Beiträge von Iunia Axilla

    Immernoch etwas wortkarg nickte Axilla einfach zu allem und nahm die Liste wieder zurück. Das Kopieren sollte kein Problem sein, das ging ja wesentlich schneller, als es zu überarbeiten. Die Schreiberlinge hier waren sehr schnell im Schreiben.
    Dass der Kosmetes nicht einmal eine eigene Stube hatte, erschien ihr etwas seltsam. Er war doch Beamter? Was machte er dann den ganzen Tag hier im Gymnasion? Lief der dauernd herum? Komisches Amt, befand sie in ihrer Unkenntnis.
    “Gut, dann geb ich das den Schreibern und mach mich auf die Suche nach Cleonymus.“
    Na, hoffentlich fand sie den schnell. Sie wusste ja eigentlich noch nicht einmal so genau, wie der aussah.

    Im Halbschlaf war Axilla hierher gekommen. So früh aufgestanden war sie ihres Wissens noch gar nie. Sie würde sich erst noch daran gewöhnen müssen, soviel stand fest. Aber das Gehen von der Basileia bis zum Gymnasion machte sie einigermaßen wach. Sie war gerade erst hereingekommen und hatte sich zu ihrem Schreibtisch begeben, als auch schon Nikolaos hereinkam und ihr Aufgaben erteilte.
    “Guten Morgen, Nikolaos.“ Sie unterdrückte ein Gähnen, nicht dass er noch dachte, er langweile sie, und nickte einfach nur etwas stumm. Morgens war sie immer ein klein wenig wortkarg.
    Sie suchte kurz die Liste heraus und versuchte, richtig wach zu werden. Am besten, sie würde einfach reden, das weckte sie meistens etwas auf.
    “Wir haben die Liste gestern noch fertig überarbeitet, aber ich wollte sie heute noch mal neu schreiben mit den anderen. Ein bisschen mehr Ordnung reinbringen und so. Außer, du meinst, das geht so.“
    Bei einigen war es gar nicht so einfach gewesen, herauszufinden, ob die denn noch Schüler waren oder doch nicht mehr. Aber mit ein wenig Fleiß und Spucke ging ja bekanntlich alles. Und wenn man die Hilfsschreiber nett fragte, halfen die einem sogar richtig, hatte sie festgestellt.
    Sie übergab die Liste an Nikolaos, damit er selber schauen konnte, ob es ihm so recht war oder ob er ihren Vorschlag aufgreifen wollte. Axilla war für Durchsetzungskraft definitiv noch zu müde.
    “Der Kosmetes hat sein officium auch hier im Gymnasion, oder?“ Axilla war sich nicht ganz sicher. Sie glaubte, das Amt war so eine Art Schiedsrichter für Sport, wenn sie das richtig gelesen hatte. Aber so genau hatte sie sich damit noch nicht befasst.

    “Gut“, sagte Axilla, klatschte die Hände einmal leise zusammen und rieb sie etwas, als würde sie sie so für die bevorstehende Arbeit vorbereiten. Da es sonst nichts mehr zu sagen gab und sie ja auch gleich anfangen sollte, machte sie sich auch direkt auf den Weg ins Vorzimmer, wo sie von nun an arbeiten würde.
    Sie schenkte Nikolaos noch einmal ein freudig strahlendes Lächeln, als sie aus seinem Amtsraum hinaustrat und die Tür wieder schloss, damit der Gymnasiarchos auch seine Ruhe für seine Arbeit hatte. Draußen drehte sie sich auf den Hacken um und besah sich ihr persönliches Schlachtfeld.
    Die Hilfsschreiber schauten auch kurz zu ihr auf, und sie wartete einfach einen Moment, schweigend, bis so ziemlich alle herschauten. Ihre Stimme war leise – sie wollte ja nicht, dass Nikolaos alles hörte, was sie jetzt sagen würde – und nicht so ruhig, wie sie es gerne hätte, aber das machte nichts. Ihr zumindest nicht.
    “Chairete. Der Gymnasiarchos hat mich eben als seinen Scriba personalis eingestellt. Das heißt, ich werde mich gleich hier einrichten und mit euch hier arbeiten.“
    Ein kleines Gemurmel war zu hören, als die Schreiberlinge sich die halbe Portion anschauten, die nun hier vor ihnen stand und eine Ebene über ihnen stehen wollte.
    “Der Gymnasiarchos meinte, ihr sollt mir gehorchen, und wenn nicht, soll ich euch schlagen.“ Sie ließ den Satz kurz wirken und schaute auf die Reaktionen in den Gesichtern. Dann fuhr sie mit ehrlicher Freundlichkeit in ihrem Lächeln aber fort. “Aber das werde ich nicht tun. Solange ihr es nicht darauf anlegt. Ich finde, Schlagen hat wenig mit Respekt zu tun. Und warum solltet ihr mich respektieren, wenn ich euch nicht ebenso als das respektiere, was ihr seid? Meine Helfer nämlich, und wenn ihr mir helft, helfe ich dann auch euch.“
    Sie beobachtete genau die Reaktionen, versuchte herauszufinden, wie sich ihre Truppe fühlte. Sie hatte so oft ihrem Vater gelauscht, vor allem, wenn er mit seinem Schwertbruder im Atrium gesessen war und sie philosophiert hatten über die richtige Art, eine Truppe zu führen. Ihr Vater war ein Freund der Ansichten von Alexander dem Großen. Niemand respektierte einen nur um des Namens willen. Man respektierte jemanden um seiner Taten willen. Und wenn man etwas von einem anderen verlangte, musste man bereit sein, genau dasselbe ebenfalls zu leisten.
    Und genau diese Gedanken waren es, die Axilla gerade antrieben. Sie würde sich den Respekt ihrer Hilfsschreiber nicht durch Prügel und Strafen holen, sie wollte, dass sie das, was sie taten, gern für sie taten, weil sie sie wirklich respektierten. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie sie das nun im Einzelnen anstellen sollte, aber das war der Weg, den sie gehen wollte. Und solange sie es konnte, würde sie es auch so machen.
    “Gut, nachdem das dann geklärt ist: Wo sind die Schülerlisten?“
    Ab jetzt galt es, zu arbeiten.

