Ob es wirklich so normal war, seinen Mitmenschen die Faust auf die Nase zu hauen? Axilla zweifelte daran, dass das zum guten Ton gehören würde – wenngleich es sicher nicht gar so ungewöhnlich war. Wobei es wohl durchaus seltener war, dass eine Frau die Schlagende war bei diesem Szenario.
“Oh, macht doch nichts. Du machst das schon ganz gut“, beschwichtigte Axilla den Sklaven, als er sich für sein schlechtes Latein entschuldigte. In Alexandria hatte ein Teil der Dienerschaft nicht halb so gut Latein gesprochen wie Luca, sondern fast ausschließlich griechisch. Ganz zu schweigen von den Stadtbewohnern, von denen nur jeder zwanzigste Latein sprach, dafür aber alle Arten von Griechisch, Demotisch, Ägyptisch, Parthisch, Jüdisch, ja sogar Indisch in den verschiedenen Stadtteilen vorgekommen waren.
“Und die Lupercalia, das ist ein Fest zu Ehren von Lupercus. Das ist der Gott der Hirten und Herden, und er vertreibt auch die Wölfe. Wobei er den Wölfen auch befehlen kann. Und hier in Rom, da feiert man dann an seinem Tag am Lupercal, das ist die Höhle, wo die Wölfin Romulus und Remus gesäugt hat. Wir feiern also im Grunde unseren Ursprung.“ Die Griechen hatten, soweit Axilla wusste, kein vergleichbares Fest. Wobei sie sich auch nie mit der Frage danach beschäftigt hatte. Doch waren Romulus und Remus ihres Wissens nach die einzigen Wolfskinder, die ihre Wildheit so auch an ihre Nachkommen, die Römer dann mitgegeben hatten. Axilla war sich sicher, dass in ihr ein ordentlicher Schuss Wolfsmilch noch steckte, wenn sie daran dachte, wie zornig sie bei Piso damals geworden war, als er ihre Ehre in Zweifel gezogen hatte.
"Und eigentlich wollte Flaccus damals mit mir gemeinsam hingehen und das Opfer und das Fest danach ansehen, nur... naja. Piso halt.“
Sie zuckte die Schultern und überlegte über Lucas Vorschlag, Flaccus einfach einmal zu schreiben. Sie glaubte nicht wirklich, dass er sich freuen würde. Vielleicht hielt er das für aufdringlich? “Ich wüsste gar nicht, was ich Flaccus so schreiben sollte...“, gestand sie halblaut. Nach so langer Zeit kam sie sich auch ein bisschen albern vor. Vor allem, da ER ja den Kontakt abgebrochen hatte. Er hätte ihr ja auch schreiben können, wenn er genug überlegt hätte – was ja damals in seiner Nachricht stand, soweit sie sich erinnern konnte. “Ich glaube, es reicht, wenn du erst einmal nur den Gruß ausrichtest.“ Nein, sie war nicht feige! Aber man musste sich ja auch nicht aufdrängen.
Sie gingen ein wenig nebeneinander her und erreichten schließlich das Augustusforum, das sich weiß und groß vor ihnen öffnete. Axilla sah kurz zum Tempel des Mars, neben dem noch der Baukran von Kephalos stand. In den nächsten Wochen würde er nun benutzt werden, um die Schäden am Tempel zu reparieren. Eigentlich konnte Axilla den Weg schon von hier aus erklären, aber sie entschloss sich, noch mit bis zu der breiten Straße zu gehen, die schließlich zum Quirinal und damit der Villa Flavia führen würde.
“Weißt du, ich komme eigentlich aus Hispania. Mein Vater hatte da eine Villa rustica und ein Stück Land drumherum.... bis zum nächsten Nachbarn musste man eine halbe Stunde zu Fuß laufen! Das war alles so.... groß, und trotzdem klein. Verstehst du, was ich meine?“ Axilla hatte keine Ahnung von Griechenland, wo sie die Herkunft Lucas vermutete. Immerhin sprach er griechisch und sah auch so ein bisschen griechisch aus. Wenn man sich den Bart dazudachte, den Griechen gerne trugen. Aber in ihrer Vorstellung war es außerhalb der Städte alles so, wie Arkadien beschrieben wurde: Grüne Wälder, tiefe Schluchten, Wasserfälle, und überall konnte man aufs Meer schauen. Und jemand aus so einer Welt würde verstehen, was sie mit ihrer Heimat meinte.
“Da konnte man meilenweit einfach rennen und die Sonne fühlen und den Wind, und in der Nähe war ein Wald, und die Bäume...
Als meine Mutter gestorben ist“ – was Axilla sagen konnte, ohne traurig zu sein oder zu wirken – “und ich dann nach Alexandria gegangen bin, hab ich am Anfang gedacht, die reine Masse der Stadt erschlägt mich. Das war alles so... groß und so dicht, und all diese Menschen. Und der Gestank! Seien wir mal ehrlich, so viele Menschen auf einem Haufen, das stinkt. Wobei Alexandria da noch harmlos ist zu hier im Sommer. Hat wohl damit zu tun, dass Alexandria am Meer liegt, und da immer Wind ist. Hab zumindest mal sowas im Museion gelesen.
Aaaber, worauf ich eigentlich hinaus wollte: Man gewöhnt sich dran. Irgendwie.“ Axilla sah zu Luca auf und lächelte, jetzt doch ein wenig traurig. “Auch wenn es außerhalb der Stadt trotzdem schöner ist.“