Beiträge von Charis

    "Ja, meine Entscheidung." Charis Worte klangen etwas abwesend. Nur selten in ihrem Leben war es soweit gekommen, daß sie eine eigene Entscheidung hatte. Allerdings bei genauerer Betrachtung war ihre jetzige Situation einfach ausweglos, so daß sie auch diesmal keine Entscheidung haben würde. Es war nur eine Frage der Zeit, wie lange sie noch diesem Druck gewachsen war.
    "Ja, er ist seltsam. Das dachte ich am Anfang auch." Nun belächelte sie sich selbst dafür, daß sie Phraates anfangs eher abgeneigt war. Dabei konnte er doch so romantisch sein. Voller Poesie waren seine Worte gewesen. Und auch wenn sein Latein nicht perfekt gewesen war, so vermisste sie doch sehr seine eigentümlichen Formulierungen.
    "Das wäre eine schöne Vorstellung. Vielleicht denkt er dann auch an mich." Charis dachte noch einmal über das nach, was Brix wegen der Post nach Sardinien sagte. Es wäre doch eine wundervolle Gelegenheit gewesen, wenn sie Phraates hätte schreiben können. Inzwischen sann Brix über das nach, was der Makedonierin nur andeutungsweise über die Lippen gekommen war.
    "Brix, ich möchte einen Brief an Phraates schreiben," sagte sie dann und lächelte dann wieder ein bißchen. Jedoch ihren gefassten Entschluß, alles Corvinus zu beichten, erwähnte sie nicht mehr.

    Kurz nachdem der Brief, der ein flavischer Sklave gebracht hatte, entgegengenommen worden war, war er bereits an Charis, die Leibsklavin der Flavia Celerina weitergeleitet worden. Diese wiederum, brachte ihn ohne zu zögern ihrer Herrin.
    Wie des Öfteren in letzter Zeit, hatte sich die Flavia in den Nachmittagsstunden in ihr cubiculum zurückgezogen. Dort hatte sie sich zur Ruhe gebettet. Doch sie schlief nicht. Deshalb konnte die Makedonierin auch gefahrlos den Raum betreten, ohne dafür wüste Beschimpfungen oder gar Strafandrohungen auf nehmen zu müssen.
    "Herrin, Ein Brief für dich! Er ist von einem deiner Verwandten, Herrin. Flavius Piso."
    Charis übergab den Brief der Flavia, deren Augenbrauen bei der Erwähnung dieses Namens etwas in die Höhe gegangen waren.

    Charis hatte, um das Warten zu überbrücken noch einmal alle Papyri geordnet, die sie für ihren Unterricht benötigen würde. Unter den Schriften befand sich auch ein Brief, den sie in der Nacht unter Tränen heimlich verfaßt hatte. Er war an ihren Geliebten gerichtet, Phraates, der nach Sardinien verbannt worden war. Später, nach ihrem Unterricht, würde sie diesen Brief Brix geben, der ihr in Aussicht gestellt hatte, daß er Phraates in seinem Exil erreichen würde. Bis dahin hatte sie ihn unter ihrer Tunika verborgen. Hier in der Bibliothek jedoch hatte sie ihn wieder hervorgeholt. Immer und immer wieder hatte sie ihn gelesen. Und je öfter sie ihn las, umso beseelter wurde sie von dem Gedanken, daß er ihn in einigen Tagen vielleicht schon in Händen halten konnte.
    Charis bemühte sich nicht besonders, den Brief vor den Blicken des Galliers zu verbergen, als dieser eintraf, denn der Gallier war des Lesens nicht mächtig. Der Brief lag offen auf dem Tisch.


    Geliebter!


    Jeder einzelne Atemzug, den ich ohne dich aushauchen muß, hüllt mich in untröstliche Trauer, weil du so fern von mir bist. Nachts blicke ich hinauf zu den Sternen und nur die Gewissheit tröstet mich, daß die gleichen Sterne auch über dir leuchten. Ich habe es Brix zu verdanken, daß ich dir diese Zeilen schreiben kann. Ich hoffe, es wird uns vergönnt sein, wenigstens auf diese Weise miteinander verbunden zu sein.
    Liebster, wie geht es dir? Behandelt man dich gut? Der Tag, an dem man dich von hier fortbrachte, hat mir die Kehle zugeschnürt. Ich konnte nichts sagen, nichts tun, was dich hätte retten können. Ich war wie gelähmt, als ich von deiner Bestrafung hörte. Es ist ein Unrecht, was man dir angetan hat! Doch ich habe mir geschworen, gegen dieses Unrecht anzukämpfen, koste es, was es wolle! Was kann mir denn noch geschehen, außer daß auch ich in Ungnade falle und dann, so die Götter es wollen, mit dir wieder vereint sein werde.
    Wenn es dir möglich ist, Liebster, so sende mir ein Lebenszeichen, damit ich nicht ganz dem Wahnsinn verfalle. Du sollst wissen, ich liebe dich und ich werde dich auch immer lieben!
    Mögen die Götter dich beschützen!


