Beiträge von Iunia Axilla

    Ob es wirklich so normal war, seinen Mitmenschen die Faust auf die Nase zu hauen? Axilla zweifelte daran, dass das zum guten Ton gehören würde – wenngleich es sicher nicht gar so ungewöhnlich war. Wobei es wohl durchaus seltener war, dass eine Frau die Schlagende war bei diesem Szenario.
    “Oh, macht doch nichts. Du machst das schon ganz gut“, beschwichtigte Axilla den Sklaven, als er sich für sein schlechtes Latein entschuldigte. In Alexandria hatte ein Teil der Dienerschaft nicht halb so gut Latein gesprochen wie Luca, sondern fast ausschließlich griechisch. Ganz zu schweigen von den Stadtbewohnern, von denen nur jeder zwanzigste Latein sprach, dafür aber alle Arten von Griechisch, Demotisch, Ägyptisch, Parthisch, Jüdisch, ja sogar Indisch in den verschiedenen Stadtteilen vorgekommen waren.
    “Und die Lupercalia, das ist ein Fest zu Ehren von Lupercus. Das ist der Gott der Hirten und Herden, und er vertreibt auch die Wölfe. Wobei er den Wölfen auch befehlen kann. Und hier in Rom, da feiert man dann an seinem Tag am Lupercal, das ist die Höhle, wo die Wölfin Romulus und Remus gesäugt hat. Wir feiern also im Grunde unseren Ursprung.“ Die Griechen hatten, soweit Axilla wusste, kein vergleichbares Fest. Wobei sie sich auch nie mit der Frage danach beschäftigt hatte. Doch waren Romulus und Remus ihres Wissens nach die einzigen Wolfskinder, die ihre Wildheit so auch an ihre Nachkommen, die Römer dann mitgegeben hatten. Axilla war sich sicher, dass in ihr ein ordentlicher Schuss Wolfsmilch noch steckte, wenn sie daran dachte, wie zornig sie bei Piso damals geworden war, als er ihre Ehre in Zweifel gezogen hatte.
    "Und eigentlich wollte Flaccus damals mit mir gemeinsam hingehen und das Opfer und das Fest danach ansehen, nur... naja. Piso halt.“
    Sie zuckte die Schultern und überlegte über Lucas Vorschlag, Flaccus einfach einmal zu schreiben. Sie glaubte nicht wirklich, dass er sich freuen würde. Vielleicht hielt er das für aufdringlich? “Ich wüsste gar nicht, was ich Flaccus so schreiben sollte...“, gestand sie halblaut. Nach so langer Zeit kam sie sich auch ein bisschen albern vor. Vor allem, da ER ja den Kontakt abgebrochen hatte. Er hätte ihr ja auch schreiben können, wenn er genug überlegt hätte – was ja damals in seiner Nachricht stand, soweit sie sich erinnern konnte. “Ich glaube, es reicht, wenn du erst einmal nur den Gruß ausrichtest.“ Nein, sie war nicht feige! Aber man musste sich ja auch nicht aufdrängen.


    Sie gingen ein wenig nebeneinander her und erreichten schließlich das Augustusforum, das sich weiß und groß vor ihnen öffnete. Axilla sah kurz zum Tempel des Mars, neben dem noch der Baukran von Kephalos stand. In den nächsten Wochen würde er nun benutzt werden, um die Schäden am Tempel zu reparieren. Eigentlich konnte Axilla den Weg schon von hier aus erklären, aber sie entschloss sich, noch mit bis zu der breiten Straße zu gehen, die schließlich zum Quirinal und damit der Villa Flavia führen würde.
    “Weißt du, ich komme eigentlich aus Hispania. Mein Vater hatte da eine Villa rustica und ein Stück Land drumherum.... bis zum nächsten Nachbarn musste man eine halbe Stunde zu Fuß laufen! Das war alles so.... groß, und trotzdem klein. Verstehst du, was ich meine?“ Axilla hatte keine Ahnung von Griechenland, wo sie die Herkunft Lucas vermutete. Immerhin sprach er griechisch und sah auch so ein bisschen griechisch aus. Wenn man sich den Bart dazudachte, den Griechen gerne trugen. Aber in ihrer Vorstellung war es außerhalb der Städte alles so, wie Arkadien beschrieben wurde: Grüne Wälder, tiefe Schluchten, Wasserfälle, und überall konnte man aufs Meer schauen. Und jemand aus so einer Welt würde verstehen, was sie mit ihrer Heimat meinte.
    “Da konnte man meilenweit einfach rennen und die Sonne fühlen und den Wind, und in der Nähe war ein Wald, und die Bäume...
    Als meine Mutter gestorben ist“
    – was Axilla sagen konnte, ohne traurig zu sein oder zu wirken – “und ich dann nach Alexandria gegangen bin, hab ich am Anfang gedacht, die reine Masse der Stadt erschlägt mich. Das war alles so... groß und so dicht, und all diese Menschen. Und der Gestank! Seien wir mal ehrlich, so viele Menschen auf einem Haufen, das stinkt. Wobei Alexandria da noch harmlos ist zu hier im Sommer. Hat wohl damit zu tun, dass Alexandria am Meer liegt, und da immer Wind ist. Hab zumindest mal sowas im Museion gelesen.
    Aaaber, worauf ich eigentlich hinaus wollte: Man gewöhnt sich dran. Irgendwie.“
    Axilla sah zu Luca auf und lächelte, jetzt doch ein wenig traurig. “Auch wenn es außerhalb der Stadt trotzdem schöner ist.“

    [Blockierte Grafik: http://img190.imageshack.us/img190/1222/lucro.jpg]


    Die Schlange zischelte ihm entgegen, als er sie hochhob und ihr ins Gesicht blickte. Es war keine der Giftschlangen, die die Hausherrin ebenfalls besaß. Dieses Exemplar war eine der schwer zu fangenden und noch schwerer zu transportierenden griechischen Sandboas aus der Nähe von Pylos. Und das besondere an diesem Exemplar war, dass es ein Albino war, mit weißen Schuppen und roten, blinden Augen. Es war geradezu exorbitant teuer gewesen. Lucro wusste es deshalb so genau, weil er derjenige gewesen war, der der Hausherrin die Schlange damals geschenkt hatte. Ihre erste Schlange, nachdem sie dem Kult beigetreten war und sich dem Gott nähern wollte.
    Lucro wiegte leicht den Kopf hin und her, ebenso wie die Schlange, die mit ihrer zischelnden Zunge seinem Gesicht immer näher kam, während sie sich durch seine Hände wand. Ein schönes Gefühl, reine Muskeln, warme, trockene Haut. Halb diesseits, halb jenseits, stets im Wandel, stets nur Gefühl, Intuition und Instinkt. Kein störender Gedanke. Das perfekte Wesen des Gottes.
    Er erwiderte das Zischen der Schlange und lächelte kurz, als er die Zunge der Schlange ganz kurz auf seiner fühlte, wie der zögerliche Kuss einer jungfräulichen Geliebten. Ganz vorsichtig setzte er die Schlange ab, legte sie auf das Bett, in dem die Hausherrin erschöpft in zerwühlten Laken lag. Er selbst war nicht müde. Aber er hatte auch weder dem Wein noch der kleinen grünen Pfeife zugesprochen wie seine Gespielin hier. Und so stand er nur auf und zog sich sein Gewand wieder über, eine einfache Tunika aus feiner, dunkelblauer Wolle, deren Kostbarkeit einzig in den Stickereien begründet war, die sie zierten. Er füllte noch seinen Becher an dem Krug, den eine der Sklavinnen vorhin auf seinen Wunsch hin hier her gestellt hatte, trank ihn aus und füllte ihn noch einmal nach, ehe er das Cubiculum leise verließ.


