"Diese Ecke ist mir sozusagen zur Verfügung gestellt, also liegt es auch an mir, ob und wie hier aufgeräumt wird. Prinzipiell würden zwar die Sklaven das hier ordnen, aber ich habe es denen untersagt. Ich habe meine eigene Ordnung und die ist exakt einzuhalten. Außerdem ist mir das Risiko zu groß, dass vielleicht ein Original abhanden kommt. Wie du siehst, sind die Originale alle auf einzelnen Blättern und da kann schon mal eins verloren gehen. Wenn ich bedenke, wie viel Zeit ich in diese Kalligraphien gesteckt habe, würde mich das etwas... verstimmen."
"Erzürnen" wäre das ehrlichere Wort gewesen, aber das klang immer so negativ und gewalttätig. Ganz sorgfältig legte ich deshalb auch zuerst die Originale in ihrer richtigen Reihenfolge zusammen, so dass sie einen Stapel bildeten, dessen Kanten exakt gerade waren. Die Pergamentrollen, auf denen die Übersetzung stand, ließen sich nicht so fein stapeln, weil die Ecken nicht exakt gerade waren. Nachdem ich das Tintenfässchen verschlossen hatte und die Schreibfeder sorgfältig daneben platzierte, war ich bereit zu gehen. Deshalb stand ich auf.
"Nun?"
Beiträge von Marcus Achilleos
-
-
Ich registrierte gar nicht, dass Axilla sagte, dass sie mich beispielsweise als Lehrer wollen würde. Da waren meine Gedanken einfach schon weiter.
"Ja, vielleicht sollte ich das. Von meinen Schriften hältst du mich nicht ab. Wenn die Übersetzung fertig ist, ist sie fertig. Nicht früher und nicht später. Da besteht also gar keine Möglichkeit, mich von irgendwas abzuhalten." Ich lächelte höflich, um die Aussage zu unterstützen. "Wenn es da draußen nicht immer so schrecklich warm wäre. Ich meine, in Han war es auch warm im Sommer, aber nicht so warm. Außerdem hat es da wenigsten öfter mal geregnet."
Natürlich war meine Kleidung auch recht unpassend für diese Gegend, aber im Chiton fühlte ich mich nicht mehr wohl. Ich hatte mich an chinesische Kleidung gewöhnt und war auch irgendwie mehr Chinese als Grieche geworden. Schon seltsam, wie einen ein paar Jahre in einer anderen Zivilisation verändern konnten. -
"Ich hatte Verantwortung für eine ganze Stadt und die umgebende Region. Denkst du ernsthaft, dass mir so ein Leben ohne jede Verantwortung gefällt? Nein, nicht wirklich. Ich kann abr auch nicht jede Arbeit annehmen. Ich bin noch immer ein Beamter des Kaisers von Han. Ein Beamter im Exil, aber ein Beamter. Eine Anstellung am Museion ist zumindest grenzwertig. Ein Dienst in den Truppen ist ganz unmöglich. Ein Buch über meine Reise?" Ich schmunzelte. "Ich tauge nicht besonders zum Schriftsteller. Und die Übersetzung der philosophischen Schriften darf ich nicht verkaufen, das widerspricht meinem Gewissen. Ich als Lehrer? Na, ich weiß nicht, ob ich so gut erklären kann. Zumal ich nicht allzu viel unterrichten kann. Fernöstliche Staatskunst und einige fremde Kampftechniken vielleicht. Möglicherweise auch Mathematik. Und wer würde mich schon als Lehrer wollen?"
Wie üblich, unterschätzte ich meine Fähigkeiten recht deutlich. Als Schriftsteller konnte ich nicht so schlecht sein, weil meine Berichte an meine Vorgesetzten sich wegen ihrer Anschaulichkeit udn Präzision immer großer Beliebtheit erfreuten. Als Lehrer konnte ich auch nicht so schlecht sein, hatte ich doch fast ein Dutzend Männer so gut auf die Beamtenprüfungen vorbereitet, dass sie, wie ich einst, ohne einmal durchzufallen, bis zum akademischen Rang eines Jínshí aufgestiegen waren. Aber das sah ich anders. Vielleicht legte ich einfach meine Messlatte zu hoch.