    Unsicher betrat Axilla Silanus’ Officium. Sie erinnerte sich noch zu gut an das letzte Mal, als sie hier bei ihm war, und wollte so eine Szene ungern wiederholen. Sie hoffte, ihr Vetter erinnerte sich nicht mehr so genau daran, denn wenn sie so zurückblickte, war es ihr doch ein klein wenig peinlich. Aber der Sklave, der geschickt worden war, klang so, als wäre es wirklich wichtig. Also war sie trotz ihrer Bedenken gekommen und trat nach einem eher provisorischen Anklopfen in den Raum auch gleich ein, ohne auf ein Zeichen von Innen groß zu warten.
    “Du hast nach mir schicken lassen?“
    Dass er auch nach Urgulania hatte schicken lassen, wusste Axilla ja nicht. Sonst hätte sie wohl von selbst erkannt, worum es sich handelte, ahtte er ihr seine Pläne doch bereits in ihrem Cubiculum mitgeteilt. Und sie wäre wahrscheinlich bei weitem weniger nervös gewesen.

    “Oh, ja, natürlich…“ gab Axilla etwas kleinlaut zu. Sie kam sich gerade wieder sehr jung vor, und auch ein wenig dämlich. Sie hatte ja das Amt gemeint, aber sich mal wieder ein wenig verquer ausgedrückt, wie sie es häufig zu tun pflegte. Sie wusste ja, dass hier in Alexandria gewählt wurde. Und ihr Lehrer Iason damals in Tarraco hatte auch sein möglichstes getan, ihr die Grundzüge der griechischen Demokratie beizubringen, damit sie wusste, wie das funktionierte. Aber manchmal vergaß sie das alles nur allzu leicht.
    Aber dass sie ihn einfach mit Vornamen anreden konnte, das machte das ganze schon wieder ein ganzes Stückweit weniger peinlich. Das hatte eine etwas vertrautere Basis, und Axilla fühlte sich bei allzu förmlichen Dingen immer ein wenig unterlegen und dadurch unwohl. Da war ihr das schon weitaus lieber. Und sie wäre nicht sie selbst, wenn sie ihre Unsicherheit nicht hinter einer perfekten Maske jugendlichen Überschwangs zu verbergen wüsste. Also lächelte sie freudig zurück und sah sich voller Tatendrang einmal kurz um.
    “Gut, dann hab ich keine Fragen mehr und kann mich um die Schülerliste kümmern. Hast du noch Fragen an mich, oder soll ich dann gleich mal anfangen?“
    Als erstes würde sie aber, wenn sie im Vorraum mit den anderen Schreibern allein war, sich richtig vorstellen. Schließlich würde sie am Anfang bestimmt von diesen „Eseln, die schreiben können“ ganz viel Hilfe benötigen, bis sie selber alles fand und wusste.

    Leander schaute noch mal, vor allem, als sein Gegenüber die Notiz auf dem Brief machte. Aber dann schüttelte er nur den Kopf. Er hatte sonst nichts abzugeben.
    “Nein. Du kannst mir noch die Post für die Villa Iunia mitgeben, falls welche da ist, aber sonst hab ich nichts mehr. War nur der eine Brief“

    Armer Leander, hatte er davon doch genausowenig Ahnung wie seine Herrin. Er schaute auf die Stelle und runzelte nachdenklich die Stirn.
    “Nun, wenn die keine eigenen Büros haben, dann wird die Villa Aurelia denke ich schon richtig sein. Geht ja an einen Aurelier, der Brief.“
    Na hoffentlich kam der Brief richtig an. Er glaubte zwar nicht, dass er deswegen Ärger mit Axilla bekommen würde, aber sie würde sich sonst noch selbst Vorwürfe machen.

    Bei Sonnenaufgang da sein? Oha, dann musste Leander sie früher wecken. Sie war doch so ein Morgenmuffel. Aber gut, das würde sie schon hinbekommen. Und das andere klang ja prima. Wenn sie gut arbeitete, hatte sie mehr frei, das war doch großartig! Nun, über einen freien Tag in der Woche hätte sie sich auch nicht unbedingt beschwert, aber das würde sich schon einrichten lassen irgendwie. Aber das würde sie nicht jetzt gleich ansprechen, sie war erstmal nur froh, die Stelle zu haben.
    “Oh, gut. Dann hab ich nur noch eine Frage. Wie soll ich dich ansprechen? Also, wenn ich Besucher bringe, natürlich mit deinem Titel. Aber soll ich den auch benutzen, wenn wir beide miteinander reden?“
    Wie direkt diese Frage war, fiel Axilla nichtmal auf. In ihrer jugendlichen Naivität fragte sie einfach so, wie ihr die Frage durch den Kopf geschossen war. Sie sprach alle Griechen, die sie sonst kannte, mit Vornamen an, ohne groß darüber nachzudenken. Aber da Nikolaos ihr Chef war, wollte sie ihn lieber fragen, wie denn die angemessene und richtige Anrede für ihn war. Mit ihm war sie ja nicht befreundet, und er war auch kein Händler und kein Sklave. Da war vielleicht ein etwas förmlicherer Umgang angebracht.

