Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla lächelte leicht, als ihr Gegenüber so ungläubig blickte. “Eiskalter Hass und stille Verachtung sind auch Gefühle, Iulius, auch wenn die keine Ausbrüche benötigen. Ich sage nicht, dass sie getobt und geschrien hätte, und ja, wir meinen dieselbe Decima.“


    Aber Axilla hatte auch keine Einwände, das Gespräch an dieser Stelle nicht weiter zu vertiefen. Den Iulius ging diese Sache ja nun nichts an, er war weder mit den Iunii noch mit den Aelii irgendwie näher verbandelt und im Grunde einfach nur sehr nett, dass er sich um diesen Erbschaftsfall überhaupt kümmerte. In die ganzen, komplizierten und verworrenen Implikationen der ganzen Geschichte musste er sich nicht unbedingt hineinziehen lassen. Axilla rechnete ihm seine Bemühungen jetzt schon hoch an.
    “Ich bin dir wirklich sehr dankbar für deine Bemühungen. Wie du sagst, der Vorwurf ist wirklich äußerst lächerlich. Und ganz sicher nicht das komplette Vermögen eines Ritters wert.
    Falls du noch Hilfe bezüglich Kontaktaufnahme mit den Erben brauchst, kannst du mich gerne fragen. Archias' Eltern könnten noch leben. Ich hatte einige Jahre mit ihnen keinen Kontakt. Sofern sie noch leben, wohnen sie in Ravenna auf einem Landgut südöstlich der Stadt.“
    Ob sie noch lebten, wusste Axilla aber nicht sicher. Als sie die beiden das letzte Mal gesehen hatte, war vor über zwölf Jahren, und die beiden waren da schon bestimmt fünfzig gewesen. Allerdings erschienen die beiden ihr durchaus sehr robust damals, weshalb sie nichts gegenteiliges annehmen wollte.

    “Oh, auf Decimus Livianus lasse ich da auch nichts kommen. Da glaube ich durchaus, dass der davon nichts wusste“, verteidigte Axilla den Patron ihres Vetters. “Aber was Decima Seiana angeht, bin ich mir sehr sicher, dass sie nur aus persönlicher Vorteilsnahme gehandelt hat. Ich kenne sie sehr gut und schon sehr lange. Du darfst nicht vergessen, dass ich ebenso lange Lectrix der Acta bin, wie sie Auctrix derselben. Und daher weiß ich sehr genau, welche Artikel sie ohne jede Rücksprache mit dem Lektorat einfach veröffentlicht hat und was da alles auf dieser Ebene gelaufen ist. Und mehr noch!
    Was du vermutlich nicht weißt, ist, dass Aelius Archias zunächst mit ihr verlobt war, er sie aber dann nicht wollte. Sie war stocksauer deswegen. Und sowohl sie als auch ihr Bruder haben da nur auf eine Gelegenheit gewartet, das den Aeliern wieder heimzuzahlen. Aelius Quarto als Patron hin oder her. Vielleicht hat ihr Bruder sich da von ihr bequatschen lassen, das mag ich nicht beurteilen, aber dass sie keinerlei Liebe für die Aelier hegt, das weiß ich mit Sicherheit. Da brauchte Vescularius ganz sicher kein Druckmittel oder irgend was gegen sie. Das war ihre Chance, den vorigen, eingebildeten Machtverlust wieder auszugleichen. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass Vescularius entthront werden könnte. Ich meine... wer rechnet auch schon mit sowas?
    Und natürlich wurde Decimus Serapio erst später zum Praefectus Praetorio, davor war es ja noch der Mann von Decima Seiana. Solange der Inhaber eines Amtes noch da ist, braucht es ja keine Neubesetzung. Das ist ja auch gar nicht der Punkt.“

    Nein, so leicht ließ sich Axilla da nicht aus dem Konzept bringen. Wobei sie tatsächlich glaubte, dass Decimus Serapio nur stupide die Lüge und das Gejammer seiner Schwester nachplapperte und sich von dieser instrumentalisieren ließ. Aber dass die ganz unzweifelhaft aus sehr persönlichen Gründen ihren Onkel vollkommen verraten hatte und sich auf die Seite von Vescularius gestellt hatte, das stand ganz außer Frage. Noch dazu die Sache mit ihrem Vetter Seneca, den sie da ebenfalls mit reingezogen hatte. Der Junge hätte da draufgehen können, wenn Terentius Cyprianus dahinter gekommen wäre, wen seine Frau da in ihr Bett eingeladen hatte... Nein, Seiana war ein durchtriebenes Biest, daran bestand überhaupt kein Zweifel.


