Beiträge von Nero Claudius Tucca

    Um uns herum brandete eine unbeschreibliche Lautstärke auf als das Rennen begann. Ich fragte mich, wie das erst bei Factio-Rennen hier in Rom sein musste, wenn schon die privaten Wägen beim Oktoberrennen so viel Aufmerksamkeit genossen. Zu Beginn versuchte Tuktuk noch, mir zu berichten, was auf der Bahn vor sich ging. Einen Wagen hatte man anscheinend schon vor dem Start disqualifiziert, so dass noch sieben Wägen blieben, manche in Factio-Farben, andere als rollende Werbebotschaften. Mein Sklave schwärmte von dem blauen Wagen, der wie ein aufgestauter Fluss los schoss und sich wie eine Flut über die Bahn ergoss, dicht gefolgt von dem goldenen Sonnenstrahl, der sich über die Hügel im Osten schob, um das Flussbett auszudörren. Irgendwo dazwischen flog beschriebenes Pergament dahin, hin und herschwankend wie ein Blatt im Wind, und dahinter kämpfte eine rote Flamme mit einem grünen Grashalm. Ich versuchte nicht, mir aus Tuktuks Beschreibungen ein Wagenrennen zusammen zu basteln, ich genoss vielmehr die in meinem Inneren aufsteigenden Vorstellungen, in der sich alle Elemente zu einem bunten Bild zusammen setzten - auch wenn mein Bild am Ende nicht visuell bunt war. Irgendwann kam Tuktuk nicht mehr nach und um uns herum wurden die Anfeuerungsrufe immer lauter. Ich gab ihm zu verstehen, dass er sich das Rennen anschauen sollte und hörte in die Menge hinein. Pansa und Serapio waren anscheinend zwei Fahrer, denn sie wurden besonders laut angefeuert, Crassus und Bacillus glaubte ich außerdem aufzuschnappen. Irgendwann schrie hinter mir jemand empört, dass eine Frau auf der Bahn sei, wurde allerdings schnell als Blindschleiche und Einfaltspinsel abgetan.

    Die Wägen rasten zur zweiten Runde vor uns vorbei, als Tuktuk plötzlich neben mir freudig aufschrie. "Sie hängen ineinander, njaatigi, zwei Wägen haben sich verkeilt! Hast du das gehört!?"
    "Mhm, ja." Natürlich hatte ich es nicht gehört. Mir hing noch ein kreischendes 'Caius Optimus Maximus!' von einer begeisterten Zuschauerin ein paar Reihen hinter uns in den Ohren. Entweder kannte sie ihn persönlich, oder er war von einer Factio eingesetzt. Aurigae waren bei Frauen immerhin beinah so beliebt wie Gladiatoren.
    Egal ob er mich überhaupt gehört hatte oder nicht, Tuktuk ignorierte mich sowieso. "Da!" Er stieß mir in die Seite, und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er dazu auch noch seine Hand ausstreckte und auf die Bahn deutete. "Noch einer! Sie nehmen den Mittleren in die Zange! Nein, die beiden anderen rammen den Äußeren! Sie kommen dem goldenen Blitz immer näher!"
    Um mich herum tobte die Menge und Tuktuk tobte begeistert mit ihr.

    Wenn es Augenblicke gab, in denen ich es vermisste, nichts zu sehen, dann gehörten solche Augenblicke wie dieser dazu. Irgendetwas passierte, und ich hatte keine Ahnung, was. Nachdem Gracchus nur kurz angebunden gewesen war, schien er auf einmal erschrocken, und irgendetwas schien mit Antonia nicht in Ordnung zu sein. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit und ich erwartete beinah, dass meine Cousine nicht mehr antworten würde. Dann meldete sie sich allerdings doch und es schien ihr wieder gut zu gehen. Appetit war ein untrügliches Zeichen dafür, dass es jemandem gut ging.
    "Aber natürlich! Wenn wir Claudier in die Schlacht ziehen, dann gemeinsam."
    Zugegeben, außer für den Fall der Nahrungsübermacht war an diesen Worten nicht viel dran. Unsere kaiserlichen Vorfahren waren eher gegeneinander als gemeinsam vorgegangen, wenn auch nicht in Schlachten, sondern intrigant und trickreich im Verborgenen. Dass die Claudier sich heute nicht mehr gegenseitig im Weg standen, lag vermutlich daran, dass sie überhaupt kaum noch an wichtigen Positionen standen. Aber von gemeinsam konnte selten eine Rede sein, irgendwie waren sie alle in ihren eigenen kleinen Welten verhaftet. Andere Familien positionierten sich diesbezüglich weitaus geschickter. In dem heutigen kleinen Clauider-Kreis jedoch würde uns das nicht weiter Kopfzerbrechen bereiten. Antonia und Epicharis hatten sich bereits geschickt in anderen Familien positioniert, und an mir lief das alles sowieso vorbei.


    "Tuktuk!"
    "Ja, njaatigi." Er tauchte auf, wie er immer auftauchte, und wusste, was ich wollte, wie er es meistens wusste. Er nahm meine Hand und zog sie langsam nach unten, bis ich die Kline spürte. Da ich wusste, wo Antonia saß, wusste ich somit auch wieder wo der Tisch war, und setzte mich erst einmal. Dann packte ich meinen Stock unter die Kline und manövrierte mich mit Tuktuks Hilfe in Essposition (was ohne seine Hilfe gar nicht so einfach war, wenn schon jemand auf der Kline lag.).
    "So, Antonia", wandte ich mich schließlich an meine Cousine. "Was würdest du empfehlen, was sieht gut aus? Oder fangen wir einfach an einem Ende an und futtern uns bis zum anderen durch?"

    "Syrinx und Tibia - aber doch nicht auf einmal, oder?" feixte ich gut gelaunt. "Wir sollten einmal zusammen spielen, die Syrinx passt ausgezeichnet zur Kithara." An diesem Tag konnte ich das frei heraus vorschlagen. Nach dem Zechen würden wir uns vermutlich sowieso nie wieder sehen. "Ich hatte mal eine Sklavin, Imamé, die spielte die Syrinx ganz wundervoll." Leider war es genau genommen nicht meine Sklavin gewesen, sondern die meiner ersten Ehefrau Philonica. Sie war auch nicht nur im Spiel auf der Syrinx ganz wundervoll gewesen, sondern auch in so manchen anderen Dingen, die einen Mann erfreuten. Nach der Scheidung hatte ich sie Philonica abkaufen wollen, aber sie hatte es mir aus reiner Bosheit verweigert und sie anderweitig verschachert. Leider fand ich nie heraus, an wen, doch wie meine Exfrau mir mit größter Freude mitgeteilt hatte, lebte sie nun am Ende der Welt. Manchmal dachte ich noch an die wundervolle Imamé und ihr Spiel, aber tief in meinem Inneren befürchtete ich, dass sie längst ihren Tod gefunden hatte.
    An diesem Abend dachte ich nicht weiter über sie nach. Mein Kopf wackelte unbestimmt hin und her, was im Dunkeln aber vermutlich nicht auszumachen war. "Ich versuche mich an allem, was mir irgendwann an die Ohren kommt, ich habe ziemlich viel Zeit zum Üben. Mein Repertoire umfasst alles mögliche, angefangen bei Hirtenliedern aus Achaia, über raetische Feiertagsgesänge und Liebeslieder aus Aquitania, bis zu etruskischen Klageliedern. Letztere gehören zu meinen Favoriten, mit der richtigen Spannung kann die Kithara herrlich düstere Töne von sich geben."


    Vor uns wurde es lauter, in dieser regnerischen Nacht hätte man fast von 'lebhaft' sprechen können. Lachen, Musik und das Schlagen von Holz auf Holz drangen an meine Ohren und Tuktuk legte einen Schritt zu. Serapio trat vor uns ein.
    "Stufe auf", sagte Tuktuk leise, und ich spürte, wie er die Tür geöffnet hielt. "Zwei Stufen ab", folgte, und wir standen im warmen Inneren der Taberna. Ich konnte den Wein riechen, den Rauch von billigem Lampenöl, jede Menge Kundschaft und etwas zu Essen, vermutlich ein Eintopf aus den Resten des Tages. Die Kundschaft war auch nicht zu überhören, in einer Ecke wurde zielich schief gesungen und im Takt dazu auf den Tisch geschlagen, in einer anderen Ecke freute sich gerade jemand lauthals über drei liegende Hunde beim Würfelspiel, und dazwischen hing das beständige Wabern aus etlichen Gesprächsfetzen. Ich schlug die Kapuze zurück und fuhr mit meiner Hand durch das trotz des Stoffes feuchte Haar.
    "Zu eng", murmelte Tuktuk neben mir.
    Ich gab ein zustimmendes Brummen von mir, etwas anderes war nicht zu erwarten gewesen, und suchte seine Schultern. Er half mit seiner Hand nach, dann schoben wir uns im Gänsemarsch zwischen Tischen und Stühlen hindurch. Auf engen Wegen war die Polonaise die einzige Möglichkeit des Durchkommens für mich. Um sich hinter mich zu stellen und mich von hinten zu dirigieren, dazu war Tuktuk zu klein, und vermutlich hätte es auch im anderen Fall nicht funktioniert. Tuktuk mochte diese Art der Fortbewegung gar nicht, sie zog anscheinend mehr Aufmerksamkeit auf uns, als wenn ich nur eine Hand auf seiner Schulter hatte und schräg hinter ihm ging. Mir war die Art der Fortbewegung ziemlich egal, solange wir voran kamen. Dumme Sprüche hörte ich selten und merkwürdige Blicke sah ich sowieso nicht.


