"Hmmm... das macht die Sache etwas komplizierter, abe damit kann ich leben. Haben die Männer Familie? Ich frage nur deshalb, weil ich wissen muss, ob sie bereit sind, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, wenn es sein muss."
Beiträge von Marcus Achilleos
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"Feiern... meine letzte Feier war... war... meine Hochzeit. Vor sieben Jahren... wie doch die Zeit vergeht."
Ich lächelte leicht verzückt ob meiner Erinnerungen. Als ich dann bemerkte, dass ich wieder in der Vergangenheit schwelgte, änderte sich mein Gesicht wieder zu dem höflichen, leicht lächelnden Ausdruck, den ich so oft hatte.
"Wie dem auch sei... vielleicht solle ich ein wenig feiern. Sobald ich ein paar Sesterzen übrig habe. Die Rückreise aus Han hat mein gesamtes Vermögen aufgezehrt."
Ich zuckte mit den Schultern.
"Ich werde, wie es aussieht, erstmal für die Stadtwache arbeiten. Als Offizier natürlich. Da sollte ich eine Kleinigkeit sparen können."
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"Naja, ich kann dich ja nur optisch einschätzen und ich kann dir zumindest sagen, dass du nicht alt aussiehst," sagte ich mit einem sanften Lächeln.
Ihre Antwort auf meine Frage ließ mich erleichtert aufatmen. Sie war im wesentlichen besser, als ich erwartet hatte. Was natürlich bestätigte, dass ich wohl etwas zu hart zu mir selbst war.
"Ich danke dir für deine ehrliche Antwort. Es fällt immer schwer, sich selbst vernünftig einzuschtzen. Da ist eine zweite Meinung oft hilfreich. Mein Sichtfeld war in den letzten Monaten, wenn nicht sogar Jahren, vor allem das eines neutralen Beobachters. Ich bin zwar durch viele Länder gekommen, aber ich hatte wenig mit Menschen zu tun. Es ist schon seltsam, dass man selbst mitten unter Menschen für sich allein sein kann. Vielleicht sollte ich etwas mehr Zeit unter Menschen verbringen und etwas weniger Zeit in der Bibliothek oder in Meditation."
Mir kam auf einmal in den Sinn, wie ich war, bevor ich Athen verließ. Zwangsläufig musste ich lachen.
"Es ist schon witzig, wie sich Menschen verändern können! In meiner Jugend, in Athen, war ich ein lebenslustiger Jugendlicher. Ich war zwar nie so freizügig wie meine Bekannten, aber ich war auch nicht allzu ernst. Vor allem verzieh ich mir selbst so ziemlich jeden Fehler. Und jetzt... die Zeit in Han hat mich am meisten verändert. Ich lege sehr harte Maßstäbe an mich selbst an. Ich bin unbestechlich, lüge nie und lebe auch sonst nach sehr hohen moralischen Maßstäben. Aber diese Maßstäbe gelten nur für mich. Wenn ich mich mit dem Mensch vergleiche, der ich vorher war, dann ist es fast, als wären es zwei Personen, die nur den gleichen Namen haben."
Es war eigentlich mehr zu mir selbst gesagt als zu Urgulania.
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"Also erstmal bist du nicht alt," erwiderte ich. Dann holte ich tief Luft.
"Wie denkst du über mich? Bin ich zu hart? Zu streng? Zu sehr auf Regeln fixiert?"
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Ich lächelte unsicher.
"Ich... ich werde wohl ein paar Tage brauchen, bis ich alle Aspekte berücksichtigt habe."
Vielleicht würde mein Weltbild ja nachhaltig verändert. Aber wohin? Würde ich dann eine weniger streng sein, vor allem zu mir selbst? War ich eigentlich zu ernst und zu streng zu mir selbst?
"Ähm... darf ich dich um eine Einschätzung bitten?"
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Ich strich mit meiner rechten Hand durch meinen Bart. Das tat ich immer, wenn ich über etwas richtig nachdenken musste. Sie hatte da ein interessantes Beispiel. Mir fiel im Moment keine Erwiderung ein.
