Beiträge von Duccia Elva

    Interessiert lauschte Elfleda Landos Ausführungen. Sie hatte nicht gewusst, dass diese römischen Namen direkt etwas mit den Sippen zu tun hatten, zumindest nicht in dieser Deutlichkeit. Und dass sie untereinander genauso zerstritten sein sollten wie die verschiedenen germanischen Stämme war auch nur sehr schwer vorstellbar. Wie konnten sie dann so ein großes Reich aufrecht erhalten? Wobei Elfleda ja keine Ahnung hatte, wie groß es war, für sie war die Tagesreise nach Mogontiacum, die sie von ihren Eltern trennen würde, schon eine große Entfernung. Ihre jetzige Welt war noch überschaubar klein und würde sich wohl mit der Heirat um einiges erweitern, auch wenn sie sich das genaue Ausmaß dessen nicht vorstellen konnte. Da half wohl auch keine Vorbereitung, denn vieles konnte sie wohl wirklich erst fragen und begreifen, wenn sie es mit eigenen Augen gesehen hatte.
    Eben wie diese Unterschiedlichkeit unter den römischen Stämmen, die Lando aufgezeigt hatte. Aber im Grunde war es wie immer und überall: Nicht jeder konnte jeden leiden, nicht jeder war jedermanns Freund. Selbst innerhalb von Sippen gab es ab und an Streit, das blieb einfach nicht aus. Wo Menschen waren, da menschelte es eben.
    “Ja, wahrscheinlich werde ich dich dann noch viel mehr fragen als jetzt schon. Ich kann mir die meisten Sachen gar nicht so wirklich vorstellen, das muss ich wohl wirklich gesehen haben. Aber das werde ich ja bald…“
    Sie blickte Lando in die Augen und ließ ihren Blick kurz auf ihm so ruhen. Auch wenn die Zeit bis zur Hochzeit wahrscheinlich verfliegen würde, war es dennoch ein seltsames Gefühl, jetzt so lange warten zu müssen. Sie war hier, er war hier, alles war geregelt, und dennoch mussten sie warten. Nungut, das hier war keine Friedelehe, sie waren nicht wie zwei verrückte Rebhühner am Herumbalzen miteinander. Es war ein förmlich ausgehandelter Vertrag, der sie aneinander band. Dennoch fand Elfleda es sehr unbefriedigend, am nächsten Morgen von ihm Abschied nehmen zu müssen und dann darauf zu warten, wie die Zeit verstrich. Sie wartete schon ewig darauf, verheiratet zu werden, und jetzt, wo sie verlobt war, wartete sie wieder.
    Aber es nützte ja nichts, so war es eben. Und sie konnte nichts dagegen unternehmen und die Sache beschleunigen. Also hieß es ruhig bleiben und die Zeit dazwischen sinnvoll nutzen. Zum Beispiel, um sich von der lieben Verwandtschaft so nach und nach zu verabschieden. Sie ließ ihren Blick also zu eben jener wieder schweifen und bemerkte, wie ihre Cousine Elke sich mit Phelan unterhielt. Oder besser gesagt, ihn umgarnte. Er gefiel ihr wohl wirklich, so wie sie ihn anlächelte. Kurz schaute Elfleda nach ihrem Onkel Rodewini und nach Elkes Eltern, die aber alle drei wohl grade beschäftigt waren und nicht bemerkten, wie die beiden sich teilweise anschauten.
    “Ich denke, ich gehe mal deinen Vetter retten, bevor Elke ihn noch völlig vereinnahmt.“
    Elfleda hatte keine Ahnung, ob Lando schon bemerkt hatte, wie die beiden sich miteinander unterhielten, und wies ihn so dezent darauf hin. Bevor es noch Ärger geben würde, konnte er so sich auch um seinen Verwandten – oder waren sie jetzt gar nicht wirklich verwandt? Elfleda hatte das nicht so ganz verstanden – noch kümmern, so er wollte.
    Sie lächelte Lando also noch einmal kurz offen an, und schlenderte dann zu ihrer Cousine herüber. Ohne Vorwarnung umarmte Elfleda Elke einfach leicht von hinten und knuddelte sie spielerisch. “Na, Base, unterhältst du dich gut?“
    Der zwischen Erstaunen, Erschrecken und Empörung befindliche Blick ihrer Cousine war einfach nur göttlich, fand Elfleda. Ihr Lächeln freundlich zu halten und nicht ins hämische abgleiten zu lassen war da fast schon schwer. “Ich hoffe, du bist mir nicht böse, aber ich brauch eben deine Hilfe. Du entschuldigst uns doch, Phelan?“
    Ein unschuldiger, zuckersüßer Blick traf den Amisvarier – oder Duccier, wie Lando ihr eben noch erklärt hatte – und noch ehe er wirklich antworten konnte, zog Elfleda ihre Cousine auch schon mit sich, um ihr zu helfen, noch mehr Met unter die Verwandtschaft zu bringen.

    Das würde sich Sarwolf wohl wirklich nicht nehmen lassen. Elfleda war sich sicher, dass er sie erst dann aus seinem Schutz entlassen würde, wenn er sie Lando zur Hochzeit übergab und damit in seinen Schutz stellte. Nicht eine Sekunde eher, und selbst danach war sich Elfleda sicher, wenn sie Hilfe brauchte, jederzeit auf seine zählen zu können. Kurz blickte sie warmherzig zu ihrem Vater herüber, der sich gerade mit Rodewini über irgendetwas austauschte. Wo Rodewini offen lachte und lächelte, war ihr Vater wie immer ruhig und sah fast ein wenig nachdenklich aus. Er sah ihren Blick und kurz erhellten sich seine Augen, dann widmete er sich wieder Elfledas Onkel.
    “So wie du das sagst, klingt das, als würden sie diese Dinge absichtlich kompliziert machen? Dann ist das Verhältnis von Römern zu Amisvariern nicht so gut?“
    Elfleda riet einfach ins Blaue, aber die Worte von Lando hatten einen seltsamen Beigeschmack. Sie kannte nur die paar Römer, die zu ihnen gekommen waren, und diese waren alle ausgesucht höflich gewesen. Allerdings konnte das auch daran liegen, dass diese nur hierher kamen, wenn sie etwas wollten. Die meisten waren Händler, die irgendwas verkaufen oder von ihnen kaufen wollten, und die kamen nur alle Jubeljahre mal. Die anderen waren Soldaten, wenn man militärische Unterstützung oder eine Erneuerung eines Paktes oder ähnliches brauchte. Das war aber noch viel länger her als der letzte römische Händler. Daher wusste Elfleda nicht so recht, wie sehr sie ihrer Erinnerung trauen durfte.

