Beiträge von Marcus Achilleos

    Ich verneigte mich.


    "Centurio, sei willkommen. Bitte, setze dich doch."


    Ich wies auf den Stuhl - womit ich natürlich keinen Stuhl mehr zur Verfügung hatte.


    "Ich würde dir ja gerne etwas anderes anderes zu trinken anbieten, aber ich habe nur Posca. Möchtest du einen Becher?"


    Ich ging zum Tisch und drehte einen Tonbecher um und nahm die Kanne mit dem Posca.


    "Ich hoffe, dass du etwas Zeit mitgebracht hast, Centurio. Es gibt viel zu erzählen. Ich möchte aber zunächst, dass du verstehst, warum ich die Informationen so bereitwillig gebe. Ich tue das nicht für mich oder für dich oder für den Römer, der dort gefangen gehalten wird. Ich tue das auch nicht für Rom. Ich tue das, um die Harmonie des Himmels und der Erde zu verbessern. Denn wenn man einen Offizier öffentlich auspeitscht, dann behandelt man ihn ungerecht. Das stört die Harmonie. Ich helfe, weil es das Richtige ist, weil meine philosophische Überzeugung mir gar keine andere Wahl lässt."

    Bei der Frage, ob ich was angestellt hatte, grinste ich - obwohl er damit zumindest zum Teil durchaus recht hatte.


    "Ich habe bei Mönchen gelebt, die nach Erkenntnis und innerem Frieden streben. Und auch ich strebe seitdem nach meinem inneren Frieden."


    Ich lächelte freundlich.


    "Was ich studiert habe? Staatsphilosophie, Gesetze, Kriegskunst und ganz allgemein Philosophie. Es hängt alles zusammen. Allerdings habe ich das alles nicht in Indien, sondern noch weiter weg studiert. In Indien habe ich die Lehre, der die Mönche dort folgen, studiert. Diese Lehre besagt, dass Leben Leiden ist. So lange, bis man die Ursachen des Leidens erkannt hat, diese Erkenntnis akzeptiert und diese Ursachen beseitigt hat. Ich bin momentan so weit, dass ich erkannt und akzeptiert habe. Und das hat mich schon viel Meditation und Erfahrung gekostet."

    "Danke sehr," bedankte ich mich für das Lob.


    "Da hast du durchaus etwas Richtiges über Inder gehört. Wobei es auch durchaus einige gibt, die größer sind. Fast alle haben dunkle Augen und pechschwarze Haare. Die Kleidung der Inder erinnert einen irgendwie an die der Ägypter. Und die Frauen... da gibt es schon einige sehr sehr hübsche Frauen. Allerdings habe ich die meiste Zeit dort der Meditation und dem Studium gewidmet und habe enthaltsam gelebt."

    "Also, wenn wir davon ausgehen, dass du ein ziemlich guter Ringer bist, dann wären ja schon zwei Disziplinen zusammen. In allen fünf Disziplinen beim Pentathlon hat sowieso noch niemand gewonnen."


    Ich grinste und ging den Diskus holen. Als ich dann wieder zurück gekommen war, nahm ich Wurfaufstellung und probierte es erneut. Diesmal hatte ich den Diskus wirklich gut losgelassen. Erneut mit leichter Abweichung nach links, aber ich kam immerhin an etwa zwei Drittel von Ánthimos's Länge heran. Damit war ich ganz zufrieden.


    "Reicht zwar nicht für Olympia, aber in Indien würde ich damit problemlos gegen jeden gewinnen. Naja, wäre auch unfair, weil die keinen Diskus kennen," meinte ich grinsend. Ja, Diskuswerfen machte mir Spaß. Ich hatte es schon immer gemocht und erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich es vermisst hatte.

    Der Diskus flog und flog... Was für ein Wurf! Ich klatschte. :app:


    "Also wenn es nach mir ginge, würdest du dich damit auf jeden Fall qualifizieren! Und du bist dir sicher, dass du zwei Monate nicht mehr trainiert hast? Also, da mache mir keine Gedanken, dass du in vier Jahren den Zweig holen wirst. Du bist wirklich gut."


    Respekt und Anerkennung schwangen in meiner Stimme deutlich mit.

    Ich nickte zustimmend.


