Beiträge von Marcus Achilleos

    Inzwischen hatte ich genügend Geld zusammen gekratzt, um Rediviva Helena's Sklaven zurück nach Tarraco zu schicken. Ich gab ihm noch einen Brief mit.



    Salve Helena,


    ich fasse mich kurz. Dein Sklave wurde hier in Alexandria überfallen und es hat mich leider einige Zeit gekostet, zumindest das Geld für seine Überfahrt zu verdienen. Für mich reicht es leider nicht mehr, aber das wird sich demnächst hoffentlich ändern, da ich eventuell für die Stadtwache arbeiten werde oder für das Museion. Leider werde ich in nächster Zeit dadurch wohl keine Möglichkeit haben, nach Tarraco zu reisen. Ich werde Dich bei nächster Gelegenheit besuchen. Ich kann nur leider nicht sagen, wann das ist. Ich gebe Dir aber mein Wort, dass wir uns kennenlernen werden.


    Vale


    Marcus Achilleos

    Das kleine Haus, das hier stand, sah nicht wirklich vertrauenserweckend aus, aber es war ein Anfang. Stück für Stück würde ich hier meine Akademie errichten. Ich würde viel Arbeit hinein stecken müssen, wenn ich keine Geldgeber fand. Aber dafür würde ich mit meinen eigenen Händen arbeiten. Das wäre sicher eine ganz neue Erfahrung. Die Akademie würde grob nach den Plänen gebaut werden, die eigentlich einmal ein Haus für mich in Han werden sollten. Ich war mir zwar nicht mehr sicher, warum ich die Pläne mitgenommen hatte, aber hier würden sie mir sicher nutzen. Die Ausrichtung des Grundstücks war zumindest schon mal gut. Vielleicht ein Zeichen der Götter? Ich wusste es nicht, aber ich würde darüber mal nachdenken. Was ich wusste, war, wie ich vorgehen würde. Als Allererstes musste eine mannshohe Mauer um das Grundstück gebaut werden. Ich würde also Lehmziegel benötigen. Jede Menge Lehmziegel. lehm gab es ja genügend am Ufer und trocknen konnten sie auf meinem Grundstück in der Sonne.


    In der Nähe des Serapeions, am Ufer des Fluvius Novus, ist ein recht geräumiges Grundstück. Irgendwie war es Marcus Achilleos gelungen, es einem Kaufmann, den er vor einem Überfall bewahrt hatte, abzuschwatzen. Hier steht nun eine Akademie, an der er die Kinder von Rhakotis in Attischer Sprache in Wort und Schrift unterrichtet und gleichzeitig einige wenige ausgewählte Schüler als Shifu (Meister) unter seinem Namen aus Fremde, Zixi De, in fernöstlichen Lehren unterweist.


    Bis auf die große Halle und die Meditationshalle, die aus Holz gefertigt sind, bestehen alle Gebäude aus Lehmziegeln. Alle Dächer sind mit Dachziegeln gedeckt und die Böden in den Gebäuden bestehen aus Holzplanken. Fenster gibt es nur zu den Innenhöfen, wobei die beiden Hallen an Stelle von Fenstern und Wänden zwischen ihren Säulen nur Holztüren haben, so dass sie eher ein unterdachter Teil des Hofes sind. Die Fenster und Türöffnungen sind - zusätzlich zu Fensterläden und Türen - zum Schutz gegen Mücken mit dünnen Vorhängen ausgestattet. Die Große Halle steht etwas erhöht und wird durch sechstufige Treppen erreicht, während die restlichen Gebäude durch dreistufige Treppen erreicht werden.


    Die Türe zur Akademie steht immer offen, wenn Marcus anwesend ist. Niemand wird abgewiesen.



    Rhakotis wurde von ihm aus gutem Grund gewählt, denn hier kann er seiner Meinung nach am meisten Gutes bewirken - auch wenn andere ihn einfach für völlig verrückt halten.



