Beiträge von Cassim

    Er nahm die Blicke des Jungen auf sich wahr. Auch er musterte ihn und versuchte herauszufinden, welcher Lektüre er sich zugewandt hatte, bevor er ins Triclinum gekommen war. Einen ganzen Beutel voller Drachmen für seine Gedanken, dachte der Parther! Er konnte sich nicht entsinnen, den Jungen schon einmal gesehen zu haben. Doch eine gewisse Ähnlichkeit zu einem Bewohner des Hauses war unverkennbar, bloß wer? Das wollte Cassim nicht einfallen. Jedoch musste er sich nicht lange auf die Folter spannen. Der Junge kam von selbst mit der Sprache heraus und bereits bei seinen ersten Silben war dem Parther klar, dass es sich bei ihm um keinen gewöhnlichen Sklaven handeln konnte. Nein, es handelte sich bei ihm um gar keinen Sklaven! Die Arroganz, die mit jedem Wort aus ihm sprudelte und schließlich die Nennung seines Names, der seines Vaters und letztendlich auch der seiner Onkel, ließ keinen Zweifel mehr offen.
    Der Parther hob leicht seine Augenbrauen an. Seine Mundwinkel zuckten. "So, Flavius Serenus ist dein Name! Angenehm! Ich gehöre demnach zu deinem Vater! Was liest du denn da Schönes?" erkundigte er sich bei dem Jungen.
    "Ach ja, Flavius Serenus, wärest du vielleicht so freundlich, mir einen Becher Wein zu besorgen?" War echt prima, Sklave zu sein! Jedenfalls an den Saturnalien! :D

    Er konnte sich gar nicht an ihr satt sehen. Sie war so wunderschön. Jeder Mann, der sie einmal besäße konnte sich glücklich schätzen. Cassim war bereit, so einiges zu unternehmen, damit er dieser Mann sein konnte. Aber Eile mit Weile! Nichts überstürzen, sonst würde er sie mit unüberlegten Aktionen nur vertreiben. Ihr Vertrauen zu gewinnen und damit auch sie zu besitzen, glich der Arbeit mit seinem Falken. Nur derjenige, der einen langen Atem hatte und Geduld bewies, würde am Ende den Sieg davontragen.
    "Ja, das ist so, meine Blume!" Siv wechselte unverhofft in eine Sprache, die er zuvor nie gehört hatte und die so fremdartig in seinen Ohren klang. Trotzdem hatte es etwas faszinierendes, wenn sie es sprach. "Äh, was meinst du? Ich habe nicht verstanden. War das deine Sprache? Germanisch?"
    Sie nahm neben dem Parther Platz und seufzte. Ihr süßes Lächeln war mit einem Mal verschwunden. Auf einmal wirkte sie so unzufrieden, als es um ihre Fortschritte ging. Dass, was sie bisher erreicht hatte, war ihr zu wenig. Sie versuchte es in Worte zu fassen und Cassim verstand. Er hob die Augenbrauen an und lächelte mild. "Du bist wie der rohe Edelstein, dem es noch an Vollkommenheit mangelt. Er muss noch geschliffen werden, um in seiner vollen Schönheit erstrahlen zu können!"Er berührte sie leicht an der Schulter. "Ich verstehe, was du meinst!" Er lächelte sie aufmunternd an. "Und ich möchte dir gerne helfen. Aber du musst auch ein wenig Geduld mit dir haben." Er war sich sicher, einen Weg zu finden, wie er der Germanin helfen konnte. Sie brauchte einfach nur noch mehr Übung. Praktische Übung! Das Lesen von Texten alleine würde hier auf die Schnelle nicht den gewünschten Effekt bringen. Die letzten Geheimnisse einer Sprache erkundete man am besten dadurch, indem man sie sprach. Er wollte mit ihr Konversation üben und sie das schreiben lassen, was sie sagte. Immer wenn es notwendig wurde, wollte er sie korrigieren. Nicht um ihr aufzuzeigen, wie schlecht sie war, nein, damit sie aus ihren Fehlern lernen konnte.


