Beiträge von Prudentia Callista

    Kurz zuckte sie mit den Schultern und überlegte, ob sie dazu noch einen Kommentar abgeben wollte. Sie hatte ja schon damit gerechnet, dass er es seltsam finden würde, wie oft (oder besser gesagt wie selten) sie aus dem Haus gegangen war. Selbst für römische Frauen war das eindeutig sehr wenig. "Ich habe es nicht als Gefangenschaft empfunden." Callista bemühte sich, keine Wertigkeit in diese Aussage zu legen. Er sollte nicht glauben, dass sie seine Worte als unhöflich empfunden hatte, aber Recht geben wollte sie ihm auch nicht so direkt. Sie fand es interessant, dass er so wenig von seiner Casa hielt, dass er es dort nicht mal einen ganzen Tag aushielt. "Sind germanische Frauen denn mehr unterwegs als römische?" fragte sie laut, obwohl sie das eigentlich eher gedacht hatte. Es gab soviele klitzekleine Unterschiede, die von weiter weg betrachtet ein sehr anderes Bild der beiden Kulturen abgaben.


    Dann allerdings beäugte sie auch das Panorama da vor ihnen und nahm sich einige Augenblicke Zeit alle Details in Augenschein zu nehmen. Der Rhenus, sanft und breit, wogte vor ihnen und diente unzähligen Schiffen als Transportweg. Drehte man sich nach rechts, konnte man dort die Arbeiter sehen, die fleißig und lautstark Schiffe ent- und beluden, Kapitäne die Anweisungen brüllten, Händler die um Ware feilschten und über allem lag ein Hauch von Wichtigkeit. Hier wurden so viele unterschiedliche, teure und exotische Waren verschifft, dass Callista sich nur in ihren kühnsten Träumen ausmalen konnte, was in den Kisten, Fässern und Truhen zu finden war. Wenn man dann allerdings nach Osten sag wirkte Germania weitaus idyllischer, mit den Wiesen und Weiden, den angrenzenden Wäldern, die auf Calllista dunkel und ungewohnt wirkten und dazwischen immer wieder Ansammlungen von Häusern. Wohlweislich Bauern mit ihren Familien. Callista schaute sich genau um und lächelte dann sanft. Schlecht war es hier keinesfalls. Nur anders. "Ja, herrlich." Ihre Stimme klang schwärmerisch und sie musste schmunzeln.

    Callista schaute ihn verblüfft an. "Ich habt ein Balneum im Haus?" Sie hatte mit vielem gerechnet und sich - zugegebenermaßen - noch gar keine Gedanken geamcht wie "typisch" germanische Körperpflege aussah, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es in der Casa eine römische Badeanlage geben würde. Sie lächelte. Sie mochte es, sich im Balneum verwöhnen zu lassen und hegte, wie die meisten andere ihres Volkes, eine Vorliebe für das tägliche, lange und aufopferungsvolle Bad. Allerdings gab es da ein Detail welches sie wiederum etwas verwunderte. "Das heißt wir werden zusammen baden?" Nur um sicher zugehen sich nicht verhört zu haben fragte sie nochmal nach. "Das ist zwar eigentlich unüblich aber ich denke wir machen eine Ausnahme. Schließlich sind wir verheiratet." Sie lächelte und ging neben ihm her, nachdem sie Leif den Führstrick ihrer Stute anvertraut hatte. Sie war naturgemäß etwas nervös, wenn sie daran dachte mit Witjon zusammen im Wasser zu planschen, allerdings hatte es auch den Vorteil, dass wohl dann niemand sonst stören würde. Was wiederum bedeutete, dass man ihr noch eine kurze Galgenfrist einräumte, bevor alle anderen wieder dazu kamen und sie sich als die Ehefrau zu präsentieren hatte, die sie nun war. "Wann kann ich dir denn meine Morgengabe geben?" fragte sie nach, sich an den sanften Druck seines Arms gewöhnend. Sie hatte zwar gar kein Geschenk, aber ihr war bereits ein Gegenstand in ihrem Gepäck eingefallen, dass ihm gefallen könnte. Zwar war das eigentlich für wen anders bestimmt, aber das musste Witjon ja nicht wissen.