    Grundriss der Akademie


    [Blockierte Grafik: http://www-public.rz.uni-duesseldorf.de/~anfun001/Zixi_Akademie_Grundriss.jpg]
    1 Eingang
    2 Räume der Schüler
    3 Äußerer Hof
    4 Baderaum + Latrine
    5 Vorratsräume
    6 Große Halle
    7 Innerer Hof
    8 Gästewohnung
    9 Bibliothek/Archiv
    10 Meditationshalle
    11 Ahnentempel
    12 Wohnung des Shifu


    "Moooment! Götter sind etwas anderes als Menschen, also fallen die aus der Betrachtung heraus. Und, wie schon gesagt, die Unzufriedenheit der Menschen muss in nutzbringende Bahnen gelenkt werden. Ich selbst hätte doch niemals meine Reisen unternommen, wenn ich rundum zufrieden gewesen wäre."


    Irgendwie war aber absehbar, dass ich sie nicht würde überzeugen können.


    "Das Wissen darum, ob etwas das Richtige ist, kann man zumindest ungefähr haben. Die wichtigste Frage ist: Nutzt es der Gesellschaft? Wenn ich etwas aus dem Blickwinkel betrachte, dann habe ich zumindest eine Ahnung, ob es richtig oder falsch ist. Nutzt es hingegen nur mir selbst, dann ist es ganz sicher falsch. Der Nutzen muss für mehr als eine Person existent sein und idealerweise allen Menschen nützen. Die Wahrung von Sitte und Anstand sind auch sehr wichtige Indizien dafür, ob man das Richtige tut, ebenso wie Ehrlichkeit und Menschlichkeit."


    Oder, wie es mein Lehrmeister in Han sagte: Der Mensch muss funktionieren.


    "Was mich zur Essenz des Ganzen bringt. Der Edle, also derjenige, der harmonisch zum Nutzen aller agiert, zeichnet sich durch fünf Tugenden aus. Menschlichkeit, Rechtschaffenheit, Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit und durch die Tugend, alle so zu behandeln, wie er selbst behandelt werden will. Daraus folgen dann auch direkt die Pflichten gegenüber der Gemeinschaft: Loyalität, Pietät und Wahrung von Sitte und Anstand. Das hört sich alles ganz einfach an und ist doch unendlich schwer zu verwirklichen. Ich zum Beispiel bin ehrlich, rechtschaffen - jedenfalls haben das andere so gesagt und gewissenhaft. Menschlichkeit habe ich nicht immer und ich behandle Menschen auch manchmal schlecht. Das liegt daran, dass ich hin und wieder überreagiere. Loyal bin ich, wenn die Loyalität verdient ist, Sitte und Anstand versuche ich auch so gut es geht zu wahren, aber da tauchen schon Probleme auf, weil es stark von der Gegend abhängt, wo man ist. Und auch, was die Pietät, insbesondere die Verehrung der Eltern und der Ahnen anbetrifft, bin ich bei weitem nicht so gut, wie ich es gerne wäre. Ich bin übrigens überzeugt, dass viele fer Probleme bei der Erfüllung der Tugenden und der Pflichten durch Gefühle verursacht werden. Jedenfalls ist das bei mir vor allem bei der Behandlung der Menschen so. Aber ich arbeite stetig an der Lösung des Problems."


    Dass ich damit auch erhoffte, psychisch unangreifbar zu werden, verschwieg ich erstmal. Wobei Verschweigen kein Lügen war.

    "Vielleicht zeichnet gerade das den guten Herrscher aus? Dass er nicht den einfachen Weg geht?" fragte ich rhetorisch.


    "Ich denke, dass Ehrenhaftigkeit nichts damit zu tun hat, ob man glücklich und zufrieden ist. Es ist in diesem Sinn auch völlig unerheblich, ob man für ehrenhaft gehalten wird oder ehrenhaft ist. Es gibt viele, die sich so sehr um ihre persönliche Ehre sorgen, dass sie vor lauter Sorge unglücklich sind. Es gibt wiederum andere, die keinerlei Ehre haben und trotzdem mit einem Leben als Bandit glücklich und zufrieden sind. Ist es überhaupt wichtig, glücklich und zufrieden zu sein? Ist es nicht vielmehr so, dass ein gewisses Maß an Unzufriedenheit erst das volle Potential eines Menschen erweckt, wenn die Unzufriedenheit in die richtigen Bahnen gelenkt wird? Und sollte man nicht einen Zustand anstreben, in dem man weder glücklich noch unglücklich ist? Einen Zustand, in dem weder das eine noch das andere existiert? Ein zustand also, in dem alle Gegensätze verschwinden und damit jegliches Leid getilgt ist?" "Auf Kosten jeglicher Freude," fügte ich in Gedanken hinzu.