    In Liebe
    C


    "Salve Aedan! Bitte tritt näher!" Sie wies mit ihrer Hand auf einen Stuhl, der speziell für den Gallier bereit stand. Nachdem er Platz genommen hatte, überreichte sie ihm eine Wachstafel und einen Griffel.
    "Für den Anfang wird dies genügen, um zuerst einmal die Buchstaben zu lernen. Besitzt du irgendwelche Vorkenntnisse. Aedan?", fragte sie ihn, bevor sie mit ihrer ersten Lektion beginnen wollte.

    Charis sah ihn forschend an. Die Idee an sich war tatsächlich verlockend! Wieso auch sollte sie etwas davon erfahren? Wäre sie da nicht die Hüterin von gleich zwei Geheimnissen gewesen! Sie hatte Corvinus wichtige Informationen vorenthalten und sich damit in zweierlei Hinsicht schuldig gemacht. Gegenüber Corvinus und Phraates gleichermaßen. Hätte sie dem Aurelier von Anfang an von der Beziehung ihrer Herrin zu dem Thraker erzählt, dann wäre Phraates niemals dieses Unrecht geschehen. Und sie selbst?
    "Sie wird es erfahren! Irgendwann wird sie es erfahren. Genauso wie es Corvinus erfahren wird, daß ich ihm nicht alles gesagt habe." Die scheinbare Ruhe, die in ihrer Stimme lag, täuschte nicht darüber hinweg, was in ihr vorging. Und auch die Aussicht, Phraates Briefe schreiben zu können, war da nur ein kleiner Trost. Noch deprimierender war Brix´ Einschätzung, daß sich an Phraates Schicksal nichts ändern würde, selbst dann, wenn sie Corvinus die Wahrheit sagte. Und so war denn auch sein Fazit überaus ernüchternd: Sie konnte nichts tun. Doch Charis wußte, daß sie nicht ewig diesem Druck standhalten konnte. Eines Tages würde sie darunter zerbrechen. War es da nicht besser, sich allem zu entledigen und sich von all diesem Druck zu befreien? Vielleicht schickte man sie dann auch nach Sardinien. Wenigstens konnten sie dann dort zusammen sein.


    Charis richtete ihren Blick wieder zu den Sternen. "Das dort oben ist Zatalkasi. So nennen sie Kassiopeia in Parthien," meinte sie plötzlich. Sie hatte sich wieder an die kühle Nacht im Hof der Villa Flavia erinnert, als sie sich zum ersten Mal mit Phraates getroffen hatte. Dabei hatte er ihr nicht nur die Sterne am Firmament erklärt. Ein ganze Zeit lang, saß sie noch so da und schaute hinauf zu den Sternen.
    "Doch... , vielleicht kann ich doch etwas tun…"

    Umso besser, wenn sie gleich mitkommen wollte, dachte sich Charis.
    "Dann folge mir bitte, Herrin!", antwortete sie freundlich und schritt voran. Bis zu Celerinas cubiculum war es nicht weit. Dort angekommen, klopfte sie an, bevor sie der domina die Tür öffnete, damit sie in Celerinas Reich eintreten konnte.

    Die Sklavin kam der Aufforderung sofort nach und trat ein. Außer der domina war sonst niemand in dem cubiculum. Die junge Aurelia hatte sich augenscheinlich zur Ruhe gelegt. Sie lag auf ihrem Bett und hatte sich aufgerichtet, um diejenige in Augenschein zu nehmen, der sie gestört hatte. Ihr war es unangenehm, daß sie hier sein mußte, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
    "Entschuldige bitte die Störung, domina!", begann sie vorsichtig. Von Celerinas Launen war sie einiges gewohnt. Noch kannte sie die junge Aurelia nicht gut genug, um einschätzen zu können, wie launisch sie sein konnte.
    "Domina Celerina schickt mich. Sie läßt fragen, ob du etwas Zeit erübrigen konntest und sie dich mit ihrer Anwesenheit beglücken dürfe."

