Beiträge von Nero Claudius Tucca

    Dass Verus erst seit einem Tag in Rom war, erklärte zumindest, warum Menecrates nichts von ihm gesagt hatte. Ich folgte ihm zu den Klinen, von denen ich die erste Kante schon nach ein paar Schritten mit dem Stock fand. Es ärgerte mich, dass ich ihnen so nah gewesen war, vermutlich war ich nur einmal nach rechts statt links. Hätte mir Tuktuk nur den Weg beschrieben, hätte ich es auf ihn geschoben, denn Tuktuk hatte schon immer Schwierigkeiten mit Rechts und Links gehabt. Allerdings war ich den Weg selbst mit ihm gegangen und hatte die Schritte gezählt. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich schon ziemlich lange keine neuen Wege mehr beschritten hatte. In Ravenna kannte ich mich längst aus und wenn ich einmal aus der Stadt raus gekommen war, dann nie lange genug als dass es nötig gewesen wäre, mir Wege zu merken.


    "Nachdem wir nicht vorhaben, ein gesellschaftliches Ereignis aus unserem Gespräch zu machen, ist mir der Platz völlig gleich."


    Ansonsten legte ich durchaus Wert auf meinen Platz, vor allem außer Haus. Ich stand in der Ämterhierarchie natürlich ganz unten, doch ich war ein Claudius und hatte eine der großartigsten Familiengeschichten, die ein Römer haben konnte. Meine Vorfahren hatten Rom und dem Imperium viel von seiner Pracht gegeben. So viel, dass es auch auf mich noch nachwirkte und mich in den meisten Fällen vor einem Platz am Ende der Klinen bewahrte - zumindest in Ravenna. Vielleicht hätte ich nicht ganz so viel Wert darauf gelegt, wenn es mir nicht gleichzeitig auch einen Vorteil bei der Unterhaltung geboten hätte. Vor allem bei regen Tischgesprächen war es einfacher für mich, mich mit jemandem direkt neben mir zu unterhalten, als von irgendwo auf der anderen Seite des Tisches die Stimme meines Gesprächspartners aus den anderen Gesprächen herauszufiltern.


    Ich löste meinen Arm von Verus und fuhr mit der Hand den Stock entlang nach unten bis ich die Kline berührte. Dann prüfte ich den Platz nach rechts und links, bevor ich mich setzte und den Stock vor die Kline auf den Boden legte. Nachdem auch Verus Platz genommen hatte, ergriff ich das Wort.


    "Ich bin auch erst vor ein paar Tagen angekommen. Um ehrlich zu sein, mir ist in Ravenna die Decke auf den Kopf gefallen. Nautius Carbo ist letzten Winter über den Styx gesegelt, so dass die gesellschaftlichen Großereignisse in diesem Jahr rar werden."


    Carbo hatte hinter vorgehaltener Hand den Beinamen Caesar Ravennae getragen und sein Vermögen in das Allgemeinwohl der städtischen Oberschicht gesteckt. Seine Gelage waren legendär gewesen, sein Ende nicht ganz unerwartet. Dennoch hatte es uns alle getroffen und in einem erlahmten Alltag zurück gelassen.


    "Ein Philosoph aus Rhodus, den ich für den Mai eingeladen hatte, hat kurzfristig abgesagt, weil er einen Ruf nach Athen bekommen hat. Und Servilius Ruso hat sich in den Kopf gesetzt, die nächsten Jahre Ägypten zu bereisen, so dass ich zwar interessante Berichte von dort erhalte, mir allerdings nicht nur ein Ludus Latrunculorum-Gegner fehlt, sondern mit ihm auch das Leitpferd zum Ausreiten. Deswegen hielt ich es für eine äußerst gute Idee, endlich doch noch einmal Rom zu besuchen und meiner Verwandtschaft ein bisschen auf die Nerven zu fallen."


    Ich grinste ein wenig schief.


    "Ich muss allerdings gestehen, dass ich mir die Stadt lange nicht so groß vorgestellt habe. Ich war bei einem Theaterstück zu den Megalesia. Das Stück war wirklich gut, aber ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Haufen erlebt."


    Obwohl mir das Treiben in der Stadt wirklich gut gefiel, war ich mir noch nicht sicher, wie lange ich es aushalten würde. Natürlich konnte ich immer auf Tuktuk vertrauen, doch ich legte auch Wert auf meine Selbständigkeit. Momentan konnte ich mir allerdings nicht vorstellen, in Rom jemals irgendwo hin allein zu gehen.


    "Aber nun sag schon, Verus, warum bist du hier? Hast du dein Studium abgeschlossen oder wirst du bald wieder nach Athen zurück kehren?"


    Mit einem Mal drehte sich mein Kopf zur Seite, so dass mein Ohr in direkter Linie zu Verus lag. Es war eine unbewusste Reaktion, weil ich so nun einmal mein Gegenüber am besten hörte. Ich versuchte es normalerweise zu vermeiden, da es durchaus als unhöflich angesehen werden konnte. Es erweckte oftmals den, allerdings falschen, Eindruck, ich würde mich abwenden. Aber manchmal, wenn ich erstaunt oder überrascht war, vergaß ich es. Im Moment war ich überrascht über den Gedanken, der mir eben gekommen war. Verus war nun etwa so alt wie ich damals, als meine erste Ehe geschlossen worden war.


    "Du bist doch nicht etwa nach Italia gekommen, um zu heiraten?"


    Eine Hochzeitsfeier in Rom wäre genau nach meinem Sinn.

    Ich tastete mit der Rechten hinter mich und versuchte den Abstand zur Lehne nach Hinten halbwegs zu erfassen und ob es möglich war, mich zurück zu lehnen. Es war, zumindest nachdem ich ein Stück zurück gerückt war und ein Kissen in Position gebracht hatte.


    "Er erzählte, dass die Parther förmlich mit ihrem Land verschmelzen und das Gelände mit in ihre Taktiken einbeziehen. Sie stellen sich nicht unbedingt als Armee auf offenem Feld, sondern attackieren mit kurzen, blitzartigen Angriffen aus dem Nichts heraus. Sie schicken schwer gepanzerte, aber trotzdem schnelle Reiterei ins Feld, die ohne Rücksicht auf eigene Verluste durch die gegnerischen Reihen wüten. Sie täuschen Rückzüge vor, verbergen sich aber nur, um sich durch das Vorrücken des Gegners einen Geländevorteil zu verschaffen und dann um so heftiger noch einmal anzugreifen."


    Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von all dem, die allerdings vermutlich mit der Realität so viel zu tun hatte wie ein Ei mit einem Würfel. Doch meine Phantasie war schon immer sehr ausgeprägt gewesen und natürlich machte auch ich mir ständig ein Bild von der Welt. Ob es mit der zu sehenden Welt halbwegs übereinstimmte, wusste ich nicht, denn ich hatte fast vergessen wie es gewesen war zu sehen. Was ich in meiner Kindheit gesehen hatte, verblasste mit den Erinnerungen daran. Die Erinnerungen an mein kindliches Leben waren nur noch Schemen, die manchmal aufblitzten, um wieder in der Versenkung zu verschwinden. Ich erinnerte mich an meine Geschwister und meine Eltern, zwei oder drei Kinder aus der Nachbarschaft, an unsere engsten Sklaven und meinen ersten Lehrer, aber ich sah sie nicht vor mir. Die Erinnerung war fast so, als würde ich sie auf meine spätere Art und Weise wahrnehmen. An die Ansicht alltäglicher Dinge in ihrer Gesamtheit erinnerte ich mich, vermutlich, weil ich sie so oft vor Augen gehabt hatte. Da war der Himmel, Gras, Bäume, Erde, gepflasterte Straßen, Regen und die Sonne. Aber auch diese Bilder sind im Lauf der Zeit verblasst und andere Wahrnehmungen davon hatten sich in den Vordergrund gedrängt. Die einzige Ausnahme war der Himmel. Es gab für mich keine Möglichkeit mehr, den Himmel wahrzunehmen.


    "So wie er es dargestellt hat, hörte es sich wie ein unkoordinierter, chaotischer Haufen an. In Anbetracht der Größe des parthischen Reichs und seiner nun schon eine ganze Weile anhaltenden Dauer, scheint mir das allerdings eher unwahrscheinlich. Es gibt viele Wege zu einem Ziel. Eine Kriegsführung, die auf den Gegner verwirrend wirkt, dabei aber im Hintergrund taktisch geplant ist, kann sicherlich auch ein zielführender Weg sein. Insbesondere gegenüber einem Gegner, der seine Stärke aus seiner Struktur zieht."


    Für Menecrates schien die Frage nach einem Sieg in Parthien keine Frage zu sein. Ich war selbst ein sehr patriotischer Römer und von der Übermacht unserer Armee überzeugt. Allerdings erwartete ich gerade deswegen, dass die Legionen erst dann zurück nach Italien kamen, wenn die fremden Gebiete erobert waren. Die Legio I passte deswegen nicht in meine Vorstellung, obwohl es vermutlich gute Gründe für ihre Rückkehr gab.


    "Die römische Armee verliert allerdings auch nicht oft einen Kaiser in ihren eigenen Reihen. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Legio I zumindest in Syrien zu belassen, wenn sie noch einmal ins Feld ziehen sollte? Die Asche des Kaisers nach Rom zu transportieren mag eine ehrenvolle Aufgabe sein, aber immerhin hat ein halbes Prätorianer-Regiment den Kaiser begleitet. Wer innerhalb des Imperium würde schon wagen, diese anzugreifen, um sich der kaiserlichen Überreste zu bemächtigen? Die Legion hätte sich eben so gut die beschwerliche Reise hin und zurück sparen können."

