Beiträge von Tiberius Aurelius Avianus

    Es war an der Zeit für Avianus, einen der ernsthaftesten Eide zu sprechen, die er in seinem Leben bis jetzt kennen gelernt hat. Zugleich war es ihm der Wichtigste: Kein neuer, sondern vertrauter Eid, denn er hatte ihn schon einmal gesprochen. Die Aufregung in ihm war trotz allem groß - denn noch nie war es so wichtig, dass jedes Wort gut und deutlich gesprochen wurde und an der richtigen Stelle saß. Der Aurelier legte seine rechte Hand auf die Brust und begann, die Worte laut und deutlich, tief konzentriert zu sprechen:


    [color="darkred"]"EGO, TIBERIUS AURELIUS AVIANUS, HAC RE IPSA DECUS IMPERII ROMANI ME DEFENSURUM, ET SEMPER PRO POPULO SENATUQUE IMPERATOREQUE IMPERII ROMANI ACTURUM ESSE SOLLEMNITER IURO.


    EGO, TIBERIUS AURELIUS AVIANUS, OFFICIO SENATORIS IMPERII ROMANI ACCEPTO, DEOS DEASQUE IMPERATOREMQUE ROMAE IN OMNIBUS MEAE VITAE PUBLICAE TEMPORIBUS ME CULTURUM, ET VIRTUTES ROMANAS PUBLICA PRIVATAQUE VITA ME PERSECUTURUM ESSE IURO.


    EGO, TIBERIUS AURELIUS AVIANUS, RELIGIONI ROMANAE ME FAUTURUM ET EAM DEFENSURUM, ET NUMQUAM CONTRA EIUS STATUM PUBLICUM ME ACTURUM ESSE, NE QUID DETRIMENTI CAPIAT IURO.


    EGO, TIBERIUS AURELIUS AVIANUS, OFFICIIS MUNERIS SENATORIS ME QUAM OPTIME FUNCTURUM ESSE PRAETEREA IURO.


    MEO CIVIS IMPERII ROMANI HONORE, CORAM DEIS DEABUSQUE POPULI ROMANI, ET VOLUNTATE FAVOREQUE EORUM, EGO MUNUS SENATORIS UNA CUM IURIBUS, PRIVILEGIIS, MUNERIBUS ET OFFICIIS COMITANTIBUS ACCIPIO."[/color]

    Avianus war sehr aufgeregt - mehr als nur das. Denn heute war sein großer Tag, dieser Moment, den er schon so lange anstrebte und der nun so nah, in greifbare Nähe gerückt war. Es war der Tag, an dem er die heiligen Hallen des Senates betreten würde. Nicht als Kandidat für eines der niedrigeren Ämter, sondern als vollwertiger Senator. Einer von diesen wenigen angesehenen, starken Männern, die sich für die Senatshallen als würdig erwiesen hatten. Er war nun einer von ihnen. Einer der vergleichsweise wenigen in Rom, denen ein bedeutender Titel zuteil wurde. Und so, wie man gespannt war, was der Aurelier heute zu sagen hatte, so war auch Avianus aufgregt, fühlte die Last der Verantwortung auf seinen Schultern. Dennoch war es eine Last, mit der er sich gerne belud - denn sie versprach Ehre und eine große Karriere. Letzten Endes sah man in ihm nun einen Senator: Einen Mann, auf den sich Viele verließen. Sicherlich waren die Erwartungen an den Aurelier hoch. Es machte Avianus aufgeregt, denn er wollte die vielen Erwartungen und das viele Vertrauen, welches in ihn gesetzt wurde, nicht enttäuschen.
    Avianus wartete im Hintergrund auf den Consulen, welcher ihn vorstellen würde. Der Flavier war ein ehrwürdiger Mann, der es schon weit gebracht hatte und Avianus eigentlich schon hätte in den Schatten stellen können. Stattdessen jedoch lenkte Furianus die Aufmerksamkeit während seiner Rede schnell auf Avianus, welcher schon bald fast alle Blicke bohrend, durchdringend auf sich spüren konnte, als würde man ihm Löcher in den Bauch starren. Worte mochten gut gewählt sein, wenn jeder einen ansah und zuhörte, da war er seiner sicher. Doch Avianus war nicht zum ersten Mal hier - nicht zum ersten Mal sprach er hier vor und damals war er noch kleiner. Doch jetzt hatte er viel mehr Erfahrung und keinen Grund, sich zu fürchten. Er wusste genau, was er wie zu sagen hatte.


