“Sie ist schon sehr weit geöffnet...“ hörte Axilla die Hebamme sagen. Sie hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, deutete es aber als ein schlechtes Zeichen für ihren Plan, die Geburt mit bloßer Willenskraft noch eine Weile hinauszuzögern. Sie wollte auch etwas einwenden und dazu sagen, aber zum einen wusste sie nicht, was, und zum anderen ging das, was ihr auf der Zunge gelegen hatte, in unartikuliertem Wimmern unter, als ihr Körper schon wieder von heftigsten Schmerzen geplagt wurde.
Just da, als die Wehe abklang, kam Imperiosus herein. Oder so halb. Lange genug, als dass Axilla sich erschrecken konnte, und ihm ein “Alles in Ordnung. Das vergeht gleich wieder“ zurufen konnte, ehe die Hebamme ihn mit fachkundigem Griff auch gleich wieder nach draußen verfrachtete, ehe er so richtig hier gewesen war. Axilla sah den beiden hinterher, hielt sich so lange ruhig und aufrecht, um umso flehentlicher wieder weiterzuweinen, als Imperiosus den Raum verlassen hatte. Nein, nein, nein, nein, nein schrie sie nur in Gedanken, während sie auf den ruinierten Fußboden sah, auf ihre verschwitzte Haut. Sie sah bestimmt schrecklich aus, und Imperiosus hatte es gesehen. Bestimmt wusste er, was hier alle sagten. Bestimmt würde es nicht lange dauern, ehe er zu rechnen anfing, und darauf kam, dass dieses Kind zu früh zur Welt kam. Und dann war alles aus. Einfach alles.
Axilla presste ihre Knie fest aneinander, zog sie ran, verkrampfte sich durch den Schmerz hindurch und klammerte sich an dieser unsinnigen Hoffnung fest, das alles doch noch irgendwie kontrollieren zu können. Sie musste es kontrollieren, wenn sie alles zum Guten wenden wollte. Irgendwie.
Just da kam die Hebamme zurück und fuhr sie mit einem “Was machst du denn da?!“ lautstark an. Schon war sie wieder neben ihr, zog Axillas rangezogene Arme von ihrem Körper, versuchte, ihr die Beine leicht auseinander zu pressen oder kurz, Axilla auf die Geburt vorzubereiten. Aber sie wollte nicht. “Nein“, bettelte Axilla und versuchte, sich aus den festen Griffen zu winden, so gut es eben ging.
Die Hebamme versuchte es nur sehr kurz mit gutem Zureden. Mit einem Mal packte sie Axillas beide Handgelenke, zog sie zu sich und schüttelte die Iunia so leicht, um sie aus ihrer Lethargie zu lösen. “Hör zu, du dummes Kind! Wenn du so weitermachst, wirst du sterben, und dein Kind auch! Willst du das?“
Gedanken rasten durch Axillas Kopf. Durch tränentrübe Augen hindurch sah Axilla die Hebamme an, sah sie zum ersten Mal so richtig an, und all die Verzweiflung lag in ihrem Blick, die sie in den letzten Monaten so geflissentlich unterdrückt und begraben hatte. Sie wollte nicht, dass Valas Kind starb. Sie wollte nicht, dass ihr Kind starb. Sie selbst sagte sich, dass sie keine Angst vor dem Tod hatte – auch wenn sie schon durchaus am eigenen Leib erfahren hatte, dass es doch so war, hatte sie sich doch schon zwei Mal nicht umgebracht, obwohl die Ehre es von ihr verlangt hätte.
Sie musste nicht einmal etwas sagen. Die Hebamme sah, wie der Wille in ihren Augen bröckelte und schließlich ganz brach, und nur noch Verzweiflung und Ergebenheit zurückließ. Es geschah wirklich, Axilla bekam ihr Kind. Sie konnte nichts dagegen tun, nur sterben. Und das war keine wirkliche Option.