    Die Makedonierin hatte sich, ganz nach dem Willen ihrer Herrin, in die Bibliothek begeben, um sich auf den Unterricht vorzubereiten, den sie dem neuen Sklaven angedeihen lassen sollte. Die Tatsache, dem Gallier das Lesen und Schreiben zu lehren, beunruhigte sie nicht so sehr, wie das Einführungsgespräch, an dem sie hatte beiwohnen müssen. Die Äußerungen Celerinas hatten ich einfach keine Ruhe gelassen. Die Flavierin hatte sie einfach zu Freiwild erklärt, das jederzeit gejagt werden konnte, wenn es ihr gefiel. Und wie sie den Gallier einschätzte, würde der sich nicht allzu lange zurückhalten, hatte er erst einmal grünes Licht von der Flavierin erhalten.
    Doch vorerst versuchte Charis diese Gedanken zu verdrängen. sie erwartete jeden Moment das Kommen des Galliers, der an diesem Tag seine erste Lektion erhalten sollte. Sie versuchte sich mit einigen ausgesuchten Lektüren abzulenken, die sie speziell für den Gallier ausgewählt hatte. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, alle Versuche schlugen fehl. Sie nahm sich vor, gleich zu Anfang ein ernstes Wörtchen mit dem Sklaven zu reden. Vielleicht würde sie ihm sogar von Phraates erzählen. Ihrem geliebten Phraates, der in der Verbannung ausharren mußte und tagtäglich eine Bestrafung erdulden mußte, die er nicht verdient hatte. Dann mußte Aedan doch Verständnis für sie haben. Oder etwa nicht?

    Celerina hatte ihre Leibsklavin mit einer mündlichen Nachricht, die für die junge Aurelia bestimmt war, zu deren cubiculum geschickt. Es war der Flavia nicht leicht gefallen, diesen Schritt zu tun. Doch sie konnte nicht mehr anders, sie mußte sich all ihren Schmerz von der Seele reden.
    Daß sie nun ausgerechnet Prisca zu ihrem Opfer auserkoren hatte, lag wohl daran, daß Septima bereits vor einiger Zeit die Villa gen Mantua verlassen hatte. Also blieb nur noch Prisca, der sie sich anvertrauen wollte.
    Außerdem gab es da noch etwas anderes, was sie brennend interessierte. Doch davon war die Makedonierin nicht unterrichtet worden.
    An der Tür angekommen, klopfte Charis an und wartete, bis man sie einließ.

    Charis wartete geduldig auf die Anweisungen ihrer Herrin. Als diese kam, huschte sie zurück zur Tür. Davor wartete immer noch der neue gallische Sklave auf Einlaß. Sie traut hinaus und zog dabei die Tür bei, um ihm noch einmal letzte Instruktionen zu geben.
    "Du sollst jetzt reinkommen! Das Tuch kannst du mir geben. Sprich nur, wenn sie dich etwas fragt und erzürne sie nicht, sonst bist du gleich unten durch bei ihr. Tu einfach, was sie dir sagt! Und keine Sorge, ich bin auch da." Sie nahm ihm das Tuch ab, auch wenn er sich wohl nur schwerlich davon trennen wollte. Letzteres war zwar gut gemeint allerdings unerheblich. Helfen konnte sie ihm kaum, wenn er sich falsch verhielt.
    "Komm jetzt!"Charis öffnete die Tür und wartete, bis Aedan eintrat. Sie ließ ihm den Vortritt, denn er sollte von nun an die Hauptattraktion sein.

