Beiträge von Aurelia Laevina

    Mit Crampus war ich geflohen. Als klar war, dass ich ein Kind kriegen würde - und dass es nicht von Durus sein konnte - hatten wir eines Tages entschieden, einfach fortzugehen.
    Crampus hatte einen ehemaligen Kameraden mit dem er in Germanien im Feld gestanden hatte, der mit Land in Parthien entlohnt worden war und sich dort als Bauer niedergelassen hatte. Zunächst strebte sich in mir alles dagegen noch weiter weg von Rom zu reisen, noch weiter weg von meinen Cousinen, noch weiter weg vom wahren Leben.
    Doch mein Schuldbewusstsein - und gleichzeitig meine Dankbarkeit gegenüber Crampus, der mich ja auch hätte einfach im Stich lassen können - wog so schwer, dass ich auch mangels Alternativen mit ihm gehen musste.
    Er verbot mir einen Abschiedsbrief zu schreiben. Weder Durus noch meine Cousinen durfte ich benachrichtigen. Es wäre zu gefährlich gewesen.
    Den Bediensteten erklärte ich, ich würde einige Zeit, möglicherweise sogar einige Wochen, in einer Herberge wohnen, in der ich Anwendungen mit dem Wasser aus den heiligen Quellen kriegen würde und mich endlich richtig entspannen könnte.
    Tatsächlich aber brachen wir noch an dem Tag auf. Zunächst mit einem geliehenen Wagen - Crampus hatte zum Glück viele Bekannte im ganzen Imperium - dann mit dem Schiff nach Alexandria und von dort aus weiter mit einem anderen Schiff in den Osten.
    Für eine schwangere Frau, die den Luxus der adeligen römischen Stadtbevölkerung gewöhnt war, wie mich, war dies wahrlich keine angenehme Reise.
    Aber mir blieb nichts anderes übrig und so biss ich die Zähne zusammen und hielt durch - zumal Crampus stets einfühlsam auf mich aufpasste und immer um mein Wohlergehen besorgt war.
    Nun bin ich fast am Orte unserer gemeinsamen Zukunft angekommen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass mein Leben eine solche Wendung nehmen könnte. Aber es ist wohl der Wille der Götter. Oder meine eigene Schuld. Manchmal beschleichen mich furchtbare Zweifel, ob es überhaupt ein Leben ist, das ich führen will.
    Aber eine zärtliche Umarmung meines Mannes oder ein Treten meines ungeborenen Kindes bedeuten mir, dass ich etwas habe um zu leben, um diesen Neustart zu wagen...

    Ein Bote der Tiberier, brachte diesen versiegelten Brief aus Baiae.



    Ad Aurelia Prisca
    Villa Aurelia
    Roma


    Meine liebe Cousine!


    Geht es Dir gut? Bist Du, seid ihr alle, wohlauf? Ich bin gesund und meist fröhlich. Ich schreibe Dir aber in einer etwas ernsteren Angelegenheit.
    Wie Du sicher mitgekriegt hast, bin ich nicht mit Durus aus Baiae zurückgekehrt. Ich werde wohl auch noch eine Weile hier bleiben. Die Luft und die Quellen tun meiner Gesundheit sehr gut...
    Ich schreibe Dir, weil ich dieses inhaltslose Geplänkel nicht mehr länger allen vorspielen kann. Es ist etwas ganz und gar aussergewöhnliches, unerwartetes und aufregendes passiert. Ich möchte beinah sagen etwas wundervolles und furchterregendes. Ich denke, ich habe hier in Baiae mein Herz verloren. Ich fühlte mich endlich gewertschätzt und gehalten. Ich würde Dir so gern mehr berichten, aber ich habe Angst, präziser zu werden. Du musst Dir deinen Teil denken.
    Ich weiss nicht, was ich tun soll. Ich geniesse mein Leben wie nie zuvor, gleichzeitig habe ich solche Angst. Ich kann unmöglich nach Rom zurückkehren. Doch gleichzeitig weiss ich nicht, wie lange ich es hier, wo mich mein Gewissen Tag und Nacht quält noch aushalte. Versprichst Du mir als meine beste Freundin und geliebte Cousine absolute Verschwiegenheit und Unterstützung? Ich zähle darauf und umarme dich tausendmal. Ich vermisse Dich!!


    Deine verliebte und verzweifelte Cousine,


    Aurelia Laevina


    P.S.: Bitte verzeih diese unordentlichen Zeilen, ich bin ganz durch den Wind und habe solche Angst, der Brief könnte abgefangen werden oder ähnliches. Ich bin mir sicher, Du verzeihst mir.


