“Huh, dann müssen wir uns was überlegen. Vielleicht können wir von der Küche noch einen Teil mit einer Holzwand abtrennen und so ein kleines Zimmer bauen, damit er ein wenig Raum nur für sich hat?“
Grübelnd legte Penelope den Zeigefinger an ihre Wange und überlegte schon, wie man das am besten machen konnte. Bestimmt würde Großvater viel schimpfen wegen der kleinen Wohnung. Aber sie war froh, dass er doch zugestimmt hatte und sie ihn dann wieder etwas umsorgen konnte. Obwohl Inhapy das sicher großartig machte.
“Du kannst es ja mal versuchen. Aber du solltest dann auf jeden Fall schneller laufen als ich, weil ich dir dann die Ohren langziehen werde. Sonst denken die feinen Damen aus der Gegend noch, sie könnten dich für sich beanspruchen.“
Neckisch stupste Pelo Anthi einmal an, und widmete sich dann wieder den Hochzeitsplänen.
“Wegen den Blumen sollten wir wirklich mal fragen, woher wir die am besten bekommen. Ich würde gerne das ganze Haus damit schmücken. Und das Essen machen wir vielleicht unten im Hof, dann schmücken wir von Außen so ein wenig die Fassade und die Wäscheleinen könnte man ja auch mit Blumenranken behängen. Das sollte doch dann hübsch aussehen, nicht?
Zum Essen, meinst du, wir können uns eine ganze Kuh leisten? Oder vielleicht sogar einen Ochsen, da ist das Fleisch zarter. Ist aber ziemlich teuer, aber wir haben ja gespart. Und wir müssen ja so viele einladen. Die ganzen Epheben sollten wir fast einladen, wir kennen so viele davon, und Iunia Axilla. Wobei ich da nicht sicher bin, nach der Sache bei Urgulania…“
Dass das Mädchen geschrien hatte und aus dem Zimmer gestürmt, hatte Penelope schon irgendwie verstört. Und der Inhalt ihrer Worte hatte sie schwer getroffen. Armes Mädchen, allein dass sie wusste, dass ihr Vater so verstorben war. Da hatte sie ihr Mitleid.
“Ich weiß nicht, welche Freunde möchtest du denn noch alles dazu laden? Den Römer vom Tor der Basileia? Vielleicht noch jemand aus dem Gymnasion? Ich würde gerne noch Sosimos von Korinth einladen, aber ich weiß nicht, ob er Zeit findet. Wenn du nichts dagegen hast.“
Beiträge von Penelope Bantotakis
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Ein Feigenblatt? Jetzt bekam er schon wieder so einen vorwurfsvollen Blick. Männer!
“Ich glaube, wir gehen wirklich am besten mal da vorbei. Du sollst doch schließlich wie ein Bräutigam aussehen und nicht wie ein Bettler.“
Aber das mit ihrem Großvater freute sie. Sie hatte ihn schon so lange nicht mehr gesehen, und auf perfide Art und Weise vermisste sie ihn. Er hatte sie zwar schlecht behandelt und ihr stets das Gefühl gegeben, sie sei nichts wert, aber dennoch war er ihre Familie. Ihre Mutter war fort, ihr Vater tot, und ihre Halbgeschwister, so sie welche hatte, kannte sie nicht.
“Hat Großvater etwas gesagt, als Timos bei ihm war? Weißt du da etwas? Ich meine, hier in der Wohnung wäre es wohl wirklich etwas eng, würde er auch noch mit bei uns einziehen. Aber das hattest du ihm ja angeboten, nicht?“
Wie immer, wenn die Sprache auf Philolaos kam, wurde Penelope ruhiger und etwas kleiner. Sie konnte damit nicht so gut umgehen, dass sie ihn wirklich zurückgelassen hatte. Bisweilen fühlte sie sich wie eine Verräterin. Auch wenn sie wusste, dass es so das beste war, und auch wirklich froh und dankbar war, dass Anthi sie da herausgeholt hatte. Dennoch hing sie an ihrem Großvater. Auch wenn er sie oft geschlagen hatte. -
Als Anthimos von „weh tun“ und „dem Kind schaden“ sprach, kassierte er kurz einen vorwurfsvollen Blick. Penelope war schwanger, nicht gebrechlich. Vielleicht sollte sie ihn daran noch erinnern, dass er sie ruhig auch ein wenig fester anfassen und an sich ziehen durfte und sie nicht gleich kaputt gehen würde, wenn er sie mehr als ein Windhauch berühren würde. Doch das wurde erstmal hintenan geschoben, als er einen festen termin für die Hochzeit nannte.
Im ersten Moment stand Penelope ganz still mit weit aufgerissenen Augen ihm zugewandt und rührte sich nicht, wie eine verschreckte Gazelle. Dann drang die Erkenntnis ins Bewusstsein durch, und sie fiel ihm einfach mit einem freudigen Jauchzen um den Hals und bedeckte ihn mit Küssen.
“Und du hast mir nichts gesagt? Schäm dich, Ánthimos Bantotakis! Und das ist alles schon besprochen? Mit Großvater geht auch alles klar, wegen der Mitgift und allem?