    Avianus ging einige Schritte nach vorne und strahlte die Selbstsicherheit aus, die er sich einfach von irgendwoher nahm - er wusste vielleicht selbst nicht, von woher, doch er brauchte sie jetzt. Er nickte dem Flavier zum Dank freundlich zu, als ihm das Wort übergeben wurde und richtete seinen Blick an das senatorische Publikum. Einige der Männer waren älter, einige jünger oder gar in seinem Alter. Sie sahen ihn mit gemischten Blicken an, doch warten lassen wollte der Aurelier keinen unter ihnen.
    "Väter Roms", eröffnete er mit kräftiger Stimme seine Rede, versicherte sich der Aufmerksamkeit der Senatoren und fuhr fort, "Auch für mich ist heute ein denkwürdiger, bedeutender Tag, an dem ich vor euch trete. Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen, als ich noch für die Ämter des Vigintivirs und des Quastors kandidierte! Es war eine schnelle Zeit, und heute stehe ich erneut vor euch, jedoch nicht als Kandidat für den Cursus Honorum, sondern um mich als einer von euch vorzustellen! Eine große Ehre ist es, in diesen bedeutenden Kreisen aufgenommen zu werden - doch ebenso spüre ich nun die Verantwortung, die auf mir lastet. Die Pflicht für meinen Dienst an Rom, an diesem Platz als Senator! Ich habe lange auf den Moment gewartet, diesen ehrbaren Titel annehmen zu dürfen. Wisst, dass es mich mit Stolz erfüllt und mich zu großen Taten inspiriert, um den Ruhm unseres Imperiums zu vergrößern!


    Ich danke euch für das Vertrauen, welches Ihr mir über die Jahre hinweg erbracht habt und auch jetzt erbringt. Es soll nicht enttäuscht werden, das versichere ich euch! Danke für euer Gehör, Patres!"

    Obwohl der Mensch nie objektiv sein konnte, egal wie oft er es versuchte, vermochte es Avianus, eine objektive Einschätzung treffen zu können: Es lief irgendetwas falsch. Er wäre zu vielen schrecklichen Dingen nie fähig gewesen und würde es womöglich auch nie sein. Doch in ihm versteckte sich manchmal etwas Düsteres, Grausames, Schreckliches, welches einen ewigen Kampf mit seiner guten Seite ausfechtete. Er war das Schlachtfeld zwischen gut und böse, und welche seiner zwei Seiten momentan dominierte, dies war ebenso wechselhaft wie seine Entschlüsse in Bezug auf die reale Situation, in der er sich befand. Wenn er etwas wusste, dann war es, dass er schnell entscheiden musste. Egal, wie er sich letzten Endes entschied, er musste einfach wissen, wer er selbst war. Wie weit er für seine Genugtuung zu gehen bereit war, um sich zu rächen dafür, dass ihm genommen wurde, was ihm lieb war. Der Konflikt nahm jedoch kein Ende, dies war traurige Wahrheit. Er war, wenn man ihn mit etwas Trivialem verglich, wie Wasser - es konnte zu Eis gefrieren oder wieder auftauen. Zwei Zustände. Zwei Arten, zu sein. Zwei mögliche Arten, seinen Weg zu beschreiten. Eine davon war die Falsche, wusste Avianus.


    "Es ist nichts Neues für mich, Blut an den Händen zu haben, war ich doch schon einmal in einem Gefecht verwickelt, bei meinem Tribunat. Doch das hier ist etwas Anderes. Das hier ist keine Notwehr und es ist persönlich. Und längst nicht so einfach zu entscheiden." Avianus hielt inne, schwieg einen Moment lang und ließ die Worte von Narcissa verhallten. Es waren einige Momente, an denen sie still waren und nichts sagten. "Wenn ich mich für einen Weg entscheide, muss es einer sein, der weder unseren Namen noch meine Ehre besudelt. Ich bin kein Mörder, Narcissa, und will auch keiner werden. Doch will ich das Recht haben, über die Mörder selbst richten zu dürfen. Sie haben mich immerhin meines Vaters beraubt."

    Macer eröffnete mit den Worten "leidige Angelegenheit", was Avianus nicht nur als unwohltuend empfand, es ließ ihn sogar kurz stocken und darstehen, als wäre er bestellt, aber nicht abgeholt worden. Er nahm mit einem knappen Nicken das Angebot an, Platz zu nehmen und hörte dem Purgitier zu. Bis jetzt klang das Geschehen für den Aurelier nachvollziehbar, bis sie zu den Gründen der langen Verzögerungen ankamen.
    "Unleserlich", echote Avianus, während sich Falten, nein, Krater der Unverständnis auf seiner Stirn bildeten, "Wie wird eine solide Wachstafel unleserlich? Wenn das solche Zustände in der kaiserlichen Verwaltung sind, weiß ich, was meine erste Bestrebung sein wird, wenn die Götter mir meine Erhebung gönnen." Eine Tafel wurde also innerhalb kurzer Zeit - unleserlich?! Avianus wusste nicht so recht, sollte er jetzt lachen oder weinen? "Es hilft wohl letzten Endes nichts... wobei ich mit dem Gedanken spiele, Genaueres in der Kanzlei des Kaisers zu erfragen. Die Geschichte dieses Boten klingt so... naja, ich weiß nicht. Nach einer Ausrede."

