Beiträge von Nero Claudius Tucca

    Nicht nur, dass das Haus die meiste Zeit ziemlich leer erschien, es schien auch alle Neuankömmlinge in seinen Eingeweiden zu verschlucken und nicht mehr auszuspucken. Priscas Cubiculum war leer gewesen, zumindest hatte niemand reagiert. Das allein wäre noch nicht allzu verwunderlich gewesen, denn ich wusste nicht, ob sie von Verus' Plänen gewusst hatte. Womöglich war sie einfach nur vor uns schon außer Haus gegangen. Also war ich in mein Cubiculum zurück gekehrt und hatte Tuktuk ausgeschickt, Verus zu suchen und die Augen gleichzeitig nach Prisca offen zu halten. Mein Sklave war nun schon so lange fort, dass ich mir langsam Sorgen machte, dass das Haus nach Prisca nicht nur Verus, sondern auch noch Tuktuk verschlungen haben könnte.


    Ich saß auf der Bank in einer der Fensternischen und ließ meine Finger über den feinen Stoffbezug des Sitzkissens wandern. Meine Fußspitzen tippten ungeduldig im Wechsel auf den Boden. Ich mochte es nicht, zu warten. Noch weniger mochte ich es, auf Tuktuk zu warten. Und noch viel weniger mochte ich es, in einer mir fremden Umgebung auf Tuktuk zu warten. Trotz der Tatsache, dass ich schon einige Zeit in Rom war, war mir das Zimmer immer noch fremd. Unnütze Dekoration hatte ich entfernen lassen, denn sie irritierte mich meist sowieso nur. Eine Vase stand noch auf einem kleinen Tisch und die Blumen darin wurden jeden Tag gewechselt, so dass ich nie wusste, nach was es am Abend riechen würde. An diesem Tag stand Oleander in der Vase, doch da die Blüten nicht sonderlich geruchsiintensiv waren und ich schon die Nacht mit ihnen verbracht hatte, nahm ich ihren Duft nicht mehr ganz so stark wahr.


    Es klopfte und mein Ohr drehte sich zu dem Geräusch. Tuktuk würde nicht klopfen, außerdem klopfte er anders. Ich stand auf und trat, eine Hand leicht nach vorne gestreckt, zur Tür, tastete nach dem Griff und öffnete.


    "Ja?"

    Ich konnte mir ein Schmunzeln über die stadtrömische Überzeugung des Purgitiers nicht ganz verkneifen. Andererseits gab es sicher keine zweite Stadt wie Rom. Natürlich hatte ich weder viele Städte gesehen, um genau zu sein keine einzige außer Rom, noch hatte ich sie auf andere Art erlebt. Ravenna war mit Rom verglichen ein Dorf. Ebenso wie es wohl auch jede andere Stadt sein würde.


    "Vielleicht ist die Laune des Glückes doch auch nur Zufall."


    Mein Becher war schnell geleert. Zu schnell, doch der Wein würde an diesem Tag sicher nicht so schnell ausgehen. Ich hielt den Becher zur Seite, in der Erwartung, dass Tuktuk ihn nehmen würde, was dieser auch tat.


    "Zufall oder Glück, oder auch beides, es hat mich auf jeden Fall gefreut, dich kennen zu lernen, Purgitius Macer. Ich werde die Gelegenheit nun nutzen, und mich noch ein bisschen in das Festgetümmel stürzen."


    Ich schnippte mit den Fingern, um Tuktuk anzudeuten, dass wir weiter gehen würden, und hob meine Hand. Obwohl das Geräusch im Umgebungslärm fast unterging, nahm er meine Hand und legte sie auf seine Schulter. Im Grund waren die Geräusche sowieso mehr für mich, denn Tuktuk war ein guter Beobachter. Nachdem ich mich von dem Senator verabschiedet und ihm noch einen angenehmen Feiertag gewünscht hatte, setzten wir uns langsam in Bewegung. Es war immer noch viel los und es dauerte noch lange, bis die Menschenmassen weniger wurden.


    Da ich nicht darauf vertraute, dass Tuktuk den Weg zurück zur Villa Claudia finden würde, hielten wir uns den restlichen Tag über immer irgendwo in der Nähe des Forums auf, wo auch meine Sänfte wartete. Wein gab es an allen Ecken, ebenso jede Menge Unterhaltung. Ich hörte dem Vortrag eines Straßenphilosophen über das heimliche Glück der Glücklosen zu, drehte glücklos am Glücksrad, trank mehr Wein als Tuktuk mir kaufen wollte und ließ ihn nach einigen Bechern schließlich sogar eine Glücksmünze kaufen. Natürlich wusste ich auch in angetrunkenem Zustand genau, dass sie ihren Preis materiell nicht einmal annähernd wert war, doch sie würde mich mein Leben lang an das Fest der Fors Fortuna in Rom erinnern. Und Erinnerungen sind unbezahlbar.

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    Original von Spurius Purgitius Macer


    Ein bisschen zerstörte der Senator nun doch das romantisch verklärte Bild, das ich vom Tiber hatte. Unter der Lebensader Roms hatte ich mir einfach mehr vorgestellt als den Abwassertransport einer Großstadt. Zumal die Stadtrömer den Fluss auch noch als Gottheit verehrten und er nicht zuletzt wie heute Bestandteil einiger Feste war. Andererseits wurden den Nachttopfinhalten entgegen viele Waren aus Ostia transportiert, die den Wohlstand der Stadt sicherten. Und letztlich gehörte das Abwasser wohl mehr zu einer Stadt als Fruchtbarkeit bringende Überschwemmungen oder ähnliches.


    "Womöglich gehören gerade auch die weniger angenehmen Seiten zu dem, was den Tiber so besonders macht. Ich kenne zumindest keinen Fluß, der sonst mit so viel Aufmerksamkeit bedacht wird."


    Zugegeben, Flüsse waren auch nicht gerade meine Stärke. Der Wein war tatsächlich kühler als man an so einem Tag annehmen mochte. Ein bisschen wässrig, aber für den Massenabverkauf an der Straße nicht übel, und mit einem angenehmen Nachgeschmack.

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    Original von Spurius Purgitius Macer


    Unbestimmt wiegte ich meinen Kopf hin und her. So ganz wollte ich dem Senator nicht zustimmen. Ich hatte schon einige Gäste in meinem Haus beherbergt, die nicht viel mehr als einen Titel besessen hatten. Philosophen, Dichter und Denker, die sich 'der große Philothentes', 'Diodophanes, der Weise' oder 'Milaphontos, Archiprytanes von Paionidai' nannten und damit Titel trugen, die im Grund völlig wertlos waren. Dennoch hatten sie sich dafür Unterkunft und Verpflegung erkauft, und ich hatte es in den seltensten Fällen bereut. Ravenna war nicht gerade das Tor zur Welt und jene, die sich dorthin auf ihren Reisen verirrten, hatten meist überaus interessante Geschichten zu erzählen, vor allem, wenn sie auf der Rückreise aus dem Norden kamen.


    "Wenn man ihn nur richtig verkauft, dann kann man sich auch von einem wertlosen Titel etwas kaufen. In dieser Hinsicht ist er nicht anders als ein Name."