"Da wir bei meiner Reise waren... mir fällt gerade ein, dass ich Iunia Urgulania versprochen hatte, sie mal zu besuchen und ihr von Han und Indien zu berichten. Ihr Iunier wohnt alle in der Basileia?" -
Ich zuckte mit den Schultern.
"Essen und Unterkunft habe ich im Museion. Für neue Kleidung habe ich meinn Seidenmantel verkauft. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was mich die Reise von Han hierher gekostet hat. Fünf Pferde habe ich verschlissen, das letzte starb nahe Assur. Für ein weiteres Pferd reichte mein Geld nicht mehr, also habe ich dort auch mein Sattelzeug verkauft. Ich habe mindestens 3000 Sesterzen für Verpflegung, Unterkunft, ortskundige Führer und Söldner, die mich durch gefährliche Gebiete geleitet hatten, ausgegeben. Mein Bogen ging irreparabel kaputt, meine Rüstung fiel mit dem zweiten Pferd in eine Schlucht im Himalaya. Kurz gesagt, bevor ich loszog, war ich wohlhabend und jetzt bin ich pleite. Das macht aber nichts. Als ich in Han ankam, hatte ich noch weniger und brachte es zum hohen Beamten und entsprechend auch zu Geld. Auch hier werde ich wieder zu Geld kommen. Aber das ist nicht am wichtigsten. Geld ist ein Mittel zum Zweck, ein Werkzeug. Und da ich keine Familie ernähren muss und selbst nur sehr wenig benötige, komme ich im Moment ganz gut über die Runden." -
Für einen Augenblick wollte ich fragen, was mit ihrem Vater war, weil sie so schwermütig wurde, aber ich entschied mich, nichts zu sagen. Das war eine persönliche Angelegenheit von ihr und ging mich deshalb nichts an.
"Es klang eigentlich sehr weise. Und das ist es auch.""Ich arbeite nicht für das Museion. Ich bin hier als Gast. Zu meinem Privatvergnügen übersetze ich die Texte aber auch nicht. Ich möchte das Wissen um die kosmische Harmonie der Welt zur Verfügung stellen. Wer dieses Wissen sucht, soll es finden können, ohne in die Ferne reisen zu müssen. Es ist eine edle Aufgabe, die ich für mein Gewissen erfülle. Was ich mache, wenn ich diese Aufgabe erfüllt habe, weiß ich noch nicht. Vielleicht gehe ich wieder nach Indien. Oder nach Han. Vielleicht bleibe ich auch hier oder zurück nach Athen. Das entscheide ich dann."
-
"Ob er sich mehr gefreut hätte, kann ich nicht sagen, aber gefreut hätte es ihn sicher. Er liebte seinen Garten. Der Garten war schon sehr schön. Vor allem, weil man sich gar nicht wie in einem Garten vorkam. Es sah alles so natürlich aus, obwohl der Garten stets sehr ordentlich gepflegt war. Wir haben auch alle im Garten mitgeholfen. Aber wichtig war vor allem, dass wir ihm eine Freude machen wollten. Er hat uns auch oft genug eine Freude gemacht. Wenn jemand irgend ein Problem hatte, dann hatte er immer ein paar aufmunternde Worte und oft auch eine Lösung." Ich musste schmunzeln, als ich an ihn dachte. Durch ihn war das Kloster schon ein recht lustiger Ort. "Nur wenn es um heilige Dinge ging, war er ernst. Ganz so, wie es sich gehört. Aber sonst ging es schon recht lustig zu. Am schönsten fand ich aber den Garten. Es gab da einen großen Baum neben einem Teich, und wenn man zwischen Baum und Teich stand, dann sah man die schneebedeckten Berge des Himalaya vor sich aufragen und gleichzeitig spiegelten sie sich im Teich. Ein wirklich schöner Ort... wirklich schön..." Verträumt starrte ich in die Luft. Warum bin ich nicht dort geblieben?
