Beiträge von Cassim

    Cassim verstand nur zu gut Hannibals Einwände. Der Römer würde natürlich alles in Bewegung setzen, um seine Frau wiederzubekommen und diejenigen zu bestrafen, die es gewagt hatten, sich an ihr zu vergreifen. "Hier lassen können wir sie aber auch nicht. Sie wird Alarm schlagen, noch ehe wir von hier verschwunden sind!" Sein Blick ging wieder hinunter zu der verschnürten Römerin, die nun kaum noch Gegenwehr zeigte. Wohl aber war sie erstaunt gewesen, als sie feststellen musste, dass auch Hannibal zu denen gehörte, die fliehen wollten.
    Hannibals Vorschlag, Epicharis nur bis Ravenna mitzunehmen fand in dem Parther vollste Zustimmung. "Gut!", sagte er nickend. "Nur bis Ravenna! Bis dahin wird sie unser Schutzschild sein."
    Auch Cassim bereitete diese Geiselnahme enorme Bauchschmerzen. Hatte er doch die Römerin als eine sehr freundliche und herzensgute Frau kennengelernt. Man konnte es aber drehen und wenden, die Situation gebot, zu handeln. Es musste getan werden, was getan werden musste! Auch wenn es schmerzlich war. Wenn sie erst einmal die Stadt verlassen hatten und zügig an einen Hafen gelangt waren, der sie aus diesem verdammten Land bringen würde, konnten sie die Römerin getrost gehen lassen. Ja, wenn! Dies war die nächste Hürde, die sie zu nehmen hatten. Wie kam man aus einer bewachten Stadt mit einer gefesselten und geknebelten Frau aus der Stadt? Da machte ihm Hannibals Ankündigung, Dido mitnehmen zu wollen weitaus weniger Sorgen. Zumal das Mädchen sich scheinbar schnell damit abgefunden hatte, die Fliehenden zu begleiten.
    "Dann bist du also Dido! Freut mich! Auch du wirst es gut haben, dort wo wir hingehen, nach Parthia. Weine nicht, Kleine! Dort wirst du die Möglichkeit haben, ein neues, freies Leben beginnen zu können." Er zwinkerte ihr aufmunternd zu, ehe der Parther sich wieder daran machte, die letzten Vorbereitungen zu treffen.
    "Wir müssen noch ein weiteres Pferd mitnehmen. Für sie!" Er deutete mit seinem Finger wieder auf Epicharis. Bis sie aus der Stadt waren, wollte er sie auf seinem Pferd mit reiten lassen, damit sie keine Dummheiten machte. Aber danach wollte er sie schon von ihren Fesseln befreien, wenn sie sich kooperativ verhielt.

    Cassim trat näher heran, musterte dabei die Römerin, in deren Gesicht sich nicht weitaus weniger Groll abzeichnete. Der Parther war sich keiner Schuld bewusst, doch dämmerte es ihm bereits, womit dieser Auftritt der Römerin zu tun haben konnte. Dass er damit genau richtig lag, bestätigten ihm Aristides´ Worte, die auf ihn hernieder prasselten, anklagend und auffordernd, sich bei ihr für sein Fehlverhalten zu entschuldigen. Es lag in der Natur des Parthers, dieser Aufforderung nicht nachzukommen, denn sein Stolz verbot es. Doch der Bitte einer schönen Frau konnte er nicht lange widerstehen, auch wenn sie eine Römerin war. Wie sollte er es also anstellen, ohne Gesichtsverlust sich aus der Affaire zu winden?
    "Ich war weder unverschämt, noch anmaßend, noch habe ich deiner Nichte gedroht. Ich habe nur dabei geholfen, ihre Katze wieder einzufangen und war dabei, wie sie zurückgebracht wurde und ich habe die Schöne davor bewahrt, meine Tunika zu zerreißen." Das war äußerst diplomatisch ausgedrückt. Selbst Cassim fiel es schwer, nicht in Gelächter auszubrechen, sondern Herr der Lage zu bleiben. "Aber wenn du es verlangst, meine Teure, so nimm denn meine Entschuldigung an. Es lag weder in meiner Absicht, dir zu drohen, noch in einer Weise zu begegnen, die dir gegenüber unangebracht ist. Verzeih mir bitte!", sprach er zu Celerina, verbeugte sich leicht und ergriff ihre Hand, um sie kurz darauf mit einem angedeuteten Kuss zu versehen.
    So, das war es jetzt hoffentlich, dacht er sich voller Ungeduld, denn er wollte wieder zurück zu seinem Falken.

    Cassim fand in der Arbeit mit dem Falken Zerstreuung und vergaß dadurch für einige Stunden am Tag die unsichtbaren Ketten, die man ihm angelegt hatte. So konnte er seinen Geist frei machen und atmen! Selbst die lachhafte Konfrontation mit dieser aufgeplusterten Römerin hatte er längst vergessen. Allerdings hatte er nicht im Mindesten damit gerechnet, dass sie dies nicht auch getan hatte. Diese versnobten Flavier, er hatte nur Verachtung für sie übrig! Dieses Weib! Schön anzusehen war sie, ganz ohne Frage. Ihre Zunge aber war scharf, wie ein parthisches Langschwert.


    Der Falke machte von Tag zu Tag Fortschritte. Bald war er bereit zur Jagd. Cassim spähte in den Himmel, um den majestätischen Flug des Vogels zu beobachten. Dabei bemerkte er nicht den herannahenden Sklaven, der von einer Angst getrieben war, die sich in seinen Worten entlud, die er unheilverkündend, gehetzt dem Parther entgegen schleuderte. "Cassim! Der Herr, schnell! Der Herr du sollst sofort zu ihm kommen! Er ist sehr aufgebracht!"
    Der Parther ließ den Falken kurz aus den Augen, um sich nach dem Sklaven umzudrehen. "Tatsächlich? Was hat er denn?", erkundigte er sich beiläufig. "Domina Celerina ist bei ihm. Sie hat sich über dich beklagt. Du musst schnell kommen. Es gibt großen Ärger, wenn du nicht kommst!" Natürlich gab es den! Besonders für den Sklaven, wenn er mit vermeidlich unverrichteten Dingen in die Höhle des Löwen zurückkehren musste. "Ja, schon gut! Ich komme ja!"
    Der Parther pfiff seinen Falken zurück, belohnte ihn und brachte ihn in die Voliere. Dann folgte er dem davoneilenden Sklaven gemächlichen Schrittes, bis er letztendlich das Allerheiligste des Römers erreichte. Die Höflichkeit, die er selbst seinen Feinden entgegen brachte, gebot es, anzuklopfen. Dann trat er ein. Sein fragender Blick traf die beiden Römer. "Du hast mich rufen lassen?" Die Gesichtsfarbe des Römers ähnelte der eines Puters, was auf nichts Gutes schließen ließ.