    “Und was mein Schweigen angeht...“ Ein Schauer lief Axilla über den Rücken, als sie an diesen schrecklichen Tag zurückdachte. Seine Hände auf ihrem Körper... und schlimmeres.... nein, sie durfte sich nicht zu sehr daran erinnern. “...so habe ich versucht, den Kaiser schriftlich zu erreichen, als Valerianus noch lebte. Und welchen Sinn hätte es gemacht, Vescularius damit zu konfrontieren, was ich vor der Ermordung des Kaisers vermutet hatte? Meinst du ernsthaft, er hätte sich von mir erpressen lassen oder so etwas? Er hat meinen Mann getötet, meinst du ernsthaft, da hätte er Skrupel gehabt, mich hinterher zu werfen? Und später... nun, wenn du verheiratet bist, wirst du lernen, dass eine Frau niemals etwas tun wird, was ihre Kinder gefährdet. Und wenn sie eine gute Frau ist, dann auch nichts, was ihrem Mann schaden könnte.“

    Bei der dritten Station ihres Opfer-Marathons kam Axilla schließlich am Abend an. Das Innere des Tempels lag schon in dämmrigem Zwielicht und war so wohl noch unheimlicher als von Natur aus. Axilla betrat auch hier den Tempel nach der rituellen Säuberung wieder barfuß, gefolgt von ein paar Opferhelfern mit den angedachten Gaben.
    “Pluto, Herr der Unterwelt! Dispiter, Wächter über das Totenreich. Nimm diesen Weihrauch an und schenke mir dein Ohr! Auch bringe ich dir Silbermünzen, Herr der Silberquellen, auf dass du meiner Bitte wohlgesonnen gegenüberstehen mögest.“ Auch hier qualmte eine angemessene Menge des göttlichen Universalkommunikationsmittels namens Weihrauch vor sich hin, und feine, blank polierte Silbermünzen wanderten klingelnd in die Opferschale zu Füßen der Götterstatue.
    “Dispiter, ich bitte dich hier heute um Nachsicht für meinen Vetter Lucius Iunius Merula. Er ertrank eine Woche vor den Kalenden des Septembers, ohne dass seine Familie davon wusste. Daher wurden die nötigen Riten auch nicht zur rechten Zeit ausgeführt, sondern von mir nun vollbracht. Ich bitte dich, nimm seine Seele in dein Reich auf, lass die Fehler der Lebenden nicht auf seine tote Seele zurückfallen und heiße ihn gnädig willkommen im Reich der Schatten. Weise ihm seinen Platz im Elysium zu, wenn er zu dir gebracht wird, auf dass er Friede findet und nicht dazu verdammt ist, als Geist durch die Welt zu streifen.“


    Mit der Drehung nach rechts waren auch hier Voropfer und Gebet beendet, und der kleine Zug begab sich nach draußen, wo ein schwarzer Widder mit versilberten Hörnern und Hufen schon bereit stand.
    “Oh großer Dispiter! Dieser Widder sei dein, auf dass du meine Bitte erhörst! Do, ut des!“
    Der Widder wurde der Gottheit mit mola salsa geweiht und durch das sanfte Führen des Opfermessers von seinem Kopf zur Schwanzspitze wenige Fingerbreit über seinem Fell seinem Schicksal zugeführt. Auch hier stand ein Opferstecher bereit, der durch ein kurzes “Age“ den Befehl zum Vollzug des Opfers erhielt. Nur einen Herzschlag später ergoss sich auch schon das Blut des Widders in die Fangschale, während das Tier sein Leben verlor.

