Beiträge von Iunia Axilla

    “Er... ist... so... winzig“ meinte Axilla von einem zum anderen Ohr strahlend, als sie mit ihrem Sohn spielte. Er lag auf dem Rücken auf ihrem Bett und ließ es sich gerne gefallen, von seiner Mutter an den Füßchen gehalten und etwas gewackelt zu werden. Er lachte schon! Sogar richtig laut! Nicht nur das zaghafte, zahnlose Lächeln, das er nach ein paar Wochen gezeigt hatte, sondern ein richtiges, kicherndes, glucksendes Lachen.
    Axilla beugte sich über ihren Sohn und lachte mit ihm, kicherte jedes Lachen mit und genoss die Zeit einfach. Titus Atticus war ein sehr fröhliches Kind. Er weinte zwar auch und plärrte schonmal das ganze Haus zusammen, oder schrie aus für Axilla unerfindlichen Gründen mal los. Die meiste Zeit aber war er ruhig und schaute fast nachdenklich drein. Oder kicherte und lachte, wie jetzt.
    “Für ein Kind, das zu früh geboren wurde, ist er eigentlich riesig, domina. Und sehr kräftig.“ Salvia Pulchra war als seine Amme natürlich auch da mit ihrem Sohn. Letzterer schlief gerade auf der Kline unter dem Fenster.
    Axillas Freude dämpfte sich bei den Worten kurz. Wie immer nagte das Wissen an ihr, dass ihr Sohn nicht der ihres Mannes war, und auch nicht zu früh geboren war. Atticus fühlte die Unsicherheit und hörte kurz auf zu lachen, so dass Axilla sich schnell bemühte, ihn wieder dazu zu bringen und ihm einmal auf dem Bauch mit dem Mund blubberte, was in einem freudigen Quietschen und einem sehr lauten – und nahe an der Schmerzgrenze befindlichen – Lachen resultierte.
    “Findest du? Ich find ihn so klein und zerbrechlich.“ Axilla ließ eines der Füßchen los und streichelte ihrem Sohn über den blonden Flaum an seinem Kopf. Es waren noch nicht wirklich Haare, es war ein ganz feines Gespinst von Härchen, so weißgolden wie die Mittagssonne.
    “Nein, Herrin, er ist wirklich sehr kräftig. Manius war erst einige Monate später so groß, wie Titus jetzt schon ist.“
    “Das hat er von seinem Vater“, meinte Axilla ganz in Gedanken. Und erst, als Pulchra fragend ein “Findest du? Ich finde deinen Mann nicht so groß.“ kam, dämmerte es Axilla, sich verplappert zu haben.
    “Naja, es muss. Ich war als Kind immer sehr klein und schmal, deshalb mein Name. Meine Mutter hat auch kein weiteres Kind geboren, das mehr als ein paar Tage gelebt hat. Ich bin sehr froh, dass Titus da so groß und kräftig ist“, plapperte Axilla schnell daher. Sie plapperte immer, wenn sie aufgeregt war. Stimmte ja auch alles, was sie sagte. War nicht einmal wirklich eine Lüge.
    “Dann kannst du den Göttern wirklich dankbar sein, domina.“


    Eine Weile schwiegen die beiden Frauen, die Amme über eine Stickerei gebeugt neben ihrem schlafenden Kind, Axilla in voller Vernarrtheit in ihren Sohn mit diesem am spielen und lachen. Es war so ein wunderschöner Junge. Axilla hätte nie gedacht, dass sie mal so einen perfekten Jungen gebären konnte. Sie liebte ihn abgöttisch.
    Das kichernde Kerlchen strahlte sie gerade wieder an, und Axilla wollte in seinen blaugrauen Augen am liebsten versinken. “Meinst du, seine Augenfarbe ändert sich noch?“ fragte Axilla aus dem nichts heraus die Amme. Am Anfang hatte sie sich erschreckt, dass ihr Kind blaue Augen hatte, aber die Amme und die Hebamme hatten ihr versichert, dass alle Säuglinge zunächst blaue Augen hatten. Ausnahmslos. Und ihre eigenen Augen waren ja auch hell. Zwar grün und nicht blau und auch nicht grau, aber hell. Und ihr Vater hatte ja auch graue Augen gehabt. Und sie glaubte auch, dass Imperiosus den Jungen wirklich liebte und sich über seine Augenfarbe da keine Gedanken machte. Überhaupt machte er sich wenig Gedanken um den Sohn. Wann immer Axilla Atticus ansah, sah sie Valas Gesicht in ihm. Der junge sah dem Duccius wie aus dem Gesicht geschnitten, fand sie. Aber sonst schien das keiner zu bemerken, so dass sich ihre anfängliche Panik im Laufe der Wochen gelegt hatte und nur ein kleines, ungutes Gefühl beständig geblieben war.
    “Ich weiß es nicht, Iunia. Eigentlich ist er über das Alter hinaus, in dem sie sich ändert, und sie ist ja auch schon viel grauer als zu Beginn. Ich denke, sie werden hell bleiben.“
    Axilla machte nur einmal kurz “Ah“ und ließ nicht heraushören, ob sie es gut oder schlecht fand. Im Grunde fand sie es ja auch beides. Ihr Sohn war einfach perfekt mit seinen graublauen Augen. Absolut perfekt. Er würde ein wunderschöner junger, starker Mann werden. Mit jeder anderen Augenfarbe wäre er das auch, aber er wäre nicht so perfekt, wie er war. Auf der anderen Seite hoffte Axilla dennoch, dass sein germanisches Erbe, das durch die hellen Augen und die noch blonden Haare für sie geradezu heraussprang nicht allzu offensichtlich sein würde.

    Kurz rief der Ianitor nach innen, und keine Minute später stand auch schon ein Sklavenjunge von vielleicht zwölf Jahren vor dem Fabius und sah ihn freundlich an.
    “Rufus hier wird dich sicher zur Casa Pompeia und wenn du es wünscht danach auch zur Casa Germanica bringen. Wenn du woanders hin willst, musst du es ihm sagen, er kennt die meisten Plätze. Er sollte nur vor der ersten Nachtstunde wieder daheim sein.“


    Der Junge wartete noch kurz und ging dann auch schon ein paar Schritte vor, winkte den Fabier hinter sich her “Zur Casa Pompeia geht es hier lang“, meinte er fröhlich und ging dann auch schon beschwingten Schrittes los.

    Diesmal zuckte die Peitsche nicht. Stattdessen machte der Doctor für alle gut sichtbar das Zeichen mit der linken Hand, Zeige- und Mittelfinger gestreckt. “Eine Geste um Gnade an den editor, dass er euer armseliges Leben verschont, damit ihr vielleicht zu anderer Gelegenheit noch einmal kämpfen könnt.“
    Er schritt die Reihen ab, damit jeder auch genau sehen konnte, wie es ging. “Wenn ihr zu früh aufgebt und nur euer Leben retten wollt, wird die Menge es euch nehmen. Wenn ihr ängstlich und erbärmlich dabei wirkt, wird die Menge es euch nehmen. Wenn ihr nicht zu den Halbgöttern werdet, die sie in der Arena sehen wollen, werden sie es euch nehmen. Also denkt gut darüber nach, wann ihr diese Geste hier einsetzt, ob euer Können wirklich nicht ausreicht, den Sieg herbeizuführen, ob ihr nicht noch weiterkämpfen könnt, ob ihr nicht wieder aufstehen und etwas versuchen könnt, ob ihr euer leben zu diesem Zeitpunkt einem Haufen Fremder in die Hand geben wollt, denen ihr nicht bedeutet. Die interessieren sich weder für eure Träume, noch für eure Nöte, und erst recht nicht für eure armselige Geschichte. Also gebt ihr nur auf, wenn ihr wirklich keine Chance mehr seht, das Blatt zu wenden.“ Hatte ein Mann gut gekämpft, wurde er entlassen, hatte sich das Publikum gelangweilt, holte dieses sich anders seinen Spaß.
    “Du, herkommen, hinknien“, befahl er Kieran zu sich und wartete, bis der Sklave den Befehl ausführte. Danach stellte er sich hinter ihn, packte mit einer Hand auf seine Schulter und zog mit seiner anderen Hand sein Gladius. “So kniet ihr dann, die Hand zum editor erhoben“ – ein kurzes Rucken an der Schulter machte klar, dass Kieran die Geste ausführen sollte – “und wartet seine Entscheidung ab. Kein Flehen, kein Zittern, starken Blicks. Und wenn ihr sterben sollt, wird weder gezetert, noch geschrien, noch gewimmert oder gejammert. Ihr seid Männer, erst recht im Augenblick eures Todes.“
    Das Schwert fuhr nieder, ritzte Kieran die Haut, ohne ihn ernsthaft zu verletzen, aber durchaus so, um ihn fühlen zu lassen, dass er ebensogut hätte eben sterben können, hätte der Doctor nicht besser aufgepasst, oder hätte er ihn töten wollen. Erst danach ließ er ihn aus seinem Griff frei und trat wieder vor die versammelten Gladiatoren.
    “Und damit ihr derjenige seid, der über dem anderen steht, und nicht der, der kniet, trainieren wir. Wir bilden Paare. Hopp, immer zwei verschiedene armaturae zueinander. Keine gleichen Paare. Und dann wollen wir mal sehen, ob ich in eure Holzköpfe auch nur ein bisschen Wissen habe reinprügeln können.“