    Nachdem er sich von der oberen Tunika befreit hatte, fühlte er sich wesentlich besser. Er hatte sich wieder zu ihr gesetzt und sah ihr verwundertes Gesicht. "Ja, ich hatte vorher im Garten zu tun. Der Falke, weißt du? Es war so kalt da draußen." Es wunderte ihn gar nicht, als ihm Siv erzählte, in ihrer Heimat sei es noch kälter. "Schnee?" rief er erstaunt. "In meiner Heimat ist es im Winter auch kalt, allerdings nicht ganz so kalt, wie hier. Es regnet oft und ganz selten nur, schneit es auch ein wenig. Nur oben in den Bergen liegt oft Schnee im Winter." Ein Lächeln umschmeichelte seinen Mund, denn er war sich gewiss, bald wieder seine Heimat sehen zu können.
    "Aber jetzt zu dir: wie könntest du dich besser ausdrücken? Du sagtest: in meiner Heimat, es ist viel mehr kalt. Das hier, das ist nicht kalt, nicht zu Germanien. Versuche es selbst noch einmal! Wenn du nicht mehr weiter kommst werde ich dir helfen!" Er nickte ihr aufmunternd zu und wartete ab, ob sie es von selbst schaffen würde.

    Der Parther staunte nicht schlecht. Das war ja wirklich unglaublich, was er da hörte. Seine Stimmung besserte sich zusehends. Leichter konnten es die Römer ihnen für ihre Flucht nicht machen.
    "Mhm, dann werden wir an Abend zuvor noch mit ihnen speisen und am nächsten Tag nehmen wir reis aus." Cassim lachte. Eine bessere Gelegenheit würde es auf lange Sicht nicht geben. "Dann bemerken sie vielleicht erst Tage später unser Verschwinden, wenn wir bereits über alle Berge sind!" Das war zu schön, um wahr zu sein!
    Er war gespannt darauf, was Hannibal dazu sagen würde. Gegenüber Chimermerion sah es Cassim weitaus gelassener, warum der Sklave noch nicht da war. "Vielleicht wurde er aufgehalten. Er wird sicher gleich kommen!"Kaum hatte er zu Ende gesprochen, sah der Parther ihn auch schon kommen. Hannibal hatte mächtigen Respekt vor dem Falken, den er vermied es, zu dicht an der Voliere vorbei zu laufen.
    "Hannibal! Setz dich zu uns!" Cassim hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht.
    "Chimerion hat einige Neuigkeiten, von denen der Erfolg unserer Flucht abhängen könnte. Aber das kann er dir auch selbst erzählen!" Er sah zu dem Thraker.
    "Wie schätzt du unsere Erfolgschancen bei einer Flucht an den Saturnalientagen ein?" fragte er, wieder zu Hannibal gewandt.

    Der Parther hatte zwar immer noch nicht verstanden, wieso an diesem Tag alles Kopf stand, aber wenn es darum ging, einmal nicht eine der Küchenmägde beglücken zu müssen, nur um an ein anständiges Stück Fleisch zu erhalten, sollte es ihm recht sein.
    Von den anderen Sklaven hatte er erfahren, es gebe heute ein Festessen im Triclinum. An dem die Sklaven von ihren Herren bedient wurden. Seltsame Sitte, dacht er. Aber da er ja davon profitieren würde, konnte es ihm nur recht und billig sein!


    Er hatte vorher ein Bad genommen, sich rasiert, seine beste Tunika angezogen und sich mit einem Duft unbestimmter Herkunft eingehüllt und war selbstzufrieden zum Triclinum geschlendert. Dort wo üblicherweise nur diese arroganten Römer zu speisen pflegten, herrschte noch Stille.
    Nur das Rascheln von Papyrus war zu hören. Cassim kannte den Jungen nicht, der dort auf einer der Klinen saß und las. Ein Sklave wahrscheinlich, so wie er jetzt einer war und der bereits Erfahrung mit diesem seltsamen Fest gesammelt hatte. Sonst hätte er wohl nicht so selbstgefällig dort gesessen und gelesen, ohne Angst haben zu müssen, gleich von einem der Römer vertrieben zu werden.
    "Guten Abend! Sind wir die Ersten? Wir kennen uns noch nicht! Cassim ist mein Name." Er nahm neben dem Jungen Platz und wartete, was jetzt geschah.