    Avianus folgte still und unauffällig den ihm gewiesenen Weg durch die Casa Purgitia, bis er ins Tablinum geführt wurde, wo er schon erwartet wurde. Hier befand sich zum Glück der Mann, den der Aurelier suchte. "Salve, Patronus", grüßte Avianus mit einem bemühten Lächeln und kam gleich zur Sache, um keine Zeit zu verschwenden, "Bitte verzeih mein plötzliches Erscheinen und meine Ernstheit. Ich komme eigentlich, weil mein Wille immer noch stark ist, einen Senatssitz zu erhalten. Und doch frage ich mich, warum es seit Wochen keine Fortschritte von keiner Seite gibt." Avianus hielt kurz inne... er wusste ja noch nicht einmal, dass Macer schon eine Empfehlung geschrieben hat, die... naja, "irgendwo" reingefallen ist, wo öfter mal Dinge reinfielen. Und es war eigentlich besser, wenn er nicht davon erfuhr.
    "Ich wollte diesbezüglich um Rat bitten... sind unsere Stimmen nicht laut genug? Oder bin ich in dieser Angelegenheit zu ungeduldig?"

    Zitat

    Original von Sextus Aurelius Lupus
    [...]


    Avianus meinte, er könne das nicht allein entscheiden. Und offenbar gab es auch Probleme, weil schon so viele Aurelier bei den Saliern waren? Das konnte ja lustig werden. Aber Sextus verzog keine Miene, sondern lächelte unbeschwert weiter. “Es soll alles seinen rechten Gang gehen. Denn du hast recht, es soll nicht nach Vetternwirtschaft aussehen. Ich wäre dir daher dankbar, wenn du eine Sitzung einberufen könntest, damit über meine Aufnahme abgestimmt wird.“ Zur Not würde er auch Singen, wenn die Tänzer schon eine Überfülle an Aureliern hatten. Da mussten ja nur die Götter darunter leiden, wenn er seine Stimme melodisch exsaltieren sollte. Beim Tanzen trainierte er wenigstens noch seine Balance.
    Aber das war alles noch in weiter Ferne. Kein Grund, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, wo es ihm im Grunde gleichgültig war. Wenngleich er darauf achtete, das nicht nach außen dringen zu lassen. “Und danke für dein Vertrauen. Ich werde mich bemühen, es nicht zu enttäuschen“


    [...]


    So wie sich Lupus an die Gemahlin von Ursus heranwarf, war sicherlich etwas, was Ursus mit wenig Freude willkommen heißen würde. Trotzdem musste Avianus unverhohlen grinsen, als sie kurz von der Konversation mit Septima abgelenkt wurden, auch wenn er wusste, dass dies vielleicht ein schlechter Moment war, darüber zu grinsen. Ursus jedoch gab sich sehr humorfreudig und Avianus wusste, wo er sich lieber nicht einmischte. "Vielleicht kannst du das", antwortete Avianus Septima und legte dabei ein schelmisches Grinsen auf, "Auch wenn es nicht unbedingt ein Geschenk ist, welches sich eine Frau für ihren Gemahlen ausgesucht hätte."


    Er und Lupus kamen daraufhin zum eigentlichen Thema zurück. "Ich werde im Laufe der Woche eine Sitzung einberufen. Dir empfehle ich, dir bis dahin Gedanken um eine kleine Vorstellungsrede zu machen. Niemand wird dich willkommen heißen ohne zu wissen, wer du überhaupt bist. Gib dich ruhig etwas politisch und diplomatisch, aber übertreibe es damit nicht. Der Cultus steht immerhin im Mittelpunkt", beriet Avianus seinen Verwandten und musste wieder grinsen, "Nichts desto trotz... wenn du ebenso gut vor Publikum reden kannst, wie mit Frauen, habe ich keine Sorgen um deine Aufnahme."


    Kaum hatte er jedoch ausgesprochen, machte sich das Paar für die Reise nach Mantua bereit. Es war der unangenehmste Moment, wenn es um Abschiede ging. "Mögen die Götter über euch wachen", rief Avianus dem Paar zu... und schon bald war auch schon Septima unsichtbar in der Sänfte verschwunden.