    "Hier" antwortete mein Sklave auf Serapios Frage und sprach damit gleichzeitig überhaupt das erste mal mit ihm. Allerdings blieb es bei diesem einen Wort. "Dein Umhang, njaatigi."
    Ich löste die Fibel (eine in sich geschlungene Seeschlange, die sehr fein gearbeitet war) und hielt meinem Sklaven den Umhang nach links hin. Dann stand ich kurze Zeit tatenlos in der Gegend herum und wartete, während Tuktuk was auch immer damit tat. Schließlich tauchte er rechts neben mir wieder auf, schob mich ein Stück weiter nach vorn, nahm meine Hand und zog sie nach unten. Ich fühlte groben Stoff unter meinen Fingern.
    "Oha, sogar gepolsterte Bänke. Dann kann der Wein auch nicht schlecht sein." Vorsichtig tastet ich ein Stück über die Bank und dann zur Seite, wo der Tisch stand, bevor ich mich dazwischen schob und Platz nahm.
    "Du musst weiter hineinrücken, njaatigi."
    Ich tastete die Bank ein Stück weiter und rückte auf. Neben mir setzte sich Tuktuk. Da er keine Anstalten machte, mich noch weiter zu schieben, ging ich davon aus, Serapio würde uns gegenüber Platz nehmen.


    Wir mussten nicht lange warten, da kam auch schon Bacchus' Helferlein in Form einer Frau mit einer rauen, aber nicht unangenehmen Stimme. "Willkommen in Bacchus' Laube, die Herren. Was darf's sein?"
    Tuktuk stieß mich leicht in die Seite, um mir anzudeuten, dass sie uns meinte. "Wein. Ich lehnte mich ein Stück nach vorn. Meine Nase wies vermutlich nicht einmal mehr annähernd in die Richtung, in der etwa das Gesicht der Frau sein musste, denn zu fortgeschrittener Stunde vergaß ich immer völlig, dass der sehende Mensch auf Blickkontakt aus war. Viel wichtiger für mich war in diesem Geräuschgewirr sowieso, dass mein Ohr zu ihrem Mund gewandt war. "Aber nicht den billigen, er soll schon nach etwas schmecken."
    "Wir haben einen angenehm süffigen Tropfen aus Latium, drei Jahre gelagert. Oder soll's etwas exotisches sein, dann hätten wir auch noch einen Wein aus Dalmatien, ist etwas herber."
    Dalmatia fand ich nicht unbedingt exotisch. "Latium klingt gut. Bring uns davon eine Kanne und zwei Becher, und dazu einen Becher Milch."
    "Milch?" Die Skepsis war förmlich aus ihrer Stimme herauszuhören.
    "Ja, Milch."


    Da keine weitere Frage mehr zu vernehmen war, schien sie die Bestellung so hinzunehmen und sich aufgemacht zu haben, die Getränke zu holen. Ich lehnte mich wieder zurück und rieb meine Hände aneinander. Die Bildfläche des Siegelringes rieb über die Innenseite meiner Rechten, denn wenn wir um die Häuser zogen, trug ich ihn immer nach innen. Obwohl ich mir einiges auf meine Herkunft einbildete, musste man sie mir zu solchen Gelegenheiten nicht gleich ansehen.
    "Ich hoffe, der Wein aus Latium ist für dich in Ordnung, Serapio? Ansonsten können wir danach immer noch eine Kanne aus Dalmatia ordern. Hispania ist immerhin ziemlich groß, das reicht sicher auch für zwei Kannen", grinste ich über den Tisch hinweg.

    Ich konnte förmlich riechen, wie wir uns den Speisen näherten, denn um so intensiver wurde ihr Geruch und drängte den der Pflanzen mehr und mehr in den Hintergrund. Es war fast ein bisschen wie durch Rom mit seinen unzähligen Gerüchen nach Essen zu wandeln, nur dass es hier nicht nach billigem Eintopf, Brot, Melonen und gebratenen Nüssen roch, sondern nach teuren Gewürzen, gebratenem Geflügel, Fisch und allerlei mehr, was auch den verwöhnten Gaumen schnell anregte. Wir erreichten die Klinen und Antonia vergaß nicht, mir mitzuteilen, wo genau das Sitzmöbel war. Wendung nach Rechts bedeutete Kline linker Hand, also Tisch irgendwo rechts.
    "Danke sehr. Wenn ich jemals wieder eine Pronuba brauchen sollte, werde ich an dich denken. Bei dir würde ich auch meine Zukünftige in sicheren Händen wissen." Ich versuchte, nicht allzu schalkhaft zu grinsen. "Aber keine Sorge, so schnell wird das nicht der Fall sein." Das hatte ich nach meiner Scheidung zwar auch irrtümlich gedacht, aber momentan war es wohl tatsächlich eher unwahrscheinlich.


    Mit meinem Stock, den ich immer noch in der Hand hielt, tippte ich zur einen, dann zur anderen Seite, um die Dimension zwischen Tisch und Kline zu erkunden und wollte mich gerade nieder lassen (was immer etwas länger dauerte), als sich der Ehemann meiner Cousine zu uns gesellte. Dass er ihr Ehemann war, wurde mir spätestens dann klar, als ich versuchte seine Worte in meinen Gedanken zu einem sinnvollen Satz zu ergänzen. Es war doch gut gewesen, dass Antonia mich bezüglich seiner Verfassung vorgewarnt hatte, andernfalls hätte ich mein Erstaunen vielleicht nicht ganz so gut verbergen können. Einen Senator und Pontifex stellte ich mir einfach anders vor, wortgewandt und wortgewaltig. So jedoch ließ ich mir nichts anmerken (zumindest glaubte ich das, manchmal war ich mir meiner Mimik nicht vollständig bewusst), drehte mich in seine Richtung und nahm Antonia die Vorstellung ab.
    "Ich übernehme das gerne selbst. Ich bin Tucca, Nero Claudius Tucca. Antonia ist meine Cousine und sie war so nett, mich zu den Klinen zu geleiten. Du musst Gracchus Maior sein, nicht wahr? Antonia erzählte mir schon von eurem Nachwuchs, daher auch dir meinen Glückwunsch zu eurem Sohn."


    Unerwartete Ereignisse rissen mich oft aus meinem Richtungssinn. Das Auftauchen von Gracchus war so ein unerwartetes Ereignis gewesen und ich wusste schon nicht mehr, ob ich mich nach links oder rechts gedreht hatte und die Kline nun vor oder hinter mir stand. Den Vorschlag, uns vor weiteren Gesprächen doch erst einmal zu setzten, vermied ich daher, obwohl er uns dem Essen sicherlich näher gebracht hätte. Ich würde vorerst abwarten, bis meine Cousine und ihr Mann sich setzten und dann ganz auf Tuktuk vertrauen.

    "Aus Hispania!" rief ich begeistert aus und kassierte von Tuktuk sogleich einen weiteren Rippenstoß. Im Tagesrummel der Stadt wäre es vermutlich kaum aufgefallen, doch in der Nacht hallten meine Worte lauter durch den Regen, als ich beabsichtigt hatte. Meine Neugier und sicher auch der Wein im Blut ließen mich über Tuktuks Missmut hinweggehen. Wenn ich getrunken hatte, konnte er sich ziemlich viel erlauben. Außerdem beanspruchte ich ihn wirklich viel, seit wir in Rom waren, deswegen war er schon eine ganze Weile etwas gereizt. Da ich beschlossen hatte, über den Winter zu bleiben, würde ich mir diesbezüglich noch etwas einfallen lassen müssen. Aber ganz sicher nicht an diesem Abend. "Wenn wir im Trockenen sind, musst du mir alles darüber erzählen. Wie Tarraco ist, wie die Menschen dort sind, das Land und das Meer. Tarraco liegt doch am Meer?"
    Ich kannte bis dahin nicht sehr viele Menschen persönlich, die aus Hispania stammten. Genau genommen fiel mir kein einziger ein.


