Zitat
Original von Lucius Petronius Crispus per PN
Endlich kam der unsägliche Prozess zu einem Ende - Lucius hatte schon längst die Lust verloren an den Spitzfindigkeiten dieses Winkeladvokaten, der seinem Namen alle Ehre machte - auch wenn er keine Schlangenhaare, sondern vielmehr fast garkeine hatte, war er mit das Schrecklichste, was der junge Petronier je erlebt hatte! Bei jedem Wort dieses Paragraphenreiters hatte er sich sein Schwert herbeigesehnt - Armin hatte ihm ausgeredet, es mitzunehmen - um ihm nach § 1 (1), Lex Petronia, "Wer dummschwätzt, stirbt!" die Kehle aufzuschlitzen. So musste er aber auf seinem Platz bleiben, die Finger kneten und die Redeschwälle über sich ergehen lassen. Richtig zuzuhören hatte er bald keine Lust mehr gehabt - aber das würde auch kaum nötig sein, denn selbst diese Strohköpfe von Iudices würden seiner rationalen Argumentation zustimmen müssen!
Jetzt aber stand er auf, räusperte sich und begann sein Schlussplädoyer:
"Verehrte Iudices, zum Abschluss kann ich nur noch einmal meine Argumente wiederholen, auch wenn Gorgonus sie nicht recht versteht und sie haarspalterisch auseinanderzunehmen versucht:
Nicht einmal die Angeklagten können behaupten, dass sie den Diebstahl begangen haben - und zwar alle! Sie alle haben ihre Taten schon längst gestanden - Germar und Vipstanus hier in Mogontiacum, vor dem Ermittler der Civitas und einem Scriba, die anderen in Vesontio bei den Beneficarii. Ich kann mir kaum eine glaubwürdigere Aussage vorstellen und weitere Zweifel sind überflüssig! Soweit ich weiß, haben wir Krieg, und wir können nicht darauf warten, bis irgendwelche Beneficarii wieder zurückgekommen sind - wenn sie das überhaupt tun - ganz zu schweigen vom Ermittler der Civitas, der ebenfalls nicht in Mogontiacum ist. Es wäre irrational, deshalb zu glauben, dass diese Aussagen unwahr sind! Damit können wir uns alles weitere Gerede über Beweise sparen!"
Er machte eine kurze Pause - in einem Plädoyer musste noch einmal eine Strafforderung kommen - selbst wenn es redundant war und irgendwie davon auszugehen schien, dass sich Richter das Eröffnungsplädoyer nicht merken konnten (das hatte Eumenius ihm eingetrichtert) - außerdem war das ja der eigentliche Streitpunkt der Verhandlung gewesen, wobei dieser Gorgone ja seine juristisch-haarspalterische Ader an den Tag gelegt hatte, die dem jungen Petronier so furchtbar auf die Nerven ging.
"Dass wir einen Diebstahl haben, ist völlig klar. Dass wir eine Bande haben, aber genauso! Auch das hat Gorgonus schon zugegeben, auch wenn er aus irgendeinem Grund glaubt, dass Diebesbanden und gewöhnliche Banden etwas unterschiedliches sind! Das Ziel einer kriminellen Bande sind Verbrechen, und dass ein Diebstahl ein Verbrechen ist, ist sowieso klar! Zeiträume sind nicht messbar und daher unerheblich - man könnte auch von einer langen Dauer reden, denn der Diebstahl hielt ja an, bis die Täter gefasst wurden, was fast ein Jahr gedauert hat!
Hier haben wir es aber nicht nur mit irgendeinem Diebstahl zu tun, sondern mit einem besonders schweren Diebstahl! Das sieht man nicht nur an der großen Beute, sondern vor allem an dem Besitzer! Es geht hier nämlich um den Besitz einer Civitas, also einer kaiserlichen Provinz, also des Kaisers! Dabei ist es völlig egal, wie dieser Besitz gesichert ist, denn auch wenn man zum Beispiel den Volkstribun anrührt, weil seine Haustür nie verschlossen sein darf, fällt man dem Fluch anheim! Und wer den Besitz des Staates oder des Kaisers anrührt, der hat immer ein schweres Verbrechen begangen, selbst wenn das Geld auf dem Forum liegen würde und nur ein Schild daran stände, dass es dem Kaiser gehört! Wenn wir so eine Argumentation zuende denken, könnten wir ja auch Randalierer, die Statuen umstürzen oder öffentliche Gebäude beschädigen, nicht mehr anklagen!"