Oh, das ist so bald. Ich brauch noch einen neuen Chiton! Und du, hast du schon einen, oder willst du einen von denen dafür nehmen, die du schon hast? Muss ich was umnähen? Und zum Essen, weißt du da schon, was du machen willst?“
Jetzt war Penelope ganz hektisch. Gamelion, das war so bald! Und es gab doch noch so viel zu tun! Sie musste mit den Nachbarn dann noch sprechen, damit sie den Platz vor der Wohnung für das Essen hernehmen konnten. Sonst würden sie nie und nimmer alle Gäste unterbringen, und in eine Gaststätte wollte Penelope nun wirklich nicht. Schließlich war das ihre Hochzeit, da wollte sie die Leute auch ordentlich bewirten. Oder bewirten lassen. Aber auf jeden Fall so, wie es sich gehörte!
“Und wir brauchen Musik! Ich kann mal einen meiner Kollegen fragen, vielleicht spielt er ja für uns. Oder wir engagieren ein paar Flötenspielerinnen, auch wenn das ein wenig…. Naja. Aber ich meine, man heiratet ja auch, um Kinder zu zeugen, dann darf da auch mal fröhlichere Musik von leichten Mädchen gespielt werden, oder?“
Penelope sah sich im Zimmer um. Irgendwas hatte sie doch noch vergessen? Da musste doch noch irgendwas… “Blumen! Die brauchen wir dann auch noch, ganz viele. Meinst du, es gibt gerade schöne? Oh, und hast du gefragt, welche Opfer wir vorher bringen sollten, und an welche Gottheiten?“ -
“Ein klein wenig musst du dich da aber noch gedulden.“
Penelope legte ihre Hände sanft über seine und lehnte sich einfach an ihn an. Es war ein schönes Gefühl, ihn so schützend und stark in ihrem Rücken zu wissen. Sie fühlte sich dann so behütet und beschützt und wusste, dass es auch dem Kind so gehen würde, und das war einfach wundervoll.
“Ich war heute Mittag bei Inhapy. Sie meinte, bald würde man etwas zu sehen anfangen. Ich finde ja, man merkt es jetzt schon, oder? Die Haut hier ist ganz fest und hart, man merkt richtig, dass dahinter etwas wächst. Oder bild ich mir das ein?“
Inhapy meinte, das sei Einbildung, aber Penelope war davon überzeugt.
“Wir sollten dann bald heiraten. Ich möchte nicht, dass die Leute es dann sehen und denken, wir heiraten nur deswegen. Ich denke, noch ein, zwei Monate kann ich es mit Kleidern auf jeden Fall verstecken. Aber danach… und ich will nicht, dass man es sieht, bevor wir verheiratet sind.“
Da sie spontan die Liste der Hochzeitsgäste durchging, fiel Penelope auch der Brief wieder ein. Marcus würden sie wohl nicht mehr einladen müssen, er würde wohl nicht kommen.
“Aber lies erstmal deinen Brief. Ich glaube, der ist vielleicht wichtig.“ -
Keine Farbe? Verdammt. Dann mussten sie vielleicht wirklich noch ein wenig damit warten. Aber gut, so konnte Penelope schon mehr planen, denn das war auch nötig. Ihr Zimmer war ja doch recht klein, wie die gesamte Wohnung.
“Nein, der Steinbock gefällt mir gut. Wie konnte ich das nur vergessen? Manchmal bin ich schon etwas schusselig.
Das mit der Farbe ist natürlich blöd, aber vielleicht kannst du ja welche dort bestellen, damit sie beim nächsten Mal genug dahaben? Wir könnten auch die Decke bemalen wie den Sternenhimmel, was meinst du? Mit den Sternbildern Lyra und Capricorn, für Apollo und Pan? Oh, und den Morgenstern für Venus. Oh, und vielleicht noch die Cassiopeia? Wobei dann wird das vielleicht etwas viel. Und vielleicht wäre das auch eher etwas für ein reines Kinderzimmer.“
Penelope grübelte ein wenig. Sie hatte sich schon Gedanken gemacht, wie man die Wohnung vielleicht anders teilen könnte, damit ihr Kind ein eigenes Zimmer bekommen könnte. Sie hatte als Kind eines gehabt und das als sehr schön empfunden. Inhapys fünf teilten sich zwei Zimmer, das ging auch. Und viele Leute in Rhakotis hatten nur ein Zimmer für alle, Eltern und Kinder, manchmal auch noch Großeltern mit dabei. Selbst das ging. Aber trotzdem wollte Penelope ihrem Kind auch etwas bieten. Wenn es zwei Jahre alt wäre, sollte es dann schon ein eigenes Zimmer bekommen. -
Verwirrt schaute Penelope zu ihrem Mann. Dumme Tür aber auch, in letzter Zeit vergaß Penelope sowas manchmal. Ánthimos behauptete auch, sie würde wichtige Dinge mehr mit dem Kochtopf als mit ihm besprechen, was natürlich vollkommener Unsinn war. Aber trotzdem wiederholte sie gerne alles noch einmal, nachdem er seinen Begrüßungskuss erhalten hat.
“Ich hab nur grade überlegt, dass wir die Wohnung streichen werden.“ Ja, werden, nicht könnten, denn Penelope würde sich da nicht reinreden lassen. Das war beschlossene Sache. “Ich bin mir nur nicht sicher, ob in weiß, oder ob vielleicht ein wenig Farbe auch was wäre. Wäre mal was neues. Und das Kind soll es doch dann schön haben. In der Zografia müsste doch genug Farbe sein, die man nehmen könnte, oder? Meinst du, die Decke kann man auch streichen? Oder kleckert das dann alles auf den Boden? Ich meine, dann müssten wir das auf mehrere Tage machen und die Möbel immer umstellen. Wird zwar eng, aber Ilias ist ja eh die meiste Zeit unterwegs und nicht daheim, da sollte das doch gehen?“
In Pelos Kopf entwickelte sich schon ein Plan, wie sie das alles bewerkstelligen konnten. Vielleicht, wenn sie noch ein wenig überlegte, fiel ihr noch ein besserer Plan ein. Vielleicht könnten sie auch ein Mosaik an die Wand legen? Etwas schönes, wie ein Schwan oder ein Delphin vielleicht.