    Mit wertvollen Namen kannte ich mich ebenfalls aus. Immerhin trug ich selbst einen, der so manche Tür öffnen konnte. Manchmal andererseits nützte er gar nichts, ganz besonders nicht gegen die Gewalten der Natur. Auch dem Tibergestank wäre es am Ende egal, ob er in die Nase eines Patriziers einzog oder die eines Sklaven. Ich hob mein Riechorgan ein Stück in die Höhe und zog den Duft der Blumen ein, der noch immer schwer in der Luft hing. Ich glaube, von allen Claudiern war ich derjenige, dem seine claudische - und damit durchaus markante - Nase im Leben am meisten nutzte. Selbst ein schlechter Geruch war für mich besser als keiner.


    "Von diesem römischen Geruch habe ich schon gehört. Aber so lange man noch mit Booten auf dem Tiber herumfahren kann, wird der Fluss noch lange kein Brackwasser führen, oder? Und heute könnte man ihn sicher sowieso nicht riechen, bei all den Blumen."


    Ich hatte kaum geendet, als neben mir Tuktuk anfing zu sprechen.


    "Njaatigi, der Wein."


    Es irritierte mich immer etwas, wenn ich Tuktuk nicht kommen hörte. Ich kannte seinen Schritt wie kaum einen zweiten, doch natürlich war es ummöglich, ihn in dieser Umgebung wahrzunehmen. Ich löste meine Rechte und hielt sie geöffnet etwas vor mich. Tuktuk reichte mir einen Becher aus Ton. Soweit ich ihn mit einer Hand befühlen konnte, war er völlig schmucklos. Vermutlich landeten die meisten dieser Becher heute sowieso auf dem Boden. Da ich davon ausging, dass mein Sklave auch Purgitius Macer einen Becher gereicht hatte, hob ich meinen ein Stück an.


    "Auf Fors Fortuna, und darauf, dass uns in diesem Jahr noch möglichst lange das Glück beschert sein möge, dass der Tiber nicht anfängt zu stinken!"

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    Original von Spurius Purgitius Macer


    Nachdenklich zog ich die Augenbrauen zusammen und mein Kopf wippte etwas hin und her. Rom gefiel mir immer besser. Tiefsinnige Gespräche mit Unbekannten auf der Straße zu führen, das war genau nach meinem Geschmack.


    "Ich glaube nicht, dass es wirklich beeindruckende Titel ohne Wert geben kann. Allein die Tatsache, dass sie wirklich beeindruckend sind und damit Eindruck machen, ist doch schon von Wert. Man sollte die Macht des Anscheins niemals unterschätzen."


    Es wurde wirklich Zeit für einen Becher Wein. Nicht nur wegen des tiefsinnigen Themas, sondern auch, weil es immer wärmer wurde. Ich tippte Tuktuk auf die Schulter.
    "Geh' und hole uns zwei Becher Wein. Von diesem Händler."
    Noch einmal tippte ich auf die Schulter meines Sklaven, dass er sich zu mir umdrehte, und wies dann in die ungefähre Richtung.
    "Caecuber, hörst du? Der mit dem rauen Bariton, der sich anhört, als würde er seit gestern Abend schon unablässig seinen Wein anpreisen."
    "Ja, njaatigi."


    Es war zu laut, um Tuktuk gehen zu hören. Ich ließ meine Hand sinken und packte sie zur anderen an den Stock. Ohne meinen Sklaven würde ich mich keinen digitius weit rühren. Nur mein Kopf wandte sich wieder in die Richtung des Purgitiers.

    "Ich lebe seit langem in Ravenna und bin tatsächlich erst vor einigen Wochen in Rom angekommen. Und seitdem auch noch nicht sehr weit herum gekommen."


    Obwohl ich nicht wusste, wie viel Rom man etwa in einer Wochen sehend entdecken konnte, fühlte ich mich verpflichtet, den zweiten Satz erklärend beizufügen.


    "Aber schon die Feiertage sind unvergleichlich. Ganz zu schweigen, von den Gerüchen. Ich habe noch nie so viele unterschiedliche Gerüche auf einem Haufen erlebt."


    Bisher waren es meist so viele, dass nur noch ein undefinierbarer Einheitsbrei in meiner Nase ankam, aus dem nur wenige Einzelheiten heraus stachen. Von diesen wiederum konnte ich die Hälfte nicht einordnen.

    Während ich mich noch darauf einstellte, mir den Weg zum Altar zu merken, schlug Verus schon den Weg zum Triclinium ein. Das ging etwas zu schnell, als dass ich noch die Orientierung behielt. Daher verwarf ich den Gedanken, mir irgend einen Weg merken zu wollen, und folgte einfach nur meinem Vetter. Mit dem Wissen, dass es schon auf Mittag zu ging, war sein Hunger vermutlich noch mehr angewachsen. Darauf ließ auch das Brummen aus seinem Magen schließen, welches die Stille um uns herum mehr als deutlich durchbrach.


    "Warte."


    Ich hielt ihn zurück und lauschte.


    "Hörst du das?"


    Um uns herum war alles still. Natürlich war es nicht völlig still. Die Welt ist unglaublich geschwätzig, wenn man ihr nur zuhört. Doch abgesehen von dem Hintergrundrauschen, das beinahe jede Szenerie einrahmt, war nichts zu hören, was auf Aktivität schließen ließ.


    Wenn man wie ich vermehrt auf Geräusche angewiesen ist, dann sorgt Stille dort, wo eigentlich keine sein sollte, ziemlich schnell für ein Gefühl der Beklemmung. Zuhause hätte ich sofort gewusst, dass etwas nicht stimmte. Ich hätte angefangen, mir darüber Gedanken zu machen, ob meine Sklaven den Aufstand geprobt und allesamt geflohen waren. Oder darüber, ob irgendwo etwas passiert und alle dorthin zum Gaffen gerannt waren. Womöglich auch darüber, ob ein Bürgerkrieg begonnen und jeder außer mir mit Sack und Pack das Haus verlassen hatte.


    Hier in Rom schien alles anders. Seit meiner Ankunft war das ganze Haus ständig von einer Stille durchwirkt wie ein Mausoleum. Es schien kaum Sklaven zu geben, und wozu auch, nachdem es kaum Bewohner gab, zumindest keine sichtbaren - Sklaven wie Bewohner.


    "Merkwürdig, oder? Man sollte nicht meinen, dass dieses Gebäude in der lautesten, geschäftigsten Stadt des Imperium steht."


    Ich deutete Verus am Arm an weiter zu gehen und folgte ihm.


    "Dieses Haus könnte wirklich ein bisschen mehr Leben vertragen. Und ich dachte immer, ich würde in Ravenna etwas verpassen."


    Zumindest aus dem Triclinium war nun leises Geschirrklappern zu hören.

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    Original von Spurius Purgitius Macer


    Ich musste leise lachen. Ich glaube nicht, dass ich bis zu diesem Tag schon mal jemanden erlebt hatte, der seinen Titel in so bescheidener Weise unter den Tisch gekehrt hatte. In Ravenna betonten sogar die duumviri mindestens drei Mal am Abend, dass sie duumviri der Stadt waren.


    "Um so mehr ist er wert", erwiderte ich in einem Tonfall, der offen ließ, ob es aus Höflichkeit oder ein bisschen scherzhaft dahin gesagt, oder tatsächlich meine Überzeugung war.


