Beiträge von Penelope Bantotakis

    "Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Auch wenn ich es kaum erwarten kann, wirklich deine Frau zu werden, aber wir sollten warten, bis du Arbeit hast. Und deine Brüder sollen auch einverstanden sein, das ist mir wichtig."
    Ánthimos hatte so liebevoll von seiner Familie gesprochen, da wollte sie keinen Streit heraufbeschwören. Sie wollte ihm diesen sicheren Halt nicht wegnehmen, sondern Teil dieser Familie werden. Da war ihr das Einverständnis seiner Brüder wichtig.
    Als er ihr über den Rücken streichelte, kam Penelope näher zu ihm. Vorhin an seiner Seite einzuschlafen, das war wohl mit das schönste des gesamten Tages gewesen. Sie hoffte, dass sie das bald öfter konnte, und ihm jeden seiner schlechten Träume dann einfach wegküssen konnte.

    "Ich möchte eigentlich noch gar nicht gehen. Wenn wir gehen, kommen wir an, und wenn wir ankommen, ist dieser wundervolle Tag vorbei. Aber du hast recht, wir müssen wohl los."
    Noch weiter Zeit zu schinden brachte wohl ohnehin nichts. Sie hörte deshalb nicht auf, zu vergehen. Also stand Penelope auf und wartete, bis Ánthimos wieder Harmonia umgehängt hatte und sie losgehen konnten.
    Jenseits des Platzes wurde es wieder dunkler, und je mehr die Flötenlaute und das Lachen verklang, umso bedrohlicher wirkten die Gassen wieder. Penelope hoffte, dass sie heute von unliebsamen Weggenossen verschont bleiben würden. Schließlich kam sie auch wieder auf ihren Großvater zu sprechen.
    "Philolaos ist nicht schlimm, er ist nur… wütend, dass ihm das passiert ist. Weißt du, wenn er nüchtern ist, dann ist er brillant. Er war zwar ein strenger Lehrer und noch nie besonders milde, aber eine starke Persönlichkeit. Und er verkraftet es nicht so gut, was mit ihm geschehen ist."
    Vielleicht beschönigte Penelope auch einige der weniger noblen Charakterzüge ihres Großvaters, aber trotz allem liebte sie ihn, wie es sich für eine Enkelin gehörte.

    Nun, es gab auch genug Gegenden, wo man einen alten, blinden Mann mit einem schönen Becher Schierlingstee zwei Stunden allein ließ. Aber Penelope würde so etwas niemals übers Herz bringen, auch nur in Erwägung zu ziehen. Von daher war sie einfach nur glücklich, dass Ánthimos diesen Vorschlag gemacht hatte. Sie gab ihm noch einen letzten, kleinen Kuss und ließ dann wieder von ihm ab. Die Menschen auf dem Platz, die sie kannten, schauten ein wenig herüber. Einige sagten durch ihr Grinsen ganz deutlich, dass sie glaubten, Pelo habe den Verstand verloren. Ansonsten fauchte sie alles, was auch nur nach Mann aussah und Interesse an ihr hegte, entschieden weg.
    "Und das wäre wirklich in Ordnung für dich? Ich meine, wenn du ihn kennen gelernt hast, überlegst du es dir vielleicht noch mal anders."
    Pelo hoffte sehr, dass er es sich nicht anders überlegen würde. Dass sie ihren Großvater zurücklassen müsste um Anthi zu heiraten, darüber hatte sie bisher noch gar nicht nachgedacht.

    Penelope schaute ihn einen Moment lang nur an, und dann fiel sie ihm vor aller Augen um den Hals. Ganz fest schmiegte sie sich an ihn und gab ihm einen dicken Kuss oben drauf. Womit hatte sie nur einen so wundervoll lieben Mann verdient? Der neue Mann ihrer Mutter hatte noch nicht einmal ein vierjähriges Mädchen mitnehmen wollen – weshalb Penelope ihm aber keinen Vorwurf machte- und Ánthimos wollte sogar für einen alten, griesgrämigen Mann sorgen, um dessen Probleme er wusste.
    "Du bist der beste…" wieder ein Kuss "…und liebste…" und noch einer "…und tollste Mann, den sich eine Frau nur wünschen kann."