“Ach, und du hast einen Brief von Marcus Achilleos gekriegt. Hat ihn unter der Tür durchgeschoben, der lag vorhin auf dem Boden. Ich hab ihn auf den Tisch gelegt.“
Bevor sie das noch vergaß. Ihr Blick wandte sich wieder der Wand zu.
“Weißt du, ob Pan ein Lieblingstier hat? Das könnte man ja vielleicht auf die Wand noch malen? Apollo hat den Schwan, und Poseidon die Pferde und Delphine. Aber irgendwie weiß ich gerade nicht, ob Pan auch ein einzelnes Tier bevorzugt. Muss ich im Museion vielleicht einmal nachschauen.“ -
Penelope hörte die Tür und kurz darauf die Stimme von Ánthimos. Sie machte gerade das Bett, denn wenn sie schonmal hier im Zimmer war, konnte sie auch ordentlich aufräumen. Ihr Nestbautrieb hatte in den letzten Tagen erheblich eingesetzt, so dass sie ständig aufräumte, putzte, schrubbte oder sonst wie Ordnung schaffte. Früher war sie zwar auch immer ordentlich und sauber gewesen, aber in den letzten tagen hatte sie sich zu einem wahren Putzteufel gemausert. Wahrscheinlich hatten die Bantotakis-Brüder in ihrem Leben noch nie so sauber geschrubbte Töpfe besessen wie im Moment.
“Ich bin hier drin!“ flötete sie ihrem Mann zu und schüttelte danach die Decke noch einmal ordentlich aus, ehe sie sie fein säuberlich zusammenlegte. So konnte sich das Zimmer doch schon wieder sehen lassen! Sie sollten vielleicht streichen, bevor das Kind kam?
“Anthi, was meinst du? Ein frischer weißer Anstrich für Innen? Kann man die Decke wohl auch streichen? Oder doch vielleicht ein wenig Farbe? Ich meine, wir sollten ja in der Zografia welche mitnehmen können?“
Sie redete einfach durch die geschlossene Tür mit ihm und schaute dabei die Wände und die Decke an. Sie wollte es hier drin wirklich noch ein wenig hübscher haben, bevor das Baby kommen würde. Das waren zwar noch vier Monate, aber die vergingen manchmal schneller, als man schauen konnte. -
Gerade hatte Penelope alles sauber gemacht, als ihr das Stückchen Papier an der Türe auffiel. Sie hatte es vorher gar nicht bemerkt, deshalb schaute sie ein wenig skeptisch, ehe sie hinüberging und das Brieflein aufhob. Jemand hatte ihn unter der Tür wohl durchgesteckt und nicht wie sonst üblich geklopft und ihn übergeben.
Penelope wendete den Brief, um zu schauen, für wen der wohl war. Und vor allem, von wem der wohl war. Neugierig, wie sie war, öffnete sie diese ominöse Botschaft, um ebendies herauszufinden. Sie dachte dabei ja auch nichts böses, und kein Mensch bei Verstand schrieb etwas in einen Brief, was unter keinen Umständen publik werden durfte.
Es war für ihren verlobten, und ein Blick zur Unterschrift sagte, dass es von Marcus Achilleos kam. Was wollte der denn von ihrem Mann? Penelope beschloss, den Brief kurz zu lesen. Es waren ja nur ein paar Zeilen, und wenn nur ihr Mann es sehen sollte, hätte der Bote ihn persönlich übergeben und nicht einfach durchgeschoben.
Als sie ihn dann zum zweiten Mal gelesen hatte, setzte sie sich hin. Sie kannte Anthi, der würde gleich sehr verwirrt sein. Sie würde den Ratschlag von Marcus ja annehmen, aber ob ihr Mann, der immer so geradeheraus und ehrlich war, das auch machen würde?
Sie brachte den Brief mal in ihr gemeinsames Schlafzimmer, damit er nicht noch verschütt ging. Anthi müsste auch gleich heimkommen, dann konnte sie ihn ihm zeigen. -
Offenbar hatte ihre kleine Ansprache Marcus Achilleos in die Flucht geschlagen. Penelope nahm es ruhig zur Kenntnis, wie dieser davonging und lauschte den anderen Stimmen, die sich erhoben. Ihr guter Ánthimos war beschwichtigender als sie, er beschwor die Menschen zur Ruhe und zum freundlichen Miteinander mit den Römern. Pelo hätte ihn wohl angelächelt, hätte er solches an einem anderen Ort gesagt und stünde sie nicht noch ebenfalls im Mittelpunkt des Interesses. Aber bei einem Vortrag lächelte man nicht, und in der Ekklesia hatten Gefühle auch wenig zu suchen. Daher war ihr Gesicht ruhig und gelassen, lediglich an ihren Augen mochte Ánthimos das unterdrückte Lächeln sehen. Ihr Mann war einfach sanftmütig, aber genau das liebte sie ja so an ihm.