    Der Doctor war nicht zufrieden mit der Antwort von Kieran. Allerdings war er noch viel unzufriedener, dass keiner ihm widersprach und die Aussage so komplett richtig stellte. “Ich könnte eure Flöhe unterrichten, die lernen besser als ihr“, schnauzte er den versammelten Haufen an und ließ die Peitsche einmal in Richtung des nächstbesten knallen. Nicht in die des Hiberniers, der ja wenigstens ein bisschen was wusste und den Schnabel aufmachte, wenn eine Frage gestellt wurde. Die einzige Gelegenheit, in der ein tiro gladiator seinen Mund überhaupt benutzen sollte.
    “Der Kampf wird durch drei Ereignisse sofort beendet: Erstens: Den Tod eures Gegners. Zweitens: Das Aufgeben eures Gegners. Drittens: Die Einmischung eines Schiedsrichters. Sobald einer der rudes und besonders der summa rudis zuckt, habt ihr mit kämpfen aufzuhören, wenn ihr nicht von Pfeilen gespickt werden wollt, ist das klar?“ Eindringlich sah er sich seine Mannen an. Zwar wurde explizit diese Methode, um einen Gladiator zu beruhigen, nur äußerst selten angewandt, aber besser man machte einmal zu viel Angst als einmal zu wenig. Üblicherweise langte einer der Schiedsrichter dem Gladiator in den Arm, oder er bekam einen Peitschenschlag. In schlimmen Fällen einen mit einem glühenden Eisen, die in Kohlebecken am Rand auf ihre Benutzung warteten. Die Strafen in den Ludi hinterher waren meist allerdings drakonischer. Ungehorsame Gladiatoren konnte keiner brauchen.
    “Und in diesem Fall wird die Entscheidung dem Kaiser obliegen. Aber generell obliegt sie immer demjenigen, der die Spiele finanziert, dem editor. Egal, ob das nun der Kaiser oder irgendein Privatmann mit zuviel Kohle ist oder der diesjährige Ädil. Es ist immer derjenige, der euch bezahlt. Ein Gladiator ist im Endeffekt nichts anderes als eine männliche Hure. Egal, wie sehr sie euch zujubeln, vergesst das nicht. Sie werden das sicher nicht vergessen, egal wie viel ihr siegt.“
    Der Doctor schritt die Reihen entlang und überlegte schon, wen er in welcher Paarung wohl überhaupt würde aufstellen können, sollte es soweit kommen. Es war anzunehmen, dass der Kaiser Spiele geben würde. Tat jeder Kaiser. Welch besseren Weg gab es, sein Volk an sich zu binden? Aber bislang wusste er von nichts konkretem.
    “Am ehrenhaftesten ist es, wenn ihr einen Feind so in die Knie zwingt, dass er vor euch kapituliert. Das Volk liebt die Macht über die Entscheidung zu haben. Tötet einen Gegner, jubeln sie euch kurz zu und vergessen euch wieder, weil ihr ihnen den Nervenkitzel genommen habt. Zwingt ihn mit eurem Können nieder, und sie lieben euch und singen eure Namen.
    Kann mir einer von euch sagen, wie man signalisiert, dass man aufgibt?“



    Jeder Tag beherbergte die gleichen Abläufe. Aufstehen, Waschen, Frühstück. Dann aufwärm- und Lockerungsübungen, ehe das eigentliche Training losging. Die Neulinge gegen den Palus, die erfahrenen Gladiatoren auch gegeneinander. Immer wieder ertönte das Rufen der Doctores oder das Knallen der Peitsche. Fehler wurden sofort geahndet, kleinere nur mit einem Schlag und ein paar Worten, größere mit drakonischen Strafen. Eingesperrt in ein Erdloch, in dem man nicht richtig stehen konnte. Festgekettet an eine Wand in der Sonne, an der man sich nicht setzen konnte. Zwanzig Stockhiebe. Peitschenschläge. Auctorati, die sich selbst an den Ludus verkauft hatten, um zum Gladiator ausgebildet zu werden, nicht ein bisschen anders als Kriegsgefangene oder Sklaven.
    Dann Mittagessen und die Untersuchungen durch die Ärzte, die auf den Gesundheitszustand achteten. Die einzige Stunde wirkliche Ruhe am Tag, direkt nach dem Mittag. Danach wieder Training, härter, länger, genauer. Dieselben Rufe, dieselben Strafen. Bis schließlich der Sonnenuntergang das Abendessen einleitete. Und danach wieder ins Balneum, waschen, sich einölen lassen, ausspannen. Und dann schlafen. Jeden Tag, bei jedem Wetter.


    Dieser Tag war sonnig und frühlingshaft. Nicht, dass es Eindruck auf den Doctor gemacht hätte. Mal wieder schritt er durch die Reihen seiner Schützlinge und brüllte sie der reihe nach an, wie nichtsnutzig und erbärmlich sie doch wären.
    “Auf Beinstellung achten!“ brüllte er so dem Hibernier entgegen und wartete, bis der Mann es richtig machte. Natürlich nicht ohne ihn darauf hinzuweisen, wie oft er in der Arena mittlerweile gestorben wäre. Der Mann hatte Temperament, was man ihm noch austreiben musste. Sonst wäre er ein leichtes Opfer für den Spott seines Gegenübers.


    Irgendwann war die Übung dann soweit gediehen, dass der Doctor einmal zufrieden grunzte. Das Zeichen für die Übenden, dass sie eine Pause einlegen konnten. Was die meisten auch sofort mit einem erleichterten Aufächzen machten.
    “Wie ihr nichtswürdigen Ratten vielleicht mitbekommen habt, ist, dass wir bald einen neuen Kaiser haben. Wer von euch Grips hat, mag sich denken, dass dieser auch Gladiatorenspiele aufführen will, um seine eigene Größe dem Volk näherzubringen. Vielleicht ist der ein oder andere von euch nicht gar so erbärmlich, als dass ihm die Ehre zuteil wird, in einem der Vorkämpfe zu kämpfen – sofern der Imperator angesichts euer mangelnden Fähigkeiten überhaupt daran denkt, den Director um euch armseligen Haufen zu erbitten“, begann er seine kleine Rede, während er durch die Reihen der erschöpften Männer schritt.
    “Deshalb werden wir die nächsten Tage und Wochen noch einmal härter trainieren, damit ihr wenigstens einen halbwegs brauchbaren Eindruck macht. Und dazu wiederholen wir auch einmal das gelernte. Wie wird ein Kampf beendet? Und wer entscheidet darüber?“


    Sim-Off:

    Entschuldige, dass es so lang gedauert hat.