    Tuktuk ruckte an meinem Arm und ich folgte ihm. Er war einen Kopf kleiner als ich, weshalb ich normalerweise lieber meine Hand auf seine Schulter legte, um ihm zu folgen. Nachts allerdings, wenn er selbst nicht alles sah, und wenn ich schon etwas angetrunken war, hakte ich mich lieber ein. Wenn ich dann stolperte (natürlich nur wegen des Weines), konnte er mich immer noch aufrecht halten. Wir gingen nicht ganz so schnell, denn anscheinend sah Serapio genauso viel oder wenig wie Tuktuk. Ich versuchte mich gerade zu orientieren und zu hören, wo Serapio vor oder neben uns war, als sein Fluch es ziemlich deutlich machte.
    "Er hat auch keine Lampe, mh?" fragte ich meinen Sklaven etwas leiser.
    "Nein."
    "Siehst du, wären wir in Ravenna, würde ich dir den Weg zeigen. Wir müssen also doch öfter schon bei Tag durch die Tabernen ziehen, damit ich die Wege kennen lerne."
    Tuktuk brummte nur unzufrieden. Aber auch darüber ging ich hinweg. Er hatte seine Chance für diesen Abend verspielt, da er den Weg zurück zur Villa Claudia nicht gefunden hatte. In diesem Fall hätte er schon längst in seinem Bett liegen können.


    Wir bewegten uns auf einer Geraden, was im Stadtkern Roms nicht ungewöhnlich war, und ab und an zog oder schob mich Tuktuk wortlos in die eine oder andere Richtung, vermutlich um Pfützen zu umrunden. Der Regen ließ nicht nach und ich zog die Kapuze meines Umhangs etwas tiefer ins Gesicht. Ich mochte es nicht, wenn das Wasser an meiner Nase herab rann und sich in Tropfen an ihrer Spitze sammelte, was leider immer ziemlich schnell passierte. Serapio war es, der das Plätschern des Regens mit seiner Nachfrage durchbrach.
    "Wie der Dichter, ja", bestätigte ich. Leider hatte der dichtende Tucca nichts wirklich Bestechendes hinterlassen und war uns vermutlich nur noch deswegen bekannt, weil er in einer Satire von Plotius neben seinem Freund Vergil genannt wurde. Obwohl die meisten Menschen mich mit meinem Cognomen ansprachen, war es der langweiligste Teil meines Namens, denn er hatte niemals zu einem Kaiser gehört.


    "Aber ich dichte nicht, nein. Wenn ich anfange zu reimen, dann treibt das auch den letzten Gast aus meinem Haus." Bei der Vorstellung musste ich lachen, denn sie war wirklich nicht übertrieben. "Ich spiele nur die Kithara. Und manchmal singe ich dazu. Und manchmal singe ich auch ohne die Kithara." Ich grinste immer noch breit. "Aber erzähl das bloß niemandem!"
    Bezüglich Musik und Gesang, wie auch Tanz, waren wir Römer irgendwie ein bisschen verklemmt, insbesondere die höheren Schichten. Während in den Tabernen und auf bäuerlichen Festen durchaus auch in diesem Sinn gefeiert wurde, gestatteten wir es uns nur, dass Sklaven oder sogenannte 'Künstler' (oft Peregrine aus Achaia, das war besonders vornehm) uns mit ihrer Musik erfreuten und für uns Tanzten. Ich wusste nicht, weshalb das so war, es ziemte sich einfach nicht für einen Patrizier. Vermutlich deswegen, weil gutes Spiel viel Übung erforderte und er besseres mit seiner Zeit anzufangen wissen sollte, Politik treiben oder sich sonst für das Imperium einsetzen. Ich hatte in dieser Hinsicht, wie auch einigen anderen, den Vorteil der Narrenfreiheit. Nicht nur, dass ich meine Zeit nicht mit dem Politik treiben verschwenden musste; weil ich nichts sah, gestand man mir auch innerhalb meiner Schicht mehr Macken zu als üblich (außerhalb meiner Schicht war es nicht so gravierend, dem Adel gestand man sowieso ziemlich viele Macken zu). Andererseits würde es auch kaum einen Unterschied machen, wenn Serapio es irgendwem erzählte. Die Wahrscheinlichkeit war ziemlich gering, dass er irgend wen kannte, der mich kannte. Nicht nur, weil Rom ein riesige Stadt mit tausenden Einwohnern war, sondern auch, weil ich hier sowieso immer noch kaum jemanden kannte. Das Herumkommen in Rom war nicht so einfach, wie ich mir es vorgestellt hatte, was vermutlich auch an meiner Verwandtschaft lag, die mehr in sich ruhte, als dass sie sich irgendwo zeigte.
    "Und dir, Serapio, was liegt dir mehr, das Dichten oder das Singen?" Einen nächtlichen Zecher konnte man das ohne weiteres fragen. Nach genügend Wein fing jeder Mann an zu singen oder zu reimen - wenn er nicht vorher schnarchend unter dem Tisch lag.

    Die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit meiner Cousine schlug sich auch in ihrer Stimme nieder. Antonia schien alles in allem überhaupt eine ziemlich entspannte Person zu sein.
    "Undankbar? Sag das nicht, an die Pronuba erinnert man sich auch nach einer Scheidung mit Wohlwollen zurück. Den Eingeweidelesern und Priestern schiebt man die Schuld zu, immerhin haben sie den Willen der Götter missgedeutet und hätten einem die Misere gleich ersparen können." Auch ich schmunzelte deutlich. Ich selbst hatte am Ende meiner ersten Ehe niemandem die Schuld zugeschoben. Es hatte einfach so geendet, wie es enden musste. Einem möglichen anderen Leben nachzuweinen, brachte überhaupt nichts, das wusste ich nur zu gut.


    "Minor, das passt gar nicht. Er wird sicher einmal ein großer Mann, bei der Familienkonstellation." Das bezog sich nicht nur auf die Tatsache, dass er der Erstgeborene war, sondern auch auf die Vorgaben, die Vater und Mutter aus ihrer Familie mitbrachten. Ein Abkömmling mit claudischem und flavischem Blut, wenn einem das nicht Gänsehaut aufkommen ließ, dann wusste ich auch nichts. Nebenbei war gerade eben der Grundstein für weitere solche Abkömmlinge gelegt worden, es würde also mit Sicherheit eine spannende Zukunft werden. Auf jeden Fall war meine Neugier geweckt. Wenn Gracchus Minor alle Aufmerksamkeit auf sich zog, dann musste ich ihn auch kennen lernen. Von Gracchus Maior würde ich abhängig machen, ob ich die gesamte Familie vielleicht einladen würde - Menecrates hatte mir immerhin diesbezüglich alle Freiheiten in der Villa zugestanden - oder ob ich Antonia irgendwann einmal besuchen würde, tagsüber, wenn Senatoren mit allerlei Aufgaben beschäftigt waren, ich dagegen dem gepflegten Müßiggang nachgehen konnte.


    "Köstlichkeiten klingen gut. Das Essen riecht schon fantastisch und ich bin gespannt, was es alles geben wird. Manchmal glaube ich, unsere Vorfahren haben den Brautzug am Abend nur deswegen eingeführt, damit man das ganze Essen später besser verdauen kann." Bei manchen Hochzeiten, gerade unter Patriziern, hätten sie besser auch zwischenrein noch ein paar weitere Bewegungen eingebaut. Meistens fühlte ich mich drei Tage nach so einem Fest noch gemästet - was mich natürlich bei nächsten mal, so auch heute, dennoch nie davon abhielt, mir den Bauch voll zu schlagen.
    "Würdest du?" Ich hielt Antonia meinen Arm entgegen. Tuktuk stand längst wieder hinter mir, wo er bei Gesprächen hin gehörte und würde mir natürlich überall hin folgen. Doch manchmal genoss ich es, von ihm unabhängig zu sein - auch wenn es oft gleichzeitig bedeutete, von jemand anderem abhängig zu sein. "Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht." Das fügte ich nicht ohne Grund an. Manche Menschen kamen mit Hilfeleistungen einfach nicht klar, nicht nur beim Annehmen, sondern auch beim Geben. Warum, war ein Rätsel, das ich vermutlich in meinem Leben nicht lösen würde.

    Fortuna liebte uns in dieser Nacht, im Nachhinein betrachtet vielleicht sogar übermäßig. Tuktuks finstere Gestalt war überhaupt nicht finster, zumindest soweit ich das nach seinen Worten beurteilen konnte. Mehr noch, als mich darüber zu freuen, dass wir nicht direkt einem Mörder in die Arme gelaufen waren, freute ich mich darüber, gegenüber meinem Sklaven Recht behalten zu haben. Dass es eben doch die beste Idee gewesen war, einfach jemanden zu fragen. Über die Gefahr bei Nacht in Rom machte ich mir zu dieser Zeit sowieso keinerlei Gedanken. Zugegeben, diesbezüglich war ich ziemlich naiv, aber in Ravenna gab es kaum Kriminalität, weder bei Nacht noch bei Tag. Ein paar Taschendiebe, kleinere Diebeszüge oder mal eine angeheuerte Schlägertruppe, die dem Geliebten der Ehefrau oder einem lokalpolitischen Konkurrenten Angst einjagen sollte, mehr nicht. Natürlich kannte ich die Schauermärchen über Rom bei Nacht, doch ich hielt sie für eben dies - Schauermärchen, die brave Ehemänner davon abhalten sollten, ihren am Tag schwer verdienten Lohn bei Nacht zu verzechen. Also hatte ich nichts zu befürchten, denn ich war weder eine Ehemann, noch verdiente ich meinen Lohn schwer.