    Der Parther wandte sich wieder der Römerin zu und seufzte laut. So hatte er sich seine Flucht wahrhaftig nicht vorgestellt. Irgendwie geriet soeben alles aus den Fugen und er malte sich schon aus, was mit ihnen geschehen würde, wenn man sie entdeckte. Sie hatten bereits verschiedene Dinge entwendet, von der einfachen Landkarte bis hin zum wertvollen Schmuck, sie hatten eine Römerin überwältigt und sie ihrer Freiheit beraubt und sie wollten fliehen! Genug Vergehen, um am Kreuz zu enden. Aber nein, soweit durfte es einfach nicht kommen! Jetzt, wo die Freiheit zum greifen nahe war.Sie durften sich keine Fehler erlauben, sonst bestand die Gefahr mit einem Mal alles zu verlieren. Wenn Hannibal endlich da wäre, könnten sie dieses Leben ein für alle mal hinter sich lassen. Die Römerin mussten sie jetzt wohl oder übel mitschleppen. Irgendwo, weit weg von Rom, würde man sie dann zurücklassen. Wenn ihre Götter ihr wohlgesonnen waren, dann ließen sie es zu, dass jemand sie fand, der sie dann auch wieder zu ihrer Familie zurückbrachte. Bis dahin aber wollten Cassim und seine Begleiter längst in Sicherheit sein, irgendwo in diesem, ihm unbekannten Land. Wo blieb er denn nur? Mit jeder Minute, die verstrich, wurdeder Parther nervöser.
    Plötzlich fuhr Cassim zusammen, als er den schrillen Aufschrei eines Mädchens vernahm. Ohne zu zögern drehte er sich in die Richtung, aus der der Schrei kam. Da stand plötzlich, wie aus dem Nichts kommend, dieses Mädchen. Er hatte sie schon mehrmals gesehen, wusste aber nicht ihren Namen. Moment, Dominus Serenus? Natürlich, Dido! Auch das noch! Ein weiterer lauter Seufzer folgte dem ersten. Hier musste irgendwo ein Nest versteckt sein, dachte er bei sich.
    "Wer bist du denn? Lass mich raten, du bist Dido! Richtig? Und wen meinst du mit claudischer Natter?" Damit konnte sie nur die Römerin gemeint haben. Er warf einen fragenden Blick auf Chimerion. Von Hannibal wusste er, die Kleine würde keine Sekunde zögern, um ihr Vorhaben zunichte zu machen. Wenn doch nur..! Da war er endlich! Hannibal! Ahura Mazda sei Dank! Sollte er sich mit der Göre herumschlagen. Cassim hatte bereits alle Hände voll zu tun mit der Römerin.
    "Da bist du ja endlich! Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Und nicht genug, ungebetenen Besuch hatten wir auch schon, wie du siehst!" Er trat einen Schritt zur Seite, damit die gefesselte und geknebelte Römerin auch für Hannibal ersichtlich wurde. "Ich schätze, die Domina wird uns begleiten müssen. Wenigstens ein Stückchen, damit sie kein Unheil anrichten kann und uns verrät!"

    Dieses Weib entwickelte sich zu einer wahren Furie. Dies hatte Cassim ihr gar nicht zugetraut. Sie hatte am Abend so zart und zerbrechlich gewirkt. Nicht genug, dass sie ihm ins Gesicht spuckte. Sie versuchte sich auch mit aller Macht zu befreien, was ihr allerdings angesichts von Cassims Masse nur schwerlich gelang. Er gabsein Bestes und versuchte sie mit einer Hand zu bändigen. Schnappte nach ihren Händen die scheinbar in alle Richtungen herum zappelten. Mit der anderen Hand versuchte er, sie zum Schweigen zu bringen.
    Angst war in ihren Augen, er konnte es ganz deutlich sehen. Allerdings konnte er sich kein Mitleid erlauben, denn sie hatte auch kein Verständnis für ihren Freiheitswillen.
    Selbst mit ihren Zähnen leistete sie erbitterten Widerstand. Das bekam der Parther auch ganz deutlich zu spüren, als sie ihn so fest in seine Hand biss, daß er schmerzerfüllt aufschrie. "Lass das, ehe ich mich vergesse! Und sei endlich still!", schnauzte er sie wutentbrannt an.
    Nun setzte sie ihm und dem herannahenden Chimerion auch noch mit ihren Füßen zu. Sie verteilte Tritte noch und noch. Diese Frau war eine echte Plage! Doch irgendwie gelang es den beiden Männern, ihrer habhaft zu werden. Chimerion band ihr die Hände auf den Rücken. Aber bevor er sie knebeln konnte, versah sie Cassims Hand mit einem weiteren Biss. Wieder schrie er auf und diesmal musste er sehr mit sich kämpfen, damit er der Römerin keinen Schlag ins Gesicht verpasste. Stattdessen sah er in seine Hand und erblickte die beiden Bissstellen aus denen das Blut lief. Auch er riss sich ein Stück Stoff aus der Tunkia der Römerin und verband damit notdürftig seine Hand.
    Gut verschnürt und mit dem Knebel im Mund, konnte sie sich kaum noch bemerkbar machen oder bewegen. Aber ihre Augen glühten fast vor Zorn. Bei dem Kampf hatte sich ihr Haar gelöst. Sie sah jetzt noch verführerischer aus. Doch um diesen Anblick zu genießen war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
    Behutsam hob er sie vom Boden auf und trug sie in den Stall. Dort setzte er sie auf einem Ballen Stroh ab und bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. "Entschuldige, ich wollte dir nicht weh tun. Aber warum nur bist du nur hier hergekommen,du Närrin! Es hätte um so vieles einfacher sein können, für dich und für uns!" Er schüttelte nur den Kopf und sah dann zu Chimerion, der wahrscheinlich das gleiche dachte wie er.
    Bei Ahura Mazda, hoffentlich war das ihre Feuertaufe! Oder bahnte sich das nächste Problem bereits an, weil Hannibal immer noch fehlte? Der Parther wurde langsam ungeduldig. "Wir sollten vielleicht einmal nachsehen, wo Hannibal bleibt!", meinte er schließlich zu Chimerion.

