Beiträge von Aurelia Laevina

    Oh nein! Ich war verzweifelt. Es war wirklich ein furchtbarer Tag. Erst war ich böse auf Tilla, nun war ich böse auf mich. Tillas Erklärungen, weshalb ich sie gekriegt hatte, ignorierte ich, denn das war ja nicht ernst gemeint, meine Frage oder besser Vermutung. Tilla war empört und ich konnte sie verstehen. Als sie mich wütend verliess, rief ich noch zögerlich mein "Es tut mir Leid...!" hinterher, aber ich wusste nicht, ob sie mich noch gehört hatte. Ich wurde mit ihr nicht fertig. Das wurde mir plötzlich bewusst und es deprimierte mich noch mehr. Doch heute war mir nicht nach Weinen zumute, also frass ich den Ärger, die Zweifel und Sorgen in mich hinein und wurde noch schlechter gelaunt.
    Während Tilla mir Essen holte, zog ich mich aus und wieder an. Heute trug ich eines meiner hässlichsten Kleider. Natürlich, niemand würde das erkennen, aber für mich spiegelte die Kleidung meine Stimmung wider. Als Tilla dann wiederkam, mied ich den Augenkontakt. Es tat mir Leid, was ich getan hatte, aber ich fürchtete auch, dass ich sie noch einmal angreifen würde.

    Tiberia kannte sie nicht und Severa schien sie auch nicht zu sehen. Aber Tilla kam mir zur Hilfe und zeigte auf eine Frau, die wie eine Aurelia aussah. Das musste Minervina sein!
    Dass Tilla auf etwas Geld hoffte, oder dass sie auch bloss neue Schuhe wollte, konnte ich nicht ahnen... zumindest ahnte ich nichts. Natürlich hätte ich ihr neue Schuhe gekauft, wenn ich gewusst hätte, wie diese drückten, aber unwissend wie ich war, konnte ich Tilla nur ein dankbares Lächeln schenken.
    Dann wandte ich mich wieder von ihr ab und ging auf Minervina zu. Als wir bei ihr waren, blickte ich mich noch einmal versichernd zu Tilla und Severa um und begrüsste dann meine mir unbekannte Cousine.
    "Du musst Minervina sein!? Ich bin Aurelia Laevina und es freut mich sehr, dass wir uns endlich kennenlernen." Das klang etwas gestelzt aber mir kam diese Situation auch ein wenig seltsam vor.

    Jeder im Haus?? Das waren aber ganz schön viele Leute!
    "Gut, wenn Du meinst... dann lass uns weitergehen!" Langsam schlenderte ich über den Markt voran, suchte jetzt an den Ständen nicht mehr nach nichts Bestimmtem, sondern von nun an suchte ich nach Geschenken für die Saturnalien. Tatsächlich fand ich einige Kleinigkeiten, die ich mir teils von meinem eigenen Geld kaufte, teils von Ursus ausgeben liess. Als wir von den Märkten genug hatten, liess ich mich von meinem Cousin - meinem Cousin?? - von Ursus zur nächsten Station meiner Romerkundungstour führen.

    Sie verliess mich schon wieder aber diesmal dachte ich mir schon, was kommen würde. Und tatsächlich schrieb sie mir. Sie wollte diskutieren! Sie hatte nicht gelernt, Dinge, die der Herr oder die Herrin sagten einfach zu akzeptieren.
    Ich legte die Tafel auf den Boden und erhob mich dann selbst um mich auf meinen Stuhl zu setzen. "Du kannst froh sein, dass ich dich gefunden habe! Wer weiss was Corvinus mit dir gemacht hätte!"
    Das war nicht in meinem Sinne, ihr auch noch einzureden, dass Corvinus sie hart bestrafen würde. Was soll´s?!, dachte ich und fuhr fort: "Natürlich hast Du verschlafen. Es ist schon fast Mittag und was sonst sollst Du machen, wenn nicht mich wecken?" Die nächste Fiesität fiel mir ein. Und obwohl ich es nicht sagen wollte... ich konnte nicht widerstehen. "Ich kann schon verstehen, warum Corvinus Dich verschenkt hat... Er kann es sich nicht erlauben, morgens einfach nicht geweckt zu werden." Und diesmal tat es mir wirklich Leid. Sofort senkte ich den Kopf und murmelte: "Schuldigung... Das hab ich so nicht gemeint!" Ich fühlte mich jetzt wirklich hundeelend und konnte nicht mal mehr meiner eigenen Sklaven aufrecht in die Augen schauen. Deprimiert sass ich in meinem Stuhl und wartete darauf, wie Tilla reagieren würde und wie lange es noch dauern würde, bis dieser verdammte Tag vorbei wäre.