    Er versprach es ihr? Elfleda musste aufpassen, dass ihr leichtes Lächeln nicht zu breit wurde. Lando versprach ihr viele Dinge am heutigen Abend. Wenn er auch nur die Hälfte davon halten würde, würde sie sich wohl sehr schnell bei ihm zuhause fühlen. Glück, Freiheit, Gesellschaft, Hilfe, all das hatte er ihr bereits zugesagt, und nun versprach er auch noch, ihr keinen Grund zu geben, ihn je zu verlassen. Nicht, dass sie in diesem Moment ernsthaft auch nur über die Möglichkeit nachdenken würde, eher im Gegenteil. Ihre Gedanken drehten sich eher darum, wie sie ihm noch ein wenig näher kommen könnte, welche Berührung zufällig genug wäre, wer schaute, wenn sie ein wenig näher noch bei ihm stand, oder ob überhaupt jemand herschaute.
    “Dann sollte es ja alles schnell gehen. Immerhin wissen die Römer ja, dass die Mattiaker ihnen treue Freunde sind. Und wenn du bei ihnen auch dieses Bürgerrecht besitzt, wissen sie ja auch, dass du ihr Freund bist. Dann sollten sie so eine Verbindung doch ebenfalls begrüßen?“
    Nunja, das war vielleicht etwas blauäugig, wie Elfleda selber wusste. Auch wenn man einen Vertrag mit jemandem hatte, hieß das noch nicht, dass man wollte, dass dieser erstarkte. Allerdings war es für die Römer wirklich von Vorteil, wenn die Mattiaker sich noch enger an sie banden. Auch wenn Rodewini nur ein Fürst unter vielen war und Lando auch kein gebürtiger Römer, sondern trotz allem ein Germane. Aber in gewisser Weise sicherte es dennoch die Grenze der Römer eher gegen romfeindliche Stämme, wenn die Mattiaker auch Sippenmitglieder jenseits des Rhenus verteidigten und nicht nur ihre Gebiete östlich davon. Zumindest ein ganz klein wenig. Vielleicht.
    “Muss ich dafür eigentlich irgendwas bestimmtes machen, oder muss ich dort nur anwesend sein?“
    Wenn sie dafür eine Prüfung ablegen musste, musste sie vielleicht noch etwas üben oder lernen. Zwar glaubte sie nicht, dass die Römer das so schwierig machten, wieso sollte es dann überhaupt ein Conubium geben. Aber fragen kostete ja nichts, höchstens die Nerven ihres Verlobten.

    Dass die Götter bei den Römern andere Namen hatten, damit hatte Elfleda kein Problem. Ein Gott war schließlich eine rohe Kraft der Natur, ein Gott eben. Warum sollten sie sich da auf einen kleinen Namen beschränken? Womit sie eher ein Problem hatte, war, dass die Römer ihre Götter ins Stein zwängen wollten, anstatt ihrer Kraft draußen in der Natur zu gedenken. Welcher arme, kleine Gott musste das sein, der sich in ein Steinhaus einsperren ließ? Auch wenn es noch so schön sein mochte.
    Doch wenn die Römer sie ihre Gebräuche fortführen ließen, dann war es ihr einerlei, was diese mit ihren Göttern machten. Sie war schon damit zufrieden, dass sie auch dort als Germanin würde leben können und nicht so tun musste, als wäre sie etwas anderes. Zumindest zu großen Teilen, denn Lando hatte ja schon einige Probleme angesprochen. Ein weiteres kam gerade dazu, denn darüber hatte ihr Vater nicht mit ihr gesprochen. Eher über eine andere römische Unsitte.
    “Nein, das hatte er nicht erwähnt. Er hat mit mir über etwas anderes gesprochen bezüglich der Ehe. Er meinte, die Römer würden das so sehen, dass ich mit der Hochzeit dir unterstehe, und ich mir da nichts dabei denken soll. Nunja, wörtlich hat er gemeint, wenn du anfängst, das auch so zu sehen, und mich wie deinen Besitz behandeln solltest, soll ich dir eins überbraten und heimkommen.“
    Sie lachte Lando an, hatte sie es ihm doch im Scherz erzählt. Auch wenn Elfleda sicher war, dass ihr Vater das durchaus auch ernst gemeint hatte. Natürlich war eine Scheidung eine schwerwiegende Sache und nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, aber das war ein Recht, das eine germanische Frau gegenüber ihrem Mann wahrnehmen konnte. Genauso wie eine germanische Frau ihre Kinder dabei behielt, nicht wie bei den Römern der Vater. Und ihre Ehe würde unabhängig von den römischen Gebräuchen in erster Linie doch eine germanische Ehe sein. Das war sowohl Elfleda als auch ihrem Vater wichtig.


    Bevor dieser Scherz aber doch zu ernst wurde, fragte Elfleda lieber einfach weiter.
    “Ist dieser Statthalter auch direkt in Mogontiacum, oder müssen wir dafür noch weiter verreisen? Für unsere Kinder sollte dieses... Conubium ja dann sichergestellt sein, damit sie alle Möglichkeiten haben.“
    Elfleda gefiel die mögliche Verzögerung der Hochzeit nicht so ganz. Nach dem Brautlauf schloss sich normalerweise nach ein bis zwei Tagen die Hochzeit auch direkt an, manchmal war es sogar am selben Tag. Immerhin symbolisierte dieser Lauf auch den Übergang von der einen Sippe zur anderen. Dass eine Reise das ganze verlängern könnte, lag nicht in Elfledas Sinn.
    Allerdings konnte sie nicht nur an sich selbst denken. Sie würde mit Lando Kinder haben, und denen wollte sie die bestmöglichen Chancen eröffnen, diesseits wie jenseits des Rhenus.

    Einen Moment meinte Elfleda etwas in seinem Blick gesehen zu haben, was ihr einen warmen Schauer über den Rücken jagte. Die Zeit bis zur Hochzeit war in diesem Moment noch ein wenig länger gerade geworden. Sie wollte doch so sehr wissen, wie es war, und sie fühlte sich zu Lando auch jetzt bereits hingezogen. Doch dann war der Moment vorbei und ließ Elfleda nur mit wirren Gedanken zurück, während Lando sich der Hochzeit widmete.
    Eine gute Sache daran, Frau zu sein, war, dass das Blut nicht erst von Gegenden, in denen es mehr Spaß hatte, zurück zum Kopf fließen musste, und so blinzelte Elfleda nur einmal und war soweit wieder klar. Zwar hatte sie auch schon ein paar Becher Met getrunken zur Feier des Tages, aber nicht genug, um wirklich beschwipst zu sein. Sie trank doch eher sehr zurückhaltend, weil sie gerne die Kontrolle über alles behielt. Mit berauschem Kopf hatte man die aber doch eher selten.
    “Nun, das ist gut, wenn auch Römer Zeugen der Hochzeit werden. Das wird meinen Onkel sicher freuen, es sollen ja alle sehen, dass unsere Sippen verbunden sind.“
    Elfleda wäre es zwar nicht unrecht gewesen, auf germanischem Grund und Boden zu feiern, nur unter sich, aber sie verstand natürlich die Intentionen ihres Onkels und die Politik, die er damit verfolgte. Er suchte Anbindung an die Stadtgermanen, mehr nähe zu der Stärke der Römer, ohne die germanischen Wurzeln zu verraten. Es war teilweise eine Gratwanderung, aber es würde ihre Position stärken. Zumindest, wenn Landos Sippe doch so stark wie erhofft und nicht so zerschlagen wie von Elfleda jetzt befürchtet war. Daher wären römische Zeugen der Hochzeit wohl gar nicht schlecht.
    “Verstehen die Römer denn unsere Gebräuche?“
    Elfleda hatte nicht die geringste Ahnung von römischen Hochzeiten. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass die großartig anders sein sollten, aber die Römer beteten zu anderen Göttern als die Germanen, vielleicht waren auch ihre Gebräuche etwas verschieden.