Als sich dann der Strategos meldete, schaute Penelope etwas skeptisch. Auch wenn seine Worte an sich ruhig waren, kamen sie ihr ein wenig kynisch und sarkastisch vor. Allerdings wollte sie dem Ägypter nichts dergleichen böswillig unterstellen. Er hatte sich in den letzten Amtsperioden sehr für die Stadt eingesetzt, und seine Wachen hatten sich mit den Gegebenheiten in Rhakotis soweit arrangiert, dass man von einer Art Waffenruhe sprechen konnte. Das war mehr, als Penelope allgemeinhin von allen Wachen erwartete.
Und schließlich sprach Nikolaos und zerstreute ihre Bedenken. Wenn der Eparchos schon von allem wusste und zugestimmt hatte, dass sich dies nicht wiederholen würde, war das wichtigste ja schon erreicht. Allerdings wusste sie nicht, ob sie den Dankesbrief dann schrieben sollte, oder ob dies der Gymnasiarchos selbst in die Hand nehmen wollte. Immerhin war sie nur ein kleines Nichts ohne Titel. Nungut, sie war Philologos am Museion, aber dennoch hatte sie keinerlei politischen Einfluss. Was also brächte ein Brief von ihr, selbst wenn er im Namen der Stadt kam? Aber sie würde einfach abwarten, Nikolaos würde gegebenenfalls sicher etwas sagen.
“Ich danke dir, Gymnasiarchos. Meine Bedenken sind zerstreut, ich bin zufrieden und dankbar.“
Sie verneigte sich ganz leicht und begab sich wieder zu ihrem Platz, um sich hinzusetzen. Sie konnte ja nicht ewig dastehen, und zu sagen hatte sie schließlich auch nichts mehr. Bei einer Abstimmung über einen Dankesbrief würde Penelope dafür stimmen. Es war sicher gut, dem Eparchos die Dankbarkeit der Stadt auszudrücken -
“Freut mich, dich kennen zu lernen, Mybia“, meinte Penelope freundlich und half der kleinen ein wenig beim Abtrocknen der Hände. Anschließend fuhr sie mit dem feuchten Küchentuch dem Mädchen vorsichtig einmal übers Gesicht, um die Honigreste von den Wangen zu entfernen.
Gerade als sie damit fertig war, kam auch schon Ánthimos zurück und stellte die Staffelei auf. Mit einer Bewegung, die eines Künstlers würdig war, enthüllte er das Gemälde vor seinen beiden Bewunderinnen. Natürlich übertrieb Penelope ihre Überraschung, immerhin kannte sie das Bild ja schon. Aber dem Mädchen tat sie gern den Gefallen, überrascht auszusehen. Und sie fand das Bild ja auch wirklich wunderschön.
Strahlend ging sie zu ihrem Meistermaler herüber und gab ihm einen kleinen Kuss.
“Es ist wirklich wunderschön geworden. Ich danke dir.“
Sie hatte sich schon bei ihm bedankt, ausgiebig sogar, aber dieses Bild war wirklich wundervoll. Da hatte er sich einen Kuss mehr auch immer verdient. -
Als Marcus Achilleos seine Stimme erhob, wunderte Penelope nichts mehr. Er hatte bereits beim Essen bei den Iuniern deutlich seine ungriechische Einstellung gezeigt, und sie hatte bereits da beschlossen, ihn nicht zu mögen. Auch wenn Ánthimos da anderer Ansicht und Meinung war, Penelope war da nicht so ruhig und ausgeglichen. Und seine Worte damals wie heute waren grenzwertig und eines freien Griechen nicht würdig, fand sie.
Aber das wunderbare daran, jung und eine Frau zu sein, war, dass man Dinge sagen konnte, ohne dass die Männerwelt darauf groß achtete, wenn es den Männern nicht gefiel. Niemand erwartete von einer Frau geistige Ergüsse, niemand erwartete von einer Frau höhere Logik, niemand erwartete von einer Frau eine gewichtige Meinung. Daher konnte eine Frau auch oftmals etwas sagen und die Männer in ihrer Umgebung in die richtige Richtung schubbsen, ohne dafür mit politischen Konsequenzen rechnen zu müssen. Lediglich den Zorn ihrer Familie galt es zu beschwichtigen.Und so erhob sich Penelope nach Marcus Worten, stand still wie eine Marmorstatue und wartete darauf, dass sie beachtet wurde und das Recht erhielt, zu sprechen. Immerhin war man hier nicht unter Barbaren, die wild durcheinanderbrüllten. Und sie hatte keine Lust, zu schreien. Als sie schließlich Beachtung fand, erhob sich ihre Stimme hell, klar und das ganze theatron durchschneidend, in jahrelanger Übung durch den Gesang, und doch sanft und irgendwie leise. In bestem Koine – denn sie war stolz auf die Sprache derer, die mit Alexander hierher gezogen waren – hob sie an, zu sprechen.
“Verzeiht, wenn ich meine Stimme erheben muss. Mein Name ist Penelope. Ich bin die Tochter von Demosthenes und der Appolonia, Enkelin des Philolaos. Geboren wurde ich kaum ein stadion entfernt von diesem Platz hier.
Ich weiß, es ist ungewöhnlich, dass eine so junge Frau die Stimme in der Ekklesia erhebt. Auch weiß ich, dass ich erst vor kurzem durch die Ephebia zum Bürger dieser Stadt werden durfte, die ich Zeit meines Lebens so sehr zu lieben gelernt habe. Und doch bitte ich euch, hört mich an, denn zu diesen Worten kann und will ich nicht schweigen.“
Sie sah sich kurz um, besah sich ihr Publikum. Wie bei einem Auftritt kehrte eine unheimliche Ruhe in ihren Körper, obwohl ihr Geist aufgewühlt und sie nervös war. Aber sie stand gerade und ruhig und kein Zittern könnte verraten, wie unruhig sie im tiefsten Inneren doch war. Sie hoffte nur, Ánthimos würde es ihr verzeihen, dass sie einfach so sprach, ohne es mit ihm besprochen zu haben, oder gar seine Erlaubnis abgewartet zu haben. Eigentlich wollte sie sich ja für ihn zurückhalten, aber dieser Vorschlag war doch ein wenig viel.