    Chimerions Neuigkeiten hatten ihn so aufgewühlt. Er konnte gar nicht still stehen bleiben. Wenn daran ihre Flucht scheitern sollte, was dann? Blieb abzuwarten, was Hannibal dazu sagen würde. Aber der Thraker hatte sich schon seine Gedanken gemacht, wie man die Flucht doch noch durchführen konnte. So schnell, als nur möglich! Zu den Saturnalien? Der Parther stutzte. "Saturnalien, was ist das denn?" Er hatte sich einiges durch seinen römischen Sklaven über das römische Alltagsleben angeeignet, aber über Festlichkeiten, seien es religiöse oder familiäre, wusste er so gut wie gar nichts. Der Sklave sprach in Rätseln. Wieso sollten an diesen Saturnalien die Torwachen andere Schließzeiten haben?
    Er setze sich wieder neben Chimerion "Das verstehe ich nicht! Was ist den an den Saturnalien anders und wiesop sollte das unsere einzige Chance sein. Du glaubst doch nicht, dass wir dann einfach so aus der Villa spazieren können!" Aber offensichtlich schien es doch etwas besonders mit diesen Saturnalien auf sich zu haben, was bei Chimerion alleine schon der Gedanke daran große Freude auslöste.

    Oh, wie sie strahlte, die Schöne! Cassim strebte auf sie zu, hätte sie am liebsten umarmen wollen, unterließ dies aber vorläufig, da er noch den Weinbecher in seiner Hand hielt. "Wenn ich dich sehe, Strahlende, dann geht es mir sehr gut!" Was zweifellos den Tatsachen entsprach, denn der Parther machte einen ausgeglichenen, heiteren Eindruck. Inzwischen wieder aufgewärmt, was nicht nur dem Wein zu verdanken war, stellte er den fast leeren Becher zur Seite, zog ihr einen Stuhl herbei und bot ihr an, sich zu setzen. Auch er nahm Platz. "Ach, nichts zu danken. Das mach gerne!"
    Sein Blick fiel auf die Schreibutensilien und einige Schriftrollen, die sie dort abgelegt hatte. "Womit hast du noch besonders viele Schwierigkeiten, Siv?" Bei ihrem vorangegangen Treffen hatte sie ihn gebeten, den Lateinunterricht noch etwas zu intensivieren. Fraglos war er auf ihre Bitte eingegangen. Wann hatte man schon die Gelegenheit, eine solche Schönheit ganz für sich alleine zu haben? Vielleiht bot ein solches Treffen auch endlich die Gelegenheit, sich noch etwas besser kennenzulernen und, worauf Cassim ganz besonders hoffte, sich auch etwas näher kam. Das blonde Haar der Germanin übte eine besondere Wirkung auf ihn aus, der er einfach nicht widerstehen konnte. So gerne hätte er es in seinen Händen gehalten, es gestreichelt und seinen Duft eingesogen.


    Als er bereits eine Weile so neben ihr gesessen hatte, wurde es ihm immer wärmer. Immer noch trug er zwei Wolltuniken übereinander, was für den geheizten Raum deutlich zu viel des Guten war. Cassim glaubte natürlich, die aufkeimende Wärme in ihm, hatte noch andere Ursachen gehabt. Langsam wurde ihm die Wärme aber unangenehm und bevor er vor der Germanin in Schweiß ausbrach, zog er es vor, eine der beiden Tuniken auszuziehen. "Einen Moment! Bitte entschuldige!" Er stand auf, löste den Gurt und zog die oberste Tunika über den Kopf, die er dann über einen der unbenutzten Tische legte. "So, jetzt ist es besser! Es ist heute so entsetzlich kalt, draußen! Ist es so auch in deiner Heimat, Siv?" Er erinnerte sich noch an ihr erstes Treffen, was schon monatelag zurücklag. Damals hatte sie ihm von Germanien erzählt. Der Parther hatte damals den Eindruck gewonnen, das Land, weit oben im Norden, sei ein Reich aus Eis und Schnee, in dem es immer bitterkalt war und in dem die Menschen alle so hellhäutig waren und goldenes Haar trugen, wie Siv.