    "Ist es nicht auch völlig unerheblich, was andere von einem denken, so lange man weiß, dass man das Richtige tut? Richtig im Sinne der kosmischen Harmonie?"

    Ich klopfte und nachdem ich herein gebeten wurde, trat ich ein. Ich verbeugte mich kurz.

    "Chaire, gelehrter Meister," grüßte ich. "Mein Name ist Marcus Achilleos und man sagte mir, dass du der richtige Ansprechpartner bist. Ich bin 17 Jahre durch die Welt gereist, bis nach Indien und darüber hinaus und jetzt würde ich mein Wissen und meine Erfahrungen gerne dem Museion und den Menschen zur Verfügung stellen und weiter geben. Als Lehrer für Geographie."


    Ich wartete auf eine Antwort, eine Frage oder einen Kommentar. Ich war sogar ziemlich gespannt, aber anmerken ließ ich mir nichts.

    "Und wenn zwei ziviliserte Staaten gegeneinander kämpfen? Da ist mir kein Beispiel bekannt, dass der zahlenmäßig Unterlegene bei einem direkten Agriff den Sieg davon getragen hätte. Bei Flankenangriffen hingegen sah es schon besser aus."


    Ich nahm sah Urgulania herausfordernd an, wobei sie auch in meinen Augen den Spaß sah, den ich an dieser Diskussion hatte.


    "Das Problem mit Denunzianten existiert natürlich, aber hatte Sulla nicht auf diese Art seine Gegner eliminiert? Man darf den Denunzianten halt nicht uneingeschränkt glauben, sondern muss die Information von mehreren Stellen bestätigt wissen und nach Beweisen suchen."


    Das mit der Ehre war zwar richtig, aber da war meine Erfahrung recht deutlich.


    "Persönliche Ehre nützt nicht dem gemeinwohl, im Gegenteil. Viele Kriege sind aus einer Kränkung der persönlichen Ehre einer Person entstanden. Einzig die öffentliche Ehre ist wichtig."


    Und doch folgte ich meinem persönlichen Ehrenkodex - ja, die Welt war schon komisch.

    "Der erste Kaiser von ganz Ch'in hatte es so formuliert: Ehre liegt im Ergebnis, nicht im Weg. Immerhin hat er so das Reich vereinigt. Und ein großer Feldherr aus der Zeit vor der Reichseinigung sagte, dass der direkte Angriff immer ein Fehler wäre, wenn man dem Gegner nicht zehn zu eins überlegen wäre. Was das Volk betrifft: Ja, ich würde mich darauf verlassen. Vor allem würde ich mich darauf verlassen, dass jeder Verdächtige sofort gemeldet wird. Die Angst vor einer Wiederholung des Chaos und die Aussicht auf belohnung, wenn man einen Verdächtigen meldet, würden mir die Verlässlichkeit des Volkes garantieren. Es ist unmöglich, dass der Staat alle Bürger überwacht. Es ist aber sehr wohl möglich, dass alle Bürger alle Bürger überwachen."


    Ich mische mir wieder Posca.


    "Aber kommen wir zur Ehre zurück. Meiner Meinung nach erhält man Ehre, indem man der Gesellschaft dient. Je weniger man dabei an sich selbst denkt, umso mehr Ehre erhält man."


    Natürlich bedeutete "an sich selbst denken" auch "an die eigene Ehredenken". Und mir gefiel die Diskussion.

    Ich lächelte höflich.