    Sich gegenseitig Halt geben, das klang schön. Penelope kannte das von früher einmal, aber dann gab es die langen Jahre, wo sie keinen Halt zu haben glaubte. Deshalb war es auch noch mal um einiges schöner, mit Ánthimos zusammen zu sein, denn bei ihm fühlte sie deutlich diesen Halt und diese Sicherheit, die ihr schon viel zu lange fehlten.
    "Das klingt nach einer wundervollen Familie."
    Pelo traute sich gar nicht, zu fragen, ob sie wohl auch auf diesen Halt dann zählen durfte. Das war wohl auch zuviel. Sie war ja schon froh für das, was Ànthimos ihr gab.

    Sie wollte Ánthimos nicht anlügen, aber sie wollte ihm auch kein schlechtes Gewissen deswegen machen.
    "Das geht schon. Keine Sorge. Und davon abgesehen, ist dieser süße Mund eine kleine Strafe durchaus wert."
    Sie lächelte ihn an, aber so ganz verbergen, dass sie sich ein bisschen sorgte, konnte sie wohl nicht. Natürlich konnte sie ihrem Großvater leicht entkommen, wenn er wirklich wütend war. Immerhin war er blind. Aber dem Streit würde sie lieber ganz aus dem Weg gehen.
    Eigentlich sollte Penelope jetzt mit Anthi weiter gehen, nach Hause, aber sie wollte noch nicht. Wenn sie dort angekommen wären, wäre dieser schöne Tag vorbei, und sie würden sich verabschieden, wenn auch nur bis zum nächsten Tag. Aber je näher dieser Zeitpunkt rückte, umso schwerer schien es Penelope zu fallen.
    "Werden deine Brüder wohl böse auf dich sein, dass du sie versetzt hast?"
    Sie wollte über irgendwas reden. Hauptsache, sie mussten noch nicht gehen.

    Als er sie küsste, vor aller Augen, hätte Penelope eigentlich zögern müssen. Aber sie fand es nur schön. Erst hinterher fingen ihre Gedanken wieder an, darüber nachzudenken, und sie hoffte, dass die Leute hier nichts an ihren Großvater weitertratschen würden. Wenn, dann wollte sie es ihm selber sagen, oder noch besser, Anthi sollte um sie richtig anhalten. Aber das könnte vielleicht noch dauern.
    "Gut, weil noch mal spielen kann ich es bestimmt nicht. Ich hab mir keine einzelne Note gemerkt."
    Verlegen lächelte sie ihren Mann an. Wenn ihr Großvater das hören würde, dass sie ein Lied ohne Noten gespielt hatte, und es sich dann nicht einmal gemerkt hatte, hätte er auch zu seinen besten Zeiten die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen.

    Irgendwann gingen Penelope die Töne aus. Es gab keine Töne, die auch nur annähernd das vermitteln konnten, was sie fühlte. Es gab noch nicht einmal Worte dafür. Die letzten Noten verklangen, und sie saß einfach nur da und schaute Ánthimos weiter an. Sie ertrug den Gedanken kaum, heute Nacht von ihm getrennt zu sein. Bei der Vorstellung, sich nachher von ihm verabschieden zu müssen, und sei es nur für einen Tag, zerriss ihr beinahe das Herz.
    Vorsichtig packte sie die Kithara wieder ein, während im Hintergrund wieder die Flöte erklang. Sie fühlte sich ein bisschen komisch. Ihre Musik, das war immer eins gewesen mit Penelopes Seele, und so hier jetzt zu spielen, das war, als hätte sie ganz Rhakotis ihre Seele offenbart, mit all ihren Gefühlen. Sie hätte nicht lauter ihre Liebe für Ánthimos hinausschreien können. Und das Gefühl war ungewohnt. Nicht unbedingt schlecht, aber neu.
    "Hat es dir gefallen?"
    Sie war sich noch ein wenig unsicher.

    "Wie? Jetzt?"
    Zweifelnd sah sie zwischen den Musikanten und Anthi hin und her. Er sah sie so stolz an, und sie hatte Angst, ihn zu enttäuschen. Wenn sie nun wirklich zu sehr mit dem Kopf spielte? Die großen Epen musste man voller Konzentration spielen, aber das hier kam mehr aus dem Bauch heraus. Sie wusste nicht, ob sie das wirklich konnte.
    Sie wollte ihn schon fragen, ob er sich sicher war, aber ein Blick in seine Augen reichte. Er strahlte soviel Zuversicht aus, dass Penelope ihn gar nicht fragen konnte. Natürlich war er sich sicher. Sie streckte also ihre Arme aus, dass er ihr Harmonia reichen konnte. Ein wenig zweifelte sie ja noch immer daran, dass sie das wirklich konnte.