    Mit großen Augen hörte sie weiter zu und schüttelte langsam den Kopf. Griehische Flüchtlinge!? Meinte er das ernst!? Sie hatte Mühe ihr diplomatisches Grinsen aufrecht zu erhalten und wäre am liebsten gegangen. Nicht, weil sie wütend auf ihn war oder sich beleidigt fühlte, sie war einfach am Ende und wußte nicht, wie oder was sie noch sagen konnte. Noch niemand hatte ihr gesagt, dass Vergil ein trojanischer Flüchtling war und noch niemand hatte von ihr verlangt, dass sie ihn vom Gegenteil überzeugen hatte. Sie war keine ausgebildete Rednerin, hatte nie gelernt eine fundierte Diskussion zu führen, sowas brauchten Frauen in Rom nicht können. Aber eine kleine Hoffnung gab es ja noch. "Vielleicht wird es einfacher, wenn du es gelesen hast. Dann versteht man gemeinhin mehr über die Römer. Vielleicht mehr als einem lieb ist." Sie sprach leise und spielte nervös mit ihrem Schreibzeug rum. Hach, war das manchmal schwer hier!

    "Doch, natürlich tut sie das!" sagte Callist prompt und versuchte sich nicht zu versteifen, da er sie jetzt berührte. Es fiel ihr leichter solche Zärtlichkeiten zuzulassen, wenn niemand in der Nähe war. Vorhin noch in ihrem Zimmer war es viel entspannter gewesen, war sie viel entspannter gewesen. Und nun hatte sie schon wieder Angst, alles falsch zu machen, sich dumm anzustellen oder zu blamieren. Und so wie es aussah stand ihr genau das bevor. "Ich war höchstens sechs oder sieben, als ich das letzte Mal auf einem Pferd saß. Mein Vater schenkte mir eins, da war ich fünf. Und nachdem er verstarb wollte meine Mutter es mir wegnehmen und nach einer Weile hatte sie sich damit durchgesetzt. Römerinnen reiten nicht." Besonders der letzte Satz klang sehr bestimmt und konsequent, denn ihre Mutter hatte ihn oft genug gesagt, als Callista das kleine Schimmelpony nicht hatte hergeben wollen. Sie seufzte und gab sich einen Ruck. Hatte Balbus eigentlich gewußt, was hier auf sie zukommen würde? Und wenn ja, warum hatte er nicht Thalna genommen? Sie lächelte ihren Ehemann wenig begeistert an, versuchte aber so gut es ging, sich ihre Bedenken nicht anmerken zu lassen. "Aber ich reite selbstverständlich mit dir aus, wenn du mir versprichst, dass wir nur ganz langsam reiten." Was trug man denn eigentlich, wenn man ritt? Ein Kleid, ein langes jedenfalls, wäre wohl eher hinderlich.

    "Ich habe keine Geschwister. Meine Mutter war nur einmal verheiratet." Erklärte Callista und wunderte sich, dass sie gar keinen Fehler gemacht hatte. Sie lächelte und grub ihre mittlerweilen schwarz-erdigen Finger tiefer in den Dreck um das Unkraut zu beseitigen. Die frische Luft, die leichte Arbeit und nicht zuletzt die aufbauende HIlfe von Elfleda hatten ihre Laune deutlich verbessert und ihre Zukunft sah nicht mehr ganz so bedrohlich und trübe aus wie noch vor Minuten. Sie lächelte dankbar und sandte ein Dankgebet zu Iuno, aber nicht laut, um Elfleda nicht zu stören. Sie hatte durch Phelans Erklärungen und auch durch ihren Mann schon begriffen, dass die anderen im Haushalt nicht viel von den römischen Göttern hielten. Sie feierten nicht ihre Feste, hatten nicht ihre Statuen aufgestellt und das war für die Römerin wohl mit der schlimmste Schock gewesen. Die Sprache, der lässige Umgang mit den anderen Familienmitgliedern, all das war verständlich. Aber die römische Religion, die auf die penibel genaue Einhaltung von Ritualen zielte, war ihr sehr wichtig und anders als viele andere Römer glaubte sie wirklich daran und machte nicht nur, was man von ihr verlangte. Die Existenz der Götter wurde ja nicht mal von den größten Philosophen angezweifelt! Aber hier im Haus verlor man kein Wort über sie. Callista seufzte kurz und leise und suchte dann wieder nach der guten Laune, die sie vor diesem Gedankengang gehabt hatte.


    "Vielleicht du willst Hilfe lernen Latein? Ragin und ich üben germanisch und viel reden, du kannst kommen dazu und wir helfen Latein zu lernen dich." Nun war es an ihr aufmunternd zu lächeln, denn sie wußte wie nervenaufreibend die Sprachbarriere sein konnte und daher auch, wie sehr man sich manchmal wünschte zu verstehen, was gesagt wurde.