    P.P.S.: Ist Hektor mit Nachricht aus Ägypten zurückgekehrt? Er hat einen Siegelring und ein Messer von mir! Nimm es ihm bloss ab! Ist meine Tilla wieder aufgetaucht? Ich vermisse auch sie. Sie war eine sehr brave und liebe Dienerin, die mir mit ihrere emotionalen Art ans Herz gewachsen ist! Bitte nimm sie unter Deinen Schutz, ich schenke sie Dir schweren Herzens, da ich nicht weiss, wann und wie ich zurückkehren kann. Gleichzeitig bin ich aber in dem Bewusstsein, dass Du dich gut und liebevoll ihrer annehmen wirst.


    P.P.P.S.: Nur zu Deiner Information: Es schmerzt wenn es kalt ist - heiss und gehalten ist es unbeschreiblich schön. ;)


    In den ersten Wochen hatte ich mich furchtbar gelangweilt. Zwar konnte ich ein wenig Zeit am Bette meines Gatten verbringen, doch wurden mir die Stunden hier schnell lang. Durus schien sich nicht weiter für mich zu interessieren und alle Hoffnungen, die ich in die Ehe mit diesem erfahrenen Mann gesetzt hatte, wurden enttäuscht.
    So verbrachte ich mehr und mehr Zeit in der Stadt, in den Bädern oder auf dem Markt.
    Auch pflegte ich Kontakt zu den Bewohnern der Villen der Umgebung.
    Zwei Häuser weiter, was hier auf dem Land schon eine wirkliche Entfernung bedeutete, lebte ein altes Paar. Da der Herr des Hauses senil und ans Bett gefesselt war, verbrachte ich einige schöne Stunden mit der Dame. Sie, wie ich, war in Griechenland aufgewachsen und so verband uns die gemeinsame Vergangenheit. Ich liebte es, ihren Geschichten zuzuhören und lernte meine Spinnkünste zu verbessern.
    Eines Tages traf der Sohn des alten Paares ein. Er war Offizier und nach einem Feldzug nun längere Zeit in Baiae in der Verwaltung stationiert. Titus Dominicus Crampus war sein Name und er war ein Traumbild von einem Mann.
    Als ich wieder einmal mit der Dame im Garten saß, kam Crampus hinzu, der - obwohl es reichlich kühl war - in der See gebadet hatte. Ich konnte nicht umhin ihn zu bewundern - er war ein richtiger Mann und das sagte ich ihm auch. Ich schien ihm auch zu gefallen, auf jeden Fall lud er mich bald zu ausgedehnten Ausritten ein. Ich nahm die Einladungen gerne ein. Crampus konnte so entzückende und gleichzeitig erschreckende Geschichten erzählen.
    Begeistert berichtete ich auch Durus von meinen und unseren Erlebnissen. Es schien ihm nichts auszumachen. Vielmehr war er zufrieden, dass ich etwas zu erzählen hatte und richtete wiederholt seine Grüsse an Crampus aus.


    Wenige Tage bevor ich mit Durus zurück nach Rom kehren sollte, traf ich mich abends mit Crampus um den Sonnenuntergang zu beobachten. Er hatte mich explizit zu seinem Lieblingsplatz eingeladen.
    Die Sonne versank wunderschön im Meer und als mir kalt wurde, lehnte ich mich etwas an Crampus. Doch dann wurde es dunkel.


    Effi Laevina schrak zusammen. Bis dahin waren Luft und Licht um sie her gewesen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten sich über ihr. Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest ineinander, um sich einen Halt zu geben Gedanken und Bilder jagten sich, und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die »Gottesmauer« hieß, und wie das Mütterchen, so betete auch sie jetzt, daß Gott die Götter eine Mauer um sie her bauen möge. Zwei, drei Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einemmal fühlte sie, daß es tote Worte waren. Sie fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus. »EffiLaevina«, klang es jetzt leise an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an. Fontane, Effi Briest


    So kam es, dass ich durchaus nicht mit Durus zurück nach Rom fahren konnte und wollte. Der Wunsch, hier zu bleiben, wo ich mich endlich festgehalten und aufgehoben fühlte und gleichzeitig mein Gewissen, dass mich stets plagte, wenn ich mich mit meinem Ehemann in demselben Raum mich aufhielt, machten es unmöglich.
    Als er mich also rief, ich solle meine Sachen packen, wandte ich ein, es gefalle mir so gut hier in Baiae. "Die Seeluft tut mir so gut, ich habe mich selten so gesund und lebendig gefühlt. Ausserdem habe ich hier Ruhe von der grossen Stadt und einige gute Freunde gefunden. Wenn Du mich noch eine Weile entbehren kannst, so lass mich doch hier zurück. Hier in der Villa bin ich bestens versorgt und der Verwalter kann auf mich Acht geben."
    Ich hoffte inständig, dass Durus meine Ausreden akzeptieren würde und keinen Verdacht schöpfen würde, sondern wieder seinem gewohnten Alltag nachkommen würde. Dabei wäre ich ihm ohnehin nur im Weg.