    Der Mann vor uns schien sich von diesem Gerede ebenfalls nicht abhalten zu lassen. Entweder würde er also am nächsten Morgen Streit mit seiner Frau bekommen, oder er war eben auch kein Ehemann oder verdiente genug. Für mich jedenfalls schien Fortuna ihn persönlich gesandt zu haben, um uns den Weg ins nächste Gasthaus zu weisen.
    "Wunderbar, dann bringst du uns in die Taberna, Bacchus-Laube klingt gut, und ich zahle die erste Runde." Da ich nicht viel von Weingenuss mit Unbekannten hielt, stellte ich uns vor und löste auch gleich die Maskerade auf. "Ich bin Tucca, und der schweigsame hier heißt Tuktuk. Tatsächlich hat er auch nicht zuviel getrunken, er wollte nur nicht nach dem Weg fragen." Ich grinste und ignorierte den leichten Stoß in die Seite. Ich war zugegeben etwas redselig, was an dem Wein in meinem Blut lag. Andererseits war ich auch nüchtern nicht gerade verschwiegen und redete gern, wenn andere schwiegen. Stille mochte ich nicht. Wenn man nichts sieht, gibt es in der Stille wenig, mit dem man sich beschäftigen kann, außer mit sich selbst, und ich war kein Mensch, der gerne grübelte.


    "Wir sind aus Ravenna." Dass man das nicht hörte, lag vorwiegend daran, dass man bei Patriziern grundsätzlich nicht hörte, woher sie stammten (ganz davon abgesehen, dass sowieso alle Patrizier, die etwas auf sich halten, immer irgendwie aus Rom stammen und überall anders nur vorübergehend sind). Ausführliche Bildungsoffensiven und rhetorische Schulungen verhinderten dies, da es in unseren Kreisen als extrem provinziell galt, in provinziell gefärbtem Latein zu sprechen. Ich mochte die regionalen Unterschiede und freute mich immer, wenn ich irgendwo eine neue lateinische 'Unart' aufschnappte, aber natürlich nahm ich sie nicht an. Allerdings war der regionale Einschlag in Ravenna auch nicht sonderlich ausgeprägt und man musste schon längere Zeit dort verbracht haben, um ihn in allen Einzelheiten zu bemerken.


    "Dann stammst du wohl hier aus Rom, wenn dir dieser Regen als Ausguss der Unterwelt vorkommt? In Ravenna zieht manchmal der Sturm noch weitaus heftiger vom Meer herein. Das ist zwar eher selten, da das Mare adriaticum eines der ruhigeren Sorte ist, aber wenn, dann ist es unvergleichlich. Außerdem regnet es weitaus öfter, der Sommer hier war doch ziemlich trocken. Und das obwohl man mir versichert hat, dass das noch gar nichts sei und der Sommer erst dann als trocken gilt, wenn die Stadt im Gestank des Tiberschlicks versinkt." Dieser verpassten Erfahrung weinte ich nicht unbedingt nach.

    Die Opfer bei Hochzeiten waren schon immer eine merkwürdige Sache. Laut dankte man den Göttern für eine Verbindung, die selten einer der beiden Heiratenden wirklich wollte, würde man sie in einem heimlichen Moment, nach ein paar Bechern Wein fragen. Dann bat man um eine glückliche Verbindung, von der sich vermutlich selten einer der beiden Heiratenden vorstellen konnte, dass sie jemals so sein würde. Und im Stillen baten vermutlich beide, dass es einfach nur einigermaßen erträglich sein würde. Im Grund war das ganze Heiraten eine merkwürdige Sache, aber es funktionierte und unser Reich war damit groß geworden. Zumindest funktionierte es meistens.


    "Feliciter!" ließ auch ich dem Brautpaar meinen Glückwunsch angedeihen. Als Gast hatte man es auf Hochzeiten immer viel einfacher. Da ich schon vorsorglich vor der Zeremonie gratuliert hatte, sah ich davon ab, es noch einmal zu tun. Am Ende machte es sowieso keinen Unterschied, vor dem Opfer war nach dem Opfer, denn ich hatte noch nie eine Eheschließung erlebt, bei der die Götter nicht zugestimmt hätten.


    Ich horchte in die Gegend und hielt meine Nase in die Luft, es klang nach Bewegung und roch untrüglich nach Essen. Der beste Teil der Feier konnte also beginnen. Ich hatte Gerüchte gehört, nach denen die Flavier in Rom immer noch von den legendären Weinvorräten des Senators Felix zehrten, und auch wenn ich nicht davon ausging, dass sie diese Schätze für Feiern dieser Art auffuhren, so hoffte ich doch auf einen guten Tropfen.
    "Tuktuk?"
    Mein Sklave hatte während des Opfers hinter mir gestanden. Nun trat er nach vorn und legte meine Hand mit einem "Ja, njaatigi" auf seine Schulter.
    "Hast du Antonia im Blick? Ich würde sagen, wir hängen uns an sie dran." Die Gerüchte, dass Claudier in allen Bereichen des Lebens nur allzu gerne unter sich bleiben, wollte ich zwar nicht fördern, aber in diesem Fall schien mir die familiäre Nähe die meisten Möglichkeiten zu bieten.
    "Ja, njaatigi."


    Während des Ritus' war Antonia als Pronuba eingebunden worden, doch anscheinend stand sie nun gar nicht so weit weg.
    "Jeden Tag eine gute Tat, nicht wahr?" spielte ich grinsend auf ihre Rolle an, zwei Heiratswillige aneinander zu binden, und fuhr dann dort fort, wo wir durch die Zeremonie unterbrochen worden waren. "Euer Sohn, wie heißt er? Und euer wie vieltes Kind ist er?"
    Vermutlich hatten sie schon einen ganzen Stall voll. Patrizische Ehen waren nicht nur auf gute Verbindungen, sondern auch auf zahlreiche Nachkommen ausgelegt. Außerdem waren die claudischen Frauen die fruchtbarsten des ganzen Imperium, hieß es jedenfalls. Obwohl ich auch einmal kurz davor gestanden hatte, konnte ich mir nie wirklich vorstellen, wie das ist, Kinder zu haben. Aber vermutlich machte es keinen großen Unterschied, erst gab man sie zu einer Amme und später schickte man sie irgendwo hin zur Ausbildung.

    Feiertage mit Wagenrennen gehörten nicht unbedingt zu meinen Favoriten, was Feiertage betraf, doch sie waren immer noch um längen besser als Gladiatorenspiele. Außerdem mochte mein Sklave Tuktuk die Rennen und er schilderte um so ausführlicher und farbenprächtiger, je besser ihm selbst etwas gefiel. Ich selbst mochte zudem natürlich das Drumherum, die Anfeuerungs-Chöre der Zuschauer, die Neckereien zwischen den Factio-Anhängern, die manchmal sogar zu echten Schlägereien mutierten, die vielen Händler, das Geschwätz und das Geplapper auf den Rängen. Beim Equus October traten zwar keine Factiones an, doch Gruppierungen um die Fahrer würden sich sicherlich trotzdem finden.


    Mittlerweile hatte ich mich schon fast an die Mengen in Rom gewöhnt. Ich versuchte erst gar nicht, mir irgendwelche Wege zu merken, teilte die Stadt nur grob in ihre Viertel mit den markantesten Bauwerken oder - was ich mir viel eher merken konnte - den besten Tabernen und Lupanare ein. Obwohl die Villa Claudia immer noch mehr Leere als Leben zeigte, hatte ich beschlossen, nicht vor dem Winter zurück nach Ravenna zu reisen. Was gleichzeitig bedeutete, dass ich nicht vor dem nächsten Frühjahr abreisen würde, denn im Winter wollte ich nicht einmal durch Italia reisen. Zudem ließ sich die Trägheit der Villa prächtig durch die Lebendigkeit Roms ausgleichen. So wie heute.


    Tuktuk schlängelte sich durch die Menschen hindurch und ich folgte ihm, meine Hand auf seiner Schulter und den leisen Warnhinweisen lauschend, die er an Stufen, Kanten und sonstigen Hindernissen einstreute. Bevor wir die Zuschauerränge erreichten, hielt ich ihn zurück und wir kauften geröstete und mit Honig überzogene Nüsse, die herrlich in meinen Ohren knackten, wenn ich sie zwischen den Backenzähnen zermalmte. Als wir einen Platz gefunden hatten, beschrieb Tuktuk die Szenerie. Ganz besonders hatten es ihm natürlich die Wägen und Pferde angetan und er war ein bisschen entrüstet, als ich ihm erklärte, dass das eines der Siegespferde am Ende geschlachtet werden würde. Obwohl Tuktuk schon so lange im römischen Imperium lebte, verstand er immer noch nicht, warum wir unseren Göttern Opfer brachten. Seine Götter waren da anders, aber das verstand ich nicht.