    Das Fest unten war noch im Gange, noch immer hörte er die Musik und andere Geräusche, die auf das Voranschreiten der Orgie schließen ließen. Er stieg die Treppe hinunter, entschied sich aber dann gegen den Weg ins Tablinum. Zu viel Lärm, zu viele Menschen mit zu eindeutiger Tätigkeit. Und die hübschen Mädels waren wohl ohnehin alle schon vollauf beschäftigt. Abgesehen davon, dass seine Gespielin ihn in Bezug hierauf auch entsprechend gefordert hatte, so dass sein weiteres Interesse in der nächsten halben Stunde wohl nur begrenzt vorhanden wäre.
    So aber schlenderte er Richtung Garten, in die kühle und klare Nachtluft. In einer Nacht wie heute mussten die Sterne wunderbar zu sehen sein. Und es war definitiv nicht so stickig wie das von Opiumdämpfen durchzogene Tablinum.


    Auch hier waren einige Pärchen zugange, aber die meisten bevorzugten doch die bequemen Liegen des Hauptsaales, gepaart mit der dortigen Aufmerksamkeit. Lucro schlenderte an ihnen vorbei in Richtung einer Bank, die er nur allzu gut kannte. Jetzt im Dunkel war sie nicht sofort zu sehen, aber er wusste, sie war da. Doch just, als er dort ankam, lenkte ihn doch ein anderes Geräusch ab, nach dem er sich instinktiv umdrehte. Ein junges Mädchen stand an dem größten Baum des Gartens und übergab sich zitternd. Er blickte zu ihr hinüber, betrachtete ihren ihm sehr schön zugewandten Po, als sie sich noch ein weiteres Mal heftig erbrach. Da vertrug wohl jemand keinen Wein.
    Er nippte noch einmal an seinem Becher, besah sich ihre Gestalt, und schlenderte näher. Sie erhob sich gerade langsam und wischte sich mit dem Handrücken den Mund, als er sich in ihrer Nähe an den nächsten Baum lehnte. “Salve, Schönheit“, begrüßte er sie ruhig und melodisch und wartete auf ihren erschreckten Gesichtsausdruck, als sie sich ihm nur halb zuwandte. Ihre Maske hatte etliche Federn.
    “Ich bin nicht interessiert.“ Es klang gepresst, beherrscht.
    “Na, was ist das für eine Begrüßung? Du weißt doch gar nicht, was ich will“, meinte Lucro leichthin und kam dennoch näher, peinlich darauf bedacht, nicht zu nah an den Baum und damit ihr Erbrochenes zu treten.
    “Na... mit mir schlafen?“ kam es unterdessen etwas verwirrt und wenig amüsiert zurück. Kurz ging ein Zucken durch ihren Körper, und eine Hand zu ihrem Mund, gefolgt von einem Schlucken. Offenbar war ihr noch immer schlecht. Eine erstaunliche Selbsteinschätzung, die das Mädchen hatte, anzunehmen, er würde mit ihr schlafen wollen, während sie sich übergab.
    “Hmmm... nein“, meinte er spöttelnd. “Aber danke für das Angebot.“ Er genoss ihren verwirrten Gesichtsausdruck und fuhr ganz ungeniert fort. “Nein, eigentlich wollte ich dir nur etwas zu trinken anbieten.“ Er hielt ihr den Becher entgegen, den sie ansah, als wäre er voll Gift.
    “Meinst du... meinst du nicht, dass ich schon genug Wein getrunken habe?“
    Da sie sich bereits übergab, hatte sie zweifelsohne recht. Dennoch. “Es ist kein Wein.“ Er hielt ihr den Becher weiter entgegen und studierte fasziniert die Veränderungen in ihrem Gesicht, wo sich Ekel, Neugier und tiefe Ablehnung abwechselten, alles überschattet von so etwas wie Furcht.
    “Ich will mich nicht berauschen...“ kam es schließlich etwas unsicher, während das Mädchen dazu übergegangen war, einen Arm um ihren Körper zu schlingen, auf Höhe des Magens.
    Lucro ließ sie einen Augenblick in Ungewissheit, ehe er zur Antwort anhob. “Es berauscht nicht. Es ist etwas, das dir helfen wird. Du kannst dir den Mund damit ausspülen.“ Er sah die Ablehnung in ihrem Gesicht, und ihren Blick an ihm vorbei in Richtung des Weges, der zum Tablinum führte, sah, wie sich ihre Brust leicht hob, als sie Luft holte, um etwas zu sagen. Er fiel ihr ins Wort, ehe sie es ausgesprochen hatte. “Oder hast du Angst?“
    Treffer! Während er weiterhin leicht lächelte und ihr den Becher entgegenhielt, schnellte ihr Blick zurück zu ihm, und grüne Augen bohrten sich zornig in seine. Mit einem “Ich hab vor nichts Angst“, das so trotzig klang, als müsse sie sich selbst überzeugen, riss sie ihm den Becher halb aus der Hand. Kurz zögerte ihr Arm, während ihr Blick sich weiter in seinen bohrte, ehe sie den Becher ansetzte und einen Schluck nahm und gleich ausspuckte.
    Direkt danach kam die Verwirrung wieder in ihr Gesicht zurück, als sie erkannte, was in dem Becher war. Sie nahm noch einen Schluck, als müsse sie es noch einmal prüfen. “Das ist Posca!“

    Sim-Off:

    Ich habe dir zu danken :D Ich mag den fiesen Kerl irgendwie :D



    Noch eine ganze Weile blieb Axilla einfach in ihrer Haltung sitzen, die Beine umarmt, und starrte dem Präfekten einfach nach. Wut und Angst stritten sich in ihr aufs heftigste. Sie wollte ihn vernichtet sehen, jetzt noch mehr als zuvor. Sie war sich jetzt noch sicherer, dass er an Urgulanias Tod schuld hatte. Hatte er nicht auch ihr mit dem Tod gedroht, wenn sie nicht das tat, was er wollte? Bestimmt hatte Urgulania sich geweigert, ihm zu gehorchen, und dafür musste sie sterben. Und sie war der einzige Mensch auf dieser weiten Welt, den das scheinbar kümmerte. Und es war ihre Pflicht, den Tod ihrer Cousine zu rächen.
    Aber sie hatte so schreckliche Angst. Sie sagte sich immer, dass ihr ihr Leben im Grunde egal war, dass es ihr bisweilen sogar zuviel war. Aber das stimmte nicht. Sie hing an ihrem Leben. Sie hatte Angst, jetzt zu sterben. Und noch mehr Angst hatte sie davor, was der Terentier mit ihr machen würde, bevor er sie umbringen würde. Eine Idee davon hatte sie seit eben bekommen, und diese Möglichkeit wäre definitiv schlimmer als der Tod an sich.


    Um sie herum ging die Feier aber ungerührt weiter. Die Menschen lachten, vergnügten sich. Nach und nach nahm das lustvolle Stöhnen zu, immer mehr Paare hatten sich gefunden. Axilla sah hilfesuchend zu ihrer Nachbarin, die aber mittlerweile das tat, was sie vorhin bei ihrer Vorstellung der einzelnen Männer im Raum schon angekündigt hatte. Und sie sah nicht so aus, als würde sie so schnell von ihrem Liebhaber oder der Sklavin, die sich zu den beiden fest dazugesellt zu haben schien, ablassen.
    Irgendjemand in ihrer Nähe rauchte Opium, und der Geruch machte Axilla ganz schwindelig. Dazu die Musik, die Zimbeln, die laut scheppernd immer wieder im Takt der sich windenden Körper schlugen, die Flöten mit ihren hell pfeifenden Tönen, die bunten Farben der Gewänder, die viele nackte Haut... Axilla hatte mit einem Mal das Gefühl, sie müsse ersticken.
    Unsicher erhob sie sich, stand von ihrer Liege auf und blieb einen Moment taumelnd stehen. Niemand schien sie zu bemerken oder ihrem Zustand irgendeine Beachtung zu schenken. Alle hier waren berauscht, sei es von Wein, sei es von Drogen, sei es von Sex, alle hier waren in ihrem eigenen Taumel. Niemand dachte sich etwas dabei,d ass Axilla zitterte und wankte, dass sie sich ihren Weg an den kopulierenden Paaren, den spielenden Männern, den lachenden Frauen vorbei suchte.