    Es war kalt! Viel zu kalt für Cassims Geschmack! Eingemummt in eine zweite dicke Wolltunika war er über den Hof geeilt, um schnell wieder ins warme Servitriciuum zu kommen. Bei diesen Temperaturen war nicht daran zu denken, sich lange draußen aufzuhalten. Er hatte den Falken versorgt und seine Voliere gesäubert und war dann auf dem schnellsten Wege wieder zurückgekehrt. Seit Tagen hing eine graue Wolkendecke über der Stadt. Nicht einmal die Sonne war zu sehen. Das schlug sehr aufs Gemüt. Ein Grund mehr, die Wärme im Inneren der Villa zu suchen.
    Vielleicht hatte er Glück und konnte sich ein warmes Getränk in der Küche ergattern. Zu einigen der weiblichen Küchensklavinnen verband ihn ein scheinbar inniges Verhältnis. Ein charmanter Blick, ein paar freundliche Worte, einige, teils auch unangebrachte, Komplimente oder manchmal auch etwas mehr, öffneten die Freigiebigkeit so mancher Küchenmagd, was ihm bereits den einen oder anderen Leckerbissen eingebracht hatte, wovon andere Sklaven nur träumen konnten. Die Frauen waren doch alle gleich, ganz egal, wo man sie antraf, ob in Dura Europos, in Damaskus oder eben in Rom!
    Auch diesmal war es ihm wieder gelungen, eine der Küchenmägde zu bearbeiten, damit sie ihm einen Becher mit warmen Wein gab. "Ich danke dir mein Täubchen! Wir sehen uns dann, heute Abend wenn du willst!" Verträumt zwinkerte er der jungen Frau zu, die wieder zurück an ihre Arbeit ging. Cassim indes schlenderte langsam aus der Küche hinaus in Richtung des Unterrichtsraumes, in dem seit geraumer Zeit aurelischen wie auch flavischen Sklaven die Gelegenheit geboten wurde, zu lernen. Er wärmte sich mittels des warmen Getränkes auf. Während er das tat, sah er kurz hoch und erblickte sie! Es wurde ihm ganz warm ums Herz. Die Sonne ging endlich auf, an diesem kalten grauen Wintertag! Ihr goldenes Haar! Es war nicht zu übersehen. Soeben war sie hinter der Tür zum Unterrichtsraum verschwunden und wunderte sich wahrscheinlich schon, warum er noch nicht da war. Er jauchzte innerlich und beschleunigte seinen Schritt. Sie war also doch gekommen! Genau so, wie sie es vereinbart hatten.
    Er öffnete ebenso schwungvoll, wie sie zuvor, die Tür. Wie schön, sie waren allein!
    "Guten Tag, meine goldene Schöne! " Seinen Worten folgte ein umwerfendes Lächeln, welches jede Frau zum Dahin schmelzen bringen musste.

    Der Parther hatte Chimerion nicht kommen hören. Auch war ihm entgangen, dass dieser ihn schon eine Weile beobachtet hatte. Das musste an der inneren Vorfreude liegen, die ihn seit dem Abend zuvor ergriffen hatte. Überrascht und erfreut zugleich, sah er zu dem Sklaven hinüber, der sich neben ihn ins Gras gesetzt hatte.
    "Man muss nur wissen, wie man mit solchen Tieren umzugehen hat. Ich habe es von meinem Vater gelernt als ich noch fast ein Junge war. Er hat mir alles beigebracht und auch, wie man mit ihnen jagt. Du musst ihnen immer das Gefühl geben, sie seinen noch frei. Diese edlen Tiere verkümmern, wenn man sie nur eingesperrt lässt." Ähnlich verhielt es sich auch mit Cassim. Die Arbeit mit dem Falken ließ ihn so manches vergessen. Jedoch die Aussicht, auf ewig als Sklave leben zu müssen, würde auch ihn verkümmern lassen.


    Zufrieden die wärmenden Sonnenstrahlen genießend, rupfte er einen Grashalm ab und nahm ihn zwischen seine Zähne, um darauf herum zu kauen. Sobald auch Hannibal auftauchte, konnten sie mit ihrer Besprechung beginnen. Cassim konnte es kaum noch erwarten. Endlich würde er von hier fort kommen. Was Chimerion allerdings zu berichten hatte, klang alles andere, als gut.
    "Sie wird heiraten?" Entsetzen klang in seiner Stimme mit. Im Grunde war es ihm gleich, was diese Römer untereinander veranstalteten. Doch wenn dadurch das Gelingen seiner Flucht abhing, ließ es ihn doch nicht kalt. "Du wirst umziehen? Wann? Vier bis sechs Wochen? Weiß Hannibal schon davon?"
    Auf den Schreck hin hielt Cassim nichts mehr am Boden. Besorgt begann er hin und her zu laufen. "Die Flucht, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und müssen so schnell, wie irgend nur möglich damit anfangen, zu planen. Was denkst du, wann wäre ein geeigneter Zeitpunkt, um zu fliehen?" Er sah zu dem sitzenden Sklaven herab. Es musste einen Weg geben. Ungern wollte er ihn alleine beschreiten.