    Callista nickte dankbar und lächelte sanft. Sie hatte sich anscheinend nicht in Elfleda getäuscht und war wirklich froh, dass diese nicht sofort zu Witjon rennen würde. Noch hoffte die Römerin, dass die Kräuter und die Gebete zu Iuno ihr den Kinderwunsch erfüllen würden, noch konnte sie eine Scheidung hinauszögern. Wie auch ihre Gesprächspartnerin wandte sie sich wieder der eigentlichen Arbeit zu und zupfte an dem Unkraut. "Dann du bist Langeweile?" fragte sie beiläufig und versuchte sich vorzustellen, wie es war in einem solchen Dort aufzuwachsen. Mit einer intakten Familie und einer richtigen Beschäftigung. Irgendwie eine sehr schöne Vorstellung und Callista lächelte bei diesem Tagtraum, denn wenn sie es richtig anstellte, dann könnte sie sowas auch bald haben. "Ich froh, habe Phelan und kann gehn Tempel und lernen. Nicht sitzen zu hause und nur warten Kind. Witjon guter Mann, dass Frau machen dürfen Aufgabe. Ich bin gerne Priesterin." plauderte sie weiter.

    "Und wo gefällt es dir besser? In Oppidum Brogilus oder hier in Mogontiacum?" Fragen über Fragen. Einmal die Scheu (etwas) abgelegt traute sich Callista bereits viel mehr und da er so bereitwillig erklärte und antwortete, machte es richtig Spaß. "Ich habe nicht direkt in Mantua selbst gelebt, sondern etwas außerhalb. Ungefähr eine Tagesreise weit weg, auf einem Landgut. Meine Mutter und ich und viele Sklaven. Es war schön dort, sehr warm und die Luft roch immer so gut, nach Blumen und Getreide." Sie lächelte schwärmerisch. "Aber viel passiert ist nichts, nachdem mein Vater gestorben ist, wurde meine Mutter immer stiller und immer kränklicher. Ich glaube, bevor ich nach Rom gekommen bin, habe ich unser Haus vielleicht so an die drei oder viel mal verlassen." Das musste reichlich weltfremd auf den jungen Mann wirken. Aber so war es eben gewesen.

    Callista bekam große Augen, als sie Witjons Worte hörte und schüttelte verlegen den Kopf. Ein Pferd, sie bekam tatsächlich ein eigenes Pferd? Leif führte die Stute heran, die irgendwie müde aussah und gelangweilt auf einem Strohhalm kaute, der ihr noch halb seitlich aus dem Maul hing. Ihr Schopf hing ihr wild ins Gesicht und sie schnaubte einmal und schüttelte dann den Kopf um einige Fliegen zu vertreiben. Callista schaute einen Moment und ging dann, Witjons Hand loslassend, auf die Stute los und nahm Leif den Führstrick ab. Sirwing roch an der Hand der Frischvermählten, prustete und pustete und suchte dann nach etwas Essbarem, was Callista natürlich nicht dabei hatte. Ihr Fell glänzte und sie war gut genährt, ihre Augen klar und freundlich, außerdem schien sie ganz ruhig und ausgeglichen. Es dauerte noch einige Augenblicke, in denen Callista ganz ruhig und wortlos die Stute musterte, sie kraulte und mit ihr schmuste und sie einfach nur ansah. Ihr war bewußt, dass Witjon und wohl auch Leif sie musterten und man(n) erwartete sicherlich eine überschwenglichere Reaktion von ihr, doch es gab soviele Gedanken die in ihrem Kopf schwirrten.


    Zum einen überlegte sie, ob sie Witjon von ihrem Pony erzählt hatte. Oder ob er keine Angst hatte, dass sie runterfiel. Vor allem, wenn sie schwanger war. Wozu sie Sirwing überhaupt brauchen sollte. Wieso man einer Römerin ein Pferd schenkte, wo das Reiten bei römischen Frauen doch verpönt war. Und wieso in aller Götter Namen hatte sie kein Geschenk für IHN!? Sie biss sich auf die Unterlippe und ignorierte gekonnt, dass Sirwings große Lippen an ihrer Hand nuckelten und eine Spur von Dreck hinterließen. Was sollte sie denn jetzt sagen? Innerlich wünschte sie sich an einen anderen Ort, in eine andere Zeit, als ihr Leben noch einfacher gewesen war und man sich nicht soviele Gedanken machen brauchte, wen man wie vor den Kopf stieß.


    Sie lächelte Witjon höflich an und nickte ihm zu. "Danke, das ist sehr nett. Sie ist bestimmt ein tolles Pferd." Ihre Stimme klang ernst, aber dankbar und gleichzeitig weich, wobei es aber nicht wirklich herauszuhören war, ob sie sich nun freute oder nur höflich war. "Was bedeutet ihr Name?" fragte sie, denn das interessierte sie wirklich. Anscheinend hatten germanische Ehefrauen eigene Pferde, wozu auch immer und man erwartete, dass sie ritt. Oder war das Pferd nur so, zum angucken und züchten gedacht?