    Sie wollte nur raus, brauchte Luft, frische Luft. Sie lief einen Gang entlang, vorbei an noch mehr Paaren, die sich gegenseitig an die Wand drückten, sich kleine Dinge ins Ohr flüsterten oder einfach nur das Stehen dem Liegen vorzogen, vorbei an Männern, die an ihr rauf und runter sahen und ihr zuprosteten, sich dann aber wieder ihrer Unterhaltung widmeten, als sie vorbeitaumelte und nur abwehrend kurz die Hand hob. Schließlich fand sie den Garten, erhellt durch rote und gelbe Lampions, in deren inneren kleine Kerzen brannten und so ein flackerndes Licht auf den fein geschnittenen Rasen und die paar steinernen Figuren warfen, auf die nun schlafenden Blumen und die paar Gäste, die sich dazwischen am Boden wälzten und liebkosten. Die ihr flackerndes Spiegelbild in den nachtschwarzen Teich warfen, an dem Axilla vorbeistolperte, wobei sie beinahe ausglitt und so einen Stein mit einem leisen PLOPP in das Wasser versenkte, woraufhin sich die Oberfläche kräuselte.
    Schließlich fand sie einen Baum, ein in sich gedrehtes Ding, was Axilla nicht zuordnen konnte. Es war ihr egal, es roch nach Harz, roch nach Trost, nach Geborgenheit und Sicherheit. Sie atmete schnell und heftig, ihr Herz raste und schlug ihr so stark gegen den Brustkorb, dass sie jeden einzelnen schlag wie von einem großen Hammer spüren konnte. Noch immer war ihr schwindelig, und die Luft schien, obwohl sie draußen war, noch immer zu schwer, zu süß, zu stickig. Ihre Hände hielten sich an den Baum, mit dem sie fast allein hier war.


    Und mit einem letzten, tiefen Luftholen übergab sie sich sehr geräuschvoll, ihre Hände an die Rinde geklammert, als ihr rebellierender Magen ihrem angespannten Körper die notwendige Erleichterung verschaffen wollte.

    “Läuse als Trend?“ fragte Axilla etwas überfordert nach. “Ich kann mir jetzt wirklich nicht vorstellen, dass sich irgendjemand absichtlich mit Ungeziefer ansteckt.“ Wobei andererseits gab es schon sehr seltsame Kulte. Die Priester der Kybele entmannten sich in einem Ritual selbst, wenn sie in die Priesterschaft aufgenommen wurden, und trugen anschließend so fließende Gewänder, dass sie eher wie Frauen aussahen. Vielleicht gab es da auch irgendeinen Kult, der juckende Blutsauger auf der Haut für die Offenbarung eines Gottes hielten.
    Dennoch widersprach es Axillas natürlichem Bedürfnis nach Hygiene, sich das auch nur vorzustellen.


    Der Einladung, sich die anderen Räume anzuschauen, folgte Axilla aber auch sogleich. Auch wenn Imperiosus irgendwie ein bisschen durcheinander erschien. Jetzt hatte er dann doch wieder ihre Hand losgelassen und ging vor, und sie folgte ihm sogleich. “Wir finden bestimmt ein schönes Zimmer.“

    Je weiter sie sich dem Augustusforum dann tatsächlich näherten, umso besser wurde die Wohnsituation dann auch. Immerhin war nicht die komplette Subura so sehr verarmt, dass die Menschen gar nichts mehr hatten. Auf dem Aventin gab es auch Gegenden, die durchaus so schlimm waren wie die schlimmsten Ecken der Subura. Und in der Subura wiederum gab es auch Ecken, die ganz normale Wohnviertel waren. Gaius Iulius Caesar hatte zeitweilig ja selbst bekanntermaßen in der Subura gewohnt.
    Und so wurde Axilla zunehmend lockerer, je stabiler die Insulae, an denen sie vorbeikamen, und je besser gekleidet die Menschen, denen sie begegneten. Zwar noch immer kein Vergleich zu der Gegend, wo die Casa Iunia stand, und erst recht wohl kein Vergleich zu der Gegend um die Villa Flavia, aber immerhin nicht mehr ganz so heruntergekommen. Wenngleich nicht weniger voll. Hätte Axilla ihre nunmehr zwei Leibwächter hier nicht gehabt, es wäre stellenweise wohl doch etwas eng geworden. Aber zwei große Kerle schreckten wohl mehr ab als ihr durch Kleidung und Erscheinung anzunehmender Stand – immerhin hatte sie den Ordo equester.


    Allerdings war die Ablenkung durch Luca dennoch nicht so groß wie erhofft. Axilla hatte gehofft, er würde ein wenig erzählen, wie es Flaccus so ging, was er so trieb, so dass sie einfach nur zuhören konnte und sich ablenken. Aber im Grunde war der Grieche mit zwei, drei kleinen Sätzen auch schon fertig, was das reden anging, und sie stand schon wieder vor dem Problem, Konversation treiben zu müssen.
    “Ich glaube nicht, dass es so eine gute Idee ist, ihn zu besuchen. Sein... Vetter“ Axilla hatte keine Ahnung, wie genau Piso und Flaccus verwandt waren, und unterstrich diese Unsicherheit entsprechend mit Gestik und Mimik. “Flavius Piso kann mich nicht leiden. Weißt du, ich war mit seinem Freund verheiratet, und der ist... gestorben und Piso... ach, ist eine lange Geschichte. Er mag mich einfach nicht. Da sollte ich Flaccus besser nicht besuchen, bevor es da noch Ärger gibt. Aber du kannst ihm einen schönen Gruß ausrichten, und dass ich es bedauere, dass er doch nicht zu den Lupercalia hatte kommen wollen.“
    Ja, so ein klein wenig tat Axilla das schon leid, dass Flaccus nicht mehr hatte kommen mögen, nachdem sie ihm gebeichtet hatte, dass sie Piso geschlagen hatte. Aber sie konnte da ja gar nichts dafür! Hätte sie sich von diesem Idioten weiter als Hure beschimpfen lassen sollen, nur weil Archias verrückt gewesen war und sich für nichts und wieder nichts das Leben genommen hatte, auch noch indem er in aller Öffentlichkeit vom Tarpejischen Felsen gesprungen war? Piso hatte sie von Anfang an nicht leiden mögen als Frau an Archias Seite, das hatte er desöfteren nur allzu deutlich gezeigt. Und nach dem Tod ihres Mannes war das ganze nur noch weiter eskaliert. Und irgendwann riss auch der zurückhaltendsten Person einfach der Geduldsfaden, was Beschuldigungen und Beleidigungen anging. Und Axilla war nicht unbedingt die geduldigste.
    Sie könnte sich ja jetzt noch über diesen aufgeblasenen Windbeutel und seine Worte aufregen, wenn sie nur daran dachte! Nein, nein, besser nicht darüber nachdenken. Luca konnte schließlich nichts für die Verwandtschaft seines Herrn.
    “Und wie gefällt dir Rom bislang?“ fragte sie also weiter, einfach um weiter zu reden und das Gesprächsthema möglichst weit weg von Piso zu verlagern, während am Ende der Straße schon das Augustusforum mit dem Tempel des Mars und seinen strahlend weißen Säulen in Sicht kam.