Auf den Vergleich mit dem Volkstribun war Lucius stolz - den Cursus Honorum hatten sie einmal vor Jahren bei Xanthippus besprochen, als sie Cicero gelesen hatten. Und dann noch einmal bei Eumenius, der ihnen die Aufgabe gegeben hatte, Rom und die Verwaltung eines Municipium zu vergleichen. Das ganze war stinklangweilig gewesen, aber dieses kleine Detail war wundersamerweise bei ihm hängengeblieben...
Was jetzt noch blieb, war ein einfacher Syllogismus:
"Wenn Bandenkriminalität dadurch definiert ist, dass eine Bande ein Verbrechen begeht und das Verbrechen in unseren Fall besonders schwer ist, dann ist es logisch, dass wir in unserem Fall schwere Bandenkriminalität vor uns haben! Und schwere Bandenkriminalität verdient, wie Gorgonus ja auch schon erklärt hat, die Todesstrafe! Der Fall ist also klar!
Dann bleibt Vipstanus, der verräterische Scriba übrig. Auch wenn man vernünftigerweise sagen muss, dass seine Information zur Anbahnung und zum Erfolg der Tat maßgeblich beigetragen hat und er deshalb in gewisser Weise auch zur Bande gezählt werden kann, dürfte das für einen spitzfindigen Juristen diskussionswürdig bleiben. Ich möchte aber bemerken, dass seine Tat ein absoluter Vertrauensbruch darstellt, der eines Römers absolut unwürdig ist und den Tod verdient hätte! Leider sind unsere Gesetze da aber zu gnädig, also bleibt Bestechlichkeit und Amtsanmaßung.
Die Bestechlichkeit liegt auf der Hand, denn wenn Gorgonus auf einer Seite zugesteht, dass eine Bestechung vorgelegen hat, muss er andererseits auch anerkennen, dass Bestechlichkeit vorliegt. Beim Missbrauch der Amtsgewalt glaubt er dagegen aus irgendeinem Grund, dass ein Scriba das Recht hat, jedem dahergelaufenen Typen die Sicherungsmechanismen der Stadtkasse zu verraten. Als ehemaliger Magister Vici und Decurio bin ich mir aber ziemlich sicher, dass das nicht der Fall ist. Genaugenommen hat niemand diese Amtsgewalt, aber wenn überhaupt jemand entscheiden darf, wer von diesen Mechanismen erfährt, dann sind das die Duumviri oder bestenfalls noch die Quaestoren, die diese Kasse verwalten.
Wie das Gesetz so ist, wird jeweils keine präzise Strafangabe gemacht, sondern nur ein etwas schwammiger Strafraum aufgespannt. Hier muss aber der oberste Rand ausgeschöpft werden, denn wenn wir bedenken, was passiert wäre, wenn wir die Täter nicht gefasst hätten, dann..." Einen Moment stockte Lucius - diesen Satz hatte er irgendwie nicht zu Ende gedacht.
"Naja, jedenfalls wäre der Civitas Mogontiacum ein gigantischer Schaden entstanden! Dreißigtausend Sesterzen wurden gestohlen - das würde genügen, um genügend Land zu kaufen, dass alle unsere Magistrate, ausgenommen der Magistri Vici, in den Ritterstand aufsteigen könnten! Da erscheint es mir mehr als angemessen, wenn wir folgendermaßen rechnen:
Höchststrafe Bestechlichkeit - 1000 Sesterzen - plus Höchststrafe Amtsanmaßung - nochmal 1000 Sesterzen - macht zusammen 2000 Sesterzen!
Fazit: Todesstrafe für Hermipius alias Germar, Manceps alias - äh - Philonicus, Silus, Scipio und Paulinus, Geldstrafe von 2000 Sesterzen für Vipstanus."
Er atmete tief durch, blickte triumphierend in die Runde und setzte sich. Noch ein letztes Mal würde er die langweilige Stimme des Gegenanwalts hören müssen - aber da der Prozess danach zu Ende war, musste er wenigstens nicht zuhören. Also wandte er sich einer leeren Tabula zu und begann zum Spaß, ein paar Rechenaufgaben zu lösen...