Nerv getroffen! Prisca hätte keine schönere Bestätigung für Axillas Zielgenauigkeit geben können, als eben jenen kalten Blick. Entweder hatte Axilla die Aurelia damit ganz kalt erwischt, oder aber dieser Teil der Familiengeschichte war etwas, dass die Aurelia gern unter den Teppich gekehrt hätte.
So oder so, eine weise Frau hätte es damit gut sein lassen und sich damit begnügt, hier einen feinen Stich angebracht zu haben. Zu demonstrieren, dass trotz noch so hochnäsiger Worte man jederzeit dazu willens und vor allen Dingen fähig war, die Nase des Gegenübers ein paar Stockwerke tiefer zu bekommen. Nur eine kleine Machtdemonstration eben. Und sich an dem aufplusternden Getue nicht weiter zu stören sondern es nur als Untermalung des eigenen Sieges anzusehen. Nun, Axilla war nicht weise. Und schon gar nicht friedlich. Und schon weitaus wichtigere Persönlichkeiten hatten feststellen müssen, dass sie es mit ihrer Familienehre sehr genau nahm und sich bei dieser nicht beleidigen ließ. Auch nicht von scheinbar wohlmeinenden Neuadeligen.
Leider aber kam Seiana zwischen Axilla und ihre direkte Antwort, die schon als giftige Bemerkung auf ihrer Zunge lag. So nahm Axilla stattdessen einen Schluck Wasser und noch ein kleines Häppchen Fleisch – man wollte ja sich nicht auch noch mit der Gastgeberin anlegen, weil diese dachte, man verschmähe ihre Gastfreundschaft – und wartete auf das Ende der Worte der Decima. Leider passte ihre eigentliche Antwort nun nicht mehr, allerdings war Axilla doch recht schmerzfrei, was politisch korrekte Höflichkeit anging, oder gar die Möglichkeit, einen Rückzieher zu machen. Ein Soldat Roms wich nicht zurück! Das hatte ihr Vater mehr als einmal gesagt. Rom weicht nicht zurück, und seine Soldaten auch nicht. Und sie war vielleicht nicht Rom und sicher kein Soldat, dennoch verlangte es ihr Stolz, keinen einzigen digitus zurückzuweichen.
Mit leichtem Amüsement, das aus ihrer Stimme beim Reden herauszuhören war, wandte sie sich ganz ruhig und überaus freundlich an Prisca. “Wie Decima Seiana schon sagte, für die Acta Diurna benötigt man so etwas wie ein wenig Grundneugier. Und gerade, weil ich Iunia bin, interessiert es mich natürlich, was neuerdings an Familien aufsteigt und was nicht. Auch wenn ich Händler aus Syria nun nicht dem Pöbel zuordnen würde.“
Sicher, Prisca hatte das, was sie gesagt hatte, nicht so gemeint. Aber sie hatte in einem Atemzug die eigenen plebejischen Wurzeln erwähnt, dass diese nichts nützten, und im nächsten Atemzug darauf hingewiesen, dass sie mit dem Plebs nur den Pöbel meinte. Man konnte also mit Fug und Recht behaupten, dass sie ihre eigenen plebejischen Wurzeln grade als solche bezeichnet hatte, die der untersten Kategorie der römischen Gesellschaft entsprangen, und das auch noch mit einem Ton, der an Abfälligkeit und Hochmut kaum zu überbieten war. Und es benötigte nicht viel Interpretationsfähigkeit, um daraus einen abfälligen Kommentar über ihre eigene Familiengeschichte herauszuhören.
“Gut, sicher sind sie keine Italiker, und nicht jeder kann auf acht Jahrhunderte Familiengeschichte zurückgreifen, oder sich bis zu den Weggefährten Aeneas zurückführen. Aber ich bin sicher, dass auch dort ehrbare Römer zu finden sind. Andernfalls würde unser Kaiser denke ich nicht so großzügig mit den Privilegien eines hohen Standes sein.“
Zuckersüß, unschuldig, sogar die Aurelia ein wenig in Schutz nehmend. Ja, Axilla war durchaus zufrieden mit sich. Ob die Aurelia sie leiden mochte oder nicht, war ihr hingegen vollkommen egal. In Axillas Augen hatte sie versucht, die Iunier zu beleidigen und damit dieses bisschen Spott mehr als verdient.