    Axilla dachte sich nichts dabei, als Imperiosus sie an der Hand griff und nach draußen führte. Sie dachte sich auch immer noch nichts dabei, als sie schließlich draußen standen und er sie immer noch hielt. Sie war nur froh, aus dem Zimmer zu sein, auch wenn das eingebildete Kribbeln noch immer über ihren ganzen Körper lief und sie sich kurz schütteln musste. Erst, als sie Imperiosus loslassen wollte – irgendwie war es doch ein wenig albern, im Flur zu stehen und Händchen zu halten – da merkte sie, dass er irgendwas hatte. Er guckte sie auch ein bisschen komisch an, wobei Axilla das darauf schob, dass sie sich doch ein wenig abweisend gegenüber Agrippa verhalten hatte.
    “Tut mir leid, ich hoffe, dein Cousin ist nicht allzu böse auf mich. Aber... Läuse? Wusstest du das? Ich meine... ich hoffe, er kriegt die wieder los“, plapperte sie fröhlich drauf los in der Hoffnung, damit seinen fragenden Gesichtsausdruck zu eliminieren.

    *kurz reinschleich*


    Danke, danke, danke für die lieben Glückwünsche.



    Zitat

    Original von Marcus Iulius Licinus
    Und das wir noch auf viele Jahre deine Geschichten lesen dürfen.


    Och, ein paar verrückte Ideen hab ich noch :D Älter geworden bin ich, aber nicht vernünftiger :D

    “Wie bitte stellt dein Meister sich das vor? Dass wir hier einfach seinen Auftrag vorziehen und ihm passende Blöcke aus dem Stein schneiden, jetzt sofort?“
    Der Verwalter stand an dem einzigen Fenster des Verschlages und sah nach draußen in die blendend weiße Wirklichkeit des Steinbruchs. Dass er wirklich so aufgeregt war, wie er sich gab, glaubte Nikon ihm nicht, auch wenn der alte Mann, dessen Alter unter der sonnengegerbten Haut nur schwer einzuschätzen war, sich alle Mühe gab. Aber wie immer war es wohl nur eine Frage des Preises, der hiermit in die Höhe getrieben werden sollte.
    “Wir benötigen nur drei Blöcke, und nicht einmal so große. Hier, ich habe die Maße hier aufgeschrieben. Es ist nicht viel. Und das Collegium Pontificium wäre dir sehr verbunden!“ schmeichelte Nikon ein wenig und versuchte, zu beschwichtigen.
    “Ach, tzes. Collegium Pontificium, wenn ich das höre. Dein Meister ist sicher nicht das Collegium!“
    “Nein, aber er arbeitet hierbei für das Collegium. Es geht um den Tempel des Mars.“
    “Ach, Tempel des Mars, Schnickschnack! Ich habe hier“ und dabei wandte er sich seinem Tisch zu und hob diverse Wachstafeln, die er eine nach der anderen Nikon hinhielt “Dutzende von Anfragen. Hier, eine Block für eine Statue für Pisae, hier eine Anfrage aus Lugdunum. Die Menschen in Capua wollen wohl ein neues Theatrum mit weißen Säulen bauen. Hier ein Geschäftsmann aus Patavium, da ein Tempel in Narona, wo auch immer das liegt. Was also macht deinen Meister so viel wichtiger als die ganze Bevölkerung von Capua?“
    Nikon nahm gelassen eine Tafel nach der anderen hin, und überflog kurz die darauf gekritzelten Worte. Wirklich viele Bestellungen, wie es schien, und dabei lag noch ein ganzer Stapel mehr auf dem Tisch. Der makellos weiße Stein war sehr begehrt. Und so holte er das eine Argument aus seinem Beutel, das die anderen hoffentlich ausstach. Mit einem ausdrucklosen Geischtsausdruck holte Nikon einen kleinen Lederbeutel aus seiner Tasche und legte ihn oben auf den Stapel aus Wachstafeln, so dass sein Gegenüber das Klickern von Münzen hören konnte. “Mein Meister zahlt im Voraus. Und wir brauchen ja wirklich nicht viel.“
    Als sein Gegenüber nach dem Beutel Griff und diesen öffnete, die Zahl der Silbermünzen sah und grob überflog, gestattete der junge Grieche sich ein Grinsen. Offenbar war dieses Argument wirklich sehr gut.


    Und drei Tage später wurden drei Blöcke weißen Marmors auf ein Schiff verladen, das direkt nach Ostia segeln sollte.

    Unbeeindruckt von ihrem Bitten zog der Präfekt Axilla erst einmal näher an sich heran, drückte seine Lippen hart auf die ihren. Sie presste ihre Lippen so hart aufeinander, dass sie nurmehr ein vager Strich sein mochten, um ihm so jede Fläche für seinen erzwungenen Kuss zu nehmen. Weiter rannen Tränen, die sie nicht unterdrücken konnte, und wurden von der Maske sogleich aufgesogen. So sehr sie sich auch zu wehren versuchte, ihn von sich wegdrücken wollte, er war stärker als sie. Und diese Hilflosigkeit war das schlimmste an dieser ganzen Situation.
    Axillas Gedanken rasten. Sie wollte lieber tot sein, als das hier. Sie hatte keinen Dolch dabei, aber lieber wollte sie sich in einen stürzen, als das hier zulassen. Und verhindern konnte sie es nicht. Lieber tot sein, hallte es laut durch ihre Gedanken, und ihre Gedanken fingen an, um die Durchführung zu kreisen.


    Und dann, mit einem Mal, von jetzt auf gleich, war sie frei. Da sie sich so gegen Cyprianus gesträubt hatte, bewirkte sein loslassen zunächst, dass sie rückartig ein ganzes Stück von ihm abrückte, beinah rückwärts von der Kline hinab. Axilla verstand nicht so ganz, was soeben passiert war, warum er sie losgelassen hatte, aber es war auch nicht so wichtig. Instinktiv zog sie ihre Beine an, so sehr, dass die Knie ihre Brust berührten, umfing sie mit ihren Armen. Ihre Hand zupfte den spärlichen Stoff an ihren Beinen zurecht, bedeckte sie damit, so gut es eben ging, während die leiste Stimme des Terentiers über der ganzen Szene zu schweben schien.
    Sie blickte zu ihm auf, ihre Sicht noch durch Tränen verschwommen. Wäre ich ein Mann, ich würde dich an Ort und Stelle töten! Ich hasse dich! Sie wollte ihm ihren Hass entgegenbrüllen, ihm ihre Vergeltung angedeihen lassen, ihm das spöttische Grinsen aus dem Gesicht prügeln. Sie wollte ihn bluten lassen, die Furien und Nemesis auf ihn beschwören, ihn vor allen Leuten mit einem Fluch beladen, der schrecklicher sein sollte, als man es auszusprechen sonst wagte. Sie wollte Gerechtigkeit, für Urgulania, für sich selbst, wollte ihm die Stärke einer Iunia zeigen, wollte sich nicht unterkriegen lassen. Wollte ihn anschreien, toben, den nahen Weinbecher nach ihm werfen, ihn hinauswerfen lassen. Ihn vernichten.


    Aber stattdessen ertappte sie sich dabei, wie sie einfach nur stumm nickte, kaum den Blick zu seinem hebend, und nur versuchte, das heftige Zittern ihres Körpers zu unterdrücken. Am liebsten wäre sie weggelaufen, aber selbst das traute sie sich im Moment nicht.