    Die drei am Feuer hatten ihr Lied wohl gerade beendet und holten sich etwas zu Essen am Kessel ab. Einen Moment herrschte Stille, nur das Knacken des Holzes im Feuer war laut und das dicke Basslachen von Kenamon. Penelope schloss die Augen und ließ ihre Finger über Harmonia gleiten. Es war so schwer, den Kopf dabei auszuschalten. Aber sie wollte es für Anthi versuchen.
    Die ersten paar Töne klangen noch irgendwie falsch, viel zu hart. Harmonia schien geradezu zu jaulen ob der groben Behandlung. Doch dann wurden sie weicher und fließender. Eine kleine, hohe Melodie legte sich über die Grundakkorde, wie Vogelgesang. Penelope öffnete die Augen und sah Ánthimos an. Ihre Hände bewegten sich fast von allein, sie achtete nicht auf Takt oder richtige Tonabfolge. Sie versuchte, all das in Töne zu packen, was sie für ihn empfand. Wenn sie jemals jemand bitten würde, es noch einmal zu spielen, könnte sie es vermutlich nicht, denn sie ließ es einfach so aus ihrem Herzen direkt hinaus. Sie sah noch nicht einmal, ob irgendjemand anderes zuhörte.

    "Nein, iss ruhig, ich bin wirklich satt. Wenn ich nachher doch noch Hunger haben sollte, nasch ich vielleicht einfach noch ein bisschen an dir."
    Penelope schlug leicht die Beine übereinander und lauschte der Melodie der Flöten. Es war kein wirkliches Lied, was sie spielten, es war eine wilde Mischung aus den verschiedenen Richtungen. Ägyptische Rhythmen vermischten sich mit der griechischen Flöte, die von einem Nubier gespielt wurde, und heraus kam etwas wundervoll neues, das keine Grenzen zu haben schien. Wie Penelope dieses Improvisationstalent beneidete!
    "Naja, vielleicht finde ich ja bald Arbeit, auch wenn es heute nicht so ganz geklappt hat. Aber so eine große Künstlerin bin ich gar nicht. Ich spiele meistens nur nach, was andere geschrieben haben. Einfach so spielen können, wie diese drei dort am Feuer, das würde ich gerne können."
    Sie sah wieder zu Anthi und lächelte ihn verliebt an. "Aber dein Lied schreib ich dir noch. Vielleicht bin ich danach dann wirklich eine Künstlerin. Ich kann die Melodie schon fast hören. Auch wenn sie bestimmt nicht so wundervoll werden kann, wie du bist."

    "Es gibt auch immer Menschen, die von der Not der anderen Leben. Das macht misstrauisch. Und es ist einfacher, etwas zu stehlen, als es zu erschaffen.
    Die meisten hier haben nie gelernt, etwas zu tun. Ich kann auch nur Kithara spielen. Selbst wenn Rom den meisten hier ein Stück Land geben würde, um es zu bebauen, woher sollten sie wissen, wie es geht? Die meisten leben seit Generationen in der Stadt. Und die Rhomäer würden auch niemals Land an Ägypter einfach so herschenken. Diese ganze Provinz gehört dem Imperator.
    "
    Das Fleisch und das Gemüse waren nun soweit abgekühlt, dass Penelope es essen konnte, ohne sich zu verbrennen. Sie aß aber nur wenig, sie hatte gar keinen so großen Hunger. Kenamon hatte ihr wieder eine „Männerportion“ gegeben, und dabei aß sie doch nur wie ein Spatz.
    "Du liegst nicht falsch. Du bist nur zu gut für das hier. Aber die Welt ist voller schlechter Menschen. Und das hier ist ein Ort, wo viele von diesen eben herrschen."
    Pelo war eigentlich schon satt, aber es war immer noch etwas übrig. Normalerweise brachte sie es Großvater dann mit, aber Anthi schaute so hungrig aus. "Magst du noch was? Kenamon gibt mir immer viel zu viel."