    Der Sklave hatte sich eine Weile einfach die Beine in den Bauch gestanden und geistesabwesend den Kopf des Maultieres gekrault. Er hatte keine Ahnung, wie lange er hier vor dem Tor warten würde, aber das war auch nicht so wichtig. Solange er nicht bis in die Nacht hier warten musste und für das Geld, was seine Herrin ihm ja auch mitgegeben hatte, in einer schönen Taverne (oder einem noch schöneren Lupanar) unterkommen würde, war es ihm relativ gleichgültig.
    Erfreulicherweise dauerte es aber auch gar nicht so lange, bis der Mann kam, auf den er wartete. Er hatte ihn in Rom damals nur kurz gesehen, aber er hatte von seiner Herrin noch einmal eine Beschreibung bekommen. Und wer sonst außer dem Vetter seiner Herrin sollte ihn schon so anreden, wo er doch nach ihm gefragt hatte?
    “Salve, dominus. Domina Iunia Axilla hat mich hergesandt, um dir - und dir allein - auf deinen Brief zu antworten, und mir ebenfalls aufgetragen, in Mantua zu warten, falls du mir eine Nachricht mitgeben magst, oder eben zurückzukommen, wie es dir beliebt.“
    Er holte einen Ledertornister unter seinem Umhang hervor, dessen Schnürverschluss er schnell öffnete, um seinem Herrn – immerhin diente er der gesamten Gens Iunia – den Papyrus anzureichen, den er so regensicher von Rom nach Mantua transportiert hatte.




    Titus Iunius Priscus
    Castra Legionis I Traianae Piae Fidelis
    Mantua



    Iunia Axilla suo Prisco s.d.


    Es tut mir leid, unendlich leid, dass ich dir so lange nicht geantwortet habe. Aber du ahnst ja gar nicht, was hier in Rom alles los war!
    Es ist schrecklich, und ich weiß nicht, wie ich mein Leid überhaupt klagen soll, wo es doch eigentlich nicht ich bin, die leidet, sondern die ganze Welt.


    Um dir deine erste Sorge zu nehmen, mir geht es soweit gut. Ich habe vor einigen Tagen einen Sohn entbunden. Mein Mann hat mir versprochen, dass sein Cognomen nach meinem Vater, also Atticus lauten wird. Er hat mich sogar den Praenomen aussuchen lassen, oder zumindest meinem Vorschlag zugestimmt. So heißt mein Sohn nun Titus Pompeius Atticus, und ich bete zu den Laren und unseren Ahnen, dass sie ihn alle Zeit beschützen.


    Aber das sind auch alle guten Neuigkeiten, die ich weiß. Von Serrana habe ich lange nichts gehört, was aber nichts heißen muss. Sie und ich hatten nie besonders herzlichen Kontakt. Soweit ich weiß, geht es allen in der Casa Germanica gut, keine Verhaftungen, keine Todesfälle. Auch Seneca ist wohlauf, auch wenn ich große Angst um ihn habe wegen seinem Dienst bei den Prätorianern. Die sind dieser Tage sehr viel unterwegs im Auftrag Salinators, verhaften viele Menschen und durchsuchen viele Häuser auf der Suche nach angeblichen Verrätern. Ich glaube nicht, dass diese Männer etwas mit dem Tod des Kaisers zu tun haben, vielmehr glaube ich, dass sein Mörder sich zu seinem Nachfolger erklärt.
    Hier in Rom war es die letzten Wochen sehr schlimm. Erst wurde eine Ausgangssperre verhängt, die sehr viel Angst verbreitet hat. Ich habe auch von einigen Unruhen in den ärmeren Bezirken gelesen. Dann kamen wie gesagt die Verhaftungen. Vor allem so viele Senatoren wurden verhaftet! Die Vinicier sind beide verhaftet worden, Vinicius Hungaricus wurde zum Verräter erklärt und ins Exil geschickt. Sein Bruder ist noch verschwunden. Mich würde nicht wundern, wenn er tot ist. Tiberius Durus ist auch tot. In der Villa Tiberia muss es sehr viel Blutvergießen gegeben haben, es wurden einige Leichen herausgetragen. Die Flavier haben die Stadt verlassen, ebenso wie die Aurelier. Und die Prätorianer durchsuchen ihre Häuser.
    Ich glaube nicht, dass all diese Menschen etwas mit dem toten Kaiser zu tun haben! Im Gegenteil, ich weiß, dass derjenige, den der Kaiser zu seinem Nachfolger bestimmt hat, auch fliehen musste. Frag mich nicht, woher ich es weiß, denn ich traue mich kaum, dir zu schreiben, dass ich es weiß, auch wenn ich dem Boten vertraue. Aber ich weiß, dass im Testament des Kaisers nicht Vescularius als sein Nachfolger steht, auch wenn es anders verlautbart wurde, sondern ein Cornelius Palma.
    Ich muss dir das schreiben, weil mich dieses Wissen sonst zerreißt, aber ebenso muss ich dich beschwören, dieses Wissen für dich zu behalten! Schwöre mir beim Stein des Iuppiters, dass du es niemals verrätst! Ich habe so entsetzliche Angst um meinen Sohn, dass dieses Wissen eines Tages sein Leben einfordern könnte...


    Vescularius lässt sich dieser Tage zum Kaiser erklären. Mein Mann ist sein Klient, und sicher profitiert er hiervon. Dennoch habe ich Angst vor diesem Mann auf dem Thron, und kein Gefallen dieses Mannes kann dieses Gefühl beschwichtigen, im Gegenteil. Ich habe Angst, durch meine Ehe in etwas hineingezogen zu sein, was ich nicht überschauen kann und was sehr gefährlich ist. Ich wäre so gern fern ab von Rom, aber mein Mann besteht darauf, dass wir hier bleiben.
    Ich habe auch Angst um Seneca, der sich durch Dienst unter Terentius Cyprianus, der auch Vescularius folgt, sicher viele Feinde schafft.


    Ich bete zu den Göttern, dass du auf dich aufpassen kannst. Die Legio I wird ja von einem Aurelius geführt. Diese sind in Rom gerade nicht beliebt. Ich hoffe, dass nichts schlimmeres passiert, aber ich fürchte, dass diese Hoffnung sich nicht bewahrheiten wird. Ich hoffe nur, dass die Iunii heil aus diesen ganzen Dingen herauskommen. Schon einmal waren wir gezwungen, an einem Bürgerkrieg teilzunehmen, nur dass damals unser Name weit mächtiger war. Ich möchte nicht, dass die Geschichte sich wiederholt.


    Mögen die Götter über dich wachen.


    Axilla



    Was in dem Brief stand, wusste der Sklave nicht. Lesen konnte er auch nicht. Er wusste nur, dass es wichtig war. So wichtig, dass seine Herrin ihn beschworen hatte, dass er ihn eher verbrennen sollte, als sie einem anderen zu übergeben als ihrem Vetter. Und er hatte es ihr am Altar des Hauses beim Stein des Iuppiter schwören müssen.

    Der Ianitor sah an dem Besuch kurz herunter. Eine Iunia Minor kannte er nicht, allerdings war das auch ein Allerweltsname, den irgendeine entfernte Cousine von irgendwem hätte haben können in irgendeinem unbedeutenderen Zweig der Gens.
    “Nun, Herr, dann tut es mir leid, dich weiterschicken zu müssen. Der Herr des Hauses, Aulus Iunius Seneca, versieht seinen Dienst in der Castra Praetoria, die Herrinnen Iunia Serrana und Iunia Axilla sind verheiratet. Erstere findest du in der Casa Germanica, letztere in der Casa Pompeia. Ich fürchte, von den Verwandten deiner Frau ist momentan niemand in der Casa Iunia zugegen. Wenn du wünscht, kann ich dir einen Burschen mitgeben, der dich durch die Straßen zu den domini Iuniae bringt?“ bot er hilfsbereit an.

    Auf einem kleinen, struppigen Maultier kam ein Mann langsam herangeritten zum Tor des Castellums. Reisestaub hing ihm überall in den einfachen Kleidern. In gebührlichem Abstand hielt er sein Tier an und stieg ab, um es am Zügel die letzten Meter bis vor die Tore des Castellums zu schicken.
    "Salve! Ich bin Sklave aus dem Hause Iunia und habe eine Nachricht zu überbringen an dominus Titus Iunius Priscus persönlich. Darf ich hier warten, bis sein Dienst heute beendet ist und er sie abholen kann? Und könnt ihr ihn hierüber informieren?" fragte er in aller ehrerbietiger Bescheidenheit.

    Nein, ab dem Jahr 100 haben wir eine eigene Chronik, was davor war, ist historisch, danach haben wir für die bessere Spielfreiheit eine eigene Geschichte. Was so passiert ist, lässt sich mehr oder weniger Detailreich in der Chronik nachlesen.