    Den Weg zu finden, war nicht weiter schwer. Es gab nur eine Straße, und die führte immer dem Fluss Macra entlang. Der Führer, der Nikon begleitete, war also nicht unbedingt nötig. Dennoch war er dankbar um den Jungen, der vor ihm herschritt und ein kleines Lied mehrstimmig (falsch, laut und voller Begeisterung) sang, so war er nicht ganz allein.


    Das Ziel seiner Reise konnte er schon von Ferne sehen und wenn der Wind ihnen entgegenwehte, auch hören. Mit beständigem Klopfen und Hämmern wurde hier gearbeitet, um die eine Ware aus dem Fels zu gewinnen, die Luca und seinen kleinen Hafen wichtig machte: Feinen, weißen Marmor, der in großen Blöcken auf Schiffe verladen nach Rom geschickt wurde, um daraus die feinen, weißen Statuen und Säulen zu fertigen, die die Stadt einzigartig machten.
    Sie liefen über einen Weg, der mit feinem, weißen Schotter übersäht war. Unzweifelhaft zermahlene Bruchstücke der weißen Riesen, die sich hier in den Felsen schmiegten. Nikon hatte noch nie solch gewaltige Mengen weißen Marmor gesehen. Hoch wie Türme ragte der Steinbruch über ihm auf, als er dem Weg einfach weiter folgte. Vorbei ging es an dutzenden von Arbeitern, die hämmerten, maßen, schleppten. Und entgegen der landläufigen Meinung waren nur die wenigsten davon Sklaven. Im Grunde nur die, die die Blöcke vom Bruch zum Wasser schleppten und dabei immer wieder eindringlich darauf hingewiesen wurden, dass nichts brechen durfte. Diejenigen, die den Stein tatsächlich brachen, das waren ausgebildete Steinmetze, die den Fels genau untersuchten, jede Linie, jede Verwerfung, genau maßen und mit schwarzer Kohle auf dem makellosen Stein Linien zeichneten, um zu wissen, welcher Schlag zu welchem Bruch führen wurde. Meister ihres Faches, die das teure Gut sorgsam behandelten.
    Nikon sah zu ihnen hinüber, versuchte zu verstehen, was sie da berieten, wie sie sahen, wo der Stein brechen würde, fand es aber nicht heraus. Als er wieder zur Straße schaute, lag dort ein etwa faustgroßes Bruchstück des Steines, nach dem er sich bückte und es sich genau anschaute. Der Marmor war so fein, ganz leicht körnig. Fast wie der feinste Sand, den man sich vorstellen konnte, der plötzlich fest geworden war und zusammenhielt als diese weiße Masse. Der Stein gefiel ihm, und er steckte ihn in seinen Beutel ein, auch wenn er sonst wohl keinen Nutzen hatte. Aber so schwer war er ja nicht.


    Schließlich kamen sie zu einem Haus, kaum mehr als ein Holzverschlag, aber Nikons Führer beteuerte, dass er dort finden würde, was er brauchte. Ein wenig zögerte Nikon noch, dann trat er ins halbdunkel der Hütte, das im Vergleich zu dem sonnenbeschienenen Weiß der Felsen ringsum wie der Weg ins Dunkel der Unterwelt erschien.

    Als Agrippa sich auch noch am Kopf kratzte, sah Axilla ihre Vermutungen mehr als nur bestätigt und war sich sicher, dass sie ihr Zimmer mit Schwefel ausgeräuchert haben wollte. Und entweder schien Imperiosus ihr Unwohlsein bemerkt zu haben, oder aber ihm war selber unwohl. So oder so aber war sie ihm dankbar, dass er mit ihr weiter wollte.
    Den Blick von Agrippa bezüglich der Cena verstand sie aber nicht, genausowenig wie die Bemerkung. Sie selbst hatte eigentlich vor, am Abend wieder zuhause zu sein, sie wollte ja jetzt eigentlich nur das Zimmer aussuchen und ein wenig mit Imperiosus reden. Abendessen war hier jetzt nicht eingeplant von ihrer Seite. Da war ihr doch egal, ob die beiden sich sahen oder nicht. Und so nahm sie die Bemerkung und den Blick nur etwas verwirrt auf, beschloss aber, es nicht weiter zu kommentieren und einfach darüber hinwegzugehen, als wäre nichts.
    “Es war nett, dich kennenzulernen, Pompeius“, meinte sie also ganz leicht und gesellte sich schon wieder zu Imperiosus, damit der mit der Führung fortfahren und ihr die betreffenden Räume zeigen konnte.

    Verdammt, der Terentier war schnell. Axilla hatte nur einen Moment beiseite geschaut, und im nächsten hatte sie seine Hand an ihrem Hals, die ein wenig zudrückte und ihr damit ein leises Keuchen entrang. Instinktiv griff eine ihrer Hände nach seiner Hand, die andere umschloss sein Handgelenk, um seine Hand von ihr wegzubringen. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber er hielt sie zu fest, und je mehr sie sich wehrte, umso fester schien sein Griff zu werden.
    “Ich... bin keine...Hure. Ich schlafe mit... niemandem hier“, stellte sie zischend richtig, noch immer versuchend, sich rauszuwinden. Ihre Beine stellten sich ebenfalls auf die Liege, als sie versuchte, einfach nach hinten ihm auszuweichen, und diese Bewegung durch Druck ihrer Beine zu verstärken, aber der Terentier war einfach viel stärker.
    Und dann sprach er die Worte, die Axilla kurz in ihrer Bewegung innehalten ließen. “Ich beiß dich!“ drohte sie im ersten Moment, als er sie fragte, was sie davon halten würde, wenn er sie hier und jetzt nun nehmen würde. Als Entschädigung für ihre Worte. Aber er fuhr ganz unbeeindruckt fort, hielt sie weiter fest, berührte mit der anderen Hand erst ihre Schulter und ließ sie dann an ihrer Vorderseite hinabgleiten.
    “Ich schreie...“ versuchte sie noch einmal eine Drohung, als seine Hand gerade auf ihrer Brust zum ruhen kam, allerdings hatten ihre Worte einen deutlich anderen Unterton angenommen. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber er war einfach so viel stärker als sie.
    Sie sollte schreien, sollte es wahrmachen. Ihre Augen suchten hilfesuchend in den Raum, doch niemand schien sie zu bemerken, niemand schien zu verstehen, was hier passierte. In ihre Augen stiegen Tränen, die von der Stoffmaske allerdings sofort aufgesogen wurden. Sie sollte schreien. Aber sie hatte Angst. Was, wenn er ihr die Luft zum schreien einfach abdrückte und sie niemand hören würde? Und wenn sie sie hören würden, würden sie ihr helfen? Axillas Blick fiel auf das Pärchen auf der Liege nebenan, das von streicheln nun zur Vereinigung übergegangen war. Die Frau blickte ihr in die Augen, lächelte sie stöhnend an.


