Beiträge von Geórgios Krateidos

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    Mit dem Lappen in der Hand reckte sich das Mädchen als sich Ánthinmos zu ihr hinab beugte. Vorsichtig wischte Mybia über den blauen, langen Fleck an der Stirn. An manchen Stellen löste sich die Farbe sofort, dort, wo sie eingetrocknet war, musste Mybia etwas reiben. Dann ließ sie den Lappen sinken und legte ihn auf die Schüssel zurück, die Ánthimos mit gebracht hatte. Gespannt sah sie nun zu dem Mann, um zu erfahren, was noch für eine Belohung auf sie wartete. Ganz große Augen bekam Mybia als sie den Honig sah. "Boah!", gab sie von sich und griff gleich danach. "Leeecker, danke schön." Natürlich liebte sie Honig. Wie alles Süße. Aber welches Kind mochte das nicht? Und wirklich oft kamen die Kinder nicht an die süße Masse. Ehe sich einer der Knaben, deren Augen ebenso aufleuchteten, den Honig krallen konnte, ließ Mybia ihn in dem Sack verschwinden. "So, damit hast Du Dir unseren...Apollons Segen verdient." Sie sah zu dem Flötenspieler, der sein Instrument aufträllern liess. Dabei sang Mybia:


    "Dieser Eiresione trägt prächtiges Gebäck, Feigen, Honig in einem Krug und Olivenöl euch zu segnen. Die Kelche sind gefüllt mit reifem Wein, von denen du trinken und einschlafen magst."


    Ihr Bruder, Leos, nahm einen der Ölbaumzweige und band ihn über dem Eingang der Wohnung fest, wie es der Brauch war, damit der Segen ein Jahr lang halten würde, bis zu den nächsten Puanepsia. "So!", sprach Mybia. "Du und Deine Frau seid gesegnet. Ist sie denn oft weg, dass Du ein Bild von ihr malen musst? Kannst Du gut malen?"

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    Zufrieden strahlte Mybia. Eine richtige Entscheidung, die der bunte Mann da traf, wie die Kleine sofort befand. "Ist gut!", erwiderte sie und spähte ihm hinter her. "Seht ihr? Sind doch spendabel hier!", flüsterte Mybia zu ihren Kumpanen als Ánthimos in dem Vorratsschrank nach etwas Essbarem suchte. "Hm!", grummelte Peteos. "Wer weiß, vielleicht rückt der nur nen Harten Kanten Brot heraus. Dann gibt es keinen Segen." Mybia schüttelte den Kopf, so dass ihre Haare flatterhaft hin und her wogten. "Nein, der sieht nett aus, dem können wir doch keinen Fluch anlasten."


    Die Knaben verzogen das Gesicht oder rollten mit den Augen. Es war wieder Peteos, der ihre Skepsis zum Ausdruck brachte. "Du findest doch alle nett, Mybia. Sogar die alte Hexe vom Fischmarkt. Die uns immer beschimpft." -"Weil ihr ihr die Fische klaut. Wenn man sie fragt, dann gibt sie einem auch was. Aber ihr versucht ja auch nie nett zu sein." Mybia sah mit erhobener Nasenspitze zu den älteren Jungs. Nur einer von der Bande war jünger als sie. Nämlich ein Viertel Jahr. Aber Mybia war die Schwester von Leos, dem Ältesten und auch Schweigsamsten in der Gruppe. Und die Kinder waren alle aufeinander angewiesen, um in der Stadt zu überleben. "Pssst...da kommt er wieder." Die Kinder drehten sich zu Ánthimos um.


    Schnell öffnete Mybia den Sack. Sie bekam ganz große, leuchtende Augen als sie all das gute Essen sah. Da würden sie alle heute richtig papp satt werden. "Oooooooohh!", meinte Mybia auch prompt. Sie war nun mal ein Mädchen, der man alle Gefühlsregungen sofort ansah und anmerkte. "Das gibt aber viel Segen.... noch mehr für uns.... ? Oh!" Mybia staunte. Sie hatten ja einen richtigen Hauptgewinn hier gemacht. "So viel Farbe ist da nicht in Deinem Gesicht, an der Stirn bist Du ganz, ganz blau. Wie der Himmel."