    Und wieder dieses himmlische Lachen. Um Cassim war es fast geschehen. Hätte er sich nur von seinen Gefühlen leiten lassen, so hätte er sie jetzt in seine Arme genommen, sie fest an sich gedrückt und sie leidenschaftlich geküsst. Mit seinen dunklen Augen sah er sie an. Er hätte sie ganz und gar verschlingen können, dieses süße Wesen. Doch auch für ihn galt die Maxime Geduld führt dich zum Ziel.
    Er lächelte nur, als sie holprig von ihren Träumen zu sprechen begann. Wenn die Worte aus ihr herauszuquellen begannen, schlichen sich doch noch viele Fehler ein. Fehler, die er korrigieren sollte, es aber dann doch vermied.
    "Ehrgeiz treibt unsere Ausdauer an! Wenn du etwas wirklich willst, wirst du es auch erreichen." Davon war der Parther überzeugt, genauso wie er davon überzeugt war, vom Gelingen seiner bevorstehenden Flucht. Dieses Thema aber gehörte nicht hierher!
    "Dann wirst du auch Fortschritte machen." Er lächelte sie an, streckte seine Hand nach ihr aus und berührte sie leicht am Arm. In ihren Augen konnte er erkunden, was sie gerade jetzt wollte. Das Falke hatte eine solche Anziehung auf sie ausgeübt, so dass sie ihn unbedingt sehen wollte. Der Parther entschloss sich, ihrem Wunsch nachzukommen, obwohl es ihm draußen viel zu kalt war. Aber was konnte er schon ausrichten, gegen den starken Willen einer schönen Frau.
    "Ja, er kommt wieder! Obwohl er kein Hund ist! Ich werde es dir zeigen, meine Schöne!" Doch zuerst wollte er sich dem eigentlichen Zweck ihres Zusammentreffens widmen, obwohl es ihm zunehmend schwerer fiel, sich darauf zu fixieren.
    "Ja, so ist es richtig! Siehst du, du machst Fortschritte!" Ein wenig Lob konnte ihr nicht schaden und ihm fiel es leicht, ihr viel davon zu geben. "Zu Germanien? Oh, ja, ich meine nein. Es heißt: hier ist es nicht so kalt wie in Germanien." Wieder verfing sich sein Blick in ihren Augen. Er blieb dort. Er hatte ein großes Verlangen sie zu küssen. "Draußen im Garten ist es nicht so warm wie hier. Wollen wir trotzdem hinaus gehen?", fragt ersie plötzlich.

    Dies war eine Situation, mit der Cassim wahrscheinlich am wenigsten einkalkuliert hatte.Wenn er sich jetzt nur den kleinsten Fehler erlaubte, dann war nicht nur ihre Flucht zu Ende, auch ihr Leben war dann verwirkt.
    Die Römerin rang nach Worten. Sie forderte eine Erklärung. Wäre nur Hannibal schon hier!
    "Was glaubst du, was hier vor sich geht?", zischte er sie an. Von seiner Freundlichkeit gegenüber der Römerin, die er ihr am Abend noch entgegen gebrach hatte, war nichts mehr übrig. "Wir stillen unsere Sehnsucht! Das geht hier vor sich!" In seinem Gesicht spiegelt sich die Genugtuung darüber, endlich von diesem Ort verschwinden zu können. Dem Feind Schaden zuzufügen. Ihm sein Geld zu nehmen, seine Pferde und sein Weib!
    Auffordernd sah er zu dem Thraker hinüber, damit er ausführte, was er ihm zugerufen hatte. Es war Eile geboten, die Römerin schöpfte Verdacht. Sie wich einen Schritt zurück. Sie wich noch einen Schritt zurück und dann rannte sie davon. Sie durfte das Haus nicht erreichen, hämmerte es in Cassims Kopf.
    "Sie versucht zu fliehen!", rief er Chimerion noch zu, dann heftete er sich selbst auf die Fährte der Römerin, rannte ihr hinterher, bis er sie fast eingeholt hatte. Dann warf er sich mit einem Satz auf sie, sodass beide zu Boden gingen. Er lag nun auf ihr, versuchte sie zum Schweigen zu bringen, indem er seine Hand auf ihren Mund drückte. Die Last seines Körpers zwang sie, am Boden zu bleiben. Mit der anderen Hand versuchte er ihre Hände einzufangen. "Chimerion, hilf mir!" Sie mussten sie fesseln und knebeln, sonst verriet sie sie noch!

    Aus der Dunkelheit kommend, erspähte er Chimerion, der ihn schmunzelnd begrüßte. "Ein schöner Abend, der uns die Freiheit zurückgeben wird!", entgegnete er voller Enthusiasmus. Alles lief nach Plan! Auch Chimerion hatte sich bereits ein Pferd gesattelt und sein Gepäck verstaut.
    Nur Hannibal fehlte noch. Cassim jedoch machte sich vorläufig noch keine Sorgen. Sie waren noch gut in der Zeit.
    "Der wird schon noch kommen!", beschwichtigte er den Thraker.
    Die meisten der Römer waren um diese Zeit nicht mehr ansprechbar gewesen. Der Alkohol hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
    Da hörte er auch schon die knirschenden Geräusche, die schnelle Schritte hinterließen, wenn sie ihren Weg auf dem Kiespfad vom Garten zurücklegten. Das war Hannibal, das mussten seine Schritte sein! Darüber recht unbekümmert verstaute er noch einige Kleinigkeiten in deinen Satteltaschen. Die Schritte kamen näher. Sie erreichten den Stall. "Da bist du ja endlich! Wir dachten schon,…" Cassim lenkte seinen Blick von der Satteltasche zu der nahenden Gestalt und verstummte. Ein Schauer durchfuhr ihn, als er die vertraute Stimme der Römerin vernahm, mit der er sich noch so eifrig am Abend unterhalten hatte und die ihm jetzt gegenüberstand. Sein Puls ging schneller, seine Augen wichen nicht von ihr. Er war wie am Boden festgewachsen. "Was willst du hier?", brachte er irgendwann hervor.
    Jetzt nur nicht die Nerven verlieren! Cassim sann krampfhaft darüber nach, was sie jetzt tun sollten. Sie konnten die Römerin auf keinen Fall gehen lassen! Dann war ihre ganze flucht zu Ende, bevor sie überhaupt erst begann! Eine Geisel mitzuschleppen, bedeutete ein erhöhtes Risiko, frühzeitig entdeckt zu werden. Sie zu töten war Cassim zu wider. Er vergriff sich nicht an Frauen, auch nicht an denen seiner Feinde.
    Der Parther hatte eine Entscheidung getroffen! Unvermittelt sah er zu Chimerion hinüber. "Chimerion, greif sie dir!", hörte er sich sagen. Auch wenn es ihm widerstrebte, die Römerin musste mit! Sobald sie einige Tagesritte von Rom entfernt waren, konnten sie die Römerin wieder frei lassen. Selbstverständlich nur, wenn sie keine Mätzchen machte.