    "Die meisten sind nicht freiwillig hier. Viele haben Familien, um die sie sich sorgen müssen, viele haben Schulden. Einige haben schlicht den Fehler, dass sie Ägypter sind. Die meisten versuchen, das beste daraus zu machen."
    Früher hatte Penelope auch eine sehr geringe Meinung von den Leuten in Rhakotis. Sie konnte nicht verstehen, dass ein intelligenter Mensch hier freiwillig leben wollte. Nach ihrer kindlichen Meinung waren die Leute hier selbst Schuld an ihrem Schicksal. Mittlerweile dachte sie da anders darüber. Die meisten hatten ihre Geschichten, und alle endeten damit, dass sie nun einmal arm waren und ihre Kinder daher nicht lesen lernen konnten, keine Philosophie studieren, kein ordentliches Handwerk lernen. Welcher Handwerker nahm schon einen Lehrburschen auf, wenn dieser das Lehrgeld nicht zahlen konnte?
    Aber sie machte Anthi keinen Vorwurf. Es war irgendwie süß, dass er sie nicht hier lassen wollte. Obwohl sie einige der Menschen hier sehr lieb gewonnen hatte, würde sie jederzeit wieder in ein richtiges Haus ziehen, das nicht drohte, zusammen zu brechen, vernünftige Kleidung tragen und sich nicht überlegen, ob das Fleisch im Teller nun Hund oder wirklich Rind ist.

    Erst schaute Penelope besorgt, dann musste sie lachen.
    "Du bist wohl immer so ungeduldig?" neckte sie ihn ein wenig. Sie selber nahm ein bisschen des Brotes und tunkte damit in den Eintopf, so dass ein bisschen der Soße daran hängen blieb und aß das langsam. Es schmeckte wirklich gut heute, und es war definitiv weder Hunde- noch Katzenfleisch, was schon mal ein großer Pluspunkt war.
    Dann wurde sie aber ein bisschen ernster, als ihr Blick über den Platz schweifte. Die Menschen hier waren ausgelassen und fröhlich, für den Moment. Aber nur ein paar Straßen weiter würde wieder Armut und Elend jegliche Freude überwiegen.
    "Und, was denkst du?"
    Mit einer Geste umfasste sie die ganze Umgebung.

    Penelope schaute Anthimos mit hochgezogener Augenbraue kurz an, als er ihren Spitznamen so sehr betonte. Sie war dabei daran völlig unschuldig! Vor zwei Jahren war sie das erste Mal hier gewesen, und Kenamon konnte ihren Namen nicht aussprechen, ohne sich zu verhaspeln. Da hatte er ihn kurzerhand verkürzt, und sie hatte sich daran gewöhnt. Aber wenn Anthi ihn aussprach, gefiel er ihr irgendwie besser.
    Kenamon unterdessen lachte und brach einen Leib Brot in der Mitte auseinander. Er holte den hellen Teig heraus und griff nach seiner Schöpfkelle. In jedes ausgehölte Brot kam so ein Löffel des Topfinhaltes, großzügig geschnittene Fleischstücke und Zwiebeln und Gemüse. Die Kuh musste zwar ein mageres Vieh gewesen sein, aber dennoch sah das ganze in Penelopes Augen sehr appetitlich aus. Und sie hatte Hunger.
    Danach erhielten sie beide noch einen Holzbecher voll mit Bier, das zwar grässlich warm war, aber trotzdem trinkbar. Zu guter Letzt bekamen sie schließlich das Innenleben ihres Brotes noch oben auf ihre improvisierten Essensschalen.
    Penelope suchte sich mit Anthi ein Plätzchen zum Hinsetzen. Das Essen war gut warm, von daher wollte sie sich ohnehin nicht gleich die Finger verbrennen. Erst, als sie saßen, wandte sich Penelope wieder an ihn.
    "Dann mal hoffen, dass die Kuh auch schmeckt. Und dir gefällt wohl der Name, den Kenamon mir verpasst hat?"

    Doch, natürlich spreche ich Ägyptisch. Schreiben nicht so gut, aber sprechen kann ich. Hebräisch verstehe ich auch, und ionisch und attisch. Und mein Nachbar spricht auch irgendeine Sprache, den versteh ich mittlerweile auch recht gut, aber da weiß ich nicht, was das ist.
    Vor vier Jahren hätte sie wahrscheinlich noch viel weniger Sprachen aufzählen können, die sie verstand. Aber wenn man nicht nur mit den Händen herumfuchteln wollte und darauf hoffte, dass der andere schon verstand, musste man wohl das eine oder andere lernen.
    Penelope lächelte Ánthimos aufmunternd an. Seit sie Rhakotis betreten hatten, wirkte er irgendwie ein bisschen verloren. Sie erinnerte sich noch gut an ihre ersten Tage und Wochen hier, sie musste damals elend ausgesehen haben. Sie hoffte, es erschreckte ihn nicht zu sehr.
    "Ja, er ist auch nett. Solange man keinen Streit anfängt. Er ist ziemlich kräftig und kann gemein zuschlagen, wenn man sich mit ihm anlegt. Er behauptet immer, in seiner Jugend habe er einen Stier mit bloßen Händen niedergerungen. Wenn du ihn fragst, wird er dir sicher die Geschichte in allen Einzelheiten erzählen.
    Deshalb ist es hier auch so friedlich. Niemand fängt hier freiwillig einen Streit an.
    "