    Die zweite Anlaufstelle war der Tempel des Mercurius. Nachdem Neptun die Seele ihres Vetters hoffentlich freigegeben und an Land geleitet hatte, wurde sie schließlich von Merkur in Empfang genommen, der sie dann zu den Gestaden der Unterwelt bringen würde. Hierfür hatte Axilla natürlich auch wieder geeignete Opfergaben im Gepäck, die dem Gott hoffentlich gefallen würden.
    Mittags war es schon etwas wärmer als am Morgen beim Neptuntempel, aber dennoch war es verglichen mit anderen Jahreszeiten verteufelt kalt. Barfuß also tapste Axilla ins Innere des Tempels, begleitet von zwei Opferhelfern mit den Gaben für den Gott.
    “Mercurius Psychopompos! Seelenführer, der du auf allen Pfaden wandeln kannst! Großer Mercurius, der du als einziger die Unterwelt betreten und wieder verlassen kannst!
    Dieser Weihrauch hier gehöre dir, auf dass dein Ohr mir wohlgesonnen sei! Diese vergoldeten Hähne opfere ich dir, auf dass sie dich erfreuen und milde stimmen.“

    Neben dem obligatorischen Weihrauch, der auch hier fröhlich vor sich hinrauchte, ließ sich Axilla ein paar kleine, vergoldete Bronzefigürchen anreichen, die die Form von Hähnen hatten – einem traditionellen Opfertier für Mercurius. Sie waren kaum größer als eine Münze, dafür aber schön gegossen und glänzend vergoldet. Und sie klimperten ziemlich laut, als sie in den Opferstock glitten.


    “Großer Mercurius Psychopompos! Ich möchte dich heute um deinen Dienst als Seelenführer für meinen Vetter Lucius Iunius Merula bitten. Sein Körper weilt in den Gestaden deines göttlichen Bruders Neptunus, als er im August des letzten Jahres von Bord gespült wurde und im Meer ertrank. Ich bitte dich nun, ihn von dort zum Reich der Toten zu bringen, damit er nicht als Geist durch die Welt streifen muss. Geleite ihn sicher und lass ihn nicht verloren gehen, damit er seinen Platz unter meinen Ahnen einnehmen kann, wie es ihm gebührt.“
    Mit einer Drehung nach rechts waren Gebet und Voropfer abgeschlosssen, und der kleine Zug prozessierte nach draußen, wo ein weißer Ziegenbock schon seiner Bestimmung harrte. Er war fein zurechtgemacht mit rot-weißen vittae und vergoldeten Hufen und wartete festgebunden auf die Dinge, die da folgen mochten. Der Opferstecher – ein Schlachter lohnte bei einem so kleinen Tier nicht – wartete direkt daneben darauf, die notwendigen Handlungen vorzunehmen.
    “Oh, großer Mercurius Psychopompos, gewähre mir meine Bitte, und ich gebe dir hierfür das Leben dieses Ziegenbockes! Er sei dein!“
    Es folgte wieder die Weihung des Opfertieres mit mola salsa und das sinnbildliche Entkleiden, ehe auch hier mit einem kleinen “Age“ der Opferstecher seines Amtes waltete und den Bock mit einem gezielten Stich in den Hals blutig tötete.

    Die Zeit, die einer Frau für Trauer zugestanden wurde, war für Merula schon beinahe vorüber. Also war es Axilla umso wichtiger, allen beteiligten Gottheiten, die für die sichere Überführung ihres Vetters ins Elysium hier zuständig waren, gerade nun zu den Parentalia auch geeignete Opfer zu bringen.
    Iulius Dives hatte zu berichten gewusst, dass Merula ertrunken war. Also war die erste Anlaufstation für Axilla der Tempel des Meeresgottes, um hier zuerst für ihren Vetter zu bitten. Also hatte sie mit dem hiesigen Tempelwächter einen Termin für ein Opfer ausgemacht und war jetzt auch bewaffnet mit einigen Tempelgaben und einem reinweißen Stierkalb hier hergekommen.


    Barfuß – was zu dieser Jahreszeit auf einem blanken Steinboden wirklich sehr kalt war – betrat sie also zunächst den Innenraum des Tempels für das benötigte Voropfer.
    “Neptun, großer Titan, Beherrscher der Meere. Neptun Pferdeherr, Reiter der Wellen. Neptun, Meister der Ozeane. Möge dieser Weihrauch zu dir aufsteigen und dein Wohlgefallen erregen.“ Der auf dem Markt gekaufte, syrische Weihrauch wurde in die Opferschale geworfen und fing an, zu kokeln und zu rauchen. Weißer Qualm stieg schwer in die frische Morgenluft empor.
    “Neptun, nimm diese Schnitzerei an als Geschenk an. Ich habe sie nur für dich erworben, sie sei dein!“ Auch eine Schnitzerei aus hellem, fast weißem Holz fand ihren Weg in das Feuer. Es war ein fein herausgearbeiteter Hippokamp, an den Schultern des Pferdekörpers hatte er angedeutete Flügelflossen, der Fischschwanz ritt auf einer schön herausgearbeiteten Meereswelle. Ein würdiges Reittier für eine Seegottheit. Nur in echt für ein Opfer natürlich nicht aufzutreiben, daher nur aus Holz.