-
"Hmm... interessante Antwort. Dass man lernen muss, auch unliebsame Entscheidungen zu treffen, ist richtig. Dass man sich Respekt verschaffen muss, ist auch richtig. Man kann aber noch mehr daraus lernen. Wenn man den Mut hat, auch Entscheidungen zu treffen, die einen viel, möglicherweise sogar das Leben, kosten können, dann kann man auch scheinbar Unmögliches erreichen. Zum Beispiel Frauen zu Soldaten zu machen. Und man kann daraus eine noch viel wichtigere Lektion lernen, die die meisten übersehen: Man sollte sich immer ganz genau überlegen, was man für Befehle gibt. Sonst kann es passieren, dass man verliert, was man liebt. Hätte der Fürst nicht den unsinnigen Befehl gegeben, seine Konkubinen zu Soldaten zu machen, dann wären seine Lieblingskonkubinen nicht hingerichtet worden. Oder er hätte Hinichtungen verbieten müssen. Kurz gesagt: Wenn ich Macht ausübe, sollte ich mir erst über die Konsequenzen meiner Befehle Gedanken machen und sie dann geben und nicht umgekehrt. Wer unüberlegt handelt, kann unbeabsichtigte Schäden anrichten. Wer überlegt handelt, minimiert dieses Risiko."
Das Thema war ziemlich ernst, deshalb beschloss ich, eine andere Geschichte zu erzählen. "In Indien habe ich von einem Mönch etwas über die Lehren des Buddha lernen wollen. Dieser Mönch liebte den Garten seines Klosters. Irgendwann war er auf einer kurzen Reise und wir, also die übrigen Mönche und ich, beschlossen, ihm einen Steingarten anzulegen. Als Herz dieses Gartens hatten wir einen großen Felsbrocken bestimmt. Der Brocken war gut geeignet, aber es gab ein Problem: Das Kloster war auf einem Hügel und der Stein war unten. Also versuchten wir den Brocken hochzurollen, aber er bewegte sich kaum und wir versuchten vergeblich, ihn auf den Hügel zu bekommen. Aufgeben wollten wir aber auch nicht, also versuchten wir es am nächsten wieder und am Tag danach nochmal. Da kam auch der Mönch, der übrigens das Kloster führte, zurück und half uns, den Stein hochzurollen. Das gelang aber immer noch nicht. Ein Adliger hatte uns die ganze Zeit beobachtet und fragte schließlich, was wir da eigentlich machen. Und dann hat der Mönch gesagt: Wir wissen es nicht! Die Art, wie er das sagte, mit so einem strahlenden Lächeln, das war schon lustig. Der Stein liegt übrigens immer noch unten am Hügel. Und um ihn herum ist ein sehr schöner Steingarten."
-
"Es gibt da einige Heldengeschichten und Gedichte und so weiter. Aber, ehrlich gesagt, ich hatte nicht allzu viel Zeit, mich damit zu beschäftigen." Ich zuckte mit den Schultern. "Vielleicht befasse ich mich damit, wenn ich wieder nach Han zurück gehe. Irgendwann, vielleicht auch nie. Aber das hat Zeit. Erstmal habe ich ein paar Dinge hier zu erledigen." Ich sah nachdenklich auf die chinesischen Schriften. Nach einem Moment sah ich wieder auf. "Es gibt auch noch ein paar Legenden oder Anekdoten, die ich kenne. Da ist zum Beispiel die des Meisters Sun, der als exzellenter Stratege berühmt war. Der Fürst von Wu wollte den Meister auf die Probe stellen, indem er ihm befohlen hatte, aus den 180 Konkubinen des Fürsten Soldaten zu machen. Meister Sun teilte sie in zwei Gruppen auf und ernannte die beiden Lieblingskonkubinen des Fürsten zu Offizieren. Jede der beiden bekam also eine Gruppe. Er erklärte ihnen dann einige Befehle und ließ sie dann zum exerzieren antreten. Er gab den ersten Befehl, aber die Konkubinen kicherten nur. Dann sagte er: "Wenn die Kommandoworte nicht klar und deutlich sind, wenn die Befehle nicht richtig verstanden werden, dann trifft die Schuld den General." Danach erklärte er den Befehl nochmal und gab ihn erneut, diesmal ausführlicher, damit er klar verstanden wird. Wieder kicherten die Konkubinen, anstatt den Befehl auszuführen. Darauf sprach er: "Wenn die Kommandos nicht klar und deutlich sind, wenn die Befehle nicht richtig verstanden werden, dann trifft die Schuld den General. Sind die Befehle jedoch klar und die Soldaten gehorchen dennoch nicht, dann ist das die Schuld der Offiziere!" Zur Strafe ließ er, so wie es üblich war, die beiden Lieblingskonkubinen des Fürsten köpfen. Danach folgten die Konkubinen seinen Befehlen. Der Fürst von Wu ernannte Meister Sun daraufhin zum Oberbefehlshaber seiner Truppen, weil er sah, dass Sun jede Armee führen konnte." Ich lehnte mich zurück. "Und, was lernen wir aus dieser Geschichte?"