    Sie schlenderte mit Anthi an ihrer Seite hinüber zum Kessel. Auf ägyptisch begrüßte sie ihn, als er sie sah.
    "Ah, Pelo, und wer ist das? Neuer Freund in Rhakotis? Willkommen, willkommen."
    Er war wie immer überschwänglich, und Penelope lächelte dabei. "Sag, Kenamon, was hast du heute feines? Wir haben Hunger."
    "Oh, da hast du Glück. Heute ist eine echte Kuh im Topf, mit guten Gemüse."
    "Wirklich eine Kuh? Das ist ja schon fast ein Festmahl"
    "Na, das möchte ich meinen. Nur das Brot ist hart, aber ihr habt ja kräftige Zähne. Und ich habe frisches, gutes, ägyptisches Bier. Für zwei Drachmen?"


    Penelope wusste zwar, das das Bier wahrscheinlich weder frisch noch besonders gut sein würde, und sie trank eigentlich ohnehin lieber Wein, aber den gab es hier nicht. Und von Wasser wurden mehr Menschen krank als von dem Bier, von daher war das wohl die bessere Wahl. Sie sah zu Anthi hoch, was er meinte.

    Penelope nahm nicht den direkten Weg zu der Garküche. Dabei ging es dieses Mal nicht ums Zeitschinden, sie umging einfach die Stellen, von denen sie wusste, dass sie dort wohl nicht willkommen war. In einigen Gassen waren Huren mit ihren Freiern beschäftigt, und ihre Zuhälter bewachten sie aus der Entfernung mit wachsamen Augen. Da war es besser, einen kleinen Umweg zu laufen.
    Schließlich kamen sie an einen größeren Platz. Penelope erinnerte sich, dass hier einst zwei Häuser gestanden hatten, diese waren aber in sich zusammen gestürzt, schon vor Jahren. Die Ziegel und Balken waren schon lange Teil anderer Häuser geworden, in Rhakotis blieb nichts lange liegen. Und so war hier nun ein etwas größerer Platz entstanden. In einigen Jahren würden bestimmt wieder Häuser hier stehen. Hier brannte ein großes Feuer in der Mitte und einige Spielleute machten auf ihren Flöten Musik und wurden begleitet von Schellen und Trommeln. Bei Kenamons Garküche war nach Sonnenuntergang immer fröhliche Stimmung. Der große, dicke Ägypter war so etwas wie eine Respektsperson hier unten, alle Bandenstreitigkeiten oder die verschiedener Völker hatten auf seinem Platz nichts zu suchen. Also war hier so eine Art kleiner, sicherer Hafen, den selbst die Rhomäer von ihrer Anwesenheit meistens verschonten.
    "Da vorne, der dicke Mann, das ist Kenamon. Ihm gehört die Küche. Lass uns fragen, was er heute im Kessel hat. Achja, sprichst du ägyptisch? Sein Koine ist scheußlich."

    "Ich seh schon, wir müssen dich noch viel mehr trainieren, damit du in Form kommst."
    Neckisch gab sie ihm einen Klaps auf seinen Po, als er sich anzog. Als er schaute, grinste sie ihn an. "Das wollte ich schon den ganzen Tag machen." Genau dasselbe hatte er vor nicht allzu langer Zeit zu ihr gesagt.


    Schnell war das Gasthaus verlassen und sie waren auf den Straßen Richtung. Je weiter sie sich nach Rhakotis hineinbegaben, umso enger wurden die Straßen und umso eigenwilliger die Bauweise der Häuser. Die Straßen selber waren schlecht beleuchtet, aber aus den verschiedenen Fenstern fiel genug Licht. Außerdem kannte Penelope den Weg.
    "Ich weiß nicht, wie es in Memphis ist, aber nachts ist es hier gefährlich. Wenn dich oder mich also einer beleidigt und dann wegrennt, geh ihm nicht nach, das ist eine Falle."
    Penelopes Haltung wurde etwas aufmerksamer. Sie hatte zwar keine Angst, nicht solange Ánthimos bei ihr war. Aber sie wusste um die Gefahren und die streitlustigen Banden, die hier ihr zuhause hatten und nachts gerne umherstreiften. Da wollte sie ihn lieber warnen, bevor etwas passierte.