“Wir alle sind denke ich sehr beunruhigt über das, was geschehen ist. Ich selbst war nicht dort anwesend, doch habe ich mit großem Stolz gehört, wie die edlen Bürger dieser Polis bereit waren, sich vor den Tempel der Tyche zu stellen, um ihn notfalls selbst zu schützen. Es erfüllte mich mit großem Stolz, und nicht mit Furcht vor dem, was die Rhomäer wohl tun mochten.“
Das stimmte zwar nur zur Hälfte, denn im ersten Moment, als Anthi ihr davon erzählt hatte, hatte sie ihn sehr wohl gefragt, ob er verrückt sei und nicht an die Gefahr gedacht hatte. Doch dann war der Stolz dagewesen, und da war sie noch immer stolz auf ihn, dass er sich hinter Nikolaos aufgebaut hatte, um dem Gymnasiarchos zu helfen. Denn bei dieser Sache zählten private Ressentiments nichts.
“Und es ist meine Meinung, dass wir zurecht auch stolz sein dürfen und nicht furchtsam sein sollten. Es war nicht recht, was geschehen ist. Dies zu erkennen und zu sagen ist weder Aufstand noch Verbrechen. Es ist das Recht, ja, die Pflicht eines freien Bürgers, solches zu sagen.
Du hast Recht, Marcus Achilleos, wenn du uns sagst, dass die Rhomäer mehr militärische Stärke haben, als wir je aufbringen könnten. Dass wir einen Aufstand verlieren würden, und uns gegen ihre Macht nicht durchsetzen könnten. Doch das will hier auch gar niemand. Aber welche Freiheit hat denn die Polis Alexandria, wenn sie solches vom göttlichen Basileus befürchten müsste? Welche Freiheit gäbe es da zu beschützen, wenn wir fürchteten, dass dies geschehen könnte? Du widersprichst dir selbst.
Niemand hier will sich gegen die Rhomäer erheben, aber wir wollen als freie Bürger mit ihnen leben. Bestimmt wäre es opportun, still zu sein und kein Wort darüber zu verlieren. Doch wann wäre es dann der richtige Zeitpunkt, dieses Problem anzusprechen? Wenn doch ein Tempel so gewaltsam betreten wurde? Wenn die Übungen der Rhomäer dahingehen, die Bürger anzugreifen? Wenn ein Bürger getötet wurde? Wann wäre der passende Zeitpunkt, uns mit Sorge und Kummer an den Eparchos oder den Basileus zu wenden und ihm mitzuteilen, dass wir dieses Vorgehen nicht gutheißen können?“
Sie schritt etwas weiter mittig ins theatron, damit sie von allen gut gesehen werden konnte. Penelope hasste es, dass sie so viel reden musste. Sie wollte doch einfach nur Musik spielen, und keine Politik machen. Aber still zu sein im Angesicht solcher Gewalt war nicht rechtens, fand sie.
“Sicher wäre es opportun, es nicht zu tun. Es wäre auch opportun, würden wir uns auf die Knie werfen und den Basileus wie die Hunde anbeten würden, wie die Parther es mit ihrem König machen. Sicher wäre es auch opportun, zu allem, was die Rhomäer tun, nur ja zu sagen und alle Beschlüsse so zu fassen, wie sie es wünschen.
Aber es wäre nicht frei. Es wäre nicht rechtens, und es wäre feige. Wir sollten dem Eparchos, so dies nicht bereits geschehen ist, mitteilen, dass die Bürger der Stadt über dieses Vorgehen beunruhigt sind. Wir sollten ihm mitteilen, dass dies den Frieden in der Stadt gefährdet hat, und somit dem Handel abträglich ist. Wir sollten uns bemühen, als freie Bürger unseres wunderbaren Basileus eine Lösung zu finden, die für beide Seiten angemessen ist. Aber wir sollten uns nicht verstecken und so tun, als wäre nichts geschehen.“
Penelope blieb ruhig dastehen und hoffte, dass das Publikum ihr zustimmen würde. Sie war eine freie Bürgerin und würde sich nicht selbst zur Sklavin machen und auch keine solchen Reden schwingen.Sim-Off: Edit: Arg, kaum tippt man ne halbe stunde, steht hier was neues. passt aber glaub ich hoffentlich trotzdem
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Als Ánthimos ihr kurz einen besorgten Blick zuwarf, lächelte Penelope ihn beschwichtigend an. Unauffällig legte sie eine Hand auf ihren Magen, und ließ sie dann tiefer zu ihrem Bauch sinken. Dort verweilte sie in letzter Zeit häufiger, vor allem, wenn Penelope nicht darüber nachdachte. Als wolle sie das ungeborene Leben noch mit ihrer Hand zusätzlich schützen. Und Ánthimos würde wissen, was die Hand am Magen kurz bedeutete, sie klagte ja die letzten tage öfter wegen der Übelkeit, wenn auch nie schlimm. Aber es ärgerte sie schon ein wenig.