    Der Parther hatte sich im Verlauf des Abends absentiert. Ein vorgeschobenes Unwohlsein hatte ihm letztendlich den Rückzug aus dem triclinium ermöglicht. Die media nox, der Zeitpunkt ihres Treffens stand unmittelbar bevor.
    Ein letztes Mal war er zur Sklavenunterkunft gegangen, um dort verschiedene Dinge zu holen. Zum einen war da das Kartenmaterial, welches er noch am Nachmittag aus der flavischen Bibliothek entwendet hatte, dann der Proviant für drei Tage, den er aus der Küche organisiert hatte, sowie einige Messer und schließlich noch eine frische Tunika und eine Decke. Damit schlich er sich in den Hof und verwahrte sein Gepäck im Stall. Eines der Pferde, wollte er sich noch satteln, damit es ihn anschließend in die Freiheit tragen konnte. Dafür war aber noch Zeit. Zuerst musste Cassim sich noch um seinen Freund kümmern. Ohne den Falken wollte er nicht gehen. Zielstrebig schritt er in den Garten, zur Falkenvoliere hin. Genau hier war ihr Fluchtplan geschmiedet worden. In dieser Nacht sollte der Plan umgesetzt werden.
    Er öffnete die Voliere und nahm vorsichtig den Vogel heraus. Dann setzte er ihm die Falkenhaube auf, strich ihm über sein weiches Gefieder und nahm den Weg zurück in den Hof.
    Seine beiden Begleiter hatten sich noch nicht eingefunden. Deshalb nutzte Cassim die Zeit, um eines der Pferde zu satteln. Dabei warf er immer wieder einen Blick nach draußen, um zu sehen, ob Hannibal und Chimerion zum verabredeten Treffpunkt kamen.
    Er war guten Mutes und auch zuversichtlich, was den Erfolg ihres Unternehmens betraf. Die Feiertage konnten ihrer Flucht einen großen Vorsprung verschaffen. Mit etwas Glück, fiel ihre Absenz erst einige Tage später auf.

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    Original von Flavia Epicharis


    Was Cassim über Epicharis dachte, ahnte diese zum Glück nicht. Denn wenn es etwas gab, das sie ihm übel genommen hätte, so wäre es der Vergleich mit einem wissbegierigen Kind gewesen, obwohl das genaugenommen des Öfteren haargenau gepasst hatte, beispielsweise bei ihrem Gespräch mit Antonia im Garten. Trotzdem war sie spätestens seit der Hochzeitsnacht eine vollwertige römische Frau. Fand sie. "Du sagst also, dass der Vogel dann die Beute nicht frisst, wenn er sie geschlagen hat? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Du treibst Schabernack mit mir! So ein Raubvogel wird doch gewiss von seinen ureigensten Instinkten geleitet, nicht? Und wenn er einmal Blut an seinen Krallen hat, wird er doch ab und an ein Stückchen herauspflücken aus dem Opfer..." Epicharis schüttelte schmunzelnd den Kopf, betrachtete Cassim dann verschmitzt. Einsam war er also wirklich. "Ich werde sehen, was ich tun kann", versprach sie ihm leise. Es mussten ja nicht unbedingt alle Anwesenden mitbekommen, dass sie für Cassims Kurzweil sorgen lassen wollte. Dann wurde das Schmunzeln wieder breiter. "Aber nur, wenn du mir deinen Vogel einmal vorführst!" sagte sie.
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    Seine Melancholie wich aus einen Zügen, als seine Klinennachbarin wieder auf den Falken zu sprechen kam. Zweifellos hatte der Parther ihr Interesse geweckt. Wenn er nun nicht mehr dazu kam, ihr die Flugkünste seines Falken zu demonstrieren, so war dies doch immerhin ein schier unerschöpfliches Gesprächsthema für sie und für ihn. Sie zusätzlich dabei beobachten können, wie sie schmunzelte, lachte und ihre Augen leuchteten, bereitete Cassim eine ungeahnte Freude. Sie war viel zu gut für den Römer!
    "Genau so ist es! Der Falke tötet nur in den seltensten Fällen seine Beute, wenn er sich auf sie stößt. Seine Füße und die Krallen dienen lediglich nur dazu, die Beute am entrinnen zu hindern. In der freien Natur tötet er mit einem gezielten Biss und frisst dann seine Beute. Wenn er aber als junger Vogel bereits abgerichtet wurde, dann hat er gelernt, dies nicht zu tun. Er gibt seine Beute ab." erklärte er ganz fachkundig. "Ich würde mir nie anmaßen, mit einer so bezaubernden und intelligenten Frau, wie du es bist, Schabernack zu treiben." Er schmunzelte und griff nach seinem Becher mit Wein. Unterdessen waren sie auch mit einigen herzhaft duftenden Speisen versorgt worden. Ohne Epicharis dabei aus den Augen zu lassen, griff er danach und ließ einige Oliven in seinem Mund verschwinden.
    Das Versprechen der Römerin ehrte ihn, wenn er auch darauf nicht mehr angewiesen sein musste. In wenigen Stunden, war er auf dem Weg zu seiner Familie und wenn alles gut ging, war er in einigen Wochen mit seinen Liebsten wieder vereint.
    "Ich danke dir für deine Bemühungen! Natürlich werde ich dir das Können des Falken vorführen, wann immer es dir beliebt." Cassim wirkte nun viel befreiter, als er es noch vor Minuten gewesen war, was weniger mit Epicharis´ Versprechen zu tun hatte, denn mit der Aussicht Parthia bald wieder zu sehen.