"Da muss ich erstmal drüber nachdenken. Das ist ein völlig neuer Blickwinkel für mich. Bisher habe ich das entweder nicht gesehen oder ignoriert," sagte ich nachdenklich.
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Nach zwei Wochen war die Situation völlig verändert. Ich unterrichtete jetzt immer zwischen 30 und 35 Kinder aus Rhakotis und brachte ihnen Attisch, Lesen und Schreiben und die Grundrechenarten bei. Dafür hatten ihre Eltern beim Bau der Akademie geholfen.
Stabiles Holz für die weiteren Gebäude und Ziegel für die Dächer hatte ich teils aus unverkäuflichen Restbeständen und teils durch Hilfe bei der Beurteilung von Waren aus Indien zusammen bekommen und jetzt war die Akademie so weit fertig. Die Inneneinrichtung fehlte noch, aber zumindest stand das Gebäude. Bei Gelegenheit würde ich noch Steine zum Pflastern der Höfe und Pflanzen zur Begrünung organisieren müssen, aber zumindest war alles so weit fertig.
Was noch fehlte, waren echte Schüler. Nicht die Kinder, die ich unterrichtete, sondern solche, die ich in den Lehren der Ferne unterrichten konnte, so wie einst ich selbst unterwiesen wurde. Allerdings würde ich die Auswahl sehr vorsichtig treffen.
Doch zunächst war es mir erstmal wichtig, zusammen mit den Helfern das Bauwerk einzuweihen. Ich hatte Brot, Gemüse, etwas Fleisch und sogar Wein organisiert und veranstaltete im äußeren Hof eine kleine Feier am Nachmittag. Ich kochte höchstpersönlich in einem alten, großen Eisentopf, den ich mir ausgeliehen hatte, in der Kochecke des Hofes. und ich dankte noch einmal jedem persönlich. Nicht nur für die Hilfe beim Bau, sondern auch dafür, dass sie ein wenig auf die Akademie achteten, wenn ich nicht da war. So musste ich nicht befürchten, dass sich hier jemand einbrach oder sich gar häuslich niederließ, wenn ich nicht da war. Auch wenn die Feier eher kurz und schmucklos war, waren doch alle satt geworden. Nach der Feier schloss ich die Türe zur Straße ab und ging zum Museion - ein letztes Mal würde ich im Gästezimmer übernachten, danach würde ich sehen, dass ich eine Strohmatte und ein paar kleine Möbelstücke bekommen würde, um zumindest meine Wohnung ein wenig einzurichten.
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"Ja, genau, die Natur des Menschen. Also, wenn der Mensch nun von Natur aus gut ist, dann würden vor allem diejenigen instinktiv richtig handeln, die ein einfaches Leben führen. Ist der Mensch aber nicht von Natur aus gut, wäre erst durch eine philosophische Schulung der Mensch zu verbessern. Oder durch Zwang. Zwar kann man Harmonie nicht direkt erzwingen, Ordnung aber schon. Ordnung ist aber eine gue Annäherung an Harmonie. Natürlich kann es auch sein, dass zwar alle Menschen gut geboren werden, aber durch ihre Umgebung negativ beeinflusst werden. Dann wäre es wiederum nötig, sie erst philosophisch zu schulen, um ihnen ein Verständnis der Harmonie zu geben und zu besseren Menschen zu machen."
Diese Wiederholung und Präzisierung meiner Gedanken sollte uns wieder in die Diskussion zurückführen.
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Ich sah kurz zu Urgulania, dann wieder zu Axilla und nickte ihr mit einem verständnisvollen Blick zu. Nachdem sie das Tablinum verlassen hatte, hatte Urgulania wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit.
"Ich glaube, wir haben sie überfordert. Wobei ich auch zugestehen muss, dass ich schon sehr lange nicht mehr auf einem solchen Niveau philosophiert habe. Deine Bildung ist offensichtlich sehr gut und dein Verstand sehr scharf. Ähm... wo waren wir stehen geblieben?"