    Chimerion hatte mit seinen Worten noch einmal bekräftigt, was Cassim Hannibal damit sagen wollte. Der Sklave hatte verstanden, wie es gemeint war. Cassim hatte auch nicht anderes erwartet.
    "Gut, dann bis Morgen! Ich erwarte euch! Lasst uns jetzt schlafen gehen. Es ist schon spät!" Er nickte Hannibal und Chimerion noch einmal zu und ging zurück zu seinem Lager. Diese Nacht würde er gut schlafen können. Endlich ging es voran! Er konnte es kaum erwarten, bis es endlich Morgen war und er zu der Falkenvoliere gehen konnte!

    Cassim war am Morgen frohgemutes zu seiner Arbeit an der Falkenvoliere gegangen. Wie jeden Morgen reinigte er zuerst die Voliere, holte dann den Vogel heraus und arbeitete mit ihm den ganzen Vormittag. Es war eine Freude, ihn so frei fliegen zu sehen! Der Falke hatte schon große Fortschritte gemacht. Nicht mehr lange und man konnte ihn mit auf die Jagd nehmen. Der Parther war in seinem Element, wenn er mit dem Falken zusammen war. Das erinnerte ihn an die Zeit seiner Jugend, zu Hause in Dura Europos. Dann konnte er für kurze Zeit vergessen, dass man ihn zu einem Sklaven gemacht hatte und er nun hier leben musste.
    Als die Sonne hoch am Himmel stand, verbesserte sich seine Laune zusehends. Er brachte den Falken zurück in seinen Käfig, gab ihm zu fressen und setzte sich dann ins Gras, um zu warten.
    Blinzelnd schaute er gen Himmel. Die Sonne blendete ihn. Die Vorstellung, dass genau diese Sonne auch Dura Europos Wärme spendete, machte ihn einerseits traurig. Die Hoffnung aber überwog, bald wieder die Heimat zu sehen. Mit der Hilfe der beiden anderen Sklaven hatte er die Chance dazu. In wenigen Monaten schon konnte es möglich sein, diese Sonne in Dura Europos auf der Haut zu spüren.
    Nicht mehr lange und sie waren da. Die beiden, die mit ihm gehen wollten, nach Dura Europos.

    Cassim wurde das Gefühl nicht los, die beiden Schönen spielten mit ihm oder machten sich gar lustig über ihn. Sie wirkten fast noch mädchenhaft, obwohl sie diesem Alter längst entwachsen zu sein schienen. Ihr Verhalten musste schlicht und ergreifend an seiner Ausstrahlung liegen, die er zumeist auf Frauen ausübte, dachte sich Cassim, dessen Sebsteinschätzungen machmal doch von Überheblichkeit geprägt waren. Doch der Anblick der beiden Schönheiten war ihm Grund genug, sich auf ihr Spiel einzulassen.
    "Sagt mir nur, wohin ich die Kerzen bringen soll und dann werdet ihr sie bekommen!" antwortete er mit einem breiten Grinsen.
    "Ihr habt mich deshalb noch nicht gesehen, weil ich mich den ganzen Tag draußen im Garten aufhalte. Ich richte Aristides Falken ab. Wart ihr schon einmal an der Falkenvoliere? Ihr sein noch nicht lange hier, nicht wahr?"
    Cassim begann das Essen langsam in sich hinein zuschaufeln, während er die beiden Frauen beobachtete. Das hatte den Vorteil, dass er sich weniger auf den Geschmack des Essens konzentrieren musste.

    Die Verwirrung war Hannibal ins Gesicht geschrieben. Er verstand absolut gar nichts, von dem, was Cassim im sagen wollte. Das musste am Alkohol liegen! Cassim wehrte sich gegen den Gedanken, Hannibal könnte alles schon wieder vergessen haben, wovon er mit ihm vor wenigen Wochen gesprochen hatte. Er hatte damals ganz deutlich die Sehnsucht nach Freiheit in seinem Gesicht erkennen können. Und siehe da, langsam sickerten seine Erinnerungen zurück!
    Hannibals Einwand, dies sei der falsche Ort um ihren Fluchtplan zu besprechen, war nachvollziehbar. Er selbst hatte zwar noch nicht Bekanntschaft mit diesem Scuirus geschlossen, jedoch war es im nicht entgangen, wie sehr die meisten Sklaven von ihm eingeschüchtert gesprochen hatten.
    "Da stimme ich dir zu! Was haltet ihr davon, wenn wir uns morgen treffen? Kommt morgen in der Mittagszeit zu mir zur Falkenvoliere. Dort sind wir um diese Zeit ungestört!" Er warf den beiden Sklaven einen verschwörerischen Blick zu. In seinem Inneren wollte sein Herz fast vor Freude zerspringen. In wenigen Monaten schon, würde er wieder in seine Heimat zurückkehren. Davon war Cassim überzeugt!
    "Hannibal, ich vertraue dir voll und ganz! Du wirst mich nicht verraten, dessen bin ich mir gewiss!"