    Tatsächlich war es meine Überzeugung. Aber ich hätte es niemals im Brustton der Überzeugung laut ausgesprochen. Höchstens vielleicht in betrunkenem Zustand. Ich kannte ein paar alte Senatoren, die in Ravenna ihr Sommerdomizil hatten, und die bereits so gut wie mit dem Titel des Senators geboren worden waren. Vorwiegend waren es Patrizier und in Gesellschaft waren die meisten ziemlich öde und man merkte ihnen schnell an, dass sie ihre Titel sozusagen geerbt hatten. Nichts war langweiliger als ein patrizischer Senator, der über die ungerechte Benachteiligung des patrizischen Standes im Senat in heutiger Zeit schwafelte, während er nebenbei Antilopensteak und Straußeneier in sich hinein schaufelte und Falernerwein Kannenweise in sich versenkte. Bei solchen Gelegenheiten war es ein wahrhafter Segen, blind zu sein, denn niemand bemerkte an meinem Blick, ob ich noch aufmerksam zuhörte oder meine Gedanken längst abschweiften.


    "Dann können wir uns ja nun mit ruhigem Gewissen dem angenehmen Teil des Tages widmen. Du erlaubst doch, dass ich dir einen Becher Wein ausgebe? Sozusagen, um mich für die kompetente Feiertagsführung zu revanchieren."


    Mein Kopf wandte sich schon suchend umher und ich versuchte auszumachen, in welcher Richtung etwa ein Weinausschank war. Schwer war es nicht, es schien in jeder Ecke Wein zu geben. Ich hoffe nur, dass er auch einigermaßen trinkbar war.

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    Original von Spurius Purgitius Macer


    "Der Senator Purgitius Macer?" fragte ich erstaunt.


    Allerdings hakte ich nicht direkt weiter nach. Er konnte ebenso gut der Bruder, Sohn, Vater oder sonstwie verwandt mit dem Senator Purgitius sein. Von diesem hatte ich schon viel gehört. Vor einer ganzen Weile war er der Legatus Legionis der Traiana I Pia Fidelis in Mantua gewesen. Mittlerweile war er Curator Aquarum in Rom, außerdem war er Kommandeur der imperialen Militärakademie und Princeps einer Factio. Er war einer aus dem kleinen Kreis derer Senatoren, von denen man ständig etwas hörte, aus der Acta, aus Senatsberichten oder anderen Berichten aus Rom. Auch wenn ich nicht direkt am politischen Leben teilhatte, verfolgte ich es doch mit großem Interesse. Und obwohl ich mitten in Rom war, rechnete ich nicht wirklich damit, dass man hier einfach so auf der Straße einem Senator über den Weg lief. In dieser Hinsicht war ich zugegeben etwas naiv.


    Um uns herum zerstreuten sich die Menschen nach der Litatio. Diejenigen, die keinen Bootsplatz hatten, schienen sich schon der anschließenden Feier zuzuwenden. Ich konnte mindestens fünf verschieden Ausrufer für Weinausschank ausmachen.


    "Nein, ich habe kein Boot. Ich bleibe auch lieber an Land."


    Ich liebe die Schifffahrt. Vor allem auf dem Meer, wenn es stürmt. Es ist eine Erfahrung, die für alle mir verbleibenden Sinne deutlich wahrnehmbar ist. Der Wind heult, der Regen peitscht, Donner grollt, das Meer rauscht, Wogen schlagen, die Segel rattern, das Holz knarzt, die Männer brüllen. Das Wasser klatscht einem auf die Haut, von unten wie von oben, der Wind zerrt an der Kleidung und lässt einen frösteln, weht durch die nassen Haare. Das Schiff schaukelt unbeständig, der Mageninhalt mit, und der Geruch nach Regen vermischt sich mit dem nach Salz, das auch auf der Zunge zu schmecken ist. Zugegeben, bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch nie auf einem Schiff während eines Sturmes gewesen, selten genug überhaupt auf einem Schiff auf dem Meer. Meine lebhafte Vorstellung hatte sich aus Berichten erschaffen, aus Büchern über Irrfahrten und Erzählungen.


    Obwohl die Prozession auf dem Tiber dagegen wohl eher eine Spazierfahrt war, hätte mir so eine Bootsfahrt gut gefallen. Abgesehen davon, dass ich kein Boot gemietet hatte, hätte ich es aber dennoch nicht getan, auch wenn sich die Möglichkeit geboten hätte. Ohne sehen zu können braucht man in einer Welt, die auf das Sehen ausgelegt ist, für alles etwas länger. Im Grunde war ich immer begierig auf neue Dinge, aber nur, wenn ich sie in aller Ruhe und ohne Hast angehen konnte. Spontan war ich nicht gerade.


    "Gibt es noch einen offiziellen Abschluss nach der Bootsfahrt? Oder ist das der Abschluss?"

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    Original von Spurius Purgitius Macer
    Eine Weile schwieg er, damit der Mann doch noch eine Chance hatte, etwas vom Flötenspiel mitzubekommen, dann setzte sich der Zug ohnehin in Bewegung. "Die Prozession zieht jetzt zum Tiber hinunter. Wir gehen, mit nehme ich an?"


    Als der Mann neben mir nach dem ersten Bericht eine Weile schwieg, glaubte ich schon, er wäre weiter gegangen. Dann aber kommentierte er die Prozession und bot sich gleich noch für den weiteren Weg an. Um mich zu entschließen, das Angebot anzunehmen, brauchte ich nicht lange. Tuktuk würde den Tiber nur deswegen finden, weil vermutlich fast alle Menschen an diesem Tag diesen Weg einschlugen.


    "Alle gehen mit, nicht wahr? Dann sollten wir auch gehen."


    Ich wollte Tuktuk zwei mal auf die Schulter tippen, damit er wusste, dass es weiter gehen sollte. Doch mein Sklave zog schon die Schulter nach vorne, um mir seinerseits anzuzeigen, dass er loslaufen würde. Es ging langsam voran. Ich hielt meinen Stock nur knapp vor meinen Füßen, da der Freiraum um mich vermutlich sowieso sehr klein war. Wegen der vielen Geräusche konnte ich nicht sicher bestimmen, ob mein 'Kommentator' noch neben mir ging. Da er jedoch nichts anderes verlauten lassen hatte, ging ich weiter davon aus.


    "Ist in Rom immer so viel los an Feiertagen? Oder ist das Fest der Fors Fortuna nur besonders beliebt?"


    In Ravenna gab es ein paar Festtage, die in der ganzen Stadt groß gefeiert wurden. Die zu Ehren der Fortuna gehörten dazu, weil im Anschluss an die offiziellen Zeremonien immer viel Wein floss. Zu anderen Gelegenheiten, Festtage der Minerva oder des Apollo zum Beispiel, fand sich dagegen kaum jemand zu den öffentlichen Opfern ein. Vermutlich lag es auch daran, dass meistens danach nicht einmal das Opferfleisch ausgeteilt wurde. Ich wusste das ziemlich genau, denn ich war einer der wenigen, die zu fast jedem Feiertag bereit standen. Feiertage boten mir immer ein bisschen Abwechslung.


    "Ich bin übrigens Tucca, Nero Claudius Tucca."