    “Oh Neptun! Eine Woche vor den Kalenden des Septembers hat das Meer mir meinen geliebten Vetter Lucius Iunius Merula genommen. Ich bitte dich, dafür Sorge zu tragen, dass deine Wellen sein Grab mit Sand bedecken, auf dass er geziemend beerdigt sei. Und ich bitte dich, seinen Geist aus deinem Reich zu entlassen und deinem göttlichen Bruder Merkur anzuvertrauen, auf dass er meinen Vetter Merula in das Reich der Schatten geleitet, damit er dort für immer seinen Frieden unter den Ahnen meiner Familie findet! Do, ut des.“
    Mit der Drehung nach rechts war das Voropfer abgeschlossen und es folgte der blutige Teil des Opfers, der draußen vor dem Tempel stattfand. Die kleine Opferprozession begab sich also nach draußen, wo das mit Gold und Schaffell geschmückte Kalb auf sein Schicksal wartete. Der Schlachter und der Opferstecher waren ebenfalls schon bereit und warteten nur auf ihren Einsatz.
    “Oh Neptun, nimm dieses Opfer an und gewähre mir die Bitte, die ich an dich herangetragen habe.“
    Axilla begoss den Kopf des Tieres mit etwas mola salsa, um es dem Gott zu weihen, und fuhr mit dem Opfermesser einmal über dessen Rücken, um es sinnbildlich zu entkleiden. Was mit der Abnahme des geschmückten Schaffells dann auch tatsächlich geschah.
    Es genügte ein kleines Zeichen an die Opferhelfer, und das Tier fand einen raschen, blutigen Tod zu Ehren des Gottes. Der ihre kleine Bitte hoffentlich erhört haben würde.

    Auf dem Marsfeld zwischen dem Pantheon und den Thermae Agrippae wurde um 27 v. Chr. von Marcus Vipsanius Agrippa anlässlich seines Sieges über Sextus Pompeius (36 v. Chr.) und Marcus Antonius (31 v.Chr.) die Basilica des Neptun errichtet. Agrippas Tochter erweiterte den Bau im Jahre 12 v. Chr. noch einmal.


    Agrippa widmete den Tempel seinem Freund und Schwiegervater, dem Kaiser Augustus.


    Damit stellt die Basilica eines der größten, öffentlichen Gebäude dar, die von Agrippa in Rom gestiftet wurden.

    Unter den sicherlich unzähligen Bittschriften an den Kaiser wurde auch jene schließlich für die Kaiserliche Kanzlei abgegeben.



    Iunia Axilla Imperatori Caes. Aug. Cornelio Palmae s.d.


    Mein Kaiser, ich schreibe dir aufgrund einer persönlichen Bitte, die dir sicherlich häufig zugetragen wird.
    Ich habe zwei Söhne: Titus Pompeius Atticus, der zu den nächsten Liberalia das passende Alter erreicht haben wird, um die Toga eines römischen Bürgers zu tragen, und Cossus Pompeius Largus, der nun das Alter von sechs Jahren erreicht hat.
    Wie du siehst, habe ich dem römischen Reich zwei Söhne geschenkt, die das Alter erreicht haben, das den Blick in die Zukunft erlaubt, dass sie als Männer dem Wohle Roms dienen werden. Die Voraussetzungen der Lex Iulia et Papia unseres vergöttlichten Kaisers Augustus habe ich somit mehr als erfüllt. Daher bitte ich dich in aller Demut, mir auch offiziell das ius liberorum zu verleihen.


    Vale bene.


