Es waren Matralia! Und Axilla durfte zum ersten Mal in ihrem Leben daran teilnehmen! Sie war so freudig aufgeregt, dass sie mehr strahlte als der kleine Lucullus, den sie fröhlich auf ihren Armen wippte.
Viele Frauen waren gekommen, und fast alle hatten die kleinen Kinder aus ihrer Verwandtschaft mitgebracht und trugen sie auf den Armen. Die meisten von ihnen waren “echte“ Tanten und die Kinder auf ihren Armen die Kinder ihrer Schwestern. Aber Axilla hatte keine Geschwister, weder männlich noch weiblich, und außer ihr und Serrena hatte bislang niemand in der näheren Verwandtschaft in Rom Kinder bekommen. Und damals war Axilla noch nicht verheiratet gewesen – im Gegensatz zu jetzt. Wenngleich nur auf dem Papier, aber immerhin. Das war es, was zählte. Da es ihre zweite Ehe war, durfte sie der Statue der Göttin zwar keinen Kranz aufsetzen, aber darauf war sie ohnehin nicht so wild. Axilla genügte es vollkommen, teilnehmen zu dürfen.
Und dann auch noch mit Lucullus! Axilla liebte Avianus' kleinen Sohn, als wäre es ihr eigener. Manchmal musste sie sich direkt zurücknehmen, wenn sie ihn doch einmal im Haus weinen hörte, dass nicht sie zu ihm ging, um ihn zu beruhigen und für ihn zu singen, sondern Sibel. Axilla wollte sich ja nicht in deren Erziehung einmischen, sie selbst hatte die vielen guten Ratschläge, als ihre Kinder klein waren, geflissentlich ignoriert und weggelächelt, egal, wie nervig sie auch waren. Sie wollte ihrerseits nun nicht die nervige Verwandte sein, die dieselben Fehler machte. Aber manchmal überkam es sie halt doch, und sie schlich noch einmal leise in Lucullus Zimmer, einfach, um ihm beim Schlafen zuzusehen und zu sehen, dass alles in Ordnung war. Oder sie setzte sich zu ihm mitten auf den Boden und spielte mit ihm. Und wann immer etwas war, dass Sibel doch mal etwas für sich tun musste – baden beispielsweise – bot sie sich ganz selbstverständlich an, auf den Kleinen aufzupassen. Axilla liebte den Jungen wirklich.
Und heute dieser Festtag war quasi wie für sie gemacht. Auch wenn sie nicht wirklich Lucullus' Tante war, so war sie doch seine nächste, weibliche Angehörige. Sibel hatte ja keine Geschwister, von denen sie wussten, die diese Aufgabe übernehmen hätten können. Abgesehen davon, dass selbst WENN sie Geschwister hätte, diese wohl kaum ehrbare römische Matronen waren.
Lucullus durfte also den Opferkuchen halten, während sie Lucullus hielt und davon abhielt, den Opferkuchen zu essen. Immer wieder erklärte sie ihm geduldig, dass der doch für die Göttin sei, und zeigte ihm dann die vielen anderen Kinder, die auch nicht die mitgebrachten Opferkuchen aßen. Vielleicht hätte sie doch eher Blumen als Opfer mitnehmen sollen.
Aber dann ging das Ritual dann auch schon los. Als Frau eines Ritters durfte Axilla weit vorne stehen, gleich hinter den Frauen der Senatoren – von denen es nur wenige gab, die meisten Senatoren-Gattinnen waren im Alter ihrer Männer und hatten in der Verwandtschaft auch keine kleinen Kinder mehr, von denen sie die nächsten, weiblichen Verwandten waren. So konnten Axilla und Lucullus gut sehen, wie die zum Zwecke des Rituals ausgewählte Sklavin – die Einzige, die heute den Tempel der Fortuna und Mater Matutis betreten durfte – in den Tempel trat. Kaum dort angekommen, trat auch schon ihre heutige Anführerin, die junge Frau eines noch recht jungen Senators, die mit diesem in erster Ehe verheiratet war, vor und versperrte der Sklavin den Weg. Laut forderte sie sie auf, zu verschwinden, und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Bestimmt tat die auch wirklich weh, so wie es geklatscht hatte, aber auch sonst wäre die Sklavin wohl der Zeremonie gefolgt. Sie beugte sich, hielt sich die Wange und floh unter den Beschimpfungen der versammelten Tantenschaft aus dem Tempel. “Verschwinde!“, rief Axilla mit den anderen Frauen, wenngleich ihr die Sklavin schon etwas leid tat. Aber das gehörte eben zum Ritual dazu.
Und dann gingen die Opfergaben auch los. Jede Frau der Reihe nach warf ein paar Körnchen Weihrauch in eine Räucherschale. Nicht viel, nur ein, zwei Steinchen. Immerhin warteten noch dutzende Andere darauf, es ihnen gleich zu tun, und niemand wollte den Tempel ausräuchern. Dann wurde mit dem Gebet das Opfer dargebracht und für die Gesundheit der Neffen und Nichten gebetet.
Schließlich war auch Axilla an der Reihe, warf zwei Körnchen Weihrauch in die Schale, wartete auf deren Aufflammen, und fing an zu beten.
“Oh Mater Matuta, große Mutter! Mater Matuta, Beschützerin der kleinen Kinder! Mater Matuta, morgendliche Mutter! Vor dir steht Axilla aus dem Hause Iunia mit ihrem Neffen Lucius Lucullus! Oh glorreiche Mutter, segne Lucius Lucullus mit deiner göttlichen Macht. Halte alles Unglück, alle bösen Geister und alle Flüche, die sein Leben belasten wollen, von ihm fern und wehre sie ab! Lass sämtliche Krankheit an ihm vorübergehen und lass ihn wachsen zu einem großen, starken und ehrenvollen Mann! Schenke ihm Gesundheit, Freude, Liebe und ein langes Leben! Darum bitte ich dich. Als Dank geben wir dir diesen Opferkuchen, noch frisch und warm.“
Axilla zeigte Lucullus, wo er den Opferkuchen hinlegen sollte. Noch war der Haufen der Opfergaben übersichtlich, aber bis alle Frauen vorgesprochen hatten, würde es ein großer Berg sein. Zwar gab Lucullus das Brot nur etwas widerwillig her, aber schließlich lag es auf dem Altar der Göttin. “Oh große Mater Matuta, segne Lucullus, und wache über meine Kinder, auf dass wir dir auch die nächsten Jahre für deinen Segen viele Opfer darbringen, zum Zeichen deiner Güte, Macht und Herrlichkeit.“ Und mit einer Drehung nach rechts waren sie auch schon fertig, und die nächste Tante war an der Reihe, für ihre Neffen und Nichten zu beten.