Beiträge von Marcus Achilleos

    "Wage es nie wieder, dich für mich zu entschuldigen!" sagte ich eiskalt zu Axilla, nachdem der Legionarius wieder auf seinen Posten zurückgekehrt war. "Ich wollte dem Mann gerade eine Erklärung geben. Und das werde ich jetzt auch. Und glaube mir dies, ich weiß sehr genau, wie ich mich Soldaten gegenüber zu verhalten habe."
    Also drehte ich mich um und ging wieder zu dem Soldaten.
    "Ich schulde dir eine Erklärung, Legionarius. Deinen Namen wollte ich nur wissen, weil ich gerne weiß, mit wem ich spreche. Ich sehe ein, dass ich mich im Ton vergriffen habe. Aber folgendes solltest du bedenken: Wenn dich die Leute für nett halten, kann es sein, dass einige der Meinung sind, dass du ungefährlich bist. Und dann könnten ein paar davon versuchen, an dir vorbei zu kommen. Solche Situationen eskalieren dann sehr schnell und es gibt Verwundete und manchmal sogar Tote. Ich spreche da aus Erfahrung. Ich hatte militärische Befehlsgewalt, wenn auch nicht im Imperium. Deshalb mein Hinweis. Ich hätte es aber höflicher sagen können und sollen."

    "Aufstände und Stadtverteidung sind also keine Probleme, mit denen sich die Stadtwache herumschlagen muss. Das macht die Sache einfacher, aber ich würde mich nicht unbedingt darauf verlassen, dass die Legionen rechtzeitig da sind. Es ist immer besser, wenn man die Lage in den Griff kriegt, bevor sie außer Kontrolle gerät."
    Ich gesellte mich zu der Karte. Eine sehr präzise Karte, wie ich feststellen musste.
    "Beide Probleme sind lösbar. Mit einem guten Netzwerk von Spionen und Informanten sollte es gelingen, auch mit wenig Personal rechtzeitig eingreifen zu können."
    Ich dachte kurz nach.
    "Stratege, ich mache dir einen Vorschlag. Gib mir die Verantwortung für einen Stadtteil und 50 Männer. Ich denke, Rhakotis würde meine Fähigkeiten am besten zum Vorschein bringen. Ich verlange dafür eine Entlohnung von 10 Sesterzen pro Woche, 50 Männer, und freie Hand bei der Bestrafung der Männer unter meinem Kommando. Wenn sich die Lage binnen einem Monat deutlich verbessert, dann werden mir zsätzlich 50 Sesterzen als Einmalzahlung gegeben. Nun, was denkst du über diesen Vorschlag, Stratege?"

    Ich verbeugte mich leicht.
    "Stratege. Zunächst einmal möchte ich meinen Eindruck der Stadtwache äußern. Die Torposten sind faul und undiszipliniert. Sie kontrollieren nachlässig. Die Patroullien sind häufig ebenso wenig motiviert. Das ist nicht gut. Das erweckt einen schlechten Eindruck. Deutlich besser sehen die Wachen um die Agora und das Museion aus, aber davon ist auszugehen. Das führt mich zu meinem ersten Vorschlag: Mit harten Strafen, aber auch guten Belohnungen sollte die gesamte Stadtwache auf einen Stand gebracht werden, der sie in Disziplin und Schlagkraft einer römischen Einheit gleichwertig macht. Das bedeutet auch, dass ihre Kondition so gut ist, dass ihnen das heiße Wetter wenig aumacht. Idealerweise fängt man mit einer kleinen Einheit an und sorgt dann dafür, dass nach diesem Beispiel der Rest der Stadtwache ausgebildet wird."
    Ich sah den Strategen an.
    "Des weiteren benötigen wir eine Einheit, die für spezielle Anlässe ausgebildet ist, zum Beispiel den Schutz von großen Veranstaltungen und die Niederschlagung von Aufständen. Eine solche Einheit sollte in etwa zr Hälfte aus Bogenschützen und zur anderen Hälfte aus Infanterie bestehen. Die Infanterie muss so ausgebildet sein, dass sie nicht weicht, egal, was gegen sie stürmt, während die Bogenschützen absolut zielsicher sein müssen."
    Ich sah mein Gegenüber gelassen an und wartete auf einen Kommentar.