    Namen waren für mich durchaus wichtig. Nicht nur mein eigener, weil ich sonst nicht viel vorzuweisen hatte. Andere Personen blieben in meiner Erinnerung vorwiegend durch ihre Stimme und sonstige Geräusche, wie ihre Gangart, haften, aber auch durch ihren Namen. Stimmen vergaß ich nach einer Weile wieder, Namen dagegen selten.

    Tuktuk war einen ganzen Kopf kleiner als ich selbst. Das war ungemein praktisch, weil meine Hand so bequem auf seiner Schulter liegen konnte. In Hinblick darauf, dass er für uns beide sehen musste, war es leider nicht ganz so günstig. Ich bemerkte deswegen jedoch immer, wenn er versuchte über eine Menschenmenge hinweg zu schauen, weil er sich dann auf die Zehenspitzen stellte. Unter meiner Linken hob und senkte sich seine Schulter.


    "Nun sag schon, was siehst du?" fragte ich ungeduldig.
    "Es passiert nichts. Sie stehen alle nur herum oder laufen hin und her."
    "Nichts? Das kann gar nicht sein."
    "Es ist so, njaatigi. Vielleicht warten sie auf die Göttin, weil diese wie jede andere Frau auch zu spät kommt."


    Ich gab Tuktuk einen leichten Stoß an den Rücken. Wenn es um den Kult ging, dann schaffte er tatsächlich manchmal, dass ich sauer wurde. Er tat unsere ganze Religion einfach mit ein paar flapsigen Worten ab, obwohl ich genau wusste, dass er unsere Götter fürchtete. Natürlich bestand so ein Fest aus viel Brimborium, aber das gehörte nicht nur dazu, das machte am Ende auch alles aus.


    "Hör' auf dich über unseren Kult lustig zu machen! Das Glück kommt, wann es kommt. Davon abgesehen warten sie sicher nicht darauf."


    Weil ich mit Tuktuk zwar einen guten Beobachter, aber für Opfer und Feiertagszeremonien keinen sehr guten Berichterstatter an der einen Seite hatte, wandet ich mich einfach auf gut Glück zur anderen Seite. Auch ohne das Wissen um die Menschenmassen um mich herum hätte ich bemerkt, dass dort jemand neben mir stand. Ich wusste allerdings nicht, dass es Purgitius Macer war, ebenso wenig wie ich wusste, dass er ein Senator war. Senatoren vermutete ich an diesem Tag sowieso viel weiter vorne, da ich zu dieser Zeit noch davon ausging, dass in Rom alles - Gebäude, Tempel, Plätze - groß genug wäre, dass die versammelten Senatoren immer in der ersten Reihe stehen konnten.


    "Entschuldige, kannst du mir vielleicht sagen, wie weit das Opfer da vorne ist? Ich kann es nicht sehen und es ist viel zu laut, um irgendetwas zu hören."

    Meine linke Hand krallte sich krampfhaft um meinen Stock, die rechte in Tuktuks Schulter. Vermutlich tat es ihm schon weh, doch er sagte nichts. Ich war hin und her gerissen zwischen der Wucht, mit der tausende Eindrücke auf mich einzuströmen schienen, und der Angst meinen Sklaven zu verlieren. Ich wusste, wenn wir in diesem Gewühl getrennt werden würden, würde ich allein nicht wieder zur Villa Claudia finden. In Ravenna hatte ich immer nach Hause gefunden. Wenn ich mich verlaufen hatte, musste ich nur ab und zu fragen, wo genau ich mich befand, um von dort aus meinen Weg zurück zur Villa zu finden, denn ich hatte eine sehr genaue Vorstellung von Ravenna in meinem Kopf.


    Rom dagegen war eine ziemliche Suppe mit ein paar dicken Brocken darin. Die Curia Iulia, der Palast auf dem Palatin, der kapitolinische Tempel, die Kaiserforen, das flavische Amphitheater, der Circus Maximus, das Marcellus-Theater oder der Tempel des Saturn - doch selbst diese Brocken hatten noch keine Konturen, es waren nur Worte mit erhabenem Klang. In dieser Suppe würde ich untergehen und ertrinken ohne Tuktuk. Vor allem heute, am Festtag der Fors Fortuna. Die ganze Welt schien sich in Rom versammelt zu haben, zumindest kam es mir so vor. Ich hoffte nur, dass Tuktuk tatsächlich genau wusste, wo wir waren und wo wir hin wollten.


    Es war sicher ein heller Tag, die Sonne schien schon zu dieser frühen Stunde warm auf meine Haut herab, und ich fragte mich, ob Rom bei Feiertagen mit Regen auch so geschäftig war. Der Duft nach Nelken und Flieder zog von vorne Rechts nach hinten Links vorbei. Hinter mir taumelte ein Mann, der vermutlich nicht schon an diesem Tag, sondern immer noch von der Nacht nach billigem Wein stank - dem Geruch nach zu schließen irgendein Gesöff aus der Gegend um Arretium. Rechterhand pries ein Straßenhändler mit einem Handkarren lautstark Melonenstücke zum Frühstück an und immer wenn er einen Käufer gefunden hatte, erklang ein lautes 'Klack', wenn er sein Messer durch die Frucht schlug. Der letzte Käufer ging in diesem Moment vor uns vorbei, denn der Geruch nach dem fruchtigen Fleisch der Melone intensivierte sich um uns herum für einige Augenblicke, bevor er zwischen dem alles überdeckenden Blumenduft verschwand. Zwischen den Gerüchen hingen die Geräusche. Gerede, Gelächter, Gesang, Rufe und leise Musik drängten sich in jedes Stück freien Raum. Ein knochiger Kerl rempelte mich von hinten an, ließ ein brummiges 'Ehhh' von sich, als Entschuldigung oder Rüge, was dazu führte, dass ich meine Hand noch fester in Tuktuks Schulter krallte und mich noch näher an ihn heran schob.


    "Kannst du den Tempel schon sehen, Tuktuk?" Ich hatte meinen Kopf zu ihm vorgebeugt. Normalerweise senkte ich meine Stimme ab, wenn ich den Weg vorgab oder nach ihm fragte, doch hier erschien es mir kaum möglich, gegen das Gewirr der Geräusche anzukommen.
    "Ich glaube schon, njaatigi. Aber es gibt kein Durchkommen. Ich fürchte, wir werden von hinten zuschauen müssen."
    "Na prima. Das heißt, ich verpasse alles. Kannst du den wenigstens den Altar sehen? Haben sie schon angefangen?"
    "Ich glaube nicht. Direkt vor dem Eingang stehen viele Leute sehr untätig herum."


    Immerhin etwas. Doch für einen Glückstag fing er nicht sonderlich glücklich an. Vielleicht sollte ich eine von diesen archaische Glücksmünzen erwerben, die ein Händler lauthals anpries, man konnte schließlich nie wissen, was es einbrachte. Vermutlich allerdings nur dem Händler vier Asse. Ein bisschen missmutig begnügte ich mich also mit dem Weihrauchduft, der ab und zu in einem sehr leichten Hauch an uns vorbei zog und versuchte irgendetwas vom Opfer zu hören, was allerdings so gut wie unmöglich war. Mich auf Tuktuks Schilderung verlassen zu müssen, war auch kein glücklicher Umstand, denn mein Sklave hatte noch nie etwas von römischen Opfern verstanden.