Sie lauschte so nebenbei dem sich entwickelnden Tischgespräch, als sie plötzlich husten musste. “Götter der Unterwelt!“ entfuhr es ihr in tiefstem Koine. Hatte Marcus Achilleos das gerade wirklich gesagt? Entgeistert starrte sie ihn an, als könne das, was sie eben gehört hatte, gar nicht passiert sein.
Ungewohnt ärgerlich straffte sich Penelopes Rücken, bis sie kerzengerade dasaß und zu dem Griechen mit völlig perplexem Blick sah. Er war zwar ein verrückter Grieche, wenn alles stimmte, was man sagte, aber er war doch Grieche! Wie konnte er so wenig Stolz besitzen, so wenig Tugend, dass er die Freiheit derart mit seinen Worten schmähte?
“Unfähigkeit? War das gerade tatsächlich das Wort, das du verwendet hast? Unfähigkeit?“
Das konnte sie nicht so einfach auf ihrem Volk und ihrer Polis sitzen lassen. Das war ja fast schon eine Beleidigung gegen sie selbst! Ihr Kind sollte in einer freien Welt aufwachsen, in der freien Polis Alexandria. Auch wenn sie von Rom beherrscht wurde und diese hier die Macht hatten, so waren sie doch keine Sklaven des römischen Herrschers, sondern freie Bürger!
“Was du Unfähigkeit nennst, nenne ich Freiheit! Jeder Mann hat eine Stimme, und keines Stimme ist besser als die des anderen! Du meinst, dass dort alle gleich sind vor dem Gesetz, und es deshalb besser ist, und gleichzeitig beharrst du darauf, dass ein einzelner Mann für alle die Entscheidung treffen soll, ohne Einschränkungen? Weil es schneller geht?
Selbst Rom hat einen Senat, der Gesetze beschließt. Das tut der Basileos nicht allein, auch er hat gewählte Männer. Und er ist ebenso ein Gott wie der Herrscher von Schin.“
Sie versuchte, den fremdländischen Namen einfach nachzusagen, aber bekam es natürlich in ihrem rechtschaffenen Zorn nicht ganz hin.
“Und kein freier Grieche würde sich so unterwerfen, und seine freie Stimme einfach so hergeben. Tyrannen haben es nötig, die Menschen wie Untertanen zu behandeln und ihnen ihre Stimme und die Wahl zu nehmen, Herrscher haben das nicht nötig. Herrscher wissen um die Vorteile von Entscheidungen, die aus der Gemeinschaft geschlossen wurden. Zum Wohle aller von allen freien Bürgern.“
Sonst war Penelope ja immer ruhig und immer freundlich und still und zurückhaltend. Aber in diesem Moment war die Löwin in ihr erwacht, die ihr Junges verteidigte. Ihr Kind würde die Vorteile einer freien Polis genießen können, da würde sie zur Not eigenhändig dafür sorgen.
Kopfschüttelnd ließ sie sich wieder in ihrem Korbsessel sinken. Erst, als sie die Gesichter um sich herum sah, senkte sie ein wenig peinlich berührt den Kopf. So heftig wollte sie ja eigentlich gar nicht reagieren. Die Schwangerschaft trieb bisweilen schon merkwürdige Blüten. -
Natürlich kam Penelope zusammen mit Ánthimos zur Volksversammlung. Sie waren verlobt, hatten die Ephebia hinter sich gebracht und würden hoffentlich bald heiraten. In einem Monat wäre die Zeit wohl gut, wie man so sagte, aber sie hatte noch nichts gesagt. Ánthimos war in Gedanken schon so bei dieser Wahl hier, dass sie ihm nicht noch zusätzlich Druck machen wollte. Lieber ließ sie die Männer in ihrem Haus erst einmal gewähren und sich auf die Politik konzentrieren. Noch hatten sie ja fünf Monate Zeit.
Also ging sie neben Ánthimos her und folgte ihm bei seiner Platzwahl nach. Sie war nicht die einzige Frau, die hergekommen war, aber doch waren es hauptsächlich Männer, die heute abstimmen würden. Penelope war ein wenig aufgeregt, ließ sich aber nichts anmerken. Immerhin war sie auch Philologe, und da musste sie auch würdig die Priesterschaft des Apollo darstellen und konnte nicht herumzappeln wie ein kleines Kind.
Als sie an bekannten Gesichtern vorbei ging, schenkte sie jedem ein lächelndes Nicken. Selbst Nikolaos Kerykes, dem Gymnasiarchos, auch wenn Anthi und er sich nicht so unbedingt leiden mochten und sie wegen ihm schon einmal Streit hatten. Aber Höflichkeit war für Penelope stets oberstes Gebot, egal in welcher Situation. Daher hielt sie sich so gut wie möglich stets daran. -
“Die meisten Griechen kommen noch nicht einmal als Patienten hierher. Ich bin hier schon seit vierzig Jahren in diesem Haus, aber ich glaube, du bist der erste Grieche, der an der Kobra vorbeigegangen ist, nur, um zu lernen.“
Ein Diener kam herbei und kümmerte sich um das saubere Ausspülen der Utensilien. Neferabu setzte sich wieder auf eine der Bänke hier im Raum. So manches Mal merkte er eben doch, dass er schon näher an den siebzig war als an den zwanzig, und in seiner Familie waren die Männer noch nie mit besonders hohem Alter gesegnet gewesen. Aber noch hatte er ein paar Jährchen, die er damit verbringen konnte, junge Männer auszubilden und alten Männern das Leben zu retten.