    So hatten wir inzwischen 2 nicht-historische Kaiser, die das Zeitliche gesegnet haben. Iulianus ist von einem Feldzug gegen Parthien vor einigen Jahren nicht wiedergekehrt, Valerianus wurde zu den Saturnalien vergiftet, und im Moment schlittern wir am Rand eines Bürgerkrieges, da 2 Männer (einmal der bisherige Praefectus Urbi Potitus Vescularius Salinator und einmal einer der Männer, die den alten Kaiser vergiftet haben, Appius Cornelius Palma) sich von diversen Legionen haben zum Kaiser erklären lassen. Vescularius Salinator lässt sich grade in Rom offiziell als Kaiser feiern. Im Sinne der Mikronation und des Rollenspielanteils ist man so einfach freier und kann auch eigene, große Plots machen, und muss nicht nur deshalb in einen Krieg, weil der halt historisch auch so war, oder hat eben keinen Krieg, weil der historisch da eben grade nicht war.
    Wobei die Zeit im IR relativ ist. Weil die Ämter der Römer meistens auf ein Jahr (oder auch länger) besetzt waren, für den Mikronationanteil der Simulation das aber eine arg lange Zeit wäre, gibt es da einen Kunstgriff. Bei uns können 3 Monate 1 Jahr sein - das ist so bei eigentlich allen Ämtern, dass die für 3 Monate SimOff, aber für ein Jahr SimOn dann besetzt sind. Demzufolge sind da dann auch Wochen = Monate. Allerdings ist gleichzeitig, was die Chronik angeht 1 Jahr = 1 Jahr. Von daher sollte man ein bisschen flexibel sein, was die Zeit angeht.
    Damit die Leute auch in überschaubarer Zeit spielbaren Nachwuchs fabrizieren können, gibts da auch mal schnellere Alterungen (so dass ein Senatorensohn vor einem halben Jahr geboren wurde und auf einmal 5 Jahre alt ist). Wie gesagt, das ist dem Rollenspielanteil und der Spielbarkeit geschuldet, das kann man halten wie die Dachdecker. So flexibel sollte man schon sein und dann die Möglichkeiten, die sich einem daraus ergeben, genießen.


    Insgesamt aber versucht das IR so historisch zu sein, wie es unter dem gesichtspunkt der Spielbarkeit geht. Und wenn jemand einen guten Vorschlag hat, wie das IR noch historischer werden kann und wie man das in das Spiel gut einbauen kann, hat die SL da auch immer ein offenes Ohr. Man bemüht sich, so gut es eben geht, sich an die damalige Zeit auch anzulehnen.

    Es dauerte auch nicht lang, bis der alte Mann die Tür ein Stück weit öffnete. Kurz musterte er den Besucher, der ordentlich genug aussah, um kein Bettler oder Schutzsuchender zu sein. Und damit auch ordentlich genug, um freundlich empfangen und nicht verscheucht zu werden.
    "Salve. Wie kann ich dir helfen?"

    Nachdem sie es zuende gelesen hatte, starrte Axilla ungläubig auf das so unschuldig wirkende Stück Papyrus in ihren Händen. Ihre Gedanken kreisten nicht nur, sie bekriegten sich geradezu. Gleich mehrere Fragen hämmerten mit gewalttätiger Immanenz auf ihre eigenen Beruhigungsversuche in ihrem Schädel ein, und mit jeder verstreichenden Sekunde erhielten sie neue Rückendeckung von nachdrängenden Fragen. Und Antworten, um ihnen etwas entgegen zu halten, hatte Axilla nicht. Noch nicht einmal wirklich brauchbare Thesen.


    Wieso hatte Imperiosus das Testament des Kaisers in seinem Schlafzimmer liegen? Wieso hatte er es überhaupt in seinen Händen? Wieso hatte er nichts gesagt? Wieso wusste sie davon nichts? War dieses Testament echt? War es gefährlich, wenn es hier im Haus war? Vermutlich ja. Wieso war es nicht in den Händen der Vestalinnen? Wieso war es nicht im Senat verlesen worden?
    Die Antwort auf die letzte Frage kennst du aber, schaltete sich ihre Vernunft ungefragt ein und konzentrierte damit das wilde Geprügel in ihrem Gehirn auf eine gezielte Stelle, die dem Angriff der anstürmenden Zweifel standhalten konnte.
    Axilla wusste, dass im Senat ein Testament verlesen worden war. Sie wusste, dass dieses Testament Salinator zum Kaiser machte. Er wurde ja auch dieser Tage inthronisiert.
    Er hat das Testament gefälscht! kam anklagend die Erkenntnis endlich im Getümmel an, und beinahe ehrfürchtig fuhren Axillas Finger über die wenigen Zeilen dieses Testamentes, wohl bedacht, dabei nicht versehentlich noch die Tinte zu verwischen – auch wenn die schon lange getrocknet war. Ob Salinator es wusste? Natürlich! Stell nicht so dumme Fragen! wurde diese Frage gewaltsam niedergemäht. Plötzlich ergab auch einiges einen Sinn! Warum Appius Cornelius Palma, von dem Axilla nur dann und wann mal in irgendwelchen Berichten gehört hatte – und da auch erst nachträglich durch ihre Arbeit in der Acta – auf einmal zum Hochverräter erklärt worden war. Natürlich, wenn das der rechtmäßige Kaiser war, da musste der Usurpator ihn verbannen, wollte er nicht auffliegen! Und das hier... dieses heilige Dokument, der letzte Wille von Valerianus, war vermutlich der einzige Beweis für die ganze Lüge!
    Vor Schreck hätte Axilla das Testament doch fast fallen lassen, als ihr klar wurde, dass Salinator vermutlich dieses Haus hier bis auf die Grundfesten niederbrennen würde und alle Bewohner höchstpersönlich foltern würde, um es zu erlangen, wenn er wüsste, dass es hier wäre. Es war mehr als nur gefährlich, es zu haben, mehr als nur gefährlich, davon zu wissen. Wenn Imperiosus einen Fehler beging...?


    Axilla wurde schlecht, und sie musste sich aufs Bett setzen. Imperiosus liebte seinen Patron, das wusste Axilla inzwischen. Er würde dem Vescularius nicht schaden wollen.
    Aber doch hatte er das Testament aufgehoben! Axilla zweifelte daran, dass er es aus denselben Gründen aufgehoben hätte wie sie. Um seine Pietät war es, so gern sie ihn hatte, nicht so weit her, und er würde wohl lachen, wenn sie ihm etwas von den Manen der Toten erzählen würde, die es gar nicht gern sähen, wenn ihr letzter Wille verbrannt und ignoriert wurde. Warum hatte er es sonst aufgehoben?
    Axilla starrte an die Wand, aber da war auch keine Antwort. Die Götter offenbarten sich ihr nicht. Aber so vermessen der Gedanke auch sein mochte, so glaubte sie fast daran, dass er es vielleicht deshalb mitgenommen hatte, damit sie es hier finden konnte. Damit sie dafür sorgen konnte, dass es eben nicht verbrannt wurde. Dass es noch da war, unzerstört. Mars, warum suchst du dir keine Krieger für so etwas? dachte Axilla eine stumme Frage. Wäre sie als Junge geboren, sie hätte das Ding verteidigen können. Aber so? Nun, wäre sie als Junge geboren, hätte sie es jetzt vermutlich nicht in ihren Händen, aber dennoch fühlte sie sich dem ganzen und allem, was es beinhalten mochte, nicht gewachsen.
    Was sollte sie überhaupt tun? Wenn sie es einfach mitnahm, würde Imperiosus es merken. Dumm war ihr Mann ja auch nicht. Und bei so etwas wichtigem schon gleich gar nicht. Aber wenn sie es einfach hier ließ, vielleicht verbrannte er es doch noch! Immerhin hatte er ihr nichts davon gesagt, und Axilla glaubte auch nicht, dass er ihr davon noch etwas sagen würde. Und weil es so gefährlich war, und er Salinator doch so unterstützte, ja offensichtlich bei dem Betrug um das Testament mitmachte, wer sagte, dass er es nicht verbrennen würde? Nein, hierlassen ging auf gar keinen Fall.


    Axillas Herz klopfte schneller, und ihr wurde noch elender. Sie wollte Imperiosus nicht beklauen. Gerade eben hatte sich alles noch einigermaßen in eine Richtung entwickelt, in die eine Ehe gehen sollte, dass sie aufhören konnte, so direkt zu lügen, dass sie ihm richtig vertrauen konnte, dass alles gut werden würde! Und jetzt schon wieder so etwas! Die Götter waren grausam.