    Verzweiflung machte sich in Axilla breit. Sie wollte mit dem Terentier nicht schlafen. Aber wenn sie es nicht tat, würde er sie zwingen? Vielleicht nicht hier, aber später? Sie konnte mit ihm nicht schlafen. Er hatte Urgulania ermordet! Sie konnte es nicht über sich einfach ergehen lassen wie bei Vescularius Salinator und später sich etwas überlegen. Sie durfte das nicht zulassen. Hier waren auch so viele Menschen, so viele Augen, die sie sehen würden. Es würde real sein, für sie selbst, für die anderen. Man würde es sehen!
    Sie wehrte sich noch einmal, heftiger, versuchte, ihn wegzuschieben von sich. Das Zittern in ihrem Körper nahm zu, und auch die Tränen. Sie wollte das hier nicht. Sie wollte das hier ganz und gar nicht. Nicht noch einmal. Nie wieder. “Nicht...“ sagte sie, es klang ängstlich, als seine Hand schließlich an ihrem Bauch angekommen war, und Axilla hatte keinen Zweifel, dass sie auch noch tiefer wandern würde. Ihre Beine hatten inzwischen mit dem nutzlosen Unterfangen, sie freizuwinden, aufgehört und waren nur fest, fast schon verkrampft geschlossen und angezogen, hinderten so seine Hand daran, ohne Gegenwehr tiefer zu gleiten und ihre privatesten Regionen zu berühren. Nur ihre Hände waren noch bei der an ihrem Hals, versuchten sie dazu zu bewegen, sie loszulassen.
    Erst jetzt nahm Axilla ihre Rechte von seinem Handgelenk und griff damit seine andere Hand, hielt sie davon ab, sich noch mehr zu nehmen. Ihr Kopf war voller Bilder, von ihm auf ihr, von Salinator, wie er schwitzend auf ihr lag, von ihrer Ohnmacht, etwas gegen einen von beiden zu tun. Ihr Körper zitterte heftig, und so sehr Axilla auch versuchte, stark zu sein, Soldat zu sein, keine Angst zu haben: Sie war nur ein Mädchen, das Angst vor einer schrecklichen Tat hatte, und nicht wusste, wie sie es verhindern sollte.
    All diese Verzweiflung und Angst schließlich manifestierten sich in einem flüsternden, von Tränen getragenen Wort. Das einzige, was sie vorbringen konnte. Das einzige, wofür sie sich noch mehr schämte als für alles andere, außer der Vorstellung, es zuzulassen. Ein kleines Wort, dass ihre gesamte Überzeugung, stark zu sein, keine Schwäche zu zeigen, ein tapferer kleiner Soldat zu sein, aufrechter Römer, fest in Tugend und Ehre, einfach so verriet.


    “Bitte...“

    Er wollte also wirklich, dass sie ging. Axilla hatte irgendwie gehofft, dass er sich noch erweichen lassen würde, dass er sehen würde, dass sie richtig handelte und hier und jetzt ihre Schuld begleichen sollte. Dass er ihr vielleicht sogar helfen würde. Es war ja auch hanebüchen, dass sie der Decima hier etwas anhängen wollten – und nichts weiter als ein „anhängen“ war es ja auch. Seiana machte NICHTS anderes, als die zig Auctores vor ihr und wohl auch noch alle, die folgen würden. Wenn das Hochverrat war, dann war jeder, der Nachrichten verbreiten half, automatisch Hochverräter.
    “Es wäre aber auch nicht gut für unsere Gens, wenn wir uns auf der Seite des Praefectus Urbi positionieren würden.“ Und Seneca wusste, was dieser Mann ihr angetan hatte. Sie hatte es ihm erzählt. “Und die Decima hat nichts getan.“


    Axilla sah Seneca noch einmal an. Sie wollte nicht gehen. Aber sie hatte wohl kaum eine andere Wahl, wenn sie sich nicht gegen ihre eigene Familie entscheiden wollte. Und das konnte sie nicht. “Ich wär dir sehr dankbar, wenn du irgendwie... maßregeln könntest“, meinte sie noch, als sie sich auf den Weg zur Hintertür machte, um nach Hause zu gehen. Axilla war nicht so dumm, nicht zu wissen, dass sie der Decima etwas auch unterschieben könnten. Sie hoffte nur, dass Seneca sich nicht auf so etwas einließ.

    Es gab einige Szen arien, die Axilla sich jetzt vorgestellt hatte. Dass er ähnlich vorgehen würde wie Salinator, und sie einfach ohne weitere Worte zurück auf die Liege drängen würde, sich nehmen würde, was er wollte. Dass er etwas gemeines sagen würde, was sie verletzten sollte. Dass er weiterhin solche Andeutungen fallen ließ wie schon auf dem Markt. Dass er auf ihre Wortspielerei mit Prokne eingehen würde und irgendwie da weitermachen würde. Irgendwas.
    Dass er sie aber gar nicht erkannt hatte und redliche Absichten – sofern man dies in diesem speziellen Kontext so nennen wollte – ihr, einer Fremden gegenüber gehabt hatte, dieses Szenario hatte sie sich definitiv nicht vorgestellt. Und erst recht nicht, dass er darüber ins Stammeln geriet und ihr – gerade ihr! - da noch Komplimente machte, die so erschreckend ehrlich klangen, dass Axilla die Spucke wegblieb. Wunderschöne Venus? Seine Venus? Die ihn berühren sollte, weil er sie berühren wollte?
    Einen Moment lang sah Axilla ihn nur durch ihre Maske hindurch an und wusste nicht, ob das hier nicht ein ganz grausamer Scherz sein sollte. Wo war der knallharte Präfekt hin, der sie angemault und verspottet hatte, sie könne wegen Urgulanias Tod doch den neuen Praefectus Aegypti ärgern gehen. Der damit gedroht hatte, das gesamte alexandrinische Pyrtaneion ans Kreuz nageln zu lassen, wenn sie ihm nicht zu Willen waren? Der vor ihrem Vetter noch davor geprahlt hatte, dass ein Soldat sie, Axilla, in den griff bekommen würde und ihr ihre Frechheit austreiben würde, da die ja mit schwierigem Gelände vertraut waren? Der dabei fast so geklungen hatte, als wolle er sie selbst am liebsten 'zureiten', um sie gefügig zu machen?
    Irgendwie war dieser Mann getauscht worden gegen diesen... diesen.... Zivilisten! Der da vor Axilla saß und stammelte und ihr ja beinahe sowas wie eine Liebeserklärung machte, sie anlächelte, dass man fast – aber wirklich nur fast – Mitleid mit dieser zarten, verletzlichen Seele hätte bekommen mögen.


    Und so dauerte es einen Moment, bis Axilla überhaupt Worte fand, um auf das alles zu antworten. Irgendwie glaubte sie noch immer nicht, dass das wahr war. Das da vor ihr konnte gar nicht Cyprianus sein. Der Terentier, den sie kannte, der hätte niemals so klein bei gegeben und ihr quasi noch das Schwert in die Hand gedrückt, damit sie ihn verbal aufspießen konnte. Was sie nun auch tat.
    “Du hörst mir nicht zu. Ich bin Prokne. Heute sind wir alle nicht die, die wir sind.“ Hoffentlich hatte niemand der umsitzenden ihren Namen gehört. Auch wenn die zunehmend beschäftigter wirkten und immer weniger Zeit dafür fanden, sich mit jemand anderem als ihrem momentanen Partner zu unterhalten. Aber Axilla war es doch ein klein wenig peinlich, überhaupt hier zu sein. Sie konnte nur hoffen, dass die Verwirrung des Terentiers anhielt und er Seneca davon nichts petzte.
    “Und wie du siehst, plane ich nichts verbotenes. Oder schädliches. Und wenn du dich etwas umsiehst, findest du sicher auch noch etwas erquickendes für dich. Ich bin mir sicher, dass einige Damen hier nur zu gerne ihre Beine für den Praefectus Praetorio öffnen mögen.“
    Sie machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum einzuschließen, sie selbst aber auszuschließen schien. Sie wollte letzteres nämlich ganz sicher nicht. Und sie war sich sehr sicher, dass das rasende Pochen ihres Herzens nichts mit irgendwie gearteter Erregung zu tun hatte. Eher mit Angst, dass dies hier doch ein sehr grausamer Scherz des Terentiers war. “Von daher sieh dich um. Oder vergiss. Wie es dir beliebt.“ Solang er nur nicht sie weiter berühren würde.