    Ein eigenes Zimmer nur für sie ganz alleine? Elfleda konnte nicht umhin, Lando kurz anzuschauen, als hätte er den verstand verloren. Sie wollte schon darauf antworten, als er ihr gleich noch offenbarte, dass seine Schwester noch nicht verheiratet war. Aber die musste doch älter sein als sie selber? Was auch immer Elfleda gerade hatte sagen wollen, es war wie weggeblasen. Sie stand einen Moment nur sprachlos da, zwar mit unbewegter Mimik, aber ihre Augen verrieten doch ihren Unglauben an das gehörte.
    Es dauerte ein paar Herzschläge, ehe sie sich wieder gefasst hatte und verwirrt blinzelnd durchatmete. Das war wirklich etwas anderes. Offenbar ging es den Amisvariern von Mogontiacum doch noch um einiges schlechter, als Lando ihr gesagt hatte, wenn die nicht einmal ihre Frauen verheiratet bekamen. Wobei das vielleicht auch daran liegen konnte, dass seine Schwester wohl auch geächtet und Herutin war. Diese Sippe war doch komplizierter als Elfleda angenommen hatte.
    Sie wusste nicht so recht, was sie zu der Sache mit der Schwester sagen sollte. So ganz richtig fand sie es nicht. Normalerweise sollten die Frauen vor den Männern heiraten, vor allem, wenn das Mädchen schon so alt war! Elfleda wollte sich das gar nicht vorstellen, wie das sein musste. Landos Schwester tat ihr mit einem Mal richtig leid. Aber er selber schien darüber nicht wirklich sprechen zu wollen, und noch war das zarte Band des Vertrauens zwischen ihnen nicht dick genug, um ihn deswegen etwas mehr zu triezen. Daher sammelte sie ihre Gedanken und versuchte diese wieder auf die Zimmer zu lenken.
    “Also, ich will kein eigenes Zimmer. Wir sind dann doch verheiratet? Ich meine, ich hab noch nie ganz allein irgendwo geschlafen. Meine Geschwister und ich teilen uns das Lager, oder meine Basen, da schlafen wir auch oft beisammen. Wird einem nicht kalt ganz alleine?“
    Wenn sie sich vorstellte, im Winter war es mehr als angenehm, wenn man sich einfach an jemanden noch ankuscheln konnte, wenn einen ein wenig fror. Man musste sich doch schrecklich einsam fühlen, wenn niemand um einen herum war? Und wenn er ihr schon anbot, ein eigenes Zimmer zu beziehen, was dachte er sich dann mit den Kindern? Sollten die auch nicht bei ihnen bleiben? Dabei wusste doch jeder, dass Kinder dann verrohten, wenn sie nicht genug Nähe zu den Eltern hatten. Kuscheln war schließlich wichtig. Außerdem bemerkte man so viel eher Krankheiten und konnte einschreiten als Mutter. Elfleda gefiel der Gedanke nicht, allein irgendwo in einem Zimmer zu sein.
    “Ich will mit dir das Zimmer teilen. Oder willst du unbedingt alleine schlafen?“
    In dem Fall würden sie wohl doch streiten müssen. Elfleda hatte nicht vor, einen ganzen Raum für sich zu nehmen und dann nachts zu frieren, oder durch das Haus zu huschen, wenn ihr der Sinn nach Zärtlichkeit stand. Es musste ja auch Vorteile haben, verheiratet zu sein, so dass man dann nicht mehr nur davon träumen konnte, das zu tun, was man gerade verspürte.

    “Elke…“ berichtigte sie Lando mit abwesend klingender Stimme und einem noch viel abwesender aussehenden Blick zu besagter Cousine und Phelan, während sie seinen Ausführungen zuhörte. Seine Worte waren so fremd für sie, dass sie noch nicht einmal bewusst registrierte, wie euphorisch Elke über das Gespräch mit Phelan zu sein schien, sonst hätte sie Landos Vetter vermutlich gerettet. So aber versuchte sie nur zu verstehen, was ihr Verlobter ihr da sagte.
    “Wie meinst du das mit den Zimmern?“ Elfleda konnte sich das noch nicht einmal so richtig vorstellen. Sie hatte ja schon gehört, dass Römer ihre Häuser in mehrere Zimmer unterteilten, aber die Amisvarier waren doch auch Germanen? Und was meinte Lando mit Privatsphäre? Sie hatte in ihrem ganzen Leben wohl noch keine Stunde Privatsphäre gehabt. Im Dorf sowieso nicht, und allein nach draußen in den Wald ging sie nicht. Nicht, weil sie Angst davor gehabt hätte, sie konnte auf sich aufpassen, das wusste sie. Aber es gab einfach keinen Grund, sich dem Risiko auszusetzen, allein im Wald von Sklavenhändlern oder sonstigem aufgegriffen zu werden, noch dazu, wo sie ja nicht die Tochter eines Unfreien sondern die des Richs war. Die Zeiten, in denen Elfleda wirklich ganz und gar alleine gewesen wäre, die konnte man wirklich an einer Hand abzählen. Daher verstand sie auch nicht, was Lando mit dem Bedürfnis nach Privatsphäre meinte.
    “Meinst du, wir beide sind dann in einem Zimmer ganz alleine? Nur du und ich und sonst niemand?“
    Nach dem ersten Schock, der sich nun nach dem Aussprechen legte, dachte Elfleda darüber nach, was das bedeuten würde. Und so ungewohnt dieser Gedanke war, so interessant wurde er nun auf der anderen Seite. Wenn sie ein Zimmer nur für sie beide hatten, dann war das ein wirklich unerhörter Luxus. Das Maß, in dem man Rücksicht auf andere nehmen musste, war damit auf einmal um einiges kleiner geworden. Dennoch hinterließ es ein mehr als nur etwas merkwürdiges Gefühl, allein es sich vorzustellen.
    “Und deine Schwester wohnt mit ihrem Mann auch dort? In einem anderen Zimmer?“
    Das war vielleicht etwas ungewöhnlich, denn normalerweise wechselte die Frau in die Sippe des Mannes und nicht andersherum, aber vielleicht gehörte der Mann ja zur erweiterten Sippe, war befreundeter Kämpfer oder dergleichen. Aber Elfleda war sich sicher, dass niemand auf Midgard so lange darauf hatte warten müssen, verheiratet zu werden, wie sie. Immerhin war sie schon 18, da hatten die meisten anderen Frauen schon zwei bis drei Kinder. Sofern alle überlebten, aber dennoch.

    Die Erinnerung an die sanfte Berührung ihrer Hand verblasste langsam schon, ebenso wie die an das Gefühl, als sie im Kreis der Zeugen gestanden hatten und sich verlobt hatten. Gerne wäre Elfleda näher gekommen, hätte Landos Hand ergriffen, einfach etwas mehr Näher hergestellt. Im Allgemeinen war sie eher berechnend als von Gefühlen beherrscht, aber sie merkte, dass sich ein Teil von ihr nach seiner Berührung sehnte. Die Zeit bis zur Hochzeit erschien ihr mit einem Mal unendlich lang, und auch wenn sie sich ein wenig auch davor fürchtete, war sie doch auch sehr neugierig darauf. Und sie merkte, dass sie seine Nähe genoss.
    Kurz flitzte die Frage durch ihre Gedanken, ob sie sich das Ganze vielleicht nur einredete. Immerhin würde sie Lando heiraten, egal, wie sie ihn eigentlich fand. Selbst wenn er ihr unsympathisch gewesen wäre, er hässlich gewesen wäre oder steinalt, hätte sie ihn heiraten müssen, wenn ihr Vater es so wollte. Vielleicht suchte sie deshalb auch nach Dingen an ihm, die ihr gefielen? Aber wenn sie ihn sich so ansah, war es ihr egal, ob sie nach diesen kleinen Zeichen nun suchte oder ob es einfach wirklich ohne Einmischung ihres Unterbewusstseins so war. Lando gefiel ihr. Sie fand ihn angenehm. Sie mochte ihn.