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"Na, das macht nichts. Dann werden die Männer hier im Gefängnis üben. da lernen sie dann auch gleich, die Räume zu ihrem Vorteil zu nutzen. Bleibt noch die Frage nach den Übungswaffen. Haben wir welche in der Waffenkammer?"
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Inzwischen waren fünf Tage vergangen, an denen ich jeden Morgen genutzt hatte, um Ziegel zu machen und danach an der Mauer weiterzubauen. Der spätere Eingang zur Akademie war bereits als Lücke in der Mauer gelassen und bis auf die hintere Mauer und eine Ecke war alles komplett. Zu meinem Erstaunen sah alles sogar recht gerade aus.
Während die Ziegel in der Sonne trockneten, gab ich Kindern Unterricht. Mit einem Stock zeichnete ich die Buchstaben in den staubigen Boden und ließ die Kinder die Buchstaben nachzeichnen. Am zweiten Tag waren die ersten zwei Kinder zu mir gekommen bzw. geschickt worden, um zu lernen. Inzwischen war es schon eine Gruppe von 9 Kindern. Sie waren begierig zu lernen und ich brachte ihnen gerne Lesen und Schreiben bei. Außerdem lernten sie auch Rechnen. Mit den ganzen Ziegeln, die da rum lagen, konnte man wunderbar Addition und Subtraktion beibringen. Auch Multiplikation und Division gingen ganz gut, auch wenn ich irgendwann das Gefühl hatte, mehr Zeit damit zu verbringen, Ziegel in Reihen zu legen, welche hinzuzufügen oder wegzunehmen oder sonstwie ganz anschaulich mit dem Zählen von Ziegeln Grundrechenarten beizubringen, als mit dem Bauen der Mauer.
Und dann geschah so etwas wie ein kleines Wunder. Der Mann, der mich am ersten Tag ausgefragt hatte, kam mit ein paar anderen Männern an. Er sah sich die Mauer an und nickte kurz anerkennend. Dann ging er auf mich zu.
"Große Mauer für kleines Haus in Mitte."
Ich sah ihn kurz an und dann auf das Haus in der Mitte des Grundstücks, das hier schon immer stand.
"Eigentlich habe ich vor, das Haus hier abzureißen. Da sollen andere Gebäude errichtet werden. Hier vorne am Eingang sollen Räume für Schüler hinkommen, die nicht in Rhakotis wohnen." Ich zeigte dabei auf die Mauer an der Eingangsseite. "Und da, an die Seitenmauern, sollen weitere Gebäude. In die Mitte soll eine Halle aus Holz und unter den Hof eine Zisterne für Regenwasser."
Der Mann folgte meinen Händen, während ich da hin zeigte, wo ich was hinbauen wollte.
"Haben Plan? Ich schon gebaut nach Plan... für reiche Männer. Ich bauen Häuser. Ich Seneb. Das mein Name. Das Freunde von mir. Eltern von Kinder. Wir wollen danken."
"Ich helfe gerne," erwiderte ich mit einem Lächeln. Ich hatte nicht mit Dank gerechnet, umso mehr erfreute es mich.
"Wir dir helfen bei bauen. Er Schreiner. Er decken Dach. Ich Maurer. Wir dir helfen."
"Nein, das kann ich nicht..."
"Wir dir helfen! Ende!"
Er hatte das so entschlossen gesagt, dass ich meine Bescheidenheit überwand und ihnen gestattete, mir zu helfen. Allerdings nicht, ohne mich bereits im Voraus mehrmals zu bedanken. Danach ging es an die Arbeit. Ich zeichnete die Grundlinien für die Wänder der Unterkünfte der Schüler in den Sand und erklärte, dass ich den Boden erhöht haben wollte, damit kein Ungeziefer in die Räume kommen würde. Nach einigen weiteren Erklärungen fingen wir an, gemeinsam zu bauen. Als ich dann weg musste, bauten sie ohne mich weiter. Es war mir fast schon peinlich, dass ich sie allein weiterarbeiten ließ. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass sie ohne mich viel schneller waren als mit mir.