    Das blanke Entsetzen war in das Gesicht des Galliers geschrieben. Fast tat er ihr leid. Charis sann kurz darüber nach, wie sie ihn aufmuntern konnte. Solche Floskeln, es wird schon nicht so schlimm werden oder so schlecht siehst du nun auch wieder nicht aus, als daß du dich für etwas schämen müßtest, fand sie als nicht angebracht. Allerdings fiel ihr auch nichts besseres ein, was ihn hätte beruhigen können. "Ach, komm schon, es wird nicht so schlimm werden. So schlecht siehst du auch wieder nicht aus, als daß du dich für etwas schämen müßtest! Tu einfach nur das, was sie von dir verlangen! Aber wage es nicht, selbst die Initiative zu ergreifen! Sonst könnte man dir das als Vergewaltigung der Damen auslegen." Das waren eigentlich die besten Ratschläge, die man dem armen Kerl mit auf den Weg geben konnte. Den Rest mußte er selbst vollbringen.
    Charis schritt voran. Immer wieder sah sie sich um, um sich zu vergewissern, daß Aedan noch da war. Schließlich gelangten sie zur Tür des balneums.
    "Du wartest hier, bis sie dich empfangen möchte!" Dann öffnete Charis die Tür, trat ein und schloß sie gleich wieder hinter sich, so daß es dem Sklaven kaum möglich gewesen war, einen Blick hinein in die Höhle der Löwinnen zu werfen.
    "Herrin, er wartet draußen!", flüsterte Charis ins Ohr ihrer Herrin, nachdem sie bis zum Rand des Beckens gegangen war und sich zu ihr hinunter beugte.

    Das Grinsen wich aus Charis´ Gesicht. Sie sah ihn nun ernst an, da er doch tatsächlich annahm, sie mache sich über ihn lustig.
    "Ich mach mich nicht über dich lustig! Das ist alles, mehr brauchst du nicht. Alles andere wäre unnützer Ballast", antwortete sie ihm klar und deutlich.
    "Die domina badet und sie wünscht dich im balneum zu sehen, nackt, nur mit einem Blumenkranz bekränzt, mehr nicht! Das Tuch kannst du um deine Hüften geschwungen lassen, vorerst. Komm jetzt!" Charis begab sich bereits zur Tür und hoffte, der Sklave würde es ihr gleich tun.

    Aus Charis Grinsen wurde ein Lachen. Eigentlich war sie nicht so gehässig, doch der Gallier hatte es herausgefordert. Wenn er nur wüßte! Mit ihrer Geheimnistuerei hatte sie ihn noch doch ein wenig aus der Reserve gelockt. Charis jedoch hielt sich bedeckt mit Informationen.
    "Es heißt, was es heißt. Laß dich überraschen! Was sie von dir will, das weiß nur sie allein. Aber du solltest auf der Hut sein, verärgere sie ja nicht!"Aedans Frage nach seiner Kleidung hatte auf Charis abermals eine erheiternde Wirkung. "Deine Kleidung? Ja, einen Moment!" Die Makedonierin trat vor die Tür und rief eines der Sklavenkinder, das sie beauftragt hatte, einen Blumenkranz zu flechten. Mit dem fertigen Kranz kehrte sie zu Aedan zurück. "Hier, zieh den auf und dann komm!"

    Mit keinem Blick würdigte sie ihn. Sie kehrte ihm den Rücken zu. Allerdings lauschte sie aufmerksam dem plätschern des Wassers. Sie hatte gar kein Interesse an dem Gallier. Auch wenn Phraates weit weg war, wollte sie ihm treu bleiben und keinesfalls schwach werden. Sie wollte auf den Parther warten und sollte es bis ans Ende ihres Daseins währen.
    Aedans Frage war es schließlich, die sie wieder umblicken ließ. Ein leichtes grinsen erschien um ihre Mundwinkel. Sollte sie ihn nicht besser aufklären, was in den nächsten Stunden auf ihn zukam? Nein, sie sollte nicht. Jetzt erst recht nicht! Einer wie er würde das meistern können.
    "Laß dich überraschen!", antwortete sie ruhig und grinste weiterhin. Dann reichte sie ihm ein Tuch, auf daß er sich damit abtrocknete und nicht noch mehr Zeit verschwendet wurde.

    Der Gallier war auf dem besten Weg, sich bei Charis unbeliebt zu machen. Alles was sie hier tat, tat sie nur aus einem Grund, damit sie und vor allen Dingen er keinen Ärger bekam. Sie kannte Celerinas Anweisungen genau und sie wußte auch, wie empfindlich sie sein konnte. Und womit dankte er es ihr?
    Langsam richtete sie sich wieder auf. Sein Gesicht mit den zornig funkelnden Augen ließ sie nicht aus den Augen.
    "Na bitte! Wenn du darauf bestehst! Aber komm mir nicht hinterher und beschwer dich!" Sie warf ihm die Seife zu, die unweigerlich nicht in seinen Händen landete, sondern ins Badewasser fiel. Beleidigt wandte sie sich um, verließ aber nicht das Bad. Sie wollte auf ihn warten, damit es nicht noch mehr Verzögerungen gab.