    Callista sah zum ersten Mal in ihrem Leben wie es am "Morgen danach" so aussehen konnte und stieg mit einer Mischung aus anerzogener Pikiertheit und neugieriger Belustigung über die Bierleichen hinweg und besah sich das Chaos im Garten, zu dessen Beseitigung sich noch niemand hatte aufraffen können. Anscheinend war die Feier zu Ehren ihrer Hochzeit noch bis spät in die Nacht oder auch bis früh in den Morgen weitergegangen. Allzu viel Zeit, sich umzusehen hatte sie allerdings nicht, denn ihr Mann zog sie freudig hinter sich her, bis sie durch den Garten zu den Ställen gekommen waren. In ihrer Kindheit hatte sie mal ein Pony besessen, der typische Pferdegeruch war unverkennbar und sie fragte sich stirnrunzelnd, was das alles zu bedeuten hatte. Wer war Sirwing? Und wieso sollte sie ihre neue Freundin sein? Verwundert und nervös blickte sie von Witjon zu Leif und zurück. Was hatten die Männer denn vor?

    Er bemerkte es doch! Sie lächelte matt und dachte bei sich, dass er die Kette damals ausgesucht hatte ohne sie zu kennen. Sehr unwahrscheinlich, dass ihm irgendwer gesagt hatte wie sie aussah und doch hatte er Schmuck gewählt, der zu ihr passte. Ob das bereits ein Zeichen war? Sie sah einen Moment grüblerisch zu ihm und lauschte dann, was er ihr zu sagen hatte. Aber das meiste der Informationen rauschte an ihr vorbei, so viele waren es. Sie versuchte angestrengt alles zu behalten und beschloß, später noch einmal mit Vodafonis darüber zu sprechen. Die ägyptische Sklavin lauschte ja sowieso jedem Wort, dass zwischen den beiden gesprochen wurde. Vielleicht behielt sie ja auch ihren Teil.


    Sie achtete dagegen mehr auf die Eindrücke der Stadt und ihr Blick wanderte rastlos umher, um möglichst viel zu sehen. Die vielen kleinen Details, die ihr auffielen, lassen sich wohl kaum in Worte fassen, zuviel strömte auf sie ein. Sie fühlte sich nicht gerade wohl und war froh mit männlicher Begleitung hier zu sein, denn alleine würde sie den Hafen ganz sicher nicht aufsuchen. Hatte Marsus hier vielleicht wegen seiner Arbeit zu tun? Kannte er sich deswegen so gut aus? "Hast du schon immer in Mogontiacum gelebt?" fragte sie ihn weiter schüchtern aus, um das Gespräch am Laufen zu halten und ihm zu zeigen, dass sie neben ihrer Angst dennoch weiterhin interessiert zuhörte. Es wunderte sie etwas, dass er keine Fragen stellte, aber vielleicht kam das wieder etwas später.

    Das alles hörte sich ganz wunderbar an und Callista atmete erleichtert auf. Auch wenn ihr die Namen von den Kräutern nicht wirklich viel sagten und sie nicht ganz mitkam, bei den Gedankensprüngen die Elfleda machte. Aber es gab einen Plan, einen handfesten Plan und jemanden, der ihr sagte was sie tun sollte. Ein klitzekleiner Hoffnungsschimmer, dass immer noch nicht alles verloren war. Keine Scheidung, keine Schande. Vielleicht hatte sie den Stress nur unterschätzt, dem sie ausgesetzt war, vielleicht machte sie sich zuviel Druck, weil sie immer gut sein wollte und es immer allen recht zu machen hatte. Diesen Anspruch stellte sie an sich und sie konnte es nicht leiden, sich selbst zu enttäuschen. Jeden Monat, wenn der Mond immer dünner wurde und schließlich nicht mehr zu sehen war, kamen die Blutungen und jedesmal hatte sie sich gegrämt. Weil es zeigte, dass sie wieder und wieder nicht schwanger war.


    "Du sagen Witjon?" flüsterte Callista leise und sah zu Elfleda, die sie immer noch im Arm hielt. Das war, abgesehen von der Tatsache, dass man vielleicht noch zwei oder drei Monate zu warten hatte, ihre allergrößte Sorge. Nicht, dass sie Angst vor ihm gehabt hätte, aber allein die Aussicht ihn und seine Familie und damit auch ihren Onkel zu enttäuschen und zu beschämen sorgte dafür, dass sich ihr Magen schmerzlich zusammenzog. Wobei ihr die Idee, weniger Schmerzen beim Bluten zu haben, wirklich gefiel. "Du machen dir viel Mühe, vielen Dank Elfleda." Callista lächelte schwach und schaute treuherzig zu der Kräuterkundigen neben sich. Es war so eine Erleichterung, dass sie bereit war ihr zu helfen. Vielleicht bekamen sie das Problem tatsächlich in den Griff, vielleicht halfen die Salben und die Essensumstellung. Vielleicht half es auch nur, noch jemanden davon erzählt zu haben. Jemanden, der sie mit neuer Hoffnung und einer gehörigen Portion Tatendrang ansteckte.

