Was es schöneres geben konnte, als ständig umschwärmt zu werden? Axilla musste aufpassen, um nicht bitter zu lachen. Flaccus hatte sicher nicht verdient, dass sie ihn in ihrem Liebeskummer mit Bitterkeit strafte. Er war nett und hatte sie hier an diesen herrlichen Ort entführt, damit sie ein paar schöne Momente erlebte. Und sie zog ihn in den Strudel ihrer Gefühlswelt, obwohl er ihr auch mit dem Lied sicher nur gefallen wollte.
“Diese Aufmerksamkeit ist nur allzu schnell ein goldener Käfig, wenn man nur vom anderen umgeben und nur für ihn da ist. Zu Liebe gehört mehr, als nur ständig beisammen zu sein und dieselben Dinge zu tun. Vertrauen ist Freiheit. Freiheit ist Schönheit.“ Axilla sagte es erstaunlich sachlich und ruhig. Sie wusste, wovon sie sprach. Egal, ob sie Archias nun geliebt hatte oder nicht (und angesichts der Intensität der Gefühle, die sie die letzten Tage erlebt hatte, war sie sich da nicht sicher, ob sie ihn jemals wirklich geliebt hatte, oder einfach nur starke Zuneigung verspürt hatte), sie wusste, wie ein goldener Käfig war. Und Archias hatte sie geliebt, das wusste Axilla, und seine Liebe hatte sie erdrückt und immer mehr eingeengt, bis kaum noch etwas von ihr selbst übrig geblieben war. Nein, Axilla weigerte sich, die Liebe als so etwas zu sehen und das auch noch zu verherrlichen.
Und seine zweite Frage war noch verwirrender. Was eine Frau sonst wünschen könnte, außer einen gehorsamen Diener? Axilla hatte ein sehr klares Bild, aber sollte sie das Flaccus sagen? Sie wusste nicht, weshalb genau er sie eingeladen hatte. Vielleicht schlug sie ihm ja vor den Kopf, wenn sie ihm vor Augen führte, was sie tief in ihrem Innersten begehrte. Sie fand den Flavier sehr nett und vielleicht flirtete sie sogar ein wenig mit ihm. Vielleicht flirtete er auch mit ihr, wenngleich so subtil, dass sie es nicht richtig verstand. Aber wissen konnte man nie. Da erzählte sie ihm lieber nicht von starken Beschützern, von willensstarken Männern, die Entscheidungen treffen und auch tragen konnten, von Geborgenheit und Sicherheit. Er könnte das als Herabwürdigung seiner Person sehen, und das wollte Axilla wirklich nicht. Vor allem, da sie das ja auch gar nicht so meinte, nur unfähig war, das was sie meinte, in Worte zu fassen.
Sie ließ die Frage also einfach im Raum stehen, und musste auch gar nicht lange warten, bis Flaccus mit einer weiteren Frage herausplatzte, die so unschuldig gestellt war, wie es sonst Axilla nur tat. Und so sehr sie auch eben überlegt hatte, den Flavier zu schonen, beim Blick in den blauen Himmel über ihr kam bei dieser Frage doch eine traurige Antwort über ihre Lippen.
“Liebe tut weh. Sie hinterläßt Narben, sie verwundet und verheert jedes Herz, das nicht stark genug ist, sehr viel Schmerz zu ertragen. Sie ist wie eine Wolke, die eine Menge Regen in sich trägt.“ So fühlte sich die Liebe zumindest im Moment für Axilla an.
“Ich hab ein paar Dinge über die Liebe gelernt. Es stimmt, was die Dichter sagen, sie ist eine unlöschbare Flamme in deinem Innersten, aber sie wärmt nicht, sie verbrennt dich. Liebe ist eine Lüge, die dazu geschaffen wurde, einen Menschen in tiefe Verzweiflung zu stürzen.“
Axilla sah verletzt in das tiefe Blau über ihr. Sie wusste, dass das sicher nicht die Antwort war, die Flaccus hören wollte, und auch sicher nicht die, die er verdient hatte. Aber es war eine Wahrheit. Und doch gab es auch noch eine andere Wahrheit. Axilla atmete einmal tief durch. Die kühle Herbstluft schmeckte nach nassem Laub und trug bereits einen Hauch von Winter in sich. Sie setzte sich auf und sah Flaccus mit gemischten Gefühlen an. Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf ihre sonst betrübten Züge.
“Und doch, wenn sie einen berührt, sieht man es nicht und will es nicht sehen. Weil es das schönste Gefühl ist, das ein Mensch erfahren kann. Das einem wie eine Fackel erscheint, nachdem man in tiefer Dunkelheit gelebt hat, wie ein sicherer Hort in sturmgepeitschter Nacht und eine warme Decke in der Kälte. Für mich ist Liebe wie Musik, die kein Künstler je spielen könnte und vor der selbst Apoll vor Ehrfurcht erzittern würde, weil sie so rein und schön ist.“
Das Lächeln auf Axillas Gesicht verstärkte sich, wenn auch eine gewisse Traurigkeit stets darin blieb. Dennoch war die Bitterkeit wieder verschwunden. “Du siehst, für mich ist Liebe mehr, als einen Mann zu treten.“