    Das Spiel seiner Miene war recht schwer zu deuten für den Parther. Auf den Römer mochte er vielleicht den Eindruck gemacht haben, noch einiges von dem zu wissen, was in jenem Haus in der subura letzte Nacht geschehen war. Jedoch war es auch für ihn diffus, welche Erinnerungen bei dem Römer haften geblieben waren. Im Gegensatz zu ihm, hätte Cassim sein Wissen ohne Weiteres gegen den Römer verwenden können. Doch er hatte ihm sein Wort gegeben. Daran wollte er sich halten, auch wenn der Römer das war, was er war.
    Ohne noch viele Worte zu verlieren, folgte er Aristides durch die erwachte Stadt, dem man es unschwer ansehen konnte, dass noch einiges an Restalkohol in seinem Blut sein musste.
    An diesem Morgen war auch er froh gewesen, zur Vila zurückzukehren. Cassim fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut. Das lag weitaus weniger daran, dass er sich die letzte Nacht mit einer lupa vergnügt hatte, denn dem Umstand, dass er sich unrein fühlte. Sobald er die Schwelle zu Villa überschritten hätte, würde er ein erfrischendes Bad nehmen und spätestens nach einer Rasur würde er sich wieder wie ein Mensch fühlen.


    Letztendlich erschien die Villa vor ihnen, deren Fassade von der einfallenden Morgensonne rötlich-golden wirkte. Cassim folgte dem Römer bis hin zum Atrium. Dort trennten sich ihre Wege. Etwas nachdenklich sah er ihm noch nach, bevor er selbst im serviticiuum verschwand.

    Hannibal schien nicht verstehen zu wollen. Lag ihm am Ende seine Freiheit doch nicht so sehr am Herzen? Oder war es einfach nur der Alkohol, der seine Sinne trübte?
    Was in den Tagen zuvor in der Villa geschehen war, hatte Cassim nicht wirklich wahrgenommen. Er war zu sehr mit dem Falken beschäftigt, der nun so weit war, um zur Jagd abgerichtet zu werden. Lediglich war ihm die Nachricht untergekommen, Hannibal sei bei dem Römer in Ungnade gefallen. Wieso es dazu gekommen war, interessierte ihn nicht. Wichtig für ihn war nur, dass der Sklave für eine gemeinsame Flucht bereit war. Außer ihn kannte Cassim niemanden, dem er hätte vertrauen können und der sich auch außerhalb Roms auskannte.
    "Er will das Gleiche, wie wir, Hannibal! Und zwar sofort, nicht erst in einigen Jahren!" Cassims Züge waren ernst geworden. Noch einmal winkte er Chimerion zu sich, der noch gezögert hatte. "Chimerion, komm doch! Das ist Hannibal! Hannibal, das ist Chimerion!" Der Parther machte die beiden miteinander bekannt. "Chimerion hat es auch satt, nach der Pfeife dieser römischen Hure zu tanzen. Er will hier weg, so wie ich und… so wie du!"

    Wie viele Becher Wein mochten wohl an diesem Abend seine Kehle hinunter geflossen sein, fragte sich Cassim, als er den Sklaven aus der Nähe betrachtete. Hannibal machte nicht den Eindruck, als hätte er etwas zu feiern gehabt. Ganz im Gegenteil! Beiläufig hatte Cassim erfahren, wie es um die Beziehung zwischen Hannibal und dem Römer stand. Allerdings hatte er nicht in Erfahrung bringen können, weswegen der Sklave in Ungnade gefallen war und aller seine Privilegien verlustig gegangen war. So versuchte er, sich nicht anmerken zu lassen und ging auf Hannibals Frage ein. "Recht gut, recht gut!" Es ging ihm von Minute zu Minute besser, wenn er daran dachte, bald von hier fort zu kommen und wieder in Freiheit leben zu können. "Sag Hannibal, kennst du eigentlich schon Chimerion?" Der Parther ließ kurz seinen Blick von Hannibal ab und winkte dem langhaarigen Sklaven zu sich. "Du solltest ihn unbedingt kennen lernen. Vielleicht ist er ein Teil dessen, was dein Leben in Zukunft um einiges attraktiver machen könnte!“ Der Parther hatte den zweiten Satz nur noch geflüstert, damit niemand hörte, was er nicht hören sollte.