    Ich hatte wirklich selten so gefroren. Durus hatte sein Bestes gegeben und mich mit allen möglichen Tüchern und Decken eingewickelt, doch es half alles nichts. Und zu meiner Enttäuschung war es auch nicht wärmer, als wir in Baiae ankamen. Umso mehr freute ich mich auf die berühmten warmen Quellen!


    Und dann geschah das Unglück, als wir die Villa - die wirklich ansehnlich war - betraten. Durus stürzte! Und er war nicht der einzige der schrie. Die Männer um ihn herum wurden blass und ich kreischte auf! Das sah böse aus! Und Durus sagte nichts mehr. Einen kurzen Moment dachte ich: "Oh ihr Götter, jetzt ist er gestorben!" Doch zum Glück wurde mir sehr viel schneller wieder klar im Kopf als meinem armen Mann und ich fing an die Sklaven und den Verwalter und Sekretär anzukeifen. "Tut doch endlich etwas! Helft ihm doch! Holt einen Arzt!!!"


    Während Durus verarztet wurde, liess ich mich von einer der älteren Bediensteten beruhigen. Ich war dem Weinen nahe, weil ich nicht wusste, was wohl los war.
    Etwas später kam ein Sklave im Auftrag des Verwalters zu mir und bestellte, Durus sei aufgewacht, sein Bein sei gebrochen und man würde wohl bis zu einem Monat hier bleiben. Sofort dachte ich an den Hilferuf, den ich Septima zukommen lassen durfte. Doch die war viel zu sehr mit ihrer Hochzeit beschäftigt!
    Also eilte ich zu Durus. Die ersten Tage hielt ich ihm seine Hand, sass an seinem Bett und spann (tatsächlich kam ich ganz gut wieder rein!). Doch bereits nach kurzer Zeit wurde es mir zu langweilig und als er schliesslich von sich aus sagte, ich solle doch in die Stadt gehen und die Quellen ausprobieren, war ich erleichtert - und er wohl auch. So versuchte ich meinen Urlaub zu geniessen, immer wohl bedacht darauf, mein schlechtes Gewissen zu bedienen, mein armer Mann lag immerhin krank im Bett...

    Oh, nicht nur der Haushalt war aufgeregt - ich selbst befand mich in einem Zustand äusserster Freude. Wie lange hatte ich die Stadt nicht mehr verlassen? Ich würde zwar nicht zurück nach Griechenland reisen, doch Durus hatte mir bereits von seinem Landgut vorgeschwärmt - und vieles aus seinen Erzählungen erinnerte mich an meine eigene Kindheit. Rom stank und war furchtbar laut. Die Anstrengungen der Einarbeitung der letzten Wochen war insgesamt doch sehr anstrengend gewesen. Es würde gut tun, mal all das hinter sich zu lassen. Dass ich nicht auch meinen Gatten hinter mir lassen konnte, war selbstverständlich und vielleicht auch ganz gut. Vielleicht konnte ich ihm weit weg von allem Alltagsstress noch ein wenig näher kommen. Ich hatte die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, dass er mir eine Menge der Nähe und Geborgenheit geben konnte und würde, nach der ich mich verzehrte.


    "Na, vielen Dank!", sagte ich fröhlich auf Durus´ Kompliment hin. Mir war bewusst, dass er es gesagt hätte, egal wie furchtbar ich ausgesehen hätte. Aber heute war wirklich einer dieser schönen Tage, an denen ich mich selbst betrachtete und mich nicht der Schrecken erfasste.


    Septima war da, um uns zu verabschieden, was mich sehr freute, sie war mir in der kurzen Zeit doch sehr ans Herz gewachsen, auch wenn ich sie immer noch für älter hielt, als sie war - vielleicht suchte ich in ihr auch nur die Mutter- oder Grosse Schwester-Person, die mir sonst in diesem Hause fehlte - die mir im Prinzip schon immer gefehlt hatte.