    Ähnlich einem Tongefäß, welches durch das Drehen und Formen auf der Töpferscheibe allmählich Gestalt annahm, so war es auch mit ihrem Fluchtplan. Die Idee, die in Cassim seit dem Tage, an dem er einem Stück Vieh gleich, meistbietend an den Römer verkauft worden war, herangereift war, hatte konkrete Formen angenommen. Und noch mehr, seine Idee stand nun kurz vor der Umsetzung. Nichts würde sie aufhalten, wenn sie ihrer ersehnten Freiheit entgegeneilten. Die Saturnalien gaben ihnen einen gewissen Vorsprung von mindestens einigen Stunden, im Idealfall sogar von mehreren Tagen. Niemand würde an diesen Tagen nach ihnen fragen oder sie vermissen, geschweige denn auch nur auf die Idee einer Flucht kommen.


    "So sei es! Ich besorge also die Karten und den Proviant."
    Er nickte den beiden Sklaven zu und begann zu grinsen, als ihm Hannibals misstrauischer Blick auffiel. Der Falke hatte sich wieder bemerkbar gemacht. Genau wie sein Herr, sehnte auch er sich nach der Freiheit, die er beim Flug in den Lüften fand. Für Cassim ein Zeichen, bald mit dem Training seines Vogels fortzufahren.
    "Hab keine Angst, Hannibal. Er tut dir nichts. Er will nur das gleiche, was auch wir wollen- seine Freiheit! Übrigens, ich hatte vor, den Falken mitzunehmen. Er kann uns noch nützlich sein, wenn unsere Vorräte zu Ende gehen und wir unser Essen erjagen müssen." Besonders von Hannibal erwartete er nicht, dass dieser seinen Vorschlag, den Falken mitzunehmen, besonders gutheißen würde. Den Falken aber zurück zu lassen, bedeutete auf lange Sicht nur den sicheren Tod für das Tier.
    "Gut, dann treffen wir uns heute Nacht bei den Ställen im Hof, möglichst nüchtern." Damit war nun ihre Flucht endgültig besiegelt. Der Parther sah seinen Begleitern noch einmal fest in die Augen und nickte dann. Noch gab es für jeden Einzelnen die Möglichkeit, aus ihrem Plan auszusteigen. Die beiden Sklaven, wie auch er waren aber fest entschlossen, ihrer Gefangenschaft ein Ende zu bereiten. Die langersehnte Heimreise konnte beginnen!

    Chimerions Einwände waren begründet. Cassim hatte seine Herrin selbst erlebt. Sie sollte nicht der Anlaß für das Scheitern ihres Unternehmens sein. Mit Schwarzmarktgeschäften kannte er sich allerdings auch nicht aus. Hannibals Aussage bestätigte nur, was er sich insgeheim schon gedacht hatte.
    "In dieser Villa gibt es so vieles an wertvollen Dingen. Da wird das Verschwinden einer kostbaren Vase, eines silbernen Pokals oder auch einem Schmuckstück kaum auffallen. Aber dennoch wäre es besser, auch an Münzen heranzukommen. Wenn du das bewerkstelligen könntest, Hannibal, wäre das sehr gut!" Geld alleine würde ihnen nur bedingt helfen. Was sie brauchten, waren auch Waffen. Die zu beschaffen, war einfach. Er erinnerte sich noch an die Worte Hannibals, als er meinte, in der Villa leicht an eine Waffe kommen zu können. Man musste nur in die Küche gehen!
    "Ich werde uns noch einige Waffen besorgen, ihr wisst doch, ich pflege regen Kontakt mit der Küche." Um seine Mundwinkel zuckte ein frivoles Lächeln, was allerdings schnell wieder verschwand.
    Hannibals Vorschlag, gleich nach dem Essen zu verschwinden, fand seine Zustimmung. Je eher desto besser! "Da stimme ich dir zu! Wir sollten uns auch einige der Pferde nehmen, damit wir schnell voran kommen! Ich werde später in der Bibliothek nach einer Karte suchen, die uns bei der Entscheidung hilft, welchen Weg wir nehmen sollen." Der Gedanke, von Italia nach Griechenland überzusetzen, und dann von Land aus den Heimweg anzutreten, war womöglich der sicherste Weg, allerdings auch der längste. Auf einem Schiff, das direkt nach Syrien ging, konnte während der Überfahrt viel geschehen. Zu viel!

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    Original von Flavia Epicharis


    Als sich das Gespräch wieder um den Falken drehte, wandte Epicharis ihre ganze Aufmerksamkeit wieder Cassim zu, der, wie sein Falke, selbst auch irgendwie für Wildheit stand. Ein krasser Gegensatz dazu waren die Komplimente, die er mit geschmeidiger Zunge und in fast dialektfreiem Latein austeilte. Sie machte große Augen, als er mit Leichtigkeit vom Fliegenlassen sprach. "So einfach ist das? Aber der Vogel könnte sich einen Hasen schnappen und bräuchte deine Belohnung gar nicht", wunderte sie sich. Es war eben wohl doch so, dass Vögel keinen Verstand besaßen. Epicharis hing regelrecht an Cassims Lippen, während er erzählte. Sprach er noch von dem Raubvogel oder schon von sich selbst? Es war ihr stets unangenehm, wenn ihretwegen im Gespräch mit einem Sklaven das Thema auf Freiheit und Freilassung gelenkt wurden. Sie fühlte sich nun so, als müsse sie ein Zugeständnis machen. "Ich hoffe, du fühlst dich nicht einsam. Ich könnte sonst einmal mit Marcus reden..." Ein vager Versuch, aber immerhin der Einstieg in ein Angebot war das. Eines, das weibliche Runden beinhaltete, doch nicht die Freiheit. Das war Aristides' Sache. Epicharis lächelte ihm undeutbar zu...