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"Ich denke, dass es kein Ziel ist, Nahrung und Unterkunft zu erhalten. Es ist vielmehr eine Nebenbedingung der Existenz. Dass man dafür möglicherweise ziemlich viel Zeit verbraucht, ist klar. Die restliche Zeit kann man aber durchaus dem eigentlichen Weg widmen. Vielleicht sind ja auch gerade die einfachen Menschen, deren Leben fast komplett aus harter Arbeit besteht, der Harmonie viel näher als wir? Eben, weil sie sich keine philosophischen Gedanken machen können, sondern aus dem Bauch heraus handeln? Weil sie dann instinktiv richtig handeln?"
Ich sah Urgulania fragend an.
"Der Ehrlichkeit halber muss ich sagen, dass ich da selbst etwas unschlüssig bin. Wenn die Menschen von Natur aus gut sind und erst durch die Umgebung schlecht werden, dann wäre es möglich, dass sie instinktiv richtig handeln. Sind die Menschen aber von Natur aus schlecht, dann würden sie erst durch die philosophische Schulung zu besseren Menschen und die einfachen Schichten wären verloren oder müssten durch Herrscher in die Harmonie gezwungen werden. Ich weiß aber nicht, ob Menschen von Natur aus gut oder schlecht sind."
Ich sah kurz zu Axilla herüber. Hoffentlich hatten wir sie nicht überfordert.
"Du bist so ruhig. Ist alles in Ordnung, Axilla?"
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"Hmm... wo üben die Wachen? Gibt es einen Übungsplatz oder bin ich da frei in der Wahl des Ortes? Gibt es Übungswaffen?"
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Ich schüttelte energisch den Kopf.
"Da irrst du dich. Einen Weg nur zu gehen, um ein Ziel zu erreichen, ist die wahre Verschwendung. Denn alles, was man erhält, wenn man ein Ziel erreicht, ist, ein Ziel zu verlieren. Man wird ziellos und muss sich ein neues Ziel suchen. Wenn ich aber ein so weit entferntes Ziel suche, dass ich es nie erreichen kann, werde ich immer ein Ziel haben und deshalb auch stets einen Weg, dem ich folge. Die meisten Wege haben mehr zu bieten als das Ziel. Man muss nur die vielen kleinen Details wahrnehmen, die den Weg interessant machen. Die Perfektion der Straße, die Schönheit der Landschaft, die Menschen, denen man begegnet, der schillernde Käfer, der auf einer Blme sitzt, die man sonst genauso übersehen hätte wie den Käfer... es gibt tausende von Dingen zu entdecken. So ist es auch mit dem philosophischen Weg. Man mag das Ziel nicht erreichen, aber man findet so viel Nutzen, dass das Ziel auch nicht wichtig ist. Und doch behält der Weg sein Wesen. Das Wesen des Weges ist es, dass man weiter in Richtung des Zieles geht. Man hält an nichts fest, deshalb verdirbt man auch nichts."
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"Ja, da wäre noch eine Frage. Kann ich die Gefangenen, also die "normalen" Gefangenen, zu Zwangsarbeiten heranziehen? Also zum Beispiel, um Zinnen auf die Brüstung zu setzen?"
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Ich nickte bestätigend und lachte kurz.
"Ganz genau. Aber man kann zumindest immer versuchen, die Harmonie zu erreichen. Das bringt einen zwar nicht zum Ziel, aber der Weg ist es wert, gegangen zu werden."
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Der Gang war wirklich eng. Mit meinem Jian würde ich hier nicht mal ansatzweise kämpfen können. Dass man die Leiter im Fall eines Kampfes aufs dach ziehen konnte, war zwar prinzipiell gut, aber ich würde das wohl nicht nutzen. Wenn man so weit war, dass man sich auf dem Dach verschanzen musste, hatte man sowieso schon das Gefängnis verloren. Da ich eher bis zum letzten Mann kämpfen würde, als das Gefängnis aufzugeben, war das keine Option.