    Obwohl ich mich freute, die Stadt zu verlassen, wusste ich Septimas Angebot sehr wohl zu schätzen und zwinkerte ihr gutgelaunt zu.
    "Ach was, in Baiae ist es wunderbar warm!", lachte ich zuversichtlich und bestieg an der Hand meines Gatten die Sänfte. Als sie sich in Bewegung setzte, winkte ich noch eine kurze Weile zurück.

    Das letzte alte Ritual war mit Abstand das Seltsamste. Ich hätte mich sehr geschämt, immerhin verstand ich, was diese Zeremonie symbolisierte, wenn nicht alle andern es für ganz normal gehalten hätten. Manchmal waren die ganzen Rituale, die unser Leben seit hunderten von Jahren begleiteten ja sehr schöne Traditionen aber manchmal fragte ich mich auch, wozu das Ganze. Wir waren ja immerhin kein Volk von Bauern mehr.
    Es fühlte sich auch seltsam an, als ich Platz nahm, doch ich konnte mich ja schnell wieder erheben und nun war wirklich alles vollbracht. Nachdem ich kurz Durus angeschaut hatte, beneidete ich fast die anderen Gäste ein wenig und fragte mich ob Prisca nicht auch sehr froh sei, dass sie sich nun weiter betrinken konnte und nicht in meiner Lage war. Andererseits half der Wein, der bei mir natürlich bereits wirkte, jetzt wo ich wieder in der warmen Luft der Villa war, spürte ich ihn wieder. Ich konnte ganz normal gehen, dachte ich zumindest - nicht wie die Besoffenen auf der Strasse. Aber alles, was ich mitkriegte war fast wie durch eine Art Filter. Es schien alles etwas fern und langsam und... unwichtig. Obwohl mir natürlich klar war, wie wichtig das alles und das Kommende insbesondere waren. Trotzdem konnte ich es nicht so ernst nehmen und musste sogar kurz leise kichern, als ich auf dem Fascinum saß. Das hatte aber hoffentlich niemand mitgekriegt. Doch dann war schon alles vorbei und ich wartete nach dem Gebet auf Albina um ihr in unser Schlafgemach zu folgen. Die Stunde der Wahrheit rückte näher.

    Ich folgte Septima in das mir wohl bekannte Zimmer. Dass sie die gleichen Gedanken (nicht) hatte, die auch mich überraschten, konnte ich nicht ahnen.
    Das war vermutlich auch besser so, ich wurde schon so etwas rötlich im Gesicht und ärgerte mich über meine Dummheit.
    So war ich froh, dass meine neue Freundin mir Gelegenheit gab, von mir abzulenken und den Nachttisch zu untersuchen. Etwas seltsam kam ich mir allerdings schon vor. Ich öffnete eine Schublade, in der Papiere lagen, Neugier packte ich mich, doch mit einem raschen Seitenblick auf die Tiberia, die eben noch gesagt hatte, dass wir NICHT schnüffeln wollten, schloss ich das Schränkchen wieder und strich wie sie mit dem Finger über die Oberfläche. "Alles in Ordnung!", stellte ich lächelnd fest.
    Aber putzen konnte ja nicht meine einzige Aufgabe in diesem Haushalt sein.
    "Wollen wir in der Küche vorbeischauen?" Ich liebte die Küche auch wenn ich nicht sonderlich gerne ass beziehungsweise mir etwas schwer damit tat. Doch die Gerüche und Farben in einer guten Küche hatten mich stets fasziniert. Und die der Tiberier hatte ich noch nicht einmal betreten. Da fiel mir noch etwas ein, was vielleicht gut wäre zu wissen: "Kennst Du das Lieblingsessen... oder den Lieblingswein meines Mannes?", fragte ich neugierig. Es konnte immerhin sein, die Septima lebte immerhin schon viel länger mit ihm zusammen als ich.