    Sie erntete jede Menge Protest auf ihre Aufforderung aufzustehen. Charis aber blieb gelassen. Sie verrollte lediglich ihre Augen, weil er sich so mädchenhaft anstellte. Das war mal wieder typisch Mann, ständig hatten sie eine riesige Klappe, aber wenn es an ihr bestes Stück ging, schoben sie plötzlich Panik!
    Als er sich aus dem Zuber erhob um sich aufzustellen, sah sie an ihm hoch. Das Wasser perlte an seinem Körper herab. Celerina würde ihre Freude mit ihm haben, dachte sie gehässig.
    "Jetzt mach mal Halblang! Ich wasche dir nur die Beine und die Füße. Deinen besten Freund überlasse ich dir!", sagte sie schließlich und sah ihn dabei ziemlich abwertend an.

    Die Proteste des Galliers verloren sich im Schaum der Seife. Charis ging darauf nicht sein. Sie hatte sich seiner Ohren angenommen, dann folgte der Hals, die Arme und besonders die Achseln.
    "Es soll nachher nicht heißen, du seist noch dreckig!", antwortete sie nur, während sich das Wasser immer mehr trübte. Sie hatte sich bereits an seinen Oberkörper herangearbeitet, der bald darauf blitzblank war. "So, jetzt steh auf, damit ich den Rest noch waschen kann. Und wegen deiner Kleider mach dir mal keine Sorgen, die Herrin hat mir genauestens mitgeteilt, was sie an dir zu sehen wünscht!" Wenn er nur wüßte, dachte Charis bei sich. Ihre Gedanken behielt sie aber für sich.

    Charis hatte nichts auf die Ausflüche des Galliers gegeben. Mit strengem Blick beobachtete sie ihn, wie er den Lumpen, der um seine Hüften geschlungen war, abnahm und in den Zuber stieg. Das was darunter zum Vorschein kam beeindruckte sie nicht im Mindesten. Er war nicht der erste Mann, den sie nackt gesehen hatte. Ihr Interesse galt lediglich der Körperpflege des Sklaven. Sie wußte, ihre Herrin mochte es nicht, wenn Sklaven, die sich ihr nähern sollten, noch einen strengen Duft verströmten oder sogar noch schmutzig waren. Wäre die Lage in der sie sich befand nicht so verdammt ernst gewesen, hätte sie die Planscherei des Sklaven sicherlich belustigt. Doch da sie sichtlich im Streß war, überwand sie sich nicht einmal zu einem Seufzer.
    "Halt! Was soll das? Dies ist ein fortschrittliches Haus, das seinen Sklaven sogar Seife zur Verfügung stellt!" Ohne zu warten, bis es dem Sklaven einfiel, schritt sie zur Tat. Sie nahm ein Stück der Seife und einen Bimsstein, mit dem sie den Sklaven waschen wollte. Sie würde ihm schon jeglichen Dreck von der Haut schruppen! So griff sie nach seinem Schopf, um ihn daran festzuhalten, während ihre andere Hand bereits mit dem einseifen seines Körpers beschäftigt war.
    "Wenn ich mit dir fertig bin, bringe ich dir schon deine Sachen! Und wenn das Brix so gesagt hat, dann wird es wohl stimmen", gab sie nebenbei zur Antwort.

    "Was?" rief sie entsetzt. "Man hat dich noch nicht gewaschen, und frische Sachen hast du auch noch nicht erhalten?" Sie hatte das jetzt nur geträumt! Celerina würde toben, wenn sie sich allzu lange Zeit ließ. "Na dann komm!" Grob griff sie nach seinem Arm um ihn mit sich zu ziehen. "Natürlich will sie dich sehen! Das wirst du schon sehen, was sie von dir will. Ich weiß nicht, was sie mit dir vor hat." Charis wußte genau, daß dies eine Lüge war, aber sie blieb dabei. Was nutzte es, den Sklaven vorher unnötig zu beunruhigen?
    "Das ist ein guter Vorsatz!", meinte sie nur und zog ihn weiter mit sich. Ihr Ziel war nun nicht mehr das vornehme balneum der Herrschaften. Das mußte erst einmal warten. Jetzt galt es erst einmal, den neuen Sklaven zu reinigen und ihn vorzubereiten. Dafür führte sie ihn ins balneum servorum, dem Bad der Sklaven, welches um ein vielfaches einfacher gestaltet war. All die schönen Verzierungen, die Malereien, Mosaike und der Marmor mußten hier einem nüchternen, zweckmäßigen Zuber weichen, den man vorher mit Wasser zu befüllen hatte, falls nicht noch das Wasser vom Vorgänger darin war. Aber Charis hatte Glück, der Zuber war noch gefüllt. Das Wasser darin hatte zwar nicht mehr die Qualität eines Bergbaches, für den Neuen würde es aber allemal ausreichen.
    "So, hier kannst du dich waschen! Beeil dich, sonst kriegen wir Ärger!" Die Makedonierin deutete auf den Zuber und machte keinerlei Anstalten, den Raum zu verlassen.