    Als Avianus vor der Casa Purgitia auftauchte, war seine Mine vom langen Fußweg bis hierher schon etwas verfinstert worden. Er hatte keinen Grund, seinen Unmut an seinem Patronen auszulassen. Doch Unmut, woher kam dieser? Genau gesagt, richtete sich Avianus' miese Laune direkt gegen die Unfähigkeit der kaiserlichen Verwaltung - er hatte Fürsprecher, die Laufbahn und die nötige Zeit im Cursus Honorum verbracht, um endlich in den Senatorenstand aufgenommen zu werden. Womöglich war es nur Inkompetenz anderer, die sein Aufsteigen verhinderte. Und er war alles andere erfreut über diesen Umstand.


    Zielstrebig, direkt und mit festeren Schritten als sonst trat der Aurelier zur Casa Purgitia. Er fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht, zwang es zu einem würdigeren Ausdruck und klopfte anschließend mit drei Schlägen gegen die Pforte an, als er meinte, seinen Zorn einigermaßen zügeln zu können.

    Der Sinn für Humor schien sich bei Lupus einigermaßen in Grenzen zu halten oder der Scherz von Avianus war doch nicht zu gut, wie er es sich ausrechnete. Das war ihm jedoch in diesem Moment auch egal, denn Lupus' Anliegen war ernst und mit genau solchem Ernst war auch Avianus bei der Sache:
    "Den Saliern beizutreten ist keine schlechte Wahl, da du dann unter der Familie wärst. Wir haben jedoch einige Mitglieder aus anderen Familien, die sich dagegen sträuben werden, dass wir zu viele Aurelier sind. Überhaupt ist es mir unangenehm, wenn wir den Anschein wecken, wir würden nur durch Vetternwirtschaft zu etwas kommen", erklärte Avianus. Das war schon bei der letzten Aufnahme eines Aureliers beanstandet worden und bei einem Flavier hatte er sich mitunter unbeliebt gemacht. "Obwohl du sicherlich keine Hindernisse bei der Aufnahme finden wirst, ist eine Abstimmung üblich. Dafür muss ich eine Sitzung der Salier einberufen." Nicht wissend, dass Lupus diese doch wichtige Pflicht insgeheim egal war, hängte Avianus noch unscheinbar eine Bemerkung an. "Aber einen guten Salier würdest du gewiss abgeben."

    Narcissa schien ziemlich genau zu wissen, was Avianus dachte, wie er dachte und fühlte. Sie war gut darin, Avianus' Situation zu beurteilen und schien dies sogar besser zu können, als er selbst. Vielleicht hatte sie es auch einfacher, denn sie stand ja selbst nur außen und so vernebelte nichts ihr Urteil. Keine Rastlosigkeit und Verwirrung, Trauer oder Wut. Avianus war immerhin der Einzige, der noch nicht über den Mord seines Vaters hinweggekommen war. Sogar seine Mutter hatte sich erholt gehabt. Die Aurelierin antwortete hastig und schnell, was Avianus einen gedankenbehafteten Blick aufetzen ließ. Die Züge Narcissas waren entschlossen, dennoch unberührt und ihre Züge spiegelten die Motivation wieder, etwas in Avianus verändern zu wollen. Ihn zu trösten oder ihn stark zu machen, weiterzugehen oder ihm einen klaren Appell zu senden, dass er sich nicht zu lange mit der Vergangenheit aufhalten solle. Wo alle bis jetzt versagt hatten, wusste Narcissa, in welchen Teilen seiner geplagten Seele der Trost gesucht wurde. Dieser Teil lag in den entlegensten Winkeln seiner selbst, so dass man eigentlich suchen musste. Doch Narcissa fand ihn, als wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen - ungewohnt war dies für den jungen Aurelier.


    "So ist es", erwiderte Avianus direkt auf die Feststellung seiner Verwandten. Er seufzte - wenn sie das so sagte, klang alles so einfach, als könnte er jetzt rausgehen und allem ein Ende machen... andererseits... was sprach dagegen? Jetzt rauszugehen und abrechnen, was das denn nicht so einfach? Sicherlich nicht für Avianus. Er hatte seinen Vater verloren durch Mörder. Wenn er jetzt selbst ein Mörder sein würde, was würde ihn zu etwas Besserem machen? Welches Recht hätte er, Mord mit Mord in eigener Sache zu vergelten? Er hatte es nicht - das war auch das Problem.
    "Und wer, Narcissa, denkst du, verdient es, diese Tat zu vergelten", fragte Avianus, "Bin es ich, der Sohn meines Vaters oder ist es ein Richter, dem alles egal ist? Hör zu." Avianus lehnte sich zurück auf die Rückenlehne der Bank auf der sie saßen und sah Narcissa ernst an. "Gesetze sind letzten Endes nur auf Papyrus geschrieben, von Menschen wie dir und mir. Ob es nun ein anderer vollstreckt hat oder ich den Tod meines Vaters selbst vergolten habe. Es ist eine Sache zwischen mir und ihnen... die anderen machen nur, was auf dem Papyrus steht. Ich jedoch sehe einen Sinn hinter dem Ganzen."