    "Natürlich. Zuerst einmal würde ich es einem meiner Gegner ermöglichen, einen Spion in meinen Reihen zu positionieren. Der würde von mir Informationen erhalten - richtige, die für mich keine Bedeutung haben, und falsche, die aber bedeutsam aussehen. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass der Spion nicht weiß, dass ich weiß, dass er ein Spion ist. Gleichzeitig würde ich eine Situation schaffen, in er zwei Gegner in Konkurrenz zueinander treten. Die anderen Gegner würden durch Spione von mir informiert, dass die beiden in einer Konkurrenzsituation sind. Dann würde ich einen von beiden ermorden lassen. Das würde dann so aussehen, dass der Überlebende einen Konkurrenten aus dem Weg geräumt hat. Zwischen ihm und einem anderen muss dann erneut eine Konkurrenzsituation entstehen. Außerdem müssen sie beide einen deutlichen Vorteil bekommen, wenn die Situation entschieden ist. Einer von beiden wird zwangsläufig zuerst losschlagen, um die Situation zu ereinigen, bevor es sein Leben kostet. Dadurch fühlt sich der Rest bedroht. Die Situation eskaliert und sie bekämpfen sich irgendwann öffentlich. Natürlich müssten meine Spione dafür sorgen, dass die Situation auch wirklich eskaliert. Ein Unfall hier, ein Mord dort..." Ich zuckte mit den Schultern. "Der Spion, der mich auskundschaften soll, würde dann erfahren, dass ich die Situation als harmlos einschätze und mit den Truppen zu einem Manöver aufbreche. Offiziell würde ich das auch, nur dass ich immer in der Nähe und informiert bleiben würde - was meine Gegner aber nicht wüssten. Dadurch fühlten sie sich ebstärkt, das Ganze in einen Bandenkrieg ausarten zu lassen. Das wäre dann der Zeitpunkt für mich, zurückzukehren und die Truppen einzusetzen. Ich würde alle, die kämpfen und kein Soldat sind, verhaften lassen und gleichzeitig dank der Informationen meiner Spione auch die Anführer festsetzen. Hinrichten lassen würde ich niemanden. Ich würde ihr Vermögen einziehen, die Kinder an anständige Familien zur Adoption geben und die Erwachsenen als Zwangsarbeiter in eine entfernte Stadt geben. Die Kinder derjenigen, die Barbaren gegen mich aufgehetzt haben, würden an Barbaren zur Adoption gegeben. Das Vermögen würde ich unter den Einwohnern aufteilen. Gleichzeitig würde ich den Bürgern befehlen, mir ab sofort jeden Kriminellen zu melden, damit nie wieder solche chaotischen Zustände eines offenen Bandenkrieges herrschen. Weil die Bürger sicher nie wieder solche Zustände erleben wollen, würden sie das ohne zu zögern tun. Jedenfalls die meisten. Allerdings steht und fällt as Ganze mit der Qualität der eingesetzten Spione und der Wahl des richtigen Zeitpunkts für jede Maßnahme."

    "Das wurde mir dann auch bewusst. Und weil ich so kurz davor stand, die Stadt entvölkern und neu besiedeln zu lassen, hatte ich mich dafür entschieden, meine Macht aufzugeben und ins Exil zu gehen. Zu dem Zeitpunkt musste ich Abstand gewinnen, sonst wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich den Befehl zur Entvölkerung gegeben hätte."


    In meinen Augen und meinem Gesichtsausdruck war kurz eine gnadenlose Härte zu sehen. Es bestand kein Zweifel darin, dass ich problemlos die Hinrichtung Tausender befohlen hätte. Dann entspannten sich meine Gesichtszüge wieder und ich bekam wieder meinen üblichen, höflichen Ausdruck.


    "Wie dem auch sei, diese Zeiten sind vorüber und inzwischen habe ich genug von der Welt gesehen, um andere Lösungen zu finden. Ich hatte die Möglichkeiten der Spionage nicht vollständig genutzt, deshalb war ich gezwungen, offene Gewalt anzuwenden. Das würde ich jetzt anders machen."

    Ihre Argumente hatten durchaus etwas für sich. Und irgendwie war eine philosophische Diskussion jetzt genau das, was ich brauchte, um mich abzulenken.


