Beiträge von Marcus Achilleos

    Auch wenn ich schon lange nicht mehr griechische Athletik trainierte und auch nicht vorhatte, das zu ändern, beschloss ich, war ich zum Gymnasion gegangen, um meine eigenen Übungen zu machen. Zumindest erschien das Gymnasion der denkbar geeignetste Ort zu sein. Ich war gekleidet wie immer, also in Hose und Hemd, nur dass ich die Schuhe lieber ausgezogen hatte, damit sie nicht kaputt gehen. Ich legte sie zu der Wechselkleidung, die ich extra mitgenommen hatte.


    Ich wollte mit ein wenig Lauftraining anfangen, um warm zu werden. In Ermangelung von Eimern voller Wasser und Bergen war das die beste Art. Ich bemerkte, dass bereits jemand seine Runden drehte und begann ebenfalls, zu laufen. Wobei ich recht schnell merkte, dass Kleidung ideal geeignet ist, einen schneller aufzuheizen als einem lieb ist. Dennoch lief ich konzentriert weiter und machte kene Anstalten, mich der Kleidung zu entledigen. Es ging hier nicht nur um Fitness, sondern auch um Selbstbeherrschung.

    Als ich vor dem Museion ankam, ging ein römisch gekleideter Mann auf mich zu. Er schien wohl jemanden oder etwas zu suchen.


    "Entschuldige, Herr, bist du Marcus Achilleos?"


    Das war ja interessant. Er suchte mich? Und wie kam er darauf, dass er mich... ach ja, meine Kleidung, logisch!


    "Ja, der bin ich. Aber dein Herr bin ich nicht. Was kann ich für dich tun... äh... wie war noch gleich dein Name?"


    "Perseus, Herr... ich meine... wie soll ich dich nennen?"


    "Achilleos. Nenn mich einfach Achilleos. Nun, was kann ich für dich tun, Perseus?"


    "Die Herrin Rediviva Helena schickt mich. Dieser Brief erklärt alles."


    Ich nahm den Brief entgegen und las ihn mir durch.



    Salve Marcus,


    ich hoffe es ist in Ordnung, wenn ich es bei der persönlichen Form belasse, obwohl wir uns noch nicht kennen und noch nicht einmal nahe miteinander verwandt sind. Ja, ich war wirklich überrascht von einem Sohn von ihm zu hören, aber ich freue mich auch. Denn jegliche nahen Verwandten von Einst gibt es nicht mehr. Und ja, natürlich bin ich auch sehr misstrauisch, erst jetzt von einem Sohn zu hören, weiß ich doch nicht einmal, wie alt du bist und wie du aussiehst. Ich würde mich allerdings sehr über einen Besuch freuen. Ich schicke dir diesen Sklaven mit. Er hat Geld für die Reise und ist absolut loyal. Ich vertraue ihm.
    Ich würde mich freuen, dich hier als Gast begrüßen zu dürfen. Ob du wirklich der Sohn des Nauticus bist, werde ich ja feststellen, wenn ich dich sehe. Denn dann wirst du sicherlich Ähnlichkeit mit ihm aufweisen.


    In Erwartung auf ein Bekanntes Gesicht
    Rediviva Helena


    Ich rollte den Brief zusammen und gab ihn wieder an den Sklaven zurück.


    "Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Komm morgen nachmittag vorbei, dann können wir los. Du organisierst bis dahin ein Schiff. Es muss nicht komfortabel sein, Hauptsache es schwimmt."


    Ich nickte dem Sklaven kurz zu und ging dann zu meinem Quartier, um mich schlafen zu legen.

    Obwohl die Zeit der Mittagshitze schon überstanden war, brannte die Sonne immer noch recht erbarmungslos vom Himmel. Ich sah mich kurz um und entdeckte eine klein Taverne, von der aus man einen guten Blick auf den Leuchtturm hatte. Die überdachten Arkaden vor der Taverne beherbergten ein paar Tische, die wohl dazu gehörten. Ich ging dort hin und setzte mich an einen der alten Tische. Kurz darauf kam auch schon eine junge Griechin un fragte mich, ob ich etwas bestellen wollte. Natürlich wollte ich und so bestellte ich - zum Erstaunen der Bedienung - Posca! Wein trank ich aus Prinzip nicht und dem Wasser traute ich nur bedingt.
    Nach einiger Zeit brachte sie mir einen einfachen Tonbecher und eine ebenso einfache Kanne, die mit Posca gefüllt war. Ich füllte den Becher und nahm einen Schluck. Etwas zu viel Essig für meinen Geschmack, aber das war kein Problem für mich. So lehnte ich mich in dem Schilfstuhl zurück und betrachtete das Panorama des Hafens mit Leuchtturm, während ich im Schatten saß und hin und wieder einen Schluck Posca trank.