    Ich ging langsam auf den Soldaten zu.
    "Die junge Dame ist Iunia Axilla und wohnt in der Basileia. Ich bin Marcus Achilleos und ich wohne nicht hier. Iunia Urgulania hatte mich vor einigen Tagen eingeladen, allerdings keinen festen Termin vereinbart. Ich werde also vermutlich in keiner der Gästelisten auftauchen. Wie lösen wir das Problem?"
    Ich hob eine Augenbraue.

    "Frauen sollten das schaffen können. Meine Frau hat das auch geschafft. Mit Disziplin und Freude am lernen sollte das kein Problem sein."
    Ich sah sie an.
    "Du möchtest, dass ich dein Lehrer werde, richtig? Bevor du jetzt antwortest, will ich etwas klarstellen. Ich unterrichte dich nur dann, wenn ein erziehungsberechtigter männlicher Verwandter von dir zustimmt. Und du musst mich fragen. Das verlangt die Tradition."

    Ich zuckte mit den Schultern.
    "Das ist schwer zu sagen. Als ich anfing, das alles zu lernen, erschien es mir unmöglich. Aber wenn ich jetzt zurück blicke, dann war es eigentlich ganz einfach. Jedenfalls, wenn man das auswendig lernen weg lässt. Und das würde ich nur von Schülern verlangen, die sich auf die Beamtenprüfung in Han vorbereiten."

    "Ich meine damit Bewegunsgübungen und Atemübungen, die es einem erlauben, den Fluss der kosmischen Energie durch Körper und Geist zu lenken. Ganz nebenbei gewöhnt man sich dabei auch an fließende Bewegungen, die es einem ermöglichen, sich sehr elegant fortzubewegen - wenn man das will. Es gibt auch Übungen, die dem Kampf dienen, aber die sollte man eher Kriegern vorbehalten. Oder denen, die viel reisen und dadurch Gefahr laufen, überfallen zu werden. Gerade das Erlernen dieser Übungen erfordert sehr viel Disziplin. Aber die innere Ruhe, der innere Frieden, den man damit erhält, ist es wert. Man nimmt seine Umgebung auch viel bewusster wahr. Kleinigkeiten fallen einem auf, die man vorher übersehen hätte."

    Ich lächelte schon wieder entschuldigend.
    "Tut mir leid... die letzten Gespräche über Philosophie, die ich hatte, waren alle mit anderen, die wie ich jahrelang studiert hatten. Da vergesse ich manchmal, wie ich zu Beginn meiner Studien war und dass ich seitdem sehr viel gelernt habe. Diejenigen, die ich mal unterrichtet hatte, waren auch schon fortgeschrittene Studenten. Das ist etwas ungewohnt für mich. Ob ich deshalb Lehrer... also weißt du, in Han ist es üblich, dass man einfach jemanden fragt, ober einen unterrichten würde. Und der sagt dann ja oder nein. Und es ist auch üblich, dass die Lehrer sehr viel Disziplin von ihren Schülern verlangen. Jedenfalls beim Lernen. Außerdem sind Körper und Geist eine Einheit und müssen gleichermaßen geschult werden. Damit meine ich aber nicht die Athletik der Griechen."

    "Nun, wenn ich Subjekt-orientiert sage, dann meine ich damit, dass die Philosophie sich mit Menschen und ihren Interaktionen untereinander und mit dem Kosmos beschäftigt, und zwar mit dem Ziel, den Menschen dadurch möglichst direkt zu nutzen. Im Gegensatz dazu beschäftigt sich eine Objekt-orientierte Philosophie vor allem auch mit Dingen, beispielsweise der Lehre der Elemente, Mathematik und so weiter, ohne dabei primär den Nutzen für den Menschen als Ziel zu haben. Das bedeutet nicht, dass es kein sekundäres Ziel sein kann. Hinzu kommt noch, dass Objekt-orientierte Philosophie auch den Erwerb von Wissen um des Wissens Willen fördert, während Subjekt-orientierte Philosophie Wissen um des Nutzens Willen fördert. Zugegeben, die Begriffe Subjekt und Objekt sind in diesem Zusammenhang etwas irreführend, aber mir fielen gerade keine besseren ein."
    Ich zuckte mit den Schultern und lächelte etschuldigend.