-
Ich zog eine Augenbraue hoch. "Ein Eichhörnchen? Das heißt, deine wahre Natur ist es, auf Bäume zu klettern und anderen auf die Nüsse zu gehen?" Ich sagte das mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck, den ich noch eine Sekunde hielt, um dann in herzlich zu lachen.
Ich brauchte etwas, um mich wieder einzukriegen, nahm dann aber wieder meinen üblichen, höflichen Gesichtsausdruck an. "Nun ja, die Schriften des Meister lao sind alle so ernst, weil sie ja auch ernstes Thema behandeln. Genauso wie die Schriften des Meister Kong. Das heißt aber nicht unbedingt, dass man deshalb das Thema nicht mit Humor diskutieren kann. Wenn zwei Menschen sich auf der Ebene der Freundschaft begegnen, dann können sie durchaus auch Spaß haben. Und wenn sich zwei Menschen lieben, dann müssen sie sogar herzlich und gütig miteinander umgehen."
-
"Ich denke, das hast du nicht komplett verstanden," sagte ich ruhig und mit einem leichten Lächeln. "Aber das liegt daran, dass du noch nicht den ganzen Text kennst. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten ihr Gesicht wahren. Deshalb soll man durchaus höflich sein. Das heißt aber nicht, dass man unbedingt nett sein soll. Wer rechtschaffen ist, ist nicht lieb und nett. Mit Nettigkeit setzt man nichts durch. Indem man andere demütigt, setzt man aber auch nichts durch - jedenfalls nicht langfristig. Man soll andere angemessen behandeln, aber keine übertriebene Milde walten lassen. Der Mensch an sich ist unbedeutend, erst durch seinen Platz im Reich und auf der Welt erhält er Bedeutung, indem er Teil des Reiches und der Welt wird. Wenn ich gütig bin und ihm Dinge vergebe, die der Harmonie des Reiches schaden, dann schade ich der Harmonie. Wenn ich ihn jedoch bestrafe, ohne ihn zu demütigen, dann nutze ich der Harmonie, weil niemand mehr diese Dinge tut. Ein gütiger Herrscher wird wegen seiner Milde belächelt, ein grausamer Herrscher wird wegen seiner Untaten gehasst. Ein rechtschaffender Herrscher hingegen wird von allen geachtet und respektiert. Verstehst du? Der Name, den ich in Han hatte, bedeutet so viel wie 'Rechtschaffenheit aus dem Westen'. Denkst du, den hätte ich für Gütigkeit erhalten?" Während meiner Ausführungen hatte ich die ganze Zeit gütig gelächelt, aber in meinen Augen blitzte zum Schluss kurz die eiserne Härte auf, mit der ich die Gesetze in meiner Stadt durchgesetzt hatte.
-
"Jedes Zeichen steht für eine Silbe," erklärte ich kurz die Schrift.