    "Ich denke, dass man das über so ziemlich jeden Sport mit Gegenständen sagen kann. Wird beim Speerwurf und Bogenschießen auch nicht anders sein. Also beim Bogenschießen ganz sicher nicht, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber gut, dein Wurf. Jetzt will ich mal einen Olympia-reifen Wurf sehen."


    Ich grinste herausfordernd.

    Ich lief los und holte den Diskus. nachdem ich wieder zurück gekommen war, versuchte ich einen weiteren Wurf. Ich war so sehr darauf konzentriert, mein Handgelenk stabil zu halten, dass ich mich deutlich zu weit drehte. Den Diskus konnte ich nur noch aufhalten, indem ich meine linke Hand davor hielt.


    "Lass mich nochmal probieren," sagte ich nachdenklich und nahm wieder Aufstellung. Diesmal konzentrierte ich mich erst ein paar Sekunden bevor ich den Diskus warf. Er war zwar noch immer leicht nach links verrissen, aber dafür flog er recht flach. Natürlich holte ihn die Schwerkraft damit nach unten, bevo er die maximale Reichweite hatte.


    "Der war jetzt zu tief. Also einen leichten Bogen nach oben brauche ich schon. Vielleicht sollte ich Museion mal nachfragen, ob man den perfekten Winkel nicht errechnen kann."

    "Dann schauen wir doch mal, ob heute gutes Flugwetter für den Diskus ist," sagte ich grinsend.


    Ich nahm Schwung und schleuderte den Diskus weg. Ich ließ etwas zu spät los, so dass der Diskus leicht nach links flog. Außerdem hatte sich mein Wurfarm durch den Schwung zu weit nach oben bewegt, so dass die Scheibe ziemlich steil nach oben flog, was aber auf Kosten der Reichweite ging.


    "Geflogen ist er zwar, aber nicht gut. Dass er nach links ging, lag daran, dass ich zu spät losgelassen habe. Aber warum war der so steil?"

    "Also, die Serer, die ich meine, leben weit im Osten und nennen sich selbst Han, auch wenn sie offiziell Ch'in heißen. Sie haben mandelförmige Augen und, das finde ich besonders lustig, können das Wort "Serer" nicht aussprechen. Da kommt dann so was wie "Selel" raus. Ich schmunzelte. Aber die Römer nennen sie Serer, weil da die Seide herkommt. Wenn es weit im Süden auch ein Volk dieses Namens gibt, werde ich wohl mal dahin reisen müssen. Schon allein, um mal den Süden gesehen zu haben."


    Ich sah mir Ánthimos's Bewegungen genau an. Ja, bekannt sah das aus. Ich nahm mir also eine Diskus und nahm ihn, so wie es mir gerede gezeigt wurde, und schwang den rechten Arm zweimal. Dann schüttelte ich kurz den Kopf. "So geht das nicht."


    Ich legte den Diskus beiseite und zog das Hemd aus und nahm den Diskus erneut. So ging es besser. Ich machte langsam alle Bewegungen nach, nur dass ich nicht den linken Arm ans rechte Knie legte. Statt dessen hielt ich den linken Arm parallel zum Diskus unter dem rechten Unterarm und bewegte ihn dann nach einer Vierteldrehung in Wurfrichtung, um extra Schwung zu holen. Ja, genau, das war der Wurfstil, den ich damals hatte.


    "Ich glaube, ich hab's."

    "Hoffentlich. Ich habe zwar viele Sitten der Inder und Serer angenommen, aber meine attischen Wurzeln habe ich niemals ganz vergessen. Diese Wurzeln müssen mal wieder etwas gestärkt werden. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne mit dem Diskus beginnen. Als Jugendlicher war ich darin mal ziemlich gut."


    Ich sah Ánthimos erwartungsvoll an.

    Ich lächelte freundlich.


    "Ich bin dir nicht böse, ganz im Gegenteil. Es ehrt dich, dass du dich selbst so gut kennst, dass du um die Gefahren weißt, die das Erlernen dieser Techniken für deine Gegner hätte. Und es ehrt dich, dass du den Sieg nicht über deine Prinzipien stellst."


    Ich meinte es ganz genau so wie ich es sagte, was auch durch den Tonfall meiner Stimme und meine Gestik deutlich wurde. Ich hatte allergrößte Hochachtung vor seiner Entscheidung.