    Ich hatte mich entschieden zum Hafen zu gehen. Es herrschte hier zwar geschäftiges Treiben , wie überall in der Stadt, aber der Blick auf das Meer ließ mich die Menschen um mich herum eine Weile vergessen. Ich suchte mir einen Platz etwas abseits der stark genutzten Anlegestellen. Da stellte ich mich hin und beobachtete die Schiffe, die in den Hafen hinein fuhren oder ihn verließen.
    Dann folgte mein Blick den Möwen, die elegant durch die Lüfte flogen und sich hier und da ein Stück von einem Fisch oder sonstwas schnappten. Als ich so einer Möwe bei ihrem Flug hinterher sah, wurde mein Blick plötzlich von einem unglaublichen Bauwerk gepackt. Der Leuchtturm! Warum hatte ich dieses Weltwunder bislang eigentlich immer ignoriert? Ich wusste es nicht, aber es war schon eine technische Meisterleistung. Ich beschloss, den Anblick eine Weile zu genießen.

    "Sollten die beiden Götter gerade nicht auf mich aufpassen, dann wird es ganz sicher die Göttin Athene machen. Sie hat mich schon so oft beschützt, da wird sie mich auf See nicht allein lassen. Odysseus hat sie ja auch stets beschützt, auch wenn ich kein Held bin."
    Ich bemerkte, dass sie traurig war.
    "Sei nicht traurig, Axilla, wir werden uns wiedersehen oder zumindest schreiben. Ich werde dieser Welt sicher noch etliche Jahrzehnte erhalten bleiben. So leicht bin ich nicht klein zu kriegen."
    Ich lächelte ihr dabei aufmunternd zu.

    Nachdem wir wieder an der Porta angekommen waren, fiel mir noch etwas ein.
    "Ähm, Axilla, würdest du mir einen Gefallen tun und Urgulania sagen, dass ich ihrer Einladung leider nicht folgen kann, weil ich mich auf die Reise begeben muss? Wenn ich das nächste Mal in Alexandria bin, werde ich ihr vom Land der Serer berichten. Und wenn ich es nicht schaffen sollte, werde ich ihr den Bericht halt schreiben."
    Ich lächelte Axilla an.
    "Vielleicht schreibe ich ja doch mal ein Buch über meine Reise, wenn ich jemanden finde, der es vertreibt. Dann werde ich ein paar Exemplare für mich verlangen und dann bekommst du auch eins."

    "Wir sehen uns ganz sicher irgendwann wieder. Wenn ich mich schließlich irgendwo niederlasse, kannst du mich ja besuchen. So groß ist das Imperium Romanum nun auch wieder nicht."
    Ich lächelte fröhlich, während ich das Amulett wieder in meinem Kragen verschwinden ließ. Mit dem Lächeln wollte ich vor allem Axillas Stimmung etwas heben. Das war jetzt doch ein sehr ernstes Gespräch geworden, zumal es um einen Abschied ging. Aber wenigstens hatte ich reinen Tisch gemacht.
    "Ich werde dir natürlich auch schreiben, wenn ich die Zeit und Mittel dazu habe."
    Und dann stand ich auf.
    "Ich denke, es ist jetzt an der Zeit zu gehen."