“Und natürlich warst du der erste, der so eine Fürsprecherin wie Inhapy hatte. Einer Hebamme zu widersprechen ist fast so aussichtslos, wie der eigenen Mutter, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.“ -
Wieder zuckten Neferabus Mundwinkel eine Winzigkeit nach oben, was man wohl als Lächeln deuten mochte. In der Küche angekommen legte er die nicht verbrauchten Bandagen sorgfältig auf einen der Tische. Dort würden sie noch einmal kurz frisch geweiht und dann aufgeräumt werden, aber das würde ein Diener oder ein Neuling machen, nicht er selbst. Dann winkte er Ánthimos zum nächsten Tisch, damit er dort seine Schale abladen konnte.
“Sehr gut. Du hast die wichtigste Lektion erkannt. Du musst dich nur auch stets daran halten. Die gründliche Diagnose ist das wichtigste, sie erst macht einen Wissenden zu einem Heiler. Jeder kann nach einem Rezept eine Medizin anmischen, aber eine Krankheit richtig zu erkennen und dann zu schauen, was man dagegen unternehmen kann, das ist es, was einen Heiler ausmacht. Der Rest ist dann nur noch Auswendiglernen. Aber das diagnostizieren, das lässt sich nicht auswendig herunterbeten.“
Neferabu würde heute noch einige Patienten haben, die der Behandlung bedurften, aber für einen Tag war es für Ánthimos wohl genug. Er wollte ihn nicht überfüttern mit Informationen. Vor allem, da solch eine große Erkenntnis, wie er sie selbst gefunden hatte, auch erst ein wenig Zeit brauchte, um sich vernünftig zu setzen.
“Es freut mich, wenn ich dir eine Erkenntnis vermitteln konnte. Wenn du an deinem freien Tag vorbeikommst, um zu sehen, wie man Schlangen Gift abnimmt, kannst du mir gerne noch einmal zur Hand gehen. Du hast ruhige Hände, das ist sehr hilfreich. Und gute Augen.“ -
“Jetzt liegt es in der Hand der Götter, ihm zu helfen. Wir können nur warten und versuchen, ihm ein wenig abgekühlte Brühe einzuflößen, damit er genug Nahrung aufnimmt. Solange das Fieber wütet, kann er ja nicht selbst essen.
Der Rauch biss ein wenig in den Augen, und so war Neferabu nicht traurig, den Raum verlassen zu können. Er hielt einen Diener an und wies ihn an, im Zimmer ein wenig zu lüften. Er wollte den alten Mann ja heilen und nicht ersticken.
“Die Verbände werden nun bis zum Untergehen der Sonne erst einmal so bleiben, und dann heute Abend gegebenenfalls noch einmal erneuert werden. Aber ich hoffe, dass die Götter mich erhört haben und das Fieber senken werden.“
Wenn nicht, standen die Chancen des alten Mannes nicht so gut, die Nacht zu überleben. Er war erst hierher gebracht worden, als es schon beinahe zu spät war. Aber leider kümmerten sich die meisten Menschen in Rhakotis nur um sich selbst und cnith um den Nachbarn. Neferabu hatte sich damit schon längst abgefunden.
“Und hast du etwas gelernt, junger Ánthimos?“, fragte der Arzt ganz ruhig und sachlich, während er sich auf den Weg wieder zurück zu der Salbenküche machte. Immerhin mussten sie die restlichen Sachen noch wieder fein säuberlich zurückbringen und auch auswaschen. -
Der alte Heiler nickte und fing wieder an, seinen Heilgesang zu intonieren. Er rief die einzelnen Gottheiten des ägyptischen Pantheons an, sie mögen helfen, dass dieser Mann gesunden möge. Allen voran rief er Isis an, die Göttin der Heilkunst, die ihren von Seth zerstückelten Mann wieder zusammengenäht und ihm mit ihrer Magie wieder neues Leben eingehaucht hatte.
Während er betete, hob er vorsichtig die einzelnen Gliedmaßen des Kranken an, so dass Anthi an die Unterseite herankam und dort beginnen konnte, den heilenden Brei aufzutragen. Wenn genügend darauf war, ließ er sie dann immer auf eine Bandage sinken, betete weiter, zeigte dabei mit den Fingern, wo Ánthimos fortfahren sollte. Er selbst wickelte dann die Bandagen, so dass die Schlafstätte sauber blieb, ehe sie sich der nächsten Gliedmaße zuwandten. Ein wenig missbilligend nahm Neferabu zur Kenntnis, dass der Weihrauch zu heiß angeglüht wurde, denn er rauchte doch ziemlich stark, aber sein Gebet stockte keine Sekunde, während er die heiligen Formeln runterbetete.
So wurde der alte, kranke Mann langsam aber sicher eingewickelt in die heilenden Bandagen. Als die Arbeit getan war, stand Neferabu auf und verneigte sich einmal gegenüber dem Kranken, als wolle er ihm danken. Mit melodischer Stimme ließ er seinen Gesang dann auch verklingen und musste sich erst einmal kurz räuspern.
“Ich muss mit den Dienern noch ein ernstes Wort reden. Soviel Weihrauch wird üblicherweise nicht gebraucht.“ -
Neferabu nahm einen langen Holzspachtel zur Hand und rührte einmal damit in der Salbe. Er zog das dünne Holz wieder heraus und beobachtete, wie der Brei davon herunter in den großen Mörser tropfte. Als fast alles abgetropft war, zog er den Spatel heran und roch an dem Brei.