    "Aber da wir gerade von Sport reden. Bist du gut in Speerwerfen und Diskuswerfen? Ich habe das nämlich seit mehr als fünfzehn Jahren nicht mehr gemacht und würde es gerne mal wieder ausprobieren. Leider habe ich aber auch vergessen, wie das geht."


    Unglücklicherweise war auch das die Wahrheit.

    Ich nickte ihm anerkennend zu.


    "Das ehrt dich. Was du allerdings bedenken solltest, ist, dass du ja erstens nicht alles lernen musst und zweitens entscheidest auch du, wie du eine Technik anwendest. Ich kann meine Faust gegen die Kehle des Gegners richten oder gegen seinen Bauch. Ersteres kann durchaus tödlich sein, während der Bauch doch meist nur die Luft raubt. Ich für meinen Teil habe auch nur deshalb den Räubern Gelenke gebrochen, weil sie mit Messern bewaffnet waren und ich sonst das Schwert benutzt hätte. So habe ich mein Schwert nicht gezogen und beide leben, auch wenn der eine ein gebrochenes Handgelenk hat und der andere ein gebrochenes Knie. Hätte ich mein Schwert gezogen, wären sie jetzt beide tot. Jeder Kämpfer trägt die Verantwortung, selbst zu entscheiden, wann er welche Technik anwendet. Natürlich wendet man im sportlichen Wettkampf nur die Techniken an, die dem Gegner keinen langfristigen Schaden zufügt oder gar tötet. Deshalb würde ich dir auch nur das beibringen, was zum Wettkampf taugt. Diese Schläge zum Beispiel reichen auch aus, um einen dünnen Stapel Dachziegel durchzuschlagen. Also etwa eine Elle. Die Kraft angemessen zu dosieren wäre auch eine wichtige Lektion. Man muss genau so viel Kaft in den schlag setzen können, wie man es für ausreichend erachtet. Nicht mehr und nicht weniger."

    Das war ein berechtigter Einwand.


    "In einem Wettkampf noch nicht. Wettkämpfe gab es da nicht. Ich denke aber, dass es auch im Wettkampf funktioniert. Es ist natürlich auch wichtig, dort zu treffen, wo man am meisten Wirkung erzielt. Zum Beispiel die Kehle oder die Magengrube. Deshalb muss man schneller sein als der Gegner abwehren kann. Außerdem sollte man die Kraft des Gegners gegen ihn benutzen, anstatt die eigene Kraft zu verwenden. Gegen Räuber habe ich es allerdings schon eingesetzt. Wobei ich da eher die Techniken zum Brechen der Gelenke verwendet habe."

    "Noch ja. Deshalb benutzen wir Schulter und Hüfte. Bevor man trifft, dreht man Schulter und Hüfte so schnell wie möglich auf den Gegner zu. Etwa so."


    Ich führte den Schlag noch einmal aus, diesmal aber mit der Bewegung aus Schulter und Hüfte. Dadurch kam ich etwa eine halbe Armlänge weiter nach vorne.


    "Wenn dann auch noch Beinarbeit dazu kommt, so dass man den Schwung aus der Bewegung nehmen kann, kann man schon eine ziemliche Kraft entwickeln. Geschwindigkeit ist natürlich auch essentiell."


    Ich zeigte den Schlag erneut, diesmal allerdings so schnell wie ich konnte.

    "Die höchste Kunst des Kampfes ist es, nicht zu kämpfen," kommentierte ich seine Bemerkung über Krieger. Allerdings zeigte mir seine Antwort auch, dass er verantwortungsvoll mit dem Erlernten umgehen würde.


    "Wir können ja erstmal mit etwas ganz einfachem anfangen. Die meisten Menschen schlagen mit der Faust einen Schwinger. Das ist prinzipiell ein Fehler, weil man damit zu langsam ist. Besser ist es, gerade zu schlagen. Das hat nur den Nachteil, dass die Faust bei Schlägen zum Oberkörper oder Kopf mit den Fingern nach Oben zeigt. Deshalb dreht man die Faust, bevor man trifft."


