso nur der Kaiser zuständig sei und sie ja gar keine Arbeit damit haben würden. Witjon runzelte angestrengt die Stirn. "Ist das so?", fragte er schließlich und sah Massula mit einem großen Fragezeichen im Gesicht an. "Und was, wenn nicht?" Er kratzte sich grübelnd am vollbärtigen Kinn. "Naja, aber eigentlich...wir sind ja kaiserliche Provinz...die kann wohl nur der Kaiser per Gesetz einrichten. Wer sollte das auch sonst tun?"

    Zitat


    Original von Lucius Petronius Crispus per PN


    Endlich kam der unsägliche Prozess zu einem Ende - Lucius hatte schon längst die Lust verloren an den Spitzfindigkeiten dieses Winkeladvokaten, der seinem Namen alle Ehre machte - auch wenn er keine Schlangenhaare, sondern vielmehr fast garkeine hatte, war er mit das Schrecklichste, was der junge Petronier je erlebt hatte! Bei jedem Wort dieses Paragraphenreiters hatte er sich sein Schwert herbeigesehnt - Armin hatte ihm ausgeredet, es mitzunehmen - um ihm nach § 1 (1), Lex Petronia, "Wer dummschwätzt, stirbt!" die Kehle aufzuschlitzen. So musste er aber auf seinem Platz bleiben, die Finger kneten und die Redeschwälle über sich ergehen lassen. Richtig zuzuhören hatte er bald keine Lust mehr gehabt - aber das würde auch kaum nötig sein, denn selbst diese Strohköpfe von Iudices würden seiner rationalen Argumentation zustimmen müssen!


    Jetzt aber stand er auf, räusperte sich und begann sein Schlussplädoyer:
    "Verehrte Iudices, zum Abschluss kann ich nur noch einmal meine Argumente wiederholen, auch wenn Gorgonus sie nicht recht versteht und sie haarspalterisch auseinanderzunehmen versucht:


    Nicht einmal die Angeklagten können behaupten, dass sie den Diebstahl begangen haben - und zwar alle! Sie alle haben ihre Taten schon längst gestanden - Germar und Vipstanus hier in Mogontiacum, vor dem Ermittler der Civitas und einem Scriba, die anderen in Vesontio bei den Beneficarii. Ich kann mir kaum eine glaubwürdigere Aussage vorstellen und weitere Zweifel sind überflüssig! Soweit ich weiß, haben wir Krieg, und wir können nicht darauf warten, bis irgendwelche Beneficarii wieder zurückgekommen sind - wenn sie das überhaupt tun - ganz zu schweigen vom Ermittler der Civitas, der ebenfalls nicht in Mogontiacum ist. Es wäre irrational, deshalb zu glauben, dass diese Aussagen unwahr sind! Damit können wir uns alles weitere Gerede über Beweise sparen!"


    Er machte eine kurze Pause - in einem Plädoyer musste noch einmal eine Strafforderung kommen - selbst wenn es redundant war und irgendwie davon auszugehen schien, dass sich Richter das Eröffnungsplädoyer nicht merken konnten (das hatte Eumenius ihm eingetrichtert) - außerdem war das ja der eigentliche Streitpunkt der Verhandlung gewesen, wobei dieser Gorgone ja seine juristisch-haarspalterische Ader an den Tag gelegt hatte, die dem jungen Petronier so furchtbar auf die Nerven ging.


    "Dass wir einen Diebstahl haben, ist völlig klar. Dass wir eine Bande haben, aber genauso! Auch das hat Gorgonus schon zugegeben, auch wenn er aus irgendeinem Grund glaubt, dass Diebesbanden und gewöhnliche Banden etwas unterschiedliches sind! Das Ziel einer kriminellen Bande sind Verbrechen, und dass ein Diebstahl ein Verbrechen ist, ist sowieso klar! Zeiträume sind nicht messbar und daher unerheblich - man könnte auch von einer langen Dauer reden, denn der Diebstahl hielt ja an, bis die Täter gefasst wurden, was fast ein Jahr gedauert hat!