Bei ihrer Frage dazu, wie ich Beamter werden konnte, musste ich lachen. "Nicht alle Reiche sind so aufgebaut wie das Imperium Romanum. Jeder, der sich dem Kaiser von Han unterwirft, ist ein Bürger seines Reiches. Nur, dass die Bürger von Han kein Recht haben, auf die Politik einzuwirken. Der Kaiser bestimmt, die Beamten und Soldaten setzen die Bestimmungen durch, und die Bürger gehorchen. Das ganze Reich ist auf den Kaiser ausgerichtet und der Kaiser stellt sein Leben in den Dienst des Reiches. Um Beamter zu werden, muss man nur Bürger sein und die Prüfungen schaffen. Die haben es aber in sich. Die unterste Prüfung dauert drei volle Tage und nur einer von hundert besteht. Wer die bestanden hat, darf sich zur Prüfung für Provinzbeamte anmelden, die wieder drei Tage dauert. Da bestehen höchstens zwei von hundert. Wer auch das geschafft hat, darf sich zur Prüfung für Reichsbeamte anmelden. Weil da nur noch die besten sind, besteht etwa jeder zehnte. Die Reichsprüfung dauert fünf Tage. Man muss sich schon sehr gut in der Staatsphilosophie und den Gesetzen auskennen, um alle diese Prüfungen zu bestehen. Ich wurde vom höchsten Beamten einer Grenzprovinz aufgenommen und er brachte mir sechs Jahre lang die Sprache, Staatsphilosophie, Kampfkunst, Kriegskunst und Gesetze bei. Danach bestand ich innerhalb eines Jahres alle drei Prüfungen. Ich war immer unter den besten drei. Deshalb hatte ich eine Audienz beim Kaiser und konnte mir auswählen, wo ich eingesetzt werden wollte. Die beiden anderen wollten Palastbeamte werden, ich wollte lieber Verantwortung für eine Grenzstadt übernehmen. Der Kaiser gewährte mir meinen Wunsch, aber er verlangte, dass ich Examen zum Stabsoffizier ablege. Das hat zu meiner Freude nur zwei Tage gedauert und ich habe es auch bestanden. Danach wurde mir die Verwaltung einer kleinen Grenzstadt übertragen. 6000 Einwohner, 200 Soldaten, mindestens einmal im Jahr ein Barbarenüberfall. Netter Ort, nicht wahr?" Jeder konnte merken, wie stolz ich darauf war, diese Prüfungen bestanden zu haben. In Athen hatte ich nichts vergleichbares kennengelernt. Das waren die wohl härtesten Prüfungen, die ich jemals gesehen hatte.
-
Ich musste schmunzeln, als sie nach dem Wort "Dao" fragte.
"Dao ist in der Tat kein gebräuchliches griechisches Wort. In der Tat ist es sogar überhaupt kein griechisches Wort. Es ist die bestmögliche Schreibweise eines Wortes einer fremden Sprache. Das Wort Dao ist recht ambivalent, deshalb übersetze ich es nicht. Im Gegegensatz zum Rest des Textes, mit Ausnahme des Wortes De." Ich legte das Blatt Papier, auf dem der Originaltext in chinesischen Schriftzeichen stand, nach oben. "So sieht der Text vor der Übersetzung aus. Eigentlich brauche ich ihn nicht, weil ich das alles auswendig gelernt habe. Aber man kann ja nie wissen, vielleicht erinnert man sich mal falsch und dann ergibt das keinen Sinn mehr, deshalb nehme ich die Originale zur Hand. Du erinnerst dich noch an den Meister Lao, den ich erwähnt habe? Das ist sein Werk. Ich habe es aus Han mitgebracht. In Han war ich ein Gelehrter und Beamter, da habe ich mich viel mit Philosophie beschäftigt. In der Tat sind alle Beamten in Han auch Gelehrte." -
Ich wollte gerade ein weiteres Kapitel des Daodejing ins Attische übersetzen, als ich bemerkte, wie jemand schnell auf mich zukam. Als ich mit einem ziemlich überschwenglichen "Salve" begrüßt wurde, sah ich Axilla an, doch noch bevor ich sie nach dem Grund für ihre Freude fragen konnte, gab sie mir auch schon eine Erklärung. Ich legte die Schreibfeder beiseite und lächelte vornehm.
"Freut mich, dass ich dir helfen konnte." Bei dem Ausmaß an Freude war ich mir ziemlich sicher, dass es sich wohl um keine Ratte handelte. Da ich aber auch nicht wusste, was es sonst sein konnte und es für mich auch völlig belanglos war, fragte ich nicht weiter nach. Was auch immer es war, ich hatte wohl einen kleinen Beitrag zur Lösung des Problems geleistet, und so etwas erfüllte mich immer mit Freude. Ich deutete auf einen Hocker neben dem Tisch. "Bevor du gleich zu hüpfen anfängst, solltest du dich lieber setzen. Hüpfen würde hier, glaube ich, nicht gerne gesehen. Übrigens hatte ich unser philosophisches Gespräch beim Fest des Alexanders und der Tyche sehr genossen. Du scheinst eine recht aufgeweckte junge Dame zu sein." -
Ich kramte die zehn Sesterzen aus meinem Geldbeutel hervor, der nun reichlich leer aussah.