    "Vielleicht fresse ich ja auch dich."
    Penelope liebte seine kleinen Bisse. Kurz fuhr sie ihm mit einer Hand in den Nacken und kraulte ihn dort, ehe sie sich von ihm löste. Es war wirklich nicht einfach, sich anzuziehen mit dieser verkörperten Verführung neben sich. Aber schließlich war sie angezogen. Ihre Haare fielen ihr in losen Locken über die Schultern, und Penelope versuchte ihr bestes, sie wieder in die Form der Steckfrisur zu bringen, die sie am Morgen noch gehabt hatten. Das dauerte einige Augenblicke, aber schließlich war sie zufrieden.
    "Hier in der Taverne würde ich nicht essen. Aber ich kenne eine Garküche auf dem Weg, da können wir etwas essen. Die haben meistens sogar gutes Fleisch im Kessel."

    "Du willst am Rand von Rhakotis etwas essen? Du bist mutiger, als ich dachte."
    Penelope lachte Ánthimos einmal kurz zu. Im Gegensatz zu vielen Besuchern wusste sie, was in den verschiedenen Garküchen so in den Kesseln kochte. Und Katze oder Straßenköter war nicht unbedingt jedermanns Sache. Wobei Hund, wenn er richtig zubereitet war, gar nicht schlecht schmeckte. Natürlich gab es auch bessere Küchen, aber richtig gut essen konnte man wohl nur in den besseren Tavernen.
    Penelope fand schließlich auch die zweite Spange wieder. Irgendwie war sie unter das Bett gerutscht, so dass sie auf allen vieren danach fischen musste. Aber schließlich hatte sie sie und konnte sich anziehen. Ánthimos Blick auf ihren Körper entging ihr dabei nicht.
    "Wenn du mich weiterhin so anschaust, kommen wir nie zum essen. Vielleicht überlege ich es mir dann und werfe dich noch einmal zurück aufs Bett?"
    Verführerisch hob sie eine Augenbraue und zwinkerte ihm dann zu.

    Das Haus, in dem der einst große Kitharist Philolaos mit seiner Enkelin wohnt, ist eines, wie es in Rhakotis dutzende davon gibt. Zwei Stockwerke umfasst der Bau aus einfachen Lehmziegeln und ist so dicht an die Nachbarhäuser gebaut, dass dazwischen kein Durchgang mehr herrscht. Mit 6 anderen Häusern unterschiedlichster Höhe und Bauart umschließt es einen gemeinsamen Innenhof mit Brunnen.
    Der Raum hinter der Eingangstür ist schlicht eingerichtet. Ein Tisch, zwei Stühle, ein bequemerer Sessel, der seine beste Zeit auch schon hinter sich gebracht hat und eine alte Kline. Im hinteren Teil nahe der Tür zum Hinterhof ist eine Kochnische. Das Feuer und der Rauch hat die Ziegel dort geschwärzt.
    Die Wände sind kahl und hätten einen neuen, weißen Anstrich nötig. Keine Bilder, keine Vasen, nichts verschönert die blanken Wände. Einzig an einer Stelle steht ein kleiner Tisch, auf dem die Kithara Harmonia ihren Platz hat.
    Eine schmale Treppe führt hoch in den ersten Stock mit den beiden Schlafzimmern. Allerdings ist nur Penelopes Schlafzimmer regelmäßig benutzt, ihr Großvater Philolaos schläft meistens im Erdgeschoss auf der Kline.



    Penelopes Zimmer ist klein. Neben einem Bett gibt es noch zwei Kleidertruhen und einen kleinen Tisch. Einige Manuskripte mit Liedtexten liegen fein säuberlich aufgerollt und ordentlich in einem einfach zusammengeschusterten Regal neben dem Tisch. Auf dem Tisch liegen immer mindestens zwei Wachstafeln, die Penelope zum Komponieren benutzt, ebenso wie ein Griffel aus Holz.
    Die Wände sind ebenso wie die unten kahl und könnten einen Anstrich gebrauchen. Hier und da hängt ein Tuch, um das ganze etwas wohnlicher erscheinen zu lassen.
    Ein großes Fenster, das von innen verriegelt werden kann, lässt sich zur Straße hin öffnen und liegt fast direkt über dem Bett.