    Hier haben wir es aber nicht nur mit irgendeinem Diebstahl zu tun, sondern mit einem besonders schweren Diebstahl! Das sieht man nicht nur an der großen Beute, sondern vor allem an dem Besitzer! Es geht hier nämlich um den Besitz einer Civitas, also einer kaiserlichen Provinz, also des Kaisers! Dabei ist es völlig egal, wie dieser Besitz gesichert ist, denn auch wenn man zum Beispiel den Volkstribun anrührt, weil seine Haustür nie verschlossen sein darf, fällt man dem Fluch anheim! Und wer den Besitz des Staates oder des Kaisers anrührt, der hat immer ein schweres Verbrechen begangen, selbst wenn das Geld auf dem Forum liegen würde und nur ein Schild daran stände, dass es dem Kaiser gehört! Wenn wir so eine Argumentation zuende denken, könnten wir ja auch Randalierer, die Statuen umstürzen oder öffentliche Gebäude beschädigen, nicht mehr anklagen!"
    Auf den Vergleich mit dem Volkstribun war Lucius stolz - den Cursus Honorum hatten sie einmal vor Jahren bei Xanthippus besprochen, als sie Cicero gelesen hatten. Und dann noch einmal bei Eumenius, der ihnen die Aufgabe gegeben hatte, Rom und die Verwaltung eines Municipium zu vergleichen. Das ganze war stinklangweilig gewesen, aber dieses kleine Detail war wundersamerweise bei ihm hängengeblieben...


    Was jetzt noch blieb, war ein einfacher Syllogismus:
    "Wenn Bandenkriminalität dadurch definiert ist, dass eine Bande ein Verbrechen begeht und das Verbrechen in unseren Fall besonders schwer ist, dann ist es logisch, dass wir in unserem Fall schwere Bandenkriminalität vor uns haben! Und schwere Bandenkriminalität verdient, wie Gorgonus ja auch schon erklärt hat, die Todesstrafe! Der Fall ist also klar!


    Dann bleibt Vipstanus, der verräterische Scriba übrig. Auch wenn man vernünftigerweise sagen muss, dass seine Information zur Anbahnung und zum Erfolg der Tat maßgeblich beigetragen hat und er deshalb in gewisser Weise auch zur Bande gezählt werden kann, dürfte das für einen spitzfindigen Juristen diskussionswürdig bleiben. Ich möchte aber bemerken, dass seine Tat ein absoluter Vertrauensbruch darstellt, der eines Römers absolut unwürdig ist und den Tod verdient hätte! Leider sind unsere Gesetze da aber zu gnädig, also bleibt Bestechlichkeit und Amtsanmaßung.


    Die Bestechlichkeit liegt auf der Hand, denn wenn Gorgonus auf einer Seite zugesteht, dass eine Bestechung vorgelegen hat, muss er andererseits auch anerkennen, dass Bestechlichkeit vorliegt. Beim Missbrauch der Amtsgewalt glaubt er dagegen aus irgendeinem Grund, dass ein Scriba das Recht hat, jedem dahergelaufenen Typen die Sicherungsmechanismen der Stadtkasse zu verraten. Als ehemaliger Magister Vici und Decurio bin ich mir aber ziemlich sicher, dass das nicht der Fall ist. Genaugenommen hat niemand diese Amtsgewalt, aber wenn überhaupt jemand entscheiden darf, wer von diesen Mechanismen erfährt, dann sind das die Duumviri oder bestenfalls noch die Quaestoren, die diese Kasse verwalten.


    Wie das Gesetz so ist, wird jeweils keine präzise Strafangabe gemacht, sondern nur ein etwas schwammiger Strafraum aufgespannt. Hier muss aber der oberste Rand ausgeschöpft werden, denn wenn wir bedenken, was passiert wäre, wenn wir die Täter nicht gefasst hätten, dann..." Einen Moment stockte Lucius - diesen Satz hatte er irgendwie nicht zu Ende gedacht.