    Der Tag war wirklich gründlich verdorben. Als Tilla also seufzte und wieder wegging, sobald sie mich am Boden gesehen hatte, warf ich ihr einen bitterbösen Blick hinterher und fauchte sie an. Doch ehe ich sie richtig beleidigen konnte, war sie schon wieder da und kühlte meinen Fuß mit einem nassen Tuch. Das war unbestritten nett und ich verstummte auch sofort. Aber trotzdem schaute ich böse drein. Was für ein blöder Morgen. Als meine junge Sklavin mir allerdings liebevoll die Tränen abtupfte und mir zulächelte wurde ich erneut von ihr überrascht und für einen Moment aus der Reserve gelockt. Meine Augen weiteten sich und kurz schaute ich verblüfft drein.
    Ich hatte mich wirklich noch ganz und gar nicht daran gewöhnt von Sklaven freundlich behandelt zu werden. Zuvorkommend, ordentlich all das ja. Aber freundlich und fürsorgend...
    Doch dann fiel mir ein, dass heute ein dummer Tag war und das sagte ich Tilla dann auch noch immer etwas fauchend. "Es ist ein richtig blöder Tag heute! Erst verschläfst Du, dann hau ich den Fuss gegen die blöde Tür, was kann heute schon noch Gutes kommen!"
    Dann fiel mir eine kleine Gemeinheit ein und weil ich sowieso schon schlecht drauf war, benützte ich sie sogleich: "Naja, dank DIR wird immerhin auch nicht allzu viel Schlimmes passieren - der halbe Tag ist ja schon rum..." Meine Stimme triefte von Sarkasmus und Ironie und es tat mir sofort ein bisschen Leid. Aber nicht zu doll, meine eigene Gemeinheit machte den blöden Tag bloss noch etwas blöder.

    Wie es meine Angewohnheit war, verschlief auch ich, da ich nicht geweckt wurde. Doch weil mein Zimmer ein - kleines - Fenster hatte, wachte ich letztendlich doch immer noch vor Tilla auf. Ich stand schläfrig auf, als ich bemerkte, wie hell es draussen schon war und als ich mich ein bis zwei Minuten geräkelt hatte und mir die Augen gerieben hatte, rief ich nach Tilla. Zweimal leise, dann etwas lauter. Schon etwas verärgert stand ich schliesslich auf und trat mit dem Fuss gegen die Tür von Tillas Raum. AU! Das tat weh! Jaulend setzte ich mich auf den Boden und hielt mir meinen Fuss. Gestern war schlimm gewesen, aber wie würde heute wohl sein, wenn der Tag schon so hervorragend begann?

    Severa, die Tiberierin und ich gingen gefolgt von einigen Sklaven zum Markt. Dabei unterhielten wir uns noch nicht sehr viel, da es recht laut war, weil in der Stadt alles auf den Beinen zu sein schien. Als wir angekommen war, blickte ich mich suchend um und fragte dann etwas verzweifelt meine Cousine: "Siehst Du sie hier irgendwo?" Und anschliessend fragte ich die Tiberia beiläufig: "Kennst Du Aurelia Minervina zufällig?" Ich musste lachen, denn schliesslich sollte ich sie wohl eher kennen, als jemand der nicht einmal entfernt mit ihr verwandt war. Aber es konnte ja immerhin sein...