“Gut!“ raunte die Hebamme und fühlte noch einmal zwischen ihren Beinen, die Axilla jetzt zwar weinend, aber gehorsam öffnen ließ. “Du bist schon weit geöffnet. Wir sollten dich besser ins Bett bringen, damit du es bequemer hast. Kannst du aufstehen und laufen?“
Axilla wusste es nicht. Sie versuchte es, sich aufzurichten, griff auch nach der Hand der Hebamme, die ihr aufhelfen wollte, aber ihre Oberschenkel zitterten so stark, dass sie es nicht auf schaffte. Gut, das macht nichts“, hörte sie die Hebamme sagen, und schon wenig später bellte die Frau Befehle. Sämtliche Sklavinnen, die noch hier waren, wurden eingespannt. Sie sollten Tücher holen, Kissen, Decken, Schalen. Eine sollte eine magische Frau herbeischaffen, und einen Einspruch, dass dies dem Hausherrn wohl nicht unbedingt gefallen würde, wurde beiseite gewischt. Und ob das Axilla gefiel, wurde ebensowenig gefragt.
Die Decken, Kissen, Schälchen und Schalen kamen schließlich weit schneller als die Maga, die erst nach einer weiteren Stunde eintraf. Inzwischen hatte Axilla sich schon an einer Wand soweit eingerichtet – oder besser: war eingerichtet worden – dass sie die immer schneller kommenden Wehen nicht ganz so erbärmlich über sich ergehen lassen musste. Im Rücken hatte sie einige Kissen – und eine Sklavin, die ihr kräftig den unteren Rückenbereich rieb. Das nahm ein wenig Druck von ihrem Unterleib, wenn gerade keine Wehe da war. Sie saß nicht mehr auf dem nackten Boden, sondern gleich auf drei guten Wolldecken, die hinterher wohl alle ruiniert wären. Aber so war es nicht mehr so hart unter ihr. Die Füße angewinkelt keuchte sie, machte all die lächerlichen Übungen, die ihr so nutzlos erschienen waren, aber wohl doch ein ganz klein wenig zumindest halfen.
Schließlich kam auch die Mage herein, ein altes Weib mit wirren Haaren und einem langen Stock, an dem Tierknochen hingen. Axilla konnte den Schädel einer Katze ausmachen und hatte instinktiv Angst vor dem Weib. Sie fing auch gleich an, ihre Zauber zu singen.
“Ich rufe Iuno Licina herbei. Iuno Licina, Herrin der Mütter, Iuno Licina, Schützerin der Kinder, Iuno Licina, Helferin der Geburt.
Ich rufe Diana herbei. Diana, die Dreiwegsgöttin, Diana, die Geburtshelferin, Diana, Helferin der Geburt.
Ich rufe Proserpina herbei. Proserpina, die Frühjahrsgöttin, Proserpina, die Barmherzige, Proserpina, Helferin der Geburt.
Ich rufe Isis herbei. Isis, die Mutter, Isis, die Heilerin, Isis, Helferin der Geburt.
Ich rufe Candelifera herbei. Candelifera, die das Licht bringt, Candelfera, die die bösen Geister abwehrt, Candelifera, Helferin der Geburt.
Ich rufe Egeria herbei. Egeria, die den Fluss des Lebens bringt, Egeria, die Schmerzmindernde, Egeria, Helferin der Geburt....“
Kerzen wurden von der Hexe angezündet und teilweise Kräuter und Weihrauch verbrannt. Sie rief noch mehr Göttinnen herbei mit ihrem Singsang, und Axilla dachte sich, dass es hier im Balneum wohl verteufelt voll werden würde, wenn all die Göttinnen jetzt tatsächlich herkommen und zuschauen würden.
Weiter Wehen kamen, noch schneller und heftiger, und irgendwann schrie Axilla nur noch wimmernd ihren Schmerz hinaus, lauter als das beständig weitergehende Singen der magischen Frau. Und fing ganz automatisch an, zu pressen. Auch wenn die Hebamme sie teilweise mit einem “noch nicht, noch nicht!“ davon abhalten wollte. Aber da gab es nichts aufzuhalten. Axilla hatte das Gefühl, zu zerreißen.