    Leander war gemütlich durch die Straßen Alexandrias gelaufen. Briefe zur Post zu bringen machte er zwar normalerweise nicht, aber für seine junge Herrin Axilla tat er es gerne. Diese war in letzter Zeit noch häufiger viel trauriger als ohnehin schon. Also, wenn sie glaubte, niemand sah hin und würde es bemerken. Aber Leander hatte es bemerkt, und da er seine Herrin gern hatte, tat er ihr natürlich gerne den Gefallen. Abgesehen davon, dass er als Sklave ohnehin tun musste, was sie sagte.
    So war er also zum Cursus Publicus gekommen, um den Brief abzugeben. Das Geld für die Gebühren hatte er auch bekommen und legte also beides auf den Tisch.



    Tiberius Aurelius Avianus
    Decemvir litibus iucandis
    Roma


    Salve Aurelius Avianus,


    zunächst einmal möchte ich dir danken für die tröstlichen Worte. Auch wenn wir uns nicht kennen, bedeuteten sie mir doch viel. In deiner Funktion als decemvir hast du sicherlich viel zu tun und nicht immer die Zeit, dir um solcherlei Dinge Gedanken zu machen. Daher möchte ich dir zweifach danken, dass du mir dennoch diese Worte geschickt hast.


    Was das Erbe meines Onkels Marcus Iunius Varus angeht: Ich möchte es antreten. So er Vermögen oder Schulden hat, werde ich meinen Teil davon tragen.
    Auch, wenn ich gestehen muss, dass es mich ein wenig verwirrt, von dir aus Rom so zu hören, wo er doch hier bei mir in Aegyptus verstorben ist. Ich dachte, seine Habseligkeiten seien uns schon überbracht worden?
    Nunja, gewiss wird alles seine Richtigkeit haben. Bestimmt mache ich mir nur zu viele Gedanken und halte dich mit meinen ausschweifenden Zeilen von der Arbeit ab.


    Wenn es noch etwas gibt, was ich tun muss, schreibe mir bitte zurück. Ich muss gestehen, sehr unerfahren mit dieserlei Problemen zu sein.


    Vale


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    Sim-Off:

    Gebühr bezahlt

    Irgendwie bekam Axilla das ungute Gefühl, bei dieser Aufgabe fürchterlich zu versagen. Sie sollte nicht nett sein? Sie war aber immer nett, außer wenn man nicht nett zu ihr war. Sie war vielleicht manchmal vorlaut und herausfordernd und vielleicht auch manchmal großspurig, aber „nicht nett“ war etwas, was sie nicht war. Und geschlagen hatte sie auch noch nie jemanden. Nun, von ein paar Prügeleien als Kind mal abgesehen. Aber noch nie hatte sie einen Untergebenen geschlagen. Gar, gar nie! Ihre Familie hielt nichts davon, Sklaven derart zu behandeln. Ihr Vater hatte sogar absolut nichts davon gehalten. Er hatte vielmehr die Ansicht, dass Sklaven wirklich zur Familie gehörten, und da er seine Familienmitglieder nicht schlug, wurden auch Sklaven nicht geschlagen. Und mit freundlicher Bestimmtheit erreichte man ja auch genauso viel wie mit schweren Strafen. Zumindest hätte noch nie einer ihrer Sklaven irgendetwas angestellt.
    Puh, das würde ja was geben. Aber sie würde erstmal versuchen, bestimmt und freundlich zu den Hilfsschreibern zu sein. Sie war sich sicher, dass sie das mit dem Schlagen sowieso nicht hinkriegen würde. Sie würde vielleicht Gift und Galle spucken und sämtliche Flüche der Unterwelt auf jemanden hinabbeschwören, aber damit sie körperlich wurde, musste derjenige sie schon auch angehen. Dann würde sie aber eher die Faust nehmen und nicht irgendeinen Stock.


    “Ähm, bin ich dafür nicht etwas falsch angezogen? Ich meine…“
    Sie sah an sich hinunter. Die Tunika war sauber und aus gutem Stoff. Aber sie war absolut nichts besonderes. Nichtmal schöne Verzierungen hatte das Ding. “… ist das nicht etwas zu schlicht? Also, als „Meisterin des Vorzimmers des Gymnasiarchos“, sollte ich da nicht ein wenig mehr hermachen?“
    Axilla hatte ja keine Ahnung, wie Nikolaos sich seinen Scriba wünschte. Wenn er mit einem Mädchen, das sich nicht im geringsten heute herausgeputzt hatte, zufrieden war, dann musste sie sich in den nächsten Tagen schon nicht zuviel Gedanken um ihr Aussehen machen. Sie war ja hübsch, aber eben nicht schick aufgemacht heute.
    “Und bin ich zum Abend wieder daheim? Sonst macht man sich noch Sorgen, wo ich bleibe, und ich muss einen Boten schicken.“
    Wusste ja niemand, dass sie hier war. Sie war ja ganz allein gekommen und auch allein durch die Stadt geschlendert. Auch wenn sie wusste, dass manche Alexandria als zu gefährlich dafür ansahen. Aber Axilla war schon immer mit einem herrlich niedrigen Risikobewusstsein, großer Abenteuerlust und dem Selbstvertrauen der Jugend ausgestattet gewesen und hatte daher nicht einmal daran gedacht, einen Sklaven als Begleitung mitzunehmen. Sie war nun schon über ein halbes Jahr in Alexandria, und sie fühlte sich in dieser Stadt schon fast zuhause.