    "Herrschaft ist wie Kriegskunst. Man hat Gegner, gegen die man sich durchsetzen muss. Man kann Kriege mit Grausamkeit gewinnen oder mit besseren Waffen, aber die höchste Kunst des Krieges besteht darin, den Gegner hilflos zu machen, ohne zu kämpfen. Dieses Ideal erreichen nur wenige, aber es gibt sie. So ist es auch mit der Herrschaft. Wäre ich wirklich vortrefflich gewesen, dann hätte ich nicht grausam sein müssen."


    Natürtlich war mir klar, dass man nur im Verhindern von Kriminalität einen solchen Erfolg haben konnte. Wenn die Kriminalität schon existierte, musste man hart durchgreifen.


    "Es geht um die Vollendung der Kriegskunst. Dem Ideal des vollendeten Kriegers bin ich nicht gerecht geworden. Denn der vollendete Krieger siegt, ohne zu kämpfen, indem er Probleme erkennt und löst, wenn sie noch klein und unbedeutend sind."


    Ich zuckte mit den Schultern.


    "Natürlich hat ein aufständisches Volk die Vernichtung verdient, aber ich war kurz davor, sie zu vernichten, weil ich glaubte, das sie möglicherweise irgendwann aufständisch werden könnten. Sozusagen eine prophylaktische Vernichtung, bevor sie überhaupt die Möglichkeit hatten, auch nur einen Gedanken an einen Aufstand zu verschwenden. Ich wurde paranoid, was auch dadurch gefördert wurde, dass Attentate auf mich verübt wurden. Schließlich bat ich den Kaiser, für einen von mir selbst gewählten Zeitraum ins Exil gehen zu dürfen. Er gestattete mir 18 Jahre. Danach verließ ich Han, aber nach Süden, Richtung Indien. Aber das ist eine andere Geschichte."

    Ich nahm Axilla's Blick nur kurz wahr, aber lange genug, um zu erkennen, dass sie mich verstand. Zu meinem Erstaunen war kein Vorwurf und auch kein Mitleid in ihrem Blick zu erkennen. Möglicherweise hatte ich sie falsch eingeschätzt? Vielleicht war sie geistig ja schon viel reifer als ich es für eine Frau in ihrem Alter für möglich hielt?


    Urgulania's Kommentar traf eine meine damaligen Überlegungen, aber inzwischen hatte ich mir genug Gedanken darüber gemacht, um eine andere Sichtweise zu haben.


    "Das ist leicht gesagt, Urgulania, aber wenn man einmal die Hinrichtung eines dreijährigen Kindes befohlen und angesehen hat, dann denkt man anders."


    Ich hatte das Bild wieder vor meinem geistigen Auge. Der Soldat, der die Hinrichtung durchführen sollte, kam auf mich zu und bat mich, das Leben des Kindes zu verschonen. Ich lehnte ab. Das Kind weinte, die Eltern schrien und weinten. Der Soldat zog sein Schwert und sah mich fragend an. Ich stand nur ohne jedes Gefühl da und bestätigte den Befehl...


    Ich leerte das Glas mit Posca und sah Urgulania an. Erst nachdenklich, dann freundlich sah ich sie an.


    "Furcht ist als Machtbasis übrigens nicht so sicher, wie man denkt. Wenn man verehrt wird, dann wird das Volk sich freiwillig gegen die Feinde stellen. Wird man gefürchtet, so wird das Volk sich nur unter Zwang gegen die Feinde stellen oder sogar auf Seiten der Feinde kämpfen, um die Ursache seiner Furcht zu beseitigen. Dass mich meine Feinde vor mir gefürchtet haben, hat mir nichts ausgemacht. Im Gegenteil, das war beabsichtigt. Aber dass sich alle vor mir gefürchtet haben, das hat meine Position geschwächt."

    Der Vergleich mit Alexander war mir irgendwie unangenehm.


    "Also, ich denke, dass einige Händler es auch öfter mal nach Indien schaffen. Oder zumindest halb, sonst könnten die Waren von dort ja gar nicht hierher."


    Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die schöne Römerin nur noch Augen für mich hatte. Was hatte ich gesagt, dass ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte? Ach ja, Indien!