    Endlich fand das Umkreisen, der ewig anmutende Moment des Wartens auf den Erstschlag ein Ende. Schlagartig stürzten sich die Gladiatoren aufeinander, in die Offensive ging zunächst typischerweise der Retiarius mit seinem Netz. Ein kräftiger Schwung des Mannes mit dem Dreizack in dem Versuch, dem Secutor ersten Schaden zuzufügen, verlief nicht wie erwartet. Die Menge stockte und begann zu raunen, während der Secutor versuchte, den Angriff abzuwehren. Erste Jubelschreie ertönten und die Leute feuerten ihre Favoriten an, wobei die Vorlieben ganz unterschiedlich waren. Einige zogen den defensiven Secutor vor, der jedoch im richtigen Moment einen blitzschnellen Schlag ausführen konnte, um seine Gegner kampfunfähig zu machen. Manche zogen den offensive Retiarius vor, der immer angriff, bis seinen Feinden die Puste ausging und sie im richtigen Moment sogar entwaffnen konnte... und ein entwaffneter Feind war leichte Beute.


    Doch als der Secutor sich befreien konnte, wurde die Stimmung des Publikums nur mehr angeheizt. Erstaunen fuhr durch die Menge, als ein Teil des Netzes riss und der Kurzschwertkämpfer, sonst defensiv, seine Chance zum Rückschlag wahrnahm. Er entbrannte ein schneller Kampf mit schnellen Bewegungen, während die Menge mit jedem Schlag, jedem Moment euphorischer wurde. Avianus konnte in der Spannung nicht mehr sitzen und stand, wie so viele, auf. Seine Hände verbargen seine offenen Lippen, er fieberte mit, vielleicht nicht lauthals, aber er war in den Kampf vertieft.
    Als das erste Blut floss und der Retiarius letzten Endes der war, welcher am Boden lag, hörte man Entsetzen und Staunen unter den Anfeuerern des Retiarius und Jubelrufe von jenen, die den Secutor unterstützten. Der Retiarius konnte sich durch ein geschicktes Manöver wieder aufrappeln, wurde jedoch weiterhin zugesetzt. Nun schienen die Rollen ziemlich vertauscht zu sein - wie würde das wohl enden?

    Als Corvinus anmerkte, dass seine Haare mittlerweile lang geworden waren, musste Avianus verlegen grinsen. Sie waren in der Tat lang geworden. Er kratzte sich den Kopf und fuhr sich durch die langen, dunklen Haare. "Ja, da hast du recht... es wäre wohl wenig vorteilhaft für mich, wenn sie mich mit einem Barbaren verwechseln."
    Der Neffe wusste derweilen nicht mehr, was er noch sagen wollte - weswegen er gekommen war, das wurde geklärt. Sicherlich wollte nun auch Corvinus sich schlafen legen, genauso, wie es Avianus selbst vor hatte. Es gab also keinen weiteren Grund mehr, das Gespräch in die Länge ziehen zu lassen.


    "Ich danke dir für deine Zeit, Marcus. Wahrscheinlich willst du jetzt genauso gerne schlafen, wie ich es möchte", erhob sich Avianus.

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus
    Die Holzkiste von Avianus staunte Ursus für einen Moment an. "Danke, Tiberius. Ich nehme an, Du wirst mir nicht verraten, was drin ist? Das wird mir wirklich schwer fallen, nicht hineinzusehen, bevor wir angekommen sind." Er übergab die Kiste an Cimon, der sie sicher verstauen würde. Dann zog er auch den Vetter in eine herzliche Umarmung, wie sie unter Verwandten durchaus üblich war. "Mantua ist nicht wirklich weit weg, vergeßt das nicht. So, ich denke, wir sollten jetzt los." Sein Blick suchte den seiner Frau, um herauszufinden, ob sie auch soweit war.


    Avianus ließ sich in die Umarmung ziehen und klopfte seinem Vettern sanft auf den Rücken. Nachdem die Umarmung vollzogen war, legte er Ursus beide Hände auf die Schultern und lächelte. "Das würde dich der Spannung berauben, wenn ich es dir sage. Außerdem wird es nach der langen Reise eine wohltuende Freude sein, das Geschenk zu öffnen." Vorfreude war außerdem bekanntlich die schönste Freude.
    "Und doch werden wir uns nun seltener sehen. Pass auf dich auf, Titus!"


    Die Aufmerksamkeit lenkte sich von Ursus ab, als Lupus auf ihn zukam und ihn leicht antippte. Avianus blickte den Vettern an, mit dem er bis jetzt wenig zu tun hatte und lauschte seinen Worten. "Selbstverständlich habe ich Zeit. Und wie es mit der Geduld bestellt ist, das hängt vom Thema ab", grinste er und signalisierte damit deutlich, dass letzterer Satz nur ein kleiner Scherz seinerseits war. Natürlich würde er auf alles eingehen, was Lupus ihn fragen würde.