    Ich griff an meinen Hals, um die feine Kette, an der ein goldenes Amulett hing, zu greifen und das Amulett hervor zu holen. Auf der einen Seite war das Familienwappen der Octavier, auf der anderen war das Abbild eines bärtigen Mannes, um das herum der Name Marcus Octavius Nauticus graviert war. Ich hielt ihr das Amulett hin.
    "Dieser Mann ist mein Vater, und ich weiß eigentlich nichts über ihn. Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, hatte ihr verboten, ihn zu heiraten, weil er nicht wollte, dass seine griechische Tochter einen Römer heiratet. Meine Mutter war eine gute Tochter und folgte ihrem Vater. Dafür habe ich meinen Großvater immer gehasst. Nicht, weil mir irgendwelche Rechte als Römer verwehrt blieben. Auch nicht, weil ich dadurch zum Bastard wurde. Nein, das alles war nicht wichtig. Aber dass er mir meinen Vater vorenthalten hat, das war wichtig!"
    Meine Worte waren fast emotionslos. Nur ganz leicht schwang zum Schluss eine leichte Verärgerung mit. Früher hätte ich sie hasserfüllt gesagt, aber die Zeiten waren vorbei.
    "Ich muss nach Athen, so lange mein Großvater noch lebt, und ihm verzeihen. Und dann muss ich Menschen finden, die mir etwas über meinen Vater erzählen können, damit ich sein Andenken angemessen ehren kann. Ganz zum Schluss werde ich nach Rom reisen, um das Amulett der Gens Octavia zu geben. Wohin ich dann gehe, kann ich nicht sagen. Vielleicht baue ich irgendwo ein kleines Kloster, mal sehen."
    Ich lächelte leicht.

    "Tugenden sind wichtig. Rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Handeln... das alles führt einen zur Erlösung von Leiden. Man soll auch nicht alle Gefühle loswerden, sondern nur die, die zu Verlangen oder zu Ablehnung führen. Freude ist gut, Freundschaft ist gut. Ehre kann ein Problem sein. Ehre ist nichts, was ich verteidigen kann. Ich habe sie durch rechtes Handeln. Durch Beleidigungen kann man sie mir nicht nehmen. Niemand kann sie mir nehmen, außer ich selbst. So ist es auch mit der Befreiung von Leiden. Niemand kann mich befreien, außer ich selbst."
    Ich sah einen Moment lang nachdenklich an die mir gegenüber liegende Wand.
    "Ich bin nicht abgestürzt, ich war schon immer am Boden. Die Schwere meines Selbst hat mich immer unten gehalten. Wenn ich jemals fliegen will, muss ich die Last, die ich mit mir herum schleppe, loswerden. Damit habe ich jetzt angefangen. Und ich werde damit weitermachen. Das bedeutet leider auch, dass ich zumindest in nächster Zeit unmöglich dein Lehrer werden kann, weil ich viel reisen muss."

    "Liebe verursacht Leiden. Hass verursacht noch mehr Leiden."
    Mein Antwort war fast emotionslos.
    "Man sollte aber Mitgefühl mit allen Lebewesen haben. Nichts verlangen, aber niemanden zurückweisen. Das ist die Lehre des Buddha. Wenn ich das mit der Lehre des Meister Kong kombiniere, dann kommt noch hinzu, dass man sich nicht gegen den Lauf der Dinge stellen soll. "
    Ich fegte mit der Hand über den Boden, um etwas von dem feinen Staub der Wüste aufzusammeln.
    "Ich denke nicht, dass die Götter uns quälen wollen. Es passiert ihnen aus Versehen, weil sie uns gar nicht bemerken. Wirsind wie dieser Staub."
    Ich ließ den Staub aus meiner Hand zu Boden fallen.
    "Unbedeutend. Gegen diese Erkenntnis habe ich mich lange gewehrt, aber jetzt habe ich es akzeptiert. Ich würde dir gerne eine bessere Wahrheit über die Welt nennen, aber dann würde ich lügen."

    "Du irrst dich in bezug auf mich."
    Mehr konnte ich nicht sagen. Ich wollte ihr nicht erzählen, wie streng ich die Gesetze ausgelegt hatte. Ein Despot war schlimm, aber ein Legalist war schlimmer, weil der Legalist keine Gnade kannte. Ich war Legalist, auch wenn ich mich inzwischen geändert hatte.
    "Ich habe aber beschlossen, mich zu ändern. Einer der Mönche in Indien sagte einmal zu mir, dass meine Arroganz und mein Stolz bei mir und anderen immer neues Leiden hervorrufen würden und mich eines Tages vernichten würden. Seit gestern weiß ich, dass er recht hatte. Seit heute morgen habe ich auch verstanden, dass die Lehre des Buddha, der er anhing, recht hat. in Bezug auf die Wiedergeburten glaube ich ihnen nicht ganz, aber der Rest passt durchaus. Leben bedeutet Leiden. Leiden wird verursacht durch Begehren, Abneigung und Unkenntnis. Wer die Ursachen auslöscht, löscht das Leiden aus. Und genau das habe ich vor. Ich habe die Erkenntnis akzeptiert, deshalb muss ich nur noch Begehren und Abneigung überwinden. Das ist ab sofort der Sinn meines Lebens. Es darf keinen anderen Sinn geben."
    Ich hatte Axilla während meiner Ausführungen nicht angesehen, denn ich sprach eher zu mir selbst als zu ihr.