    Und wie wir es genossen. Es war ein herrlicher Tag um sich einfach von der Menge treiben zu lassen und in ihr zu tauchen. Ich bewunderte die Künstler, denen gegenüber Ursus sich so freigiebig erwies.
    Nichts konnte meine Stimmung trüben. Nicht einmal der Schreck, den Ursus mir im nächsten Augenblick zufügte.
    "Nein, ich habe noch nicht einmal daran gedacht! Für wen braucht man alles etwas? Die Sklaven oder schenken sich die Aurelier hier in Rom auch gegenseitig etwas?" Hoffentlich nicht! Die meisten kannte ich gar nicht oder kaum. "Ich hab gar keine Idee!", fügte ich leiser mit einem Blick auf Tilla hinzu.
    Natürlich würde mir etwas einfallen, mir war noch immer etwas eingefallen, wenn es um Geschenke ging. Aber der Gedanke, dass die Saturnalien so nah waren, überraschte mich doch ein wenig kalt.

    Severa fragte Corvinus, ob er uns begleiten wolle. Ich sah sie erschrocken an und war umso erleichterter als Corvinus sofort ablehnte. Nicht dass ich etwas gegen ihn hatte... Aber wir beiden Mädchen würden viel reden und einkaufen, da war der Grossonkel nur fehl am Platz, aber das wusste er offenbar auch selbst. Natürlich versicherte ich ihm: Na klar, wir werden Dir die schönste Kleinigkeit von ganz Rom mitbringen!" Für das recht grosszügig bemessene Taschengeld bedankte ich mich mit einem strahlenden Lächeln.
    Seine Anspielung mit den Trägern quittierte ich mit einem Grinsen, die Modeschau würde er kriegen, ob er wollte oder nicht. Irgendwem mussten wir in den nächsten Tagen ja die ganzen neuen Kleider vorführen.
    Jetzt konnten wir endlich aufbrechen! "Danke, Corvinus! Bis später. Arbeite nicht zu viel, das ist nicht gesund!"
    Mit Severa an meiner Hand und zwei Leibwächtern sowie Tilla und Severas Sklaven im Schlepptau verliess ich das Haus. Zuerst machten wir uns auf dem Weg zu einem der ruhigen Parks in Roms besseren Gegenden. (-->)

    Severa und ich kamen schon nach einem kurzen Weg in den Park, der auf halbem Weg zwischen den Märkten und der Villa Aurelia gelegen war. Hier war es angenehm kühl und wenige Menschen waren unterwegs und vor allem wenig Gesindel.
    Severa und ich schlenderten voran und die Sklaven trotteten hinterdrein.


    "Erzähl mir, wie es Dir zuletzt bei Deiner Mutter ging. Wieso bist Du hergekommen?" Ich ahnte, wieso sie es nicht mehr zu hause hatte aushalten können, aber dennoch fragte ich.

    Tilla fand sich mit meinem Vorschlag ab und sammelte ihre Sachen zusammen. Sie hatte erstaunlich viele seltsame und bunt zusammengewürfelte Dinge, die sie alle mit Truhe und Bettzeug aufhob und dann fragend auf mich schaute.
    Ich nickte und öffnete die immer noch angelehnte Tür, blieb jedoch noch einmal stehen und betrachtete Tilla genau und dann ihre Verletztung am Arm. Ganz sacht berührte ich sie oberhalb ihrer Hand nahe des Verbandes. Noch einmal schaute ich ihr tief in die Augen. Dann drehte ich mich abrupt weg und ging voraus zu meinem Zimmer. Dort angekommen wies ich meiner jungen Sklavin, der ich viel näher gekommen war an diesem Abend, den kleinen Nebenraum neben meinem eigenen Zimmer zu und wünschte ihr eine gute Nacht. Als ihre Tür geschlossen war, suchte ich einen Ort um das Messer zu verstecken. Zuerst überlegte ich, es unter mein Kopfkissen zu legen, doch ich hatte zuviel Angst, es könne mich verletzen. Also verstaute ich die Waffe in einer der Schriftrollen, die in meinem Regal standen.
    Müde war ich, furchtbar müde und erschöpft von dem Erlebnis mit Tilla und meiner Ohnmacht. So schlief ich auch bald ein, obwohl mich die neue und ungewohnte Beziehungssituation verwirrte und verunsicherte.