    Avianus war entschlossen, die Mörder zu finden - dennoch war er nur in dieser Sache entschlossen und empfand, wenn es um die Verarbeitung des Todes seines Vaters ging, eher Trauer. Es gab Momenten, an denen musste ein Mensch in Avianus' Position stark sein. Für ihn war dieser Moment jeder Moment. Es gab ihm Trost und Kraft, dass sein Onkel zu ihm hielt und so legte Avianus sanft die Hand auf die Schulter von Corvinus. "Der Tag wird kommen..." Wenn Avianus so sprach, brach in ihm ein innerer Konflikt aus.
    Wenn er nach Rache strebte, was würde er tun? Wäre er besser als die Mörder? Wäre es das gewesen, was Vater von ihm wollte?! Er stockte im Geiste und ihm wurde schwer.


    "Fürsprecher", grübelte Avianus nach, "Prinzipiell ist es besser, umso mehr zu haben. Jeder weitere Fürsprecher erhöht meine Chancen."

    Avianus kam mit einer kleinen, aber charmanten Verspätung vor das Haus, denn seine Sklaven hatten sich heute etwas Zeit gelassen und obwohl Avianus sie hetzte und laut schimpfte, dachten diese nicht daran, ein wenig mehr Tempo hinzulegen. Als er ankam, war schon fast die gesamte Familie dort versammelt und es berührte ihn fast schon peinlich, dass er nun der Letzte zu sein schien. In seiner Hand hielt Avianus wenigstens ein Abschiedgeschenk für seinen Vettern. Etwas ungeheuer Wertvolles, das Avianus geholfen hat, wenn er auf schlechte Gedanken kam. Nun sollte Ursus es haben, denn wo Heimweh war, dort wären schlechte Gedanken nicht fern.
    Dennoch hasste Avianus lange, tränenreiche Abschiede. Nicht, weil er selbst weinen würde. Diese Eigenschaft hatte der Aurelier vor langer Zeit abgeschworen, hatte sie gegen Stärke eingetauscht. Ihm taten er die Frauen und zarter besaiteten Persönlichkeiten leid, die heute nicht um eine Träne herumkommen würden. Ursus war immer ein Teil von ihnen gewesen - da er nun ging, würde das Haus leerer erscheinen. Es war, als würde ein Ei im Vogelnest fehlen, ein Stuhl am Tisch, dem Legionär sein Schwert. Und doch war der Dienst mit dem Schwert Ursus' Bestimmung geworden, denn er wurde zum Legaten. Avianus war stolz, dass sein Vetter es so weit gebracht hatte. Wahrlich, er hatte seinen Weg gemacht. Nichts, was Avianus von sich behaupten konnte, denn er hatte noch unzählige Dinge im Leben vor, eine teure Rechnung mit jemandem offen, die er begleichen würde.


    Doch heute galt der Tag ganz seinem Vettern Ursus und die Interessen des jungen Aureliers mussten zurückweichen. Unauffällig huschte Avianus an den anderen vorbei, in der Hoffnung, seine Verspätung würde nicht auffallen und trat an Ursus heran, der gerade mit jemand anderem sprach. "Ursus", sprach er mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen. Er wartete nicht lange und drückte ihm die Holzkiste mit dem Abschiedsgeschenk förmlich in die Hand. "Dies soll dein Abschiedsgeschenk sein. Gewiss mag es dein Herz mit Trauer füllen, zu gehen. Doch geh', denn dich erwartet Ruhm und Ehre als Legat der Legio Prima. Mach die Kiste erst auf, wenn du ankommst und immer wenn du dich nach deiner Familie sehnst, so soll dir ihr Inhalt Kraft spenden. Ich habe diesen Gegenstand selbst genutzt, und er hat mich in der schwierigsten Situation im Leben gestärkt. Nun soll er dich stärken." Ein Gladius hatte Avianus seinem Vettern schon einmal geschenkt... doch dieses eine Kurzschwert war etwas Besonderes. Avianus hatte es im Gefecht in Germanien damals eingesetzt und das Familienwappen aus Gold zierte die Waffe am Knauf.