    Also gab es wirklich einen verdacht gegen Seiana! Auch wenn das wirklich abstrus war, aber jetzt wusste Axilla es zumindest definitiv.
    “Ich dräng mich doch gar nirgends hin, ich steh hier doch nur!“ echauffierte sich Axilla gerade und unterstrich ihre Aussage mit hilflosem Fuchteln ihrer Arme. Was behinderte sie denn bitte dadurch, dass sie rumstand? Außerdem schuldete sie der Decima wenigstens das, wenigstens ein Mal.


    Doch dann tat Seneca das, wogegen Axilla nichts sagen konnte. Er stellte sie vor die Wahl zwischen Acta und Familie. “Das ist gemein“, meinte sie leise und nahm die Arme wieder runter, sah ihn trotzig an. “Du weißt, dass für mich unsere Ahnen und unsere Gens über alles gehen.“ Das hatte sie ehrlich und ernsthaft getroffen. “Wenn du es willst, dann geh ich heim. Aber Seneca... die Decima hat nichts gemacht. Bestimmt nicht.“
    Axilla überlegte einen Moment, während das Poltern aus den Nebenräumen weiterging. Sie hatte es Seneca noch nicht erzählt, glaubte sie, aber vielleicht verstand er sie besser, wenn er es wüsste. “Mein Mann... Archias. Er war eigentlich mit ihr verlobt, weißt du? Ich hab ihr genug angetan. Verlang von mir bitte nicht, ihr auch noch in den Rücken zu fallen. Wenn du willst, das sich gehe, im Namen der Familie, dann mach ich das, aber... mehr mach ich nicht.“

    Als Cyprianus auf sie zukam, wurde der Wunsch nach Flucht immer größer. Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Axilla war es jetzt schon peinlich genug, und je näher er kam, umso nackter fühlte sie sich. Nur zu gerne hätte sie jetzt ihre Beine angezogen, die Arme um selbige geschlungen, um das bisschen Stoff zürchtig zurechtzuzupfen und gleichzeitig ihren nur spärlich bedeckten Oberkörper abzudecken. Der Stoff selbst war so fein, dass man beinahe durchsehen konnte, und Axilla war sich in diesem Moment nur allzu schmerzlich dieser Tatsache bewusst.
    Dennoch zwang sie sich, ruhig sitzen zu bleiben, selbst als Cyprianus sich zu ihr auf die Kline setzte, so nah, dass sie seine Körperwärme fühlen konnte. Als er sie dann aber Venus nannte und sie berührte, streichelte und schließlich mit den Fingern an ihrer Halsbeuge sanft massierte, ging ein ununterdrückbares Zittern durch ihren ganzen Körper. Sie fühlte sich an ein anderes Tablinum erinnert, ein anderes, zu großzügig geschnittenes Kleid, einen anderen Tag, eine andere Kline. Aber ein ähnliches Glitzern in den Augen des Mannes ihr gegenüber, auch wenn jener dicker und glatzköpfig gewesen war. Die Erinnerung bereitete ihr Übelkeit, und nur die goldene Schminke verhinderte wohl, dass Cyprianus sehen konnte, wie blass sie im ersten Moment geworden war. Nur das anhaltende, leichte Zittern würde er wohl bemerkt haben.
    Axilla mühte sich sofort um Fassung. Vor seinen Feinden zeigte man keine Schwäche, man gab ihnen keinen Raum, einen zu verletzen. Man trat ihnen standhaft und gerade gegenüber. Und zitterte nicht wie ein Kind. “Venus?“ fragte sie und erschreckte sich darüber, wie gebrochen und zittrig ihre Stimme im ersten Moment war. Axilla zwang die Angst wie einen Ball zusammen in ihr Innerstes und verschloss es dort für den Moment. Sie stellte ihren Becher ab – auf dem Tischchen auf der ihnen beiden abgewandten Seite, wodurch sie sich strecken musste und so ihre Schulter seinem Griff erst einmal entzog. “Siehst du nicht meine Federn? Ich dachte, du hältst mich eher für Prokne.“ Das nun kam weitaus ruhiger heraus.
    Prokne, eine der grausamsten Geschichten in Ovids berühmten Metamorphosen. Sie war die Frau des Helden Tereus, der ihre Schwester Philomele zu ihr bringen sollte, diese aber stattdessen entführte und vergewaltigte, ihr die Zunge herausschnitt, damit sie ihn nicht verriet. Und der Prokne erzählte, die Schwester sei tot, obwohl sie nun als Sklavin ganz in ihrer Nähe unerkannt war. Solange, bis Philomele der Königin ein Tuch webte mit geheimen Zeichen, die die Schwester lesen konnte, woraufhin sie beide sich fanden und an Tereus Rache übten. Sie töteten seinen Sohn, kochten ihn und setzten ihn ihm zum Essen vor. Und als der Mann es merkte und sie greifen wollte, verwandelten sie sich in Vögel, Prokne in die Nachtigall und Philomele in eine Schwalbe. Und Tereus verwandelte sich in einen Wiedehopf, um die beiden zu fangen und mit seinem Schnabel zu zerfetzen.
    Und war der Wiedehopf nicht sogar auf dem Siegel, das die Terentier für ihre Korrespondenz verwendeten? Irgendein Vogel war es, da war Axilla sich recht sicher.


    Axilla zwang sich, wieder zu dem Terentier hinüberzusehen, ruhig zu bleiben, auch wenn alles in ihr nach Flucht brüllte. Aber am Markt war sie ihm weitaus kühner gegenübergetreten, sie durfte jetzt nicht das tun, was ihr Instinkt ihr riet. “Ich hätte nicht erwartet, dich hier zu sehen“, meinte sie nur gefasst. Irgendwas musste sie ja schließlich sagen. Und da er sich zu ihr gesetzt hatte, wollte er ja etwas von ihr. Wobei sie den Gedanken nicht vertiefen wollte, was das sein könnte, da seine Berührung doch eine ziemlich eindeutige Richtung vorgab.

    Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Schickte sie Seneca jetzt grade wirklich nach Hause?
    “Was macht das schon einen Unterschied, WO ich bin? Ich bin hier Lectrix! Jeder Fitzel, der veröffentlicht wird, landet vorher bei mir. Seneca! Aulus!“ Bisher hatte sie die ganz vertrauliche Ansprache vermieden, aber jetzt musste sie irgendwie zu ihm durchdringen. “Ich versteh das nicht. Ich meine, Decima Seiana macht doch nichts anderes als die hundert Auctores vor ihr! Das kann doch nicht Hochverrat sein?“
    Das konnte einfach nicht der Grund sein. Noch dazu, wo Axilla sich nicht vorstellen konnte, wie Seiana am Kaiser Verrat begehen sollte. Oder überhaupt die Decimer. Livianus war doch sogar dessen Klient gewesen, wenn sie sich nicht täuschte.
    “Und ich hab doch nichts getan! Wie bitte soll ich den Kaiser verraten haben?“
    Vom Nebenzimmer drang ein Krachen. Offenbar hatten sie jetzt das große Regal auch noch umgeschmissen. Ganz großartig! Axilla hoffte nur, nicht zu den armen Seelen zu gehören, die hier hinterher aufräumen mussten.