    "Du möchtest also studieren? Das hätte ich schon fast vermutet, immerhin ist das für viele der wichtigste Grund, nach Alexandria zu kommen. Gibt es irgendein Thema, das dich besonders interessiert?"


    Das Gespräch wurde interessant. Eigentlich war es auch jetzt schon nicht so schlecht. Ich ging mit einer schönen Frau über einen der bemerkenswertesten Märkte des Imperiums. Eine Sache hatte allerdings meine Neugier noch mehr geweckt.


    "Und geschäftlich bist du auch hier? Was für Geschäfte sind das denn, wenn ich fragen darf? Ich übersetze übrigens ein paar Schriften, die ich aus dem Osten mitgebracht habe, am Museion ins Attische."

    Nachdem ich ein paar tage nicht mehr weiter übersetzt hatte, nahm ich nun wieder an dem Tisch in der Ecke Platz und breitete den chinesischen Text vor mir aus. Ich nahm Pergament und Feder und begann, die Übersetzung zu schreiben.



    Kannst du Geist und Seele fördern, dass sie die Einheit bewahren, ohne sich zu spalten?
    Kannst du die Kraft bündeln und die Weichheit erreichen, dass du wirst wie ein Kind?
    Kannst du die düsteren Sichtweisen reinigen, dass sie frei von Flecken werden?
    Kannst du die Menschen lieben und den Staat lenken, dass du ohne Wissen bleibst?
    Kannst du, wenn des Himmels Pforten sich öffnen und schließen, sein wie eine Henne?
    Kannst du mit innerer Klarheit und Reinheit alles durchdringen, ohne des Handelns zu bedürfen?
    Erzeugen und ernähren, erzeugen und nich besitzen, wirken und nicht behalten, mehren und nicht beherrschen: das ist De.


    Kommentar: Handle nicht gegen die Natur, lass das Dao durch dich strömen und verlange nach nichts, dann wirst du zum Wohle aller herrschen.



    Dreißig Speichen umgeben eine Nabe: In ihrem Nichts besteht des Rades Brauchbarkeit.
    Man formt den Ton und bildet daraus Gefäße: In ihrem Nichts besteht der Gefäße Brauchbarkeit.
    Man gräbt Türen und Fenster, damit der Wohnraum entsteht: In seinem Nichts besteht des Raumes Brauchbarkeit.
    Darum: Was ist, dient zum Besitz.
    Was nicht ist, bewirkt den Nutzen darin.


    Kommentar: Gerade durch das Nichts kann alles erreicht werden, eben weil es keinen Selbstzweck erfüllt. So ist auch das wahre Handeln: Wer nicht handelt und dadurch nichts zum Nachteil verändert, bewirkt, dass alles seinem natürlichen Weg folgt und damit Nutzen erbringt.

    "Dieses Jahr des Friedens war aus vielerlei Hinsicht für mich ein besonders glückliches Jahr. Korruption und Kriminalität waren, wie schon gesagt, deutlich gefallen und durch meinen zweiten Sieg gegen die Barbaren hatte ich auch noch mehr an Ansehen gewonnen. Außerdem konnte ich mich ein wenig der Stadtentwicklung widmen. Ich ließ zunächst den Statthalterpalast renovieren. Der hölzerne Palast war in etwa so groß wie euer Haus hier, also ist der Begriff "Palast" vielleicht etwas irreführend. Ich benutze ihn aber trotzdem weiter. Der Palast hatte zwei Innenhöfe. Einen zwischen dem Eingang und der großen Halle und einen zwischen der großen Halle und meinen Privatgemächern. Um den äußeren Hof waren die Officia der Beamten angeordnet. Jedenfalls ließ ich den Palast komplett renovieren, also vor allem das Holz neu lackieren und ein paar Vasen aufstellen und Kalligraphien berühmter Texte aufhängen. Außerdem ließ ich den Ahnentempel der Statthalter renovieren und stellte dort einen kleinen Schrein für meine Ahnen und die Ahnen meiner Frau auf. In der Stadt ließ ich den Markt erneuern und die Straßen pflastern und so wurde Stück für Stück aus der Provinzstadt nahe der Grenze ein recht guter Ort zum Leben. Die Barbaren handelten auch mit uns, anstatt uns zu überfallen, und das alles machte mich auch bei den Bürgern beliebt.