Auf dem Dach hörte ich Cleonymus' Ausführungen genau zu und sah mir alles an.
"Verstehe. Ich hatte schon befürchtet, Melder schicken zu müssen. Das macht dann ein Problem weniger."
Ich sah über die Brüstung und ging langsam an ihr entlang, wobei ich sowohl den Turm entlang nach unten sah als auch die Umgebung betrachtete.
"Mir fällt da noch ein, du hattest gesagt, dass die Verpflegung so gebracht wird, dass der Lieferant einen Schlüssl zur Außentüre des Vorratsraumes hat und wir den zur Innentüre? Wie wird die Identität des Lieferanten festgestellt? Hat der Lieferant Familie? Ist er erpreßbar? Momentan scheint mir das nämlich der größte Schwachpunkt zu sein."
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"Von den Göttern begünstigt? Ich würde eher sagen, von den Göttern entschädigt. Keine Ahnung, was die mit mir vorhaben, aber geprüft haben sie mich bisher hart genug."
War ich sauer auf die Götter? Vielleicht ein wenig. Andererseits war ich gut entschädigt worden, mit einer Menge Wissen und Fähigkeiten.
"Rechtslehre und Philosophie? Beides gehört zusammen. Die Philosophie schafft den Rahmen, in dem die Gesellschaft in die kosmische Ordnung eingefügt wird, erklärt die Interaktionen der Individuen und legt Grundlagen ethischen Handelns fest, während die Gesetze das Funktionieren des Staates festlegen. Ideal wäre, wenn Gesetze und Philosophie sich gegenseitig ergänzen. So, wie es in Ch'in üblich ist. Wobei der Idealzustand noch nicht erreicht wurde."
Ich sagte das so, als wäre es völlig selbstverständlich. Für mich war es das auch.
Auf die Antwort, was sie geschäftlich machte, musste ich ertsmal eins und eins zusammen zählen. Allzu viel war ich nicht unterwegs, so dass mir Urgulania's Porneion nicht bekannt war. Wenn man "mein geschäft ist das Vergnügen" und "septem amicae" zusammen zählte, hatte man schon eine recht gute Schätzung.
"Von den "septem amicae" habe ich noch nichts gehört, aber ich gehe davon aus, dass es sich um ein Porneion handelt?"
Es war keine Wertung in meiner Stimme zu hören. Eigentlich war überhaupt keine Emotion in meiner Stimme und auch mein Gesichtsausdruck blieb so höflich wie schon die ganze Zeit. Es war ihre Sache, womit sie ihr Geld verdiente. So lange sie niemandem schadete, hatte ich kein Problem damit. Aus meinem konfuzianischen und taoistischen Blickwinkel hatte ich Prostitution noch nie betrachtet, deshalb hatte ich auch kein endgültiges Urteil darüber.
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Das hatte gesessen! Ich sah Urgulania einen Moment lang emotionslos an, während ich meine Gedanken ordnete.
"Für die Gesellschaft in Han war es nutzbringend. Das ist alles, was zählt. Hätte ich den Befehl nicht gegeben, dann hätte ihn jemand anderes gegeben. Ganz egal, was es für mich bedeutet, allein der höhere Nutzen zählt."
Ihre anderen Punkte waren durchaus interessant und eine weitere Erörterung wert.
"Kommen wir jetzt zur Ausrottung eines ganzen Volkes. Der Grund "weil es einem anderen im Wege steht" ist sicher nicht das Richtige, weil die Harmonie der Völker, also Gesellschaften, über der Harmonie innerhalb einer Gesellschaft steht. Allerdings... wenn zwei Völker einfach nicht in Frieden leben können, dann muss eines der beiden Völker vernichtet werden. Denn so lange beide Völker dauernd Kriege führen, ist die Harmonie der Völker dauernd gestört. Ist jedoch eines der beiden Völker vernichtet, dann ist die Harmonie hergestellt, wenn auch zu einem hohen Preis. Das führt mich dann auch gleich zum Frevel an den Göttern. Ein solcher kann nur einen kurzfristigen Nutzen haben, langfristig wird er sicher schaden. Deshalb ist der auch etwas Falsches, zumal er gegen Sitte und Anstand verstößt. Außerdem stört er die Harminie zwischen Himmel und Erde, weshalb er schon deshalb falsch sein muss.