    Ich versuchte dem Gespräch zu folgen und kriegte mit, dass es um ein gemeinsames Bad von Celsus und Septima ging, das die Letztere angeboten hatte. Das kam mir selbst auch sehr seltsam vor, vor allem anbetracht der Reaktion meines "Adoptivsohnes" und dem Grinsen meiner ...Stiefcousine?
    Durus betrat den Raum und ich begrüsste ihn freudig. Tatsächlich hatte ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass er mir ein wenig von der Nähe und Wärme geben könne, die ich mir so sehr wünschte. So plazierte ich mich auch so auf der Kline, dass ich ihn berührte und es tat gut, ihn dort zu spüren - es gab mir Sicherheit.
    Als Celsus ihn - wohl um Septima zu ärgern, wie ich es verstand - ebenfalls einlud und er zustimmte, warf ich mutig ein: "Da werde ich euch auch gerne begleiten!" Ich versuchte es ganz neutral zu sagen, wurde aber leicht rot, irgendetwas schien mir seltsam an der ganzen Sache. Ich konnte es aber auf jeden Fall nicht leiden, aussen vor gelassen zu werden. Versuchte Celsus, mich auszuschliessen? Mich auszustechen? Das würde ich nicht durchgehen lassen. Oder er wollte ich meiden. Das war auch mein eigener Wunsch - aber ich wollte ihm den seinen auf keinen Fall erfüllen. Zudem wollte ich mich irgendwie in das laufende Gespräch einbringen. Als es überging zu Wagenrennen und den Vestalinnen war es schwer für mich, mich zu entscheiden, was langweiliger für mich war.
    Immerhin schien Septima ihre Ansicht über den Kult der Vesta zu teilen. Viel mehr als auf ein blödes Feuer aufzupassen, taten die Damen wohl nicht. Aber vielleicht würden wir ja gleich eines besseren belehrt. Ich wartete also aufmerksam auf die Antwort der imposanten Claudia.


    Wie aufgefordert, griff ich bei den Platten zu, nahm mich jedoch bald zurück. Ganz im Gegensatz dazu genoss ich sehr den Honigwein. Köstlich! Schon bald liess ich mir ebenfalls von einem der Sklaven nachschenken.

    Das Thema hatte sich zu so technischen Dingen gewandt, dass ich mich nicht beteiligen konnte, wollte oder musste, was mir sehr recht war, weil ich mich gerade sehr unsicher fühlte und auf keinen Fall riskieren wollte, erneut in Tränen auszubrechen.
    Vielmehr hielt ich mich zurück und versuchte bei der nächsten Gelegenheit, der gespannten Stimmung, die ich zwischen Durus und mir empfand, zu entfliehen.


    Als mein Gatte damit anfing, Celsus die Adrogatio zu erklären, war der Entschluss endgültig gefallen. Ich musste hier weg!


    "Würdet ihr mich bitte entschuldigen? Ich habe noch eine Verabredung mit meiner Cousine einzuhalten." Das war gelogen. Allerdings hatte ich fest vor, Prisca entweder zu schreiben oder sie tatsächlich zu besuchen. Nur einen Termin hatte ich nicht. "Kann ich mich zurückziehen oder werde ich noch gebraucht?" Leicht zynisch war diese Frage, da ich mich tatsächlich völlig unnütz fühlte. Weder als Mutter noch als Ehefrau oder Gesprächspartner war ich wirklich benötigt - und was noch schlimmer war - geeignet.
    Was für ein furchtbarer Tag.

    Natürlich bemerkte ich, wie anstrengend es für Durus war, mich zu tragen, doch ich ließ mir nichts anmerken und zog zwei mögliche Schlüsse.
    Entweder ich musste dringend abnehmen - oder ich musste Durus zum Marsfeld scheuchen und in die Thermen. Dort würde er ab jetzt nicht mehr faul rumhängen und Politik machen, sondern sich selbst trainieren. Ein Mann, der kaum in der Lage war, seine Frau über die Türschwelle zu tragen - das war doch wirklich eine Schande. Und schade war es auch.
    Die fiesen Gesänge hörten nicht auf und nur mit Mühe gelang es mir, sie zu ignorieren. Doch tatsächlich wich der Mut mit jedem Schritt, den ich in mein neues Heim tat. Ich nahm würdevoll und aufrecht die Insignien der Hausherrin - Feuer und Wasser - entgegen und stellte sie wie geplant vorsichtig ab. Hiermit war ich nun Herrin des Hauses.
    Zum Glück hatte meine pronubia mich gut auf den Abend vorbereitet - als nächstes war ich dran.
    Die Asse, die ich mitgebracht hatte, verteilte ich überlegt aber zügig. Eins plazierte ich in Durus offener Hand und schenkte ihm ein süsses Lächeln. Das zweite legte ich unter dem Murmeln eines Gebetes, das so alt war, dass ich es selbst nicht verstand, im Hausschrein.
    Schliesslich musste ich das Haus erneut verlassen und verbeugte mich vor dem nächstgelegenen Schrein an der nächsten Straßenecke. Als wäre es das Heiligste der Welt legte ich vorsichtig die verbliebene Münze auf den kleinen Altar und wandte mich dann langsam wieder dem Haus zu.
    Drinnen und bei Durus angekommen wusste ich, dass es nun bald "ernst" werden würde. Nur eine Zeremonie stand mir noch bevor, die ich als äusserst peinlich empfand. Dann würden Durus und ich uns sicher bald zurückziehen können.