    Sorgfältig rollte Axilla das Testament zusammen, hielt es an sich, fast wie ihren Sohn. Sie wusste eigentlich nur einen einzigen Ort, wo sie es verstecken konnte. Nur ein Ort, wo sie es als sicher betrachtete. Also brachte sie es dorthin.

    “Gaius?“ Axilla wusste gar nicht genau, wann sie dazu übergegangen war, ihren Mann beim Praenomen zu nennen. Lange hatte sie sich dem auch innerlich verweigert. Nicht, weil sie Imperiosus nicht genug mochte, denn sie hatte ihn ja gern. Und selbst nicht wegen der Lüge, die sie ihm weisgemacht hatte, und ihrem schlechten Gewissen, auch wenn das vielleicht eine kleine Rolle spielte. So eine Vertraulichkeit machte die Lüge noch schwerwiegender. Aber der eigentliche Grund war, dass es derselbe Name war wie der ihres ersten Ehemannes, und Axilla wollte sich daran nicht so sehr erinnern. Sie wollte sich an Archias so erinnern, wie er zum Beginn ihres Kennenlernens war und nicht an das, wozu er geworden war, und sie wollte erst recht nicht an seine übertriebene Eifersucht und seinen Selbstmord und all das, was daraus noch erwachsen war. Sie wollte nicht an all das denken, wenn sie mit Imperiosus zusammen war, und durch so etwas wie einen Namen daran erinnert werden.


    Sie betrat das Cubiculum ihres Mannes, aber er war nicht da. Langsam ging sie hinein und sah sich um, aber er war wirklich nirgends. Tief und langsam atmete Axilla durch. Noch immer fühlte sie sich schlapp und aufgerissen und auch irgendwie leer. Die Geburt war jetzt schon über eine Woche her, und insgeheim fragte sich Axilla, wie viele der Frauen auf den Märkten das nur machten, nach einer Geburt am nächsten Tag gleich weiter zu arbeiten. Sie fühlte sich nur müde und elend, und dabei nahm ihr die Amme eigentlich alle Arbeit mit ihrem Atticus ab, und die Sklaven die ganze restliche Arbeit. Im Grunde musste sie ja sogar darum kämpfen, etwas zu tun zu bekommen. Und trotzdem fühlte sie sich schlapp und müde, wie sie es eigentlich gar nicht von sich kannte. Sie hoffte nur, das hörte wieder auf. Und sie hoffte ebenso, dass diese ganzen Übungen, die die Hebamme und auch Salvia Pulchra ihr aufgetragen hatten, um ihr Gewebe wieder zu festigen, bald richtige Wirkung zeigen würden. Axilla wollte lieber gestern als heute ihre alte Figur wieder zurück.


    Aber erst einmal galt es, die Namensgebung ihres Sohnes zu organisieren, und dafür wollte sie ihren Mann fragen, ob er noch irgendwen einladen wollte oder doch nicht. Morgen lebte Atticus immerhin schon 9 Tage, also durfte er ab da auch offiziell einen Namen tragen. Er würde eine Bulla bekommen, die er dann tragen würde, bis er ein Mann würde. Das war ein wichtiger Augenblick, und etwas, auf das Axilla ein Auge haben wollte. Nach diesem Zeitpunkt wäre ihr Sohn der Sohn von Imperiosus, egal, was sonst noch passieren würde. Es wäre bezeugt. Und die Gefahr wäre erst einmal wirklich vorüber.
    Aber ihr Mann war nicht da!
    Axilla schnaufte einmal müde durch und bemerkte das Papierchaos auf seinem Tisch. Neugierig ging sie hinüber, in der Hoffnung, da vielleicht sowas wie eine Gästeliste zu finden. Und wenn nicht, war es trotzdem interessant, mal ein wenig seine Post durchzuschauen. Sie hatte die letzten Wochen gar nichts mehr wirklich mitbekommen, was außerhalb ihres Hauses vor sich ging, und ihr Mann war immerhin Procurator. Vielleicht war ja was interessantes dabei? Mussten ja nicht gleich Truppenmarschbefehle sein, aber vielleicht ein paar Ernennungen von jemandem, den sie kannte?
    Und so fuhren Axillas Finger leicht über die Papiere und Wachstafeln, las hier ein Wort, da ein Wort, bis sich ihre Augen an dem Wort 'Testamentum' festhängen blieben.
    Er hat ein Testament gemacht? schoss es durch Axillas Gedanken. Sie wusste ncihts von seinem Testament. Gut, das war auch nichts, was ein Mann unbedingt mit seiner Frau erörterte. Trotzdem musste es neu sein, wenn es noch hier auf dem Tisch rumlag und nicht im Atrium Vestae war. Nach der Geburt von Axillas Sohn vielleicht?


    Neugier war eine schlechte und gefährliche Angewohnheit. Dieser berühmte, rote Knopf, auf dem dich und fett 'nicht drücken!' stand, der in einem das unglaubliche Gefühl auslöste, einfach wissen zu müssen, was passierte, wenn man doch draufdrückte!
    Und so ging es jetzt auch Axilla. Im Grunde ging es sie nichts an, zu wissen, was in dem Testament stand. Im Grunde ging sie gar nichts auf dem Tisch etwas an, aber das noch weniger. Wenn es sie etwas anginge, hätte Imperiosus es ihr gesagt. Es war falsch, es zu lesen. Und trotzdem nahm sie das feine Pergament – ignorierte dabei unbewusst die Tatsache, dass das ihr sehr wohl bekannte kaiserliche Siegel dick an der Schriftrolle prangte – rollte es auf, und las über die Zeilen. Und mit jeder neuen Zeile wünschte sie sich, sie hätte einmal nur ihre Neugier unterdrückt und gar nicht erst angefangen, irgendwas von diesem Tisch zu lesen.

    Sie musste kurz schon weggedämmert sein, denn Axilla bekam nicht mit, wie Imperiosus hereinkam, und auch nicht, dass er ihren Sohn auf den Arm nahm. Eine kleine Gnade, die die Götter ihr da schenkten, wäre sie in diesem Moment wohl am ehesten vor Angst gestorben oder hätte sich durch einen panischen Ausruf verraten. So aber öffnete sie nur müde die Augen, als er Axillas Sohn bereits auf den Armen hatte. Es dauerte einen Moment, ehe sie genug erschrocken war, um von der in ihr Hirn sickernden Erkenntnis wieder wach zu werden und zu ihrem Mann zu sehen. Er hatte Atticus auf dem Arm! Aber... sie hatte ihn ihm ja gar nicht übergeben können. Und trotzdem, vor all diesen Sklaven – auch wenn deren Wort als Zeugen wohl nicht zählte – hatte er das Kind aufgenommen. Angenommen. Als seines.


    Bis Imperiosus schließlich neben ihr kniete und ihr einen Kuss auf die noch völlig nassgeschwitzte Haut hauchte, konnte sie sich nicht rühren und nichts sagen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte Schuldgefühle, weil Imperiosus es ehrlich zu glauben schien, sich ehrlich zu freuen schien. Aber auf der anderen Seite war sie so entsetzlich erleichtert. Ihr Sohn würde leben! Er würde nicht auf einer Müllhalde von streundenden Hunden zerrissen werden, oder von einem vorbeikommenden Dieb mitgenommen werden, um als Kind an ein Lupanar verkauft zu werden. Er würde hier bleiben, bei ihr, und wäre in Sicherheit!
    Und als Imperiosus ihr auch schließlich den Namen zuflüsterte, ganz leise, da konnte Axilla nicht mehr an sich halten. Sie weinte, vor lauter Erleichterung schluchzte sie und griff schwach nach Imperiosus, zog sich in eine zittrige Umarmung, und war einfach glücklich für ihren Sohn. Imperiosus wäre sicherlich ein guter Vater, ganz bestimmt. Und er war Ritter, womit ihrem Sohn eine Karriere beim Militär offenstand. Alles, was Axilla wollte. ““Ich liebe dich“ flüsterte Axilla zurück und meinte es sogar ehrlich, wenngleich nicht in dem Sinne, in dem diese Phrase üblicherweise gebraucht wurde. Sie war nicht verliebt in Imperiosus, sie brachte ihm nicht diese Art tiefe Gefühle entgegen, die sie für alle Zeiten an seiner Seite halten würden und sie nie an anderes denken lassen würden. Aber sie liebte, dass er da war. Sie liebte, dass er ihren Sohn beschützen würde – wenn auch unwissentlich, dass es nicht der seine war. Sie liebte die Sicherheit. Sie liebte dieses glückliche Gefühl, das sie jetzt hatte. Sie liebte ihren Sohn, über alles liebte sie ihren Sohn, und sie liebte die Vorstellung, dass Imperiosus ihn auch lieben konnte. Und in diesem Moment hier auf dem Boden des Balneums waren ihr diese feinen Unterschiede zwischen dem, was sie sagte und dem, was sie meinte, viel zu egal, als dass sie sich darum Gedanken gemacht hätte.