    Nach langem Hin und Her hatte Axilla schließlich doch beschlossen, einfach einmal einen Brief zu schreiben. Urgulania wollte sie deswegen nun nicht nerven, und seit sie Silanus ihr „nein“ mitgeteilt hatte, war ihr Kontakt doch recht unterkühlt. Abgesehen davon, dass er sich bei der Legion verkrochen hatte und sie nicht „mal eben kurz“ nach Nikopolis deswegen gehen konnte. Wahrscheinlich wäre er deswegen nicht besonders erfreut. Und sein Kommandant wohl noch weniger.
    Also hatte sie sich von Leander Papier und Tinte bringen lassen. Die lange Feder wog seltsam schwer in ihrer Hand, aber sie schrieb sauber und ohne zu klecksen. Der Farbmischer, den sie gekauft hatte, machte das wohl wirklich gut mit der Tinte, stellte sie zufrieden fest.



    Tiberius Aurelius Avianus
    Decemvir litibus iucandis
    Roma


    Salve Aurelius Avianus,


    zunächst einmal möchte ich dir danken für die tröstlichen Worte. Auch wenn wir uns nicht kennen, bedeuteten sie mir doch viel. In deiner Funktion als decemvir hast du sicherlich viel zu tun und nicht immer die Zeit, dir um solcherlei Dinge Gedanken zu machen. Daher möchte ich dir zweifach danken, dass du mir dennoch diese Worte geschickt hast.


    Was das Erbe meines Onkels Marcus Iunius Varus angeht: Ich möchte es antreten. So er Vermögen oder Schulden hat, werde ich meinen Teil davon tragen.
    Auch, wenn ich gestehen muss, dass es mich ein wenig verwirrt, von dir aus Rom so zu hören, wo er doch hier bei mir in Aegyptus verstorben ist. Ich dachte, seine Habseligkeiten seien uns schon überbracht worden?
    Nunja, gewiss wird alles seine Richtigkeit haben. Bestimmt mache ich mir nur zu viele Gedanken und halte dich mit meinen ausschweifenden Zeilen von der Arbeit ab.


    Wenn es noch etwas gibt, was ich tun muss, schreibe mir bitte zurück. Ich muss gestehen, sehr unerfahren mit dieserlei Problemen zu sein.


    Vale


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    Anschließend rief sie nach Leander, damit er den frisch versiegelten Brief zum Cursus Publicus bringen konnte.

    Axilla konnte ihr Glück immer noch nicht so wirklich fassen. Aber so langsam drang die Erkenntnis durch, dass sie wirklich wieder eine Aufgabe hatte. Eine richtige, echte Aufgabe, die auch wichtig war. Nicht mehr nur daheim sein und nichts tun, nein, etwas wirklich sinnvolles. So langsam fing sie richtig an, zu strahlen.
    “Oh, natürlich, Drachmen. Ich meine, die Händler nehmen zwar auch Sesterzen, aber Drachmen sind wohl wirklich einfacher. Und am Ende ist es ja eigentlich egal, was für ein Bild auf den Münzen ist, nicht wahr?“
    Der Wert einer Münze wurde ja so oder so durch ihre Größe und ihr Gewicht bestimmt. Nur, weil Drachmen und Sesterzen geeicht waren und damit nicht immer nachgewogen werden mussten, waren sie praktischer. Aber zur Not nahm so mancher Händler auch Goldkörner als Bezahlung an. Und Axilla ging es ja wirklich nur darum, Arbeit zu haben. Wenn sie sich dafür ab und an auf dem Markt dann noch etwas besonderes von ihrem eigenen, selbst erarbeiteten Geld leisten konnte, dann war das mehr eine Art persönlicher Genugtuung und Belohnung. Sie brauchte ja nichts dringend für ihren Lebensunterhalt.
    “Hm, wann soll ich dann anfangen?“
    Für „gleich“ war Axilla wahrscheinlich nicht repräsentativ genug angezogen. Sie hatte ja auch nicht damit gerechnet, gleich ein „ja“ zu bekommen und fast fix mit einem „nein“ gerechnet. Daher waren ihre Gedanken ein wenig chaotischer als gewöhnlich, dafür aber war sie seit langem mal wieder so richtig glücklich.

    Pflichtschuldig hatte Leander seiner Herrin den Brief gebracht, der am Morgen für sie eingetroffen war. Axilla hatte sich mit dem Schreiben ins Atrium begeben und es dort noch einmal gelesen. Sie war in Tränen ausgebrochen.
    Natürlich hatte sie schon eher erfahren, dass ihr Onkel Marcus Iunius Varus verstorben war. Immerhin war er ja auch hier in Aegyptus stationiert gewesen, um seinen Brüdern zu folgen und sich der Legion anzuschließen. Und so groß war die Provinz auch wieder nicht, und Varus war noch in der Grundausbildung gewesen. Zumindest, soweit sie wusste. Aber dennoch war es für sie schwer, wenn es ihr noch einmal so deutlich vor Augen geführt wurde.
    Nun waren sie alle tot. Publius Iunius Varus hatte fünf Söhne gehabt, und nun waren sie alle gestorben. Alle wollten sie ihrem Vaterland, Rom, Ehre machen, und alles waren sie gestorben dafür. Eine ganze Linie beinahe ausgelöscht. Axilla wusste, sie hatte noch einen Cousin irgendwo in Hispania. Aber sie könnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals getroffen zu haben oder gar mit ihm geredet zu haben. Da Mutter immer schon kränklich und nach Vaters Tod auch richtig krank gewesen war, hatte Axilla auch nie besonders viel Sinn gehabt, in der Gegend herumzureisen und Verwandte zu besuchen. Und zu ihr nach Hause war er nie gekommen, daran würde sie sich erinnern.
    Fünf Söhne, und nun gab es nur noch sie beide, um diese Linie fortzuführen. Nur zwei. Die ganze Last dieser Wahrheit drückte auf Axillas kleine Schultern, und sie sah nach unten. Was nur sollte sie denn machen? Sie wusste es einfach nicht, was das richtige war. Sie hatte niemals soviel Verantwortung gewollt, und nun schien es, als würde das Schicksal ihr immer mehr und mehr einfach aufbürden, ob sie wollte oder nicht. Natürlich könnte sie es sich auch leicht machen und einfach ignorieren, ihre Verwandten würden ihr daraus wohl keinen Strick drehen. Aber… nein, das war es nicht, was ihr Vater sie gelehrt hatte. Ehre war etwas wichtiges, auch wenn sie ihre hier schon zweimal einfach weggeworfen hatte. Aber sie sollte versuchen, sich ehrenvoll zu benehmen, und versuchen, ihrem Zweig der Familie wieder Ehre zu machen.


