Zitat
Original von Marcus Aurelius Corvinus
Derweil war der Händler auf mich aufmerksam geworden. Es störte mich nicht, dass die anderen Germanisch redeten. Zwar verstand ich nur einige wenige Bruchstücke, aber ich wusste, dass es ihnen gut tat, wenn sie ohne die Tücken des Lateins sprechen konnten, und so ließ ich sie gewähren. Der Händler, ein hochgewachsener Mann mit grauen Barstoppeln im Gesicht, trat seitlich heran. "Edler Herr, darf ich auf dein Interesse an diesem Exemplar hoffen?" sprach er mich an, und ich wandte ihm den Kopf zu. "Vielleicht", antwortete ich ausweichend. Allzu offen bekundetes Interesse trieb nur den Preis in die Höhe. "Woher kommt sie, Germanien? Was kann sie? - Und wie ist dein Name?" fragte ich zunächst den Händler, dann die Sklavin selbst.
Sie hätte nicht genau erklären, warum sie den Mann mit ihren Augen verfolgte. Gut gekleidete Passanten gab es genug in dieser Gegend. Manche von ihnen hielten auch inne, um sich nach dem Angebot des Händlers zu erkundigen. Aber etwas war an ihm, was sie faszinierte. Auch dem Mann mußte aufgefallen sein, daß er beobachtet wurde. Charis´ neugierige Blicke waren nicht ohne Folgen geblieben. Er kam auf ihren Verschlag zu und blieb davor stehen, so als hätte sie ihn mit ihren Blicken zu sich her gelotst. Mit ihren großen Augen musterte sie ihn nun von Kopf bis Fuß. Kurze Zeit später trat auch der Sklavenhändler hinzu, der auf den potentiellen Kunden aufmerksam geworden war und sprach ihn an. Ein Gespräch bahnte sich an und Charis, die immer noch am Boden ihres Käfigs saß und sich an die Stäbe klammerte, lauschte dem, was gesprochen wurde.
"Philonides, mein Herr. Philonides von Naxos, stets zu Diensten. Nein, keine Germanin, Herr! Ich habe mich auf Ware aus dem Orient, Aegytus und Archaia spezialisiert. Das gute Stück hat zuletzt in Athen bei einem reichen Kaufmann gedient. Meines Wissens stammt sie aus Makedonien. Sie kann lesen und schreiben, Herr und ist flink im Haushalt und kann dir jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Herr, möchtest du sie einmal aus der Nähe betrachten?" Philonides gab seinem Gehilfen, einem kahlköpfigen Nubier ein Zeichen, worauf er an ihn herantrat. "Criton, hol die da heraus, der Herr hier möchte sich die Sklavin genauer betrachten." Criton nickte untertänig und machte sich an der Tür des Verschlags zu schaffen. Schließlich öffnete er die Tür mit einem quietschenden Geräusch und trat auf Charis zu. Die Sklavin wußte, was dies zu bedeuten hatte. Sie erhob sich und ließ sich von Criton heraus führen. Der Sklavenhändler griff nach ihrem Arm und zog sie zu sich.
Trotz des recht unsanften Zugriffs Philonides´ konnte Charis nicht anders. Ihre Augen, die eigentlich unterwürfig zu Boden blicken sollten, starrten gefangen den Mann an, dem sie nun so nah gegenüberstand.
"So, da haben wir ja das gute Stück.", rief Philonides und witterte bereits ein gutes Geschäft. "Sieh nur Herr, wie wohlgestaltet sie ist! Gerade mal zwanzig, höchstens zweiundzwanzig Sommer ist sie alt." Der Sklavenhändler war bester Laune. Erwartungsvoll blickte er zu dem Römer, dann zu seiner Ware, die irgendwie abwesend zu sein schien. "Na los Mädchen, verrate dem edlen Herrn deinen Namen!" Etwas ruppig rüttelte er sie, damit sie endlich aufhörte, seinen Kunden so anzustarren.
Die Sklavin reagierte erst nicht, bis sie sich endlich losreißen konnte. Als sei sie gereade ertappt worden, senkte sie ihren Blick "Charis, Herr," antwortete sie schließlich zaghaft.
Philonides lächelte über das ganze Gesicht, so daß man seine weißen Zähne sehen konnte. Er hatte in letzter Zeit ein gutes Händchen für seine Sklaven, gehabt. Nur die beste Ware nahm er mit auf seine Reise nach Roma. Er wußte, wie anspruchsvoll die Leute hierzulande waren. Das hatte sich letztlich bezahlt gemacht. Die Leute bezahlten für seine Ware Höchstpreise.