    "Naja, jedenfalls wäre der Civitas Mogontiacum ein gigantischer Schaden entstanden! Dreißigtausend Sesterzen wurden gestohlen - das würde genügen, um genügend Land zu kaufen, dass alle unsere Magistrate, ausgenommen der Magistri Vici, in den Ritterstand aufsteigen könnten! Da erscheint es mir mehr als angemessen, wenn wir folgendermaßen rechnen:


    Höchststrafe Bestechlichkeit - 1000 Sesterzen - plus Höchststrafe Amtsanmaßung - nochmal 1000 Sesterzen - macht zusammen 2000 Sesterzen!


    Fazit: Todesstrafe für Hermipius alias Germar, Manceps alias - äh - Philonicus, Silus, Scipio und Paulinus, Geldstrafe von 2000 Sesterzen für Vipstanus."


    Er atmete tief durch, blickte triumphierend in die Runde und setzte sich. Noch ein letztes Mal würde er die langweilige Stimme des Gegenanwalts hören müssen - aber da der Prozess danach zu Ende war, musste er wenigstens nicht zuhören. Also wandte er sich einer leeren Tabula zu und begann zum Spaß, ein paar Rechenaufgaben zu lösen...

    http://imageshack.us/a/img809/4583/richter4k.jpg Mamercus Apustius Gratus
    Nachdem die Parteien ihre Reden vorgetragen hatten, ging man zur Beweisaufnahme über, die ausführlich durchgeführt wurde. Apustius verfolgte die Vorträge aufmerksam und wechselte dabei gelegentlich Blicke mit seinen Iudices oder ließ sich leise von ihnen etwas ins Ohr flüstern. Der eine oder der andere schien sich bereits eine feste Meinung gebildet zu haben, anderer war noch unentschlossen. Irgendwann war die Beweisaufnahme dann glücklicherweise am Ende und Apustius konnte die Parteien zum Schlussplädoyer aufrufen.


    "Nun denn, meine Herren. Die Standpunkte der Parteien sind gehört worden, die Beweise wurden vorgetragen. Die Parteien haben zum Abschluss noch einmal die Gelegenheit, eine abschließende Rede vorzutragen. Petronius, du hast als erster das Wort", ließ der Apustier die Versammelten letztlich wissen. Nach den Schlussplädoyers würden die Iudices sich dann zur Urteilsfindung zurückziehen.

    Unbewusst stieß Witjon eine besonders große Atemwolke aus, die die Kälte nochmal besonders veranschaulichte. Als er die Symbolkraft bemerkte musste er grinsen. Erst recht angesichts Octavenas missgelaunten Mienenspiels. "Naja, dafür haben wir Menschen immerhin die Begabung, Tieren ihr Fell über die Ohren und es uns selbst um die Schultern zu ziehen", bemerkte Witjon daraufhin und zog automatisch seinen Mantel etwas enger, so dass der Pelzbesatz neben dem Schal seinen Hinterkopf und die Ohren noch besser schützte. "Und wozu gibt es darüber hinaus Garküchen und Thermen, wo man sich selbst im tiefsten Winter hervorragend aufwärmen kann?"
    Im Pferch begann Leif nun eine angeregte Diskussion über eins der Tiere, einen Schimmel, zu führen. So wie Witjon seinen Vorarbeiter kannte, würde das eine kurze, aber heftige Debatte mit - für die duccische Börse - gutem Ausgang werden.

    Wenn Massula zur Erklärung sogar lieber zu Latein wechselte, musste es ja eine etwas komplizierte Geschichte sein, die er zu erklären hatte. Und so in etwa war es auch. Mogontiacum hatte sich keinen der Provinz-Agrimensores gesichert? Das konnte Witjon ja fast nicht glauben. Was hatten die denn in der Verwaltung angestellt, nachdem er den Duumvirsposten geräumt hatte? Ungläubig runzelte er die Stirn. Öch, öch, öch, na super. Witjon gefiel das ganz und gar nicht.