    Draußen war ein schöner Tag. Ich hörte das am Zwitschern der Vögel und daran, dass es windstill war. Wenn ich meine Hände auf den Fenstersims legte, konnte ich außerdem die Wärme der Sonne spüren. Verwunderlich war dieses Wetter nicht, immerhin war es ein Feiertag zu Ehren der Fortuna. Ich war schon seit dem frühen Morgen unruhig, denn ich hatte beschlossen diesen Tag mitten in Rom zu feiern.


    Eigentlich hatte ich schon längst auf dem Weg sein wollen, doch ich hatte es beim Frühstück geschafft, meine Tunika voll zu kleckern, weshalb Tuktuk und ich noch einmal in meinem Zimmer standen. Besser gesagt, ich stand und Tuktuk wuselte hin und her.


    "Welche Farbe?"
    "Mir gleich. Nein, warte, irgend etwas, worauf man Weinflecken nicht sieht."
    "Wenn es danach ginge, müsstest du jeden Tag in Rotbraun herumlaufen."
    "Und? Mich würde es nicht stören. Und wer garantiert mir, dass ich das nicht sowieso tue? Gib mir endlich eine Tunika, sonst kommen wir noch zu spät."
    "Wie kann man zu einem Fest zu spät kommen, das den ganzen Tag andauert und die halbe Nacht noch dazu?"
    "Ich will die Prozession nicht verpassen. Das ist hier nicht wie in Ravenna, wo die Priester auf die Zuschauer warten. Hier in Rom fangen sie an, wenn sie anfangen. Denke ich. Also gib mir endlich die Tunika."


    Ich zog meine Tunika über den Kopf, warf sie in die Richtung wo mein Bett stand, und hielt Tuktuk auffordern meine Hand hin. Kurz darauf landete eine neue Tunika auf meinem Unterarm. Ich befühlte den Stoff und hielt sie Tuktuk wieder hin, schüttelte dabei meine Hand leicht.


    "Das ist eine von meinen besten."
    "Sie ist rotbraun, wie Wein."
    "Ja, aber dass man Weinflecken darauf nicht sehen soll, das heißt, dass ich vorhaben könnte viel Wein zu trinken und das vielleicht einige Tropfen auf der Tunika landen werden."


    Der Stoff zog über meine Hand, Tuktuk raschelte, dann hatte ich eine neue Tunika auf dem Arm. Ich fühlte den Stoff, suchte dann am Kragen die Vorderseite und zog sie an.


    "Welche Farbe?"
    "Blau."
    "Wird man Weinflecken darauf sehen?"
    "Vermutlich. Du musst einfach vorsichtig sein und darfst eben nicht so viel trinken."
    "Irgendwann lasse ich dich für so etwas den Löwen vorwerfen. Aber egal, wir sind sowieso schon spät dran."


    Tuktuk wusste natürlich, dass ich ihn niemals den Löwen vorwerfen würde. Wortlos nahm er meine rechte Hand und legt sie auf seine linke Schulter. Das Fest der Fors Fortuna wartete auf uns.

    "Frühstück, Verus? Es geht schon bald auf Mittag zu. Es scheint mir, du hast ein rechtes Studentenleben in Griechenland geführt."


    Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Mein Frühstück lag schon ein paar Stunden zurück und es war ziemlich üppig gewesen. Während halb Rom von einem Haus zur nächsten Villa gerannt war, um seinen Klientelspflichten nachzukommen, die Patrone schnell ein paar Bissen hinunter geschlungen hatten, um ihr Klientel empfangen zu können, und während der Rest der Bevölkerung bereits seiner Arbeit nachgegangen war, hatte ich mich ausgiebig dem Frühstück gewidmet. Es war einer der Vorteile, wenn man wie ich keine Verpflichtungen hatte. Außerdem füllte es den ersten Teil des Tages, denn ich war ein Frühaufsteher.


    "Einen kleinen Imbiss könnte ich allerdings durchaus vertragen."


    Das war nicht die ganze Wahrheit. Ohne genügend Wein zum Herunterspülen der Nahrung war ich eigentlich kein großer Esser. Mit ausreichend Wein hatte ich keine Schwierigkeiten, mich der bei so manchem Gelage geforderten Völlerei anzuschließen, notfalls konnte man immer noch zur Gänsefeder greifen. Allerdings wollte ich Verus nicht von seinem Frühstück abhalten, und ob wir nun im Atrium oder im Triclinium saßen, war völlig einerlei. Deswegen trank ich noch einen Schluck aus dem Becher und stellte ihn dann vorsichtig auf dem Tisch ab, bevor ich meine Füße über den Rand der Kline schwang und mich kurz zur Seite wandte.


    "Tuktuk, sag' in der Küche Bescheid, dass noch ein Frühstück angerichtet wird, und komme anschließend ins Triclinium."
    "Ja, njaatigi."


    Leises Rascheln und ein leichter Luftzug kündeten davon, dass Tuktuk sich erhob und in Richtung Küche verschwand. Im Gegensatz zu mir kannte er schon die halbe Villa, denn wegen mir hatte er sich angeeignet, einen einmal gegangenen Weg nicht mehr zu vergessen.


    Über den Rand der Kline griff ich zum Boden unter mir und nahm meinen Stock in die Hand. 'Hier gleich rechts' war natürlich keine Aussage, mit der ich viel anfangen konnte. 'Hier' und 'dort' waren räumlich gesehen einfach zu ungenau, um als Wegbeschreibung zu dienen. Ich stand auf und trat, den rechten Unterschenkel immer an der Kante der Kline entlang, neben den Tisch. Den Stock nahm ich in die linke Hand, den rechten Unterarm schob ich etwas zur Seite, in Erwartung, dass Verus mich führen würde.


    "Lass' uns beim Altar vorbei zum Triclinium gehen. Ich habe zwar keine Ahnung, ob es auf dem Weg liegt, aber das werden wir dann sehen. Das Triclinium ist den Gang linker Hand am Ende des Atriums hinaus wenn man mit dem Rücken zum Eingang vom Vestibulum her steht. Direkt neben dem Gang steht eine griechische Vase mit einem Basilisken drauf."


    Tuktuk war ganz begeistert gewesen als er die Vase mit dem Tier entdeckt hatte. Plinius der Ältere hatte über dieses merkwürdige Geschöpf berichtet, auch, dass es in den afrikanischen Ländern weit im Süden lebte. Ich hatte Tuktuk einmal gefragt, ob er schon einmal einen Basilisken gesehen hatte. Seine Antwort war 'Sei nicht albern, njaatigi.' gewesen und ich hatte mich nicht getraut, noch einmal danach zu fragen. Ich wusste bis heute nicht, ob es albern war danach zu fragen, weil dieses Tier so selten war, dass es so gut wie niemand je gesehen hatte, deswegen, weil niemand den giftigen Hauch aus seinem Maul überlebte, oder deswegen, weil es an jeder Ecke im Süden Afrikas lebte und natürlich jeder Bewohner der Prärie schon einmal eines gesehen hatte. Einen Römer zumindest hatte ich noch nicht getroffen, der von einem solchen Tier berichtet hatte. Aber vielleicht hatte auch nur keiner die Begegnung überlebt.