    Sie wischte die Tränen aus den Augen und las den Brief noch mal durch. Erbe antreten… Wenn sie wüsste, wie das ginge! Sie konnte doch nicht einfach zurückschreiben: „Ja, ich trete mein Erbe an“, oder doch? Und wenn es so ging, an wen? Tiberius Aurelius Avianus, ein Vigintivir… aber sie konnte ja nicht als Adresse nur „An den Vigintivir TAA in Rom“ schrieben und hoffen, der Cursus Publicus würde ihn schon irgendwie finden. Immerhin lebten in Rom Tausende von Menschen, da konnte Axilla doch wohl nicht erwarten, dass der CP von allen wusste, wo die wohnten? Nungut, bei einem Vigintivir war das vielleicht noch was anderes, die hatten ja sicher irgendwo ein hochoffizielles officium.
    Trotzdem saß Axilla erstmal nur da und zerbrach sich ihren Kopf, was sie machen sollte.

    Als Axilla aufwachte, sah sie noch das Lächeln ihres Vaters vor sich. Für einen Moment, bevor sie noch richtig wach war, war er noch bei ihr, noch am Leben, und hielt sie lächelnd in seinen Armen. Sie konnte ihn so deutlich vor sich sehen. Doch das Licht der hereindringenden Sonne ließ ihn verschwinden wie Morgennebel. Einen Moment blieb Axilla so liegen zwischen träumen und wachen, ehe es ihr wieder einfiel.
    Er war tot. Er war nicht hier, er war tot. Gestorben irgendwo an einem Ort, von dem sie nie gehört hatte bis zu dem Tag, als sein Schwertbruder an seiner Stelle zu ihnen nach Hause kam und Rüstung und Schwert überbracht hatte. Sie würde ihn nie mehr so lächeln sehen. Er würde sie nie mehr umarmen. Sie würden nie mehr gemeinsam durch einen Wald reiten. Er würde auch nicht zu ihr herüberschauen mit seinen sturmgrauen Augen. Nie mehr.
    Wie jedes Mal starb Axilla ein klein wenig, als die Erkenntnis ihr ins Bewusstsein drang. Sie krümmte sich ein wenig zusammen und hielt sich den Bauch, als könne sie so die sich dort ausbreitende Leere stoppen. Wie jedes Mal musste sie leise weinen, und sie schnappte sich ein Kissen und kuschelte sich verzweifelt daran. Sie fühlte sich so unendlich einsam und verlassen.
    Ihr Vater war der einzige gewesen, der sie verstanden hatte. Der sie geliebt hatte, genau so, wie sie war. Er hatte ihr nie das Gefühl gegeben, sie sollte anders sein. Für ihn war sie genau so richtig, wie sie war. Es war richtig, dass sie als Mädchen auf Bäume geklettert war, mit seinem Schwert gegen Grashalme gekämpft hatte, selbst ohne Sattel und Zaumzeug in vollem Galopp über die Wiesen geprescht war. Es war egal, dass ihre gesponnene Wolle so dick war, dass man damit locker Kälber fesseln, aber wohl kaum ein Stück Stoff weben konnte. Es war egal, wenn ihre Nähte krumm und schief waren und das, was sie kochte, nur sehr wohlwollend mit reichlich Wasser Essen konnte. Er hatte ihr nie das Gefühl gegeben, dass sie deshalb weniger liebenswert wäre, weil sie Fehler machte. Nein, im Gegenteil, er liebte sie gerade für ihre vielen Fehler, für das ganze Chaos, das sie verbreitete. Und er wusste immer, was zu tun war. Sie konnte mit jedem Problem zu ihm kommen, er wusste ganz genau, was sie tun sollte. Und sie konnte jedes Geheimnis mit ihm teilen.
    Sie vermisste ihn ja so unendlich! Nicht nur ihr Vater war an dem Tag gestorben, nein ihr bester Freund, ihr Geheimnisbewahrer und ihre verwandteste Seele waren ebenfalls gestorben. Axilla war an jenem Tag gestorben. Und seither starb sie jeden Tag ein kleines bisschen mehr und verdeckte es durch eine ewig lächelnde, ewig quirlige Maske der jugendlichen Freude. Sie wollte nicht, dass es jemand sah, sie wollte nicht, dass ihr da jemand so nahe kam. Sie wollte nicht mehr, dass ihr irgend jemand so nahe kam, denn der konnte auch sterben, und dann hätte sie nur eine offene Wunde mehr, die sie vielleicht nicht mehr schließen konnte. Und dennoch sehnte sie sich so sehr nach diesem Halt und dieser Sicherheit. So sehr, dass sie darüber hinaus alles andere vergaß.