    Das war aber ein sehr gutes Geschäft, befand Mybia. "Ist gut!" Sie spukte sich in die Hand und streckte ihre schmale Kinderhand Ánthimos entgegen, wie sie das bei den Viehändlern oft gesehen hatte. Damit besiegelten sie immer ihre Geschäfte. Gleichzeitig griff sie schon in die Schüssel und holte den Lappen heran. "Du musst Dich dann aber herunter beugen. Ich bin ja kleiner als Du." Sie drückte noch den Lappen über der Schüssel aus und streckte sich schon mal. "Was malst Du denn?" Mybia hatte noch nie jemanden getroffen, der malte. Sie fand das aber unheimlich sympathisch, denn sie malte auch gerne. Obwohl es nur Sandbilder waren, die sie mit einem Stock in den Boden ritzte. Manchmal, wenn sie Kreide stehlen konnte, dann verzierte sie die Wände von Häusern. Was vielen Besitzern nicht gefiel.

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    Die Tür ging auf und eine Silhouette zeigte sich im Türrahmen. Verdutzt starrte Mybia den Mann an. Der war ja bunt! Als ob er sich in einem Bottich der Färber gewälzt hätte. Nun, zumindest hatte er einen deutlichen Farbkleckser an sich. Mybia hob die Hand zu Mund und fing an zu kichern und zu glucksen. Ihre Augen funkelten fröhlich. Die anderen Straßenkinder, die Jungs, versuchten einen 'kühlen' Gesichtsausdruck zu behalten, doch jegliche 'Kühlheit' fiel von ihnen ab als Mybia immer lauter kicherte und schließlich lachte. "Du.... Du bist....", gluckste Mybia hervor. ".... wohl in einen Färberbottich gefallen, odaaa?" Einer der Knaben, Peteos eben, stupste Mybia in die Seite. "Los...", zischte er. "Jaaa, ich mach ja schon." Die Kinder stellten sich auf und einer der Knaben zog eine schlichte Flöte hervor und fing an, darauf zu spielen. Es klang nicht sehr harmonisch. Mybia holte tief Luft und sang klar und mit einer reinen Kinderstimme, die man in dem Haufen von Straßenkinder gar nicht erwartet hätte:


    "Ein' Hampfel Gerste gebt der Kräh' in Gnaden,
    Apolls Kind, aber einen Weizenfladen,
    Ein Brot, ein Geldstück! Was man brauchen kann,
    Wie's just zur Hand ist, nimmt's die Krähe an.


    Gebt, gute Leut'. Auch körnig Steinsalz weist
    Nicht ab die Krähe, weil sie's gern verspeist.
    Wer Salz heut bringt, wird morgen Honig bringen.
    Die Tür auf! Plutus hört auf unser Singen."


    Mehr Strophen konnte Mybia sich von dem Krähenlied nicht merken. Sie verstummt und die Knaben, samt dem Mädchen, sahen zu dem Mann in der Tür hoch. "Puanepsia, es sind Puanepsia! Wir bringen den Segen des Apollon!" Verlangend streckte Mybia den geöffneten Beutel dem mit Farbe beklecksten Mann entgegen. "Segen oder Fluch, das kannst Du entscheiden."

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    Kalypso musste nun nicht mehr den Kopf im Nacken beugen, um zu dem Soldaten, der doch gut zwei Köpfe größer als Kylpso war, hinauf zu schauen. Sie freute sich so sehr, an dem Tag bei dem Zug dabei sein zu dürfen, dass ihr Gesicht so hell strahlte wie die Sonne am Himmel. Dass es ihren Vater sehr viel Geld gekostet hatte, damit Kalypso mit durfte, ahnte das junge Mädchen nicht. Es hätte vielleicht auch ihre Illusion geraubt, die sie noch von der Welt und der Stadt hatte.