“Ja, das sollte so gehen.“
Er hielt seine Hand kurz über die Mixtur und begann ein altes, ägyptisches, melodisch klingendes Gebet, in dem er Isis bat, ihre Zaubermacht auf den Brei zu übertragen und zu helfen, den Patienten gesunden zu lassen. Danach erhob er sich, murmelte weiter sein Gebet und winkte Anthimos, mit ihm zu kommen.
Den Ganzen weg über, auf dem er die Bandagen in den Händen trug, als wären es edle Stoffe, murmelte er weiter dieses Gebet, selbst, als sie den Raum mit dem alten Mann wieder betraten, betete er noch weiter. Im ganzen Raum hing der Schwere, süße Geruch von Weihrauch, der entzündet worden war und in einem kleinen Gefäß in der Ecke des Raumes vor sich hin qualmte. Neferabu hatte sich daran schon vor langer Zeit gewöhnt. Als er neu war, erinnerte er sich, dass er immer hatte Niesen müssen, aber diese Zeiten waren lange vergangen.
Als er sich wieder neben den Mann hinkniete – und hoffte, dass sein Knie das nun besser mitmachen würde – hörte er auf mit dem Gebet und winkte Ánthimos heran.
“Mit den Spateln tragen wir nun eine etwa fingerdicke Schicht auf seine Arme und Beine auf und umwickeln diese gleich mit den Bandagen, damit alles an Ort und Stelle bleibt. Berühr den Brei möglichst nicht, die Alraune wirkt beruhigend und du hast nachher sonst kein Gefühl in der Hand für ein paar Stunden. Hast du noch Fragen, oder können wir beginnen?“
Normalerweise hätte Neferabu den Mann noch gründlich gewaschen, aber auch das hatten die Diener bereits erledigt, als sie den Weihrauch entzündet hatten. -
“Heute ist nicht mehr geplant, eine Schlange zu melken. Aber du kannst morgen gerne noch einmal in den frühen Morgenstunden kommen, wenn es dich interessiert.“
Mit einer würdevollen Bewegung erhob sich Neferabu und ging ein paar schritte zu einem Regal, in dem große Bandagen lagen. Eigentlich testete er nur, ob sein Knie soweit wieder belastbar war, ohne zu schmerzen, aber ein Heiler lief nicht einfach nur so herum. Und da er die Bandagen ohnehin gleich benötigen würde, holte er sie auch gleich herbei.
“Ab und zu wird ein unvorsichtiger Neuling dabei gebissen. Aber das ist sehr selten, denn diese Arbeit verrichten normalerweise die, die die meiste Erfahrung mit den Schlangen haben. Du musst wissen, Schlangen sind immer gefährlich, und um sie zu verstehen, muss man sie studieren. Aber selbst nach Jahren, in denen man sie gehegt, gepflegt und gefüttert hatten, können sie sich dazu entschließen, einen zu beißen, wenn sie sich bedroht fühlen.
Aber da unsere Schlangen hier regelmäßig gemolken werden, ist ihr Gift dabei meistens nicht tödlich.“
Er hatte die Bandagen wieder bis zu dem Tisch gebracht, an dem sie saßen.
“Wenn du mit der Konsistenz deines Breis zufrieden bist, werden wir gehen. Mittlerweile sollte auch das Räucherwerk in dem Raum brennen und die Luft gereinigt haben. Dann können wir uns daran machen, das Fieber zu senken.“ -
“Die Alraune war in dem Öl, das der Sklave hineingeträufelt hat. So lässt es sich besser dosieren. Nicht jede Pflanze enthält gleich viel Wirkstoff, im Öl verteilt es sich gleichmäßiger und genauer. Die Linsen habe ich dir zuerst zu Malen gegeben, weil sie das einzige sind, was wirklich zerkleinert und fein gemahlen werden muss, und das geht trocken am einfachsten.
Aber du hast auch recht, Alraune ist sehr empfindlich. Und auch giftig, wenn man zuviel davon versehentlich verwendet. Ich gebe giftige Bestandteile grundsätzlich erst zum Schluss dazu, so vermengen sie sich gleich mit den anderen zutaten und verlieren so ihre Konzentration, so dass es ungefährlicher ist, sollte man doch einmal etwas verschütten. Es ist also eine Sicherheitsmaßnahme zum Schutz des Heilers, diese Zutaten erst gegen Ende beizugeben.“
So langsam hörte das Knie auf, Probleme zu bereiten. Wenn Ànthimos mit der Paste fertig war, würden sie wohl auch wieder zurückgehen können und mit der Behandlung fortfahren. Der Mann war ja bereits mehrfach gewaschen worden mit klarem Wasser und es war auch bereits Weihrauch entzündet worden, ehe der Grieche ankam. Neferabu sagte zwar immer, sie hatten alle Zeit der Welt, aber soviel Zeit, auf einen möglichen Schüler zu warten, hatte er dann bei seinen Patienten doch nicht immer. Und dem alten Mann ging es wirklich schlecht.
“Bei Schlangengift ist es noch schwieriger, es richtig zu dosieren. Schlangen können ja nicht oft zubeißen und sparen sich daher ihr Gift normalerweise für ihre Beute auf. Wir füttern sie hier zwar, aber sie bevorzugen lebendige Mäuse. So muss man erst eine Schlange finden, die gerade genügend Gift hat, dass man sie in ein Stofftuch beißen lassen kann und so das Gift gewinnt. Denn die Wirkung des Giftes hält an der frischen Luft auch nicht so lange, es zersetzt sich ziemlich schnell, so dass man es rasch verarbeiten muss. Noch ein Grund mehr, warum wir die Schlangen hier im Hause sehr achten.“