    Es gefiel ihm, sie zu beobachten, als er von seiner Arbeit mit dem Falken berichtete. Besonders ihr Augenspiel erinnerte ihn stark an wissbegierige Kinderaugen, die erstaunt blickten, wenn man ihnen Geschichten von Riesen und Ungeheuern erzählte. Für einen kurzen Moment nur, wich das Strahlen aus seinem Gesicht, denn durch sie wurde er an seine eigenen Kinder zu Hause erinnert, die er über alles liebte. Es hatte ihm immer viel Freude bereitet, ihnen Geschichten zu erzählen. Besonders sein Ältester war ganz versessen auf die Jagdgeschichten seines Vaters. Nach dem Krieg wollte er ihn eigentlich in die Kunst der Falknerei einweisen, so wie es Jahre zuvor sein eigener Vater mit ihm getan hatte. Heute Abend bereits würde er seinem Sohn wieder ein Stück näher sein!
    "Im Allgemeinen schon", erwiderte er freundlich. Sein Lächeln war wiedergekehrt. "Je früher man damit beginnt, den Falken abzurichten, desto einfacher hat man es mit ihm. Wenn er sich in die Lüfte schwingt und sich dann unerbittlich und zielsicher auf seine Beute stürzt, ist seine Intention nicht, die Beute für sich zu beanspruchen. Nur ein Falke, der die Freiheit bereits kennt, wird seine Beute nicht teilen wollen. Er bedarf keiner Belohnungen seines Herrn. In meiner Heimat holt man die Falkenjungen aus ihren Nestern, wenn sie gerade Flügge geworden sind. In diesem Alter kann man sie am besten abrichten."Cassim war sich der Parallelen zwischen dem freien Falken und ihm selbst durchaus bewusst. Gleich dem Falken, der hoch droben im Himmel seine Kreise zog und die Unendlichkeit seiner Freiheit jeden Tag aufs Neue auskostete, so war auch er. Ein Leben in Sklaverei war daher unvorstellbar für ihn. Die Römerin sollte es wissen, was man ihm angetan hatte, als man ihn statt zu töten, gefangen genommen und nach Rom verschleppt hatte. Wenn nicht der Erfolg ihres Unternehmens davon abgehangen hätte, er hätte es hinaus schreien wollen, wie sehr er die Stunde herbeisehnte, in der er der Villa, ihren Bewohnern und Rom selbst den Rücken kehrte, um wieder an die Gestade seiner Heimat zu gelangen.
    Je länger er zu ihr sprach, desto mehr erhärtete sich bei ihm der Gedanke, sie verstünde, was er ihr sagen wollte. Nicht nur die Worte allein, auch der Sinn, der dahinter stand. Vielleicht billigte sie sogar seinen Freiheitsdurst. Warum sonst, hätte sie ihm eine solche Frage stellen können?
    Ja, er war einsam! Er sehnt sich nach dem Lachen seiner Kinder, dem geschmeidigen Körper Merals, seiner Lieblingsfrau, nach den sanften Händen Yasminas und sogar nach dem weichen, schwarzen Haar Lales, seiner zweiten Frau. Niemals hätte er geglaubt, ihre Frage könnte eine andere Bedeutung haben, denn um seine körperlichen Gelüste zu stillen, bot die Villa eine große Anzahl an willigen Weibern. Besonders unter dem weiblichen Küchenpersonal erfreute er sich größter Beliebtheit. Doch dies half ihm nicht über den Kummer hinweg, den er in manchen Nächten schluckte, wenn er fernab der Heimat wach lag und nicht einschlafen konnte.
    Ihr geheimnisvolles Lächeln, es war Bestätigung genug für ihn. Er glaubte, ihr vertrauen zu können.
    "Ja, ich bin einsam. Sehr sogar!", gestand er. Seine Gesichtszüge wurden melancholisch.

    Sie war kurz durch den Thraker abgelenkt, der allzu vertraut mit seiner Herrin umging, wie auch Cassim fand. Der Parther ließ sich nichts anmerken. Doch angesichts dieses Verhaltens fragte er sich, ob Chimerion noch an einer gemeinsamen Flucht Interesse hatte. Aber nein, das war alles nur gespielt! Natürlich kam er mit! Chimerion tat einfach nur sein bestes, um nicht aufzufallen.
    Epicharis hatte wieder ihr Interesse für den Falken gefunden, was Cassim durchaus angenehm war.
    "Was er besonderes kann? Ich richte ihn dazu ab, um ihn zur Jagd zu gebrauchen. Im Grunde folgt er dabei nur seiner Natur. Ich mache mir nur seine Stärke zu Nutze. Ich verbessere durch die Übungen seinen Jagdinstinkt und er lernt, dass er mir vertrauen kann. Denn ich bin es, der in hegt und pflegt." Cassim nippte an seinem Wein. Ihm gefielen Frauen, die für seine Leidenschaft Interesse zeigten. "Ja, ich lasse ihn fast täglich fliegen. Nur so kann er seine Technik verbessern, wenn er sich aus dem Flug auf seine Beute stürzt. Er kommt deshalb immer wieder zurück, weil er von mir eine Belohnung erhält. So einfach ist das!" Er grinste schelmisch. Er bedauerte es wirklich, Epicharis nicht mehr die Künste seines Falken zeigen zu können. Als sie ihm ihre Begeisterung bezüglich des Falken gestand, wurde sein Blick schwärmerisch. "Ja, so ist es! Sie sterben oder vereinsamen, wenn man sie nur eingesperrt hält. Sie brauchen ihre Freiheit, wie die Luft zum atmen. Mein Volk hat daraus eine Kunst gemacht, sie zu zähmen. Man braucht Geduld! Viel Geduld, so wie bei vielen anderen Dingen des Lebens." Cassim fasste den Entschluss, auch den Falken mitzunehmen. Er brachte es einfach nicht übers Herz, ihn hier zu lassen.

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    Original von Flavia Epicharis
    Epicharis hatte ebenfalls wenig Probleme, dem Sprachenwechsel zu folgen. Viel eher verwunderte sie , dass Cassim ihr mit einem Kompliment für den Wein dankte. Sie sah ihn ein wenig überrascht an, überdeckte dann aber ihre Überraschung mit einem Lächeln. Sie hatte schon davon gehört, dass viele der Parther eine flinke Zunge hatten und ausgesprochen gut waren, was das Verteilen von Komplimenten anbelangte. "Ja, ich bin Epicharis", erwiderte sie allerdings lediglich, auch wenn das erfreute Lächeln deutlich zeigte, dass es ihr - wie wohl jeder Frau - gefiel, wenn man ihr Komplimente machte. Sofern sie nicht der Art wie die Serenus' waren. "Du zähmst einen Falken, habe ich gehört? Salve, Hannibal", wandte sie sich zunächst an Cassim, dann an Hannibal.


    Wie fast jede Frau, war auch die Römerin von seinen Koplimenten angetan. Es fiel ihm aber auch nicht sonderlich schwer, bei dieser Schönheit charmant zu sein. Der Römer hatte in der Tat ein glückliches Händchen mit der Wahl seines Weibes bewiesen. Auch was ihre Bildung betraf, war sie exzellent ausgestattet.