    Es war mitten in der Nacht. Manche Menschen glauben, das würde für mich sowieso keinen Unterschied machen, weil die Schwärze vor meinen Augen nicht dunkler werden kann. Es ist einer dieser typischen Gedanken, die Sehende manchmal haben, so als würde sich die ganze Wahrnehmung eines Menschen nur auf seine Augen beschränken. Natürlich sehe ich in der Nacht genau so viel wie am Tag, nämlich gar nichts, aber meine Nacht ist trotzdem ebenfalls völlig anders als der Tag. Die heimlichen Geräusche der Dinge sind in der Nacht viel deutlicher zu hören als am Tag. Das Knacken eines Astes etwa, das Plätschern eines Brunnens, das Schwanken eines Baumes oder ein Fensterladen, der sich leise im Wind bewegt. Genau genommen, sind alle Geräusche deutlicher, weil die Gesamtmenge aller Geräusche geringer ist. Auch die Tierwelt hat andere Geräusche zu bieten, Nachtvögel und schleichende Ratten am Wegesrand. Außerdem ist es nachts grundsätzlich kälter als tagsüber, manchmal sind diese Temperaturschwankungen extrem, manchmal kaum zu spüren. Und natürlich werde ich auch irgendwann am Ende eines Tages müde. Zumindest manchmal.
    In dieser Nacht war ich kein bisschen müde. Am frühen Abend war ich mit Tuktuk aufgebrochen, um mich ins Nachtleben Roms zu stürzen. Wir waren tief eingetaucht, in ein ausgesprochen deftiges Essen, eine Menge Wein und eine göttliche, griechische Hetäre. Ich zumindest, Tuktuk hatte natürlich eine andere Frau abbekommen und wie üblich auch keinen Wein getrunken. Als wir aus der lachenden Kalypso hinaus schwankten - ich schwankte, Tuktuk wies mir nicht nur den Weg, sondern stützte mich auch noch - nieselte es leicht und mein Sklave behauptete steif und fest, er wüsste, wie wir nach Hause kämen. Zum Glück hatten wir dicke Umhänge dabei.


    Denn irgendwann regnete es und Tuktuk hatte keinen blassen Schimmer, wo wir waren.
    "Verdammter Regen!"
    "Sei nicht immer so negativ, Tuktuk. So ein bisschen Wasser wird dich nicht umbringen. Außerdem könnte es nach diesem Abend Ozeane vom Himmel schütten, es wäre immer noch eine wundervolle Nacht!" Mittlerweile war mein Kopf wieder halbwegs klar und ich hielt mein Gesicht nach oben. Dicke Tropfen platschten auf meine Haut und der darüber streichende Wind hinterließ eine angenehme Frische.
    "Wenigstens eine Laterne hätten wir mitnehmen sollen."
    "Das ist deine Welt, nicht meine."
    "Nachts sieht alles gleich aus in Rom."
    Ich lachte laut auf. "Na dann nehmen wir einfach die erstbeste Villa und quartieren uns ein. Komm schon, Tuktuk, es muss doch irgendwer unterwegs sein, den du fragen kannst."
    "Nur Betrunkene oder dunkle Gestalten, die nicht aussehen, als ob man sie etwas fragen sollte."
    "Himo huli reedu", neckte ich meinen Sklaven, denn es bedeutete in seiner eigenen Sprache, dass er ein Feigling sei. Tuktuk zog seinen Arm zur Seite weg, ließ mich allein im Regen stehen und schwieg. Ich stolperte einen Schritt vorwärts und blieb ebenfalls stehen. "Komm schon, wer findet den Weg nicht?"
    "Du auf jeden Fall nicht ohne mich."
    "Mit dir aber auch nicht."
    Tuktuk hakte sich wieder ein und wir gingen im Regen weiter.


    Bald drängte sich ein anderes Wassergeräusch als das des Regens in den Vordergrund. Allmählich fühlte ich mich wieder ziemlich ausgenüchtert und so langsam wollte ich nur noch irgendwo hin, wo es warm war.
    "Hör' doch mal." Vor uns war ein Fluss und zum Glück gab es nur einen in Rom. "Da ist der Tiber. Da waren wir doch schon mal, vielleicht findest du etwas, an das du dich erinnerst."
    Ich erinnerte mich deutlich an einige Tabernen, die wir nach dem Festzug der Fors Fortuna aufgesucht hatten. Eine davon würde sicherlich noch geöffnet haben und nach einem Becher Wein zum aufwärmen würde Tuktuk von dort auch bestimmt nach Hause finden.
    "Es steht jemand auf der Brücke."
    "Na wunderbar, da er nicht singt, ist er vielleicht nicht zu betrunken, um uns den Weg zum Forum zu erklären."
    "Er sieht ziemlich finster aus."
    "Gut, dann werde ich ihn fragen, mir es es gleich, wie er aussieht. Schwanke einfach ein bisschen und sag mir, wenn wir nahe genug an ihn heran sind."
    Ich rechnete fest damit, dass Tuktuk mir widersprechen würde, doch anscheinend hatte auch er genug vom Umherirren.


    Wir näherten uns Decimus Serapio, gerade als er sich aufrichtete. Ein paar Schritte vor ihm flüsterte Tuktuk leise, dass wir nahe genug an ihm dran wären. Ich begrüßte ihn, als wäre es mitten am Tag.
    "Salve! Entschuldige bitte, könntest du uns vielleicht sagen, wie wir von hier zum Forum kommen? Mein Freund hier hat ein bisschen über den Durst getrunken und ich selbst kenne mich leider überhaupt nicht in Rom aus." Im Grund hätte das schon gereicht, aber wenn ich schon fragte, dann richtig. "Oder vielleicht kennst du eine Taberna hier in der Nähe, die um diese Zeit noch geöffnet hat?"
    Ich spürte, wie Tuktuk neben mir zuckte. Eine weitere Taberna war nicht nach seinem Geschmack, aber in diesem Falle war mir das völlig egal. Er hätte mich immerhin schon längst nach Hause gebracht haben können.

    "Ah, Verus. Ein Glück, ich dachte schon, die Villa hat dich verschluckt. Ich glaube wirklich, sie macht das ab und zu. Einwohner verschlucken, meine ich." Ich versuchte, ernst zu bleiben und nicht zu lachen. "Wie dem auch sei, Prisca hat sie verschluckt, da bin ich ganz sicher. Ich war auch bei ihrem Cubiculum, aber dort war sie nicht. Wir haben einen Sklaven gefragt, der das Öl in den Lampen auf dem Gang aufgefüllt hatte. Ein merkwürdiger Kerl. Er hat sie auch nicht gesehen, wusste auch nicht, wo sie ist." Ich zuckte mit den Schultern.


    "Ich habe Tuktuk ausgeschickt, dich und Prisca zu suchen. Das ist schon eine Weile her, vielleicht hat ihn die Villa auch verschluckt. Gehen wir einfach ohne Prisca? Wahrscheinlich ist sie gar nicht hier, sondern schon irgendwo in Rom unterwegs." Ich tastete neben die Tür, wo ich meinen Stock abgestellt hat.


    "Was meinst du, hältst du mich alleine aus? Tuktuk hat ziemlich viel zu tun, seit wir in Rom sind. Ich würde ihm gerne ein bisschen Zeit für sich zugestehen." Genau genommen hatte Tuktuk hier keine Minute für sich. In Ravenna bewegte ich mich sowohl zuhause, als auch in der Stadt ziemlich eigenständig, aber hier in Rom brauchte ich ihn für alles. Natürlich hätte ich einen anderen Sklaven heranziehen können, aber Tuktuk war nicht so einfach zu ersetzen. Er war kein einfacher Sklave und wir hatten ein besonderes Vertrauensverhältnis zueinander. Wenn es nicht zwingend notwendig war, vertraute ich keinem anderen Sklaven meinen Weg an.


    "Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht." Verus würde ich meinen Weg anvertrauen, es wäre nicht das erste mal. Natürlich waren wir bisher nur in Ravenna unterwegs gewesen, wo ich mich sowieso auskannte, aber er würde mich sicher auch durch Rom lotsen können. "Und du musst mir versprechen, mich nicht mitten in Rom allein stehen zu lassen." Ich grinste, obwohl mir bei dem Gedanken daran überhaupt nicht wohl war.

    Flavia Celerinas Stimme war mir recht sympathisch, hoch, aber nicht unangenehm, und ich mochte ihre offene Art auf Anhieb. Das Alter einer Person anhand ihrer Stimme zu bestimmen, ist nicht gerade einfach, so belief sich meine grobe Schätzung sie betreffend auf zwischen 15 und 40.


    "Antonia ist meine Cousine", beantwortete ich ihre Frage, "und Menecrates, Epicharis' Vater, ist mein Vetter."