    Römische Soldaten waren keine versteckten Partisanenkämpfer und wenn sie kamen, dann hörte man sie schon von weitem. Trotzdem stellte ich mir bei Menecrates' Worten unwillkürlich eine Einheit vor, die im Mangel eines Feindes heimlich, still und leise durch das Unterholz der Region um Mantua kroch und das Gelände erkundete. Als Junge hatte ich natürlich davon geträumt, eines Tages zur Legion zu gehen, obwohl mir der Kampf mit meinen Brüdern regelmäßig einen Haufen blaue Flecken eingebracht hatte. Als sechster Sohn der Familie standen meine Chancen, diesem Wunsch folgen zu dürfen, auch nicht schlecht, bis es dann unmöglich wurde. Ich hatte auch danach noch versucht, mit einem Gladius zu kämpfen, doch obwohl ich die Bewegungen meines Gegners hören und den Luftzug spüren konnte, war meine Reaktion nie schnell genug gewesen, darauf angemessen zu reagieren. Mein Kopf schwankte ein wenig hin und her.


    "Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Ausbildung der Legionäre eine befriedigende Beschäftigung war. Obwohl es sicherlich viele Faktoren gibt, die zu Sieg oder Niederlage führen, ist eine fundierte Ausbildung meistens der Anfang jeden Erfolges. Sei es im Militär oder in anderen Bereichen."


    Das war zumindest die Theorie, denn ich war nun einmal in vielen Bereichen nur ein Theoretiker. Doch wo sich mir die praktische Möglichkeit bot, hatte ich mir großzügig eine Ausbildung zukommen lassen. Es war der Vorteil des Spross einer patrizischen Familie, man konnte sich auch vermeintlich Unsinniges leisten, ohne es begründen zu müssen. Davon abgesehen, dass es für mich persönlich meistens keineswegs unsinnig war, immerhin war es trotz allem mein Leben.


    "Den Becher", wandte ich mich ein wenig leiser an Tuktuk und hielt die Hand auf, bis ich die kühle Oberfläche des Gefäßes spürte.


    Ich trank einen Schluck und reichte den Becher wortlos an Tuktuk zurück, der bereits darauf wartete. Außergewöhnliche Geschichten erlebte ich selten, mein Leben war mehr vom Alltag geprägt. Vermutlich sog ich deswegen die Abenteuer anderer begierig wie ein Schwamm in mich auf.


    "Ich kann dir von der Ankunft der Legio Prima in Ravenna berichten. Das war so ziemlich das größte Ereignis, das ich in der letzten Zeit erlebt habe. Es war schwer, zum Hafen durch zu kommen. Nachdem sich die Nachricht von der nahenden Ankunft verbreitet hatte, waren viele Angehörige nach Ravenna gekommen, um die Soldaten zu begrüßen. Es war unheimlich laut, allerdings angenehm laut."


    Ich war in diesen Tagen nur in Tuktuks Begleitung vor die Tür getreten. Trotz der Tatsache, dass die Legion nicht wirklich siegreich zurückgekehrt war, überwog die allgemeine Wiedersehensfreude eindeutig, und obwohl die Soldaten keinen Ausgang bekommen hatten, hatte das die Bevölkerung nicht davon abgehalten, ihre Rückkehr zu feiern.


    "Ich habe am Hafen mit einem Zenturio gesprochen. Er hat von den Parthern erzählt, von ihren Bogenschützen und wilden Reitern, Hinterhalten und feigen Taktiken. Trotz allem glaube ich, er war von ihrem Kampfeswillen beindruckt, obwohl er versucht hat, es nicht durchklingen zu lassen. Verwunderlich finde ich das jedoch nicht, den Kampfeswillen, immerhin verteidigten diese Männer ihre Heimat."


    Selbst ich würde mich mit meinem Spaten in den Garten stellen, um mein Land zu verteidigen, wenn es notwendig sein würde. Und vermutlich würde ich dabei meine Nachteile im Kampf durch um so größeren Willen ausgleichen.


    "Ich frage mich, ob Valerian noch einmal Legionen nach Parthien schicken wird, um zu beenden, was begonnen wurde. Dass der Augustus dort fiel, wird der Sache sicherlich noch lange nachhallen."

    Ich lauschte in das Atrium und hörte den Ankömmling noch bevor er etwas sagte. Da ich in diesem Haus noch niemanden an seiner Gangart erkennen konnte, war es nicht verwunderlich, dass ich auch diese Person nicht kannte. Zumindest glaubte ich, sie nicht zu kennen, bis ich seine Stimme hörte.


    "Verus?"


    Nicht nur meine Stimme klang ziemlich erstaunt, auch die tiefen Furchen in meiner Stirn zeugten von meiner Überraschung. Dass jeder Blinde eine einmal gehörte Stimme jederzeit wieder erkennt, ist natürlich vollkommener Unsinn. Es erkennt immerhin auch nicht jeder Sehende jedes einmal im Leben gesehene Gesicht wieder. Aber Verus' Stimme hatte ich nicht nur einmal gehört, ich kannte sie gut. Er hatte mich einige Mal in Ravenna besucht und obwohl wir beinah ein Jahrzehnt auseinander waren, hatten wir uns immer gut verstanden. Er war ein kluger Kopf und einer dieser Claudier, die dem Ruf ihres Namens folgen wollten, Politik, Ämter und Ehren eingeschlossen. Ich hatte geglaubt, er wäre derzeit in Athen, denn wie die meisten klugen Patrizier, die dem Ruf ihres Namens folgen wollten, hatte er sich dort gemeinsam mit seinem Bruder einem Studium gewidmet.


    "Was ich hier mache? Ich mache mich mit dieser Villa vertraut. Aber was mich viel mehr interessieren würde ist, was du hier machst?"


    Warum hatte Menecrates seine Anwesenheit nicht erwähnt? Hatte er ihn vergessen? Mir fiel wieder ein, dass ich Tuktuk immer noch nicht danach gefragt hatte, wie alt Menecrates ungefähr genau war.


    "Doch bevor wir hier im Herumstehen ein Gespräch anfangen, würdest du mir helfen? Denn anscheinend bin ich ohne Tuktuk leider noch nicht sehr vertraut mit dieser Villa."


    Ich drehte meinen Stock zwischen den Händen. Es war eine Geste der Verlegenheit, der ich mir jedoch nicht wirklich bewusst war, da ich sie niemals offen gezeigt hätte.


    "Eigentlich wollte ich zu den Klinen hier im Atrium. Es sind drei Stück um einen Tisch herum, bezogen mit weichem Stoff, der am summus in imo schon leicht aufgeraut ist. Drauf liegen große Kissen, etwa so breit."


    Ich nahm meine Hände so weit auseinander, wie ich mich daran erinnerte, ein Kissen dazwischen gehalten zu haben.


    "Sie sind mit dem gleichen Stoff bezogen und mit einer gezackten Borte gesäumt. Die Kanten am Tisch sind abgerundet, das Holz ist glatt poliert. Wenn man auf der lectus medius liegt, dann hat man das impluvium im Rücken."


    Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass je genauer man zu beschreiben wusste, wo man hin wollte, desto seltener landete man irgendwo, wo man nicht hin wollte.


    "Sie müssen hier ganz in der Nähe sein."


    Vermutlich standen sie nur ein paar Schritte neben uns. Aber da sie keinen Ton von sich gaben und sich auch nicht bewegten, war es für mich beinah unmöglich, sie wahrzunehmen.


    "Wenn du mich zu ihnen bringst, erzähle ich dir auch, was mich nach Rom getrieben hat."


    Ganz davon abgesehen, dass ich Verus darüber ausquetschen würde, was er in Rom machte. Auffordernd schob ich meinen rechten Ellenbogen ein wenig nach vorn, so dass er mich führen konnte.

    Im Nachhinein der Megalesia hatte ich mir eingestehen müssen, dass mir der Ausflug durch das prall gefüllte Rom ausnehmend gut gefallen hatte. Ein bisschen hatte ich mich sogar geärgert, dass ich nach dem Theater so schnell zurück zur Villa Claudia geflüchtet war. Ich war in Rom - mittendrin. Nicht nur geographisch gesehen im Zentrum der Welt, sondern wirklich mittendrin. Heute, zu den Ludi Florales, wollte ich das voll und ganz auskosten. Ich liebte dieses Fest wie die Göttin dazu, denn mal ehrlich, welcher Mann konnte so ein Fest nicht lieben?


    Die Floralia in Ravenna waren immer ein Fest für alle Sinne, aber ganz besonders für den Geruchssinn. Der Anblick der Florales war vermutlich auch nicht ohne, doch dazu konnte ich schlecht Stellung beziehen. Die Floralia in Rom allerdings waren einfach nur umwerfend. Zum Glück hatte Tuktuk mich dazu überredet, eine Sänfte bis zum Circus Maximus zu nehmen, denn sonst wäre ich vermutlich nicht bis dorthin gelangt. Anfangs versuchte ich noch, die verschiedenen Gerüche aus der Luft zu greifen, doch irgendwann wurde es einfach zu viel. Ganz Rom schien unter einer wabernden Duftwolke aus Blütenduft gefangen zu sein.