    “Fünftausend?“ Das war eine ganze Menge Menschen. Für Elfleda war ihr Dorf schon groß mit seinen etwas mehr als hundert Menschen. Oder das Dorf von Degenhardi, ihres Nachbarn in östlicher Richtung, der fast dreihundert Leute dort beherbergte. Aber fünftausend? Seit dem Krieg, den Lando erwähnt hatte, hatte Elfleda keine so große Menschenmenge mehr gesehen. Und damals waren ihr die vielen Krieger schon gewaltig viel vorgekommen. Und Lando sagte dieses Wort, als wären das nur sehr wenige. Ein klein wenig fühlte sich Elfleda dabei, als läge ihr Dorf hier ganz am Rande Midgards, wo man nichts mehr mitbekam vom eigentlichen Geschehen der Welt.
    “Nun, das sind dann eine ganze Menge Menschen, mit denen ich mein Latein dann üben kann. Ich verstehe vieles von ihrer Sprache, aber beim Sprechen bin ich mir meist etwas unsicher. Vater und Rodewini können es viel besser als ich, aber die müssen ja auch mit den Römern reden, wenn welche hierher kommen. Ich rede meistens…“ Sie überlegte kurz, wie es richtig heißen musste. Dass die Römer aber auch so viele verschiedene Fälle hatten! Und jedes Mal änderten sich alle Worte grundlegend. in verbis simplicis et in sententiae brevis. Sie wusste, sie hatte die Grammatik mal wieder etwas durcheinandergebracht und sah daher lächelnd kurz zu Boden. Das würde sich mit etwas Übung sicher legen, und nun hatte sie ja auch einen Grund, ein wenig mehr zu üben und zu fragen, wie es richtig heißen musste. Sie wollte sich ja dann nicht immer nur mit einfachen Worten und in kurzen Sätzen ausdrücken. Schließlich sollte ihr Mann dann auch sehen, dass er eine ebenbürtige Partnerin und eine Unterstützung für sich an seiner Seite hatte, und keine Last, die sich nichtmal vernünftig in der neuen Umgebung ausdrücken konnte.
    “Aber ich denke, das kommt dann mit der Übung, dass ich das auch besser spreche.“

    Eine Frau zu nehmen, ohne sie zu heiraten, empfand Elfleda als Unsitte. Natürlich gab es das auch unter Germanen, dass sie eine Kebsfrau nur hatten, allerdings war das ja nicht dasselbe wie eine Ehefrau. Elfleda verstand auch nicht, wie sich eine Frau dafür hergeben konnte. Viele sagten, aus Liebe, aber wenn die Liebe einen dazu trieb, die persönliche Ehre wegzuwerfen, war Elfleda lieber nicht verliebt. Und natürlich gab es auch noch die Möglichkeit, dass die Frau nicht freiwillig mit dem Mann zusammen war, dann war es aber erst recht eine Schande.
    Elfleda ging schnell ein paar Schritte, um einen Krug mit Met von der nächsten Tafel zu stibitzen. Die Blicke ihrer Verwandten quittierte sie mit einem unschuldigen Klein-Mädchen-Lächeln und ging dann schnell wieder zu Lando, um ihm nachzuschenken.
    “Die letzte Prüfung? Ja und nein. Der letzte Winter war recht schlimm, das war eine Prüfung der Götter. Und wir hatten ein wenig Ärger mit ein paar Chatten. Das war zwar kein so ausgewachsener Krieg wie das mit den Römern, aber mein Bruder Arndt ist dabei gestorben. Sein Schild ist geborsten, und… nunja, er starb ehrenvoll.“
    Auch so etwas gehörte dazu. Es gab wohl keine Familie, die nicht irgendwo einen Angehörigen auf dem ein oder anderen Schlachtfeld gelassen hatte. Elfleda zuckte kurz mit den Schultern und brachte dann kurz den Krug wieder zurück. Es machte ihr nichts aus, über ihren Bruder zu sprechen, aber das Thema war vielleicht nicht so geeignet für eine Verlobungsfeier. Außerdem wollte sie nicht, dass Lando den Eindruck hatte, sie würde dem immer noch wehmütig nachhängen. Sie hatte ihre Trauer und würde ihn nie vergessen, aber das Leben ging auch weiter und hatte noch viele Prüfungen im Gepäck.
    Wieder bei Lando angekommen lehnte sie sich wieder gegen den Stutzbalken und überlegte, was sie ihn noch fragen könnte. Es gab da zwar noch einige Dinge, die ihr durch den Kopf schossen, allerdings wollte sie die nicht laut aussprechen.
    “In der Stadt, spricht man da unsere Sprache oder die römische?“ Wenn es Latein wäre, würde sie noch ein wenig mehr üben müssen, ihr Vokabular war doch recht eingeschränkt. Bislang war der wichtigste Satz ohnehin gewesen. „Mein Vater ist Sarwolf von den Mattiakern. Berede das mit ihm.“ Den konnte sie perfekt. Aber für alles andere fehlte ihr ein wenig die Übung und jemanden, mit dem sie sich in dieser Sprache hätte unterhalten sollen.

    Auf sein Zwinkern reagierte Elfleda mit einem offenen Lächeln. Es war ein angenehmes Gefühl, zu merken, dass er sie wirklich heiraten wollte und es nicht nur aus politischem Kalkül zu tun schien. Soviel hatte Elfleda im Grunde nie zu hoffen gewagt, ihr war immer klar gewesen, dass sie nach stammespolitischen Gesichtspunkten verheiratet werden würde. Aber Lando versprach ihr jetzt schon sehr viel. Sie solle glücklich werden, hatte er gesagt. Er erkundigte sich, was ihr wichtig war, und meinte, es würde ihr an nichts mangeln. Und diese kleine Gesten und Worte - auch wenn sie, wie er schon sagte, etwas schmalzig geklungen hatten - waren einfach schön zu hören. Da fühlte Elfleda sich begehrenswert.
    Allerdings versuchte Elfleda, ihn deshalb nicht anzuschmachten. Im Grunde war sie ein vernünftiger Mensch und ließ sich da nicht über die Probleme hinwegtäuschen. Es war ja nicht alles nur eitel Sonnenschein, was er ihr berichtet hatte. Er war der Acht ausgesetzt, sein Stamm zerschlagen und nurmehr in Mogontiacum von Einfluss, und die Älteren waren nach seinen Worten fast alle tot. Es war bei weitem nicht alles perfekt und sie würde kein faules und leichtes Leben haben. Nicht, dass Elfleda sowas gewollt hätte, dafür war ihr eigener Ehrgeiz wohl auch zu groß. Aber dennoch war es eben nicht einfach.
    Und doch, wenn sie ihm so zuhörte, wie er von seinen Beweggründen sprach, den Römern zu helfen, musste sie ehrlich lächeln. Bevor sie ihn wirklich noch peinlich treudoof anschaute, senkte sie kurz den Blick und schaute dann über die Feiernden hinweg.
    “Ja, das habe ich auch schon gehört, dass die Römer ihre Kämpfer nicht heiraten lassen. Ein wenig seltsam, oder? Ich meine, für was kämpfen sie dann?“
    Immerhin waren die Frauen und Kinder die letzte Bastion, die es zu verteidigen galt, und nicht erst eine Schlacht wurde unter starker Anstrengung noch gewendet, weil die Männer ihre Frauen hinter sich gesehen hatten und daraus neuen Mut geschöpft hatten. Wenn diese Männer also gar nicht heiraten durften, wofür kämpften sie dann? Nur für Ruhm und Ehre? Die Römer waren eindeutig anders als die Germanen.
    Sie wandte sich wieder Lando zu und ließ ihren Blick kurz über ihn gleiten. Sie war froh, wenn er nicht mehr soviel kämpfen wollte, auch wenn er aussah, als könne er das wohl. Er war gut in Form, groß, sah kräftig aus. Er hatte etwas ruhiges und ernstes an sich, ähnlich einem Wolf. Und sein Lächeln war ansteckend.