    Ich musste mich selbst dazu beglückwünschen, wie meisterlich ich durch diese Beschreibung der Tatsachen die Groß- oder Kleinonkel-Sache umschifft hatte. Und noch mehr Glückwünsche waren angebracht, wie Epicharis soeben verriet. Allerdings brachte der Grund, Antonias Sohn, schon wieder diese Verwandtschaftsbeziehung ins Spiel. War ich nun Großonkel oder Großcousin geworden? Da ich vor hatte, noch eine Weile in Rom zu verweilen, nahm ich mir fest vor, mich mit Stammbäumen und der korrekten Bezeichnung all meiner hier lebenden Verwandten auseinander zu setzen. Allerdings nicht an diesem Tag, und in Erwartung eines langen Abends auch nicht am nächsten. Ich würde Antonia irgendwann in nächster Zeit besuchen müssen. So ein Ereignis konnte ich nicht einfach ignorieren, wenn ich schon in der Stadt war.


    "Ist das wahr, Antonia? Dann gelten meine Glückwünschen natürlich auch dir und deinem Ehemann. Ebenso wie meine guten Wünsche für die Zukunft deinem Sohn."


    Flavius Aristides war nicht ganz so gesprächig. Er schien außerdem ein bisschen nervös, was ich ihm an diesem Tag allerdings auch nicht verdenken konnte. Für ein weiteres Gespräch war erst einmal sowieso keine Zeit, immerhin sollte heute noch eine Hochzeit stattfinden. Die Gäste wurden zur Terasse gebeten (die Dimension des Gartens wurde in meinem Kopf immer größer) und irgendwie kam auch ich dort an, ohne noch einen Überblick zu haben, wer wo und vor allem, wer noch in meiner Nähe war. Doch erst einmal galt es zu schweigen, um die ganze göttliche Konsultation nicht zu stören. Der Duft von Weihrauch stieg mir in die Nase, viel zu hören gab es vom Opfer außer den Gebetsworten jedoch nicht. Da Warten nicht zu meinen Stärken gehörte - umgeben von Dunkelheit gibt es beim Warten nicht viel Ablenkung - begann ich, in die Umgebung zu lauschen, auf die Geräusche der Natur und der Gäste um mich herum und natürlich auch auf das leise Flüstern, das hier und da erklang.

    Als Aristides sprach, wandte ich erstaunt den Kopf und drehte ihm mein Ohr zu. Entgegen meines Glaubens, ihm bisher noch nicht begegnet zu sein, kannte ich diese Stimme und damit auch den dazugehörigen Mann. Es ist natürlich ein Irrglaube, dass Blinde sich jede einmal gehörte Stimme merken und sie später immer wieder erkennen würden. Allerdings hatte ich in Rom noch nicht viele neue Stimmen und die dazugehörigen Menschen kennen gelernt, und wenige Zusammentreffen waren so einprägsam gewesen wie das mit ihm.


    "Kennen wir uns nicht bereits? Aus dem Marcellustheater. Das Theaterstück zu den Megalesia, Kresh, erinnerst du dich? Das warst doch du?" Ich musste lachen. Der mürrische Kommentator heiratete also heute meine Nichte oder Cousine irgendeines Grades - ich war mir nicht sicher, ob der Vetter des Vaters wirklich der Großonkel war,allerdings hatte ich für diese Familienbezeichnungen noch nie genügend Geduld aufgebracht, um darüber nachzudenken.
    "Ach, hätte ich das gewusst, die ganze Sache wäre mir nicht halb so unangenehm gewesen. Ein Mann, der eine Claudia heiratet, der muss viel mehr als ein paar Füße in seinem Rücken aushalten."


    Am Abend nach den Spielen hatte ich mich noch eine ganze Weile über diesen pampigen Kerl geärgert, aber mittlerweile hatte ich es längst vergessen. Nach dieser unerwarteten Wendung war es eher amüsant. Trotzdem konnte ich mir nicht ganz vorstellen, dass dieser Mann ein Flavier war. Aus den damaligen Kommentaren zum Theaterstück hätte ich eher auf einen Neureichen getippt. Aber irgendwie passte es zu dieser Centurionen-Sache. Flavius Aristides schien ein ziemlich interessantes Exemplar der Sorte Flavius zu sein.

    Kurz nach meiner Cousine erhob ich mich und nach einem Schnipsen fand ich auch Tuktuks Schulter unter meiner Hand. Er folgte ihr und ich folgte ihm, bis wir bei dem zukünftigen Ehepaar standen. Tuktuk nahm meine Hand von seiner Schulter und stellte sich irgendwo hinter mich, vermutlich in Flüsterreichweite, falls ich ihn brauchen sollte. Netterweise erwähnte Antonia bei der Vorstellung auch wo wer stand, so dass ich nicht planlos in die Gegend begrüßen musste.


    Ich beschloss mit Epicharis zu beginnen, denn obwohl ich sie seit Jahren nicht mehr getroffen hatte, war sie immerhin diejenige, mit der ich verwandt war. Wie bei einem Großteil meiner Verwandtschaft beschränkte sich unser Kontakt auf irgendwelche Familienfeiern, zu denen ich mich selten aufgemacht hatte. Epicharis hatte ich deswegen als junges Mädchen im Kopf, mit dem ich kaum je viele Worte gewechselt hatte. In der Villa hier in Rom war ich ihr bisher nicht begegnet - wieder ein Hinweis darauf, dass diese Villa ihre Bewohner verschluckte.


    "Meine Glückwünsche zu deiner Vermählung, Epicharis. Ich wünsche dir alles Gute, Geduld und viel Glück für deine Zukunft. Denke immer daran, eine Ehe bietet unendlich viele Überraschungen, doch egal welcher Art sie sind, am Ende kommt es nur darauf an, was man selbst daraus macht."


    So eine Lebensweisheit machte sich immer gut. Immerhin kannte ich mich aus mit Ehen, da ich schon zwei hinter mich gebracht hatte. Zugegeben, nicht wirklich erfolgreich, aber hinter mich. Ich wandte meine Nase ein klein wenig nach Links, um auch äußerlich anzudeuten, dass meine Aufmerksamkeit nun auf dem baldigen Ehemann lag.


    "Auch dir wünsche ich alles Gute für die Ehe, Flavius. Obwohl du mit Epicharis natürlich schon das Beste an deiner Seite hast."


    Wir Claudier waren nicht nur von uns selbst überzeugt, sondern auch immer von unserer Verwandtschaft. Sogar dann, wenn wir sie nicht wirklich kannten. Flavia Celerina kannte ich dagegen tatsächlich nicht, was sich natürlich in diesen Augenblicken ändern sollte. Von Links glitt meine Nase also nach rechts, vermutlich zu wenig oder zu weit, denn ohne dass die Flavia einen Ton gesagt hatte, konnte ich auch nicht genau bestimmen, wo genau sie zu meiner rechten stand. Allerdings machte ich mir selbst darüber wenig Gedanken.


    "Und zu guter letzt ist es mir eine Freude, dich kennen zu lernen, Flavia Celerina." Ich glaubte einen Hauch von Rose an ihr zu riechen, allerdings konnte dieser Duft auch von irgendwelchen Sträuchern hinter ihr stammen.

    Zitat

    Original von Claudia Antonia


    Flavier, Patrizier und Senatoren anderer Familien - es klang nach einer öden Veranstaltung, obwohl ich durchaus aus eigener Erfahrung wusste, dass dieser Stand nicht zwangsläufig ein Garant für Eintönigkeit war. Die Soldaten erstaunten mich allerdings doch so weit, dass ich meine Stirn in Falten legte.


    "Cingula sind das?" Ich drehte meinen Kopf ein wenig, um genauer hin zu hören. "Um ehrlich zu sein, ich dachte das gehört zur Dekoration."


    Aus Verlegenheit hob ich meine Rechte und rieb mit dem Daumen an meinem Kinn. Denn um noch ehrlicher zu sein - was ich gegenüber meiner Cousine allerdings nicht war - hatte ich geglaubt, das Klimpern gehörte zu attraktiven Sklavinnen, die Getränke und Kleinigkeiten austeilten. Selbst wenn ich mit dem attraktiven Anblick nichts anfangen konnte, so mancher Hochzeitsgast war zu später Stunde schon mit mancher Sklavin aus dem Haus des Bräutigams verschwunden. In Ravenna war mir das durchaus das ein oder andere Mal passiert - als Gast, nicht als Bräutigam.


    Aber so weit waren wir an diesem Tag noch nicht. Ganz im Gegenteil, ich hatte noch nicht einmal Braut und Bräutigam gratuliert, deswegen war es überaus unhöflich, schon an ihre Sklavinnen zu denken. Ich zwang meine Aufmerksamkeit zurück auf die Anwesenheit der Claudier. Oder eher auf die fehlende Anwesenheit eben jener. Irgendwie war es schon merkwürdig.


    "Menecrates wird sicher noch kommen." Immerhin war er der Brautvater. Allerdings war ich mir auch bei ihm nicht ganz sicher, denn ich hätte erwartet, dass der Brautvater die Braut begleitet.


    "Wie ist das Aufkommen um das Brautpaar herum? Wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich in die Schlange der Gratulanten einzureihen?"

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    Original von Claudia Antonia


    Ich nickte. "Ein gemeinsamer Theaterbesuch wäre mir eine Freude. Ich hoffe immer noch auf eine Vorstellung im Theater des Pompejus, die Akustik soll dort noch besser als im Marcellustheater sein. Andererseits wirkt sich das vermutlich vorwiegend auf die hinteren Reihen aus, und das muss uns schließlich nicht interessieren."


