Meine werten Anverwandten, geschätzte Neffen und Nichten, liebe Kinder,
Dieser kurze Brief sollte Euch von einer jungen Dame überbracht worden sein, die sehr schwere Zeiten durchgemacht hat und vor dem völligen Ruin steht. Das gute Kind heißt Sveija und ist - oder besser war - die Tochter unserer Nachbarn hier in Brogilus. Sie hat binnen der letzten zwei Winter ihre gesamte Familie verloren und steht nun völlig allein da.
Zuerst starb ihr Bruder im letzten Winter auf der Jagd, als ein wild gewordener Keiler seinem Ger auswich, ihn angriff und tötete.
Und diesen Winter verlor sie Vater und Mutter bei einem fürchterlichen Unfall auf dem Eis. Sie brachen zu dritt ein, und ihr Vater Runold schob noch seine Tochter und seine Frau Griet aus den eisigen Fluten, ehe er darin ertrank.
Griet verstarb bald darauf an schwerer Krankheit, die der Medicus aus der Colonia Agrippina Pneumonia genannt hatte.
Zu allem Überfluss hatte Runold Geld von den Herren der Villa Vaslicia geliehen, welches diese nun in Form des Hofes, Sveijas Erbes, zurückforderten. Somit nahmen wir das Kind zunächst auf. Sie ist nur wenig älter als Uthi, meine Jüngste, und zusammen mit meinen Kindern aufgewachsen. Wir konnten ihr also ein wenig Trost über all den Unbill, den die Nornen auf sie warfen, spenden.
Jetzt ist aber meine Tochter Albit in freudiger Erwartung und wir haben gerade genug Platz für uns und unsere eigenen Bediensteten, so dass Sveija unmöglich ganz zu uns kommen konnte.
Da aber meine Söhne Arbjon und Witjon schon zu Euch nach Mogontiacum gegangen sind und bei Euch so herzliche Aufnahme gefunden haben, möchte ich Euch bitten, doch auch Sveija aufzunehmen.
Sie ist sehr tüchtig und kann nähen, spinnen und weben, ein wenig backen und kochen und versteht sich ein bisschen auf die Malerei. Sie kann allerdings kaum Latein und auch recht wenig lesen und schreiben. Die römischen Zahlen beherrscht sie allerdings bis M und kann mit ihnen auch rechnen.
Ich hoffe, ihr habt Verwendung für eine gute Kraft in Eurem Haushalt, die für Verpflegung und Unterkunft sicherlich wundervolle Dienste leisten wird.
Ansonsten entbiete ich Euch meinen Gruß und den meiner Töchter und hoffe, dass Ihr alle bei bester Gesundheit seid. Richtet meinen Söhnen aus, dass sie mir ruhig einmal wieder ein paar Zeilen schreiben könnten und achtet mir bitte darauf, dass Witjon auch genug isst und nicht allzu viel trinkt.
Mit liebem Gruß und besten Wünschen
Ildrun