    "Ich weine nicht!", sagte ich trotzig und wischte mir die Träne von der Wange. Das konnte ich mir selbst nicht so genau erklären, also noch viel weniger Tilla.
    Fast, als wollte sie sich in Sicherheit bringen, so setzte Tilla sich auf ihr Bett und weg von mir und ihrem Messer. Ich wollte es nicht.
    "Ich will es nicht!", sagte ich dann auch bestimmt. Doch sie liess mir kaum eine Wahl, weil sie mich nicht verstehen wollte, obwohl ich schon so klar geredet hatte. Also hatte ich schon kurz darauf das Messer in meiner kalten Hand. Dabei beobachtete ich, wie Tilla reagieren würde. Das Messer bedeutete ihr klar viel.
    "Du kannst es Dir abholen, wenn Du es wirklich brauchst oder wenn wir ausgehen. Aber über Nacht behalte ich es." Da fiel mir wieder ein, weshalb ich überhaupt hergekommen war. "Du sollst auch bei meinem Zimmer im Nebenraum schlafen. Ich brauch dich doch jetzt!" Wieso fiel es mir so schwer, Tilla das Messer wegzunehmen? Alle Argumente sprachen dafür, doch nichts desto trotz fühlte ich mich schlecht. Ich hielt die Waffe jetzt fest in meiner Hand und beobachtete meine junge Sklavin ohne mich zu rühren.

    Sie hörte mir nicht einmal zu, sondern schrieb sofort wieder los! Doch, als ich dann las, was sie schrieb, wurde mir bewusst, dass sie beides gleichzeitig konnte. Ihre ganzen Gedanken und Geheimnisse, wie es mir vorkam, überwältigten mich fast. Fast niemand war je so ehrlich gewesen. Wie sollte ich damit umgehen?? Gefühle bei seite gelassen, so stand fest, dass Tilla gefährlich war. Sie würde im Zweifelsfall einen Römer töten, sie war geflohen, "beschädigte" sich selbst. Das allein wäre schon Grund genug für Steinbruch oder Kreuz. Zumindest nachdem sie alles so freimütig gestanden hatte. Aber ich konnte Gefühle natürlich nicht aussen vor lassen. Und ich wollte es auch nicht. Es war ziemlich aufregend zu wissen, was Tilla von Corvinus hielt und ihm das Geschehene zu verschweigen.
    Fhionn war also selber Mörderin gewesen. Nun, jeder Sklavenhalter in Rom hätte sie dafür auspeitschen lassen. Deswegen schüttelte ich auch verständnislos den Kopf. Doch diese absurde Situation, in der ich mich befand, war zu faszinierend, als dass ich sie beenden wollte oder konnte. Ich sass im Schlafsaal der Sklavinnen und erfuhr die Geheimnisse meiner Sklavin. Doch weil mich das so fesselte, griff ich auch nicht sofort nach dem Messer, sobald ich es gekonnt hätte. Ich las und musterte dann Tilla. Eine Träne war in meinen Augen. Ich hatte Mitleid, ja. Und ich war ziemlich verzweifelt, weil ich mir nie hätte vorstellen können, wie sehr Tilla fühlte. Und nun musste ich eine furchtbare Entscheidung treffen.
    Mit belegter Sprache fragte ich nun lieber - immerhin war Tilla mir mit dem Herbeibringen des Messers entgegengekommen:"Verstehst Du das nicht?? Nicht nur bist Du bedroht. Auch ich bin immer in Gefahr. Wie kann ich sicher sein, dass Du mir oder meinen Verwandten nichts antust? " Mir wurde bewusst, wie leicht sie mich genau in diesem Moment verletzen könnte. Doch ein inneres Gefühl liess mich ruhig sitzen bleiben. Tilla war zu ehrlich um mir jetzt etwas anzutun. Ich hoffte, dass der freundliche und vertrauensvolle Weg der Richtige war -- Nein, tatsächlcih dachte ich darüber wenig nach. Ich handelte, wie man mit mir nicht gehandelt hatte, als ich klein war. Ich tat, was ich dringend brauchte - gab Verständnis und Einsicht so weit es ging.