"Mit dem größten Vergnügen. Bitte sehr. Und verabschieden tut man sich auch mit Holladiho?" fragte ich grinsend.
Sim-Off: Ist überwiesen.
-
Eine Ratte? Ich musste schmunzeln. Vor Ratten hatte ich noch nie Angst. Aber ich war ja auch ein Mann. Von dem, was in ihrem Kopf vorging, wusste ich nichts. Woher hätte ich es auch wissen sollen? Mir fiel aber die Panik in ihren Augen auf, auch wenn der Rest von ihr das nicht zeigte. Ich versuchte, sie etwas zu beruhigen.
"Naja, davor braucht man echt keine Angst zu haben. Die Ratte will einfach nur in Ruhe gelassen werden und leben. Sie wird niemandem etwas tun, so lange man ihr nichts tut. Ratten sind recht kluge Tiere, weißt du? Ärger gehen sie am liebsten aus dem Weg. Am besten lässt du einfach einen Sklaven immer wieder Lärm in der Speisekammer machen. Dann findet sie keinen Schlaf und haut irgendwann genervt ab. Und die Vorräte kann man ja auch höher in den Regalen lagern, dann muss sie sich auch noch fürs Essen anstrengen. Und das mag sie noch weniger. Keine Ratte bleibt an einem unbequemen Ort." -
Das waren ja mal Fragen! Ich erinnerte mich, dass ich selbst zumindest die erste Frage auch recht früh gestellt hatte. Und erst jetzt war ich so weit, sie halbwegs beantworten zu könne.
"Was ist Harmonie? Ja, das ist eine sehr schwierige Frage. Harmonie ist letztlich ein Zustand, in dem es keine Extreme und keine Gegensätze mehr gibt oder diese keine Bedeutung mehr haben. Deine andere Frage... nun, die ist noch schwieriger."
Ich sah gedankenverloren quasi durch Axilla hindurch. Ich nahm sie auch gar nicht mehr richtig wahr, während ich nachdachte.
"Der erste Schritt besteht darin, die Ursache der Angst zu kennen... nein, die Ursache der Ursache und deren Ursache... sie zu beseitigen... aber wenn das nicht geht... hmmm..." murmelte ich vor mich hin.
Ich sah Axilla kurz in die Augen.
"Was macht dir Angst? Und warum? Als ich die Gesetze des Reiches Han lernte, da gab es einige Paragraphen, die mich erschaudern ließen. Doch dann fand ich heraus, dass ich gar nicht die aktuellen Gesetze vor mir hatte, sondern eine Abschrift von Gesetzen, die längst nicht mehr gültig waren. Dann suchte ich die aktuellen Gesetze heraus und alles sah gar nicht mehr so schlimm aus. Was ich damit sagen will ist, dass du erst alle verfügbaren Informationen zu dem, was die Angst macht, suchen solltest. Und selbst wenn dann noch keine Lösung für den Grund der Angst dabei ist, findet sich vielleicht ein Weg, den Grund bedeutungslos werden zu lassen."
Ich lächelte aufmunternd. -
Bei der Rede des Gymnasiarchos konnte ich mich nicht zurückhalten und rief laut "Lang lebe der Basileus! Lang, lang lebe der göttliche Basileus!" Das war vielleicht etwas übertrieben, aber im fernen Osten durchaus üblich. Dann sprach mich Axilla wieder an. Sie hatte mich da wohl falsch verstanden. Natürlich würde ich ihr das so nicht sagen.
"Ich glaube, ich habe mich falsch ausgedrückt. Es war eher humoristisch gemeint. Die echte, ernst gemeinte Aussage des Meister Lao ist, dass man nicht für sich selbst wirken soll, sondern für den Kosmos. Man soll also nicht an materiellen Dingen hängen, weil sie einem jederzeit genommen werden können. Aber - und das ist wichtig - das heißt nicht, dass man faul auf seiner Haut liegen soll und nichts tun. Nur soll man eben nicht an seinem Besitz und Privilegien hängen. Sonst hat man nur ständig Angst, dass sie einem genommen werden. Angst vernebelt den Geist. Wer Angst hat, macht sich darum so viele Gedanken, dass er nicht mehr harmonisch wirken kann. Und dann schadet man sich selbst und anderen, ohne es zu wollen."