    Verdammt, jetzt himmelte sie ihn ja doch an!


    Um den peinlichen Moment zu überspielen - vielleicht hatte er ihren Blick ja auch gar nicht bemerkt? - sah sie sehr interessiert nach seinem Becher.
    “Möchtest du noch etwas Met?“

    Elfleda würde es ganz sicher nicht vergessen. Immerhin hatte es ihn in Verlegenheit und zum Lächeln gebracht. Zum ersten Mal war er nicht ernst. Sie schaute ihn lächelnd an und fand diesen Zug an ihm sympathisch. Zwar gab sie auf sowas bei weitem nicht so viel wie ihre Cousine Elke beispielsweise, die in ihren naiven Träumen nur darauf zu bauen schien, aber das hieß ja nicht, dass sie nicht auch ein normaler Mensch war, der ein Lächeln nicht mochte.
    Die Erklärung mit den Münzen war in etwa das, was sie schon verstanden hatte. Auch wenn sie es trotz allem merkwürdig fand. Vielleicht sollten sie mehr Bären jagen und die Pelze an die Römer verkaufen, wenn diese ihnen doppelt soviel wert waren wie den Germanen. Und auch die Sache mit der Verwaltung klang widersinnig. Wenn sich ein Mann nur um eine einzige, kleine Aufgabe kümmerte, wie konnte das System dann so gut funktionieren? In ihrer Welt konnte jeder nach Möglichkeit alles Lebensnotwendige. Wenn man einen der ihren im Wald aussetzen würde, würde er wohl überleben, bis er sich wieder einer Sippe angeschlossen hätte und dort als wertvolles Mitglied sich selbst versorgen konnte. Nungut, auch hier war es mehr und mehr so, dass einige nur eine Sache machten. Nicht jeder schmiedete selbst, viele ließen es Gerleif machen. Nicht jeder baute selber an, sondern viele tauschten untereinander, auch mit anderen Sippen tauschten sie mittlerweile viel. Aber dennoch war es in Grundzügen so, dass jeder Mann Bauer und Krieger und notfalls Werkzeugmacher, Schuster, Tierzüchter und Schedler, Zimmermann und Holzfäller selbst war. Die einen mehr, die anderen weniger. Die Edlen unter ihnen eher weniger, dafür hatte man ja auch schließlich Gesinde, aber nichts desto trotz funktionierte jede Sippe autark von der nächsten. Sich vorzustellen, bei der Größe des römischen Reiches, dass dort alle nur immer etwas bestimmtes machten und es dennoch funktionierte, war… nunja, unvorstellbar eben.
    “Dann bist du ein Bote?“
    Verwirrt blinzelte Elfleda Lando an. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Bote zu soviel Reichtum gekommen sein sollte. Ihr gefiel die Vorstellung nicht besonders, dass ihr Mann möglicherweise mehr unterwegs als zuhause dann wäre. Sie wollte ja schließlich dann auch was von ihm haben.
    Als Lando sich plötzlich nach Rodewini so umdrehte, folgte sie seinem Blick kurz und sah ihn dann noch ein wenig fragender an. Sie hatten doch nichts gemacht, weswegen er sich hätte Sorgen machen müssen? Sie berührten sich ja noch nicht einmal, außerdem waren sie verlobt. Was ihn zu dieser hektischen Bewegung inspiriert hatte, konnte sie nur mutmaßen. Aber eigentlich gab es nichts. Außer, ihre Frage hatte ihn irgendwie gestört und das war ein hilfesuchender Blick gewesen. Auch wenn er mehr ertappt gewirkt hatte.

    Auch wenn die Antworten Elfleda vielleicht nicht gefallen mochten, die er ihr geben würde, aber sie wollte sie dennoch alle hören. Solange sie wahr waren, war ihr das für den Anfang genug. Sie hielt nicht viel von Schmeicheleien und Beschönigungen, da war ihr die raue Wirklichkeit oftmals lieber. Von schönen Worten wurde niemand gesund, eine Schmeichelei füllte einem nicht den Magen. Mit der Wahrheit konnte man sich aber häufig irgendwie arrangieren – oder man wusste zumindest, dass man es nicht konnte.
    Seine Erklärungen zu der Stadt waren etwas verwirrend. Elfleda versuchte ihm zu folgen, aber wie man nur mit Handel soviel Reichtum machen sollte, war ein verwirrendes Konzept. Zwar handelte ihr Vater auch, auch manchmal mit den verbündeten Römern, aber der wahre Reichtum hier lag in der klugen Bewirtschaftung durch Rodewinis Neuerungen auf dem Land. So brachten die Felder des Dorfes gute Erträge ein, trotz der harten Winter.
    “Nicht alles. Aber dass du kein armer Mann bist, hab ich schon gehört.“ Sie lehnte sich gegen den Holzpfeiler, an dem sie stand und sah Lando verschmitzt an. “Zwei Barren Eisen… vier Pferde… ein Silberbecher…“ Ihr Grinsen wurde immer breiter und sie schüttelte lachend den Kopf. Das war wirklich nichts, was ein armer Mann hätte bezahlen können. Er musste wirklich sehr reich sein, oder er musste Elfleda wirklich haben wollen. Wenn ihr das nicht doch schmeicheln würde, hätte sie gesagt, ihr Vater habe Lando über den Tisch gezogen. Soviel war keine Frau wert, auch nicht eine mattiakische Adelige. Aber es schmeichelte ihr nun doch zu sehr, um so etwas auch nur anzudeuten.
    “Dann tauscht ihr mehr untereinander mit den Römern eure Waren? Auch mit diesen Münzen?“
    Elfleda kannte das Prinzip der Münzen. Dafür waren ihre Vorfahren schon lange genug mit den Römern verbündet, um dieses Prinzip gelernt zu haben. Auch wenn es untereinander keine Beachtung besaß und Elfleda in ihrem Leben auch nur ein paar Münzen jemals gesehen hatte. Im Grunde war es nichts anderes, als würde man gegen Schmuck tauschen, nur dass der eben nicht in Form von Spangen, Reifen und Fibeln bearbeitet war, sondern in flachen Münzen mit dem Bild eines Mannes darauf bestand. Ein wackeliges Prinzip, wie Elfleda fand. Immerhin besaß Schmuck wenigstens Kunstfertigkeit, und andere Waren wie Pelze, Leder oder Nahrungsmittel einen eigenen Wert. Die Münzen waren ihr da etwas suspekt, da sie ihnen nicht direkt einen Wert zuordnen konnte.
    “Und das mit der Verwaltung versteh ich auch nicht so recht. Meinst du die Verwaltung der Betriebe?“
    Es war wirklich etwas schwer zu verstehen. Elfleda war ja nicht dumm und hatte auch schon einiges über die Römer gelernt. Aber manche Dinge wusste sie einfach noch nicht.