    Ein Stück vor dem Circus legte sich meine Hand auf Tuktuks Schulter und ich folgte ihm mit einem Gang, als würde ich über Wolken laufen. Ich erinnere mich an den Anblick der Wolken, flauschige Büschel, wie die Blume eines Kaninchens. Auf Wolken zu laufen, das muss sein, wie über eine Mischung aus Fell und Sand zu gehen, die Schritte unsicher, aber ohne das Gefühl eines möglichen Fehltrittes. Beständig wandte sich mein Gesicht hin und her, um die vielfältigen Düfte zu riechen, und die Furcht, dass ich Tuktuk in diesem Gewühl verlieren könnte, war nur noch irgendwo in meinem Hinterkopf präsent. Tuktuk war außerdem die Ruhe selbst, wie immer. Man sollte meinen, ein Mensch, der mit den paar Menschen seiner Sippschaft aufgewachsen ist und ansonsten nur mit ein paar Ziegen und endloser Weite, der würde sich in solchen Massen nicht wohl fühlen. Doch Tuktuk schob sich durch die Menschen wie ein wandelndes Monument.


    Als wir die erste Treppe erreichten, blieb ich natürlich promt an der ersten Stufe hängen. Ich hatte Tuktuks Warnung nicht gehört, und Rom war nun einmal keine Wolke. Nach dem kleinen Zwischenfall im Marcellustheater hatte ich an diesem Tag meinen Stock dabei, und statt ihn nur wie bisher in der Linken zu halten, nutzte ich ihn nun, um zusätzlich zu Tuktuks Weisungen den Weg zu erkunden. So kämpften wir uns durch die Menge bis zu einem Sitzplatz irgendwo im Circus vor. Unauffällig schob ich die Stockspitze ein Stück nach vorne, um den Platz bis zur nächsten Reihe abzuschätzen, dann lauschte ich in die Gegend.


    Tierhatzen waren leider nicht unbedingt etwas, dem ich viel abgewinnen konnte. Aus Fauchen, Brüllen, Hufgetrappel und tierischen Qual- und Sterbenslauten ließ sich nur eine ziemlich chaotische Vorstellung vom Geschehen im Circus aufbauen. Allerdings war das natürlich kein Grund, nicht zu kommen. Ludi waren Ludi, dabei ging es nicht nur um das, was auf der Bühne, in der Arena oder auf der Bahn stattfand. Ludi waren ein Lebensgefühl, vielleicht war es sogar das Lebensgefühl, das uns Römer ausmachte. Brot und Spiele hielten das Volk bei Laune, so war das schon immer gewesen. Brot konnte ich nicht viel abgewinnen, aber nach Spielen gierte ich wie ein Plebeier, ohne genau zu wissen, weshalb.


    Ich schickte Tuktuk, mir etwas zu Trinken zu holen, und hoffte, er würde den Weg wieder zurück finden - natürlich nur im Hinterkopf. Dann wurden die venatio auch schon angekündigt, und merkwürdigerweise war der Ausrichter ein Quaestor.


    "Spiele, die von einem Quaestor ausgerichtet werden ... hier in Rom versuchen sie aber auch alles, um in der Politik voran zu kommen", bemerkte ich erstaunt, ohne irgend jemanden konkret damit anzusprechen.


    Nicht zum ersten Mal in meinem Leben war ich froh, dass mir dieser Weg durch die Politik erspart geblieben war.

    Zwei mal war ich verheiratet. Meine erste Frau ist mit einem Senator durchgebrannt, die zweite habe ich ins Grab gebracht. Seitdem bevorzugte ich kurzweilige Beziehungen, denn am Ende verlassen einen die Frauen doch nur.


    Bei meiner ersten Hochzeit war ich achtzehn und sie vierzehn. Die Ehe war schon beschlossen worden als wir beide noch Kindern waren und ich, nun, sagen wir ruhig als ich noch ein vollwertiger Patrizier war. Volumnia Philonica war die vierte Tochter ihres Hauses, also nicht unbedingt für eine wichtige Verbindung vorgesehen, deswegen löste ihr Vater das Verlöbnis auch nicht, als ich dann kein vollwertiger Patrizier mehr war. Er drückte ihre Mitgift und bekam am Ende doch alles was er wollte, nämlich die Verbindung zur Claudia. Sie dagegen hatte sich mehr erhofft als nur meinen Namen, sie wollte Politik treiben in großem Stil und war deswegen natürlich maßlos von mir enttäuscht. Ich habe ihretwegen tatsächlich eine Weile lang versucht, mich am lokalpolitischen Leben Ravennas zu beteiligen, doch funktioniert hat es nicht. Worüber ich auch nicht unbedingt unglücklich gewesen bin.


    Anfangs führten wir zumindest eine Art Ehe, dann blieb Philonica immer öfter über Nacht fort, wie sie sagte bei Freundinnen. Später reiste sie oft nach Rom zu anderen Freundinnen. Ich mag zwar nichts sehen, aber begriffsstutzig bin ich deswegen noch lange nicht. Sie verbrachte ihre Nächte natürlich in fremden Betten und landete schließlich bei einem Senator. Wir einigten uns darauf, dass wir nicht mehr Aufmerksamkeit darauf lenken müssten als notwendig, ließen uns nach zwei Jahren Ehe scheiden und das war es. Sie heiratete diesen Senator, der sich ein paar Jahre später in enorme Schulden stürzte und kurz darauf starb. Oder gestorben wurde, ich weiß es nicht genau. Sie steckte in all dem mit drin und hatte Glück, noch die Hälfte ihrer Mitgift wieder zu bekommen. Nicht, dass ich nachtragend war, aber ein bisschen schadenfroh war ich schon, da sie sich danach irgendwo im Süden verkriechen musste, in einem einfachen Haus, wie Unbeteiligte mir zu Ohren getragen haben, ohne bedeutenden Namen und ohne Politik.


    Ein Jahr nach der Scheidung heiratete ich noch einmal, Genucia Lenaea. Die Hochzeit wurde von einem meiner Verwandten arrangiert, der eine Verbindung zu Lenaeas Familie brauchte, um an einen Statthalterposten in Gallien zu kommen. Tuktuk sagte immer, sie hatte Haare wie ein Krähennest und abstehende Ohren, doch für mich war sie die schönste Frau der Welt. Ihre Nase war vollkommen gerade und in ihrer Stimme lag stets eine unbändige Lebensfreude. Manchmal flüsterte sie fast, so als befürchtete sie, ihre Freude könnte das Glas sprengen. Ihre Haut war zart und weich, sie duftete wie ein Beet voller Erdbeeren und wenn sie am Webstuhl saß oder stickte, dann summte sie leise vor sich hin. Sie hatte keine Ambitionen außer einer Ehe und wir liebten uns fast drei Jahre lang. Dann starb sie und nahm unser Kind mit sich.


    Das war bald fünf Jahre her.

    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides
    ...
    „Ähm, guter Mann, ich...öhm...verzeih' noch mal meine reichlich törichten Worte vorhin, ich ahnte nicht, was der Grund des Versehens von davor war. Schönen Abend noch! Vale!“
    Marcus, auf dessen Wangen erneut die Schamesröte zurück kehren wollte, lehnte sich auf die Krücken und humpelte eilig davon, um sich ebenfalls in die Schlange einzureihen, die das Theater verließ.


    Die gereizte Stimmung des Flaviers vor mir schlug nach meinen Worten ziemlich schnell in unsicheres Gestammel um, was mir im Grund ebenfalls unangenehm war, wenn auch vermutlich nicht so sehr wie ihm.


    "Schon gut", beendete ich die Situation kurz und knapp, in der Hoffnung, dass er es nun endlich dabei belassen würde.


    Da ich mir die Stimmung nicht verderben lassen wollte, versuchte ich meinen Vordermann wieder aus meinem Sinn zu drängen. Es war nicht die erste Situation dieser Art in meinem Leben, und würde auch kaum die letzte sein. Zudem hatte ich längst aufgehört, mich für die Fehler anderer im Ungang mit mir zu rechtfertigen oder zu entschuldigen - irgendwann wird man so etwas einfach leid. Ich zog meine Füße weit zurück und lauschte dem Ende des Stücks. Es war ein ungewöhnliches und lustiges Ende, was mir sehr gut gefiel. Wie tausende Menschen um mich herum applaudierte auch ich nach der letzten Szene lange.


    Als die Menge der Theatergänger in Bewegung geriet, stand ich auf. Ich wäre gerne sitzen geblieben und hätte gewartet, bis die Gänge so leer waren, dass ich das Amphitheater in Ruhe verlassen konnte. Doch da die Gänge, wie ich nun wusste, nicht eben breit waren, legte ich keinen Wert darauf, dass meine Füße weiter im Weg standen.


    "Gehen wir, Tuktuk. Versuche uns mit dem Strom nach draußen zu bringen. Und sag' mir rechtzeitig Bescheid, wenn ich wieder auf meine Füße aufpassen muss."


    Tuktuk nahm meine Rechte und legte sie auf seine rechte Schulter. Das war nicht das übliche Vorgehen, doch der Gang war zu schmal, um nebeneinander zu gehen. Ich konnte an seinen Bewegungen spüren, welchen Fuß er vor setzten, so dass ich meinen Schritt an ihn anpasste. Neben uns meldte sich noch einmal mein vorheriger Vordermann zu Wort. Ich befürchtete schon, dass er es einfach nicht lassen konnte, allerdings entschuldigte er sich noch einmal.


    "Ist schon vergessen, solche Dinge passieren mir durchaus öfter."
    "Es geht voran, njaatigi."