Ich erkläre einmal kurz die Hierarchie der Harmonien. Am höchsten steht die Harmonie von Himmel und Erde, danach kommt die Harmonie der Reiche oder Völker, danach die Harmonie der Provinzen, dann die Harmonie der Regionen, dann die Harmonie der Städte und Dörfer, dann die der Stadtviertel, dann die der Familien und schließlich die der Menschen innerhalb der Familien. Die höhere Harmonie wiegt immer schwerer als die niedrigere. Allerdings kann die höhere Harmonie nicht hergestellt werden, wenn die darunter liegende Harmonie nicht existiert.
Sind also die Menschen in den Familien in Harmonie, dann können auch die Familien in Harmonie sein. Sind die Familien in Harmonie, so können auch die Stadtviertel in Harmonie sein. Et cetera."
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Am nächsten Tag war ich früh morgens bereits mit einer selbstgezimmerten Ziegelform und in einfacher Arbeitskleidung zum Grundstück gekommen. In der Nähe gab es eine Lehmgrube am Lacus Mareotis, an der sich die Einwohner von Rhakotis bedienten. Ich holte von dort jede Menge Lehm, packte ihn in die Form und klatschte die feuchten Lehmziegel auf den Boden. Immer wieder, bis das ganze Grundstück mit Ziegeln voll war. Inzwischen stand auch die Sonne recht hoch und trocknete die Ziegel.
Mir fiel auch erst jetzt auf, dass einige Nachbarn um das Grundstück herum standen. Einer sprach mich auf ägyptisch an. Da ich die Sprache nicht verstand, schüttelte ich nur den Kopf und fragte, ob er Attisch spräche. Tat er nicht, aber ein anderer Nachbar, vielleicht so Ende 30.
"Du nicht von hier."
Ich schüttelte den Kopf. "Nein."
"Du Ziegelmacher?"
"Nein, ich baue mein Grundstück aus."
Er zog eine Augenbraue hoch. "Du nicht reich. Sonst nicht bauen selbst. Du nicht Priester, nicht Regierung. Sonst nicht bauen selbst. Was du bauen? Großes Grundstück."
Ich lachte kurz. "Ja, das ist ein großes Grundstück. Ich will eine Akademie bauen."
"Aka...was?"
"Wie das Museion."
Er sah mich ungläubig an. "Warum hier?"
"Weil ihr es am dringendsten braucht. Ich werde jeden unterrichten, der Lesen, Schreiben und Rechnen lernen will. Niemand wird abgewiesen."
"Warum?"
"Weil ich euren Kindern ein Leben ohne Armut ermöglichen will."
Das schien den Mann echt zu überfordern. Zumindest schien er mir nicht zu trauen. as konnte ich irgendwie auch verstehen."Warum? Niemand uns will haben ohne Armut. Warum du helfen wollen?"
"Weil es das Richtige ist. Es liegt an euch. Wie schon gesagt, niemand wird abgewiesen, aber kommen müsst ihr schon selbst."
Der Mann schüttelte leicht den Kopf und ging zu den anderen Leuten. Sie unterhielten sich auf Ägyptisch, wobei sie wild gestikulierten. Während dessen sah ich nach den ersten Ziegeln. Die Ziegel, die trocken waren, schichtete ich zu einer Mauer auf, wobei ich immer wieder feuchten Lehm zur Hilfe nahm, um den ersten Teil der Mauer zu bauen. Die Nachbarn waren irgendwann verschwunden und noch viel später stand die erste Ecke der Umfriedung meines Grundstücks. Wenn ich jeden Tag nur den Vormittag Zeit hatte, wäre die Mauer in zehn Tagen fertig. Zufrieden wusch ich mir meine Hände und ging zum Museion, um mich umzuziehen und ein paar Stunden Schlaf zu finden.