    Cassims Arbeit mit dem Falken hatte bislang bei den unterschiedlichsten Menschen Eindruck geschunden. Auch Epicharis sprach ihn darauf an. Diese Tiere mussten gerade bei Frauen eine besondere Wirkung hervorrufen. "Ja, das tue ich. Wenn du möchtest, kann ich ihn dir gerne einmal vorführen." Wie schade, dazu würde es nicht mehr kommen, dachte Cassim vergnügt. Doch dann kam ihm so ein Gedanke. Wie wäre es, wenn sie die Römerin als Geisel mitnehmen würden. Es musste ihm nur gelingen, sie zu der Falkenvoliere zu locken. Eine Geisel konnte durchaus nützlich sein. Allerdings konnte sie auch kostbare Zeit rauben und ihr Verschwinden würde den Zorn des Römers nur noch mehr schüren, der sowieso schon durch ihre Flucht entfacht würde. Er verwarf den Gedanken gleich wieder. Stattdessen wurde er auf ein blondes Mädchen aufmerksam, das den Raum betrat und sich neben Serenus setzte. War das Hannibals Tochter, von der er einmal gesprochen hatte? Er wollte dieser Frage nicht weiter nachgehen, um kein Aufsehen zu erregen. Auch Chimerions Eintreffen schenkte er wenig bis gar keine Beachtung.

    Zitat

    Original von Hannibal
    "Das ist ein guter Einfall. Während der Saturnalientage sind alle abgelenkt, die Sklaven teilweise aus dem Haus und es würde nicht auffallen, wenn wir fehlen. Es würde uns ein paar Tage an Vorsprung geben, die entscheidend sein könnten."


    Genau das wollte der Parther hören! Bis dahin musste noch viel getan und geplant werden. Sie brauchten Geld, genug Proviant, vielleicht einige Waffen, Kartenmaterial und Pferde! Cassim waren die geographischen Gegebenheiten in Italia noch nicht ganz klar. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen in die Bibliothek zu gehen, um sich damit vertraut zu machen. Bei dieser Gelegenheit konnte er vielleicht auch die eine oder andere Karte mitgehen lassen. Wegen des Proviants machte er sich auch keine Sorgen. Er hatte gute Verbindungen in die Küche. Die Pferde konnten sie sich einfach aus dem Stall holen. die größte Herausforderung stellte das Geld da!
    "Für unsere Flucht brauchen wir Geld. Viel Geld! Woher bekommen wir das?" Dabei sah er den Thraker an. Er war der einzige von ihnen, der bei seinem Herrn gut angesehen war, ja sogar eine vertrauensvolle Stellung genoss, im Gegensatz zu Hannibal, der in Ungnade gefallen war oder er selbst, der nicht diese enge Beziehung zu dem Römer inne hatte, wie ein Leibsklave

    Dem Parther wurde es warm ums Herz, als der Junge Stück für Stück feststellen musste, wie die Dinge an diesem Abend lagen. Um nichts in der Welt wollte er auf diesen Abend verzichten! Selbst als er ins Griechische wechselte, was Cassim keinerlei Schwierigkeiten bereitete, war Griechisch doch so etwas, wie seine zweite Muttersprache, wirkte er amüsiert darüber, was der Junge von sich gab. "Du hast wenig Vertrauen auf die Geschicke deines Vaters und deines Onkels! Manchmal ist der Mensch zu Dingen fähig, die man niemals von ihm vermutet hätte," antwortete der Parther auf Griechisch. Wie er unschwer feststellen konnte, war dies nur der Beginn eines amüsanten Abends. Kurze Zeit später erschien der alte Stallbursche, den Cassim schon einige Male gesehen hatte. Bereits bei seiner ersten Begegnung mit ihm, hatte er feststellen müssen, dass dieses Vergnügen nur einseitig war. Der Mann war blind wie ein Maulwurf! Jetzt da er erschienen war, sprach er von einem seltsamen Geschenk. Etwas lebendiges, wie ihm schien, was er, Cassim, sich morgen einmal anschauen sollte, sobald der Stallbursch ihn gefunden hatte. Serenus´ Blick wanderte von dem Stallburschen zu ihm. Zunehmend fiel es Cassim schwerer, nicht los zu prusten und in lautes Gelächter zu verfallen.
    Mit dem Erscheinen Hannibals hatte er damit aber keine Schwierigkeiten mehr. Der Sklave betrat den Raum, nickte ihm nur flüchtig zu, so als ob er ihn gar nicht kenne. Cassim tat es ihm gleich. Nur kurz sprang sein Blick auf ihn, um sich dann ganz schnell wieder etwas unverfänglicherem zu widmen. Selbst Hannibals Bemerkung konnte er nichts entgegenbringen, so gerne er es auch getan hätte. So kurz vor dem Ziel wollte er durch nichts Aufsehen erregen. Erst seine Nachfrage, wer noch kommen würde, brachte den Sklaven wieder in sein Blickfeld. "Ich weiß nicht." Cassim zuckte mit den Schultern. "Dieser Langhaarige, ich kenne gar nicht seinen Namen. Der wollte noch kommen."
    Kaum hatte er Hannibal geantwortet, erschien ein weiterer Römer auf der Bildfläche, mit dem der Parther gar nichts anfangen konnte. Durch die vielsagenden Bemerkungen des Serenus erfuhr Cassim nicht nur den Namen jenes Mannes, sondern konnte sich auch über dessen Gesundheitszustand ein Bild machen. Er gehörte auch zu jenen schwächlichen degenerierten Römern, die es in dieser Stadt zu Hauf gab. Ein Wunder nur, wie auf solchen Schultern ein Imperium wie dieses lasten konnte. Der Mann machte einen bemitleidenswerten Eindruck. Aber Mitleid empfand Cassim nicht, eher war es Abscheu.
    Doch das Ende der Kuriositäten dieses Abends war noch lange nicht in Sicht. Ein weiteres Familienmitglied erschien. Diesmal war es eine Frau oder vielmehr der Schatten einer solchen. Es war die Flavia, deren Katze er gerettet hatte, die ihm Tage später einigen Ärger eingebrockt hatte und die man bis vor einigen Tagen noch für tot gehalten hatte. Bedauerlich, dass sie noch am Leben war, echote es in Cassim.
    Sie sah recht mitgenommen aus und obwohl sie ihm scheinbar freundlich zunickte, konnte er ihr nichts entgegenbringen. Das war alles nur gespielt, dachte der Parther, genauso wie dieser Abend reines Theater war.