    Das klang doch sehr vernünftig! Wenn diese Flucht Erfolg haben sollte, dann war eine durchdachte Planung und die richtigen Leute alles!
    Cassim wollte gerade zu seiner Antwort ansetzen, als er durch ein Geräusch und ein darauffolgendes leises Fluchen aufgeschreckt. Dies war zwar die Sklavenunterkunft und hier schliefen nur Sklaven, aber es gab auch tatsächlich Sklaven, die ihrem Herrn treu ergeben waren und sogar ihren besten Freund ans Messer liefern würden, wenn sie sich davon einen Vorteil versprachen! Sie mussten vorsichtig sein, sonst wäre die Flucht vorbei, noch ehe sie angefangen hatte.
    "Ich schätze, wir haben ihn soeben gefunden, oder er uns?" Mit seinem Kinn deutete er auf den Sklaven, der soeben die Sklavenunterkunft betreten hatte, an seinen Bettkasten gestoßen war und leicht torkelnd einige Betten weiter, sein Lager in Besitz genommen hatte. "Das ist Hannibal!" Kurz sah er Chimerion mit einem listigen grinsen an, dann sprang er von seinem Lager auf und schlenderte langsam zu Hannibal hinüber.
    "Guten Abend, Hannibal! Lange nicht gesehen! Wie geht´s?" Im Schein seiner Öllampe, fand er den Sklaven, der irgendwie anders aussah, so weibisch... Der Parther ließ sich nichts anmerken. Vielleicht war dies nur das Resultat der perversen Vorlieben des Römers, der Hannibal dazu gezwungen hatte, sich wie ein Weib anzumalen. Diese Römer waren ja zu allem fähig!

    Chimerions Antwort war alles andere als zufriedenstellend! Was sie zu ihrer Flucht brauchten, war ein Ortskundiger und einen Mann, dem man vertrauen konnte. Offen gesagt, wollte sich Cassim nicht an einen Fremden hängen, der ihn am Ende möglicherweise noch verriet. Je länger er darüber nachdachte, kam er mehr zu dem Schluss, noch einmal mit Hannibal zu sprechen. Er kannte sich in diesem Land aus und kannte auch die Menschen.
    "Ich finde, wir sollten uns von den großen Straßen fern halten. Die werden im Falle unserer Flucht als erstes kontrolliert. Wir brauchen noch mehr Informationen. Und einen Plan! Ich stürze mich nur ungern in ein solches Abenteuer, ohne zu wissen, was mich erwartet."
    Die Frage, wie man an Geld kam, erschien ihm da weitaus weniger schwierig. Notfalls nahm er es sich von den Römern, die in der Villa lebten.
    "Ich werde noch einmal mit Hannibal sprechen. Es kam mir so vor, als ob…" Der Parther beendete nicht seinen Satz. Dieser Sklave hatte ihn schon lange beschäftigt, seit seinem ersten Tag hatte er über ihn nachgedacht.
    "Ja, ist er!" antwortete er auf Chimerions Frage. "Er ist der langjährige Leibsklave von diesem Aristides. Dieser verdammte Römer, der mich gekauft hat!"

    Cassim nickte. "Da kann ich dir nur voll und ganz zustimmen! So hatte ich es mir auch vorgestellt. Kennst du dich außerhalb der Stadtmauern aus?" Als besonders wichtig erachtete es der Parther, dass sie unbemerkt zu einem Hafen gelangten. Auf dem Weg dorthin brauchten sie ebenso einige gute Verstecke, die abseits der großen Straßen waren. Deswegen war es gut, einen ortskundigen bei sich zu haben. "Du hast recht, ein anderer Hafen, als der in Ostia wäre sicher von Vorteil. Wie weit ist diese Misenum von Rom entfernt? Können wir dort leicht hingelangen?" Außerdem war es wichtig an Geld zu kommen. Kein schiffskapitän würde sie umsonst mitnehmen. "Wie sieht es mit Geld aus?" Und was war eigentlich jetzt mit Hannibal? Er hatte ihn seit Wochen nicht mehr gesprochen. Ihn musste er unbedingt noch einmal sprechen, bevor es los ging!
    "Kennst du eigentlich Hannibal?"