    Allerdings dauerte der Moment nicht ewig, und Axilla hätte auch nicht die Kraft gehabt, ihn ewig dauern zu lassen. Sie war so erschöpft wie noch nie in ihrem Leben. Und das konnte man ihr auch ansehen und anmerken.
    “Du solltest deine Frau in ihr Bett bringen lassen, Pompeius. Die Geburt war sehr anstrengend, und sie muss schlafen. Ich werde morgen wieder nach ihr sehen“, mischte sich auch nach diesem Moment des Einklangs die Hebamme sehr bestimmt wieder ein. Immerhin konnte man Axilla kaum hier im Balneum liegen lassen.

    “Sie ist schon sehr weit geöffnet...“ hörte Axilla die Hebamme sagen. Sie hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, deutete es aber als ein schlechtes Zeichen für ihren Plan, die Geburt mit bloßer Willenskraft noch eine Weile hinauszuzögern. Sie wollte auch etwas einwenden und dazu sagen, aber zum einen wusste sie nicht, was, und zum anderen ging das, was ihr auf der Zunge gelegen hatte, in unartikuliertem Wimmern unter, als ihr Körper schon wieder von heftigsten Schmerzen geplagt wurde.


    Just da, als die Wehe abklang, kam Imperiosus herein. Oder so halb. Lange genug, als dass Axilla sich erschrecken konnte, und ihm ein “Alles in Ordnung. Das vergeht gleich wieder“ zurufen konnte, ehe die Hebamme ihn mit fachkundigem Griff auch gleich wieder nach draußen verfrachtete, ehe er so richtig hier gewesen war. Axilla sah den beiden hinterher, hielt sich so lange ruhig und aufrecht, um umso flehentlicher wieder weiterzuweinen, als Imperiosus den Raum verlassen hatte. Nein, nein, nein, nein, nein schrie sie nur in Gedanken, während sie auf den ruinierten Fußboden sah, auf ihre verschwitzte Haut. Sie sah bestimmt schrecklich aus, und Imperiosus hatte es gesehen. Bestimmt wusste er, was hier alle sagten. Bestimmt würde es nicht lange dauern, ehe er zu rechnen anfing, und darauf kam, dass dieses Kind zu früh zur Welt kam. Und dann war alles aus. Einfach alles.
    Axilla presste ihre Knie fest aneinander, zog sie ran, verkrampfte sich durch den Schmerz hindurch und klammerte sich an dieser unsinnigen Hoffnung fest, das alles doch noch irgendwie kontrollieren zu können. Sie musste es kontrollieren, wenn sie alles zum Guten wenden wollte. Irgendwie.


    Just da kam die Hebamme zurück und fuhr sie mit einem “Was machst du denn da?!“ lautstark an. Schon war sie wieder neben ihr, zog Axillas rangezogene Arme von ihrem Körper, versuchte, ihr die Beine leicht auseinander zu pressen oder kurz, Axilla auf die Geburt vorzubereiten. Aber sie wollte nicht. “Nein“, bettelte Axilla und versuchte, sich aus den festen Griffen zu winden, so gut es eben ging.
    Die Hebamme versuchte es nur sehr kurz mit gutem Zureden. Mit einem Mal packte sie Axillas beide Handgelenke, zog sie zu sich und schüttelte die Iunia so leicht, um sie aus ihrer Lethargie zu lösen. “Hör zu, du dummes Kind! Wenn du so weitermachst, wirst du sterben, und dein Kind auch! Willst du das?“
    Gedanken rasten durch Axillas Kopf. Durch tränentrübe Augen hindurch sah Axilla die Hebamme an, sah sie zum ersten Mal so richtig an, und all die Verzweiflung lag in ihrem Blick, die sie in den letzten Monaten so geflissentlich unterdrückt und begraben hatte. Sie wollte nicht, dass Valas Kind starb. Sie wollte nicht, dass ihr Kind starb. Sie selbst sagte sich, dass sie keine Angst vor dem Tod hatte – auch wenn sie schon durchaus am eigenen Leib erfahren hatte, dass es doch so war, hatte sie sich doch schon zwei Mal nicht umgebracht, obwohl die Ehre es von ihr verlangt hätte.


    Sie musste nicht einmal etwas sagen. Die Hebamme sah, wie der Wille in ihren Augen bröckelte und schließlich ganz brach, und nur noch Verzweiflung und Ergebenheit zurückließ. Es geschah wirklich, Axilla bekam ihr Kind. Sie konnte nichts dagegen tun, nur sterben. Und das war keine wirkliche Option.
    “Gut!“ raunte die Hebamme und fühlte noch einmal zwischen ihren Beinen, die Axilla jetzt zwar weinend, aber gehorsam öffnen ließ. “Du bist schon weit geöffnet. Wir sollten dich besser ins Bett bringen, damit du es bequemer hast. Kannst du aufstehen und laufen?“
    Axilla wusste es nicht. Sie versuchte es, sich aufzurichten, griff auch nach der Hand der Hebamme, die ihr aufhelfen wollte, aber ihre Oberschenkel zitterten so stark, dass sie es nicht auf schaffte. Gut, das macht nichts“, hörte sie die Hebamme sagen, und schon wenig später bellte die Frau Befehle. Sämtliche Sklavinnen, die noch hier waren, wurden eingespannt. Sie sollten Tücher holen, Kissen, Decken, Schalen. Eine sollte eine magische Frau herbeischaffen, und einen Einspruch, dass dies dem Hausherrn wohl nicht unbedingt gefallen würde, wurde beiseite gewischt. Und ob das Axilla gefiel, wurde ebensowenig gefragt.


    Die Decken, Kissen, Schälchen und Schalen kamen schließlich weit schneller als die Maga, die erst nach einer weiteren Stunde eintraf. Inzwischen hatte Axilla sich schon an einer Wand soweit eingerichtet – oder besser: war eingerichtet worden – dass sie die immer schneller kommenden Wehen nicht ganz so erbärmlich über sich ergehen lassen musste. Im Rücken hatte sie einige Kissen – und eine Sklavin, die ihr kräftig den unteren Rückenbereich rieb. Das nahm ein wenig Druck von ihrem Unterleib, wenn gerade keine Wehe da war. Sie saß nicht mehr auf dem nackten Boden, sondern gleich auf drei guten Wolldecken, die hinterher wohl alle ruiniert wären. Aber so war es nicht mehr so hart unter ihr. Die Füße angewinkelt keuchte sie, machte all die lächerlichen Übungen, die ihr so nutzlos erschienen waren, aber wohl doch ein ganz klein wenig zumindest halfen.
    Schließlich kam auch die Mage herein, ein altes Weib mit wirren Haaren und einem langen Stock, an dem Tierknochen hingen. Axilla konnte den Schädel einer Katze ausmachen und hatte instinktiv Angst vor dem Weib. Sie fing auch gleich an, ihre Zauber zu singen.
    “Ich rufe Iuno Licina herbei. Iuno Licina, Herrin der Mütter, Iuno Licina, Schützerin der Kinder, Iuno Licina, Helferin der Geburt.
    Ich rufe Diana herbei. Diana, die Dreiwegsgöttin, Diana, die Geburtshelferin, Diana, Helferin der Geburt.
    Ich rufe Proserpina herbei. Proserpina, die Frühjahrsgöttin, Proserpina, die Barmherzige, Proserpina, Helferin der Geburt.
    Ich rufe Isis herbei. Isis, die Mutter, Isis, die Heilerin, Isis, Helferin der Geburt.
    Ich rufe Candelifera herbei. Candelifera, die das Licht bringt, Candelfera, die die bösen Geister abwehrt, Candelifera, Helferin der Geburt.
    Ich rufe Egeria herbei. Egeria, die den Fluss des Lebens bringt, Egeria, die Schmerzmindernde, Egeria, Helferin der Geburt....“

    Kerzen wurden von der Hexe angezündet und teilweise Kräuter und Weihrauch verbrannt. Sie rief noch mehr Göttinnen herbei mit ihrem Singsang, und Axilla dachte sich, dass es hier im Balneum wohl verteufelt voll werden würde, wenn all die Göttinnen jetzt tatsächlich herkommen und zuschauen würden.