    Natürlich wollte sie nicht, dass ich Corvinus was sagte. Und das würde ich auch nicht. Aber es war offensichtlich ein wirksames Drohmittel. Als Tilla sich sacht befreite, fürchtete ich für einen kurzen Moment sinnloser Weise, sie würde ihr Messer holen. Umso mehr war ich beruhigt, dass sie nur die Tafel brachte. Das war sehr hilfreich. Ich schenkte ihr einen dankbaren Blick, doch schnell wandelte sich mein Ausdruck wieder in Verzweiflung und Niedergeschlagenheit.
    Während Tilla schrieb, beobachtete ich sie aufmerksam und wagte auch noch einen Blick auf ihre Wunde. Wieso hatte sie das getan? Tat das nicht weh? Als hätte jemand eine Tür offen stehen lassen und als träfe mich der kalte Zug, so kam mir langsam eine Erkenntnis und liess mich schaudern. Meine kleine Sklavin tat sich weh. Oft ass ich nichts oder viel zu wenig. Ich hatte keinen Appetit... und genoss es, wenn mir der Magen vor Hunger schmerzte. Diese Art von Schmerz liess mich einige Sorgen vergessen, andere, schöne Sorgen - die Wehmut nach Severa - die ich, den Göttern sei dank, nun ja endlich wiedergefunden hatte, die Einsamkeit oder das Verliebtsein... - schöne Sorgen vertiefte es. Es war verrückt. Doch vielleicht ging es Tilla ähnlich. Zum ersten Mal sah ich sie mit ganz anderen Augen. Sie war mir plötzlich näher. Sie hatte Gefühle, die ich auch hatte, ich konnte sie verstehen. Und gleichzeitig machte mir diese Verwandtheit Angst und stärkte meine Entschlossenheit, sie vor sich zu beschützen. Mich konnte ich nicht retten, aber sie...
    Ich hatte meinen Kopf schief gelegt und musterte sie mit einem schmerzlich-süssen Ausdruck, als sie mich überraschte indem sie mir die beschriebene Tafel reichte.
    Wieder einmal hatte mein Gegenüber soviel teilweise wirres Zeug geschrieben, dass es mir schwerfiel so schnell alles zu verarbeiten und vor allem zu verstehen.
    Obwohl ich mich in meinen verbindenden Gefühlen zu meiner Sklavin bestätigt fühlte - ich konnte Lust und Bitterkeit kaum deuten, aber es klang so vertraut, so innig - versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen. Doch mein Herz klopfte schneller.
    Leider hatte sie mich nicht verstanden; sie dachte mir ginge es um meine Sicherheit. War es mir darum gegangen?? Wohl auch. Aber nicht hauptsächlich. Ich schüttelte innerlich den Kopf über mich. Die ganze Zuwendung, die ich seit meiner Ankunft in Rom erhalten hatte, hatte mich verändert.
    Doch, dass sie es nicht tun würde, weil ich kein Mann wäre, beunruhigte mich wiederum. Sie drohte zwischen den Linien, Corvinus oder andere Männer anzugreifen.
    "Nein! Du darfst Dichnicht verletzen! Und jetzt muss ich es dir erst Recht wegnehmen. Du hast ja fast selber gesagt, dass Du Corvinus ermorden willst..." Ich schluckte. Als sie von Männern geschrieben hatte, waren meine Gedanken zuerst zu Ursus gegangen. Doch das tat jetzt nichts zur Sache. "Wenn er tatsächlich Fhionn hat auspeitschen lassen...", sagte ich zweifelnd - obwohl es mir tatsächlich nicht aussergewöhnlich erschien eine Sklavin zu peitschen, bloss traute ich es Corvinus nicht leichtfertig zu, "dann hatte er sicher einen Grund. Was hat Fhionn denn getan?" Oh, nein. Das war sicher nicht sehr überzeugend für Tilla. Sie war selbst Sklavin und womöglich auch noch Freundin von dieser anderen Sklavin... War das nicht die aus dem Bad mit dem seltsamen Akzent? Einem Impuls folgend wollte ich Tilla versprechen, sie nie zu schlagen, doch als ich noch einmal las, was sie geschrieben hatte, fand ich es gefährlich ihr etwas zu versprechen, was ich im Zweifelsfall nicht würde halten können, auch wenn ich wollte. Was wäre zum Beispiel, wenn sie tatsächlich etwas gegen Corvinus unternehmen sollte?
    Also sagte ich nichts und wartete auf eine Erklärung von Tilla und auf die Ausführung meiner Bitte nach dem Messer.