    Aber Massula sprach unbekümmert weiter, er schien das ganze sogar erheiternd zu finden. Und schließlich kam er auch zu dem Punkt, der ihn in dieser Sache offensichtlich so erleichtert reden ließ: Witjon war der Verantwortliche. Na klasse.
    "Richtig", sagte er und zwang sich zu einem Lächeln. "Da kommt ja offenbar einiges an Arbeit auf mich zu", stellte er fest und zog eine Grimasse. "Aber unserem Quaestor traue ich sowieso nicht so recht über den Weg. Hat wohl lieber seine Sesterzen gehortet, statt in vernünftige Vermesser zu investieren, die ihm später das Eintreiben erleichtern." Er rollte gespielt genervt mit den Augen.


    Im Geiste machte Witjon nun eine Notiz, dass er sich dieser Agrimensoresgeschichte besser als erstes zuwenden sollte. Dann wischte er diesen Punkt mit einer entsprechenden Geste von sich und kam auf Massulas weitere Anmerkungen ein. "Einen Scriba kann ich dir jetzt leider auch nicht so zackig aus dem Ärmel zaubern, tut mir leid", merkte er zunächst an. "Aber was ist denn noch mit der Lex Provincialis? Gibt es noch Unklarheiten?" Er erinnerte sich, dass da noch ein, zwei Punkte ohne Einigung geblieben waren. Damals, als dieser Quintilier Procurator Civitatium gewesen war. Aber das war doch sicherlich bis heute aus der Welt geschafft worden...

    "Volkram hat seinen Krämerladen nur unweit von der Basilika. Wenn'de davor stehst nur wenige Schritte auf der rechten Seite", konkretisierte der Wirt die Ortsangabe, die er noch nicht gemacht hatte.


    Dann trank er nochmal einen großen Schluck vom Bier und machte Anstalten sich zu erheben. "Also, ich muss dann mal langsam wieder", sagte er und deutete mit dem Daumen auf zwei neue Gäste, die es zu bedienen galt.

    Aha, das musste also der berüchtigte Diener sein, den Octavenas Onkel erwähnt hatte. Witjon nickte Athicus knapp zu, wobei er seine Aufmerksamkeit nur Sekunden später wieder der Petronia zuwandte, deretwegen er ja überhaupt nur eine Konversation führte. Sie machte also nur einen Spaziergang. Bei der Kälte war das nicht unbedingt üblich wie Witjon fand. Daraus schloss er aber, dass Octavena jedenfalls keine nesthockende faule Frau war, sondern gern auch außer Haus unterwegs war und Kontakte knüpfen wollte.


    "Du vermutest richtig", bestätigte Witjon Octavenas Gesagtes. "Ich bin hier um mit Leif zusammen eine neue Zuchtstute zu kaufen." Dabei warf er einen Blick zu seinem Begleiter, der schon komplett abgewandt am Rand des Pferches stand und sich die Tiere besah. Witjon zuckte kurz entschuldigend die Achseln und rief Leif zu sich.
    "Leif, sprich doch schon einmal mit dem Händler. Er soll dir mal seine Tiere näher zeigen, ja?"
    "Geht klar", sagte Leif und fackelte auch gar nicht lange, sondern machte sich sogleich an die Arbeit, für die er überhaupt erst hergekommen war.
    "Er kann das sowieso viel besser als ich", erklärte Witjon Octavena nun und fügte mit einem schmalen Grinsen hinzu: "Ich muss hinterher nur noch ein paar Münzen aus dem Beutel zaubern, dann ist er zufrieden." Er warf ihr einen Seitenblick zu, während er Leif dabei zusah wie er den Pferdehändler ansprach. Dabei ging er schließlich doch noch auf Octavenas Theorie über Witjons Pferdebewunderung ein: "Bewunderung habe ich für prächtige Pferde allerdings auch übrig." Witjon verschränkte die Arme vor der Brust und stieß wie die Pferde weiße Atemwölkchen aus. Wenn es nach ihm ginge, durfte jeder Wintertag so schön sonnig sein. Auch, wenn seine Finger trotzdem froren.