    "Mein Vater sagt, die Zunge ist schärfer als das Schwert. Aber meine ist nicht ganz so gefährlich. Ich habe also keine Waffen bei mir, ehenwerter Soldat, Streiter des Imperium der Rhomaeer." Kalypso lächelte und sah zu den anderen Kindern. "Und ihr?" Die Kinder schüttelten den Kopf, doch schließlich trat einer der Jungen ganz zerknirscht vor und streckte die Hand aus. Er hielt darin eine kleine, hölzerne Kinderschleuder, mit denen man Glasmurmeln abschiessen konnte. "Die habe ich immer dabei, Herr, tut mir Leid!" Kalypso bedachte den Knaben mit einem strafenden Blick. "Die Sklaven dürfen keine Waffen tragen. Sonst ist ihr Leben verwirkt, ehrenwerter Soldat."

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    Es waren mehrere Knaben und ein Mädchen unter ihnen, die an diesem Tag die Straße in dem Viertelteil entlang gelaufen kamen. Einfache und grob gewebte, teilweise schon mit Flicken bedeckte Tuniken trugen die Kinder, die zwischen sechs und elf Jahren alt waren. In ihren Händen hielten sie Ölbaumzweige, die sie sich von einem großen Haufen vor dem Apollonschrein ergattert hatten, an denen einige Früchte hingen und die mit bunten Wollfäden behängt waren. Fröhlich singend liefen die Kinder von Haus zu Haus, mit einem groben Sack in den Händen des jungen Mädchens. Nicht jede Familie gab ihnen etwas, aber manchmal konnten sie doch etwas erbeuten. Sie hatten sich sogar extra die schmutzigen Gesichter gewaschen für den Tag, um die Erwachsenen spendabler zu machen.


    "Wie viele haben wir schon?" , fragte ein Junge, ein Sohn eines Mektöken und einer frei gelassenen Sklavin, Peteos war sein Name. "Sieben Feigen und einen Kuchen!" , verkündete Mybia, das junge Mädchen, stolz und hob den Beutel hoch, den sie zu tragen hatte mit der Beute. Die Kinder lebten alle auf der Strasse und sie nutzten die Feiertage der Puanepsia, um sich ein wenig an Essen zu erbetteln und das noch auf eine ehrenwerte Weise. Obwohl sich die kleine Bande, die die Straße entlang marschierte, auch für das Dieben nicht zu schade war. Aber heute mussten sie nichts riskieren und schon gar nicht die drakonischen Strafen, die sie erwartete, wenn sie erwischt wurden. Sie hatten schließlich keinen Fürsprecher und würden die volle Härte der Gerichtsbarkeit, die auch vor Kindern keinen Halt machte, erfahren.


    Mybia schlenderte fröhlich und mit schwenkendem Sack auf einer der Häuser zu. "Versuchen wir es doch mal hier!", schlug Mybia vor. "Bei dem Geizhals? Ne, der rückt nichts raus." So war die Antwort einer der älteren Jungen. Mybia schabte mit ihrem bloßen Zehenspitzen in dem sandigen Boden. "Aber vielleicht die, die da wohnen." -"Also gut, versuchen wir es." Die Kinder liefen zu dem Eingang und zu den vermieteten Räumlichkeiten, um auch bei den Bantotakis zu klopfen. "Puaaaaneeeepsia!", krakeelte Mybia, noch ehe eine Tür geöffnet wurden. Sogleich wurde sie mit strafenden Blicken bedacht. Manch einer in dem Viertel machte nicht auf, wenn Mybia verkündete, was der Sinn ihres Besuches war. Schliesslich wollte nicht alle geben, aber gleichzeitig nicht den Segen verlieren. Dann taten sie lieber so, dass sie gar nicht zu hause waren. Mybia sah gebannt auf die Tür und hoffte, dass jemand nettes aufmachen würde.

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    Golden schien die Sonne vom azurblauen Himmel, lachte über die Häuser der großen Metropole hinweg und erwärmte die Gesichter der Kinder, die schwatzend, kichernd und fröhlich den Weg auf das große und stattliche Tor zu liefen, das den Eingang zum Palastviertel makierte. Es waren zwölf Kinder aus den gehobenen, aristokratischen und hellenischen Familien, die für jenen Tag ausgwählt worden waren. Kinder einiger Priester und wichtiger Persönlichkeiten der Stadt. Auch Kalypso, die Tochter des Geórgios Krateidos, der nicht ganz so bedeutend war, aber aus einer bedeutenden Familie kam, war darunter. Begleitet wurden die Kinder von einem Zug in weißen Leinen gekleideten Sklaven.