    Tilla starrte zurück, doch mit meiner Forderung war sie ganz offensichtlich nicht einverstanden. Im Augenblick schien mir das jedoch die einzige Möglichkeit. Ich musste Tilla schützen, notfalls vor sich selbst. Sie war mir lieb geworden in so kurzer Zeit... Naja, und sie war auch mein Besitz.
    So einfach wie möglich, versuchte Tilla mit mir zu kommunizieren, sie wusste ja, dass ich von den Gebärden fast nichts verstand.
    Dass sie das Messer nicht abgeben wollte, kapierte ich aber natürlich, ich hatte es auch nicht anders erwartet, doch ihre Begründung überraschte mich etwas.
    Sklaven hatten überhaupt keinen Besitz. Tilla gehörte mir, daher gehörte auch das Messer mir. Ich schüttelte den Kopf und hielt meine junge Sklavin an ihrem gesunden Arm fest, als sie von mir wegrutschen wollte.
    Ich hatte nicht die Kraft, Tilla festzuhalten, wenn sie wirklich wegwollte, aber ohnehin wollte ich an ihre Vernunft appellieren. Bevor ich mich als ihre Herrin rechtfertigen musste, tat ich lieber zuerst, wonach mir wirklich war.
    "Ich möchte nicht, dass Du dich verletzt! Wenn dir etwas passiert, könnte ich es mir nicht verzeihen..." War das schon zu viel?? War sie mir wirklich so wichtig?? Es war einfach herausgekommen und da mir immer noch etwas schwummerig im Kopf war, machte ich mir weiter keine grossen Gedanken darum. Um meine Argumente noch etwas zu bekräftigen fügte ich nicht ganz fair hinzu: "Du möchtest doch nicht, dass ich Corvinus sage, was Du mit seinem Geschenk anstellst?!" Das war fies, aber es würde vielleicht wirken. Ich schüttelte den Kopf und begrub ihn in meiner freien Hand. Mir war fast zum Heulen zumute. In Griechenland hätte ich die Sklavin sicher gemeldet, ihr das Messer abgenommen und mein Vater hätte sie ausgepeitscht oder verkauft - was war eine Sklavin wert, die sich selbst zerstörte?? Aber hier war niemand, dem ich so vertraute, wie meinem Vater... Bei aller Distanz hatte ich ihm doch vertrau. Und Corvinus hatte etwas mit Tilla gehabt, davon ging ich fast aus. Und Ursus wollte ich auch nichts von meinem neuen Problem erzählen. Von Orestes ganz zu schweigen. Severa würde ich alles erzählen, aber sie würde nicht helfen können.
    Ich fühlte mich elend. Mir kam es vor, als ob ich in einer grausamen Klemme steckte. Ich hatte meine neue Sklavin erwischt, wie sie sich verletzte und hätte sie nun selbst verletzen sollen. Doch das konnte ich nicht.
    Ich holte tief Luft und blickte wieder auf. Ich hielt Tilla noch immer fest. Nochmal schüttelte ich den Kopf und fragte leise: "Wie glaubst Du soll das weiter gehen?"
    Für mich war diese Angelegenheit keine Mücke, sondern ein gewaltiger Elefant und ich hatte keineswegs das Gefühl ich hätte es erst dazu gemacht. Bloss, wenn ich Tilla nicht erwischt hätte... Entweder wär sie jetzt tot. Oder ich hätte es nie gemerkt und diese weitere Sorge wäre mir erspart geblieben.