    "To fil, fil to fil", sagte Witjon mit einer Spur Bedauern in der Stimme. "Over du wes ja föraf och sun her Scriba, da kunnste den och lahn quäln." Er zuckte die Schultern. Die Kohle war nun weg und er hatte den Posten. Jammern brachte ja nichts.


    Auf Massulas Aufforderung hin grinste Witjon und trank nun tatsächlich ein paar Schlucke, während der Princeps Praetorii seine Probleme darlegte. Witjon schürzte daraufhin erstmal nachdenklich die Lippen."Hmm", machte er wenig hilfreich, bevor er fragte: "Wat is den met de Akrominsore lus? Sin do emmer no nit jenough vun do?" Damit bezog er sich zwar nur auf eins der vielen Probleme, die so vor ihm dargelegt worden waren, aber er ging da lieber Stück für Stück an die Dinge heran. Und nach der Lex Provincialis fragte er lieber nicht, das konnte nur ein großer Batzen Arbeit sein, den er sich nicht gleich selbst aufhalsen wollte.

    Wer wollte, der war mitgekommen. Naha und Audaod begleiteten Witjon und ebenso Ida, Audaods damalige Amme und ihr Mann Leif, Vorarbeiter der Hros. Albin und Marga hatte Witjon dagegen verboten mitzukommen, um ihrer Gesundheit willen. Die beiden waren nicht mehr die Jüngsten und zudem in diesen kalten Tagen gesundheitlich leicht angeschlagen. Da wollte Witjon kein tödliches Fieber oder eine Erkältung, die sich zum schlimmen Husten entwickelte, riskieren. Nicht so kurz vor Frühlingsbeginn. Und Hartwigs Familie war heute vor ihre eigenen Gräber gezogen um dort zu beten und ihrer Ahnen zu gedenken.


    So gruppierte sich die kleine Gruppe vor Callistas Grab, das zum Anlass der Parentalia bereits zu Beginn der Woche festlich mit Kränzen und bunten Schleifen geschmückt worden war, und Witjon sprach ein kurzes einleitendes Gebet. Er rief die Erinnerung an sein Eheweib in den Anwesenden wach und ließ dann einen Augenblick der Stille einkehren. Anschließend sprach Witjon nochmal ein Gebet, rief Callista an und bat sie um ihre helfende Hand in jedweder Lebenslage und versprach, sie auf immer zu ehren und ihr Andenken hoch zu halten, wie er es schon bei ihrer Bestattung geschworen hatte. Nun folgte das Totenmahl, was nach römischem Glauben zusammen mit dem Verstorbenen eingenommen wurde. Witjon pflegte diese Tradition eigentlich nur, weil Callista Römerin gewesen war und Witjons Meinung nach daher auch im Tode noch den Riten und Gebräuchen ihrer Vorväter gemäß behandelt werden sollte. Daher brach er nun das mitgebrachte Brot und verteilte Würste und weichen Käse an seine Begleiter und auch ein Trinkschlauch mit Wein wurde herumgereicht. Sie aßen schweigend, denn es war kalt und sie fröstelten und ein leichter Wind wehte über die Straße und zog ihnen unter die Mäntel und Röcke und so beeilten sie sich, das Mahl zu beenden. Eine Schale mit Opfergaben verblieb dabei für Callista und die anderen prudentischen Ahnen beim Grab. Dann machten sie sich wieder auf den Rückweg zur Casa Duccia, wobei auch auf dem Rückweg eine Zeit lang betretenes Schweigen herrschte. Auch wenn Callistas Tod schon viele Jahre zurücklag, so vermissten zumindest die Erwachsenen sie noch sehr.