    Eifrig begann Callista nachzudenken als ihr diese Fragen gestellt wurden und ihr kam dabei nicht in den Sinn, sich vor der anderen Frau zu schämen. In diesem Moment ging es, genau wie auch Elfleda dachte, in erster Linie um eine gesicherte Stellung in der Familie, ein Stammhalter musste her. Für sie beide, auch hier waren sie sich sehr ähnlich. Denn auch wenn Elfleda bereits schwanger war, konnte noch vieles schief gehen, was Callista aber nicht hoffte. Sie wäre niemals so niederträchtig gewesen ihrer Cousine so etwas zu wünschen, auch wenn sie einen kleinen Stich von Neid nicht hatte vermeiden können, als Elfleda die frohe Botschaft beim allabendlichen Essen verkündet hatte. Aber das war jetzt nicht so wichtig, es galt ihre Fragen genau und richtig zu beantworten.


    "Nein, er ist richtig. Nicht gehen zu früh, meistens bleibt liegen, nicht trennen sofort." Ihr war bewußt, welche Wichtigkeit dieses Detail hatte und auf was genau es ankam. Sie war unerfahren, wenn nicht sogar vollkommen unwissend gewesen, als sie geheiratet hatte, doch zumindestens in der Theorie war sie schon aufgeklärt. "Ja, es ist schön. Nichts tut weh." Sie hielt ihre Antworten kurz und präzise, denn sie glaubte nicht, dass Elfleda unbedingt wissen wollte ob es den beiden Spaß machte oder nicht. Da die beiden Pärchen sowieso sehr nah beieinander wohnten, bekam man es doch mit, was und wann und wieviel beim jeweils anderen vonstatten ging. Holzwände hatten nun mal den Nachteil, die entsprechende nächtliche Geräuschkulisse nicht unbedingt zu verbergen und auch wenn sich Callista zurückhielt, manchmal war sie doch lauter als ihr lieb war. "Ich blute Anfang Monat, man nennt Neulicht*. Blute erste Tag sehr viel und habe Schmerzen, nicht viel Schmerzen, das war immer so. Dann wird weniger Blut, ungefähr vier Tage, manchmal fünf. Letzter Tag wird nur noch sehr sehr wenig Blut."



    *Das ist der Zeitpunkt zu dem vor und nach einem Neumond letztmals ( = Altlicht ) beziehungsweise erstmals ( = Neulicht ) die schmale Mondsichel über dem Horizont sichtbar ist. Zwischen zwei Neulicht-, Altlichtzeitpunkten liegen mindestens 29,2 Tage und maximal 29,8 Tage.

    "Raus auf den Hof?" fragte sie ungläubig und richtete sich auf. Was bei allen Göttern hatte er denn vor? "Aber ich bin noch gar nicht gewaschen und gekämmt und angezogen." Sie sah ihn hilflos an und stand auf, da er voller Tatendrang steckte und es anscheinend gar nicht abwarten konnte ihr dieses ominöse etwas zu zeigen. Anstatt in seine Tunika zu schlüpfen, die er ihr hinhielt, streifte sie eines ihrer einfachen Kleider über, die man schnell und einfach zubinden konnte und zog ihre normalen Sandalen an, die sie nur notdürftig verschloß. Soviel Zeit musste er ihr schon lassen. Sie nahm ein Stück Stoff, drehte ihre Haare irgendwie und band sie zusammen, damit sie nicht allzu zerrupft aussah. Nur leider gab es hier keinen Spiegel, so dass sie ihr Gesicht hätte kontrollieren können. Sie hoffte sehr keine Schminke verschmiert zu haben und wenn doch, dann hoffte sie darauf keinem aus der neuen Familie zu begegnen, der sie so sehen würde. Ihr war das schrecklich peinlich. "Was willst du mir denn zeigen?!" fragte sie und traute sich fast nicht zu lächeln.

    "Ich weiß." Callista grinste fröhlich und konnte nicht verhindern, dass ihre Hand zu ihren Hals wanderte, wo seine Kette hing. Also, ihre Kette. Aber er hatte ihr diese geschenkt und sie war aus seiner Schmiede, das wußte sie. Ein weing enttäuscht war sie allerdings schon, dass er es anscheinend nicht realisiert hatte, was sie da trug. Zumal sie extra auf weiteren Schmuck verzichtet hatte. Aber vielleicht waren Männer einfach so und sie überging es (fast) kommentarlos und beantwortete lieber in Ruhe seine Fragen.