    "Anfangs sollte ich ihm nur mitteilen, welche Bedürfnisse und Wunsche sie hat. Aber mit der Zeit wollte er immer mehr darüber wissen, was sie tut, wenn sie für sich ist." Charis sah betroffen zu Boden. Sie hatte sich von Anfang an nicht wohl in ihrer Haut gefühlt, als sie damals Corvinus Drängen nachgegeben hatte. Und das für ein Stückchen Hühnchenfleisch. "Sie wird mich umbringen, wenn sie es erfährt!" Das würde sie ganz gewiß. Diese Frau kannte keine Skrupel.
    Und dennoch half es Charis ein klein wenig, darüber zu reden, Luft abzulassen und jemanden zu haben, der ihr zuhörte. Auch wenn Brix nur wenig an ihrem Problem ändern konnte.
    Als Brix nun anfing, über sich zu reden, sah sie ihn fast ungläubig an. Charis war bis jetzt der festen Überzeugung gewesen, Brix wäre schon immer Sklave gewesen. Als etwas anderes hatte sie sich ihn nie vorstellen können. Brix, der freie Germane, ein Mann mit Frau und Kindern, unglaublich! Und was er zu erzählen hatte, klang noch weitaus schlimmer, als daß, was sie erlebt hatte. "Wie sind sie gestorben?", fragte sie vorsichtig, obschon sie es sich denken konnte. Sie wollte ihn damit nicht verletzen und hätte es auch verstanden, wenn er sich dieses Kapitel nur für sich aufhob.
    Wieder legte er väterlich seinen Arm um ihre Schultern, eine Geste, die ihr wieder Kraft geben sollte. "Was würdest du mir raten, Brix? Was soll ich tun? Ich würde ihm so gerne helfen, weil ich ihn im Stich gelassen habe, als er meine Hilfe gebraucht hätte." Innerlich hoffte sie, er könne ihr einen Rat erteilen, der all ihre Sorgen zunichtemachte. Doch sich daran zu klammern, wäre kindisch gewesen.

    Die Antwort, die der Gallier von sich gab, minderte Charis´ Misstrauen nicht im Mindesten. Ganz im Gegenteil! Offenbar hatte man ihm schon beigebracht, wie er sie anzusprechen hatte. Hoffentlich hatte man ihm auch eingebläut, nicht zu vorlaut zu sein, sonst... Unbeabsichtigt wurde sie an Phraates erinnert, der jetzt irgendwo auf Sardinien war und auf der Plantage schuften mußte. Auch ihm war sie anfangs sehr misstrauisch und abwertend gegenübergetreten, bis er ihr eines Abends seine Liebe gestanden hatte...
    Dies war aber keinesfalls Phraates! Dies war der Gallier. Áedán.
    "Ich bin Charis, die Leibsklavin unserer Herrin. Du kannst mir helfen, indem du keine Dummheiten machst!" Den forschen Ton behielt sie bei, obwohl sie sich schon gefragt hatte, ob sie ihn vorbereiten sollte, auf das, was ihn im balneum erwartete. Wäre es fair, ihn einfach in sein Unglück laufen zu lassen? Sollte sie ihm sagen, daß er in einem Schlangennest gelandet war?
    Warum sollte sie? Er würde es noch beizeiten selbst erfahren!
    "Sie möchte dich sehen und ich soll dich zu ihr bringen. Hat man dich schon gewaschen?", fragte sie weiter, bei diesen Barbaren konnte man nie sicher sein, ob sie nicht doch den reinigenden Kontakt mit Wasser scheuten.