    An Feiertagen wie den Parentalia war Witjon auch nach so vielen Jahren seines Lebens immer noch zwiegespalten. Zwar brachte er den Laren der Casa Duccia regelmäßig Opfergaben dar. Aber seinen Ahnen gedenken, dafür erschien ihm der Hausaltar nicht passend. Immerhin konnte er hier zwischen Ahnen und Hausgeistern unterscheiden. Komplizierter wurde es, wenn er großen römischen wie germanischen Göttern opferte und sich nicht entscheiden konnte, ob und wo er Iuppiter oder Wodan, Venus oder Freya, Iuno oder Frigg, Teiwaz oder Mars opfern sollte. In manchen Fällen hatte er sich für den römischen Tempel entschieden, vielfach ging er jedoch hinaus in die Natur, zu geweihten Hainen, mystischen Opferfelsen oder umnebelten Quellorten, wo er den Göttern seiner Vorväter seine Dankbarkeit bezeugte oder göttliche Hilfe erbat.


    Um jene Ahnen zu ehren, deren Grabstätten Witjon entweder unbekannt oder für ihn unerreichbar waren, hatte er heute den Gebetsfelsen in der hinterletzten ruhigen Ecke des Gartens aufgesucht, um Zwiegespräch mit jenen zu halten, deren Rat und schützende Hand er sich so oft erhoffte, wenn er in Schwierigkeiten war. Witjon stellte einen großen Krug Bier und eine randvoll gefüllte Schale Leckereien vor dem Felsen in den Schneematsch und kniete sich dann hin - unter leichtem Ächzen ob seiner alten Tage und nicht gerade glücklich über die augenblicklich durchnässte Hose an Knien und Schienbeinen. So verharrte er einige Zeit lang in stillem Gebet. Dabei wandte er sich an Wolfrik selbst, den Urvater der Sippe wie Witjon sie kannte. Weiterhin richtete Witjon seine Gebete an seinen Vater Evax und auch an seinen Großvater Audaod, den er jedoch nie kennen gelernt hatte. Und dann musste Witjon an seine verstorbene Frau Callista denken. Doch ihrer wollte er später seine Sinne zuwenden, an ihrem Grab. So konzentrierte er sich wieder auf seine Ahnen und hielt Zwiegespräch, versank in Meditation und spürte bald seine Beine nicht mehr, während seine Gedanken weiter wandelten, bis er schließlich seine Bitten vorgetragen, Fragen gestellt und gewisse grob umrahmte Antworten erhalten hatte, die ihm eine Idee von den zu treffenden Entscheidungen geben würden. So erhob er sich mit einigen Problemen und lahmen Beinen, ließ die Opfergaben an Ort und Stelle und taumelte zurück zur Casa, wo er sich im Kaminzimmer schwerfällig auf einen der Sessel plumpsen ließ und sich erst einmal aufwärmen musste.

    Der Wirt zeigte ein schmales Lächeln, als Haakon sein Essen lobte. Er stieß mit dem Borchter an und trank selbst einen guten Schluck, dann hörte er sich geduldig und auch ein bisschen neugierig an, was Haakon im Weiteren zu erzählen hatte. Und natürlich konnte der Wirt ihm sicherlich weiterhelfen, erst recht nachdem eine weitere Münze geschmeidig die Seiten wechselte.


    "En Markoman? Na, do kenn ech onen. Dä hat en...uh, loss mech övverlege...joa, dä hat en kleenen Kramlare, fun wo dä Zeuch fun hiner de Grents verkoft." Er kratzte sich nachdenklich am bärtigen Kinn. "Volkram hees dä glov ech."