    In ihren Händen trugen die golden und rot gekleideten Kinder lange Ölbaumzweige, die mit Wollfäden und vielfach leuchtenden 'Erstlingen' behängt waren, Früchte jeglicher Art, die von den Feldern und fruchtbaren Äckern Ägyptens stammten, der Ernte, die gerade eingeholt worden war und den Reichtum der Provinz offenbarte. Zudem hielten die Kinder Brot und Ölfläschchen bereit.


    Mit jedem Schritt schaukelten die Eiresione, die Ölbaumzweige, und unbekümmert und munter setzte der kindliche Prozessionszug den Weg bis zu dem Tor hinfort, wo die zwölf Kinder stehen blieben. Kalypso, eher eine von der mutigen Sorte, trat nach vorne und hielt den Ölbaumzweig fest in ihren Händen. "Chaire!", grüßte sie den Soldaten. "Wir kommen, um den Prä...dem Haus des Eparchos den Segen der Puanepsia zu bringen. Dürfen wir durch? Bitte?"

    Der Sklave schloss lautlos die Tür hinter Marcus Achilleos, nachdem dieser sich verabschiedet und das Haus verlassen hatte. Nachdenklich sah der hiereús auf die verschlossene Tür und wandte sich schließlich um. "Wie war das mit den Heraspielen, Kleines?" Der harte Zug schwand aus den Gesichtszügen und wich einem liebevollen Blick. Der einzige Mensch auf der Welt, der den Priester noch zu derartigen Regungen hinreissen konnte, das war seine geliebte Tochter. Er wuschelte ihr durch das Haar und hörte ihr aufmerksam zu, als beide in das Herz des Hauses gingen...

    Mit seiner Tochter war auch ein wenig Leben in das Haus zurück gekehrt. Zwei Sklaven, die das Mädchen immer bis zum Gymnasion begleiteten. In der Küche wurde auch bereits rumort. Der hiereús erhob sich und lächelte oberflächlich freundlich. "Aber natürlich. Du wirst sicherlich selber ein viel beschäftiger Mann sein. Dann einen schönen Tag Dir noch und viel Erfolg bei der Herstellung Deiner Votivgabe."


    Die Bewegung zum Anlass nehmend, eilte der Sklave Mános bereits zur Tür, um diese für den Besucher zu öffnen. Geórgios geleitete dennoch Marcus Achilleos dorthin. "Chaire*, Marcus Achilleos! Es war mir eine Freude, Dich kennen lernen zu dürfen."




    [SIZE=6]*Laut des Woodhouse English-Greek Dictionary bedeutet Chaire auch Farewell - Lebewohl/Ade/Etc..[/SIZE]

    Ein unbestimmtes Nicken quittierte Marcus Achilleos bei seiner Antwort. Geórgios war kein selbstloser Mensch. Er nahm den Anteil an den Opfern immer an, tat selten etwas aus uneigennützigen Beweggründen und war durchaus an materiellen Dingen interessiert. Zudem glaubte er nicht an das Gute in den Menschen. Sprich, er war ein ziemlicher Zyniker.


    Dennoch lächelte er jovial. "Das ist sehr lobenswert und wird sicherlich so manch einem Kind in diesem Viertel zu Gute kommen in seinem späteren Leben. Dann wünsche ich Dir viel Erfolg mit Deiner Schule."

    Es war nicht ohne Grund, warum Geórgios in diesem Viertel lebte. Denn selbst wenn er aus einer angesehenen Familie der Stadt stammte, die ihre hellenischen Wurzeln bis nach Makedonien zurück verfolgen konnten, so besaß Geórgios auch ägyptisches Blut in sich. Das seiner Mutter und das der Grund war, warum so manch einer in seiner Familie ihn mit Geringschätzigkeit behandelte. "Das ist sehr löblich, Marcus Achilleos."


    Geórgios bezweifelte jedoch, dass er damit auf das Vertrauen der Ägypter traf oder das es von sonderlich großem Erfolg gekrönt war. Die Ägypter waren nicht nur arm, weil sie ungebildet waren, sondern weil sie so waren wie sie waren - nämlich keine Hellenen, sondern nur Mektöken. "Wirst Du das Ganze ohne Geld zu verlangen betreiben?"