    ...


    Kurz darauf sah ich wieder etwas. Doch zuerst war alles nur verschwommen und erst als ich Tilla erkannte, die vor mir kniete und mich mit Wasser bespritzte, fiel mir siedend heiss wieder ein wo und warum ich hier war und was passiert war. Was war eigentlich passiert? Tilla hatte sich geschnitten. Mit Absicht! Wollte sie sich umbringen? Nein, sicher nicht, dafür war es eine schlechte Stelle gewesen, soviel kapierte ich. Hatte ich gedacht, sie wolle sich umbringen? Ich wusste es nicht. Auf jeden Fall war Blut geflossen und das und der Schock hatten mich glatt ohnmächtig werden lassen. Mittlerweile konnte ich wieder richtig sehen. Immer noch mit weit aufgerissenen Augen starrte ich meine neue Sklavin an. In ihren Augen konnte ich sehen, dass sie mindestens so erschrocken war, wie ich. Dabei hatte sie sich doch eindeutig mit Absicht geschnitten! Ich blickte langsam von ihrem Gesicht weg und vorsichtig zu ihrem blutigen Arm. Sie hatte eine Binde über die Wunde gelegt, doch das Blut drang durch den Verband. Mir wurde wieder etwas schwindelig, doch ich biss die Zähne zusammen und das kalte Wasser hielt mich davon ab, wieder dem Bewusstsein zu entfliehen.
    Also versuchte ich meine Sprache zu finden, doch das fiel mir nicht leicht, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Warum hatte Tilla das getan? Das war noch nicht ganz bei mir angekommen. Ich sah sie mit einem langen Blick aus einer Mischung von Vorwurf, tiefem Mitleid und verzweifelter Ahnungslosigkeit an. Mir wurde bewusst, dass sie sich und mich in eine ziemlich aussichtslose Situation gebracht hatte. Als ich schliesslich etwas sagen musste, kam nur ein ziemlich kraftloses aber entschlossenes: "Das Messer! Du kannst es nicht behalten!" Mein Gesicht war immer noch blass vom Schock und aus meinen Augen sprach die pure Verzweiflung. Wie war ich hier bloss gelandet und wie kam ich hier wieder weg??

    Gestern hatte Corvinus mir Tilla geschenkt. Das Mädchen hatte mir auch schon ganz gut gedient. Ich mochte sie wirklich gerne. Und das war mir bei einer Sklavin noch nie aufgefallen. Natürlich würde ich ihr das auch - noch - nicht zeigen. Denn schliesslich war sie meine Sklavin und keine Freundin.
    In der letzten Nacht hatte sie weder bei mir im Zimmer geschlafen, noch vor der Tür. Abends war ich zu müde gewesen um noch nach ihr zu suchen. Aber heute Abend ging ich frühzeitig los um sie zu holen. Erst fragte ich Leone, aber er wusste nicht, wo sie sich aufhielt, also lief ich einige Zeit durchs Haus. Als ich im Atrium eine junge Sklavin traf, fragte ich ziemlich barsch: "Wo hält Tilla sich gewöhnlich um diese Zeit auf?" Die kleine schluckte und gab dann schüchtern Auskunft: "Vielleicht ist sie im Schlafraum... Das ist dahinten um die Ecke...", fügte sie eilig hinzu, als sie sah, dass ich mit der ersten Aussage nichts anfangen konnte und wies mir den Weg. Ich nickte kühl und folgte ihrer Weisung.