    Elfleda nickte nur stumm, um sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte ja schon damit gerechnet, dass sie bald wieder aufbrechen würden. Dennoch wäre ihr eine andere Antwort lieber gewesen. Aber heute war ein Fest, und wenn alle anderen so fröhlich waren, sollten diejenigen, die Grund zu dem Fest gaben, nicht missmutig in der Gegend herumstehen oder gar Trübsal blasen.
    “Nun, dann muss ich dich heute Abend wohl noch viel fragen, wenn ich so bald dazu keine Gelegenheit mehr bekomme.“
    Ein klein wenig herausfordernd blickte sie ihn an. Wenn es ihm zuviel wurde mit ihren Fragen, musste er etwas sagen, aber das musste sie ihm ja nicht so direkt anbieten.
    “Was macht man eigentlich in der Stadt? Habt ihr noch bewirtschaftetes Land außerhalb?“
    Irgendwas mussten die Amisvarier ja auch essen, ganz zu schweigen von den ganzen Römern. Elfleda hatte sich nie so sehr Gedanken darum gemacht, aber wenn sie mit Lando verheiratet wäre, würde sie das alles lernen müssen. Immerhin würde sie ihn dann unterstützen wollen, als ebenbürtige Partnerin und Rückhalt, wie es sich für eine Frau gehörte. Da wollte sie schon wissen, womit er sich so den Tag vertrieb.

    Er schien wieder so ernst zu werden. Elfleda sah ihn einen Moment lang einfach nur an, ohne irgendetwas zu erwidern. Sie achtete auch nicht auf das Singen, das hinter ihr anfing – wenn auch reichlich schief und getragen vom rauchigen Bass des Schmieds. Sie überlegte, ob sie ihn mit einem Scherz aufheitern solle, aber Lando war die ganze Zeit, die sie ihn nun kannte – oder eben kennenlernte – recht ruhig, beherrscht und ernst gewesen. Wirklich lächeln oder Lachen hatte sie ihn nur ganz kurz sehen, als sie sich am Mittag zufällig getroffen hatten und sie beinahe vor Schreck ausgerutscht wäre.
    Ein wenig seltsam war es schon, sich vorzustellen, ihn zu heiraten und ewig mit ihm zusammen zu sein. Er war die einzige Person hier, die sie eigentlich nicht kannte und nicht durchschaute. Alle anderen, mit Ausnahme von Phelan natürlich noch, kannte sie schon entweder ihr oder deren ganzes Leben lang, und bei jedem wusste sie, wie sie mit ihm umgehen konnte und wie sie denjenigen um den Finger wickeln konnte, wenn es notwendig war. Oder eben, dass man eben das nicht konnte, egal was man versuchte. Aber von Lando kannte sie kaum mehr als den Namen und jetzt ein paar Dinge über seine Vergangenheit. Natürlich wusste sie, dass es so hatte kommen müssen, jeden anderen Mann hätte sie ja auch nicht erst groß kennengelernt. Genaugenommen kannte sie Lando schon fast besser, als es üblich gewesen wäre. Dennoch war es ein eigenartiges Gefühl, vor allem, wenn sie sich vorstellte, in absehbarer Zukunft mit ihm Kinder zu machen.
    Sie merkte, dass ihre Gedanken an diesem Punkt anfingen, sich festzusetzen, daher drehte sie sich ein wenig mehr den Feiernden zu. Noch würde sie sich diesbezüglich in Geduld üben müssen, auch wenn ihre Neugierde wuchs und sie Lando ja durchaus positiv gegenüberstand. Aber bis zur Hochzeit war es noch ein wenig hin, da änderten auch Gedanken nichts daran. Also verdrängte sie die unnützen Bilder in ihrem Kopf.


    Bei seinen Worten spielte dann aber doch noch einmal ein kleines Lächeln um ihre Mundwinkel, und mit einem dankbaren Blick bedachte sie ihren Zukünftigen dafür. Sie hatte daran auch eigentlich nie gezweifelt, aber es war dennoch schön, das zu hören. Offenbar wollte Lando sich wirklich Mühe geben, damit zwischen ihnen beiden alles gelang. Vielleicht sollte sie ihm diesbezüglich auch mehr Signale zukommen lassen.
    “Ich weiß. Ich danke dir“, antwortete sie aber zunächst wenig originell.
    “Wie lange werdet ihr noch hierbleiben?“ fragte sie schließlich plötzlich. Ihretwegen konnte er gerne bis zwei Tage vor dem angesetzten Hochzeitstermin hierbleiben. Auch wenn er das wohl nicht tun würde. Allerdings war ihrer Stimme dieser Wunsch leicht anzuhören, denn die Frage klang mehr nach einer Einladung denn nach Wissensgewinnung.

    Elfleda musste aufpassen, den Worten von Phelan zu folgen und ihre Gedanken nicht zu sehr kreisen zu lassen. Da stand er vor ihr, der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Das einzige, was sie jetzt noch wirklich trennen würde, wäre der Tod eines von ihnen beiden, denn das Verlöbnis zu brechen war beinahe undenkbar, für jeden Beteiligten.
    Daher nutzte sie die Gelegenheit, das Gesicht ihres Mannes eingehend zu studieren. Was wohl gerade hinter seiner Stirn vorging? Er sah ernst aus, nachdenklich. Nicht, dass ihr das nicht recht war, wie sie Elke noch am Morgen gesagt hatte, wollte sie einen starken Mann, nicht unbedingt einen Spaßvogel. Sie hatte nichts gegen Lachen und Scherze, wie jeder auch, aber diese Welt war eben an sich nicht witzig, sondern sehr ernst.


    Nur mit halbem Ohr hörte Elfleda dem blonden Mann zu. Er pries Frigg sehr blumig, wie sie feststellte. Von ihrem Goden war sie eher knappe, dafür aber treffende Kommentare gewohnt, kurze Sätze. Nie zuviel Geschnörkel und Gerede. Vielleicht hatte er deshalb die Zeremonie von Phelan heute leiten lassen, damit sie etwas schöner war? War ja auch ein feierlicher Anlass.
    Erst als Lando dann das Ritual schloss, fiel ihr ein, dass sie selbiges ja auch tun sollte. Ohne ihren Blick von ihm zu wenden, wiederholte auch sie die Worte, damit sie einander verbunden waren.