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    “Jaja, zunächst kamen die Urbaner“, stimmte Axilla zu. Es war schon sehr lange her, da war es schwer, sich an alle Details wirklich zu erinnern. Aber als der Iulius die Urbaner erwähnte, erinnerte sich Axilla auch ein wenig besser wieder an die Situation. Aber insgesamt war die Erinnerung doch sehr verschwommen, sie hatte mehrere Tage nach Archias Tod sehr geweint und arg getrauert. “Aber... ich glaube, es war sogar Senator Iulius Centho, der sie damals erst einmal wieder weggeschickt hat. Wenigstens während drei Trauertagen wahrten die den Anstand. Vescularius aber nicht.“ Axilla schüttelte den Kopf. Es war alles so schrecklich lange her.
    “Der ließ nicht einmal mit sich reden, als Consular Tiberius damals in Funktion als Anwalt meiner Sache mit ihm redete, geschweige denn, als ich selbst mit ihm redete. Definitiv hat er damals seine Amtsgewalt mehr als missbraucht. Und das Vertrauen des Kaisers gleich mit. Wobei ich mir denke, dass Valerianus damals gar nicht von dieser Sache unterrichtet wurde, immerhin hatte Vescularius damals auch schon Befehl an die Prätorianer gegeben, Nachrichten zurückzuhalten.
    Selbst wenn mein Mann ihn beleidigt haben sollte – was ich bezweifle. Dafür gibt es keine Zeugen, und diesen angeblichen Brief kann jeder geschrieben haben – gab es, wie du schon sagtest, ja nicht einmal eine Anklage dazu. Nur ein Willkürakt, der dem Usurpator gar nicht zustand!“

    So langsam redete sich Axilla doch in Wallung. Es tat gut, endlich mal jemanden zu haben, der ihr zuhörte – naja, zumindest sowas ähnliches – und auch auf ihrer Seite war – oder … sowas ähnliches. Also dachte sie gar nicht darüber länger nach und redete einfach weiter.
    “Überhaupt glaube ich nicht, dass Archias Selbstmord begangen hat. Er war ein gesunder, junger Mann und wir beide noch recht frisch verheiratet. Er hatte keinen Grund dazu.“ Sie hatten zwar erhebliche Streitereien in dieser Ehe gehabt, die aber allesamt darauf zurückzuführen waren, dass ihr Mann krankhaft eifersüchtig gewesen war und ihr eine Affäre unterstellt hatte, die so nie stattgefunden hatte. Und weil er deshalb versucht hatte, ihre angebliche Affäre aus dem Weg – und aus dem Leben – zu befördern. Und das hatte Axilla so gar nicht lustig gefunden.
    “Und sieh dir mal die Tatsachen an. Erst soll Archias Selbstmord begehen. Ein paar Monate später verschwindet sein Vetter Aelius Callidus spurlos und gilt dann auf einmal als tot. Wieder ein paar Monate später stirbt der Praefectus Praetorio Prudentius Balbus, der – naa? - verheiratet war mit Aelia Vespa, der Nichte des Imperators. Der letzte Aelier, der noch übrig war, war dann Quarto, der sich krank aufs Land zurückgezogen hatte. An den kam Vescularius wohl nicht heran.
    Und dann wird Terentius Cyprianus zum Praefectus Praetorio ernannt, der nachweislich in enger Beziehung zu Vescularius stand. Und der die Aufsicht über die Praetorianer hatte, die den Kaiser beschützten. Und der Decima Seiana heiratete, die Chefin der acta und Schwester seines Nachfolgers...


    Aber nachdem alle möglichen, aus der Familie stammenden Erben von Valerianus aus dem Weg waren, stirbt dann der Kaiser plötzlich an Gift. Also, da muss man doch jetzt wirklich kein Genie sein, um da den Zusammenhang zu sehen. Das sind ein paar viele „zufällige“ Todesfälle im Umfeld des Kaisers vor dessen Ermordung, findest du nicht?“

    'Etliche Jahre' war da die passende Umschreibung. Axilla war damals noch ein halbes Kind gewesen, und mittlerweile hatte sie einen Sohn aus anderer Ehe, der demnächst die Toga eines Mannes anlegen würde. Axilla hatte schon längst aufgegeben, diese Erbschaft noch irgend wann einmal zu einem Abschluss zu bekommen, und selbst jetzt nach dem Krieg noch nicht einmal daran gedacht, dass sich etwas geändert haben könnte. Da war es doch etwas überraschend, dass der Iulius hier diesen schon fast antiken Fall wirklich ausgegraben hatte, um ihn zu einem Ende zu bekommen.