Dann sah ich zur Bühne.
"Also, ich denke ja mal, dass das Opfer in einem Tempel dargebracht wird. Oder vielleicht am Grabmal des Alexander. Die Agora ist sicher nicht der ideale Ort dafür. Übrigens halte ich Opfer an die Götter für ein zweischneidiges Schwert. Viele Menschen scheinen zu glauben, dass sie ja nichts mehr tun müssen, wenn sie den Göttern opfern, weil die Götter dann alles für sie regeln. Das ist ein Irrtum. Die Götter unterstützen uns dann vielleicht bei unseren Taten, aber tätig werden müssen wir schon selber." -
"Danke. Dann dürfte das so weit richtig beschriftet sein?" Ich reichte den Brief an den hilfsbereiten Postbeamten.
An
Rediviva Helena
Casa Rediviva
Tarraco
Provincia HispaniaSalve Rediviva Helena!
Du wirst mich nicht kennen, ebenso wenig wie ich Dich kenne, aber ich denke, dass Du mir helfen kannst. Mein Vater ist Marcus Octavius Nauticus. Ich hoffe, dass Dir dieser Name etwas sagt. Meine Mutter meinte, dass Du mir etwas über meinen Vater erzählen kannst, weil er Dich als adoptierte Tochter seines Cousins Cicero Octavius Anton wohl sehr gemocht hat.
Es überrascht Dich sicher, dass er einen Sohn hatte und dass ich mich erst jetzt melde. Es ist eine lange Geschichte, die ich Dir besser erzähle als schreibe. Die letzten XVII Jahre war ich in der Fremde, in und jenseits von Indien.
Ich würde mich gerne mit Dir über meinen Vater unterhalten und wäre dankbar, wenn Du mir antworten würdest. Du erreichst mich im Museion zu Alexandria, mein Name ist Marcus Achilleos. Einen weiteren Brief werde ich mir wohl nicht leisten können, deshalb bitte ich Dich, mitzuteilen, ob ich Dich eventuell besuchen kann oder Du nach Alexandria reisen kannst. Wenn Du nichts mit mir zu tun haben willst, hätte ich dafür auch Verständnis.Marcus Achilleos
-
Ich betrat die Postannahmestelle. "Chaire oder salve oder ni hao oder was auch immer," begann ich grinsend, "Ich würde gerne einen Brief nach Tarraco versenden. Was kostet mich das und wie muss ich ihn beschriften, damit er ans Ziel kommt?"
-
Am Vormittag war ich beim ersten Sonnenlicht aufgestanden, auch wenn am Vortag das Fest des Alexanders und der Tyche war. Ich hatte keinen Alkohol getrunken, also ging es mir ziemlich gut. Kurz nachdem ich war, gewaschen und angezogen war, hatte ein Matrose bei mir herein geschaut. Er hatte einen Brief meiner Mutter dabei. Wie gut, dass ich tatsächlich eine Unterkunft im Museion erhalten hatte. Schließlich hatte ich meiner Mutter von Caesarea nahe Jerusalem geschrieben. So erreichte mich also ihre Antwort. Und in dem Brief war ein Medaillon. Aber das interessierte mich erstmal nicht.
Sie hatte mich also schon für tot gehalten. Das wunderte mich nicht, ebenso wenig wie ihre Freude darüber, dass ich noch am leben war. Interessanter waren ie darauf folgenden Zeilen. Sie erzählte mir darin, gemäß meinem Wunsch, einiges über meinen Vater. Leider gehörte sein Tod auch dazu. So würde ich ihn dann wohl auch nicht treffen können, um mich mit ihm zu unterhalten. Dafür gab sie mir einen Namen. Eine gewisse Rediviva Helena könnte mir eventuell weiterhelfen. Ich beschloss, mich an sie zu wenden. Viel mehr für mich Interessantes stand auch nicht im Brief.
Ich betrachtete das Medaillon. Es zeigte ein Portrait meines Vaters. Ganz so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Auf der Rückseite befand sich sein Familienwappen. Octavia. Auch darum würde ich mich bei Gelegenheit kümmern. Doch zunächst schrieb ich einen Brief und machte mich auf den Weg, um diesen zustellen zu lassen.