    Angekommen an meinem neuen Zuhause war ich froh, dass ich Prisca, die uns treu gefolgt war, einen nach Sicherheit suchenden Blick zuwerfen konnte. Ich fasste Mut, als mein Gatte mit den Ritualen begann und nahm anschliessend das Öl entgegen.
    Nicht gerade sparsam rieb ich den Türramen damit ein, ich wollte auf keinen Fall etwas falsch machen - nachher war es noch zu wenig und einer der Gäste oder noch schlimmer der anwesenden Priester würde einen Einwand gegen den Vorgang haben.
    Auch die Spindel und die Wolle nahm ich entgegen.
    Natürlich hatte ich spinnen gelernt, auch wenn ich keine Mutter gehabt hatte, die es mir hätte beibringen konnte. Ich hatte meinem Vater sogar einmal ein Tuch gefertigt und es ihm zum Geburtstag geschenkt - das war allerdings Jahre her und ich war etwas ausser Übung. Trotzdem war das Ergebnis nun ganz ansehnlich und bald war der Türrahmen so umwickelt, wie es sein sollte, wie ich es mit Tiberia Albina abgesprochen hatte.
    Nun würde Durus mich in sein Haus tragen, er würde mich endgültig zu seiner Frau machen. Aufgeregt und freudig strahlend, blickte ich ihn erwartungsvoll an und nahm nur noch ihn wahr. Die Menge, die etwas geschrumpft war - beim beschwerlichen Gang erwiesen sich die wirklich guten Gäste - verschwand und ich suchte Zuneigung, vielleicht in meiner Naivität sogar Liebe in Durus Augen.

    Die Claudia dankte mir für meine Gastfreundschaft... als Hausherrin! Das war schon ein seltsames, ein gutes Gefühl. Wenn da nicht nur diese Verantwortung gewesen wäre, die mich jederzeit hinunterdrückte.
    Auch Tiberia Septima schien sich über mein Kommen ehrlich zu freuen. Ich freute mich auch aufrichtig, hier zu sein - weniger allerdings über ihre Frage zu meinem Zuspätkommen.
    Leicht errötend erklärte ich - nachdem ich mich für die Wahrheit entschieden hatte: "Ich bin leider etwas einge... schlafen... Ich habe wohl in der letzten Nacht nicht allzu gut geschlafen." Das mussten sie sicher auch kennen!? Mir schien es zumindest ein sehr guter Grund zu sein - abgesehen davon entsprach es ja auch durchaus den Tatsachen - lediglich die Gründe für meine schlaflose Nacht hatte ich verschwiegen.
    Ich versuchte dem laufenden Gespräch zu folgen, hatte aber einige Schwierigkeiten, es ging wohl um die Thermen...
    Zum Glück erlöste uns mein lieber Gatte in diesem Moment, indem er den Raum betrat und sich mit seinen Amtsgeschäften entschuldigte. Das war wahr - er hatte wirklich fuurchtbar viel zu tun! Das hatte ich auch schon zu spüren bekommen - wenn gleich ich ihm daraus keinen Vorwurf machte.
    Etwas unschlüssig schien er sich neben mich zu stellen, doch sicher würde Septima ihren Plan, sich umzusetzen sogleich umsetzen.;)

    Ich kriegte zum Glück nicht näher mit, was mit Ursus in den letzten Minuten des Mahls geschah, sonst wär ich womöglich zu allem Überfluss auch noch eifersüchtig geworden...
    So konnte ich mich auf die Aufregung konzentrieren, die sich nun breit machte. Die Feier war vorbei, nun kam der Zug zu meinem neuen Heim, der Moment, der mir gleichermaßen Angst wie auch Spannung bescherte rückte immer näher.
    Ich war froh und erleichtert, als Durus Frau den Part meiner Mutter übernahm, irgendwie hatte ich daran gar nicht mehr gedacht. Einmal mehr wurde mir bewusst, wie sehr man sich um mich kümmerte! Würde sich das jetzt ändern? Aber nein, da war ja noch der Räuber, Durus. Er würde sich in Zukunft um mich sorgen. Strahlend nahm er sich an meine Seite und nachdem die Fackel, die von dem jungen Flavier vor uns hergetragen wurde, entzündet war, konnte der Zug losgehen.
    Auf der Strecke war mir zunächst kalt, doch wenig später ging es mir wie meinem Gatten: Der Weg war weit und Rom wird nicht zu Unrecht die Stadt auf den sieben Hügeln genannt. Ich hätte nichts einzuwenden gehabt, hätte er mich schon jetzt - bis zur Türschwelle - getragen. Aber natürlich ging das nicht.
    Die frische Luft nüchterte mich merklich aus - was ich ein wenig bereute.
    Als ich die Spottlieder der Gäste hörte, die eigentlich Durus gewidmet waren, bekam ich ein wenig Angst. Ich drückte Durus und hoffte, er würde sehr lieb und sanft zu mir sein!
    Ansonsten kriegte ich nicht viel mit von den Menschen die unseren Zug begleiteten: Der Wein und die Aufregung, das viele Neue und das seltsame Gefühl eines starken Mannes an meiner Seite machte mich ein wenig benommen.