    Der Parther ließ sich nicht lange bitten und nahm Platz. Dessen was er auf seinem Teller hatte widmete er sich nur peripher. Viel wichtiger war da die reizende weibliche Gesellschaft, zu der er sich soeben gesetzt hatte. Besonders die Blonde hatte es ihm angetan. Seitdem er Siv, die blonde germanische Sklavin von den Aureliern zum ersten Mal erblickt hatte, war es um ihn geschehen. Diese Haarfarbe schien ihn magisch an zuziehen, wobei auch die Rote nicht zu verachten war! Genau die verriet ihm sogleich ihren Namen und den ihrer blonden Freundin. "Fiona und Minna. Schön, euch kennenzulernen. Mein Name ist Cassim." Er behielt sein Lächeln bei und besonders Minna himmelte er dabei an. "Eure Herrin hat den Flavier geheiratet?" Cassim hatte etwas die Augenrauen angehoben. "Welch ein Zufall! Dann haben wir ja etwas gemein! Der Flavier gehört mir, äh ich gehöre dem Flavier, glaubt er jedenfalls!" Der Parther grinste, ob seines Versprechers. Jedoch interessierte es ihn vielmehr, was die beiden Frauen besprochen hatten, bevor er sich zu ihnen gesetzt hatte.
    "Ihr braucht Kerzen? Ich kann euch Kerzen besorgen! Wozu braucht ihr die eigentlich?" Der Blicke des Parther wanderten fragen über die Gesichter der beiden Frauen hinweg.

    Die Tür ging auf. Der Parther war gerade damit beschäftigt, seine Sandalen anzuziehen. Er sah das Mädchen hereinkommen, mit einem Krug und Bechern in Händen. Mit seinem Blick verfolgte er sie, wie sie alles abstellte. Der Römer würdigte sie keines Blickes mehr, was sie aber weitaus weniger zu belasten schien. Wenigstens Cassim schenkte ihr noch ein kleines Stück Aufmerksamkeit, als auch er nach dem anderen Becher griff. Das Mädchen würde er vermutlich nicht wieder sehen. Wenn schon, in Rom gab es tausende von ihrer Sorte und mit einem gefüllten Geldbeutel konnte man sich auch ein paar nette Stunden zu zweit erkaufen.
    Die vergange Nacht hatte ihn gefühlsmäßig wieder ein Stück näher an seine Heimat gebracht, indem er über die gesprochen und gedacht hatte, die daheim auf ihn warteten. Mit einem kräftigen Schluck verdünnten Wein versuchte er, sein Heimweh hinunter zu schlucken. Das was er in den nächsten Tagen brauchte, war ein klarer Kopf. Es brachte ihm nichts, sich sinnlos von Gefühlen leiten zu lassen. Der Plan, um wieder nach Parthia zu gelangen, musste kühl durchdacht sein.
    Er stellte den Becher auf den Tischchen ab, nachdem der Römer ihn zum Gehen aufgefordert hatte. Stumm nickend folgte er ihm, allerdings nicht ohne dem Mädchen beim Gehen noch einen flüchtigen Blick zuzuwerfen.
    Beim Hinaustreten auf die Straße, blendete ihn das Sonnenlicht etwas. Er hob seine Hand, um seine Augen damit zu schützen. Auf den Straßen war bereits wieder allerhand los. Es war höchste Zeit, den Rückweg anzutreten, denn heute war doch der große Tag des Römers. In wenigen Stunden würde er heiraten. Doch so eilig schien er es nun auch nicht zu haben, denn nach den ersten Schritten blieb er erst einmal wieder stehen. Einen besonders frischen Eindruck machte er nicht gerade, was ja auch nicht groß verwunderlich war. Der Wein und das Opium hatten ihm ordentlich zugesetzt und ihren Tribut gefordert. Was er ihm aber jetzt sagte, gab ihm zu denken! Wusste er doch noch alles, was geschehen war? Dafür hatte er aber keine Ahnung, was Cassim noch alles in Erinnerung geblieben war!
    Er sah ihn erst etwas irritiert an, nickte aber dann. "Nein, dein Geheimnis ist bei mir sicher!" antwortete er schließlich mit einem geheimnisvollen Lächeln.