    Einer ihrer Vettern fand es in just diesem Moment sehr erbaulich, aufzustehen und auf den Tisch zu springen. Oder zumindest schien das sein Plan gewesen zu sein, denn so ganz fest stand er nicht mehr und die Schwerkraft war auch nicht so ganz mit seinem Vorhaben einverstanden, so dass er statt auf dem Tisch daneben landete - ziemlich unsanft. Aber er lachte darüber vergnügt und prostete den anderen zu, offenbar hatte er sich nichts bei seinem kurzen Flugversuch nichts weiter getan. Auch Elfleda musste ein wenig bei dem Anblick lachen.
    “Vermissen? Also, außer dem wilden Haufen hier?“
    Sie wandte sich Lando zu, noch immer lächelnd und überlegte kurz. Ihr Blick wurde etwas abwesend, während sie zum ersten Mal so richtig über diese Frage nachdachte. Für sie war immer recht klar gewesen, dass sie ihre Familie verlassen würde, wenn sie heiratete. Sie war eine Fürstentochter, wenn auch von einem doch recht kleinen Rich, der von Rodewinis Erscheinung ein wenig überstrahlt wurde. Da war für sie immer klar gewesen, dass sie wohl nicht hier ewig bleiben würde. Und doch hatte sie sich nie darüber Gedanken gemacht, an was ihr Herz hier eigentlich hing.
    “Ich weiß nicht. Wahrscheinlich sind es alles Kleinigkeiten, und ich weiß ja nicht, was davon ich auch in der Stadt bei dir dann haben werde.“ Sie zuckte kurz mit den Schultern. Sie wollte ihm ja auch nicht vorjammern, was ihr alles schrecklich fehlen würde, wenn sie von ihrer Sippe getrennt würde. Natürlich würde sie sie alle vermissen, jeden auf eine eigene Weise, und auch jeden Fleck würde sie irgendwo vermissen. Aber dafür würde sie auch etwas Neues erhalten, ein neues Zuhause, eine neue Familie. Kinder - auch wenn sie hoffte, dass es in Landos Sippe wenigstens ein paar ältere Frauen gab, die schon entbunden hatten und ihr da bei ihrem ersten Kind und vor allem der Geburt dann etwas würden helfen können.
    “Die Feuerstelle werde ich wohl vermissen, hier im Langhaus. Die Geschichten am Abend, vor allem während dem Herbst, wenn Vater oft ausreitet und ein wenig jagt. Die vertrauten Geräusche, wenn man durchs Dorf geht. Die Vertrautheit untereinander, die kleinen Gesten.“
    Wie, um ihre Worte zu unterstreichen, berührte sie Lando kurz ganz leicht einfach am Arm, wie sie es wohl im Gespräch auch mit ihren Blutsverwandten getan hätte. Kurz sah sie forschend dabei in seine Augen, um zu sehen, ob er verstand, was sie meinte. Sie wollte ja nicht aufdringlich sein oder einen falschen Eindruck vermitteln.
    “Ich fühl mich hier zuhause, weil ich ganz sicher weiß, dass ich hier sicher bin. Dass ich hier beschützt werde. Dass ich auch mal streiten kann, und dennoch alles gut ist.“
    Elfleda nahm noch einen Schluck Met. Sie hoffte, er nahm das jetzt nicht als Angriff gegen seine Sippe. Sie hoffte ja, dass es dort genauso sein würde.
    “Es gibt so viele Dinge, vor denen man sich fürchten kann. Da sollte das Zuhause einem die Sicherheit geben, zu wissen, dass man das durchsteht, nicht?“ Sie schaute ihn wieder an, suchte in seinem Blick. Sie war nicht so schwach, dass man sie stets beschützen musste. Sie war eine gefestigte Persönlichkeit, wie man so schön sagte, aber sie war es auch deshalb, weil sie um den Rückhalt in ihrer Sippe wusste. Es war leicht, furchtlos zu sein, wenn man wusste, zur Not jede Hilfe zu bekommen, die man brauchte. Sie hoffte, sie bürdete ihrem baldigen Mann da nicht zuviel auf.
    “Aber ich denke, den einen Augenblick, wenn ich die Sippe meines Vaters verlasse und in deine übergehe, den einen sippenlosen Moment, werde ich schon überstehen.“ Sie lächelte ein wenig und ließ damit erkennen, dass sie ihm vertraute. Er würde sie sicher beschützen, und sie fühlte sich in seiner Nähe nicht unwohl. Das waren die besten Voraussetzungen, sich dort heimisch zu fühlen, fand sie.

    Auch Elfledas Blick folgte Landos zu dem jungen Phelan. Er hatte sich auf ein Gespräch mit Elke eingelassen. Sicherlich würde sie ihn nachher retten müssen, denn Elke konnte schon sehr besitzergreifend werden. Und ganz sicher würde die Sippe einer Doppelhochzeit mit den Amisvariern auch nicht zustimmen, so dass da rechtzeitig jemand ihre junge Cousine ablenken sollte. Aber sie wollte lieber mit ihrem Verlobten erst noch eine Weile sprechen.
    “Da hast du ja Glück, dass sie dich nicht gleich geopfert haben, um die Götter wieder zu besänftigen.“ Elfleda sagte es nur so halb im Scherz, denn das hätte wirklich auch passieren können. Manche Goden waren da sehr rigoros, auch gegen Kinder, die es nicht besser wussten.
    Er hatte erzählt, dass nur er und seine Schwester zu den Amisvariern gekommen waren. Nach weiteren Geschwistern wollte Elfleda nicht fragen. Entweder waren sie alt genug gewesen, um im Kampf zu fallen, oder noch zu jung, um sich wehren zu können, oder aufgrund anderer Dinge wohl verstorben. Da musste sie nicht an alten Wunden rühren. Und wenn das schon fast zwanzig Jahre her war, war seine Schwester sicher schon verheiratet. Musste sie ja fast, sonst würde Lando wohl nicht heiraten. Natürlich konnte die Tradition nicht immer eingehalten werden, manchmal waren Brüder auch weit mehr als fünfzehn Jahre Älter als ihre jüngeren Schwestern, aber meist verheiratete man die Frauen, ehe man die Männer in die Ehe gab. Und Lando war ja auch nicht so alt, also war seine Schwester wohl nicht sehr viel jünger als er.
    “Ich kann ja froh sein, dass mein Bruder mir nur eine kurze Version meines Namens als Spitzname verpasst hat. Elfi ist nicht gar so aufregend, und hat auch keine Geschichte.“
    Sie sah ihn etwas zweideutig an. Auf der einen Seite war sie aufgrund der Neuigkeiten um seinen schweren Stand bei den Stämmen noch immer etwas verunsichert. Das Leben wäre sicher nicht so einfach, wie es hätte sein können, wenn sie einfach den Sohn eines starken Mattiakerfürsten der Umgebung geheiratet hätte. Und auf der anderen Seite sah sie hier den Mann, den sie heiraten würde, und den sie gerne noch einmal berühren würde. Sie wollte sich mit ihm vertrauter machen. Immerhin würden sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen und hatten bislang nichts außer ein paar Worte und eine Berührung gemein.
    “Hast du eigentlich auch noch Fragen an mich?“
    Immerhin würden sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen, oder zumindest eine absehbar lange Zeit, wenn die Nornen es wollten.

    Das Lächeln in ihrem Gesicht schwand nach und nach. Elfleda war zwar manchmal zuckersüß, obwohl es in ihr anders aussah, vor allem wenn sie wütend war. Aber dennoch war sie keine gute Lügnerin im Allgemeinen, zumindest nicht in solchen Situationen. Wobei sie nicht wusste, wann sie schon einmal in einer solchen Situation gewesen wäre. Was hatte ihr Vater ihr für einen Mann ausgesucht? Er selbst war nicht vom Blut der Sippe, in die sie einheiratete, und doch ihr Anführer. Scheinbar, weil es niemanden gab, der älter war als er. Allein das war schon schwer zu glauben. Natürlich forderte hier draußen auch der Tod seinen Anteil an den Älteren, aber Lando war in keinem Alter, wo man Hel diesen Teil an der Bevölkerung dann zugestehen durfte. Er war sicher noch keine dreißig, und sie hoffte, dass er noch lange mit ihr leben würde. Wenn er der Älteste war, welch schwere Zeiten mussten das für seine Sippe sein?
    Und er sprach von Friedlosigkeit. Friedlosigkeit! Das hieß, jeder Mann, der davon wusste und sich darauf berief, durfte ihn einfach so erschlagen, ohne irgendeine Einrede fürchten zu müssen. Und als seine Frau war sie eigentlich schon für diese Leute seine Witwe, ihre Kinder nurmehr Waisen. Elfleda war noch nie auch nur annähernd so einer Strafe auch nur nahe gewesen. Niemand hätte es gewagt, ihrer Familie so etwas antun zu wollen, auch kein Gode, und erst recht nicht wegen einem Römer. Sie waren Verbündete der Römer, die treuesten verbündeten der Römer, wenn sie ihrem Vater glauben konnte.
    Ihre Gedanken arbeiteten, während sie ihm zuhörte. Es war gut, dass sie es jetzt schon erfuhr. Zum einen konnte sie dann ihren Onkel ein wenig verhören, warum er die ganzen Fürstensöhne der Mattiaker als mögliche Ehemänner abgelehnt hatte und stattdessen einen friedlosen Heruten, der sich einem zerschlagenen Stamm angeschlossen hatte, als würdig befunden hatte. Und zum anderen konnte sie sich darauf vorbereiten, ihrer Rolle als Ehefrau eines solchen Mannes dann gerecht zu werden. Es war sicher kein leichtes Leben. Zwar wusste sie nichts davon, wie die Römer sich seiner Sippe gegenüber verhielten, aber es gab auf germanischer Seite sicher nicht wenig Feinde. Nungut, die hatten die Mattiaker auch nicht, aber ihr Stamm war stark und in seinem Gebiet gefestigt.
    Sie nahm noch einen Schluck Met.