“Hnnnnngggg“ presste sie nur, wieder, und wieder. Sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte. Sie hatte Zeitgefühl verloren, bemerkte lediglich, dass die Maga schon zum dritten mal in ihrer unglaublich langen Liste an Schutzgöttern und Geistern bei Intercidonia angekommen war. Und presste. Wieder. Und wieder. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem sie sicher war, dass sie sterben würde, weil sie keine Kraft mehr hatte. Und dennoch presste sie, ließ sich den Schweiß vom Körper waschen, sich die Hand halten, den Rücken stützen.
Irgendwann meinte die Hebamme “Der Kopf ist da“, und dann, mit einem weiteren Pressen, war der Druck auf einmal weg. Der Schmerz war weg. Oder immer noch da, aber nicht mehr so fürchterlich.
Und dann war da was anderes. Durch das Stimmengewirr der Sklavinnen, die alle wie aufgeregte Hühner auf einmal lebhaft wurden, durch den Singsang der Hexe hindurch, war da ein ganz leises Weinen, von Lungen, zu klein für einen lauten Schrei, einem Körper, zu schwach für ein hehres Brüllen. Und doch fesselte es Axilla auf eine Art, die sie nicht beschreiben konnte.
Ein noch verklebtes und blutverschmiertes etwas wurde ihr auf den Bauch gelegt, und sie sah es, seine Gestalt, die winzigen Hände, der irgendwie verformt wirkende, leicht lilane Kopf, die zusammengekniffenen, winzigen Augen, die bebende Brust, die zitternden Beinchen, der winzige Mund, der leicht weinte, und doch ruhiger wurde, als er so auf Axillas geschundenem Körper lag, der ihren Herzschlag hörte. Axilla weinte, und wusste dieses Mal absolut nicht, warum. Sie berührte das Kind, ganz vorsichtig, hatte Angst, etwas kaputt zu machen. Es war so klein. So zerbrechlich. So wunderschön.
“Du hast einen gesunden Jungen zur Welt gebracht, Iunia.“
Axilla begriff nicht wirklich, was die Hebamme ihr sagte. Sie hörte nur Junge, und sie wusste, dass sie ihn liebte. Da war keine Frage, kein Zweifel. Kein Bedauern. Noch nicht einmal Angst für einen Moment. Da war ihr Sohn. Und sie liebte ihn.
“Er...“ Axilla wollte etwas sagen, aber wusste nicht was.
Die Hebamme nahm das Kind wieder auf, und Axilla wollte protestieren, hob auch die Hand dem Kind hinterher, war aber zu schwach, etwas zu tun. Vor allem, da eine Sklavin sie mit einem 'Sssssh, Herrin. Ruh dich aus' zurückdrängte in die Kissen.
Das Kind wurde gewaschen und in eine weiche Decke gewickelt, während die Hebamme Axilla bei der Nachgeburt noch half. Diese war wesentlich schneller und einfacher vorüber als die eigentliche Geburt. Schließlich durfte sie ihr Kind doch noch einmal sehen, als es ihr einmal an die Brust gelegt wurde. “Atticus...“, nannte sie es beim Namen. Eigentlich durfte sie das jetzt noch nicht, bekam es seinen Namen doch erst nach 9 Tagen. Vorhin gehörte es den zahlreichen Göttinnen, die die Maga vorhin so fleißig angerufen hatte. Aber Imperiosus hatte es ihr versprochen, dass ihr erster Sohn diesen Cognomen erhalten würde, nach Axillas Vater. Und es wäre ihr auch egal gewesen, wenn es anders wäre. Das war ihr Atticus. Und mit diesem Wissen dämmerte sie auch in einen ohnmachtähnlichen Schlaf hinüber.