    Während die Männer weiter über ihr ursprüngliches Thema, die Adoption, sprachen, versuchte ich meine Einsamkeit hinunterzuschlucken. Ich musste wirklich dringend mal wieder Prisca besuchen. Sie würde mich verstehen und sie würde mich halten und ich könnte vielleicht sogar richtig weinen. Andererseits war es sicher nicht gut, wenn ich mich zu sehr an zuhause gewöhnte, das war nun Vergangenheit. Und in der Vergangenheit herumzuhängen half nichts - selbst wenn die Gegenwart gerade nicht so angenehm war.
    Meine Augen weiteten sich, als Durus meine Bitte einfach überging, mein eigener Sohn (hoffentlich würde ich einen haben) möge eine besondere Stellung haben. Musste ich Durus nun soweit vertrauen, dass er das sicher in den Vertrag übernehmen würde? Das fiel mir wirklich schwer, da ich jedoch nicht erneut zum Grund für eine Blamage werden wollte und schon genug aufgefallen war, hielt ich mich zurück.
    Als Celsus mich anlächelte, etwas verunsichert, kämpften ganz unterschiedliche Gefühle in meinem Herzen. Wut und Hass liess ich nicht zu, schliesslich konnte Celsus nicht wirklich viel dafür, oder doch?! Ich war mir sehr unsicher. Andererseits lächelte er mich freundlich zu und jede Spur von Zuneigung und Halt konnte ich in diesem Augenblick gut gebrauchen, so versuchte ich ein kleines Lächeln zurückzugeben, was aber ebenfalls nur unzufriedenstellend gelang.


    Die Erleichterung war gross, als mein Mann doch noch auf meinen Wunsch zu sprechen kam. Ich hielt erschrocken die Luft an, es klang, als hätte ich etwas gegen Celsus, bis Durus gerade noch rechtzeitig hinzufügte, dass es auch sein Wille sei. Daraufhin nickte ich leicht und erleichtert. Ich betete inständig, Celsus würde nicht allzu unzufrieden reagieren. Hoffentlich würde er diesen Wunsch einfach akzeptieren, auch wenn er nicht in seinem eigenen Interesse liegen konnte. Dabei hatte ich nicht Angst, dass Celsus selbst meinen Mann umstimmen konnte, wenn er unzufrieden war. Vielmehr fürchtete ich um Durus Willen, diese Klausel wirklich umzusetzen. Erst wenn Celsus zustimmte, wenn alles auf dem Papier und rechtskräftig war, würde ich aufatmen können.
    Aufmerksam aber eher gelangweilt verfolgte ich, wie die Männer sich über die unterschiedlichen Gruppen und Kulten unterhielten, denen mein zukünftiger Adoptivsohn beitreten sollte.
    So war ich überrascht und unfähig schnell und sinnvoll zu reagieren, als Durus mich nach einem passenden Ehepartner für Celsus fragte.
    Spontan sagte ich also: "Ich habe einige Cousinen..." Mir fiel aber auf, wie seltsam, ja furchtbar es für mich wäre, wäre Prisca oder eine der anderen mit Celsus liiert, also fügte ich schnell hinzu: "Aber ich fürchte die sind alle so gut wie vergeben... Ich werde mich aber mal umhören, wenn Du gerne möchtest!" Es war wirklich sehr seltsam, Celsus in seiner neuen Rolle zu sehen. Viel lieber hätte ich ihn als Freund oder Bruder gehabt, der mich fest in den Arm nehmen konnte. Ich fühlte mich schlecht, weil ich von diesem Gedanken nicht fortkam. Doch gleichzeitig empfand ich dem jungen Tiberier gegenüber eine tiefe Abscheu. Konkurrenzdenken, auch Neid spielten hier eine Rolle, aber auch die Tatsache, dass er mich so schwach gesehen hatte.
    So stand fest, dass ich mich mit Sicherheit nicht mit all meiner Kraft um eine passende Gattin für ihn umschauen würde und erst Recht aus meiner Familie konnte es niemand sein. So hatte ich ganz andere Gründe als mein Ehemann, auch an die anderen patrizischen Familien zu denken.