    "Manchmal kann es kalt werden, manchmal schneit es sogar. Aber das ist eher selten und ich glaube auch, dass unsere Sommer weitaus wärmer sind als die Sommer hier. Allerdings hast du Recht, jemand der hierhin reist braucht vielleicht einen Mantel schon auf dem Weg. Wieder ein Punkt, warum ich froh bin, dass Balbus meine Abreise in den Frühling gelegt hat." Sie lauschte seinen Ausführungen und nickte hin und wieder. Dann runzelte sie die Stirn. "Gehörst du nicht zu den Mattiakern? Ach nein, du bist Ubier." Sie korrigierte sich schnell selber und versuchte intelligenter auszusehen, als sie sich grade anstellte. Zu dumm aber auch, dass sie solche wichtigen Details nicht besser behalten hatte. Wo Eburnus es ihr doch erklärt hatte! Aber interessant war es schon, dass auch die freien Germanen mit römischen Händlern Geschäfte tätigten. Das hatte sie weder gewußt noch hätte sie es vermutet. "Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Ubier und einem Mattiaker oder Nemeter?" fragte sie, nun völlig vom eigentlich Gesprächsthema abkommend.

    Tatsächlich hatte Callista den Großteil nicht verstanden, aber das war ihr in diesem Moment auch nicht so wichtig. Und Elfleda schien es auch nicht schlimm zu finden, denn nun gab es ein viel wichtigeres Thema. Der Trost tat gut, auch wenn die sehr abgeklärte Art der Germanin Callista verunsicherte. Sie empfand es bei ihr besonders, dass ihr Geständnis eine zweischneidige Sache war. Wenn sie Pech hatte, rannte Elfleda direkt zu Lando, der es Witjon und vielleicht auch ihrem Onkel sagen würde. Dann wäre das Geschrei groß und eine Scheidung ein möglicher Weg, wenn sie tatsächlich keine Kinder kriegen konnte. Sie schluchzte laut und wischte sich die Tränen ab, wobei sie nun Dreck im Gesicht hatte, was sie aber nicht bemerkte. Andererseits konnte ihr Elfleda mit ihrer Kräuterkunde helfen, so es denn wirklich daran lag. Sie war also darauf angewiesen, dass ihre neu gewonnene Verwandte ihr half und sah sie herzerweichend an.


    "Aber ich mich fühlen willkommen und heimisch, nicht fremd. Nicht verspannt. Ich liebe Marsus. Und ich will sein Kind tragen … austragen."


    Selbst unter den sanften Tränen schaffte sie es noch sich selbst zu korrigieren, woraufhin sie schmunzeln musste. Sie atmete ein, zweimal tief durch und erlangte ihre Fassung wieder, während sie weiterhin Elfleda zuhörte, die sie aufzumuntern versuchte.


    "Will gerne versuchen. Ich würde alles versuchen zu werden schwanger. Wenn nicht kommen Kind bald, Witjon vielleicht schicken mich zurück in Rom. Ich muss gehen zu Onkel und bringe große Schande mit mir. Niemals finde neue Mann wenn nicht kann kriegen Kind und dann Onkel kümmern sich um mich. Ich nicht will Scheidung. Ich nicht will zurück in Rom. Witjon guter, lieber Mann und verdient guten, lieben Sohn. Verdient gute, liebe Frau auch und ich bin wirklich gerne mit ihm verheiratet. Ich liebe ihn sehr." Sie lächelte oder versuchte es zumindestens und schaute Elfleda in die Augen. "Was musst du wissen?" fragte sie neugierig, bereit, ihr alles zu sagen, damit sie ihr auch half.

    "Oh" war ihr erster Kommentar, nachdem sein kleiner Monolog zu Ende war, dann lächelte sie ihn sanft an. "Ich finde auch, dass du ein ganz prächtiger Schatz bist." sagte sie und grinste etwas schelmisch. Die vielen Komplimente, die er in seine Erklärung gepackt hatte, waren ihr nicht entgangen, nur hatte sie keine Ahnung wie sie diese erwidern sollte. Ihr fiel es schwer, darüber zu reden, eigentlich redete sie wenig und auch nur sehr selten so offen über ihre Gefühle. Zumal das Thema, Liebe und Ehe, ja ein völlig neues für sie war. "Ich hätte jeden geheiratet, den mir mein Onkel ausgesucht hätte, aber ich bin froh, dass es dich getroffen hat. Du bist sehr lieb und ich mag es in deiner Nähe zu sein. Und teilen möchte ich dich auch nicht unbedingt." Nach diesem Satz gab sie ihm einen Kuss auf die Nasenspitze und lächelte. Sie wußte sehr wohl, dass es Ehemänner gab, die nur des Stammhalters wegen bei ihrer Frau waren und diese sonst nur hübsch anzusehen sein musste, aber bei Witjon hatte sie nicht das Gefühl, dass es so kommen würde. Wieviele Ehen galten nur nach außen und im Haus vergnügte sich der Herr mit den Sklavinnen, während für die Hausherrin solche Spielereien verboten waren!? Sie hoffte und betete, dass es bei ihnen niemals so weit gehen würde.