    Dieses süße Grinsen! Alles an ihr war so überwältigend, so einzigartig. Ob sie für ihn auch so empfand? Cassim wollte es herausfinden. Die Wirkung, die er zumeist auf nahezu alle weiblichen Geschöpfe machte, war fast immer die gleiche. Die Küchensklavinnen die er zuweilen um den Finger wickelte, schmolzen alle dahin, wenn er sich ihnen näherte. Es musste an seinem Äußeren liegen oder vielleicht auch an seinem orientalischen Charme. Er war anders, als diese überheblichen Römer oder diese raubeinigen Germanen. Mit seinen Worten konnte er selbst aus einer hässlichen Kröte eine wunderschöne Prinzessin machen. Siv war bereits eine wunderschöne Prinzessin. Eine Prinzessin die er nur noch erobern musste.
    "Du möchtest gerne Latein so beherrschen, damit du es selbst im Traum sprechen könntest, hm? Ich verstehe das, meine Schöne! Es ist stets von Vorteil, seinem Gegner ebenbürtig gegenüber zu stehen." Der Parther nickte bedächtig. Er konnte sich glücklich schätzen, in seiner Jugend eine so gute Erziehung genossen zu haben, die ihm auch die Tür zu anderen Sprachen geöffnet hatte. Die meisten seiner Landsleute waren höchstens noch dem Griechischen mächtig. Er aber beherrschte auch Latein. Niemals hatte er geglaubt, wie nützlich ihm dieser Vorteil einmal werden konnte.
    "Geduld führt dich zum Ziel. Sie gibt dir Ausdauer und Stärke. Sie bewahrt dich auch in schwierigen Zeiten vor der Resignation. Wenn du überzeugt davon bist, es schaffen zu können, dann stehen deine Chancen gut." Cassims Miene war ernst geworden. Unweigerlich dachte er an sein Vorhaben, welches er mit Hilfe zweier anderer Sklaven erreichen wollte. Er hatte geduldig darauf hingearbeitet. Nun hoffte er, dass auch seine Mitstreiter Geduld aufbringen konnten. "Du wirst geduldig sein müssen, um dein Ziel zu erreichen. Aber ich bin überzeugt, du kannst das, meine Hübsche." Sein warmes Lächeln kehrte wieder zurück und verschleierte ganz schnell wieder sein wahres Antlitz, das auch seine wahren Absichten preisgegeben hätte.
    Umso willkommener war da Sivs Nachfrage nach dem Falken. Ihrem Äußeren entnahm er, sie musste eine Schwäche für Tiere haben. Sie war ganz versessen darauf, das Tier einmal selbst sehen zu können. "Du möchtest den Falken sehen? Aber ja, das lässt sich einrichten. Wenn wir hier fertig sind, kannst du mich gerne in den Garten begleiten. Wenn du möchtest, kann ich ihn für dich auch einmal fliegen lassen. Der Falke hat schon viel gelernt. Bald ist er soweit für die Jagd." Wie schade, das würde er nicht mehr miterleben können!


    Nur schwerlich konnte er sich eine Landschaft vorstellen, die wochenlang, ja vielleicht sogar monatelang von dicken Schneemassen bedeckt war. Er hatte von solchen Orten bereits gehört. Sein römischer Sklave hatte davon berichtet. Damals fiel es ihm schwer, daran zu glauben. Nun aber wurde es ihm von Siv bestätigt. Doch am meisten beeindruckte ihn, die schnelle Auffassungsgabe der Germanin. Er lächelte sie anerkennend an, nachdem sie sich selbst verbessert hatte. "So ist es richtig! In meiner Heimat ist es viel kälter! Du lernst schneller, indem du dir deine Erfahrungen zunutze machst! Höre darauf, wie sie sprechen. Verinnerliche die Wendungen, die sie benutzen. Im Übrigen, versuche stets, die Artikel nicht zu unterdrücken! Es heißt der Schnee und die Stiefel. Möchtest du deinen Satz noch einmal wiederholen?"
    Er wollte sie keinesfalls belehren. Vielmehr stebte er danach, ihr Gespür für diese Sprache zu erwecken. Sie sollte ein Gefühl für diese Sprache entwickeln, auf dass sie eines Tages von sich aus wusste, was richtig oder falsch war.

    Der Parther machte gute Miene zum bösen Spiel. Er überlegte, ob er jetzt Angst haben müsste vor diesem Dreikäsehoch, entschied sich aber dagegen. Dieser Knabe konnte ihm gar nichts wollen. Nicht mehr lange und er war für immer von hier weg. Wenn alles nach Plan lief, morgen schon!
    Ungerührt des Hinweises, der Wein stünde vor im auf dem Tisch, verharrte Cassim in seiner bequemen Lage auf der Kline. Der Junge hatte allem Anschein nach noch nicht die neueste Neuigkeit erfahren. Die wenigen Sklaven, die über den Tag hinweg in der Villa verblieben waren, hatten es, einen Lauffeuer gleich, verbreitet. Es waren keine Freien gekommen, die die anfallenden Arbeiten erledigen sollten. Das hatte für reichlich Gesprächsstoff gesorgt, dem sich selbst Cassim nicht entziehen konnte.
    Er war im Begriff, auf die süffisante Rede des Knaben kontern, als ein weiterer Gast erschien. Eine Römerin. Um genau zu sein, die neue Frau des Römers. Bisher hatte er sie nur flüchtig gesehen und weder geahnt, welch eine Schöheit sie war, noch auch nur ein einziges Wort mit ihr gewechselt. Es war anzunehmen, dass sich dieses nun bald änderte.
    Das hatte er dem Römer gar nicht zugetraut, dass es ihm gelungen war, sich eine solche anmutige Schönheit zur Frau erwählen. Aber diese Römerin war noch für einige weitere Überraschungen gut. Noch bevor sie sich setzte, kam sie Cassims Bitte nach und schenkte ihm, Wein ein. "Hab Dank vielmals, du zarte Blume Italias!" antwortete er grinsend und deutete eine Verbeugung an.
    Doch damit war es noch lange nicht getan. Mit voller Genugtuung verfolgte er amüsiert den nun folgenden Wortwechsel zwischen den beiden, während er zwischen durch an seinem Wein nippte. Jetzt fehlte nur noch ein Schälchen mit Nüssen oder frittierten Panthernasen. :D
    "So ist es!" antwortete er auf ihre Frage. "Mein Name ist Cassim, der Parther und du musst Epicharis sein, wenn ich mich nicht irre." Bei Römerinnen im Allgemeinen, war es weitaus weniger schwierig, charmant zu sein.