    "Die Freude ist ganz meinerseits", erwiderte Witjon und war froh, dass Octavena sich offensichtlich nicht von seinem plötzlichen Auftauchen gestört fühlte. Ihr Lächeln, das diesen angenehm sonnigen spätwinterlichen Tag noch einmal unterstrich, hob seine Laune dabei umso mehr.


    "Darf ich dir Leif vorstellen?", fuhr er im Folgenden mit einer hinweisenden Geste auf den Mann neben ihm fort. "Er ist der Vorarbeiter der Hros Duccia. Wenn du jemals eine Frage zu Pferden hast, wende dich an ihn. Er kennt sich aus." Der so Benannte nickte Octavena und ihrem Begleiter knapp zu und ließ ein beiläufiges "Salvete" hören. Er war zwar gewiss von Octavenas Erscheinung angetan, aber sein erster Grund hierherzukommen waren tatsächlich die Pferde gewesen. "Und was führt dich heute auf's Forum? Hast du vor eins dieser schicken Reittiere zu erwerben?" Er warf einen Blick auf den Pferch, wo gerade ein Kund die Zähne eines Schimmels prüfend betrachtete und dabei argwöhnisch vom Händler beobachtet wurde. Neben Witjon trat Leif von einem Fuß auf den anderen und hatte seine Aufmerksamkeit nun vollends den Pferden zugewandt. Er war heute hier um eins dieser Tiere zu erwerben, nicht um mit einem Weib zu quasseln. Witjon bemerkte das jedoch nicht, sondern wandte sich wieder Octavena zu. Dabei kam ihm die Frage, wer wohl der stille Begleiter nun sein mochte, der sich hinter der Petronia so bedeckt hielt.

    "...und deshalb bin ich der Meinung, dass Cornelius bald...hm?" Witjon hatte gerade offenbar Leif die Sachlage erklären wollen, als er von Eldrid unterbrochen wurde. "Ah, ja natürlich. Ich habe Pepino hingeschickt, es ihr zu berichten", ließ er sie wissen. Dann füllte er ebenfalls seine Schale mit Eintopf und bat um ein Stück Brot, das er in den Eintopf tunkte. Erwartungsvoll sah er dann wieder Eldrid an, ob diese noch etwas wissen wollte.

    [WRAPIMG=left]http://farm2.static.flickr.com/1093/804561443_03fb01d2a3_t.jpg[/WRAPIMG] "Und die da vorn?" fragte Leif mit einem dezenten Fingerzeig auf eines der Tiere, das einen gesunden und kräftigen Eindruck machte. "Macht einen ruhigeren Eindruck, finde ich."
    "Hmhm", brummte Witjon zustimmend. Er beobachtete das Tier noch einen Moment, wobei ein Knecht kam und einen anderen Interessenten in den Pferch führte, wo dieser die Stute genauer unter die Lupe nehmen konnte.
    "Wieso braucht dieser verdammte Händler denn so lange, um uns hier mal zu entdecken?", beschwerte Witjon sich daraufhin ärgerlich, woraufhin Leif nur ratlos die Achseln zuckte. "Viellicht sollten wir mal auf uns Aufmerksam machen?", meinte er und schürzte dabei die Lippen nach dem Motto: Du bist Chef, ich nix wissen.


    Witjon seufzte genervt. Sein Blick suchte den muskulösen Pferdehändler zwischen den Leuten am Rande des Pferches, als ihm etwas ganz anderes ins Auge sprang. Oder vielmehr: Jemand ganz anderes. Er tippte Leif auf die Schulter und bedeutete ihm zu folgen, um dann die wenigen Schritte am Rande des Pferchs entlang zurückzulegen, wo er sich räusperte und Petronia Octavena abrupt - wie ihm erst im selben Moment bewusst wurde - in ihrem Gespräch mit irgendeinem jungen Burschen unterbrach.
    "Die Ludi Florales sind auch schon eine ganze Weile her", begann er und versuchte dabei sein charmantestes Lächeln auf seinen Gesichtszügen zu zeigen. "Salve, Petronia Octavena", begrüßte er die so Genannte dann mit Namen und reichte ihr die Hand.