    Ich zögerte noch, doch Tuktuks leise Worte rissen mich los. Ich hatte wirklich kein Bedürfnis, an diesem Tag nochmal jemandem im Weg zu sein. Also bot auch ich dem guten Mann nurmehr einen Gruß.


    "Vale, ich wünsche dir ebenfalls noch einen schönen Abend."


    Langsam schoben wir uns durch das Theater, meine Hand verkrampft auf Tuktuks Schulter. Überall um uns herum wurde nun laut gesprochen, gerufen und gelacht, so dass ich ganz automatisch den Kopf nach vorne neigte, um ja keinen von Tuktuks Hinweisen zu verpassen. Laute Menschenmassen waren für mich immer anstrengend, so dass ich froh war, als wir endlich die Sänfte erreicht hatten. Dass auch diese sich nur langsam vom Theater entfernte, störte mich kaum noch.


    Das Theaterstück hatte mir gut gefallen, doch ob ich Rom mochte, da war ich mir noch nicht ganz sicher.

    Meine Begeisterung hielt sich für den Anfang deutlich in Grenzen.


    "Militärische Literatur? Nun denn, immerhin werde ich dabei nichts finden, was ich schon kennen würde."


    Vielleicht würde einiges davon sogar ziemlich spannend sein. Die Ilias war schließlich auch eine Art militärischer Bericht und die Beschreibung einer soldatischen Reise war sicher nicht großartig anders als der Reisebericht eines Abenteurers. Ich lauschte ausnehmend gern Berichten über ferne Länder, andersartige Kulturen und fremde Landschaften. Wahrscheinlich weil ich wusste, dass ich selbst kaum jemals meinen Fuß über die Grenzen der Provinz Italia setzen würde.


    "Du warst selbst im Militär, nicht wahr? Bist du weit im Imperium herum gekommen?"

    Der Rest des Honigteilchens landete in meinem Mund, zerbröselte zwischen meinen Zähnen und wanderte in meinen Magen hinab. Menecrates' Ausführungen hörten sich fast an, als hätten sich in dieser Villa schon alle Bewohner verabschiedet. 'Rom sehen und sterben' war wohl nicht wortwörtlich zu nehmen, sondern bildlich gesprochen. Nachdem man Rom gesehen hatte, lebten man dort wie lebendig begraben weiter.


    Zeit hatte ich für Gelage natürlich immer, Interesse noch mehr und am Geschick fehlte es mir auch nicht. Nur wusste ich kaum, wen ich in Rom zu so etwas laden sollte. Außerdem machte mich dieser Zusatz etwas stutzig, 'wobei sicher nicht jeder hier gern gesehen ist'. Für das erste war es wohl besser, sich auswärts zu vergnügen, bis ich eine genauere Vorstellung vom Leben in dieser Villa hatte.


    "Ich verstehe. Momentan würde mir sowieso niemand einfallen, den ich einladen wollte. Aber vielleicht komme ich bei Gelegenheit auf die Möglichkeit zurück."


    Zumindest die baldige Hochzeit versprach ein Fest. Für die Hochzeit seiner Tochter würde sich Menecrates sicherlich nicht lumpen lassen und als Verwandter des Brautvaters würde ich den Vorteil haben, schon im richtigen Haus zu sein. Gleichzeitig würde das eine gute Gelegenheit sein, die Crème de la crème des römischen Adels kennen zu lernen.


    "Gibt es eigentlich eine Bibliothek in diesem Haus?"


    Natürlich las ich nicht. Tuktuk las und ich hörte zu. Das Problem an öffentlichen Bibliotheken war jedoch, dass es dort nicht gerne gehört wurde, wenn jemand laut las. Deswegen hatte ich zuhause in Ravenna eine reichhaltige Sammlung Schriften angehäuft. Was die Lyrik betraf kannte ich viel auswendig, ein paar Klassiker hatte ich mir mitgebracht, doch ich hoffte natürlich auch auf neues.

    Es war wichtig, den Weg zum Atrium zu kennen und ihn alleine zu finden. Davon abgesehen, dass es wichtig war, sich in seinem eigenen Heim zurecht zu finden, war das Atrium Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Wenn ein Gast kommen würde, dann würde ich ganz allein diesen Weg antreten und bis zum Anfang des Raumes gehen. 'Salve, mein lieber Gast', würde ich ihn begrüßen bevor ich das Atrium betrat. Er würde sich umdrehen, vielleicht ein paar Schritte gehen und die Begrüßung erwidern, so dass ich genau wissen würde, wo er stand und auf ihn zugehen konnte. Dann würde ich auf die Klinen weisen, von denen ich längst wusste, wo sie standen und wir würden uns setzen. Ich würde die Sklaven der Villa noch entsprechend erziehen müssen, dass die Klinen tatsächlich immer dort standen, wo ich sie erwartete.


    Aus diesem Grund hatte ich gemeinsam mit Tuktuk die Villa erkundet. Wir waren mehrmals den Weg von meinem Cubiculum bis ins Atrium abgegangen, ich hatte Schritte gezählt und er hatte mich auf alles hingewiesen, was wichtig war. Jetzt war ich alleine an der Reihe. Später würde ich den Weg ganz ohne Hilfsmittel gehen, doch noch hielt ich meinen Stock in der Linken. Ich brauchte ihn nur dann, wenn ich ohne Tuktuk unterwegs war, denn sonst gab dieser den Weg vor. Wenn ich allerdings alleine war, vor allem außerhalb der Villa, verhinderte der Stock, dass ich über unvorhergesehene Hindernisse stolperte oder jemanden anrempelte, gleichzeitig lieferte er mir Information über die Bodenbeschaffenheit und den Weg. Er war aus Kirschholz, und zwar nicht aus einem wild gewachsenen Ast, sondern aus einem Stamm geschnitten, zuerst als Vierkantholz und danach rund gefeilt, weshalb er schnurgerade war. Er war glatt poliert und der Griff mit einem weichen Band aus Rehleder umwickelt, welches in einer Schlaufe endete. Die Spitze wurde von einem Eisenhut umfasst, denn das Geräusch von hartem Eisen auf irgendetwas anderem war eindeutiger als das von weichem Holz auf irgendetwas. Natürlich war es eine Maßanfertigung, auf meine Größe zugeschnitten, und mehr wert, als die meisten Römer an einem Tag verdienten - nicht nur im ideellen Sinn für mich, sondern auch als Investition gesehen - wenn auch vermutlich außer mir niemand einen Preis dafür zahlen würde


    Mein Schritt war trotzdem ziemlich vorsichtig als ich durch die Gänge schlich. Ab hier fünf Schritte, dann nach links. Ich streckte meinen linken Arm zur Seite, dann noch ein Stück bis ich ein leises Klacken hörte. Dann drehte ich mich und ging vorsichtig ein paar Schritte weiter. Da sich vor mir keine Wand auftat, war ich wohl noch auf dem richtigen Weg. Vier Schritte, dann rechterhand auf den Sockel mit der Marmorbüste des Kaisers Claudius aufpassen. Nochmal sechs Schritte, dann war ich im Atrium. Ich spürte es an dem Lufthauch, der dort wehte. Egal wie gut eine Fußbodenheizung war und wie viele sonstige Wärmequellen im Raum aufgestellt waren, in einem Atrium herrschte immer eine andere Luftqualität als in den übrigen Räumen, eine frischere.


    Jetzt musste ich nur noch die Klinen finden und aufpassen, dass ich nicht im Impluvium landete. Welcher Architekt hatte sich nur so einen Schwachsinn ausdenken können - ein Wasserbecken inmitten eines Raumes? Blind war er mit Sicherheit nicht gewesen. Ich hatte es bisher auch versäumt, die Umrandung des hiesigen Impluviums zu suchen, und solange Tuktuk nicht bei mir war, wollte ich vermeiden, ihm zu nahe zu kommen. Zu meiner Verteidigung muss ich anbringen, dass ich bei den seltenen Gelegenheiten, wenn meine Füßen Kontakt mit dem Wasser gesucht hatten, nicht mehr nüchtern gewesen war.


    Fünf Schritte in den Raum hinein, drei nach rechts, dann wieder links, vier Schritte. Dann tastete ich langsam mit dem Stock nach vorne und wartete darauf, dass er gegen die Liegefläche der ersten Kline stoßen würde. Zögerlich rückte ich ein Stück weiter. Da war nichts. Dann stieß ich auf Stein. Ich tastete mit der Rechten vor mich und berührte die kühle Glätte einer Säule. Was machte eine Säule hier? Fünf Schritte in den Raum hinein, drei nach links, dann wieder rechts, vier Schritte - wo waren die Klinen? Natürlich war es möglich, dass irgendein putzwütiger Sklave sie verrückt hatte, aber nicht in so kurzer Zeit, und außerdem hätte er auch keine Säule stattdessen stehen lassen.


    Ich hatte die Orientierung verloren und das ärgerte mich. Natürlich würde Tuktuk bald nachkommen, doch ich hatte mir vorgenommen, dann schon triumphierend auf einer Kline zu liegen. Vielleicht schon mit einem Becher Wein in der Hand protzend und bis dahin dem Atrium zuhörend. Kein Raum war selbst unbeachtet so geschäftig wie das Atrium eines Hauses. Natürlich ließ sich dem auch zuhören, während man an einer Säule herum stand. Aber an einer Säule herum stehen, das war etwas für Sklaven, nichts für mich. Sitzen vielleicht, aber an eine Säule gelehnt auf dem Boden sitzen, das war nichts für einen Patrizier. Es blieb also nur Plan B, jemanden fragen, der sich damit auskannte.