    Weiter Wehen kamen, noch schneller und heftiger, und irgendwann schrie Axilla nur noch wimmernd ihren Schmerz hinaus, lauter als das beständig weitergehende Singen der magischen Frau. Und fing ganz automatisch an, zu pressen. Auch wenn die Hebamme sie teilweise mit einem “noch nicht, noch nicht!“ davon abhalten wollte. Aber da gab es nichts aufzuhalten. Axilla hatte das Gefühl, zu zerreißen.
    “Hnnnnngggg“ presste sie nur, wieder, und wieder. Sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte. Sie hatte Zeitgefühl verloren, bemerkte lediglich, dass die Maga schon zum dritten mal in ihrer unglaublich langen Liste an Schutzgöttern und Geistern bei Intercidonia angekommen war. Und presste. Wieder. Und wieder. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem sie sicher war, dass sie sterben würde, weil sie keine Kraft mehr hatte. Und dennoch presste sie, ließ sich den Schweiß vom Körper waschen, sich die Hand halten, den Rücken stützen.
    Irgendwann meinte die Hebamme “Der Kopf ist da“, und dann, mit einem weiteren Pressen, war der Druck auf einmal weg. Der Schmerz war weg. Oder immer noch da, aber nicht mehr so fürchterlich.


    Und dann war da was anderes. Durch das Stimmengewirr der Sklavinnen, die alle wie aufgeregte Hühner auf einmal lebhaft wurden, durch den Singsang der Hexe hindurch, war da ein ganz leises Weinen, von Lungen, zu klein für einen lauten Schrei, einem Körper, zu schwach für ein hehres Brüllen. Und doch fesselte es Axilla auf eine Art, die sie nicht beschreiben konnte.
    Ein noch verklebtes und blutverschmiertes etwas wurde ihr auf den Bauch gelegt, und sie sah es, seine Gestalt, die winzigen Hände, der irgendwie verformt wirkende, leicht lilane Kopf, die zusammengekniffenen, winzigen Augen, die bebende Brust, die zitternden Beinchen, der winzige Mund, der leicht weinte, und doch ruhiger wurde, als er so auf Axillas geschundenem Körper lag, der ihren Herzschlag hörte. Axilla weinte, und wusste dieses Mal absolut nicht, warum. Sie berührte das Kind, ganz vorsichtig, hatte Angst, etwas kaputt zu machen. Es war so klein. So zerbrechlich. So wunderschön.
    “Du hast einen gesunden Jungen zur Welt gebracht, Iunia.“
    Axilla begriff nicht wirklich, was die Hebamme ihr sagte. Sie hörte nur Junge, und sie wusste, dass sie ihn liebte. Da war keine Frage, kein Zweifel. Kein Bedauern. Noch nicht einmal Angst für einen Moment. Da war ihr Sohn. Und sie liebte ihn.
    “Er...“ Axilla wollte etwas sagen, aber wusste nicht was.
    Die Hebamme nahm das Kind wieder auf, und Axilla wollte protestieren, hob auch die Hand dem Kind hinterher, war aber zu schwach, etwas zu tun. Vor allem, da eine Sklavin sie mit einem 'Sssssh, Herrin. Ruh dich aus' zurückdrängte in die Kissen.
    Das Kind wurde gewaschen und in eine weiche Decke gewickelt, während die Hebamme Axilla bei der Nachgeburt noch half. Diese war wesentlich schneller und einfacher vorüber als die eigentliche Geburt. Schließlich durfte sie ihr Kind doch noch einmal sehen, als es ihr einmal an die Brust gelegt wurde. “Atticus...“, nannte sie es beim Namen. Eigentlich durfte sie das jetzt noch nicht, bekam es seinen Namen doch erst nach 9 Tagen. Vorhin gehörte es den zahlreichen Göttinnen, die die Maga vorhin so fleißig angerufen hatte. Aber Imperiosus hatte es ihr versprochen, dass ihr erster Sohn diesen Cognomen erhalten würde, nach Axillas Vater. Und es wäre ihr auch egal gewesen, wenn es anders wäre. Das war ihr Atticus. Und mit diesem Wissen dämmerte sie auch in einen ohnmachtähnlichen Schlaf hinüber.

    Axilla ließ sich nicht aus dem Balneum führen. Das zu tun wäre einem Eingeständnis gleichgekommen, dass sie diese Situation nicht länger unter Kontrolle hatte und nicht mit ihrem Willen die Geburt aufschieben könnte. Nun, konnte sie auch nicht, aber sie wollte es unbedingt können, und daran zu glauben schien die immer drückendere Panik von den empfindsamsten Teilen ihrer Seele abhalten zu können.
    Dennoch weinte Axilla, so sehr, dass sie bald schon von der Steinbank heruntergerutscht war und nun nackt in den Flüssigkeiten saß, die aus ihrem Unterleib beim Platzen der Fruchtblase herausgeschossen waren. Es stank, das roch sie auch durch den schweren Wasserdampf und die Badeessenzen hindurch, und es brachte sie noch mehr zum Weinen. So sollte das nicht sein! Sie sollte sicher und beschützt sein, an einem Ort, an dem sie sich wohlfühlte, und der Vater dieses Kindes sollte vor der Tür auf sein Kind warten. Sie sollte nicht in einem Balneum auf dem Mosaikfußboden sitzen, nackt und bebend, um einem Mann ein Kind unterzujubeln, das nicht das seine war.


    Eine neue Wehe kam, diesmal heftiger als alle davor, und Axilla schrie vor Schmerz laut auf und krümmte sich nach vorne. “Chiii..... huuuuuu“, wimmerte sie leise, und weinte dabei noch mehr heiße Tränen über die nassgeschwitzten Wangen. Welch erbärmliches Bild sie doch abgeben musste! Mit verklebten Haaren, schmutzig, mit dickem Babybauch und geschwollenen Knöcheln, die Augen rotgeweint. Axilla fühlte sich entsetzlich häßlich.
    Der Druck auf ihren Unterleib schien zuzunehmen, aber Axilla weigerte sich, ihren natürlichen Instinkten nachzugeben. Sie presste ihre Beine zusammen, hielt sich den Bauch, und versuchte selbst den Schmerz, den sie am liebsten hinausschreien wollte, in einem leisen Wimmern zu ersticken.“Chiii.....chi.... huuuuuu.“


    Axilla hatte keine Ahnung, wie lange sie so da saß, während die Schmerzen immer schlimmer wurden. Sehr lange konnte es wohl nicht sein, denn auch wenn sie die Welt gerne hätte aussperren wollen, ließ sie sich nicht aussperren.
    Auf einmal war die Hebamme da, neben ihr, und redete auf sie ein. Zwischen ihren eigenen Schmerzlauten verstand Axilla nur die Hälfte, aber den Tonfall, wie dumm sie doch wäre, hier wie ein bockiges Kind zu sitzen, den bekam sie mit. Und auch den Griff zwischen ihre Beine, als die Hebamme nachfühlte, wie weit der Geburtsvorgang vorangeschritten war.