    Witjon saß natürlich am heutigen Tage im Publikum, denn hier ging es schließlich darum, die Männer zur Rechenschaft zu ziehen, die seinen Heimatort durch ihr widerwärtiges Tun drastisch geschädigt hatten. So emotionslos und beinahe unbeteiligt der Iudex Prior die Verhandlung leitete, so mitreißend und spannend ließ sich der Schlagabtausch von Ankläger und Verteidiger mitverfolgen. Lucius Petronius Crispus preschte zunächst in jugendlichem Ungestüm vor und forderte sogleich die Todesstrafe für alle Beteiligten, was Witjon erschreckte. Der ging ja richtig in die Vollen. Witjon selbst hatte zumindest den Scriba Vipstanus in seiner Zeit als Duumvir persönlich kennen gelernt. Da mutete es jetzt schon seltsam an, denjenigen zum Richtblock zu treiben.


    Andererseits vermochte der Gorgonier es, mit stichhaltigen Argumenten Lucius' Vortrag ganz schön auseinander zu nehmen. Witjon erkannte schnell die Patzer, die der Petronier in seine Anklage eingebaut hatte und die die Verteidigung nun aufdeckte. Darüber würde wohl noch zu reden sein, da war Witjon sich sicher. Andererseits lag es bei den Iudices, das Strafmaß festzulegen. Wenn auch die Gesetzesgrundlage für Lucius' Forderung nicht in allen Fällen genau passte, so war die geforderte Strafe durchaus berechtigt, wenn es nach Witjon ging. Die Civitas durfte nicht zulassen, dass Bandendiebstahl zu einem rentablen Geschäft wurde, in dem sich Verbrecher ihres Überlebens selbst bei Handhafthabung sicher sein konnten.


    Gespannt lehnte Witjon sich ein wenig vor. Jetzt würde es wohl zunächst einmal eine Beweiswürdigung geben, denn der Iudex Prior würde wohl kaum das reine Wortgefecht der Parteien als Entscheidungsgrundlage gelten lassen. Besonders nicht, wenn es um Todesurteile ging. Witjon warf einen Seitenblick auf seinen Sohn, der ihn zu der Verhandlung begleitet hatte. Er schien ebenfalls recht interessiert zu sein. Immerhin war dies seine erste große Gerichtsverhandlung. Vielleicht würde Audaod ja selbst einmal dort vorne stehen und jemanden anklagen oder dessen Verteidigung übernehmen. Ob er gar Iudex werden würde? Wenn Audaods Norne es so wollte, würde es wohl so kommen...

    "Posca, ne dat is nix för mi. Fese Plörre", kommentierte nur noch bedingt erinnern konnte. Viel hatte er arbeitstechnisch nicht mit ihm zu tun gehabt und privat erst recht nicht. Aber Massula hatte da offenbar prägende Erfahrungen machen dürfen.


    Im Folgenden hielt Witjon Massulas Blick stand und war froh, als dieser schließlich weiter Scherze machte, während er seine - wie Witjon meinte - freudige Überraschung über Witjons Ernennung kund tat. "Tja, kannse mol sehn. Ech ben noch janz on nu ben ech hi. Wat willse maken?" Er lächelte bescheiden.


    "So, wi stonn de Denge inne Profintz? Wat has du för mi? Gebt et Ärjer ore wat jutes to vermelde?“

    Witjon trat breit lächelnd ein. Er mochte die Arbeitsatmosphäre hier. Alle waren so locker und gut gelaunt. Meistens zumindest. "Grüß dich, Massula. Na, wie stehen die Dinge?" Er setzte sich und streckte die Beine aus. Dann sah er sich beiläufig im Raum um. Viel hatte sich scheinbar nicht geändert, soweit er sich entsinnen konnte. Alles beim Alten.