    Sie weinte noch ein wenig, ehe sie keine Tränen mehr hatte. Völlig leer stand sie schließlich auf und ging hinüber zu ihrer Waschschüssel. Sie wusch sich darin gründlich das Gesicht und machte sich bereit für den Tag. Wieder ein Tag, an dem sie lächeln würde, an dem sie vielleicht auch ernst sein würde. An dem sie leben würde.
    Obwohl sie nichts davon wirklich fühlte.

    Die Hufe des Pferdes klangen ganz hohl und gedämpft auf dem weichen Waldboden. Es schnaubte in der kalten Luft und ein kleines Dampfwölkchen stieg hinauf in die klare Nachtluft. Es war kalt, so kalt, dass die Haut auf ihrem Gesicht spannte. Und doch war ihr nicht kalt, denn der dicke, rote Umhang lag um sie geschlungen und er saß in ihrem Rücken. Sie fühlte die Rüstung, so hart und fest, und seine Arme um sich. Er hatte so große, starke Arme. Er hielt die Zügel mit einer Hand, und sie durfte sie auch halten, wenn sie wollte. Aber sie wollte gar nicht, sie war müde und hatte es kuschelig und warm so vor ihm auf dem Pferd sitzend, das beim Gehen sanft schaukelte.
    In den Bäumen konnte Axilla etwas hören. Es klang wie das Wispern von Mädchenstimmen. Sie drehte furchtsam den Kopf und schaute sich um. Sein großes Gesicht kam in ihr Blickfeld, und er lächelte. Er konnte so wundervoll lächeln, so offen und ansteckend. Sie lächelte sofort zurück.
    “Das sind die Virae querquetulanae. Baumnymphen. Sie haben uns bemerkt, und unterhalten sich darüber.“
    Mit großen Kinderaugen schaute sich Axilla die Bäume an. Sie schaute, ob sie so ein Baummädchen vielleicht sehen konnte. Manchmal sah sie kurz zwei leuchtende Augen oder etwas schnell im Dunkeln vorbeihuschen, aber wirklich sehen konnte sie keines. Ein wenig wurde sie furchtsam, sie waren ja allein, und das schienen so viele zu sein. Ängstlich schaute sie noch einmal in sein lächelndes Gesicht.
    “Keine Angst, die tun uns nicht. Sie leben und vergehen mit ihren Bäumen, und solange wir gut zu den Bäumen sind, tun sie uns auch nichts.“
    Das verstand das kleine Kind, und mit großen Augen schaute sie weiter, ob sie nicht doch ein Baummädchen sehen konnte. Aber sie entdeckte nur ein paar Eichhörnchen, die aufgeregt die Stämme hoch rasten und von oben kurz herunterschauten und dabei keckerten.


    Sie ritten durch den dunklen Wald, und Axilla schmiegte sich mehr an seine Brust und seine Rüstung. Sie fühlte sich so sicher und beschützt. Es war egal, dass es kalt war. Es war egal, dass es dunkel war. Es war egal, dass sie weit weg von daheim waren. Er war da, mehr brauchte sie nicht. Die Welt war in Ordnung.
    Sie ritten weiter, und immer wieder nickte Axilla leicht weg, sah dann die Baummädchen mit ihren grünen Haaren, die lachten und zu ihrem Vater und ihr herunter zeigten. Ganz wild waren sie, mit Blumen im grünen Haar, goldene Haut hatten sie, wie sie so nackt dasaßen und sie beobachteten. Sie waren so schön.


    “So mein Eichhörnchen. Wir sind da. Schau mal.“
    Axilla öffnete die Augen und reckte sich, um über den Pferdekopf hinwegschauen zu können. Sie waren hoch oben, hinter ihnen der Wald. Vor ihnen ging es steil nach unten, wo der Fels schroff abfiel ins Tal. Etwas weiter links sprudelte ein kleiner Bach in einem kleinen, silberweißen Wasserfall, und ergoß sich ins Tal. Das Mondlicht spiegelte auf dem Wasser wie tausend kleine Funken.
    Axilla schaute weiter, hinunter in das Tal. Da waren Wiesen und ein paar Schafherden in der Ferne. Ganz weit hinten konnte sie ihr zuhause sehen, ihren eigenen Baum. Sie zeigte mit der Hand und hüpfte aufgeregt im Sattel. Sie sah das Licht zuhause, wie versprochen. Aber das interessierte sie gar nicht so sehr. Sie schaute hoch in sein lächelndes Gesicht, wie er sich freute, dass sie es erkannt hatte. Es war so schön.
    Sie beide waren hier, im Wald bei den Baumnymphen, und lächelten sich an. Die ganze Welt war unwichtig. Die Kälte war unwichtig. Die Nacht war unwichtig. Nur das Lächeln, das war wichtig.