    Um mein Glück perfekt zu machen, war meine Frau schwanger. Was kann es schöneres geben als eine Familie zu gründen? Wäre es so geblieben, hätte ich dort bis an mein Lebensende bleiben können."


    Ich trank einen kleinen Schluck.


    "Aber so blieb es leider nicht. Der Provinzstatthalter, mein Mentor, wurde nach zehn Jahren treuer Dienste versetzt, und zwar nach Panyu am anderen Ende des Reiches. Das ist dort üblich, damit man sich keine Machtbasis aufbaut und dem Kaiser gefährlich wird. Es war schon etwas Besonderes, dass er überhaupt zehn Jahre Statthalter war. Normal sind höchstens fünf. Sein Nachfolger war, so wie ich, ein entschiedener Gegner der Korruption und wir verstanden uns von Anfang an recht gut. Insofern war blieb alles gut. Auch als mein Schwiegervater ein neues Kommando erhielt, nämlich 1000 Meilen weiter östlich, war noch alles in Ordnung. Natürlich wagten sich meine Feinde nicht vor, so lange mein Schwiegervater binnen einer Woche mit 30.000 Mann vor der Stadt stehen konnte, aber auch, als er weg war, fürchteten sie um meine guten Kontakte zu den Truppen und zum Provinzstatthalter. Beides zusammen war zu gefährlich für sie. Natürlich hatte ich Feinde, denn der Kampf gegen Korruption und Kriminalität machte für sie das Leben ziemlich unangenehm.


    Schwierig wurde die Situation erst, als meine Frau bei der Geburt meines Sohnes starb. Mein Sohn starb am Tag darauf. Einige meiner Feinde streuten das Gerücht, dass dies ein Zeichen der Götter war. Sie sahen jetzt die Zeit zum handeln gekommen. Insgeheim stachelten sie die Barbaren gegen mich auf und ermunterten sie zu einem Angriff auf die Stadt. Sie taten das, weil ich in den ersten beiden Schlachten die schlechte Eigenschaft hatte, ganz vorne bei meinen Truppen mitzukämpfen. Sie hofften, dass ich so in der Schlacht getötet würde und sie mich loswürden. Womit sie nicht gerechnet hatten, war, dass ich von den Angriffsplanungen der Barbaren erfahren hatte - dank meinen Spionen. Deshalb griff ich die Barbaren an, als ihre Anführer noch ihren Angriff planten. Ich schaffte es, die Anführer gefangen zu nehmen und sie nannten mir die Verräter, die ich dann sofort hinrichten ließ. Diesmal war ich aber zu hart in der Bestrafung, weil ich ein altes Gesetz anwendete, das auch die Hinrichtung der Familien erlaubte. Ich bin mir nicht sicher, warum ich diese Härte an den Tag legte, aber ich denke, dass die Trauer über den Tod meiner Frau und meines Sohnes und der Zorn darüber, dass sie es wagten, den Tod meiner Frau und meines Sohnes gegen mich zu verwenden, mich dazu brachten. Hinterher hatte ich es bereut, aber mein Ansehen unter den Bürgern der Stadt war deutlich gesunken. Vorher verehrten sie mich, jetzt fürchteten sie mich."


    Man merkte mir an, dass ich meine Entscheidung von damals bereute. Sie fügte mir immer noch seelische Qualen zu, obwohl es nun mehr als fünf Jahre her war. Vielleicht verstand Axilla jetzt, warum ich mir selbst nicht verzeihen konnte. Vielleicht verstand sie jetzt, warum ich mich für einen schlechten Menschen hielt.


    "Ich hätte die Hinrichtung der Familien noch verhindern können, aber dann hätte ich meine Glaubwürdigkeit verloren. Ein Jínshí hat seine Befehle immer gut durchdacht, deshalb irrt er sich nicht. Ich war éin Jínshí. Ich bin es noch immer."


    Meine Worte klangen traurig und ein wenig trotzig zugleich. Meinen inneren Zwiespalt konnte ich nicht verbergen.