    Wenn man in einer Welt, in der so viel aufs Sehen ausgelegt war, nichts sah, dann gewöhnte man sich zwangsläufig an, unverblümt Hilfe einzufordern, wenn man sie brauchte. Das hatte nichts mit Selbstsucht zu tun und das letzte, was ich mochte, war ein Eimer voller Mitleid dazu. Ich brauchte nur einfach ab und an einen Hinweis, und auf diesen bestand ich dann auch. Ich verstand natürlich, dass in dieser Welt so viel auf das Sehen ausgelegt war, wo es doch so bequem war, wenn man es konnte. Doch dann musste es für einen, der es nicht konnte, möglich sein, sich mal eben ein paar Augen auszuleihen.


    Ich drehte mich also zurück in den Raum und räusperte mich lautstark. In einer patrizischen Villa war man nie allein. Immer standen irgendwo Sklaven herum, viele nahm ich nicht bewusst wahr, denn sie standen still und stumm herum, rochen nicht nach Duftwasser oder Ölen, sprachen nicht, schienen manchmal sogar das Atmen zu unterdrücken. Doch da waren sie fast immer.


    "Ist zufällig irgend jemand hier?"



    Sim-Off:

    Frei für Mitschreiber. :)

    Tuktuk hatte ich bekommen, nachdem ich ein paar Monate lang hilflos durch die Dunkelheit geirrt war. Zu dieser Zeit war ich wütend auf alles gewesen, auf das Leben, darauf, dass ich nicht gleich gestorben war, auf meine Umgebung, auf mich selbst, auf die gesamte Welt. Ich hatte mich in meinem Cubiculum versteckt, wollte nicht einmal zum Essen, weil es mir sogar vor meinem Onkel peinlich war, nicht einmal richtig essen und trinken zu können, obwohl ich genau wusste, dass er wegen seine Alters schon mächtig zitterte und selbst die Hälfte verschüttete und versaute. Ich wollte keinen Stock in die Hand nehmen, wollte nicht wie ein Blinder in der Gegend herumtasten, aber auch nicht über alles stolpern, was mir im Weg lag. Genau genommen wollte ich gar nichts mehr. Und um ehrlich zu sein, hatte ich unglaubliche Angst. Ich hatte schon vorher panische Angst vor der Dunkelheit gehabt, auch nachts musste immer ein Öllämpchen in meinem Cubiculum brennen und wenn ich aufwachte und es aus war, hatte ich geheult wie ein Trauerweib. Nun war auf einmal alles um mich herum finster, nirgends auch nur das kleinste Flämmchen zu sehen. Ich erschrak jedes mal, wenn ich irgend etwas berührte, weil ich es da wo es war nicht vermutete. Ich erschrak, wenn auf einmal eine Person vor mir stand ohne dass ich sie kommen gesehen hatte. Ich erschrak, wenn ich das Essen auf meinem Teller berührte. Ich erschrak, wenn jemand an die Tür klopfte. Kurzum, ich erschrak andauernd, weil ich nicht sah, wer oder was auf mich zukam und um mich herum war. Ich versuchte so angestrengt etwas zu sehen, dass ich völlig vergaß, dass der Mensch noch weitere Sinne hatte, dass ich nicht zuließ, auf andere Weise etwas wahrzunehmen.


    Ich habe keine Ahnung, wo mein Onkel Tuktuk aufgetrieben hatte. Er war ein paar Jahre älter als ich, aber trotzdem nicht viel größer. Er sei so schwarz wie die Nacht, hatte mein Onkel gesagt, deswegen würde er gut zu mir passen, denn da ich nur noch schwarze Nacht um mich herum sah, würde er mir gar nicht auffallen. Ich wollte keinen Sklaven, wie ich auch sonst nichts wollte, doch Tuktuk blieb in meinem Cubiculum sitzen - was hätte er auch sonst tun sollen? Zu dieser Zeit war er etwa zwei Jahre in römischem Besitz und sprach ein ziemlich mäßiges Latein. Er war samt seiner Familie eingefangen worden und als er von seinen Eltern getrennt worden war, hatten sie ihm als Rat mit auf den Weg gegeben, dass er tun solle, was man ihm sagt, dann würde er ein gutes Leben haben, viel besser als sein bisheriges.


    Erst viel später habe ich herausgefunden, dass sie wohl tatsächlich Recht hatten, und dass Tuktuk deswegen sich nie beklagt hat oder den Drang verspürte, zu fliehen. Er stammte aus einem Land, in dem die Erde so trocken ist, dass man mit Händen nicht in ihr graben kann. Jeder kümmerliche Grashalm, der aus diesem Boden wächst, ist von Anfang an trocken wie Heu. Die Menschen leben in Sippen ohne feste Dörfer oder Häuser. Am einen Tag sind sie hier, am nächsten packen sie ihre Sachen und ziehen weiter auf der Suche nach Wasser und Nahrung. Wer kein Jagdglück hat, muss die seinen hungern lassen. Tuktuk hatte oft gehungert, manchmal Tage. Er war zufrieden gewesen mit seinem Leben, doch es war nichts im Vergleich mit dem, was ihn im römischen Imperium erwartet hatte.


    Da saß er also nun in meinem Cubiculum in Ravenna, schweigend. Vielleicht hatte er mich beim Nichtstun beobachtet, vielleicht schlief er auch, ich wusste es nicht. Irgendwann aber sagte er, dass er noch nie das Meer gesehen hätte. Hätte ich damals darüber nachgedacht, hätte ich merken müssen, dass er log, immerhin war er irgendwie von Afrika nach Italia gekommen und es war schwer, das Meer dabei zu umgehen, das wusste jedes Kind. Es war die einzige Lüge, die er mir gegenüber je ausgesprochen hat. Ich sagte ihm, er könne an den Strand gehen und sich das Meer anschauen, denn ich brauchte ihn sowieso nicht. Doch Tuktuk erwiderte, dass er nicht ohne mich gehen könne, denn mein Onkel ihm aufgetragen hatte, nicht von meiner Seite zu weichen, und ob es mir etwas ausmachen würde, ihn zu begleiten, da ich doch sowieso den ganzen Tag nur untätig in meinem Cubiculum saß. Ich war deswegen wütend auf ihn und fragte, wie er sich das wohl vorstelle. Tuktuk antwortete, dass ich nur meine Hand auf seine Schulter legen müsste, dann könnte ich in seiner Fußspur laufen, denn laufen sollte ich immerhin noch können.


    Ich hatte gezögert, doch schließlich eingewilligt. Seine Schulter war knochig, der Stoff seiner Tunika rau und er roch irgendwie fremd, doch er bewegte sich unter meiner Hand geschmeidig wie eine Katze. Anfangs waren meine Schritte vorsichtig, doch Tuktuk kommentierte den Weg - Stufe, Steigung aufwärts, Riss im Boden, Fließen, Steigung abwärts, Kieselsteine, dickes Grasbüschel auf dem Weg, Pflastersteine, Sand - und während seine Stimme durch meine Ohren zog, strömten unzählige andere Eindrücke auf mich ein. Am Meer dann wusste ich nicht mehr, wohin mit meinen Sinnen. Ich hörte das Rauschen der Wellen, das rollende Geräusch, wenn Kiesel von einer Woge an den Strand gespült und wieder zurück ins Meer gezogen wurden. Ich hörte die gellenden Schreie der Möwen. Ich hörte das Rauschen der Dünengräser und der Blätter der Sträucher im Wind. Ich hörte den Wind. Ich roch den Wind. Ich spürte den Wind. Ich roch den Seegeruch, die frische Brise nach Tang. Ich spürte den Sand unter meinen Schuhen, der fester wurde, je weiter wir zum Wasser hin gingen. Und ich spürte, wie es warm um mich herum wurde, wie die Wärme auf meinen Backen zunahm, wenn ich das Gesicht nach oben wandte. Es gab kein Licht mehr und keinen Schatten, es gab keine Farben mehr und nichts zu sehen, doch es gab noch so viel mehr.


    Seitdem war kaum ein Tag vergangen, an dem Tuktuk nicht bei mir, nicht meine Augen war.

    Zusätzlich sieht man die Nasenform doch auch auf dem Avatar. ;)


    Ich glaube wohl, dass die Stimme mit den Eindruck bestimmt, den man von seinem Gegenüber hat, auch nach dem visuellen Wirken einer Person - dessen Faktoren immerhin auch im Tabularium vermerkt sind. Nicht umsonst schulen Redner, Politiker und Schauspieler ihre Stimmen, dass sie angenehm klingen. Und die schönste Frau verliert ihren Reiz, wenn sie den Mund aufmacht und eine schrille, nervtötende Stimme hat.


    Es wäre außerdem immerhin niemand gezwungen, das Feld zu füllen.


    Daneben will ich natürlich nicht leugnen, dass ich ein ausgeprägtes, charakter-persönliches Interesse daran habe. ;)

    Könnte man im Charakterbogen im Tabularium möglicherweise auch die Stimme als Feld verankern? Immerhin ist das nichts, was sich aus den üblichen Beiträgen herauslesen, was sich aber gut verwenden ließe (von mir zumindest auf jeden Fall ;) ).


    erste Vorschläge für die Stimmlage wären:


    - tiefer Basston
    - medium Bariton
    - voll tönend
    - tief tragend
    - wohl klingend
    - forsch
    - rauh/kratzig
    - schrill
    - hohe Fistelstimme
    - säuselnd
    - piepsend
    - ...