    In ihrem Zimmer angekommen schob Axilla erst einmal den schweren Riegel vor. Sie wollte niemanden sehen, niemanden sprechen, niemanden hören. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe. Sie wünschte, sie hätte ihren Baum hier, auf den sie sich zurückziehen konnte, fern von der Welt, und alles vergessen. Nur der war nicht hier, der war hunderte von Meilen entfernt. Hier gab es überhaupt keine richtigen Bäume!
    Axilla tapste verheult durch das Zimmer zu der Truhe. Sie öffnete den schweren Deckel, wie sie es schon so viele Male gemacht hatte und schaute hinunter auf die Rüstung und das Schwert. Alles, was ihr von ihrem Vater geblieben war. Das letzte bisschen, was sie von ihm hatte. Sie hob beide Teile vorsichtig heraus und legte sie neben sich auf den Boden. Sie sahen so zerbrechlich in ihren Augen aus. So klein. Sie hatte sie bei ihrem Vater immer größer in Erinnerung gehabt. Für Axilla war ihr Vater immer ein Riese gewesen, aber die Rüstung hier war so klein, sie würde wohl eher Silanus passen als Ánthimos.
    Vorsichtig berührte sie die beiden Dinge. Ganz sanft strich sie über die Rüstung. Die Kerben, die sie gehabt hatte, waren ausgebessert worden. Aber Axilla fühlte sie immer noch unter ihren Fingerspitzen, wenn man ganz vorsichtig darüber fuhr. Wie so oft fragte sie sich, welche davon wohl die tödliche Wunde gewesen war, und ihr Körper schüttelte sich vor Schluchzen bei diesem Gedanken. Sie saß so eine ganze Weile, während die Nacht schnell über Alexandria hereinbrach, und ignorierte alles, was an ihrer Türe vorging. Ihr Kopf war ganz leer und blendete einfach alles aus.
    Irgendwann, es musste schon spät in der Nacht sein, legte sich Axilla dann doch ins Bett, um zu schlafen. Sie verräumte die beiden geliebten Reliquien wieder fein säuberlich und entkleidete sich. Wie eine Puppe ließ sie sich einfach ins Bett fallen und zog die dünne Decke über ihren Körper. Sie fühlte sich so leer.

    Schwer hatte Axilla an sich halten müssen, um nicht etwas vorschnelles und wohl wie üblich Dummes zu sagen, als Marcus ihr antwortete. Axilla konnte einem Hinterhalt aber auch wirklich gar nichts abgewinnen. Das war für sie der Gipfel der Feigheit, wenn man sich dem Feind nicht direkt stellte. Aber sie wollte Urgulanias Gast nicht beleidigen, wusste aber, dass das sehr gut bei ihrem Temperament passieren könnte.
    Doch dann sprach Urgulania genau das an, was Axilla sich gedacht hatte. Sie war ja so stolz auf ihre Cousine und bewunderte sie so sehr! Axilla blickte von ihrem Weinbecher, in dem sie sich halb verkrochen hatte, auf und strahlte ihre Cousine geradezu an. Urgulania verstand Axilla einfach, und sah so viele Dinge ähnlich wie sie. Daher war Axilla so froh, dass sie das angesprochen hatte.
    Weniger froh war sie über die Ausführungen, die von Marcus Achilleos daraufhin kamen. Axilla schaute zu ihm herüber, und ihr Körper wurde ganz ruhig. Normalerweise wackelte und rutschte sie in ihrer Jugend immer irgendwie herum, aber sie war so steif und starr, als wäre sie zu Stein erstarrt. Ihre Haut wurde leicht fahl, als sie zuhörte, was dieser Mann da so sagte. Mit einem Blick, den nicht einmal die Gorgo Medusa so zustande gebracht hätte, erhob sich Axilla langsam und steif wie ein Brett von ihrer Kline. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, so dass das weiße an den Knöcheln zu sehen war – wenn auch kaum, denn die eigentlich gut gebräunte Axilla war aschfahl. Ihre Stimme bebte, so dass man die ganze Wut und Verzweiflung gut erahnen konnte, die sich Bahn brechen wollten.
    “Also ist es ehrenvoll, eine kleine Gruppe von Soldaten anzugreifen, weil sie vorausgeritten sind, als Vorhut, ja? Dann ist es ehrenvoll, zu warten, bis sie so in eine Klamm zwischen zwei Felswänden geritten sind, dass sie nicht zur Seite ausweichen können, wenn die Pfeile auf sie niederprasseln? Dann ist es ehrenvoll, mit Felsbrocken nach den Überlebenden zu werfen, bevor von beiden Seiten eine zehnfache Übermacht angestürmt kommt und sich hackend und schlagend durch den kümmerlichen Rest hackt, während mein Vater noch versucht, den Rest zur Formation zu bewegen, damit wenigstens einer sich auf einem Pferd retten kann und die Folgenden zu warnen, damit die nicht in dieselbe Falle laufen? Dass er selber dablieb, bis sie alle niedergemetzelt hatten und er von Pfeilen gespickt zu Boden ging, und die seine Leiche noch mitgenommen haben? Und ich von Glück reden kann, dass sein Schwertbruder ihn später erkannt hat und ordentlich bestattet hat und mir Rüstung und Schwert mitgebracht hat? Das war ehrenvoll? Ohne Kriegserklärung, ohne Chance auf einen ordentlichen Kampf, ohne irgendwas? Das war ehrenvoll?“
    Bei den letzten Sätzen schnappte ihre Stimme schon, weil sie sich beim Reden überschlug und immer lauter geworden war. Auch rannen ihr Tränen übers Gesicht, die sie allerdings vor lauter aufgestauter Wut gar nicht bemerkte. Ihr ganzer Körper bebte so sehr. So lange hatte sie diese Wut, diesen tiefen Hass in sich bewahrt und aufgestaut, und jetzt war Marcus der Unglückliche, der davon die erste Ladung seit Jahren abbekam.
    “Hinterhalte sind etwas für Feiglinge, die sich nicht einmal trauen, ihrem Feind ins Gesicht zu sehen und ihm ihren Hass entgegenzubrüllen. Ein Mann erklärt seinem Feind den Krieg, lässt seinen Zug von Mars segnen und zieht dann ehrenvoll ins Feld. So zu sterben ist ehrenvoll! Von Mars gesegnet!“
    Jetzt sah Axilla nichts mehr und merkte daran, dass sie wohl weinte. Auch fühlte sie, dass ihre Stimme heiser war, weil sie wohl doch sehr laut war. Sie sah vollkommen verschämt zu Boden und wäre am liebsten darin versunken.
    Sie fuhr sich einmal durchs Haar, was sich daraufhin selbstständig machte und ihr in wilden Strähnen übers Gesicht fiel. Aber es passte zu ihrem inneren Aufruhr. Kurz wandte sie sich an Urgulania und sah sie mit unendlich leidvollem Blick an.
    “Tut mir leid, Urgulania. Ich wollte dein Fest nicht kaputtmachen.”
    Und dann stürmte sie nach draußen. Sie fühlte sich elend, sie fühlte sich wütend. Am liebsten wäre sie aus dem Haus gelaufen und bis zum nächsten großen Baum, den sie finden würde. Bäume gaben ihr immer ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Aber hier in Alexandria gab es keine, zumindest keine vernünftigen. Also stürmte sie stattdessen in ihr Zimmer, um sich dort zu verschließen.