    Aus seinen Worten ließ sich jetzt nicht direkt ableiten, zu welchem Ergebnis das ganze gelangt war. Allerdings, so wie der Iulier sich an das Thema herangeschlichen hatte, ließ das vermuten, dass er wohl dafür war, das Erbe zu verteilen. Sowieso, wo doch Vescularius Salinator als Gegenspieler mittlerweile der Inbegriff für Willkür und Tyrannei war, und man sich als Vigintivir wohl kaum damit profilieren konnte, wenn man dessen Taten als rechtmäßig bezeichnete. Als Iulius schon zweimal nicht. Immerhin haftete diesen noch immer der Hauch des Pro-Vescularischen als Makel an, weswegen sie gut daran taten, das Gegenteil unter Beweis zu stellen.
    Kurzum: Axilla glaubte, dass der Iulius ihr helfen wollte mit dieser alten Sache und da wohl auch ein wenig Dankbarkeit nun erwartete. “Oh, ich danke dir“, fing sie also pflichtschuldig an und überlegte, was ihr gegenüber nun eigentlich genau hören wollte. “Ich nehme einmal an, dass der Prätor recht schnell sehen wird, wie hanebüchen die ganze Beschlagnahmung ist. Ich meine, angeblich soll mein Mann ihm einen Beleidigungsbrief geschrieben haben und anschließend vom tarpejischen Felsen freiwillig gesprungen sein. Und niemand hat auch nur diesen Brief ein einziges Mal gesehen, Anklage wurde ja auch nie erhoben. Und es ist ja wohl ein grandioser Zufall, dass Vescularius so einen Vorwand hatte, seine Skythen in die Casa Aelia zu bekommen und alles zu durchwühlen...“ Axilla war sich nach wie vor sicher, dass Archias nicht nur nichts getan hatte, sondern viel mehr von Vescularius Salinator umgebracht worden war. Das war einfach eine viel zu große Anhäufung von Zufällen im näheren und weiteren Umfeld des Kaisers vor dessen Ermordung.

    “So lange schon...?“ murmelte Axilla mehr zu sich selber als zu irgendjemand anderem. Die gültige Trauerzeit war da ja schon beinahe vorüber. Von der angemessenen Zeit für die Trauerriten ganz zu schweigen. Sie würde in jedem Fall ein Sühneopfer darbringen müssen. Vielleicht einen Hund? Die eigneten sich ausgezeichnet als Sühnetiere. Auch wenn die Griechen für Totenfeierlichkeiten aller Art nur auf Ziegenböcke schworen. Vielleicht sollte sie einfach beides Opfern, um die Götter der Unterwelt zu besänftigen. Nach so einer langen Zeit war 'mehr' sicher besser.


    Bei all diesen Überlegungen ging die Frage des Vigintivirn beinahe unter. “Archias?“ Axilla blinzelte (und merkte dabei, wie die Haut über ihren Wangen nach dem Weinen spannte). Sie wischte sich noch einmal vorsichtig mit den Fingerspitzen die Augen trocken und versuchte, mit einem tiefen Durchatmen noch einmal ihre Gedanken zu sortieren und ins hier und jetzt zu verfrachten. “Ja, das stimmt. Aber... das ist wirklich schon lange her. Und ich denke nicht, dass zwischen beiden Ereignissen ein Zusammenhang besteht.“
    Nach all dem, was passiert war, glaubte Axilla ohnehin nicht mehr an einen Freitod ihres ersten Mannes. Allerdings wusste sie jetzt nicht, warum Iulius Dives nun gefragt hatte, also wollte sie ihn jetzt nicht sofort damit zutexten. Vielleicht war es einfach nur eine verschrobene Art von Höflichkeit. Oder einfach Neugier. “Warum fragst du?“

    Warum mussten Männer nur solche... solche.... HOLZKÖPFE sein! Sie wollte doch nicht wissen, warum ihr Cousin auf dem Schiff gewesen war! Nun, irgendwie schon, aber sie hatte nicht daran gedacht, eine Antwort zu kriegen. Und vor allem galt ihr Warum dem Umstand, weswegen Merula, der ihr doch so sehr ans Herz gewachsen war, der einzige ihrer Vettern, mit dem sie wirklich etwas verband, warum war ihr Merula tot? Warum waren die Götter so grausam, ihr DAS alles anzutun?