    Die Beschreibung der Stadt war ihr völlig unvorstellbar. Alle Gebäude aus schwerem Stein, sogar weißem? Und so hoch wie ein Baum? Wer brauchte so hohe Häuser? Und mit Lehm gedeckt anstatt mit Reet, Stroh oder Holz. Überhaupt nur wenig Holz, und so geordnet, dass man dort extra einen Garten anlegen musste, um wilde Natur um sich zu haben. Nicht einmal wenn Elfleda es versuchte, konnte sie es sich wirklich vorstellen. Es war so weit weg von ihrer Welt, dass sie nicht einmal wusste, wie das aussehen sollte.
    “Ich kann mir soviel Stein auf einem Haufen gar nicht vorstellen.“
    Sie sah ihm noch einmal kurz etwas zweifelnd in die Augen. Er wollte ihr helfen, wo er konnte. Das war gut. Das kleine Schmunzeln um ihre Mundwinkel kehrte zurück, und sie drehte leicht ihren Becher in ihren Händen. Kurz ließ sie den Blick über die feiernde Gesellschaft schweifen. Ihr Vater war wie ein Riese an seiner Tafel, groß und stark und vielleicht auch etwas laut. In seiner Nähe war es leicht, sich geborgen und sicher zu fühlen. Dann sah sie zurück zu Lando, der vollkommen anders war. Bislang hatte sie ihn eher als ruhig und beherrscht wahrgenommen, aber auch stolz. Und er war wirklich sehr groß, bestimmt über einen Kopf größer als sie. So ganz durchschaute sie ihn noch nicht.
    “Warum hat dich dein Vetter…“ Da fiel ihr ein, dass er ja gar nicht wirklich sein Vetter war. Kurz zögerte ihre Stimme bei der Erkenntnis, ehe sie weiterredete. “…dich Loki genannt, als er uns zu den Gebetsfelsen führte? Ist das ein Beiname von dir?“

    Das anschließende Fest konnte sich wirklich sehen lassen. Es gab sogar gutes Fleisch, und Rodewinis Frau hatte auch den Met holen lassen, damit dieser ausgeschenkt wurde. Elfleda trank auch einen Becher, wenn auch langsamer als ihre männlichen Verwandten. Sie wollte diesen Abend genießen, aber nicht in so übervollem Taumel wie manch anderer, sondern eher bewusst. Sie konnte es noch immer nicht so ganz fassen, dass sie endlich heiraten würde.
    Sie stand ein wenig am Rand, etwas abseits vom feiernden Trubel, und ordnete ein wenig ihre Gedanken. Ihre Phantasie flog schon in die nicht allzu ferne Zukunft, und sie überlegte, wie es wohl sein würde, verheiratet zu sein. Natürlich hatte sie einige verklärtere und einige konkretere Vorstellungen davon, wobei die konkreteren überwogen. Sie kannte ja schließlich genug verheiratete Paare, wusste genau, was dann passierte. Wenn man sich einen Wohnraum mit den Eltern teilte und jüngere Geschwister hatte, wusste man einfach recht genau um manche Teile des Ehelebens. Immerhin gab es keinen Platz, um groß auszuweichen, sei es für Zärtlichkeiten oder Streitereien. Und auch schon einige Geburten hatte sie mitbekommen, Krankheiten, Tod, Hunger, Kälte. Alles, was das Leben einfach schwer machte und das Bild von der heilen Welt etwas mehr in die Wirklichkeit brachte. Und dennoch träumte sie ein wenig vor sich hin, blendete die Gefahren für den Moment aus und schwelgte in kleinem Glück, als Lando auf sie zukam und sich neben sie stellte.
    “Also, ich hätte sicher nichts dagegen gehabt, sie kennen zu lernen. Ich freu mich schon, immerhin werden sie meine neue Sippe.“
    Elfleda blickte kurz hinüber zu den Feiernden. Ihr kleiner Bruder schaute zwar kurz etwas aufpassend zu ihr herüber, unterhielt sich dann aber weiter mit Folcrat, Rodewinis Sohn und seinem Cousin. Sie nahm den kurzen Blick mit einem Lächeln. Auch wenn ihr Bruder noch ein Kind in ihren Augen war, fühlte er sich mit seinen zwölf schon so erwachsen und wollte natürlich dann auch die Pflichten eines Bruders übernehmen, vor allem, nachdem Arndt, ihr älterer Bruder, nun schon einige Jahre tot war. Aber anscheinend reichte sein Aufpasserwille für nicht viel mehr als einen kurzen, prüfenden Blick und hin und wieder einen aus den Augenwinkeln.
    “Wie sind sie eigentlich? Magst du mir ein wenig von ihnen erzählen? Und von der Stadt? Ist es da so wie hier?“
    Elfleda drehte sich nun vollständig Lando zu und vergaß einfach die ab und zu herschauenden Gesichter. Hier war man schließlich nie allein, ständig schaute irgendjemand. Dass es nun ein paar mehr waren, weil dieses Fest ja schließlich um Lando und sie ging, war dann auch nicht mehr anders als normal.

    Eigentlich hatte Elfleda nicht den geringsten Appetit im Moment. Es war so aufregend, dass sie endlich heiraten würde! Dennoch nahm sie ruhig das Stückchen Brot entgegen und nachdem sie ihre Gedanken gesammelt hatte, aß sie es, wie das Opfer es vorsah.
    Lando drehte sich ihr zu und hielt ihr die Hände entgegen. Sie drehte sich in seine Richtung und blickte ihm fest in die Augen. Ohne auf die Hände zu schauen legte sie ihre in die seinen. Ihre Hände waren etwas kühler als seine, nicht wirklich kalt, aber sie fühlte, dass seine wärmer waren. Und um einiges größer, rauer. Männerhände eben, auch wenn ihre sicher auch nicht so fein und weich waren wie die manch römischer Frau.
    Es war ihre erste Berührung, und Elfleda hoffte, dass nichts von ihrer Nervosität zu fühlen war. Zwar war es durchaus angebracht, wenn die angehende Braut ein wenig nervös war, allerdings hatte sie ja nicht wirklich Angst. Es war mehr Vorfreude und Aufregung, Ungeduld vielleicht auch. Und darüber hinaus noch diese Berührung mit jemandem, der nicht von ihrer Sippe war und zu dessen Sippe sie bald gehören würde.
    Elfleda ließ ihren Blick auf Landos grüne Augen gerichtet. Sie suchte darin, und wusste nicht einmal genau, nach was. Sie wollte ihn gerne heiraten, das wusste sie. Sie war froh um die Verlobung, auch wenn sie noch so viele Fragen gehabt hätte. Aber in diesem Moment konnte sie nur schauen, und kurz spielte ein ganz leichtes Schmunzeln um ihre Mundwinkel, nicht wirklich ein Lächeln, dafür war die Situation an sich zu erhaben und zu ernst. Und doch freute sie sich, wie es gekommen war, und hoffte nur, dass die Wartezeit nicht zu lang sein würde.