    Während ich sprach, führte ich den Fauststoß vor. Ich hielt meine linke Hand angewinkelt nach vorne, quasi als Trefferfläche, und machte den Fauststoß während meiner Beschreibung, so dass Ànthimos Worte und Bewegung synchron sah.


    "Alles klar?"

    "Es ist dem Pankration ähnlich, wobei allerdings Elemente des Ringens fehlen. Dafür werden wirklich alle Teile des Körpers genutzt, die als Waffe taugen. Also Hände, Arme, Ellenbogen, Schultern, Füße, Beine, Knie und der Kopf. Wobei man den eher zum Denken benutzen sollte. Deshalb auch die Beanspruchung von Schultern und Rücken beim Aufwärmen, weil man gerade Schultern udn Rücken sonst leicht zu trainieren vergisst. Die Finger werden auch trainiert, zum Beispiel, indem man in Eimer mit Sand schlägt - mit ausgestreckten Fingern. Techniken mit Waffen kommen dann auch noch dazu, vor allem die Lanze und - das Edelste zum Schluss - der Schwertkampf. Wenn du möchtest, kann ich dir ein paar Techniken beibringen, die vielleicht auch beim Pankration nützlich sind."


    Warum machte ich ihm eigentlich den Vorschlag? Ich wusste es nicht, aber ein inneres Gefühl sagte mir, dass es das Richtige war.

    Ichmusste lachen.
    "Ja, darf man. Das liegt daran, dass es zu meinem Training dazu gehört. Ich trainiere nicht für die olympischen Spiele, da wäre ich wohl chancenlos. Ich trainiere lieber etwas, das ich auf meinen Reisen gelernt habe. Jenseits von Indien, hinter den Bergen. Man könnte es als Kampfkunst bezeichnen, aber es taugt nicht nur zum kämpfen. Man könnte es auch als Meditation bezeichnen. Als Sport würde ich es eher nicht bezeichnen. Nunja, und das Laufen nehme ich als Ersatz. Eigentlich habe ich immer zwei Eimer mit Wasser über ein Joch gelegt und bin damit den Berg hoch und wieder runter. In Ermangelung von echten Bergen muss ich halt normal laufen, aber die Kleidung gehört dazu."
    Ich zuckte mit den Schultern und grinste.
    "Ich bin also nicht verrückt... denke ich."

    Exakt nach der zwölften Runde reduzierte ich meine Geschwindigkeit, bis ich stand und blieb dann einen Moment lang stehen, um meine Atmung wieder zu normalisieren. Ich atmete tief und bewusst ein und aus, einmal, zweimal... bis ich zwölfmal so geatmet hatte. In der Tat, das funktionierte noch immer, auch wenn mich die Lauferei mehr geschafft hatte als früher. Entweder lag es an der Hitze, oder ich wurde alt, oder ich war einfach zu schlecht im Training. Ich beschloss, dass es wohl Letzteres wäre.


    Ich wischte mir kurz mit einem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht und ging auf den Fremden zu. Es war mein Sinn für Höflichkeit, der mich zu ihm gehen ließ.
    "Chaire. Ich bin Marcus Achilleos aus Athen. Trainierst du öfter hier?"

    Als ich zur Seite sah, bemerkte ich, dass sich der andere Läufer zu mir gesellt hatte. Ich nickte ihm kurz zu und konzentrierte mich dann weiter auf mein Laufen. Ich hielt meine Schrittfolge exakt im gleichen Takt und passte meinen Atem an die Schritte an. So würde ich sicher eine ganze Weile durchhalten. Allerdings würde ich nicht so lange laufen, bis ich völlig außer Atem war. Das war nicht Sinn der Übung, denn das eigentliche Training würde erst nach dem Laufen anfangen. Nach der ersten Runde hatte ich die Belastung, die eine Runde für meine Kondition bedeutete, ungefähr abgeschätzt und beschlossen, noch weitere 11 Runden zu laufen, was dann exkt 12 machte. 12 war eine gute Zahl, immerhin gab es zwölf Monate. Hin und wieder schielte ich kurz zu meinem Nachbarn herüber. Er war ziemlich kräftig und vermutlich ein Jahrezehnt jünger als ich. Er schien recht gut in griechischer Athletik ausgebildet zu sein. Ob er wohl auch ein guter Ringer war? Zumindest von der Figur her war er zum Ringer bestens geeignet.