    Durus sah wirklich hervorragend aus an diesem Abend! Und er machte eine sehr gute Figur als Gastgeber. Ich himmelte ihn von der Seite an und streichelte sogar kurz über seinen Arm, worauf ich leicht errötete. Doch zugleich war ich dankbar, dass er nicht krampfhaft versuchte, mich in ein Gespräch zu involvieren. Das würde ich schon selbst tun, wenn mir danach war.
    Natürlich probierte ich das Omelett, das er mir anbot. "Uh, wirklich vorzüglich!", sagte ich, denn es schmeckte mir wirklich sehr gut. Ich spülte den Bissen mit einem grossen Schluck Wein runter.
    Ich fühlte mich etwas müde aber glücklich und blickte mich noch einmal im Raum um. Ich erblickte Ursus, der sich angeregt mit einem wichtigen Mann und dessen Ehemann unterhielt. Sie waren mir mit Sicherheit vorgestellt worden, doch ihre Namen waren mir natürlich längst entfallen. Als ich den Kopf also zu meinem Lieblings... -Verwandten drehte, der fast noch etwas besser aussah als mein alter Gatte, spürte ich wie sich das Bild vor meinen Augen einen kleinen Moment später bewegte, als mein Kopf. Als ich den Kopf überrascht stillhielt dauerte es einen winzigen Moment bis auch das Bild angehalten hatte. Fasziniert wackelte ich sachte mit dem Kopf von einer Seite zur anderen und beobachtete völlig hingerissen diese neue, ungeahnte physikalische Sensation. Dabei grinste ich Ursus breit an und winkte ihm unauffällig zu, als er meinen Blick schliesslich auf sich "lasten" spürte.
    Wenn er nur wüsste, was ich von ihm hielt, was ich über ihn gedacht hatte und wie sehr ich seine Nähe genossen hatte. Diese Gedanken, die bisher immer mit schlechtem Gewissen und Angst verbunden gewesen waren, waren plötzlich sehr lustig. Sicher lag das daran, dass ich nun verheiratet war und eh nichts mehr zu denken blieb...

    Der Streit war vorbei. Durus hatte mich gekränkt und ich hatte es hingenommen. Aber ich hatte das Gefühl, dass es ihm zumindest Leid tat, dass er es mir nicht gesagt hatte. Ich konnte ihn wieder anschauen ohne wütend auf ihn zu sein oder enttäuscht. Aber ein flaues Gefühl blieb.
    Während ich mir die Tränen gehorsam von der Wange wischte - denn er hatte natürlich Recht; eine römische Patrizierin zeigte keine Tränen! - versuchte ich mir klar zu werden darüber, was nicht stimmte. Denn ich fühlte mich immer noch unverstanden - verloren - allein. Und meine Angst vor der Zukunft, vor meinem Versagen, vor der ganzen Ungewissheit und vorm Leben - davon hatte Durus mich nicht befreien können.
    Er hatte mich nicht umarmt. Er wollte mir eine Stütze sein. Aber wie konnte er das sein, wenn ich zwar an ihm lehnen durfte, er mir aber nur durch´s Haar fuhr? Ich wollte gehalten werden. Ich brauchte so dringend jemanden, der mich hielt, der mich fest hielt und mir sagte, dass alles in Ordnung kommen würde. Durus hatte es mir nicht gegeben.
    Sicher war er einfach noch zu gestresst. Er hatte sicher andere Gedanken im Kopf. Schliesslich war er Consul.
    Ich machte mir Vorwürfe: Wie konnte ich mir einbilden, dass er mir das geben konnte, was ich zu brauchen meinte? Wie hatte ich so egoistisch sein können, Durus Emotionen für mich haben zu wollen, wo er einer der wichtigsten Männer im Reich war?
    Wahrlich, er hatte andere Aufgaben...
    Die Enttäuschung, die Wut und die Verlassenheit schlugen um in Hass auf mich selbst.
    So fiel es mir etwas leichter, meinen Kloss im Hals hinunterzuschlucken und die Tränen zu stoppen. Ich nickte Durus zu und er liess Celsus hinein.
    Ich verfolgte das Gespräch aufmerksam, schaute ernst und vielleicht ein bisschen traurig. Doch ich wagte es nicht, Celsus anzuschauen. Ich hatte solche Angst, er könne mich durchschauen. Er würde mich anschauen und all das sehen, was ich verbarg - meine Angst, meinen Selbsthass, meine Einsamkeit. All das, was Durus nicht sehen konnte.