    "Nein, sie kennen keine griechischen Philosophen. Ein paar Einflüsse aus Indien gibt es, aber im wesentlichen beschäftigt man sich mit Philosophen aus Han. Die halten sich für das Zentrum der Welt. Kommt dir als Römerin das irgendwie bekannt vor?"
    Ich grinste ironisch und zwinkerte ihr zu.
    "Nimm's nicht persönlich, wer so weit wie ich gekommen ist, stellt irgendwann fest, dass die Welt mehr als ein Zentrum hat. Wenn ich die Philosophien vergleichen sollte, dann würde ich sagen, dass die Philosophie in Han eher Subjekt-orientiert ist und die griechische Philosophie eher Objekt-orientiert. Obwohl man das nie so ganz trennen kann."

    Ich lächelte höflich.
    "Ja, das ist es. Ich kann nur jedem Menschen wünschen, so eine Ehe zu haben. Wir lebten wirklich harmonisch zusammen. Es war schon eine schöne Zeit. Aber," mein Lächeln verschwand plötzlich, "Zeiten ändern sich. Aber das... die Götter werden sich schon was dabei denken, wenn sie einem harte Prüfungen auferlegen."

    "Aus Griechenland? Nein, da war ich noch nicht verheiratet. Ich denke nicht, dass ich solche Strapazen meiner Ehefrau angetan hätte oder antun würde. Ich habe erst geheiratet, nachdem ich ein Jahr lang Beamter war. Da war ich schon acht Jahre in Han. Sie war die Tochter eines Generals und außerdem die hübscheste Frau der ganzen Region. Obwohl ich da sicher nicht ganz objektiv bin. Griechinnen gab es da leider keine. Nunja, war auch nicht sooo schlimm. Wir haben uns tatsächlich geliebt, also es war keine strategische Heirat. Allerdings hätte ihr Vater niemals seine Erlaubnis gegeben, wenn ich nicht so ein hoher Beamter gewesen wäre. Und das, obwohl ich mich mit ihm sehr gut verstanden habe. Der Status in der Gesellschaft ist dort für die Familienplanung schon sehr wichtig."
    Ohne es zu merken, hatte ich die ganze Zeit gelächelt, als ich von Jiao sprach.

    "Die Frauen? Also die Gewänder sind ziemlich ähnlich, zumindest die langen. Kurze Gewänder habe ich noch gesehen bei Frauen in Han und ich habe auch noch keine Frauen in Hosen gesehen, also denke ich mal, dass es so was nicht gibt. Andererseits erzählt man sich Geschichten von einer Schwertkämpferin, die bisher unbesiegt geblieben ist, aber ich habe sie noch nie getroffen also denke, ich, das es eher eine Erzählung ist. Eine Schwertkämpferin hat ganz sicher Hosen, weil sie sich ja sonst gar nicht richtig bewegen kann. Mit lesen und philosophieren ist so wie überall in Han. Die gehobenen Schichten können das, die unteren Schichten nicht. Die Beamtenprüfungen sind aber allein Männern vorbehalten. Das liegt daran, dass Meister Kong der Meinung war, dass Frauen dazu nicht fähig wären. Ich bin da anderer Meinung, aber letztlich entscheidet das der Kaiser und wer bin ich, dem Kaiser zu Widersprechen? Meine Frau konnte jedenfalls lesen, schreiben, philosophieren, den Garten pflegen und auch noch gut kochen. Naja, eigentlich hat sie unsere Diener kochen lassen, aber die Rezepte waren von ihr. Genauso wie der Garten nach ihren Plänen von Dienern gestaltet wurde."
    Ich lächelte kurz, als ich an meine Jiao dachte.

    "Ja, die Griechen... ähm... eigentlich war ich ja auch mal Grieche... egal, jedenfalls legen die sehr viel Wert darauf, gut auszusehen. Gut nach ihren Vorstellungen. Ich schätze es eher, wenn man seine Aufgaben gut erfüllt. Übrigens, mir fällt gerade ein, ich glaube das Volk von Han wird von euch Römern als Serer bezeichnet." Wie kam ich jetzt von Griechen auf Serer?


    Zur Frage zu den Ziegeln antwortete ich: "Die haben das Geld. Der Staat ist ziemlich wohlhabend. Das mag damit zusammenhängen, dass der Staat das Monopol auf Eisen und Salz hat. Da kommt einiges bei zusammen. Ich habe ja nur von staatlichen Gebäuden gesprochen. Privathäuser haben nur sehr selten bunte Ziegel. Bunten Ton gibt es, so weit ich weiß, nicht."