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    Der Stolz, den Kalypso verspürte, liess sie etwas größer werden. Sie lächelte strahlend und glücklich. Natürlich hoffte sie auch, bei den Heraspielen mitmachen zu dürfen. Es war nicht nur eine große Ehre, sondern auch einfach großartig und seit zwei Jahren ihr Wunsch. "Danke, Marcus Achilleos.", erwiderte sie und begann nachzurechnen. Drei Mal elf und ein Viertel. Dreiundreißig und dreiviertel Jahre. Dann war er ja noch jünger als ihr Vater. Also gar nicht so alt. Am liebsten hätte Kalypso ihn noch weiter ausgefragt, aber womöglich hätte das doch die Missbilligung ihres Vaters geweckt. Darum schwieg sie lieber und musterte stattdessen den Mann neugierig.


    "Aber gerne doch!", hörte Kalypso ihren Vater antworten. Sie ahnte nicht, dass ihr Vater scheinbar hilfsbereit war, aber durchaus sich vermerkte, dass sich der Fremde eines Tages dafür revanchieren könnte. "Eine Schule? Eine Elementarschule?"


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    Die dunklen Augen von Kalypso richteten sich voller Neugier auf den fremden Besucher. Ständig waren fremde Menschen im Haus ihres Vaters und immer schien jemand ihren Vater sprechen zu wollen. "Ja, das bin ich!", antwortete Kalypso kess auf die Frage von Marcus. "Kalypso ist mein Name und ich bin schon elf und ein viertel Jahre alt." Den Kopf zur Seite gelegt beäugte sie den Mann vor sich. "Und Du? Wie heißt Du?", fragte sie. Sie wusste, dass sie sich das erlauben konnte. Schelte von ihrem Vater erhielt sie selten.


    Ungeduldig wie sie war, konnte sie die grossartigen Neuigkeiten jedoch nicht länger an sich halten. So dass sie sich gleich an ihren Vater wandte. "Mein Lehrer hat gesagt, dass ich vielleicht bei den Heraspielen antreten darf. Wenn ich weiter so gut bleibe." Etwas enttäuscht bemerkte sie, dass ihr Vater zwar gönnerhaft und durchaus stolz nickte, aber sich gleich wieder dem Besucher zu wandte. "Das ist meine Pflicht als hiereús. Als Priester, der von der Bürgerschaft ernannt wurde. Wenn ich Dir beim Opfer behiflich sein kann oder die passende Priesterin zu finden, dann lasse es mich wissen. Ich habe so meine Kontakte in dieser Stadt."

    Natürlich hatte Geórgios die Bildung genoßen, die ein Grieche aus guter Familie erhalten konnte. Von dem Lehrer in seinen Kinderjahren bis hin zum Museion in der Jugend, wo er auch einige Jahre gelernt hatte. So hatte er einiges an Bildung mit genommen, aber seine Berufung mehr im Dienste der Götter gesehen. Zumindest erschien es ihm damals so, mittlerweile war er diesbezüglich etwas ernüchtert.


    "Ohne Zweifel lassen sich auch bestimmte Phänomene dadurch leichter erklären. Warum verschwindet ein Schiff am Horizont, wenn die Welt doch flach ist? Oder die Berechnung bestimmter astrologischen Phänomene, die auf dieser These basieren." Zustimmend nickte Geórgios. "Die Mathematik ist ohne Zweifel sehr interessant. Gerade was die kultischen Aspekte der Zahlen angeht." Manch eine philosophische Schule hatte das zu ihrer Hauptlehre gemacht und in ihren Mysterien gedeutet.


    Aber der Priester kam wieder zum eigentlichen Thema zurück. Die Gabe an die Göttin. "Das ist Dir natürlich auch anzuraten." Just in dem Augenblick kam Geórgios noch etwas anderes in den Sinn. "Natürlich kannst Du Deine Euché, das Gelübde, das Du Athena gegeben hast, auch mit Tempeldienst erfüllen. Sofern Du die Zeit dafür hast." Als er das sprach, schwang die Tür des Hauses auf und eine helle Stimme erfüllte den Innenhof, zudem schnelle und leichte Schritte. "Patér, Patér!" Ein junges Mädchen kam heran gelaufen, eine himmelblaue Tunika tragend. Dunkle, schulterlange Locken und blitzende fröhliche Augen besaß das Mädchen, was vielleicht elf Sommer schon gesehen hatte.