    "Ich bin sehr dankbar und froh, jetzt ganz offiziell deine Frau zu sein." sagte sie todernst und lehnte sich wieder zurück. Ja, sie hätte wirklich jeden geheiratet, aber die sorgende Hand der Götter hatten ihr einen jungen, hübschen und gesunden Mann beschert, der sich sogar in sie verliebt hatte. Was mehr konnte sie denn vom Leben noch erwarten? Sie lächelte und kuschelte sich so eng an ihn wie sie nur konnte, genoß seine Hand in ihrem Haar und versuchten den Kloß in ihrer Kehle zu ignorieren. Ihre Hand begann wieder über seine Haut zu streicheln und sie sagte einen Moment gar nichts, bis sie, völlig gedankenverloren, doch noch einen Kommentar los werden wollte. "Du riechst gut." Oh, das klang aber albern. Sie sah ihn etwas beschämt an. So Gefühlsduseleien wollte er doch bestimmt nicht hören. Daher lächelte sie entschuldigend und hoffte, er würde es gönnerhaft überhören.

    "Ach sooo..." sagte sie leise und ließ sich von dem Germanen weiter führen. Wobei führen wohl das falsche Wort war, liefen die beiden doch nur nebeneinander her und zumindestens sie war darauf bedacht immer einen gewissen, seitlichen Abstand zu halten. Bei seinen Erklärungen warf Callista einen besorgten Blick zu Vodafonis, die sofort etwas weiter aufschloß und ihren Blick umher schwirren ließ. Natürlich würde sie gegen ´das übelste Gesindel` auch nichts ausrichten können, aber ihre Anwesenheit beruhigte die junge Domina. Und die fand die Idee eigentlich gar nicht so gut, hatte aber keine Chance ihn zu unterbrechen, denn er redete und erklärte weiter. Innerlich nervös, aber äußerlich noch lächelnd, ging sie also neben ihm und hörte zu.


    "Das ist sehr interessant. In Rom habe ich auf dem Markt mal einen Händler gesehen, der ausschließlich mit Pelzen handelte. Er hatte sogar einen Bären dort, einen ausgestopften, den dann ein reicher Mann gekauft hat. Ich glaube, um ihn in seinem Haus aufzustellen. Er hatte viele Mäntel, aber ich habe mich darüber gewundert. Die meisten Frauen bleiben im Haus, wenn es wirklich kalt wird und er hatte so modische Stücke. Die Männer werden wohl nicht genug kaufen als das sich ein Pelzmantelhandel wirklich lohnen würde." Oh, hoffentlich langweilte sie ihn jetzt nicht. Aber viel mehr konnte sie zu einem so wirtschaftlichen Thema nun auch nicht beitragen. Vielleicht war es da besser ein paar Fragen zu stellen? "Gibt es denn viele ... Stämme ... die hier ihre Waren anbieten? Ich hatte gedacht, die Germanen aus Germania Magna wollen mit Rom nichts zu tun haben!?"

    Der lange Kuss tat gut und Callista erwiderte ihn bereitwillig. So eng zusammenzuleben hatte viele Vorteile und einer davon war, dass man sich viel mehr miteinander beschäftigte und auch dann Zärtlichkeiten austauschte, wenn es nicht unbedingt zum Akt der Fortpflanzung dienen sollte. Sie lächelte glücklich und als er sie so intensiv ansah, schlug ihr Herz ihr bis zum Hals. Schon auf der Hochzeit hatte er ihr gesagt, dass er sie liebte, aber jetzt und hier schien es viel mehr Bedeutung zu haben. Völlig vertrauensselig glaubte sie ihm aufs Wort und grinste. Er war ebenso schüchtern wie sie, nur nicht so oft. Und das machte ihr Mut, dann kam sie sich nicht immer so dumm vor, wenn sie sah, dass auch er verlegen sein konnte. Sie kuschelte sich noch etwas näher an ihn und sagte eine Weile nichts, hörte auf sein regelmäßiges Atmen und lauschte dem rythmischen Herzschlag. "Woran merkt man denn, dass man verliebt ist?" fragte sie völlig ernst und hob dann den Kopf wieder, um ihn anzusehen. "Und überhaupt, sind jetzt alle Riten beendet und wir ganz offiziell Mann und Frau? Ich dachte ich müsste noch ein Familienfrühstück organisieren ... aber ich hab Angst, dass Elfleda oder Landos Schwester was dagegen haben. Ich bin ja schließlich nicht die Hausherrin." philosophierte sie weiter.