    Was sollte denn diese Frage? Natürlich kannte ich die Geschichte.
    "Er bekam von seinem Vater Flügel gebastelt, damit er fliehen konnte. Er sollte aber nicht übermütig werden und zu hoch fliegen. Wurde er aber, flog zu hoch und kam der Sonne zu nahe. Wachs und Sonne sind eine schlechte Kombination, also lösten sich die Flügel, die ja mit Wachs die Federn hielten, auf und er stürzte ab ins Meer."
    So langsam dämmerte mir, dass sie weder die eben erzählte Kurzform noch die komplette Geschichte hören wollte, sondern auf etwas anderes hinaus wollte.
    "Warum hast du mich nach der Geschichte gefragt?"
    Ich sah sie kurz fragend an, weil es unhöflich gewesen wäre, sie nicht anzusehen.

    Ich ging zu der Bank und setzte mich - allerdings daneben und auf meine Knie. Das war zwar unangenehm und auf Dauer schmerzhaft, aber das ließ ich mir nicht anmerken. Bequemes Sitzen war auch nur das Nachgeben gegenüber einem Verlangen. Zumindest glaubte ich das in diesem Moment. Allerdings sagte ich nichts, sondern überließ Axilla die Initiative. Sie hatte sie ja bereits.

    Ich blieb in einer leichten Verneigung stehen.
    "Noch eine Erklärung, vielleicht... Der Soldat hat... er ist ein guter Mensch. Das hat mich zutiefst getroffen, weil ich dadurch erkannt habe, was für ein schlechter Mensch ich bin. Wenn selbst ein römischer Soldat Nicht-Römer freundlich behandeln kann, wie viel schlimmer ist es dann, wie ich in Han geherrscht habe? Ich habe auch noch immer Verlangen nach Macht. Ich darf kein Verlangen mehr haben. Nach nichts. [SIZE=7]Verlangen ist eine der Ursachen von Leiden... ich muss mich ändern... muss mich ändern...[/SIZE]
    Warum gab ich ihr einen solchen Einblick in mein Seelenleben? Das ging sie nichts an, damit durfte ich sie nicht belästigen. Warum tat ich es?
    "Entschuldige, ich wollte dich nicht belasten. Ich gehe jetzt besser."
    Ich verbeugte mich noch einmal tief und ging dann rückwärts in Richtung Tür, wobei ich mich immer wieder verbeugte.

    Ich hielt meine Hände nach wie vor gleich während ich mich aufrichtete, wobei ich den Blick immer noch gesenkt hielt.
    "Ich danke dir, Iunia Axilla."
    Dann verbeugte ich mich noch dreimal.
    "Wenn du gestattest, möchte ich mich nun entfernen. Ich habe deine Zeit schon genug beansprucht," sagte ich mit immer noch gesenktem Blick.

    Wenn sie es unbeingt wollte, stand ich auf. Dabei blieb mein Rücken aber gebeugt, und ich sah sie auch nicht an, wenngleich ich den Rücken nicht in einer 90°-Verneigung halten konnte. Als ich stand, legte ich den Rücken der rechten Hand in die Fläche der linken, so dass meine Arme einen Bogen leicht unterhalb vor meinem Kopf formten. Dann verneigte ich mich wieder tiefer, bis mein Körper fast 80° zu den Beinen Stand.
    "Ich bitte dich erneut, edle Axilla, mein aufrichtiges Bedauern über mein gestriges Verhalten zu akzeptieren."

    Ich hob ganz leicht den Kopf, doch nicht genug, um sie anzusehen.
    "Iunia Axilla, ich bedaure zutiefst, dich gestern ungerecht behandelt zu haben! Das wiegt umso schwerer, weil ich mir den Ruf der Rechtschaffenheit einst erworben hatte. Mein Verhalten war unverzeihlich, es ist unentschuldbar! Deshalb bitte ich dich nicht, mein Verhalten zu entschuldigen, sondern nur, mein Bedauern zu akzeptieren!"
    Ich senkte den Kopf wieder, wohl wissend, dass ich ihre Frage nicht beantwortet hatte. Ich war aber auch nicht hier, um ihr etwas über andere Kulturen zu erzählen, sonder, um mich zu entschuldigen.