    Seine Seele war schon das halbe Leben lang einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, was ihm ebenfalls sehr zu schaffen machte. Einmal war er traurig, wütend, ratlos und verzweifelt zugleich, im anderen Moment erholte er sich wieder von den Wunden, bis das Damals ihn einholte. Es schien wie etwas zu sein, was man im Leben nicht los wurde, selbst wenn man es wollte. Ein Gedanke, so selbstverständlich, wie das zu Bette gehen am Abend. Erinnerungen, die man verstieß, die jedoch im falschen Moment wieder hochkamen - im Grunde war es immer der Moment für sie, es gab gar keinen Richtigen, er existierte nicht! Es wäre schon leichter für Avianus gewesen, sich davon endgültig erholen zu können oder immer den Gleichen Zustand zu haben, denn ann wusste er wenigstens, wer er überhaupt war. Doch so war es nicht. Immer erholte er sich, lebte einige Wochen oder gar Monate lang, doch irgendwann, wusste er sicher, würde ihn seine Vergangenheit einholen. Er würde ihr eines Tages nicht mehr entfliehen können. Er wusste genau, dass er, wenn, dann mit seiner Vergangenheit eines Tages abrechnen musste, denn nur das würde ihm den Frieden bringen, den er sich so sehr wünschte. Einen Schlusstrich ziehen, sich der eigenen und des Vaters Vergangenheit zu stellen, mächtig und stark zu sein - die Mörder endlich zu finden, sie zu strafen, so wie sie es verdienten. Ja, das war Avianus' Wunsch und er hatte geschworen, die Mörder zu finden. Und er brach keinen Schwur.


    Narcissa stockte, kurz bevor Avianus mit dem Reden anfing und er sah sie mit geweiteten Augen an, als wäre ihr etwas zugestoßen. Er blickte ihr in die grünen Augen, die ihren Schrecken verrieten und machte sich kurz Sorgen, ehe sich die Aureliern selbst wieder fing. "Ich wollte dir keine Angst einjagen", murmelte Avianus still, "Tut mir leid." Nachdem er schreckliche Dinge in Germanien gesehen hatte, im Leben durchgemacht hatte, würde er keine Träne mehr im Leben vergießen, denn dazu war er zu stark, oder eher zu stumpf? Er wusste es nicht. Und fest stand, obwohl er sich sicher war, nie wieder weinen zu müssen, so feuchteten sich seine Augen etwas, während er der Verwandten zuhörte. Narcissa hatte Recht und niemand konnte ihm Vater zurückbringen - dennoch wusste er, dass eine Sache passierten sollte. Die Mörder zu stellen. Eines Tages würde er dies tun. "Ich habe Anhaltspunkte und nur ich weiß darüber... ich kann sie finden, Narcissa. Aber nicht alleine. Ich würde die Mörder selbst..." er unterbrach den Satz, stockte über seine eigenen Worte und Gedanken "Aber das würde unseren Namen, unsere Ehre schänden. Ich muss einen anderen Weg finden. Der Consul Tiberius Durus hat die Todesstrafe in seiner Amtszeit verschärft geltend gemacht."

    Obwohl viele Dinge schwer auf seinem Herz lasteten - sein Leben sollte sich nach einer möglichen Aufnahme im Senat schnell wandeln - und sein Herz schwer war, denn Vieles quälte ihn in letzter Zeit - so vergaß Avianus nie, nach der Gunst der Götter zu streben, so wie es ein wahrer Römer tat. Er erschien zum Tempel, so wie man als Betender nunmal erschien. Nicht in der Kleidung, die der Aurelier sonst immer trug, sondern barfuß in weißen Gewändern, mit bedecktem Kopf, so dass man ihn als Opferherren idntifizieren konnte. Er war still, als er sich dem Tempel näherte, ebenfalls so wie immer, denn er sammelte seine Worte, um den großen Jupiter, mächtigsten aller Götter mit Respekt anzusprechen. Während Avianus sich an dem Waschbecken vor dem Tempel um seine Reinheit kümmerte, in dem er sich die Hände wusch, transportierten zwei Diener den Foculus und die Opfergaben in das Innere, um sie dem Aurelier bereitzustellen, welcher bald mit gesäuberten Händen und voller Reinheit erschien.


    Vor dem Foculus ging Avianus auf die Knie und sah die mächtige, massive Statue des Jupiters einige Sekunden lang an. Anschließend entzündete er den Weihrauch, der ihn umschlang, als wäre er etwas Lebendiges, was Besitz von ihm ergreifen wollte. Er atmete ihn ein. Ein mittlerweile alltäglicher Geruch für ihn, wohltuend, denn er tat Gutes. Nun war die Verbindung zum Reich der Götter hergestellt und Avianus fühlte, dass er nicht allein war. Seine ruhigen Hande waren offen, die Handflächen zeigten nach oben. Ein Zustand vollkommener Ruhe ergriff Besitz von dem jungen Aurelier und er konzentrierte sich, vergaß das nähere Umfeld sondern hatte nur noch Augen für die Durchführung seines unblutigen Opfers.
    Mit lauter, inbrünstiger Stimme fing er entschlossen an, zu reden:


    "Oh Jupiter, mächtiger Göttervater, Gebieter über Donner und Blitz!
    Jüngster Sohn des Saturn und der Ops!
    Bruder von Neptun, Pluto, Juno und Ceres!
    Du mächtigster aller Götter, der Aeneas einst zur Gründung unserer Stadt verhalf, du siegbringender Iupiter Victor, der uns zu unseren Siegen verhalf, Regent über das silberne Zeitalter! Erhöre mein Gebet!
    Immer war ich fromm - habe geopfert und gedankt, mich für die Unterstützung der Götter bedankt! Und erneut gebe ich dir diese Opfergaben, um Dich um Deine Unterstützung zu bitten!