    Ich trank einen Schluck und natürlich war es Wasser mit einer Spur Wein darin. So wenig Wein, dass ich nicht einmal sagen konnte, was für eine Sorte. Tuktuk platzierte sich neben der Kline und kam noch einmal ohne eine Rüge davon. Zurechtweisungen seiner Person waren nichts, was ich vor anderen ausbreitete. Natürlich war Tuktuk 'nur' mein Sklave, doch er war auch nicht 'nur' mein Sklave. Wenn man bei vielem auf eine andere Person angewiesen ist, dann kann man sie schlecht als ersetzbaren Gegenstand ansehen. Ganz davon abgesehen, dass Tuktuk nicht ersetzbar war und es Monate, wenn nicht vielleicht sogar Jahre gedauert hätte, einen anderen Sklaven auf seinen Stand zu bringen.


    Verus wusste natürlich genau Bescheid über die Verhältnisse in seiner Familie. Für ihn konnte die Ehe seiner Schwester sicherlich noch von Vorteil sein. Je mehr Senatoren er schon durch die Familienbeziehungen auf seiner Seite oder zumindest nicht gegen sich hatte, desto weniger musste er überzeugen oder bestechen.


    "Zieht es Sabinus auch in die Politik?"


    Vermutlich war es so und es wäre auch nicht überraschend. Früher oder später strebte jeder Claudier in die Politik - von einigen, wenigen Ausnahmen abgesehen.


    "Das Triclinium habe ich schon begutachtet. Ziemlich pompös, alles in allem."


    Die ganze Villa war ziemlich pompös. Natürlich legten wir Patrizier auch in unseren übrigen Villen Wert auf Standesangemessenheit, doch in Rom musste alles immer noch ein bisschen größer, schöner und repräsentativer sein.


    "Vom restlichen Haus habe ich zugegeben auch noch nicht viel gesehen. Menecrates' bejahte meine Nachfrage nach einer Bibliothek, diese würde ich gerne noch einmal aufsuchen. Und den Hausaltar. Kannst du ihn von hier aus sehen?"


    Es war üblich, dass der Altar direkt an das Atrium anschloss oder auch nur aus einer Nische in diesem Raum bestand. Tuktuk hatte nichts diesbezüglich erwähnt, doch er hatte auf so etwas auch nicht viel Acht. Tuktuk glaubte an andere Götter und näherte sich nur äußerst ungern den Verehrungsstätten römischer Gottheiten an.

    Es war nicht schwer gewesen, herauszufinden, wo Priscillas Cubiculum lag. Zumindest nicht für Tuktuk. Meine Rechte lag auf seiner Schulter, die Linke um meinen Stock, den ich locker an der Seite hielt. In einem Haus war es einfach, Tuktuks Schritt zu folgen. Bodenunebenheiten waren hier selten und es kam so gut wie nie vor, dass einem plötzlich eine Menschenmenge oder ein Wagen entgegen kam. Zusätzlich war es speziell in dieser Villa sehr leise. Ein kleines Mausoleum, so kam es mir beinahe vor, in dem nur die Sklaven als dienstbare Geister ab und zu an einem vorbei huschten. Manchmal hörte ich sie erst sehr spät, denn sogar sie schienen in diesem Haus zu versuchen mit der Stille zu verschmelzen. Tuktuk stoppte.


    "Wir sind da, njaatigi."


    Ich nahm meine Hand von seiner Schulter und wartete darauf, dass Tuktuk anklopfte. Statt des typischen Geräusches jedoch spürte ich in der nächsten Sekunde die Finger meines Sklaven an meinem Haar.


    "Schon wieder diese unbändige Strähne, njaatigi. Sieht aus wie bei einem Gockel."


    Mit einer unwirschen Handbewegung schob ich Tuktuks Finger bei Seite und strich mir selbst übers Haar. Ich konnte wirklich nicht nachvollziehen, was so schlimm an einer 'unbändigen Strähne' oder einem Gockel war. Aber es musste ein wirklich furchtbarer Anblick sein, dass Tuktuk stets bemüht war, mich auch dahingehend präsentabel zu halten.


    "Sie ist meine Cousine, Tuktuk, ich habe sowieso keine Chancen bei ihr. Nun klopf' endlich an, Verus ist bestimmt schon da."


    Wir hatten ausgemacht, uns bei Priscilla zu treffen, um danach gemeinsam mit ihr auf die Märkte zu gehen. Ich war zugegeben auf Priscilla gespannt, auch wenn sie nur meine Cousine war. Außer an die Sache mit dem Schiffchen erinnerte ich mich tatsächlich an nichts Spezielles, was ich mit ihr in Verbindung brachte. Früher hatte sie einfach nur zu den Mädchen gehört, mit denen wir Jungs nicht viel zu tun haben wollten. Später hatte ich sie wie viele Verwandte aus den Augen verloren - bildlich gesprochen, denn de facto galt das für alle anderen natürlich auch.


    Tuktuk klopfte an.

    "Dein Bruder und deine Schwester sind auch in Rom?" fragte ich erstaunt nach.


    Sabinus war wie Verus in Griechenland gewesen. Womöglich war er sogar mit ihm zurück gekommen. Ihre Schwester Priscilla kannte ich nur so weit, wie man eine beliebige Cousine kannte, vorwiegend aus unserer Kindheit. Ich weiß noch, dass ich sie als kleiner Junge einmal dazu überredet hatte, ihren Haarschmuck als Zierde für meine kleine Corbita zur Verfügung zu stellen. Leider musste sich mein stolzes Schiff aus Zweigen den Frühlingsfluten des Tibers geschlagen geben und hatte dabei ihren Schmuck mit auf den Grund gezogen. Vermutlich wusste sie es nicht mehr, doch mir war es im Gedächtnis geblieben.


    "Der Aedil ist dieser Flavier, der Mann deiner Schwester Antonia. Wie heißt er noch gleich? Crassus? Gracchus? Catus? Kennst du ihn? Wann hast du Antonia das letzte Mal gesehen, warst du auf ihrer Hochzeit?"


    Ich wusste nicht einmal, ob sie überhaupt in Rom wohnte. Es war nichts ungewöhnliches daran, wenn patrizische Ehefrauen den Großteil ihrer Zeit irgendwo fernab der Stadt in den Landvillen verbrachten. Patrizische Ehen wurden immerhin nicht geschlossen, damit man zusammen lebte - zumindest nicht primär. Vielleicht hätte ich sie bei den Megalesia gesehen, hätte ich sehen können, doch vermutlich hätte ich sie auch dann nicht erkannt. Auch sie hatte ich eine halbe Ewigkeit lang nicht mehr getroffen.


    "Seppius Septimus bekleidet das Konsulat zusammen mit einem Silicier. Bisher haben sie allerdings nichts sonderlich Aufregendes durchgesetzt. Vettulenus Civica ist Praetor Urbanus. Ich habe gehört, er greift bei geringen Verbrechen hart durch, ist aber bei den großen Fischen wie die meisten anderen auch bestechlich. Der Flavier ist Aedilis Curulis, den Namen des Plebis vergesse ich immer. Irgendwas mit P. Pilius oder Pinnius?"