    Ein süffisantes Lächeln glitt über die Züge des Priesters. "Manch ein Gelehrter behauptet, die Welt wäre keine Scheibe, sondern eine Kugel. Demnach wäre es nicht möglich das Ende der Welt zu erreichen." Ganz überzeugt von der Vorstellung war Geórgios nicht, auch wenn die Gelehrten, mit denen er darüber gesprochen hatte, unwiderlegbare Beweise vorgebracht hatten. Doch Verstand und Gefühl waren nicht immer gleicher Meinung.


    Der Priester nickte zufrieden, denn scheinbar war ein Problem gelöst worden und der Fremde zufrieden mit dem, was ihm Geórgis offeriert hatte. "Die Votivgabe sollte natürlich nicht zu klein sein. Und je mehr Mühe Du Dir mit der Schnitzerei und auch der Bemalung gibst, desto eher wird die Göttin sich an dem Opfer erfreuen."

    Im Laufe der Zeit hatte Geórgios gelernt, in den Gesichtern der Menschen zu lesen. Ihre Regungen zu verstehen und zu versuchen auch das Verborgene zu ergründen. Er hatte das Gefühl, der Athener verschwieg ihm etwas. Aber so war es meistens. Geórgios tat das selber oftmals. Die Wahrheitsliebe war zwar eine lobenswerte Tugend, aber keine, der Geórgios anhing, wenn er es nicht für zweckdienlich erachtete. Mit dem Daumen und Zeigefinger drehte er den Becher in seiner Hand hin und her.


    "Hast Du das Ende gefunden. Den Ozean, der den Eingang der Unterwelt umgibt?" Vielleicht hatte Marcus Achilleos einen geliebten Menschen verloren und sich der irrigen Annahme hingegeben, er könnte wie Orpheus in die Unterwelt steigen. Aber auch Orpheus war gescheitert. Die Welt der Untoten für die Lebenden nicht der richtige Pfad.


    "Ja, eine solche Votivgabe könnte der Göttin gefallen. Doch versuche Dich nicht an Pappelholz. Es sollte schon ein edles Holz sein, das Athenas heiliges Tier darstellt. Zedernholz wäre angemeßen." Bäume, die in dieser Region auch wuchsen, dennoch nicht das billigste Holz waren. Aber für die Figur einer Eule nicht unerschwinglich. Es sei denn, man verfügte über jene klammen Mittel wie die Ägypter in diesem Viertel. Die auf den Märkten darauf warten mussten, als Tagelöhner angestellt zu werden. Mal mit Erfolg, dann wiederum waren sie für manche Tage gänzlich ohne Arbeit.

    Mit dem Namen Ch'in konnte er im Gegensatz zur Seide nicht viel Anfangen. Han war ihm gänzlich unbekannt. Was ihn im Grunde genommen ein wenig ärgerte. Dass es so weit weg noch solche Rätsel gab, die für ihn wohl für immer unergründlich bleiben würden. Ausser, er vermochte dem Fremden noch ein wenig mehr darüber zu entlocken. Seide trug Geórgios jedoch hin und wieder und es faszinierte ihn immer ungemein, aus welcher fernen Fremde der Stoff doch kam.


    "Was hat Dich bewogen, so weit in die Fremde zu reisen, Marcus Achilleos?" Wenn ihn etwas interessierte, zögerte Geórgios niemals, dem nach zu gehen. Zudem scheute er sich auch nicht offen zu sprechen, zu fluchen oder erbarmungslos seinen Zielen nach zu gehen. Eine Eigenschaft, die er wohl von seiner Familie, den Krateiden, geerbt hatte. Selbst wenn er unter seiner Familie mehr als schwarzes Schaf galt und einen schlechten Kontakt zu seinen Vettern und seinen Geschwistern hegte. Geschweige denn zu der Rige der alten Herrn, die noch eine Generation über ihm standen. Alte Methusalems waren das, so hatte Geórgios oft das Gefühl.