    In den ersten Reihen war die Akustik beinahe in jedem Theater gut und Patrizier saßen nun einmal immer in den ersten Reihen. Wenn ich dann nicht so ein Plapperkopf wie bei den letzten Megalesia vor mir hatte, hatte ich in kaum einem Theater Schwierigkeiten dem Geschehen auf der Bühne zu folgen.


    "Deinen Ehemann kenne ich noch nicht, nein. Aber ich bin schon sehr gespannt, ich habe sogar in Ravenna von ihm gehört. Was man in der Acta Diurna eben so lesen kann und das ist immerhin etwas. Ich habe hier in Rom festgestellt, dass es mehr Senatoren gibt, von denen man außerhalb Roms nie irgendetwas hört, als solche, bei denen mir zumindest der Name etwas sagt. Ich werde mich natürlich bemühen, nicht allzu erstaunt drein zu blicken, wenn er anfängt zu reden."


    Den meisten körperlichen Beeinträchtigungen maß ich kaum Bedeutung bei, genauso wenig wie dem optischen Erscheinungsbild. Denn beides bemerkte ich von selbst sowieso nicht und auch wenn man mich darauf hinwies, konnte ich oft nicht nachvollziehen was daran besonders oder besonders abschreckend war. Das umfasste alles mögliche, von einer schiefen Nase oder Segelohren, über ein ebenmäßiges Gesicht, einen besonders kurvenreichen weiblichen Körper (der mich natürlich schon interessierte, allerdings erst dann, wenn es an den körperlichen Kontakt ging), bis hin zu sichtbaren Entstellungen. Stottern bildete hierbei eine Ausnahme, denn das war etwas, was ich vielleicht sogar mehr als andere wahrnahm. Bedeutung maß ich dem allerdings trotzdem keine bei, denn ich wusste sehr genau, dass eine körperliche Beeinträchtigung einen Menschen keinesfalls geringwertiger machte. Es macht ihn anders, individuell - und damit genau so gleich wie alle anderen.


    "Kennst du viele von den anwesenden Gästen? Ist denn sonst schon jemand von unserer Familie da, von der Braut einmal abgesehen?"


    Karriere fördernde Kontakte brauchte ich zwar keine, aber interessante Menschen lernte ich immer gern kennen. Und wo gab es schon interessantere Menschen als in Rom? Flavius Aristides hörte sich auch nach einem interessanten Menschen an. Ein patrizischer Centurio war in der Tat bemerkenswert. Entweder scherte er sich nicht um Standesdenken oder er hatte irgendetwas falsch gemacht. Aber Antonia hatte natürlich recht, aufgrund seiner Familie war er auf jeden Fall eine gute Partie. Und aus Epicharis' Sicht hörte er sich immerhin auch ganz passabel an.

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    Original von Claudia Antonia


    Ein unscheinbares Rucken meines Kopfes kündete von meinem gesteigerten Interesse. Die Ludi Romani in Rom zu erleben würde sicherlich einer der Höhepunkte des Jahres werden. Bisher hatte ich noch nicht so weit voraus gedacht, doch nachdem Antonia es erwähnt hatte, wurde auch mir klar, wie weit das Jahr schon voran geschritten war.


    "Ah, die berühmten Ludi Romani! Ich hoffe, es wird ein Theaterstück gezeigt. Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen sind für mich nicht ganz so spannend. Ich habe auch das Stück gesehen, das dein Mann ausgerichtet hat, zu den Megalesia war es doch, nicht wahr? Hat mir ganz gut gefallen."


    Die Braut lenkte mich von den Spielen ab. Natürlich bekam ich nicht viel von ihr mit, weil sie zu weit entfernt eingetroffen war. Aber ich konnte ihre Ankunft hören, Gespräche verstummten für einen Augenblick oder gingen in leises Raunen über. Was Epicharis wohl für eine Erscheinung war, dass sie so eine Reaktion hervorrief? Ich erinnerte mich an meine eigenen Hochzeiten. Philonicas Erscheinen hatte eine einschlagende Wirkung gehabt, ihr Crescendo bei der Ankunft im Atrium der Villa Volumnia hatte jedes Gespräch übertönt. Lenaea dagegen war in einem Hauch von Rosenduft erschienen.


    Von Epicharis gelangte meine Cousine zu ihren Geschwistern. Vermutlich hatten sich schon die ersten Gäste um die Braut gescharrt, so dass es wenig Sinn machte, sie jetzt ebenfalls zu bestürmen. Vielleicht würde ich mich später einfach Antonia anschließen, denn welche bessere Möglichkeit gab es? Merkwürdigerweise schien Antonia ihre Geschwister nicht zu erwarten und lieferte auch gleich den Grund für diese Erwartung.


    "Dass Verus und Sabinus Rom verlassen hätten, wäre mir neu. Zumindest Verus hatte große Pläne bezüglich seiner politischen Karriere und wollte hier damit beginnen. Und Prisca", ich drehte meine Stock zwischen den Händen. "Wer weiß. Um ehrlich zu sein habe ich alle drei tatsächlich schon eine Weile nicht mehr gesehen habe. Ich sage dir, diesbezüglich ist das Leben in der Villa Claudia hier in Rom wirklich merkwürdig. Als würde das Haus seine Bewohner verschlucken und nur ab und zu wieder herausspucken."


    Ich zuckte leicht mit der Schulter. Immerhin hatte sich andererseits noch nie jemand beschwert, dass ich zu laut wäre. Es hatte also vielleicht auch Vorteile, wenn nie jemand da war.


    'Dass viele der damaligen Bewohner nun nicht mehr hier sind.' Es war ein merkwürdiger Satz, da wir beide wussten, dass die meisten nicht mehr nur nicht hier, sondern gänzlich weg waren. Und viele waren unsere Geschwister oder Cousinen und Vettern gewesen, dabei waren wir selbst eigentlich noch gar nicht so alt. Meine Brüder hatten alle in Rom ihr Glück gesucht, und jetzt waren sie tot. Ich hoffte nur, dass das nicht an Rom lag, denn Langeweile hin oder her, ich hatte nicht vor, allzu bald zu sterben. Eigentlich hatte ich auch an einem Tag wie diesem nicht vor, darüber nachzudenken, weshalb ich versuchte, das Thema zu wechseln.


    "Kennst du eigentlich den Mann, den Epicharis heiratet? Ist er eine gute Partie?"


    Mich interessierten weniger seine Beziehungen als mehr, ob er für Epicharis zu ertragen sein würde. So deutlich wollte ich allerdings nicht fragen, weil ich mir nicht sicher war, worauf Antonia mehr wert legte. In unserer Familie ging es meist mehr um die Beziehungen als um die Personen, und eine andere Ansicht dessen wurde nicht gern gehört.

    Zitat

    Original von Claudia Antonia


    Antonia hörte sich tatsächlich sehr zufrieden an. Ich wusste nicht, ob sie und ihr Senator schon Kinder hatten. Doch in der üblichen Laufbahn ging so etwas parallel zum Aufstieg im Cursus Honorum, daher ging ich davon aus. Wahrscheinlich führte sie eines dieser Bilderbuch-Patrizierleben.


    Kaum hatte Antonia die Aufforderung zum Sitzen ausgesprochen und ich daraufhin genickt, spürte ich schon die Hand meines Sklaven am Arm. Tuktuk schob mich noch ein Stück weiter nach vorn, bis mein Stock an die Kante einer Sitzgelegenheit stieß. Ich hielt ihm nun doch den Wein hin, um danach mit der Hand an dem Holzstock herab zu fahren und nach der Sitzfläche zu tasten. Stein, mit einem Polster darauf, eine Bank vermutlich, weshalb ich mit der Erkundung nicht zu weit nach Links und Rechts fortfuhr, um Antonia nicht allzu sehr zu Leibe zu rücken. Statt dessen setzte ich mich endlich. Die Kleidung meiner Cousine raschelte links neben mir, weshalb ich meine Nase ein Stück in diese Richtung wandte, bevor ich ihr antwortete.


    "Mir geht es sehr gut, danke. Viel zu berichten habe ich allerdings nicht, das übliche aus Ravenna. Ich lebe so vor mich hin, da passiert um ehrlich zu sein nicht allzu viel berichtenswertes. Dieses Jahr ist mir allerdings die Decke auf den Kopf gefallen und ich habe beschlossen, endlich die Reise nach Rom anzutreten. Seit dem Frühjahr bin ich hier und es gefällt mir wirklich gut. Die Stadt berstet vor Leben und es ist ständig irgend etwas los."


    Was genau genommen für mich manchmal schon zu viel auf einmal war. Zugeben würde ich das jedoch nicht.


    "Ganz zu schweigen davon, dass man am Nabel der Welt natürlich an der Quelle aller interessanten Informationen, Gerüchte und Geschichten sitzt. Lebst du direkt in Rom? Oder wohnst du in einer der Landvillen außerhalb?"