    Sein Schulterzucken sorgte dafür, dass ihr Kopf wackelte und sie hob ihn kurz, bis sie überzeugt war, dass er nun wieder stillhalten würde. Er klang so beiläufig, dass sie ihn einige Sekunden verwirrt anguckte. Sie befürchtete sofort, es könne ihm vielleicht nicht gefallen haben. Oder zwar gefallen, aber nicht viel bedeutet haben. Wenn er, wovon sie jetzt noch ausging, schon ein paar Frauen gehabt hatte, dann hielt sie den Vergleich vielleicht nicht stand. Sie biss sich nervös auf die Unterlippe und wünschte sich, niemals danach gefragt zu haben, als der folgende Satz alles wieder änderte. Obwohl, eigentlich änderte er nicht viel, nur ein winziges Detail. Er war ebenso unschuldig gewesen wie sie und sie hatten zusammen ihr erstes Mal erlebt. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. "In Rom ist es eigentlich so, dass die Väter oder auch älteren Brüder dafür sorgen, dass ein Mann Erfahrungen sammelt. Vor der Ehe. Für Frauen gilt das selbstverständlich nicht." Den letzten Satz schob sie schnell nach, damit er nichts falsches von ihr dachte. "Ich hatte eigentlich geglaubt du hättest schon mal. Weil du so ... zielstrebig warst." Sagte sie sehr offen und hoffte er nähme es ihr nicht übel. Sie lächelte sanft um ihm zu zeigen, dass sie das keinesfalls negativ gemeint hatte. Schließlich schaute er sie an und so achtete sie wieder mehr auf ihre Mimik. "Wie ... also ... hast du ... bin ich ..." sie schluckte und grinste hilflos "Gefällt es dir mit mir?" sagte sie dann und wurde rot. Daher senkte sie lieber den Kopf, obwohl er es wohl so oder so sehen würde.

    "Das ist viel. 187 Menschen. Du kanntest alle? Alle Verwandte?" Sie fand es sehr interessant mehr über die Germanin zu erfahren. Im Grunde steckten sie beiden in der gleichen Situation, denn sie waren nicht nur gleichalt und hatten diesselbe Haarfarbe, nein, sie waren beide in diese Familie verheiratet worden und kannten niemanden in Mogontiacum. Allerdings hatten sie ein komplett unterschiedliches Leben geführt bis dahin und die kulturellen Unterschiede waren enorm. Da war ein gelegentlicher Vergleich nicht schlecht, wie Callista fand und sie lächelte. Zumal sie den anerkennenden Blick genau gesehen hatte, was sie freute. Fortschritte waren nicht nur wünschenswert, sondern diesen Blick wirklich wert. Auch Witjon schaute gelegentlich so, wenn sie etwas sagte, dass er so von ihr nicht erwartet hatte. Und dann war sei sehr glücklich, ein richtiges Lob brauchte sie nicht, die kleine Anerkennung der anderen reichte völlig.


    Mit einem sanften Ruck zog sie einige Wurzeln aus der Erde und begann richtig Spaß an der Arbeit zu finden, so monoton sie auch war. Es beruhigte den Geist und lenkte sie gleichzeitig von den immer wiederkehrenden Gedanken ab. Allerdings gab es da eine Frage, die sie unbedingt los werden wollte und sie setzte sich auf und sah zu Elfleda.


    "Du vielleicht wissen Kraut für ..." Wie war nochmal das Wort? Sontje hatte es ihr doch gesagt!? "schwanger. Kraut das hilft das ich werde schwanger schnell." Zum Schluß flüsterte sie beinahe nur und blickte wieder sofort nach unten. Da war es raus. Hoffentlich reagierte Elfleda verständnisvoll. Und weckte keine schlafenden Hunde. Für den morgigen Tag hatte sie alles für ein großes opfer geplant um Iuno um ein Kind anzuflehen, aber vielleicht waren Kräuter auch eine Methode. Gab es sowas? Sie wußte es gab Kräuter eine Schwangerschaft abzubrechen. Oder würde ihre Göttin ihr das übel nehmen, wenn sie auf germanische Kräuterweiber hörte? Während ihr Tränen in die Augen traten rupfte sie an einem Löwenzahn herum, der sich als besonders störrisch erwies. "Egal was tue ich werde einfach nicht schwanger!" flüsterte sie weiter und zog mit aller Kraft an dem Unkraut, welches dann mit einem lauten Geräusch aus der Erde ploppte und Sand und Dreck verteilte, der größtenteils auf dem schönen Kleid landete. Callista seufzte und schnippste den Dreck langsam von ihrem Kleid.