    Geórgios legte einen Arm auf die Lehne eines hölzernen Adlerflügels. In mancher Hinsicht war er einfach ein Pragmatiker und wenn man nun mal kein Geld hatte, hatte man keines. Wie so viele von den Menschen, die in diesem Viertel lebten. "Ein Gelübde abzulegen hat auch seinen Wert, ersetzt jedoch kein Opfer. Das Schwert aus Jade erscheint mir als ein sehr ungewöhnliches Opfer, dafür umso wertvoller. Mit Sicherheit hat es die Göttin gewogen gemacht, wenn Du glaubst, dass sie Dich auf Deinen Reisen geführt hat." Ob Athene das tatsächlich getan hatte, beurteilte Geórgios natürlich nicht. Hautpsache, die Menschen dachten an die Götter und brachten ihnen die passenden Opfer.


    "Es muss keine Kuh, Schaf oder Ziege sein, die Du Athene dar bringst, um ihr dennoch Deinen Glauben zu beweisen. Es kann auch ein kleineres Tier sein. Ein Kaninchen. Oder Du lässt eine Eule schnitzen, die Du der Athene vermachst. Eine andere Votivgabe würde auch reichen. Und ein Opfer, das Wein, Öle und Hülsenfrüchte enthält, könnte der Göttin ebenso Wohlgefallen schenken."

    Unverhohlene Neugier spiegelte sich in den Augen von Geórgis wieder als er den Besucher betrachtete. Diese Art von Kleidung war selbst für Geórgis Empfinden sehr fremdländisch. Gelassen lehnte sich Geórgis zurück und drehte einen der goldenen Ringe an seiner rechten Hand. Eine sich windende Schlange war auf der Gemme abgebildet. Von der Hand eines Meisters gefertigt. Dieser Ring war auch sein kostbarstes Schmuckstück, das er niemals, selbst in der Nacht, nicht ablegte. Ein Geschenk, was er vor langer Zeit erhalten hatte und ihm sehr wichtig war.


    "Du bist weiter als nach Indien gereist? In welche Länder noch als die, die der große Alexander bereiste?" Von Händlern hörte man hin und wieder solche Worte. Aber auch das war selten. Geórgios war für einen Augenblick überrascht und betrachtete den Besucher doch mit deutlich grösserem Interesse. Er hatte viele Besucher, die ihn mit langweiligen und monotonen Anfragen nervten und belästigten. Aber dieser Mann gehörte ganz sicher nicht zu diesem Strom von Menschen.


    "Was Dein Anliegen angeht. Athene hat durchaus auch Wurzeln in Ägypten, dennoch ist ihre Verehrung in so manch einer anderen Polis stärker als hier in Alexandria. Nichtsdestotrotz ist es nicht unmöglich, dass Du ihr Deine Dankbarkeit erweist" Geórgios sah dem jungen Sklaven entgegen, der mit zwei Bechern und zwei Krügen zurück kam. Der harte Zug, der um Geórgios Mund lag, verschwand in dem Augenblick jedoch nicht. Er ergriff den Becher mit Wein, den Mános füllte, und sah, wie Mános dem Gast auch einschenkte, aber von einem milden Granatapfelsaft. Falls dieser doch noch Durst verspürte und nur keinen Wein trinken wollte.


    Mit einem kleinen Schluck benetzte Geórgios seine trockene Kehle, die er seiner Arbeit wegen vernachlässigt hatte. "Natürlich steht es Dir offen, ein Opfer an Athena zu vollführen. Ein Fest für die Göttin ausrichten womöglich. Du kannst ihr selbstverständlich auch einen Altar stiften oder ihr einen Bau weihen. Je nachdem, zu welchen finanziellen Möglichkeiten Du greifen kannst."


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    Es überraschte Mános nicht, das Begehren jenes Fremden zu erfahren. Seitdem Géorgios vor vielen Jahren von der Bürgerschaft als Priester berufen worden war, kamen oft Menschen mit ihren Sorgen und Fragen zu dem Priester. Schon als Junge hatte Mános in diesem Haus die Tür für solche Besucher geöffnet. "Wenn ihr einen Augenblick euch bitte gedulden würdet? Tretet doch schon hinein."


