Anthi betrat sein Arztzimmer. Hier war alles aufgeräumt, aber er gab sich keinem falschen Trugschluss hin: Er war dafür nicht verantwortlich. Früher hatte er hier immer penibel auf Ordnung geachtet, aber nur würde es hier wohl aussehen wie in einem Schweinestall, wenn nicht von den Sklaven für Ordnung gesorgt worden würde.
Scham ergriff ihn. Was hatte er nur gemacht? Er hatte alles gehabt und hatte alles verspielt, nur um seinen Stolz zu befriedigen. Er hatte sich als etwas besseres gefühlt. Ànthimos der stolze Grieche. Atleth, Iatros und Gutmensch. Er hatte seine prinzipien und seinen Stolz über andere Dinge gestellt. Wie dumm und naiv er doch gewesen war. und genau diese Dummheit und diese Naivität hatten ihm nun alles genommen. Wie er in diesem Moment doch Nikolaos Kerykes bewunderte. Immer hatte er in ihm einen schleimigen Wurm gesehen, aber nun war es ihm gelungen den gehassten Konkurrenten zu zerstören. Er hatte gewonnen, Anthi hatte verloren-so einfach war das. Und alles hatte mit einem kleinen Briefchen und der Einladung zu einem geheimen Treffen begonnen... Wenn er noch einmal die Chance hätte, würde er schlauer und weiser handeln, dessen war er sich sicher. Er hatte von Nikolaos lernen sollen, anstatt ihn zu verabscheuen. Aber dafür war es nun zu spät. Er würde den mächtigsten Griechen hier in Alexandria nie wieder sehen und er war nicht traurig darüber...
Anthi ging zu dem großen Bastkorb der in der Ecke stand und hob den Deckel ab. In drei abgetrennten Bereichen lag jeweils eine schwarze Schlange. Sie waren wohl genährt, wieder einmal etwas an das er nicht gedacht hatte und das seine Sklaven für ihn erledigt hatten. Er schaute auf die Wachstafel auf der sie genau vermerkten wann die Schlangen gefüttert wurden, damit man wusste wann man sie das nächste Mal melken durfte. Die Kobras und ihr Gift waren ein mächtiges Geschenk der Isis, denn das gift vermochte sowohl zu töten als auch Schmerzen zu lindern und damit zu heilen. Der Iatros hatte sich auf die Behandlung mit Gift spezialisiert, und war damit der einzige Grieche in Alexandria der diese Methode anwendete.
Die Wachstafel zeigte dass die Schlangen bereits einige tage nicht mehr gefüttert worden waren. Sie waren also voll mit Ruhe bringendem Gift. Er war bereits zwei Mal gebissen worden, allerdings waren sie jedes Mal kurz vorher gefüttert oder gemolken worden, so dass er jedes Mal zu wenig Gift abbekommen hatte um daran zu sterben. Wäre es damals doch mehr gewesen, dann wäre er als glücklicher Mann gestorben... Mit einem gezielten und sicheren Griff packte er eine der Schlangen hinter dem Kopf. Klar wollte er geissen werden, aber er wollte selbst gestimmen wann und wo. Er wollte der Täter sein und nicht ein ungeschicktes Opfer! Behutsam legte er mit seiner freien Hand wieder den Deckel auf den Korb. Dann fiel ihm noch etwas ein und er legte den Riegel vor und verschloss so die Tür. Er wollte nicht noch rechtzeitig gefunden werden, wenn ihm eventuell noch zu helfen war.
Dann legte er sich auf die Kline und verharrte dort einige Momente regungslos. Er dachte an seine Frau und seine Tochter. Er hatte ihnen Schmerz zugeführt und sie damit verloren. Sein Stolz hatte ihn vergiftet. Wie passend jetzt würde ihn ein anderes Gift davon befreien. Mit einem gemurmelten "Penelope, Panthea" setzer er die Kobra an sein Handgelenk und spürte auch sogleich den Biss der Schlange der sich tief in die Haut grub. Dann endete der Biss und Anthi warf die Schlange von sich. Hoffentlich biss sie nicht noch einen der Sklaven, dachte er noch so bei sich.
Das Gift begann schnell zu wirken und er merkte wie er immer ruhiger wurde. Sein Herz klopfte langsamer und es wurde ihm zunehmends schwerer Luft zu holen. Es wurde schwerer und immer schwerer, bis er irgendwann kaum noch Luft bekam und sein Sichtfeld von schwarzen Flecken behindert wurde. Sie breitete sich immer weiter aus, bis Ànthimos Bantotakis völlig in die Dunkelheit glitt...