    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides
    „Bei Mars' Faust, so blind kann doch keiner sein als daß er den Vordermann nicht sieht!“
    , grollte Marcus wütend und mit aufsteigender Zornesröte in seinem Gesicht; tatsächlich hatte Marcus nicht übel Lust sich wirklich ein wenig zu krabbeln, auch wenn er eine ausgewachsene Hauerei seinem Vetter zuliebe nicht anfangen würde, es sei denn, der Mann da provozierte ihn weiter.
    „Willst Du Ärger, guter Mann, oder was ist los, hm?“


    Das Stück gefiel mir ausnehmend gut, auch wenn ich bei Kreshs Kampf nicht ganz mitkam. Doch dass er das Monster am Ende besiegt hatte, war nicht zu überhören. Die Dialoge blieben zudem sehr unterhaltsam, so dass auch ich ab und zu leise lachen musste. Meine Füße, hatte ich kurzerhand überkreuzt, so dass der obere ein Stück über den unteren hinaus ragte.


    Das ging solange gut, bis ich an meinen Zehen von vorne Widerstand spürte, ganz ohne mich bewegt zu haben. Der Typ vor mir war schon die ganze Zeit unruhig vor und zurück, hatte wieder getuschelt und seine Kommentare abgelassen. Ich hatte seine auf mich bezogenen Worte ignoriert, denn ich hatte geglaubt, dass die Sache damit erledigt wäre. Ich erwartete nicht, mit Samthandschuhen angefasst zu werden, im Gegenteil, doch ein wenig mehr Toleranz wünschte ich mir manchmal doch. Als mein Vordermann jedoch direkt unverschämt wurde, platzte auch mir der Kragen. Ich lehnte mich ein Stück nach vorne, meine Stimme war beherrscht und leise, doch eine Spur Wut hatte sich eingeschlichen.


    "Ich bin blind, guter Mann. Und zwar so blind, dass ich dich nicht sehe. Im Gegensatz dazu, dass ich dich die ganze Zeit über laut und deutlich höre. Ich bedaure sehr, dass es hier anscheinend keinen Platz für meine Füße gibt, ganz egal, wo ich sie hinstelle. Allerdings habe ich sie während der letzten zwei Szenen kein Stück mehr bewegt. Wenn du also einfach ruhig auf deinem Platz sitzen bleiben würdest, dann gäbe es auch keinen Grund patzig zu werden."


    Auch wenn die Chancen so weit vorne im Theater nicht sehr gut standen, hoffte ich doch, dass der Kerl ein Bauer vom Land war, der extra wegen der Spiele nach Rom gekommen war. Denn wenn er ein Paradebeispiel für römische Städter darstellte, dann wollte ich schon in diesem Moment meine Kisten packen und zurück nach Ravenna.

    Das Gebäckstück zerbröselte in meinem Mund und ließ die Süße des Honigs frei, während ich Menecrates zuhörte. Eine leichtes Wippen erfasste meinen Kopf, ein Art Nicken, wenn auch vermutlich eine etwas verunglückte Art Nicken.


    "Danke, ich weiß diese Offenheit sehr zu schätzen."


    Mir selbst blieb kaum etwas anderes übrig als verbale Offenheit, doch ich hatte viele Menschen kennen gelernt, die nichts mit mir anzufangen wussten und sich durchgehend ausschwiegen. Weshalb auch ich letztlich nicht viel mit ihnen anfangen konnte. Ein Nachteil dieser Offenheit war allerdings die Tatsache, dass früher oder später die Frage aufkam, was ich den lieben langen Tag so tat. Menecrates garnierte es gleich noch mit dem Wort Pflichten. Meistens tat ich sogar recht viel am Tag, doch mit Pflichten konnte ich kaum dienen. Während man einer Frau so einen pflichtlosen Tag noch ziemlich gut ausschmücken konnte, brachte mich diese Frage vor einem Mann, ganz besonders einem Verwandten und insbesondere einem Senator - der damit schon einige Pflichten hinter sich gebracht hatte - doch etwas in Verlegenheit. Ich hatte natürlich genügend Männer kennen gelernt, Söhne gut betuchter Eltern, die nur dem Leben frönten und auch nicht mehr taten als ich. Trotzdem haftete diesem Eingeständnis gegenüber einem Claudier, dass ich im Grunde nichts tat, zumindest nichts, was dem Staat dienlich wäre, ein negativer Beigeschmack an.


    "Gib mir etwas zu Trinken", forderte ich Tuktuk leise auf, nahm das Gebäckstück in die Linke, und hielt die Rechte bereit für Glas oder Becher.


    Ich hörte, wie aus zwei Kannen Flüssigkeit gegossen wurde, verdünnter Wein also. Zugegeben, in diesem Augenblick wäre mir unverdünnter Wein lieber gewesen, doch natürlich nahm ich das Glas ohne Widerworte entgegen. Es war angenehm kühl, ebenso wie der Wein, der kurz darauf meine Zunge umspülte. Caecuber, wie ich glaubte, mit mildem, aber erfrischendem Geschmack.


    "Nein, ich gehe keinen Pflichten außerhalb der Villa nach. Es gibt wohl auch nicht viel, was ich besonders gut könnte, außer Zuhören."


    Die Rechtfertigung war vielleicht etwas übertrieben, doch die Welt um mich herum war einfach nicht auf jemanden ausgelegt, der nichts sah. Alleine brauchte ich für alles, was ich tun wollte, eine ganze Weile länger als ein Sehender. Oder aber ich brauchte jemanden, der für mich sah, und Tuktuk zählte im öffentlichen Leben nicht, weshalb ich neben jedem anderen letzten Endes überflüssig gewesen wäre. Ein Kontrollamt fiel deswegen aus, ebenso alles, was Schreiberei beinhaltete. Ich schaffte es, meinen Namen auf einer Linie zu schreiben, bei ganzen Sätzen über mehrere Zeilen hinweg verlor ich völlig die Ausrichtung. Lesen ging schon mal gar nicht, es sei denn in Stein gemeißelte Inschriften, beim Militärdienst würde ich ausgemustert, und beim Opfer scheiterte ich schon an der Auswahl der passenden Fellfarbe, ganz zu schweigen vom Lesen der Innereien. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann hielt mich natürlich auch meine Blindheit von nichts ab, doch der Wille allein reichte nicht für ein öffentliches Amt. Im alten Griechenland wäre ich ein Philosoph oder Orakel geworden, doch Philosophieren zählte in Rom leider nicht als Pflicht, und dass Blinde zu übersinnlicher Weissagung fähig sind, ist auch nur eine Mär der griechischen Sagenwelt.


    Das marode Gesellschaftsleben der Villa Claudia gab mir gleich den nächsten Dämpfer. Ich war froh, dass ich das Glas noch immer in meiner Hand hielt, und nahm einen Schluck, ehe ich es Tuktuk überließ. Andererseits hatte Menecrates nur vom Frühstück gesprochen, und wer brauchte schon die Familie, um eine Villa mit abendlichem Leben zu füllen? Ich hatte das über Jahre hinweg ganz ohne die meine geschafft - und dass Menecrates' Frau nicht in Rom weilte, bot immerhin die besten Voraussetzungen, wenn auch nicht die Anwesenheit seiner Kinder.


    "Ich bin es gewohnt, den Tag allein zu beginnen, und lange im Voraus plane ich auch selten. Wie sieht es mit dem gesellschaftlichen Leben der Gens Claudia aus? Und ganz allgemein, dem in Rom?"


    In meiner Vorstellung traf sich die halbe Welt in Rom beim abendlichen Gelage. Lenker und Denker des Staates, Philosophen und Dichter, dazu die reizendsten und intelligentesten Frauen, und das alles untermalt von köstlichen Speisen und angenehmer Musik. Im Grund also ganz ähnlich wie in Ravenna, nur dass Lenker und Denker sehr selten ihren Weg dorthin fanden, Philosophen und Dichter schon einmal in Rom durchgekaut waren, bevor sie dort ankamen, und die Frauen immer die gleichen blieben, wie die Männer auch, denn Ravenna war nun einmal eine Kleinstadt. In Rom kam eine Abendgesellschaft sicherlich kaum zweimal in der gleichen Konstellation zusammen.

    Ich war acht Jahre alt und alles begann ganz harmlos. Kopfweh, die Augen schmerzten, es strengte mich an sie offen zu halten. Geh und leg dich in's Bett, sagte meine Mutter, dann ist morgen wieder alles gut, mein Schatz. Aber am nächsten Morgen war es nicht gut, es wurde schlimmer und ich bekam Fieber. Sie schotteten mich von der Welt ab, weil meine Eltern Angst hatten, es könnte etwas ansteckendes sein. Sie holten einen Medicus und anscheinend jammerte ich so viel über meine Augen, dass er schließlich beschloss, meinen Kopf mit einer Binde zu umwickeln und sie abzudecken. Du darfst jetzt nichts sehen, damit du später wieder klar siehst. Ich erinnere mich noch gut an diese Worte, trotz des Fiebers. Zum Glück war ich allerdings schon soweit im Delirium und sah nur noch so wenig, dass ich das Gesicht des Medicus nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte. Man stelle sich vor, das letzte, was man vor Augen hat, ist die hässliche Visage eines Medicus mit krummer Nase, faltiger Stirn und fleckigen Zähnen.