    Die Tür eines Priesters stand immer offen. Selbst wenn es nur nominell war. Klopfte ein Bürger der Stadt, so durfte er auch eintreten. Auch wenn Mános nicht wusste, ob jener Mann auch ein Bürger war. Sein Name klang zumindest sehr römisch, was ebenfalls Vorsicht gebot. Mános geleitete Marchus Achilleos in den Innenhof. Die Säulen waren mit alten ägyptischen Fresken bemalt. Der Boden mit ägyptischen Mosaiksteinchen verziert. Mános deutete dem Besucher dort zu warten und eilte in das Arbeitszimmer zurück.


    Geduldig wartete Mános neben Geórgios, bis dieser von seinem Schreiben aufsah. "Ein Mann namens Marcus Achilleos wünscht Dich zu sprechen und sucht um Deinen priesterlichen Rat, Herr." Mános sah, wie Geórgios das Schreibzeug zur Seite legte und sich erhob. Da zu privatem Anlass und im eigenen Haus war Geórgios in eine 'schlichte' Tunika gekleidet. Die jedoch immer noch recht prunkvoll war. Goldene Bänder säumten den Rand und der Stoff war mit floralen Mustern bestickt. An den Händen trug Geórgios mehrere goldene Ringe.


    Mános blieb einige Schritte hinter seinem Herrn stehen als dieser auf Marcus Achilleos zutrat und ihn begrüsste. "Khaire! Ich bin Geórgios Krateidos. Ich hörte, Du suchst meinen Rat? Nimm' doch bitte Platz!" Der Sklave verfolgte, wie Geórgios einladend auf eine Sitzgruppe zeigte. Eine hölzerne Bank mit Kissen, deren Füße wie Löwentatzen geschnitzt waren und die Lehnen wie die Flügel eines Adlers, und zwei Stühle, ebenfalls mit bunten Kissen bedeckt. "Mános, hole uns Wein!" Ehe Mános log ging, um den Wein zu holen, sah er noch, wie sein Herr auf einem der Stühle Platz nahm.





    DEMOSIOS - GEÓRGIOS KRATEIDOS

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    Zu den Füßen seines Herrn saß Mános und spielte leise auf der Flöte. So, wie er es früher getan hatte, als er noch mehr in der Gunst von Geórgios stand. Er hörte die Rohrfeder über Pergament (aus Pergamon natürlich) kratzen. Die Fensterläden zum Arbeitszimmer waren nur halb angelehnt. Die Sonne des Tages fiel in Streifen auf Mános und wärmten sein Gesicht. Dennoch fand er es einfach schrecklich unbequem auf dem Boden zu sitzen. Anders als früher. Als er noch jünger an Jahren und ein Jüngling war. Aber anscheinend gefiel es seinem Herrn, die früheren Jahre herauf zu beschwören. Und Mános wollte dem nicht widersprechen.


    Ein Klopfen unterbrach sein Spiel. Mános stockte und sah fragend zu Geórgios hoch, der die Feder sinken liess und einen Moment wartete. Doch weder die Frauen des Hauses, noch die anderen Sklaven eilten zur Tür. Viele von ihnen waren mit der Frau des Geórgios zum Markt gegangen oder mit dessen Tochter ins Gymnasion. Mános spürte die grauen Augen von Geórgios auf sich ruhen. "Geh, Mános, und seh nach, wer an der Tür steht!" Mános nickte und erhob sich. Er spürte den Blick seines Herrn auf seinem Rücken als er den Raum verließ.


    Die Flöte verschwand unter seinem Gürtel als Mános zur Tür trat und sie öffnete. Der Sklave, der mittlerweile mehr als zwanzig Sommer gesehen hatte, konnte die Verwunderung nicht verbergen als er einen Mann in exotischer Kleidung sah. Aber die Überraschung währte nur kurz. Es kamen viele verschiedene Menschen zu jeder Tageszeit zu Geórgios. "Khaire!" Schon vor vielen Sommern war die Stimme von Mános dunkel geworden. "Wie kann man Dir behilflich sein?"






    DEMOSIOS - GEÓRGIOS KRATEIDOS