    Ich musste lachen.
    "So viele Fragen! Lass mich überlegen... Jede Reise hat einen Anfang. Vor 17 Jahren, damals war ich gerade 15 Jahre alt geworden, wurde mir Athen zu eng. Ich wollte die Welt kennenlernen. Mein Vater war ein Trierarchos, meine Mutter stammt aus einer wohlhabenden und vornehmen Athener Familie. Sie meinte, ich sollte nach Westen gehen, mir Rom ansehen, vielleicht Germanien, Hispanien, später im Süden Alexandria. Aber was sollte ich da? Das war ja schon alles bekannt. Da hätten Bücher genügt. Aber was war im Osten? Alexander kam bis Indien, aber was kam nach Indien? Ich wollte es heraus finden. Ich schloss mich, gegen den Willen meiner Mutter, einer Karawane nach Osten an. Sie zogen bis nach Parthien, wo sie Seide kaufen wollten. Aber Parthien war schon bekannt. Ich lernte etwas parthisch, während ich als Buchhaltr für einen parthischen Händler arbeitete. Dann kam meine Gelegenheit! Eine Karawane entlang der Seidenstraße. Es ging nach Osten, bis zu einem hohen, schneebedeckten Gebirge. Es war unüberwindlich, deshalb gingen wir zunächst nach Norden, um dann nach Osten in eine Wüste zu ziehen. Durch Oasenstädte und geheime Brunnen konnten wir die Wüste durchqueren, aber Sandstürme und Überfälle der Einheimischen hielten uns auf und dezimierten die Karawane. Es kam gerade einmal die Hälfte der Männer durch die Wüste. Und dann kamen wir nach Dunhuang! Der Anblick war unglaublich!" Meine Augen leuchteten, so wie damals, als ich das mächtige Stadttor und die Stadtmauer von Dunhuang zum ersten Mal sah. "Die Stadtmauer war so hoch wie fünf Männer, das Stadttor nochmal gut ein Drittel höher. Das Tor war gedeckt mit bunten, glänzenden Dachziegeln, die weit ausladend darüber hinaus ragten. An den Ecken des Daches waren goldene Drachen angebracht und überall an der Mauer wehten Flaggen. Zwischen den Zinnen standen die Soldaten... so etwas hatte ich noch nie gesehen. Nach all den Entbehrungen sah ich wieder so etwas wie Zivilisation. Es kam ein Beamter, komplett in Seide gekleidet, auf uns zu, betrachtete die Waren und verlangte die Steuern. Außerdem mussten wir alle Waffen am Stadttor abgeben. Wir bekam für beides eine Quittung und durften in die Stadt. Auf dem Weg hatte ich in den Oasen etwas von der Sprache aufgeschnappt, und so fragte ich den Beamten, ob ich bleiben könnte. Er brachte mich zum Provinzpräfekten, der gerade in der Stadt war. Die Residenz war von einer Mauer umgeben, hatte drei Innenhöfe und Gebäude aus Holz, die bunt angemalt waren. Grüne Dachziegel glänzten in der Sonne und überall waren goldene Verzierungen auf dam Holz angebracht worden. Der Präfekt war auf einem Stuhl, dessen Lehne von zwei goldenen Drachen gehalten wurde. Hinter ihm war eine Flagge. Es war alles so groß... ich fühlte mich an den Parthenon in meiner Heimat erinnert. Aber die Menschen sahen so ganz anders aus. Ihre Haut ist dunkler und die Augen sind mandelförmig. Ich habe auch nur schwarze Haare und dunkle Augen gesehen. Und gekleidet sind sie... naja, so wie ich jetzt." Ich breitete kurz meine Arme aus, um sozusagen meine Kleidung zu präsentieren. "Auch wenn der Stoff meist nicht ganz so edel ist."

    Nachdem wir das Museion verlassen hatten, ging ich zunächst in Richtung Xenai Agorai, um dann aber in eine Parallelstraße zum Meson Pedion einzubiegen. Ich hatte die Hände dabei hinter meinem Rücken verschränkt, so wie ich oft ging, wenn ich mein Schwert nicht dabei hatte. Der feine Sand, der aus der Wüste kam und in einer hauchdünnen Schicht auf dem Pflaster der Straße lag, knirschte kaum hörbar, aber durchaus spürbar unter den Sohlen meiner Schuhe. Ich wandte mich an Axilla.
    "Ich soll dir also von meinen Reisen erzählen, ja? Und was möchtest du wissen?"