    Avianus lag die Opfergaben vorsichtig auf den Foculus - eine bunte Mischung aus verschiedenen Obstsorten. Abwechslungsreich, aber von nichts zu viel, in der Summe jedoch stattlich. Äpfel, Trauben, Erdbeeren, Oliven, Kirschen und was der römische Obstgarten sonst noch gab. Dazu eine kleine Gabe aus 100 Sesterzen. Anschließend schob er den Foculus von sich weg, eine Geste, dass er gab und nichts für sich beanspruchen wollte.


    Ich bitte um ein günstiges Schicksal für meine Familie und mich! Unterstütze mich für meine Aufnahme in den Rängen des Senates, damit ich meinen Traum verwirklichen kann, unserem großen Imperium zu dienen! Erweise uns deine Gunst! Auch in Zukunft werde ich fromm bleiben, Iupitter! Do ut des!


    Anschließend ließ er die Gaben stehen, der Weihrauch löste sich allmählich auf. Mir einer Wende nach rechts erhob er sich und verließ langsam, respektvoll den Tempel.

    Avianus hatte gewartet und in letzter Zeit, seit ihn die Erinnerungen wieder heimsuchten, hatte er viel weniger Geduld für alles und jeden gehabt. Hier hatte er ebenfalls keine Geduld, da die Sklavin sie zwar ansprach, dennoch aber untätig dort verharrte und kein Wort herausbrachte. Mit einer Mischung aus Verwunderng und Verwirrung ließ er sie einfach stehen - sie würde sich melden, wenn es wichtig wäre - und wandte sich wieder an Narcissa. Avianus hingegen lehnte sich nach vorne, stützte seinen Kopf an seiner Handfläche ab, dass sein Kinn in der Handfläche versank und begann, seine traurige Geschichte zu erzählen. Er sah dabei in den Boden, den kalten und steinigen, den er mit der Welt, sich selbst in Verbindung brachte. Wenn die Erinnerungen an damals hochkamen, wurde er auch kalt und steinig, düster und normalerweise auch abweisend, doch diese Eigenschaft hatte ihm Narcissa genommen.
    "Damals, wegen Vater... ich habe ihn verloren, seit ich sechzehn bin und ich vermisse ihn bis heute. Die alten Wunden stechen mich immer in mein Herz, als wollten sie es verletzten, und nicht vernichten. Doch sie lassen es nicht verbluten - der Schmerz heilt, nur um irgendwann wieder aufzutauchen. Ich hasse es, und doch kann ich nicht ruhen, bis ich die Mörder gefunden habe... als ich in der Politik begann, habe ich gehofft, dies alles zu vergessen. Diesen dunklen Lebensabschnitt hinter mir zu lassen. Es half mir nicht." Avianus seufzte und erinnerte sich an den Kampf, den er in seinem Tribunat im germanischen Wald ausgefochten hatte. Die Bilder schmerzten nicht so sehr, wie das mit Vater, obwohl das Blut immer noch an seinen Händen klebte. "Ich habe in meinem Tribunat Männer erschlagen, die meinen Tod wollten. Keine Gnade habe ich mit ihnen gehabt", Avianus wandte seinen Blick ab, denn er wollte der Verwandten nicht ins Auge sehen, während er erzählte, "Ich bin stark geworden. Das Leben hat mich stark gemacht, aber auch gnadenlos. Und doch scheinen Wunden aufgerissen zu werden, die ich mir zugezogen hatte, als ich schwach war. Als ich schwach war in einem Moment, an dem ich Stärke benötigt hatte. Ich mache mir heute noch Vorwürfe, dass ich nicht da war. Vielleicht, ja vielleicht... hätte Vater noch leben können. Wenn ich ein besserer Sohn gewesen wäre."

    Avianus nickte und war insgeheim doch erfreut, dass der unangenehme Teil nun endlich vorbei war. Dass der Purgitier ihm Aufgaben versprach, sollte etwas anfallen, war für den Aurelier wenigstens ein Zeichen, dass ihr Vertrauen zueinander noch nicht gebrochen war. Anschließend erhob sich Avianus und lächelte seinem Patronen zu.
    "Ich werde die Neuigkeiten erwarten. Danke für deinen Empfang, Macer."