    Der schwere Geruch des heißen Wassers hing überall im Balneum. Wasser perlte an den Mosaikfliesen der Wände entlang, wo der Dampf an der kalten Oberfläche kondensierte. Eine Sklavin spielte leise Lyra im Hintergrund.
    Axilla ging das Geklimpere ein wenig auf die nerven, ebenso wie die andere Sklavin, die ihr hier im Bad helfen sollte, sich aber nicht sehr hilfreich anstellte. “Bist du sicher, Domina?“ fragte sie jetzt schon zum dritten Mal.
    “Ja!“ entgegnete Axilla nur noch gereizt. Sie war schon ein paar Tage gereizt. Ihr Bauch schien kurz vor der Explosion zu stehen, sie konnte sich nicht mehr richtig bewegen, andauernd musste sie pinkeln und seit zwei Tagen hatte sie immer wieder Schmerzen. Nun, nicht richtige Schmerzen. Sie blutete nicht und hatte sich auch nichts gebrochen. Aber es zog in ihrem Bauch, mal stärker, mal weniger stark. Aber es war etwas, das Axilla so nicht kannte, und das alles zusammen machte sie reizbar. Da war eine überfürsorgliche Sklavin nicht hilfreich.
    “Aber Herrin, es ist so rauh und zerkratzt deine Haut. Mit dem Schwamm...“
    “Der Schwamm ist was für Weicheier. Mein Vater hat in seinem ganzen Leben keinen Schwamm benutzt.“
    “Dein Vater war aber auch ein Mann, Domina.“
    “Jetzt hör auf zu widersprechen und mach!“, fuhr Axilla die Sklavin an. Im Moment kam gerade wieder eine neue Welle Schmerz, diesmal schlimmer. Axilla versuchte, es wegzuignorieren. Vor zwei Tagen, als es angefangen hatte, hatte sie Angst gehabt und die Hebamme gefragt. Aber diese hatte gemeint, dass das ganz normal wäre. 'Vorwehen' hatte sie gesagt und gemeint, dass das Kind in den nächsten Tagen oder Wochen kommen würde. Und Axilla hatte beschlossen, es einfach zu ignorieren, bis das Kind kommen würde. Und sie hatte beschlossen, dass es erst in ein paar Wochen passieren würde, weil momentan war es noch zu früh. Viel zu früh. Imperiosus sollte es ja glauben.
    Die Sklavin schaute also noch einmal fragend, fing dann aber endlich an, Axillas Beine mit warmem Wasser und dem Bimsstein abzureiben. Natürlich kratzte es. Natürlich war es nicht so zart wie ein fluffiger Schwamm. Aber Axilla genoss das leichte Ziehen und Kratzen des porösen Steins. Es fühlte sich ehrlich an. Hart und wirklich. Vertraut. Und es lenkte von dem wieder abflauenden Ziehen in Axillas Unterleib an.


    Die Sklavin wusch sie eine Weile, rieb sie abschließend mit unparfümiertem Öl ein. Das Ziehen kam noch zwei mal wieder, und zuletzt musste Axilla die Zähne zusammenbeißen, um sich nichts anmerken zu lassen. So schlimm war es noch nie gewesen, und sie musste sich sehr konzentrieren, nicht die ganze Zeit die Luft anzuhalten, um den Schmerz einfach zu unterdrücken. Aber sie wollte jetzt nicht weinerlich sein.
    “Herrin? Du hast ja kalten Schweiß...“ erschallte es schon wieder von der nervigen Sklavin, die sie noch einreiben wollte.
    “Nein, das... ist nur der Dampf“, presste Axilla zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Eine neue Wellte des Schmerzes bahnte sich schon wieder an und diesmal fühlte es sich so an, als würde ihr jemand mit zwei langen, rotglühenden Eisennägeln im Bauch herumwühlen.
    “Nein, Herrin, das ist Schweiß und... Herrin?“ Jetzt stand das dumme Ding auch noch auf und sah entsetzt an Axilla herunter, die noch immer auf der Marmorbank saß und versuchte, diesen Schmerz einfach wegzuignorieren. “Lioba! Geh schnell und hol die Hebamme!“ kreischte sie auf einmal los.
    Die Lyraspielerin hörte auch sofort auf mit ihrem Spiel und nach einem kurzen Blick auf Axilla wetzte sie auch schon nach draußen. Sie bekam das halblaute “Halt“ von Axilla wohl gar nicht mehr mit.
    Die Sklavin griff nach Axillas Arm und hielt sie so, als wolle sie Axilla aufhelfen. “Herrin, wir sollten in dein Cubiculum...“
    “Nein, ich will nicht“ wimmerte Axilla, und sie merkte auch, dass sie weinte. Sie wusste, was los war, aber sie wollte nicht. Sie wollte einfach nicht. Das verging schon wieder. War die letzten tage auch immer vergangen.
    “Herrin, deine Fruchtblase ist gerade geplatzt. Wenn du dein Kind nicht im Balneum bekommen willst, müssen wir wirklich gehen!“
    Jetzt weinte Axilla mehr. Es war noch zu früh! “Nein, das geht schon wieder weg. Ich... das geht wieder weg!“ Bettelnd sah sie zu der Sklavin und weigerte sich, sich auf die Beine ziehen zu lassen, um ins Cubiculum zu gehen. Sie wollte nicht, es war doch viel zu früh! Imperiosus würde es sicher merken. “Noch zwei oder drei Wochen, dann... bitte....“ Sie beugte sich nach vorne und hielt sich den schmerzenden Bauch. Und weinte noch mehr. Sie wollte jetzt nicht. Noch ein paar Wochen, und alles wäre gut. Oder wenigstens ein paar Tage. Ein bisschen Zeit mehr, die Imperiosus ihr dann glauben würde, dass sie nicht schon sechs Wochen, bevor sie mit ihm geschlafen hatte, schwanger geworden war.
    “Herrin! Dein Kind kommt... Herrin! Ach, verdammt“, hörte sie die Sklavin nur hilflos betteln, während sie da saß und vor lauter Verzweiflung weinte, während die Wehe abklang.

    Doch, es gab zumindest eine Sache, von der Axilla sich sehr sicher war, dass Imperiosus sie ihr nicht verzeihen würde, wenn sie es ihm beichtete. Weil er es ihr nicht verzeihen durfte. Das war nichts, was man verzeihen konnte. Nicht, nachdem sie ihm weiß gemacht hatte, dass es anders wäre. Wenn sie es ihm vor ihrer Ehe gesagt hätte, dann vielleicht noch unter Umständen – wobei selbst dann es sehr unwahrscheinlich gewesen wäre.
    Axilla versuchte eines ihrer Lächeln, das so echt aussah, ohne ihre Augen zu erreichen, und stand dabei auf – noch immer, ohne Imperiosus direkt anzusehen. “Ich werd es versuchen. Aber jetzt leg ich mich erst einmal ein wenig hin.“ Sie ging leicht zu ihrem Mann hinüber. Kurz schaute sie mit dem leichten Lächeln zu ihm auf und gab ihm einen kleinen, gehauchten Kuss auf die Wange, ehe sie sich auf den Weg in ihr Cubiculum machte. Vielleicht wäre ein wenig schlafen ja wirklich nicht das schlechteste.

    In Momenten wie diesen fühlte Axilla sich noch elender als ohnehin schon. Warum musste Imperiosus nur so unendlich lieb sein? Er trug sie regelrecht auf Händen, machte ihr ständig Komplimente, ließ sie wissen, dass sie geliebt wurde. Zumindest gab es Momente, wo Axilla wirklich glaubte, dass ihr Mann sie mehr als nur einfach gern hatte. Und in diesen Momenten, so wie jetzt, fühlte sie sich so unendlich schuldig. Er würde das Kind in ihr als seines sicher auch lieben, auch wenn es nie seines war, und es war Axillas Schuld, dass es so sein würde. Und manchmal wollte dieses Wissen sie zerreißen, weil sie es niemals mit irgendwem würde teilen können. Nie.


    Sie sah ein wenig beiseite, wie sie es immer tat, wenn sie ihm nicht in die Augen sehen konnte, und sah sich scheinbar interessiert noch einmal die Vögel an. “Ja, das klingt nett. Meinst du denn, die Stadt ist schon wieder so sicher und ruhig, dass man einfach so auf die Straßen gehen kann?“ Vor einigen Wochen wollte Axilla nur raus aus der Stadt, und im Grunde würde sie jetzt auch einen friedlichen Landsitz gegen dieses komfortable und prächtig ausgestattete Stadthaus sofort eintauschen.
    “Aber zuh... in der Casa Iunia würde ich gern mal wieder nach dem rechten schauen.“ Seit dem Ausnahmezustand hatte sie ihre wöchentlichen Gänge zurück in die Casa unterbrochen und war lieber in der Casa Pompeia hinter den dichten Hausmauern geblieben, von einigen Ausflügen in die Thermen einmal abgesehen.