    Das letzte, an das ich mich visuell erinnerte, das war das Gesicht meiner Mutter. Leider verblasste es immer mehr, wie alles andere auch. Manchmal träumte ich davon zu sehen, doch wenn ich aufwachte, wusste ich nicht mehr, ob es tatsächlich so gewesen war zu sehen, oder ob es nur in meiner Vorstellung so war. Im Grund spielte es sowieso keine Rolle.


    Nach drei Wochen im Kampf mit dem Fieber wurde ich wieder klar im Kopf, doch von klar sehen war keine Rede. Ich wusste nicht, ob es Nacht war oder Tag und riss mir das kratzende Tuch von den Augen. Es wurde nicht heller. Ich weiß noch, dass ich an meine Lider langte und sie mit den Fingern aufhielt, weil ich mir nicht sicher war, ob meine Augen schon auf waren. Es wurde nicht heller und ich hatte Angst. Doch ich drehte mich um und schlief weiter, begierig auf den kommenden Tag. Irgendwann hörte ich ein kratzendes Geräusch, es war eine Sklavin. Ich hatte Angst, weil es immer noch so dunkel war und in der Dunkelheit in meiner kindlichen Vorstellung nur Verbrecher und Geister unterwegs waren.


    Am Ende blieben es tatsächlich einzig die Geister, die durch die Dunkelheit spukten. Anfangs fand ich es sehr beängstigend, ich hatte immer Angst vor der Dunkelheit gehabt, ich hatte Probleme zu entscheiden, wann Tag und wann Nacht war - mein innerer Rhythmus war dazu noch völlig durcheinander vom Fieber, und ich heulte viel, ohne dass die Tränen mir die Sicht verwässerten. Für meine Mutter war es der halbe Weltuntergang, dass mir für immer die Schönheit des Lebens entgehen würde, für meinen Vater war das schlimmste, dass die Zukunft seines Nachkommen vorbei war. Für ihn war ich kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft mehr, würde es niemals sein können. Wenigstens war ich der Jüngste und nicht sein Stammhalter. Was er wohl sagen würde, nachdem ich all meine Brüder überlebt hatte?


    Sie schickten mich nach Ravenna, zu einem Onkel mütterlicherseits, der schon damals uralt gewesen war, weil das Leben überall sonst viel einfacher war als in Rom, gerade und insbesondere für mich. Mein Onkel schenkte mir Tuktuk und das Leben in Ravenna wurde tatsächlich nicht so schlimm, wie ich anfangs befürchtet hatte, auch wenn ich immer nach Rom und zu meiner Familie zurück wollte. Irgendwann passte nicht mehr mein Onkel auf mich auf, sondern umgekehrt ich auf ihn, bis er schließlich starb. Da wusste ich schon nicht mehr, ob ich noch nach Rom wollte. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Verwandte aus der Hauptstadt kamen, hielten sie mir unter die Nase, wie wunderbar es doch in Ravenna war, wie gut ich das Anwesen im Griff hatte und welch perfektes Leben ich dort führte. Und wenn ich zu überlegen begann, ob ich nicht doch irgendwann nach Rom kommen sollte, dann konnte ich hören wie stinkend, hektisch, laut und abscheulich Rom doch war, dass nur diejenigen dort lebten, die wegen ihrer Ämter keine Wahl hatten, und sie selbst so gern außerhalb der Stadt leben würden.


    Mit meiner zweiten Frau dann war es wirklich ein gutes Leben in Ravenna. Und danach, nun, ich kannte mich aus, konnte auch ohne Tuktuk unterwegs sein, und wenn ich irgendwo in die falsche Richtung ging, dann hatte mich früher oder später jemand darauf hingewiesen. Man kannte mich, und in Ravenna reichte tatsächlich dein Name aus, um die Tage und Abende ausfüllend zu gestalten. Es war ja nicht so, dass ich nicht auch ein passabler Gesprächspartner war. Doch mittlerweile kannte ich jeden Fleck und jede Frau, die für Geld zu haben war. Die anderen auch, allerdings auf intellektuelle Weise, nicht ganz so körperlich, und natürlich mit den zugehörigen Männern. Es war nicht so, dass ich das Leben im Norden leid war, ich brauchte nur einfach etwas frischen Wind um die Nase, etwas neues. Rom sehen und sterben, so hieß es immer. Und es nicht zu sehen, war doch noch lange kein Grund, deswegen gleich ins Gras zu beißen. Ich war mir sicher, es gab in Rom mehr als genug, was man nicht sehen musste, um es zu genießen. Meine einzige Sorge war, dass man in Rom nur dann jemand war, wenn man wichtig war, und wichtig war nur der, der ein Amt oder eine Aufgabe hatte. Ich würde wohl nie ein Amt oder eine Aufgabe inne haben, da mochte mein Name noch so schillernd und meine Verwandschaft noch so einflussreich sein. Tatsächlich befürchtete ich etwas, dass meine Tage und Abende in Rom recht einsam werden könnten, aber das musste ich riskieren. Wenn das Leben hier nichts war, konnte ich schließlich wieder nach Ravenna zurückkehren, doch dann konnte ich immerhin sicher sein, dass das Leben in Rom tatsächlich so furchtbar war, wie immer alle erzählten.

    > Die fabelhafte Welt des Nero Claudius Tucca und seines Sklaven Tuktuk <


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    Ein Raum für einen Mann, der wenig Wert auf visuelle Schönheit legt. Mobiliar und Gegenstände sind immer am gleichen Fleck, bis auf die sich wechselnden Blumen in der Vase auf dem Tisch gibt es wenig Veränderung. Auch wenn es dunkel ist, brennt höchstens eine Öllampe für Tuktuk.

    Eine leichte Drehung, dann wenige Schritte, schon nahm Tuktuk meine Hand von seiner Schulter und schob mich noch zwei Schritte vorwärts, bevor er meinen linken Unterarm nahm und leicht nach unten zog. Ich folgte der Bewegung und meine Hand berührte das Sitzpolster der Kline. Nachdem ich ein Stück nach rechts und nach links getastet hatte, setzte ich mich, ließ die Füße allerdings auf dem Boden. Bei Gelegenheit würde ich die Dimensionen dieser Klinen erforschen, einmal um sie herum gehen, mich darauf setzen und ihre Umrandung mit den Händen abfahren, so dass ich auch wissen würde, wo ich meine Füße hinpacken sollte, doch vorerst reichte es mir aus, zu sitzen. Der Stoff unter meinen Händen war weich und wies eine feine Struktur auf und ich fragte mich doch insgeheim, wie pompös dieses Atrium gestaltet war - ich würde Tuktuk später danach fragen. Dieser war neben der Kline in die Hocke gegangen.


    Kurz nachdem Menecrates meinem Verweilen in Rom zugestimmt hatte, was mich zugegeben doch irgendwie erleichterte, stand er schon wieder auf. Erst glaubte ich, es war vielleicht jemand im Kommen, den ich nicht gehört hatte, doch Menecrates nachfolgende Worte und sein etwas rastloser Schritt erklärten sein Verhalten. Viele Menschen reagierten ähnlich wie er auf mich und machten sich das Leben nur unnötig kompliziert. Natürlich legte auch ich Wert auf ein Fenster, denn auch wenn ich mit dem einfallenden Licht wenig anfangen konnte, sorgte es im Raum für frische Luft und brachte die Gerüche und Geräusche von draußen herein. Doch ich habe festgestellt, dass die Unsicherheit der Sehenden meistens etwas gelockert werden konnte, wenn ich selbst Humor zeigte. Menecrates allerdings schien seine Schwierigkeiten damit zu haben.


    "Eines Blinden, du kannst es ruhig aussprechen, es färbt nicht ab. Und blind trifft es genau, denn ich sehe nicht das geringste, nicht einmal den Unterschied zwischen Tag und Nacht."


    Ich wandte den Kopf zu Tuktuk hin und senkte meine Stimme ein wenig.
    "Was gibt es?"
    "Gebäck, länglich mit Nusssplittern, in Form der Sonne mit Honig überzogen oder mit getrockneten Trauben gespickt."
    "Gib mir eines mit Honig", forderte ich Tuktuk auf und hielt ihm meine Hand hin, worin kurz darauf ein rundes Honiggebäck landete.


    Noch ehe ich davon abbiss, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Menecrates zu.


    "Besonderheiten gibt es keine zu beachten. Ich mag es nicht, behandelt zu werden als wäre ich nicht nur blind, sondern gleichzeitig auch noch taub, schwachsinnig oder ein kleines Kind, doch ich denke, das sollte verständlich sein. Vielleicht braucht es in der Kommunikation ein paar Worte mehr, denn ich reagiere nicht auf missbilligende Blicke oder zustimmendes Nicken. Ansonsten braucht sich niemand um nichts zu sorgen, denn für alles, was ich nicht selbst erledigen kann, habe ich Tuktuk hier, meinen Sklaven."


    Den Zusatz hätte ich beinahe vergessen. Tuktuk war für mich weit mehr als ein Sklave, vielleicht noch nicht einmal ein Sklave, aber in der Gesellschaft, gerade in der patrizischen, war es doch meistens wichtig. Natürlich sah man ihm sofort an, dass er ein Sklave war, denn er hatte fast schwarze Haut, und manchmal glaubte ich, mein Onkel hatte ihn gerade deswegen ausgewählt. Doch ich sah seine Haut nicht, hatte sie nie gesehen, und wenn man tagtäglich bei so vielem auf einem Menschen - oder Sklaven - angewiesen ist, wie ich auf Tuktuk, dann kann man Unterschiede leicht vergessen.