    Er wollte sie tatsächlich einstellen! Axilla wurde ganz aufgeregt und nickte eifrig auf seine Worte. Natürlich war ihr klar, dass er sie auch wieder rauswerfen konnte, aber das würde schon nicht passieren. Und selbst wenn, sie hätte wenigstens vorübergehend eine richtige, echte Arbeit gehabt. Fast so wie Urgulania!
    Und sie hätte endlich wieder etwas sinnvolles zu tun. Die ganze Zeit daheim zu sitzen und nicht zu wissen, was sie mit der ganzen Zeit anfangen sollte, war furchtbar. Sie hatte weder Geschick noch Müßiggang zum Sticken, Stricken und Weben. Als Mutter noch gelebt hatte, hatte sie in den letzten beiden Jahren das ganze Haus verwaltet. Nungut, sie hatte nicht gewusst, wie, und dabei ordentlich Schulden gemacht. Aber dennoch hatte sie viel getan und viel Verantwortung gehabt. Auch wenn sie vor der häufiger geflüchtet war, so wirklich gar nichts mehr zu tun zu haben, war genauso schlimm. Sie konnte ihr Leben nicht nur so vor sich hinplätschern lassen, sie brauchte eine Aufgabe. Das würde sie auch vor Grübeleien bewahren, die sie so sehr mied.
    Daher war die Frage des Geldes für Axilla eigentlich sehr nebensächlich. Sie hatte keine Ahnung, was ein Scriba so verdiente, und da sie daheim alles hatte und alles bekam, was sie brauchte, war Geld wirklich etwas, worüber sie sich eigentlich keine Gedanken machte. Im Grunde genommen brauchte sie keines, aber ganz umsonst zu arbeiten war wahrscheinlich doch etwas arg merkwürdig.
    Sie zuckte also kurz mit den Schultern und atmete langsam und geräuschvoll aus, als sie überlegte. Wieviel war wohl angemessen?
    “Ich weiß nicht, ich hab ja noch nie irgendwo gearbeitet. Sind zehn Sesterzen zu viel?“
    Sie wollte ja nicht unverschämt sein. Ihr ging es ja nur darum, dass ihr daheim nicht mehr die Decke auf den Kopf fiel.

    Hieß das ja? Das klang fast wie ein ja, wenn er wollte, dass sie attisch lernte! Axilla wurde ganz aufgeregt, und ihre Augen leuchteten freudig. Zwar hatte sie wenig Hoffnung, wirklich attisch zu lernen, aber sie würde es auf jeden Fall versuchen! Am liebsten hätte sie Nikolaos umarmt, aber das ließ sie lieber bleiben.
    Und als er dann auch die magischen Worte „Vater“ und „Vormund“ sagte, wurde Axilla wieder etwas kleiner und verlegener.
    “Ähm, also, mein Vater ist tot. Und mein Vormund lässt sich nach Rom versetzen. Oh, aber ich bleibe hier, bei Urgulania. Und ich bin ja sui iuris, und ich glaube auch nicht, dass sie da was dagegen hat.“
    So genau wollte Axilla jetzt eigentlich das wie und warum nicht ausbreiten, aber sie war sich ganz sicher, dass Silanus nichts einwenden würde, wenn sie die Arbeit annahm. Und auch Urgulania konnte da eigentlich nichts dagegen einzuwenden haben. Sie hoffte nur, dass diese zugegebenermaßen spärliche Erklärung auch für den Gymnasiarchos genug war.

    Huch, vor lauter Aufregung hatte sie die Grundformen der Höflichkeit wohl vollkommen vergessen. Kurz lächelte sie verlegen, ehe sie sich gefangen hatte.
    “Ich bin Iunia Axilla. Die Cousine von Urgulania.“
    Sie wusste ja, dass Nikolaos ihre Cousine kannte. Sie wusste zwar nicht, wie genau die beiden nun zueinander standen, aber sie war ja nicht dumm und auch nicht blind. Sie wusste, dass Urgulania von Nikolaos politische Hilfe annahm und im Gegenzug ihn auch ein wenig unterstützte. Nur wie das genau aussah, davon hatte sie keine Ahnung.
    Sie hoffte, dass ihr dieser Umstand nun eher die Türe öffnete als sie schloss. Denn wie Nikolaos schon richtig bemerkt hatte, sie konnte kein Attisch. Sie verstand zwar das meiste, wenn jemand auf Attisch etwas sagte, aber es war halt doch in einigen Belangen anders als das Ionische oder das Koine.