    Axilla wollte gerne etwas bissiges auf die Worte des Iulius erwidern. Etwas sehr bissiges. Aber ihr fiel nichts ein, und beim ersten versuch fehlte ihr auch ganz die Stimme, weil sie noch mit Weinen und Schluchzen beschäftigt war. Sie hielt sich die Hände um den Bauch, ihre Lungen taten irgendwie weh und sie versuchte, sich so etwas mehr zu stützen und zu beruhigen. Dennoch dauerte es einen Moment, bis die Atemzüge rasselnder und ruhiger wurden. Bis dahin war aber die Zeit für eine bissige Riposte längst verstrichen. Also nickte Axilla nur deutlich auf die Frage und wischte sich mit dem Handballen die Tränen aus den Augen. Sicherlich sah sie im Moment nicht mehr allzu vornehm aus, aber das machte nichts. “Weißt du, wann mein Vetter... verstorben ist?“ Da die Begräbnisriten ja ohnehin nur unvollständig erfolgen konnten mangels Leichnam und nur das Meer selbst ihren Vetter begraben hatte, mussten sicher noch Sühneopfer erfolgen, um den Eintritt Merulas in die Unterwelt zu gewährleisten. Da die Parentalia nicht mehr fern waren, war dies sicher doppelt wichtig.

    Den sucht der Cultus Deorum schon seit über einem Jahr. Von daher ist auf dem Gebiet sicher größerer Bedarf.
    Bekommen kann man ihn am einfachsten über einen eigenen Fernhändler

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    Wenn es eine Weisheit gab, die insbesondere im Baugewerbe zutraf, dann war es wohl die, das alles, was schief gehen konnte, auch schief ging. Vor allem dann, wenn man es nicht gebrauchen konnte.


    Angefangen hatte alles noch relativ harmlos, als die Arbeiter beim Ausheben des Fundamentes auf eine größere Menge Sand gestoßen waren. Das war zwar ärgerlich, da der Baugrund so natürlich noch künstlich verfestigt werden musste, aber lösbar. Allerdings hielt es den Bau in dieser Bauphase natürlich dann auf. Das nächste Problem aber ergab sich aber direkt danach, und dieses war nicht so einfach zu lösen. Im Grunde waren es sogar zwei Probleme desselben Ursprungs: Es hatte im Winter zu wenig geregnet und war zu trocken, so dass die Flüsse zu wenig Wasser führten. Und daher konnte der Granit nicht rechtzeitig über die Wasserwege zur Küste und von da weiter nach Ostia transportiert werden. Und ebenfalls wegen des fehlenden Regens konnte auch die Ziegelproduktion nicht die benötigte Menge liefern. Der Ton dafür war schlicht so trocken, dass man daraus nicht vernünftig Ziegel formen konnte, ohne den Boden zuvor künstlich zu wässern.
    Kephalos fürchtete jetzt schon weitere Probleme für den Sommer, wenn dank so wenig Regen weniger Getreide und Gemüse wachsen würde und damit die Arbeiter mehr Geld bräuchten, um ihr Essen zu kaufen.


    Dass dann schließlich noch die Statue, die für den Tempel vorgesehen war, gar nicht ankam, durch die Saturnalien alle Arbeiter auf einmal 2 Wochen lang sich die Sause gaben, einer von Kephalos Gesellen sich spontan entschlossen hatte, zu heiraten und nach Griechenland zu gehen und er selbst sich die dickste Erkältung seines bisherigen Lebens eingefangen hatte, das war dann ja nur noch die Perfektionierung des Chaos.



    So stand also Kephalos erst im Februar so richtig wieder auf der Baustelle, die Nase noch immer rot, und betrachtete die Handvoll Arbeiter, die sich nun doch endlich hier eingefunden hatten. Seine Stimme war dieser Erkältung auch zum Opfer gefallen, so dass ihm nur das ein oder andere Krächzen und hauptsächlich Handzeichen zur Verfügung standen, um den Arbeitern klar zu machen, was sie machen sollten.