    "Wenn du Fragen hast, dann frage einfach, und falls sonst etwas sein sollte, dann sage es. Auch wenn ich manche Bedürfnisse der sehenden Welt nicht nachvollziehen kann, ich bemühe mich doch, ihnen nachzukommen."


    Beispielsweise sorgte Tuktuk jeden Morgen dafür, dass ich vorzeigbar war, obwohl ich die visuellen Ansprüche an die Erscheinung eines Menschen nie ganz verstehen konnte. Ob die Togafalten bei einem Senator nun richtig lagen oder nicht, das machte ihn doch zu keinem besseren Redner, und ein Klecks auf dem Kleid einer Frau konnte ihr nichts von ihrer menschlichen Schönheit rauben. Trotzdem zählte beides zu mehr oder minder skandalösen Fehltritten in der Erscheinung einer Person. Und auch, wenn ich sie nicht sah, wollte ich solche und ähnliche Fehltritte vermeiden, denn sie lenkten nur unnötige Aufmerksamkeit auf einen.


    "Wer von der Familie wohnt derzeit noch alles in Rom?" wechselte ich das Thema und biss von dem Gebäckstück ab.

    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides
    Doch schon war der erste Akt vorbei und Marcus spürte erneut etwas in seinem Rücken und er drehte sich, in der Pause, zu dem Mann hinter sich um.
    „Guter Mann, ich wäre Dir sehr verbunden, wenn Du Deine Füße etwas woanders läßt, ja? Wäre das möglich?“
    , grollte Marcus.


    Als das Stück begann wurde es ruhig im Theater, und nur noch vereinzelt war Flüstern oder Knuspern zu vernehmen. Meine Lider waren halb gesenkt und ich hatte den Kopf leicht gedreht, das rechte Ohr der Bühne zugewandt, und lauschte wie all die anderen Zuschauer. All zu viel geschehen konnte dort vorne nicht, denn ich kam sehr gut mit auch ohne etwas zu sehen. Zumindest bildete ich mir das ein. Außer auf den Text von der Bühne lauschte ich auch den Kommentaren um mich herum. Ich machte das nicht bewusst, aber was in meinem Ohr ankam, das wurde nun einmal verarbeitet. Direkt vor mir saß ein Kerl, der seinen Mund nicht halten konnte, und das Theaterspiel ständig kommentierte. Diese Menschen mochten bei ernsten Zuschauern nicht sonderlich beliebt sein, doch mir gaben solche Kommentare zusätzliche Anhaltspunkte, was außer dem Text auf der Bühne geschah. Dass ich vermutlich seinen Rücken erwischte, als ich die Beine ein Stück nach vorne strecken wollte, war deswegen auch keine Absicht. Irgendwo musste man hier doch seine Füße unterbringen können. Die zweite Szene lenkte mich ab und ich hatte die mangelnde Beinfreiheit schon wieder vergessen, was dazu führte, dass ich noch einmal versuchte, meine Beine auszustrecken und wieder mit geradezu famoser Treffsicherheit meinen Vordermann erwischte.


    "'tschuldigung", murmelte ich, zog meine Füße zurück und versuchte den Faden beim Theater nicht zu verlieren.


    Die dritte Szene brach an und ich freute mich, dass die Schauspieler immer wieder erwähnten wer sie waren oder wer gerade die Bühne betrat. Das machte es mir besonders einfach, die Stimmen immer wieder den Protagonisten zuzuordnen. Das Rascheln von Stoffbahnen beendete den Akt und da aller guten Dinge stets drei sind, schob ich meine Füße nochmals nach vorne. Dieses Mal war ich mir allerdings darüber bewusst, denn ich versuchte vorsichtig den Platz abzuschätzen, der mir zur Reihe nach vorne blieb.


    Der Versuch endete darin, dass ich zu weit ging. Ich hatte gerade mal einen Fuß vor den anderen gesetzt als die Stiefelspitze auf Widerstand stieß. Sofort zog ich meine Füße zurück als hätten sie Feuer berührt, aber es war schon zu spät und ich kassierte natürlich prompt einen Rüffel - ausgerechnet von demjenigen, der die ganze Zeit über tuschelte - Flavius Aristides.


    "Entschuldige bitte, das war keine Absicht. Ich versuche nur irgendwo meine Füße unterzubringen."
    Wie meist war mein Blick nicht auf mein Gegenüber gerichtet, sondern irgendwo nach unten. Vielleicht auf meine Füße.
    "Zwei Fuß, njaatigi", kommentierte mein dunkelhäutiger Sklave Tuktuk, die freundliche Stimme aus dem Hintergrund.
    Ich wusste, dass er sich nicht auf das Längenmaß bezog, sondern auf meine Füße, denn von abstrakten Längenmaßen hatte ich wenig Vorstellung. Trotzdem hätte er das ruhig vorher erwähnen können. Das Theater in Ravenna hatte breitere Gänge zwischen den Sitzreihen, ein bisschen mehr als drei Fuß, so dass man bequem die Beine ausstrecken konnte. Vermutlich war es deswegen so geräumig, weil es ein großes Theater für eine kleine Stadt war und die gesamte Einwohnerschaft Ravennas das Theater gerade eben mal so füllte.
    "Zwei Fuß nur? Aber es ist doch ein Theater zum Sitzen, nicht zum Stehen?"
    "Es sitzen alle anderen auch. Nur ganz oben, wo die Menschen mit dem Stein verschmelzen, da stehen sie."
    "Es wird nicht wieder vorkommen", wandte ich mich wieder an meinen Vordermann, was nur dadurch deutlich wurde, dass mein Gesicht sich leicht in seine Richtung drehte, wenn auch nicht so weit, dass meine Nasenspitze auf ihn wies.
    "Aber zwei Fuß Beinfreiheit in einem römischen Theater, das ist auch nicht gerade viel, das musst du wohl zugeben."

    Es war erst wenige Tage her, dass ich in Rom angekommen war. Im Grund hatte ich auch nicht vorgehabt, die Stadt allzu schnell zu erkunden, aber erstens kommen die Dinge immer anders, und zweitens anders als man denkt. Es waren Spiele angekündigt worden und zwar nicht irgend eine Art Spiele, sondern die Aufführung eines Theaterstücks. Gladiatorenspiele mochte ich nicht, wenn überhaupt bekam ich nur das Geplänkel der Waffen mit und die Wut- oder Schmerzensschreie der Kämpfer, doch meistens hörte ich nur das Gebrüll, die Anfeuerungsrufe und den Applaus der Zuschauer. Wagenrennen waren schon ein bisschen spannender. Viel hören konnte ich davon zwar meist auch nicht und die Zuschauer waren nicht leiser, aber Erfolg und Misserfolg waren durch meinen Sklaven Tuktuk einfacher in Worte zu fassen. Am meisten Freude fand ich persönlich jedoch an Ludi mit Theaterstücken. Die wenigsten Stücke beinhalteten eine komplexe Handlungen, die man sehen musste, zumeist bestand der wichtigste Teil aus Dialogen. Die Zuschauer waren dabei leise, weil sie selbst auch den Text verstehen wollten, und selbst wenn es eine umfangreiche, physische Handlung gab, wurde sie meistens durch die Worte verständlich.


    Den Weg zum berühmten Marcellustheater hatte ich in der Sänfte zurück gelegt, denn ich verspürte kein Bedürfnis, quer durch das mir unbekannte Rom zu stolpern. Ich versuchte mich nicht von den Impressionen der Stadt erdrücken zu lassen, denn es war unheimlich laut, und ich hoffte, dass das nicht die Normalität war, sondern an den Megalesia lag. Je weiter wir uns dem Theater näherten, desto lauter wurde es. Als wir dort angekommen waren verließ ich die Sänfte nicht eher, bis dass ich wusste, dass Tuktuk schon auf mich wartete. Er nahm meine Rechte und legte sie auf seine Schulter, an der ich mich krampfhaft festhielt, denn ich befürchtete, dass ich ihn in dieser Menschenmasse verlieren könnte. Wir bewegten uns nur langsam, und ich versuchte die Welt um mich herum auszublenden und mich auf Tuktuks Stimme zu konzentrieren, wenn er mich auf den Weg hinwies. Es kam mir so vor, als würde das Theater nur aus Unebenheiten, Hindernissen und Treppen bestehen, ganz abgesehen von den vielen Menschen, und mir kamen erste Zweifel daran, dass die Idee hierher zu kommen eine sonderlich gute gewesen war.


    Tuktuk suchte einen Platz, von dem aus ich die Schauspieler würde gut hören können. Zum Glück waren wir früh gekommen, so dass die vorderen Reihen noch nicht ganz gefüllt waren. Als ich endlich saß atmete ich erleichtert auf. Egal wie viele Menschen um mich herum waren, wenn ich erst einmal saß, war das Risiko gering, dass ich jemanden anrempelte oder über etwas stolperte. Und das war immer beruhigend. Erst jetzt gestatte ich mir, in die Umgebung zu lauschen, allerdings war diese ein wirres Chaos. Gesprächsfetzen, Gelächter, Rufe und dazwischen das Lyraspiel drangen an meine Ohren, und der Duft nach gebratenen Mäuseblasen, kandierten Früchten, gerösteten Nüssen und billigem Wein an meine Nase. Da es im Theatergebäude natürlich windstill war, spürte ich auch die leichte Berührung der Sonnenwärme auf meiner Haut, die ich sehr begrüßte. Regen wäre ziemlich hinderlich für eine gute Akustik.