    Ich wusste zwar nicht, wie viele Villen die Flavier in Rom besaßen, aber es war bei Familien wie der ihren und unserer durchaus üblich, sich auf ein Haus in Rom zu beschränken. Welches dann natürlich um so pompöser war. In Rom würde Epicharis somit bald mit Antonia unter einem Dach leben.


    "Hast du deine Geschwister heute schon gesehen?" fragte ich unvermittelt und dachte wieder an die Stille heute Morgen, die so gar nicht zur Aufregung einer Hochzeit passen wollte.
    "Wie lange hast du eigentlich hier in Rom in der Villa Claudia gelebt, Antonia? War sie da auch schon so still? Ehrlich, ich war noch nie in einem Haus, in dem es so leise ist. Manchmal habe ich das Gefühl, alle seine Bewohner schweben lautlos ein paar Digitus über dem Fußboden, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es in einem bewohnten Haus tatsächlich ständig so ruhig sein kann."


    Ich grinste ein bisschen vor mich hin. Dass junge Frauen wie Epicharis und Priscilla über den Boden schwebten, konnte ich mir noch vorstellen, bei Verus und Sabinus würde es eher ein ständiges Auf und Ab sein. Aber den bodenständigen Menecrates konnte ich mir beim besten Willen nicht in die Luft erhoben vorstellen.

    Zitat

    Original von Claudia Antonia
    „Salve, Herr. Meine Herrin, Claudia Antonia lässt fragen, ob du ihr ein wenig Gesellschaft leisten möchtest.“


    Die Verwandtschaft fand mich schneller als ich sie fand. Oder besser gesagt, als Tuktuk sie fand. Und ich ließ mich nicht lange bitten. Antonia war eine meiner Cousinen und sie war diejenige, die schon mit einem Flavius verheiratet war, mit einem Senator um genau zu sein. Von all meinen Cousinen hatte sie es, soweit ich wusste, damit am weitesten gebracht. Und wollte man ehrlich sein, dann hatte sie es damit neben Senator Menecrates in meiner gesamten Generation am weitesten gebracht. So ehrlich wollte man als Claudier natürlich selten sein, aber ich konnte mir es erlauben.


    Genau konnte ich mich nicht mehr erinnern, wo ich Antonia das letzte Mal begegnet war. Es war auf jeden Fall schon eine ganze Weile her, vielleicht bei irgend einem Fest in Mantua, oder sogar noch länger her, bei irgend einem Fest in Rom. Viele Worte hatte ich auch selten mit ihr gewechselt, das meiste wusste ich über sie aus den Erzählungen ihrer Brüder Verus und Sabinus. Bei der Gelegenheit fragte ich mich, ob Verus und Sabinus wohl auch kommen würden. Weder den einen, noch den anderen hatte ich in den letzten Tagen gesehen. Aber das hieß in der Villa Claudia nichts, das Haus verschluckte jedes Leben.


    "Natürlich, es wäre mir eine Freude", entgegnete ich dem Sklaven und sah mich in einem kleinen Dilemma. In der einen Hand hielt ich den Stock, in der anderen den Becher, so dass keine für Tuktuks Schulter frei blieb. Natürlich hätte ich meinem Sklaven den Wein reichen können, aber ich wusste genau, dass er ihn so leicht nicht wieder heraus rücken oder vielleicht sogar auf irgendeinem Tisch abstellen würde. Ich trank also nochmal einen größeren Schluck, um auf dem Weg nichts zu verschütten, und klemmte den Becher dann mit in die Linke. Anschließend schnippte ich mit der Rechten, hob sie und wartete, dass sich Tuktuks Schulter darunter schob.


    Zum Glück war es nicht weit, bis Tuktuk wieder stoppte und seine Schulter nach unten weg zog. Sobald ich mich mit 'Meinesgleichen' unterhielt, trat er brav in den Hintergrund, wie jeder andere Sklave auch. Ich vertraute darauf, dass er mich in die richtige Richtung abgestellt hatte, allerdings war die Blickrichtung ohne Blick sowieso nicht so wichtig.


    "Salve, Antonia! Es freut mich, dich zu sehen. Das letzte mal ist schon ziemlich lange her, nicht? Ich hoffe, es geht dir gut?"

    Dass jemand seine Hochzeit in einem Garten feierte, fand ich unheimlich aufregend. Fast exzentrisch, wollte ich meinen, doch vermutlich war es in Rom Gang und Gäbe. So etwas gab es eben nur in Rom! Ich liebte Rom mit jedem Tag mehr. Zuhause in Ravenna würde ich meinen Freunden davon erzählen und ganz sicher würde es nicht lange dauern, bis die ersten Paare in den Gärten der Stadt heiraten würden. Schon als ich die Sänfte verließ, wusste ich, dass wir richtig waren. Es roch nicht nur nach Garten - Hyazinthen, Malve, Lilien, Jasmin, Zinnien, Dahlien, Rosen, Lupinien - es klang auch nach einer Feier, wenn auch noch etwas verhalten.


    Die Braut war meine Nichte zweiten Grades, Epicharis, die Tochter von Menecrates. Sie heiratete einen Flavier. Tuktuk hatte sich bei den Sklaven in der Villa Claudia umgehört. Das einzige, was er jedoch herausbekommen hatte war, dass der Bräutigam in der Legio I gewesen war. Vermutlich hatte er Menecrates dort kennen gelernt und die Hochzeit war beschlossen worden, damit einer von beiden im Leben voran kam. Da der Flavier nicht im Senat saß, versuchte er sich vermutlich Menecrates' Senatorenstimme zu sichern. Blut war in Rom noch immer das Bindemittel der Politik, vor allem unter Patriziern. Allerdings interessierte mich herzlich wenig, warum heute geheiratet wurde. Die Hauptsache war, dass geheiratet wurde. Das Paar hatte meistens sowieso nicht viel Einfluss darauf, schon gar nicht die künftige Ehefrau, so dass wenigstens die Gäste das Beste aus diesem Tag machen mussten. Ich war fest entschlossen, das Beste aus diesem Tag zu machen.


    Ich hatte natürlich keine Einladung erhalten. Allerdings wusste ich nicht, dass Epicharis und ihr Zukünftiger die Anzahl der Gäste gering gehalten hatten. Doch bei fast allen claudischen Hochzeiten war es üblich, dass die Familie nur den Termin genannt bekam, und es wurde erwartet, dass jeder Claudier antanzte. Von mir war es zwar nie erwartet worden und ich hatte mich nur seltenst auf den Weg aus Ravenna hinaus gemacht, denn Reisen und fremde Umgebungen waren immer anstregend. Heute jedoch, wo ich in Rom war und eben diese Hochzeit in Rom stattfand, würde mich niemand davon abhalten können, zu erscheinen - außer die Braut persönlich vielleicht.


    Genau genommen war es allerdings schon zu spät, denn eine Hand auf Tuktuks Schulter, die andere um meinen Stock, trat ich über die Schwelle zum Garten. Tuktuk nannte meinen Namen und erwähnte die verwandtschaftliche Beziehung zur Braut und anscheinend war das genug für die wachhabenden Torsklaven, die unerwünschte Gäste an diesem Tag aus dem Garten hielten. Ein Sklave wies mich an, ihm zu folgen, und unter meiner Hand hob sich Tuktuks Schulter, was mir anzeigte, dass es weiter ging. Unter unseren Füßen knirschten die Kiesel und weitere Düfte zogen an meiner Nase vorbei, ebenso wie die Geräusche der Natur an meinen Ohren. Zwischendurch roch irgendetwas merkwürdig säuerlich, ein Tier vermutlich, doch war der Geruch zu schnell wieder verflogen, als dass ich Tuktuk danach fragen konnte. Dieser Garten war sicher auch ohne Hochzeit einen Besuch wert.


    Kurze Zeit später stoppten wir, das Geräusch leiser Gespräche vermischte sich mit dem Zirpen der Vögel und einem kurzen Auffauchen irgendwo tief aus dem Garten heraus. Der Torsklave verließ uns, dafür wurde mir ein Getränk angeboten, welches Tuktuk in Empfang nahm und mir in die von seiner Schulter genommene und nach vorne gestreckte Hand drückte.


    "Die Braut trägt einen roten Schleier, Tuktuk, schau, ob du sie irgendwo findest. Und sag mir Bescheid, falls du sonst jemanden siehst, den ich kenne."


    Das bezog sich natürlich vorwiegend auf die Verwandtschaft, denn sonst würde ich kaum irgendjemanden kennen. Ich kannte noch nicht einmal den Bräutigam, glaubte ich zumindest, so dass ihn auch mein Sklave nicht erkennen würde. Da es vermutlich dauern würde, bis Tuktuk die Lage sondiert hatte, nippte ich schon einmal an dem Becher und stellte fest, dass der Wein ziemlich wässrig war. Natürlich wunderte mich das zu dieser Stunde nicht wirklich, trotzdem war es bedauerlich. Mit der anderen Hand drückte ich die Spitze meines Stocks zwischen die Steine am Boden und horchte gleichzeitig in die Gegend.