    Der Boden war noch vor den Saturnalien verfestigt worden, so dass man nun als allererstes den Zwischenraum zwischen den bislang gebauten Fundamenten verfüllen und begradigen konnte. Dafür wurden Tonscherben fein zermahlen und mit einem Gemisch aus Sand, Zement und Wasser verrührt und erst einmal planeben in mit Brettern abgegrenzte Ebenen gegossen, um so schon einmal einen stabilen und strapazierfähigen Fußboden zu haben. Wenn das geschafft war und alles verhärtet war, hatte man hoffentlich eine Grundlage, die die Spannung des Bodens etwas ausgleichen würde, wenn man die Mauern bis zu ihrer endgültigen Größe hochziehen würde. Und bevor man die Säulen für die Dachkonstruktion aufstellen würde.

    Mit zittrigen Fingern nahm Axilla das Dokument entgegen und las sehr genau Wort für Wort, immer auf der Suche nach einem Fehler, einem falschen Buchstaben oder einer Ungereimtheit. Immerhin konnte man Personen ja leicht verwechseln durch einen einfachen Schreibfehler, wenn nur schriftliche Beweise vorlagen. “Das... das ist bestimmt nur ein Versehen, ein Schreibfehler...“, murmelte sie, während sie las und mit halbem Ohr weiter dem Decemvir zuhörte. Da stand eindeutig Merulas Name neben dem von einigen anderen. Allerdings wusste sie nicht, dass er Decurio von Misenum sein sollte. Er war doch in Alexandria! Das... das war bestimmt falsch! Das musste einfach...
    Sie sah zu dem Iulius gerade auf, als er meinte, dass es ihm leid täte. “Das, das ist falsch. Das ist sicher ein Irrtum. Das.... ich meine, dieser Mann, der kannte meinen Vetter doch gar nicht, und...“ Dass ihre Hoffnung nicht besonders sinnvoll und erfolgsversprechend war, konnte Axilla schon am Gesicht des jungen Mannes ablesen, noch ehe er auch nur den Mund aufgemacht hatte.


    Eine gute Sache gab es bei den römischen Sitten und Gebräuchen: Von Frauen erwartete man nicht nur, dass sie Gefühle hatten und dementsprechend auch trauerten. Man erwartete, dass sie es exzessiv taten, sich die Haare rauften, die Wangen zerkratzten und weinten, als könnten sie nie wieder fröhlich sein.
    Die ersten beiden Punkte erfüllte Axilla zwar nicht, den letzteren dann aber schon. Erst füllten sich ihre Augen mit stillen Tränen, die bald die Wangen herunterflossen, aber irgendwann musste Axilla ja auch wieder atmen, was in einem rasselnden Schluchzen endete. Und ab da war es mit ihrer Selbstbeherrschung dahin. Gänzlich. Sie weinte und schluchzte und barg daher dann ihr Gesicht in beide Hände, wodurch der unglückliche Brief relativ unschicklich einfach auf dem Boden landete.


    Wie konnte Merula tot sein? Warum? “Warum?“ kam es zwischen zwei Schluchzern heraus. Er war in Sicherheit in Ägypten gewesen! Warum war er auf diese dumme Idee gekommen, nach Misenum zu kommen? Warum war er dort dann Decurio auf einmal? Und wieso bei allen Göttern erfuhr Axilla von all dem erst mitten in der Basilika bei einem Decemvirn?

    Das kleine Kompliment, das sonst zumindest ein kurzes Lächeln auf Axillas Lippen gezaubert hätte, verpuffte gänzlich spurlos. Die Iunia war immer noch viel zu aufgelöst wegen der ganzen Befindlichkeiten, als dass sie darauf angemessen hätte reagieren können, und so kamen in ihrem Verstand nur die Beileidsbekundung und die Frage nach dem Irrtum so richtig an.
    “Ja, genau darin besteht ja der Irrtum: Mein Vetter ist nicht tot. Er wohnt nur in Ägypten. In Alexandria. Also, ich weiß, dass über die Wintermonate die Meldungen nur sporadisch eintreffen, aber nur, weil man eine Weile von ihm nichts gehört hat, ist er ja nicht deswegen tot. Ich meine, Ägypten war ja weit weg vom Krieg und ganz ruhig. Daher gab es da sicherlich nur ein Missverständnis.“


    Hoffnungsvoll blickte Axilla Iulius Dives an. Er musste jetzt einfach ihr zustimmen, dass das vielleicht ein wenig vorschnell war und im Frühjahr sicherlich neue Meldungen kommen würden. Und endlich wieder ein Brief ihres Cousins, der dann sicherlich dieses Durcheinander erklären würde.