    Die Tür des Schlafsaals der Sklavinnen war nur angelehnt. Leise stiess ich sie auf.
    Tilla war alleine im Raum. Sie sass bei einer Truhe und hatte mir den Rücken zugekehrt. In der einen Hand hielt sie das Messer, das mir schon bei unserem ersten Treffen aufgefallen war. Ich wollte sie gerade ansprechen, wollte sie anpampen, sie solle mitkommen. Doch da schnitt sie sich. Ich riss die Augen auf und hielt die Hand vor den Mund. Der Schrei, den ich ausstiess war stumm. Als ich sah, wie das Blut aus Tillas Arm rann, spürte ich wie sich alles anfing um mich zu drehen und wie mir plötzlich übel wurde. Ich stiess einen lauten Seufzer aus und hielt mich schnell am Türrahmen fest um nicht umzukippen. "Nein, Tilla!", stiess ich hervor, bevor ich in mich zusammensackte und es für einen Augenblick schwarz vor meinen Augen wurde.

    Was hinter uns vor sich ging, nahm ich kaum wahr. Dass sich die beiden Sklavinnen so grandios missverstehen konnten nicht und vor allem nicht, was Caelyn dachte... letzteres war wohl auch besser so!


    Ich war vielmehr damit beschäftigt, mich mit Ursus zu unterhalten und meine Umgebung wahrzunehmen. Ein Händler bot mir etwas zu Essen an. Ich hatte selten Hunger oder Appetit, aber ich liebte Honigfrüchte. Sie erinnerten mich an einige schöne Tage, die ich in meiner Kindheit gehabt hatte. Die meisten mit Severa, einige mit meinem Vater, wenn er ausnahmsweise seine eisige Distanz zu mir fallen liess und einfach nur mein Papa sein konnte.


    Ich warf also einen Seitenblick auf Ursus. "Darf ich?", fragten meine Augen. Und natürlich durfte ich und griff mir einige Kirschen in Honig, während ich dem Händler ein strahlendes Lächeln schenkte.
    An anderen Tagen hätte ich ihn kalt oder verächtlich angeschaut, doch heute war ich in sehr guter Stimmung und genoss den Ausflug mit meinem grossen Cousin.


    Auf dem Markt war es natürlich voll, wie immer in Rom. Überall waren Menschen, viele davon Sklaven oder einfache Frauen. Viele Jungen die herumlungerten und an allen Ecken Bettler, die mehr oder weniger aufdringlich ihrem Job nachgingen.
    Und natürlich waren die Händler da. Ich suchte nichts Bestimmtes, und wollte auch Ursus nicht zu sehr langweilen, daher schlenderten wir nur an den Ständen vorbei und ich wartete darauf, dass mir etwas besonders Schönes ins Auge fallen würde.

    "Ja, klar! Ich würd den Markt gern sehn und vielleicht... naja, vielleicht finden wir ja auch was Schönes... rein zufällig meine ich!", meinte ich unschuldig. Und dann zeigte sich tatsächlich doch noch die Sonne. Das freute mich, aber noch mehr entzückte mich natürlich Ursus´ Kommentar dazu. Ich warf ihm einen verliebten Blick zu. Er war wirklich gut im Komplimente machen! Doch dann musste ich lachen, es war doch zu absurd gewesen. Während wir also zum Trajansmarkt weiterliefen, die beiden stummen Tratschtanten hinter uns her dackelnd, lachten wir unschuldig gemeinsam. Doch ich merkte, dass ich Ursus wirklich toll fand, auch wenn er etwas alt war. War er das? Oder passte er nicht genau auf die Beschreibung, die ich dieser Aelia auf der Hochzeit gegeben hatte?