Da es keinen Widerspruch gab, machte ich einen kleinen Exkuurs bezüglich der Hauptstadt.
"Das Reich Han wird von der Stadt Luoyang aus regiert. Die Stadt hat etwa eine halbe Million Einwohner, ist also erheblich kleiner als Rom. Ähnlich wie Rom ist es aber von mächtigen Stadtmauern geschützt. Die Garnison für die Stadtmauern liegt bei etwa 2000 Soldaten. Weitere 5000 Soldaten sorgen für die Sicherheit der Straßen. Zu bieten hat die Stadt einiges. Breite Hauptstraßen sorgen für einen guten Verkehrsfluss und die Märkte bieten Nahrungsmittel und Gewürze aus allen Teilen des Reiches. Außerdem findet man dort alle möglichen Rohstoffe, bis hin zu Jade und Juwelen. Auch Seide wird hier in großen Mengen gehandelt, schließlich ist Luoyang der Ausgangspunkt der Karawanenwege nach Westen.
Glanzpunkt ist der Kaiserpalast. Er ist wirklich groß. Mindestens 3000 Soldaten sorgen für die Sicherheit des Palastes und insgesamt leben da um die 10000 Menschen, wenn man alle Diener und hohen Beamten mitrechnet. Das gelände des Palastes ist sehr weitläufig und von außen kann man zwar einige der hohen Gebäude erkennen, aber nicht genug, um wirklich einen Plan erstellen zu können. Mit eigenen Augen sah ich den äußeren Hof. Er bietet genug Platz, damit alle Bewohner des Palastes dort antreten können. Wenn man den Platz vom äußeren Tor aus überschreitet, geht man direkt auf die große Halle zu. Sie liegt etwa 50 Fuß höher als der Hof und man muss über eine große Treppe hinauf gehen. Die Halle selbst hat eine sehr hohe Decke und reich verzierte Säulen. Am hinteren Ende der Halle ist der Thron des Kaisers, der auf einem Podest ist, das nochmal etwa mannshoch über dem Raumboden endet. Man ist also gezwungen, zum Kaiser aufzusehen. Das wäre man aber auch so, weil man sich sehr tief vor dem Kaiser verbeugen muss.
Der Kaiser, ich sah ihn selbst, ist ein recht junger Mann, mit edlem Gesicht und einem gepflegten Bart. Er ist von ruhiger, aufmerksamer Art. Er ist in Gewänder aus mit Gold bestickter Seide gekleidet und trägt ein goldenes Schwert. Seine Stimme ist rein und klar, ebenso wie seine Gedanken. Er scheint ein guter Herrscher zu sein und ich hoffe, dass ihm ein langes Leben beschieden ist."
Ja, ich war wirklich beeindruckt von dem Kaiser - von meinem Kaiser, denn das war er für mich nach wie vor.
"Hinter dem Thronsaal folgt wohl ein weiterer Hof und dahinter die Privatgemächer des Kaisers, obwohl ich das nicht mit Sicherheit sagen kann.
Ganz wichtig ist natürlich die kaiserliche Akademie in Luoyang, eine Einrichtung, die sich durchaus mit dem Museion messen kann. Dort habe ich auch meine Prüfung zum Jínshí abgelegt. Das ist dann wohl auch der wichtigste Unterschied zum Museion: Während hier vor allem auch geforscht wird, wird dort vor allem geprüft. Was das anbetrifft, sind sie ziemlich gut ausgestattet. Diverse Prüfungsräume sorgen dafür, dass niemand schummeln kann. Und die Prüfungen sind dort wirklich hart. Es gibt auch noch einige private Akademien und Schulen, die einen auf die Prüfungen vorbereiten. Und ein paar philosophische Schulen gibt es auch. Ein gutes Theater gibt es hingegen nicht."
Ich musste kurz schmunzeln, als ich mich selbst fragte, wie ich es so lange ohne Theaterbesuche ausgehalten hatte.
"Dann gibt es auch noch den großen Ahnentempel der Kaiser, den Tempel des Himmels und andere wichtige Tempel des Reiches. Außerdem habe ich dort einen Tempel der Buddhisten gesehen. Die kommen eigentlich aus Indien.
Neben den Hauptstraßen gibt es noch viele kleine Nebenstraßen. Doch dieses dichte Gewirr von Nebenstraßen ist nicht das Einzige, was dazu führt, dass man sich leicht verlaufen kann. Es gibt auch noch jede Menge Höfe und Hinterhöfe, die zu weiteren Häusern führen. Und die einzelnen Stadtviertel sind voneinander durch Mauern getrennt, um Brände einzudämmen und natürlich auch, um sich nicht mit den Bewohnern des Nachbarviertels beschäftigen zu müssen. Mauern und Höfe, vor allem Innenhöfe, sind sicher eines der wichtigsten Merkmale chinesischer Architektur. So hat man selbst in der hektischsten Stadt immer einen abgschiedenen Rückzugsort. Außerdem wird im Hof gekocht, da kann der Rauch am besten abziehen."
Beim Blick durch ein Fenster bemerkte ich, dass es Abend wurde und die Sonne den Himmel rot färbte. Ich hätte vielleicht besser etwas früher kommen sollen. Jetzt hatte ich ein Problem.
"Ähm... wenn ich die Basileia verlassen will, dann sollte ich das entweder jetzt machen oder... Urgulania, würdest du mich später zum Tor begleiten? Für Besucher ist es, wie du sicher weißt, verboten, sich nach Einbruch der Dunkelheit ohne Begleitung in der Basileia aufzuhalten."
Ich sah Urgulania fragend an.