    Ich schüttelte den Kopf.


    "Ich weiß es nicht. Na und die Quaesturen und Vigintivirate merke ich mir auch selten."


    Bei den höheren Ämtern war ich meistens recht gut informiert. Auch fernab der Hauptstadt war die Politik immer ein gefragtes Gesprächsthema.


    "Auf die Märkte?"


    Tuktuk kam in diesem Moment mit den Getränken zurück und ich war froh über den kurzen Aufschub. Es gab wenig, was ich lieber tun wollte, als jede Ecke Roms zu erkunden. Allerdings war es nicht immer ganz so einfach, sich jemandem anzuschließen, der meine Begleitung nicht gewohnt war. In unbekanntem Gelände war ich auch mit Tuktuk nicht sonderlich schnell unterwegs, da jeder Schritt ein Schritt auf unbekanntem Terrain war. Viele Menschen um mich herum machten es mir nicht einfacher, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren. Dann nebenbei auch noch ein Gespräch zu führen oder sich für irgendwelche Waren zu interessieren konnte eine echte Herausforderung sein.


    Zwei Kannen und zwei Becher wurden auf dem Tisch abgestellt. Dann rann einen kurzen Moment eine Flüssigkeit je in einen Becher, anschließend etwas länger die zweite. Ich hoffte für Tuktuk, dass er zuerst Wasser eingeschenkt hatte, allerdings war ich mir so gut wie sicher, dass es erst der Wein gewesen war. Mein Weinkonsum war die einzige Sache, bei der mein Sklave mich manchmal bevormundete. Im Grunde wusste ich, dass das vermutlich ganz gut so war. Dennoch warf ich im entsprechenden Zustand ab und zu mit Gegenständen nach ihm - meist mit den leeren Weinbechern, die er nicht mehr auffüllen wollte -, wenn er glaubte, das Ende eines Bacchanals bestimmen zu können. Tuktuk klopfte zwei mal mit den Fingern neben meinen Becher auf den Tisch, so dass ich wusste, wo er stand. Ich beugte mich vor, tastete danach und nahm das Gefäß in die Hand. Doch ich trank nicht sofort, sondern beantwortete erst Verus' Frage.

    "Ich werde gerne mitkommen."


    Was war das Leben schon ohne Herausforderungen.


    "Priscillas Cubiculum wird sich schon finden. Auch wenn sie wirklich unauffällig sind, es stehen immerhin genügend Sklaven in diesem Haus herum, die Auskunft geben können."


    Das Cubiculum einer Frau würde ich noch immer finden.

    Welche Hilfstruppen in Parthien eingesetzt worden waren, davon hatte ich keine Ahnung. Über die einzelnen Legionen war ich schon aus patriotischen Gründen informiert. Es gab immer irgendwen, der irgendwen kannte, dessen Verwandter in einer Legion diente. Aber Auxiliareinheiten waren im Leben eines Römers nicht ganz so wichtig. Ab und zu kannte man jemanden, der irgendwen kannte, dessen Verwandter als Offizier dort diente. Doch der Großteil der Einheit - die Soldaten - bestand immerhin aus Peregrinen und ich kannte kaum Leute, die Peregrine kannten, die in Auxiliartruppen dienten. Allerdings gab es auch in unseren Legionen berittene Einheiten. Soweit ich wusste, wurden sie jedoch nur spärlich eingesetzt.


    Menecrates' Unterton bei seiner Erwähnung über Offiziere ließ mich aufmerken. Zuerst wollte ich etwas bezüglich des verstorbenen Imperators bemerken, der den Krieg immerhin lange Zeit taktisch geführt hatte. Zumindest nahm ich das an, denn andernfalls wäre er kaum ins Kriegsgebiet mit gezogen, sondern hätte nur seine Kommandanten entsandt. Als mein Vetter jedoch weiter sprach, schien es mir doch wahrscheinlicher, dass er sich auf die Kommandanten bezog, die nach dem Tod des Kaisers das Kommando übernommen hatten. Da ich jedoch ungern ein Anlass dafür sein wollte, Menecrates' Magengeschwüre in Aktivität zu versetzen, ließ ich das Thema fallen. Ich war in militärischen Dingen sowieso zu unbedarft, als dass ich mir ein fachliches Urteil über diese oder jene Strategie erlauben konnte.


    "Ja, doch, ich bin rundum bei bester Gesundheit."


    Das unscheinbare 'ansonsten' überhörte ich, denn aus meiner Sicht gab es nichts, was an mir nicht gesund war. Zugegeben, in letzter Zeit zwickte oder zog ab und zu der ein oder andere Muskel nach größeren Anstrengungen. Nach der langen Reise von Ravenna nach Rom spürte ich außerdem meine Schultern ganz besonders unangenehm. Aber ich schob das alles darauf, dass ich mich langsam aber sicher der Beendigung der dritten Dekade meiner Lebenszeit näherte. Danach würde es nur noch bergab gehen. Zumindest behaupteten das die meisten Männer, die diese Grenze bereits hinter sich gelassen hatten.


    "Ein bisschen verspannt von der Reise, aber das gibt sich wieder. Spätestens in den Thermen. Die Thermen des Agrippa sollen wirklich famos sein, kannst du das bestätigen?"


    Ich hatte schon mehrmals davon gehört, dass diese Thermen nicht nur ein großes Sportareal umfassten, sondern manchmal sogar Unterrichtskurse während des Badens stattfanden. Obwohl ich beides sehr reizvoll fand, glaubte ich noch immer, dass die Stadtrömer mit solchen Behauptungen den Rest der Welt auf den Arm nahmen und sich hinter vorgehaltener Hand über jeden amüsierten, der es glaubte. Deswegen fragte ich auch nicht explizit danach.

    "Viel mehr als das Theaterstück habe ich von den Megalesia nicht mitbekommen. Die Feiertage danach sind mir entgangen."


    Die Eröffnung war kurz nachdem ich in Rom angekommen war. Die gewaltige Menschenmenge im Marcellustheater hatte mich doch etwas überfordert, und die kleine Auseinandersetzung im Theater mit dem Kerl vor mir hatte dem die Krone aufgesetzt. So etwas war mir schon recht lange nicht mehr passiert, wenn auch nicht zum ersten mal. In Ravenna kannte mich die halbe Stadt, vielleicht auch die ganze. Doch hier in Rom würde ich mich vermutlich daran gewöhnen müssen.


    "Das Stück selbst war etwas unkonventionell, der Protagonist war ein Satyr. Aber es war sehr unterhaltsam. Einer der Aedile hat es ausgerichtet."


    Meine Nase richtete sich wieder in Richtung Verus. Ich bezweifelte nicht, dass die Studien meines Vetters erfolgreich gewesen waren. Wenn ein Claudier etwas anfing, dann kam auch meist etwas dabei raus. Ich selbst war dabei eher eine der sprichwörtlichen Ausnahmen, die die Regel bestätigten.


    "Auf deine erste Rede bin ich schon gespannt. Sag mir Bescheid, wenn du dich auf die Rostra wagst. Willst du direkt in den Cursus Honorum einsteigen oder erst in die lokale Verwaltungspolitik?"