    Die ersten Momente lag Axilla einfach nur da und starrte durch ihre gefiederte Maske hindurch nur die Decke an. Sogar DORT gab es ein Mosaik, das sich bei näherem Hingucken als Sage von Syrinx entpuppte. Da war ein Mädchen beim Musizieren und Pan, der sie beobachtete. Das nächste Bild zeigte ihn, wie er ihre Hand ergriff, und sie in abwehrender Haltung. Wenn sie weiter nach rechts schaute schließlich sah man sie an einem Fluss, die Arme flehend erhoben, und Pan, wie er ihr hinterherhetzte. Und dann schließlich nur Schilf, schön versetzt mit allerlei Vögeln und einem Pan, der sich daraus eine Flöte schnitzte.
    Die Betrachtung lenkte sie soweit ab, dass sie sich wieder fing und wieder etwas aufrichtete. Ganz vorsichtig und zaghaft begann sie, sich im Raum umzusehen. Es war weit weniger schlimm, als sie es sich vorgestellt hatte. Neben ihr war die Liege jetzt frei, weil ihre Nachbarin gegangen war. Und auf der daneben lag zwar ein Pärchen, fast vollkommen nackt, aber die beiden rauchten nur und bliesen sich den Opiumdampf mit geschmeichelten und leisen Worten nur gegenseitig verführerisch zu. Und noch weiter dahinter spielten zwei Männer miteinander Alquerque, wobei Axilla sich nicht sicher war, ob sie sich wirklich auf das Spiel konzentrierten, da sie auffällig oft zu anderen Paaren hinübersahen und darüber scheinbar teilweise scherzten. Und so sah sie auch weiter, vorbei an ein paar würfelnden Männern, vorbei an den inzwischen zur Ruhe gekommenen Nymphen und Satyrn, die so nach und nach auch wieder aufstanden und sich aus dem Zentrum entfernten. Doch vor allem die Nymphen schienen hierbei nicht immer weit zu kommen, sondern wurden hier und dort aufgehalten und 'in Anspruch genommen'.
    Axilla suchte den Raum ab, bis sie schließlich ihre Nachbarin gefunden hatte, die mittlerweile neben ihren Angebeteten saß, ihm irgendwas ins Ohr flüsterte, was diesem zu gefallen schien. Eine Hand lag dabei auf seiner Schulter, und die andere... auf dem Hinterkopf einer Sklavin, die vor dem Petreius kniete und... Axilla sah ertappt weiter und widerstand der Versuchung, doch weiter dort zuzuschauen, was diese Frau, die sie ja beinahe täglich sah, mit der sie häufiger zur Cena zusammen saß, über deren besonders strenge Erziehung sie sich bei deren siebenjährigen Sohn bisweilen wunderte, was diese Frau jetzt und hier vielleicht nicht verbotenes, aber moralisch grenzwertiges tat. Eine anständige Römerin würde niemals ihren Mund so entweihen. Der Mund war schließlich das Instrument eines freien Menschen, durch welche er Reden halten konnte, sich philosophisch und auch sonstig mitteilen. Ein wahrer Römer, egal ob Mann oder Frau, durfte derlei vielleicht empfangen, aber selber ausüben war undenkbar. Und doch fühlte Axilla durchaus die Neugier, wie es wohl wäre.
    Mit leicht geröteten Wangen und einem warmen Gefühl sah sie weiter, versuchte die Gedanken abzuschütteln. Angesichts so mancher Szene gar nicht so einfach, so dass sie nach etwas unverfänglichen zum Beobachten suchte. Nur fand etwas weniger Unverfängliches zuerst sie.


    Es dauerte einen Moment, ehe sie realisierte, dass jemand sie anschaute, und einen weiteren, um zu realisieren, wer das war. Da stand er. Tatsächlich. Und lächelte sie an! Kurz verkrampfte sich etwas in Axillas Innerstem.
    Hatte er sie erkannt? Bestimmt, warum sollte er sie sonst so anlächeln? Oder wusste er es doch nicht? Sie sah kurz beiseite, als hätte sie es nicht bemerkt, prüfte mit einer kleinen Bewegung den Sitz ihrer Maske. Nein, da war nichts verrutscht, sie war noch immer nur ein Mund und Augen, aber kein ganzes Gesicht. Schnell sah sie wieder zurück, betrachtete den Terentier. Ohne seine Rüstung sah er nicht ganz so einschüchternd aus. Dennoch blieb ein Wolf ein Wolf, auch wenn man ihm ein Schaffell überstreifte. Sie lächelte ihm leicht zu, hob ihren Becher leicht an, als wolle sie ihm zuprosten. Wenn er sie erkannt hatte, sollte er wissen, dass sie ihn auch erkannt hatte. War ja auch nicht weiter schwer, er trug ja keine Maske. Und so konnte er wenigstens nicht sagen, sie hätte ihn angelogen, als sie am gestrigen Tag ihre kleine Notlüge hervorgebracht hatte.
    Wobei die Situation jetzt nicht wirklich besser war. Wer wusste schon, was er hierüber erzählen würde? Oh, Götter, er durfte nichts Seneca sagen, der würde ihr doch nie im Leben glauben! Doch egal, Axilla schüttelte den Gedanken weg. Damit würde sie sich später befassen, wenn die Probleme de Jetzt und Hier gelöst waren. Denn jetzt und hier stand Axilla vor dem nicht gerade kleinen Problem, dass sie keine ahnung hatte, was sie jetzt machen sollte oder was der Terentier vorhatte. Ihr Instinkt riet ihr, wegzulaufen. Doch ein Soldat lief nicht davon, und sie durfte das folglich auch nicht. Vielleicht ging er ja auch gleich wieder und wollte nur überprüfen, ob sie wirklich hier war? Axilla wusste es nicht, aber es machte sie nervös. Auch ihr leichtes Lächeln in seine Richtung mochte darüber vielleicht nicht ganz hinwegtäuschen.

    Dokumente beschlagnahmen. Dokumente beschlagnahmen? “Na, dann hoffe ich, dass ihr genug Tragekörbe und Taschen dabei habt“, meinte Axilla nur „etwas“ aufgebracht. Das ergab doch nicht den geringsten Sinn! “Was für kaiserkritische Berichterstattung? Was wir veröffentlicht haben, ist doch schon lang öffentlich? Und den Rest haben wir ja auch gar nicht veröffentlicht. Ihr könnt doch wohl jetzt nicht ernsthaft jeden Leserbrief nachrecherchieren wollen, wo sich irgendein Caius Bonus mal über den Kaiser aufgeregt hat? Das ist doch wohl nicht euer Ernst?“


    Dann aber sagte Seneca etwas, das Axilla so nie zu hören erwartet hätte. 'Axilla, jetzt ist keine Zeit für Mut und Ehre.' Ihr fielen beinahe die Augen aus dem Gesicht, als sie ihn nur mit offenem Mund entsetzt anstarrte. “Keine Zeit für.... Keine... Zeit?“ DAS war jetzt wirklich zu viel für ihr Verständnis. Wie konnte DAFÜR keine Zeit sein? Dafür war IMMER Zeit! Es gab dafür keine unpassende Zeit. “Wie meinst du das, dass dafür keine Zeit ist! Man kann doch nicht seine eigene Ehre beiseite schieben, und, und, und... sich feige irgendwo verstecken. Das... das geht nicht! Ein Soldat läuft nicht davon!“ Das ging jetzt wirklich über jeglichen Begriff von Tugend, den sie jemals gehabt haben mochte, weit hinaus. Und dass Seneca das sagte, das wollte erst recht nicht in ihren Kopf. Er war doch auch Iunier! Wie konnte er da sagen, dass für die Ehre gerade nicht die rechte Zeit war?
    Was sie jetzt tun würde? “Was soll ich denn tun? Was denkst du, was ich tun soll?“ Keine Zeit für Mut und Ehre. Axilla kam einfach nicht darüber hinweg. Das war einfach nicht möglich, schon darüber nachzudenken war nicht möglich.