    Ganz sicher war ich nicht, was man in Rom überhaupt außer dem Cursus Honorum an Politik treiben konnte. Aber vermutlich war dagegen sowieso alles andere Kinderkram. In meinen eher schwachen Momenten dachte ich tatsächlich manchmal über eine politische Karriere nach, eine kleine vielleicht. Eine Rhetorikausbildung hatte ich mir gegen Ende meiner Jugend ebenfalls zukommen lassen, wenn auch nicht im schönen Griechenland, wo einem die Sprachgewandtheit mit dem Abendessen serviert wurde. Die passenden Gesten vergaß ich auch immer, aber um überzeugend sprechen zu können, brauchte man Gesten ebenso wenig, wie man sehen musste. Unser Vorfahre Appius Claudius Caecus war das beste Beispiel dafür.


    Glücklicherweise dauerten diese schwachen Momente nie allzu lange an. Ich hatte nichts gegen ein gutes Streitgespräch, doch politische Diskussionen wurden meiner Meinung nach vorwiegend mit dem Holzhammer geführt. Jeder versuchte, seine Meinung möglichst schlagkräftig zu verteilen. Mag sein, dass junge Männer wie Verus noch Ideale in ihrem Sinn hatten - für das Wohl des römischen Imperium, für das Volk, für den Kaiser, und so weiter, doch irgendwann verloren sie sie. Spätestens, wenn sie wirklich wichtige Ämter inne hatten, in denen sie tatsächlich etwas bewegen konnten, ging es am Ende meist doch nur noch um persönliche Macht, persönlichen Reichtum und persönlichen Einfluss. Reichtum reichte mir, solange er mir reichte, und den Nervenkitzel von Macht und Einfluss hatte ich nie ganz durchschaut. Darüber hinaus fehlte es mir völlig am notwendigen Ehrgeiz.


    "Die Dauer meines Aufenthalts werde ich davon abhängig machen, wie gut es mir hier gefällt."


    Es gab schließlich nichts, weswegen ich dringend hier oder dort sein musste. Der Nachteil des Ungebunden-Seins war manchmal, dass man an nichts gebunden war.


    "Du weißt, dass ich meine Unabhängigkeit schätze, und momentan ist Rom für mich noch ein einziges diffuses Chaos. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwohin ohne Tuktuk zu gehen. Aber ein paar Wochen werde ich mindestens mal bleiben, die lange Reise muss sich schließlich gelohnt haben. Und ich werde auf jeden Fall da sein, wenn du dann heiratest. Dafür würde ich sogar noch einmal von Ravenna anreisen."


    Ich grinste und drehte erneut meinen Kopf, dieses mal allerdings nur leicht und wegen des Geräusches hinter mir. Ich kannte den leisen, runden Schritt so gut wie meinen eigenen.


    "Da bist du ja", begrüßte ich Tuktuk und dachte gar nicht daran, zu erwähnen, dass ich die Klinen ohne ihn nicht gefunden hatte.


    "Du kannst uns direkt etwas zu trinken bringen. Was meinst du, Verus, ist es schon spät genug für unverdünnten Wein? Ach, egal, bring einfach noch eine Kanne Wasser mit, Tuktuk."


    Ich selbst hatte kein Problem, schon vor dem Mittag mit unverdünntem Wein anzufangen. Andererseits hatte ich auch noch nicht entschieden, was ich mit dem Rest vom Tag anfangen würde.

    Obwohl zwischen Tag und Nacht in meiner Sicht kein Unterschied war, da ich nicht einmal Helligkeit wahrnahm, gab es natürlich auch für mich diesen generellen Unterschied. Nachts war die Welt viel leiser als am Tag, nicht nur die Menschen, auch die Natur schlief dann ein. Nur die nachtaktiven Tiere waren noch zu hören, und deren Laute waren wiederum für die Nacht sehr charakteristisch. Die Gerüche änderten sich ebenfalls. Tagsüber roch ich Essen, Blumen, Duftöle oder Arbeit, denn fast jede Tätigkeit hatte einen anderen Geruch. Nachts roch es in Häusern nach dem Öl, das in den Lampen verbrannte, oder Kerzenrauch. Draußen kühlte es ab, drinnen entweder auch oder aber es wurde geheizt, so dass die Luft trockener wurde. Zusätzlich hatte ich meinen inneren Rhythmus, auf den ich mich fast immer verlassen konnte. Außer, wenn er durch zu viel Wein verflüssigt war, aber wer scherte sich dann schon noch um das Aufstehen am nächsten Tag?


    Zum Schlafen schloss ich natürlich die Augen und ich träumte auch. Ich wusste nicht, ob ich im Traum noch sehen konnte, denn ich wusste nicht mehr genau, wie es gewesen war, zu sehen. In den vielen Gesprächen, die ich in Ravenna mit mehr oder weniger intelligenten Gästen geführt hatte, hatte ich herausgefunden, dass die Menschen sowieso auf völlig unterschiedliche Arten träumten. Ob ich nun sehend träumte oder nicht, machte vermutlich auch keinen Unterschied. Trotzdem wachte ich an manchen Tagen auf und war innerlich aufgewühlt, weil ich glaubte, mich an den Anblick von irgend etwas erinnert zu haben. Leider hatte ich es mit dem Aufwachen meistens schon wieder vergessen.


    Die erste Zeit des Tages nach dem Aufwachen verging üblicherweise damit, dass Tuktuk mich präsentabel machte. Das war nicht nur eine Sache der Optik, ich legte Wert auf guten Geruch und ein angenehmes Gefühl auf der Haut. Allerdings wählte ich auch je nach Lust und Laune meine Kleidung farblich aus. Denn obwohl ich fast keine visuelle Vorstellung mehr von Farben hatte, gab es sie noch immer in meinem Leben. Manchmal versuchte ich sie mir bildlich vorzustellen, aber meistens kam ein Geschmack, ein Geruch oder ein Gefühl dabei heraus. Dunkelrot wie ein schwerer Wein. Hellgrün wie frisches Gras. Blau wie die Augen unserer nordischen Sklavin Ida. Gelb wie Eidotter. Beige wie Sand. Braun wie Erde. Weiß wie Kreide und schwarz wie die Nacht. Aber es waren nicht die Farben an sich, die ich dann in meinem Kopf vor Augen sah. Es war der Geschmack des Weins, das runde Gefühl, wenn er die Kehle herunter rann. Es war das Gefühl der biegsamen, weichen Grashalme zwischen meinen Fingern oder ihr Kitzeln unter meinen nackten Fußsohlen. Es war die Erinnerung an die kindliche Freude, wenn Ida mich mit einem Blitzen in den Augen angesehen und mir eine extra große Portion vom Nachtisch auf den Teller gepackt hatte. Es war das glibbrige Eintauchen der Finger in flüssiges Eigelb. Es war der raue, körnige Sand, der weiche, fruchtbare Duft frischen Humus' oder die mehlige Kreide, die matt an den Fingern haftete. Die einzige Farbe, von der ich wirklich eine Vorstellung hatte, war keine Farbe und sie war schwarz. Denn schwarz war alles um mich herum.


    So unbegreiflich das für einen Sehenden vielleicht klingen mochte, doch aus eben diesem Grund der Farbwahrnehmung ließ ich mir keine gelben Tuniken von Tuktuk andrehen. Wer kleidet sich schon gerne in Eidotter?